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XLV.

Zwei Wochen später stand Artaynte, das schöne Mädchen, vor Xerxes, der saß. Sie war sehr stolz auf die Liebe ihres Oheims, des Königs.

»Artaynte!« sprach Xerxes. »Sage mir, was du haben willst! Ein kostbares Geschenk werde ich dir geben.«

Artaynte wußte schon längst, was sie sich wünschen wollte.

»Werdet Ihr mir gewähren, was ich Euch nenne, mein Fürst und Oheim?« fragte Artaynte lächelnd im vollen Bewußtsein ihrer Reize.

»Ich schwöre es beim höchsten Gott der Perser«, sagte Xerxes.

Dies war der leichtfertige Eid, den persische Könige hin und wieder schweren und von dem sie sich schwerlich befreien konnten, wenn der Eid Schwierigkeiten mit sich brachte.

Artaynte dachte, während ihre Händchen noch in den Händen des Xerxes lagen, wie eine echte persische Prinzessin, die im Frauengemache zwischen vielen Ränken aufgewachsen war, an ihre Zukunft. Um sie her waren so viel junge Basen, daß sie um diese Zukunft wohl hin und wieder besorgt war, ebenso wie ihre Mutter Artaxixa, die sich in der Zubereitung von Früchten besonders hervortat.

»Dann will ich, Fürst und König,« sagte Artaynte mit bezaubernder Gefallsucht, »die Frau Eures Sohnes Dareios werden. Dann will ich Eure Schwiegertochter werden, Xerxes, und Thronfolgerin von Persien.«

Xerxes runzelte die Brauen. Er war enttäuscht, daß Artaynte in diesem Augenblick der Belohnung, der auf Wochen williger Hingabe folgte, zuerst daran dachte, die Frau seines Sohnes zu werden.

»Dareios ist noch sehr jung,« sagte Xerxes, »und ist eigentlich dazu bestimmt, als erste Frau ich weiß nicht welche von deinen Bäschen zu nehmen, Artaynte.«

»Ich weiß es wohl«, sagte Artaynte schelmisch. »Aber ich will des Dareios erste Frau werden. Ich will späterhin Königin werden.«

»Das ist nicht möglich, Artaynte.«

»Das ist doch möglich!« bestand Artaynte eigensinnig. »Ich will des Dareios erste Frau werden.«

»Vielleicht kann er dich als zweite Frau nehmen.«

»Nein, nein!« bestand Artaynte eigensinnig. » Ich will Königin werden.«

»Du kannst Artaxerxes heiraten, Artaynte.«

Xerxes versuchte sie zu beschwichtigen.

»Ich will nicht«, bestand Artaynte eigensinnig. »Artaxerxes ist noch ein Kind. Dareios ist mit mir nur um ein paar Jahre auseinander. Ich will meinen Vetter Dareios heiraten und Königin von Persien werden. Oheim und Fürst, Ihr habt geschworen, in mein Verlangen einzuwilligen.«

»Eigentlich ist es nicht zu unbescheiden«, mußte Xerxes zugeben. »Gut, Artaynte! So werden wir dafür sorgen, daß du die erste Frau des Dareios wirst.«

»Und daß ich später Königin von Persien werde.«

»Später, ja später, Artaynte.«

»Dann wünsche ich noch etwas«, sagte Artaynte, die erst jetzt ihren Hauptwunsch nannte.

»Was noch, Artaynte?« fragte Xerxes ein wenig ängstlich.

Zärtlich und gefallsüchtig befreite Artaynte ihre Händchen aus der Hand des Xerxes. Sie wich zurück, gleich als bereite sie sich zu einem Tanz vor. Aber sie tanzte nicht. Zurückweichend erreichte sie den Sessel, auf dem der prächtige Mantel ausgebreitet lag, der Mantel, den Amestris für Xerxes gewirkt hatte.

Dann sprach Artaynte, während sie ihr Händchen nach dem Mantel ausstreckte:

»Ich möchte diesen Mantel besitzen.«

Xerxes erschrak heftig.

Artaynte hatte sich bereits in den medischen Mantel gehüllt. Der scharlachrote Purpur mit dem schwarzblauen Rande, der ganz durchtränkt war von goldenem Glanz, kleidete sie, als sei sie bereits Königin von Persien.

Erregt hatte sich Xerxes erhoben.

»Das ist nicht möglich, Artaynte!« rief Xerxes ärgerlich.

»Doch!« bestand Artaynte eigensinnig und hüllte sich fester in den Mantel. Sie betrachtete sich in der glänzenden Spiegelwand, so wie Xerxes selber sich darin betrachtet hatte. Sie drehte und drehte sich.

»Es ist wirklich nicht möglich, Artaynte!« rief Xerxes rot vor Zorn. »Den Mantel hat Amestris während des Krieges für mich gewirkt. Ich kann dir den Mantel nicht abtreten.«

»Ich will diesen Mantel!« bestand Artaynte eigensinnig, während sie sich betrachtete. »Ich habe gesehen, wie Muhme Amestris ihn wirkte. Ich weiß alles. Er ist nicht sehr schön gewirkt. Es sind Fehler darin. Seht nur! Hier am Rande. Aber ich will ihn trotzdem besitzen. Ich gebe den Mantel nicht zurück, Oheim Xerxes. Ich behalte den Mantel. Er gehört jetzt mir.«

»Wirklich, Artaynte?«

»Ihr habt mir geschworen, mir zu gewähren, was ich erbitten würde.«

»Ja! Aber du erbittest ...«

»Ich erbitte nicht viel. Ich bitte nur darum, die erste Frau des Dareios zu werden und später Königin von Persien. Außerdem bitte ich nur um diesen Mantel. Er ist nicht einmal sehr schön gewirkt.«

Xerxes ballte verzweifelt die Fäuste, versuchte sich zu beherrschen, wollte sie überreden.

»Artaynte!« sagte er leise und freundlich, aber zugleich hochmütig und fürstlich, so wie ein fürstlicher Geliebter seiner neuen jungen Lieblingsfrau gegenüber hochmütig und zugleich freundlich sein muß. »Artaynte! Es ist nicht möglich. In der Tat, mein liebes Kind! Es ist nicht möglich. Bitte mich um etwas anderes!«

»Ich will nicht.«

»Bitte mich um einige Städte!«

»Ich will keine Städte«, sagte Artaynte. »Ich will den Mantel.«

»Bitte mich um Gold, um Gold, soviel du willst!«

»Aber ich will kein Gold. Ich habe Gold genug, und wenn ich Königin von Persien bin, wird alles Gold der Welt mein sein.«

»So bitte mich um eine Armee, Artaynte! Artaynte! Eine Armee ist das größte Geschenk, das der persische König verleihen kann, eine Armee, die du selber befehligen darfst.«

»Ich will keine Armee befehligen«, sagte Artaynte. »Ich will diesen Mantel haben. Ihr habt mir den Mantel versprochen, Oheim Xerxes. Ihr müßt mir den Mantel geben. Sonst brecht Ihr Euer königliches Wort, und ich erzähle alles dem Vater. Ich erzähle Masistes, daß Xerxes sein königliches Wort brach.«

Plötzlich hatte sie sich in den Mantel gehüllt und stand da hoch aufgerichtet wie eine kleine Furie. Sie reizte ihn. Die persischen Prinzessinnen waren Sklavinnen ihrer Väter, Brüder, Onkel, Neffen. Aber wenn sie es wollten, machten sie diese zu Sklaven.

»So sorge wenigstens dafür, daß Amestris es nicht sieht, wenn du ihn trägst!« sagte Xerxes, während Artaynte lachend hinwegschlich in dem Gewande, das sie schwer und königlich umkleidete.

In den ersten Tagen trug sie den Mantel nur vor ihrem eigenen Spiegel und bewunderte sich darin in den verschiedenen Haltungen der künftigen Königin von Persien. Ihre Sklavinnen bewunderten sie. Dann wurde sie dreister, weil der Mantel ihr gar gut stand. Sie wagte sich damit außerhalb der Portiken. Ihre Mutter Artaxixa warnte sie. Die Königinwitwen Phaidyme und Parmys sahen, wie sie prahlend darin im Palmenwald der Gärten wandelte. Die geflüsterten Schwätzereien gingen jetzt im Frauengemach von der einen zur anderen unter den vielen Prinzessinnen, Nebenfrauen, Sklavinnen: Artaynte war die Lieblingsfrau des Basileus und trug den Mantel, den Amestris während des Krieges für Xerxes gewirkt hatte. Nicht alle wollten es glauben. Die Frauen kamen und blickten verstohlen hinter den Säulen hervor. Endlich sah sie auch Amestris. Amestris raste. Sie kratzte sich vor Wut und schlug ihre Frauen mit Peitschen. Im Frauenhofe herrschte eine heftige Erregung, die die Trauer um die gefallenen Brüder, Schwäger, Neffen, auch Gatten beinahe vergessen ließ, die den Schmerz über den verhängnisvollen Krieg in den Hintergrund drängte. Der Krieg hatte sich in weiter Entfernung abgespielt, mitten in Europa. Der Mantel aber hier in Asien, in Susa, das Aufkommen der neuen Lieblingsfrau Artaynte, das alles war viel reizvoller und anregender als der Krieg in Europa, als die Ionier und als Athen. Über den Mantel flüsterten alle Frauenlippen, während jeder sah, daß Amestris wütete und daß sie sich selbst die Wangen wund gekratzt hatte.

Es herrschte große Neugierde, was wohl Amestris tun werde.

Es schien, als werde sie nichts tun, bis der Geburtstag des Xerxes kam. An diesem Tage wurde ein großes Fest gefeiert in der Stadt und in dem Palast. Es ist die Tykta, wie die Perser sagen, oder das Vollkommene Fest. Viele Tage vorher sind die Köche in den Küchen damit beschäftigt, ungeheure Aufläufe von Fleisch und süße Fruchtkuchen zuzubereiten. Die Bäcker backen Tausende von Brötchen in geweihten und symbolischen Formen. Die Zuckerbäcker backen ihr Zuckerwerk in den nämlichen Formen. Die süßen Palmweine werden gewürzt und mit Myrikehonig gemischt.

An dem Tage selbst vollzieht sich, wenn den Göttern Opfer dargebracht sind, zwischen Tanz, Spiel und Gesang die Weihe des königlichen Hauptes. Priester salben dem König die Stirn, den Scheitel, die Schläfen. Die wohlriechenden Öle tropfen ihm aus dem blauschwarzen Haar herab, an dem blauschwarzen Bart entlang. Durch den ganzen Palast duften die schwülen Öle.

Xerxes hatte für diesen Tag den Mantel von Artaynte zurückerbeten. Er saß in den Mantel gehüllt, während der Priester ihn salbte.

Dann speiste er allein auf einem erhöhten Sitz. Bedient wurde er von seinen nächsten Blutsverwandten. Ein einziger Glanz von Gold alles Gerät, woraus er aß und trank auf dem golddurchwebten Tischtuch mit den goldenen Fransen, die über die Stufen herabhingen. Der gesamte Hofstaat schaute den König, und das Volk schaute ihn von ferne. Es drängte sich hinter den Marmorgittern, um von all dem Glitzern und von der Heiligkeit des fürstlichen Mahles einen Schimmer zu erhaschen.

Zuerst speiste und trank der König feierlich. Jede seiner Gebärden dabei war eine schwungvolle Zeremonie, die Xerxes mit Anmut und königlichem Selbstbewußtsein vollbrachte. Dann näherte sich der Augenblick, da er allen den Seinen, dem ganzen Hofe und dem Volke, Geschenke überreichen und jedem eine Bitte gewähren sollte. Wohl war es für den Bittenden gefährlich, unbescheiden zu sein. Das Gesetz des königlichen Hauses bestimmte aber, daß der König nichts abschlagen durfte. Weil Atossa ihres hohen Alters wegen der Feierlichkeit nicht beiwohnte, trat die Königin als erste vor. Der König erhob sich voller Anmut in dem Bewußtsein, daß aller Augen auf ihm ruhten, und fragte Amestris, was sie verlange.

»Hoher Despot!« sagte Amestris. »Eure Sklavin erbittet von Euch den Mantel zurück.«

Xerxes erschrak. Allein ein Weigern gab es nicht. Hofbeamte nahmen Xerxes den Mantel ab und näherten sich mit ihm Amestris.

Während sie Amestris das schwere Gewand um die Schultern legten, fügte Amestris hinzu:

»Und Artaynte.«

Jetzt erblaßte Xerxes. Er zitterte und raste innerlich zu gleicher Zeit.

Was der Königin auch späterhin widerfahren mochte wegen ihrer Unbescheidenheit, verweigern durfte er nichts. Inmitten der Prinzessinnen stieß Artaynte einen Schrei des Entsetzens aus. Aber ein Weigern gab es nicht. Sie wurde der Königin zugeführt, und diese entfernte sich, indem sie befahl, daß man Artaynte hinter ihr herführen solle.

Es war empörend, aber Amestris hatte sich gerächt. Das Volk, das in weiter Entfernung stand, begriff nicht, blickte mit weitgeöffnetem Munde auf all den glänzenden Prunk. Inmitten der Schwäger, Brüder, Neffen, inmitten all der Prinzessinnen und Frauen, inmitten all der Tausende des Hofes erhob sich ein Stimmengewirr. Die Beteiligten vergaßen, um Gunstbeweise und Geschenke zu bitten.

»Was will Amestris mit meiner Tochter, Fürst und Bruder?« fragte Masistes, der Vater der Artaynte.

Xerxes, ohne Mantel, doch noch immer würdevoll, sagte etwas. Es war nicht verständlich. Es entstand eine allgemeine Verwirrung. In den Säulengängen klatschten wütende Peitschen. Ein kleiner Bäcker, der auf Schilfplatten Gebäck und Zuckerwerk trug, wurde umgerannt.

Es sei etwas Unerhörtes, meinten die Königinwitwen und Artozostra, die Gemahlin des Mardonios. Die Portiken waren erfüllt von Frauen und von leisem Stimmenrauschen. Es gab leidenschaftliche Erläuterungen, und die Neugierde, was Amestris Artaynte antun werde, war groß. Man mißbilligte es, daß die Königin einen Feiertag wie den Tag des Vollkommenen Festes verdarb, indem sie einen derartigen Aufruhr heraufbeschwor. Denn eine Ungeheuerlichkeit war es in gerade dem Augenblick, da so viel köstliches Gebäck und Zuckerwerk zubereitet war.

Inzwischen war Artaynte hinter Amestris her, umringt von Wachen und einem Schwarm von Eunuchen und Sklavinnen, im Frauengemach angelangt. Amestris, die so lange ihre stille Raserei hatte im Zaum halten können, wandte sich wütend um und ballte die Fäuste. Grausam und entsetzenerregend stand sie vor Artaynte, die mit flehender Gebärde auf die Knie gefallen war.

»Gnade! Gnade!« rief Artaynte, indem sie die Hände emporstreckte. »Königin! Fürstliche Muhme! Gnade!«

»Jetzt bist du in meiner Gewalt!« schrie Amestris, während ihr wie in aufsteigender Wollust vor Grausamkeit der Schaum zwischen den zusammengebissenen Zähnen zischte. »Jetzt bist du in meiner Gewalt. Eunuche! Rufe die Folterknechte herbei! Sie ist mein. Diese Metze! Sie ist meine Sklavin. Der König hat sie mir geschenkt. Ich werde ihr die Brüste abschneiden lassen und sie den Hunden vorwerfen.«

»Gnade! Gnade!« schrie Artaynte mit verzweiflungsvoll zitternder Stimme und wand sich auf dem Boden zu Füßen der Amestris.

»Ich werde ihr die Nase abhacken lassen.«

»Gnade!«

»Die Ohren, die Zunge ihr ausreißen lassen.«

»Gnade!«

»Die Lippen abschneiden lassen.«

Artaynte flehte nicht mehr um Gnade. Sie schrie, sie schrie wie wahnsinnig, sie schrie, während ihr die Augen aus dem Kopfe traten. Sie litt in ihrer Angst bereits die Greuel, die sich manchmal aus Haß und Eifersucht in den persischen Frauengemächern abspielten, die Greuel, die, wie sie selbst einmal gesehen, an Nebenfrauen oder Sklavinnen verübt wurden, doch noch niemals an einer königlichen Prinzessin. Die Peitsche regierte zwar allezeit, doch wenn die Peitsche sich als zu schwach erwies, um zu züchtigen oder zu rächen, kam der Folterknecht mit seinen Beilen und Scheren und Zangen. Es war ein Rauschen wie von steigendem Entsetzen unter den dicht zusammengedrängten Frauen, die sich mit den Eunuchen zwischen den Säulen und den Türen stauten, namentlich als der Folterknecht mit seinen Helfern erschien. Alle waren im Festgewand, weil es das Vollkommene Fest war, der Geburtstag des Königs und der Tag der heiligen Salbung.

Im nämlichen Augenblick erschien an der Tür, die zu den Gemächern der Königinwitwe führte, Atossa. Sie war sehr alt. Ihre violetten Schleier hingen müde und dicht wie Spinngewebe um ihre eckigen Glieder und um ihre grauen Haare und um ihre runzligen Züge. In ihrer zitternden, mageren Hand hing die Peitsche, die sie stets bei sich trug, die sie aber nur noch mit Mühe schwingen konnte, weil ihre gichtkranken Muskeln sich weigerten. Sie war sehr eindrucksvoll, während sie mit zugekniffenen Augen zwischen den übrigen Königinwitwen Artystone, Parmys, Phaidyme erschien, die sie gerufen hatten. Sie genoß das allergrößte Ansehen, und die Frauen zitterten vor ihr mehr als vor dem König selber.

»Was gibt es hier?« fragte sie mit kühler Stimme.

Amestris stand hoch aufgerichtet da, einer Furie gleich.

»Mütterlichkeit!« rief sie. »Der Basileus hat mir diese Metze gegeben, und ich darf mit ihr machen, was ich will. Diese Metze, die mit dem Mantel prahlt, den ich für meinen Gemahl gewirkt habe! Ich werde ihr die Lippen abschneiden, die Zunge ausreißen, die Ohren und die Nase abhacken lassen. Ich werde ihr die Brüste abhauen lassen und sie den Hunden vorwerfen.«

»Großmütterlichkeit!« schrie Artaynte und kroch auf dem Boden zu Atossa. »Gnade! Gnade!«

Inzwischen war Artaxixa, ihre Mutter, mit Artozostra, der Gemahlin des Mardonios, in heftiger Erregung eingetreten. Sie hatte Xerxes um Gnade für Artaynte angefleht. Xerxes hatte gesagt, er könne nichts daran ändern, und er müsse jetzt Gunstbeweise und Geschenke austeilen an seine Offiziere und Hofbeamten.

Da kreiste einer Schlange gleich ein Peitschenschlag durch die Luft. Die Riemen prasselten herab auf Artayntes Rücken. Atossa hatte gut getroffen. Das Mädchen schrie auf vor Schmerz. Ein wenig Blut floß purpurn über ihren Nacken. »Fort!« schrie Atossa rasend. »Hörst du nicht? In dein Gemach! Metze!«

Die alte Frau erhob nochmals die Peitsche. Aber sie verfehlte das Ziel. Die Peitsche entglitt ihren Händen. Sklavinnen griffen wetteifernd nach ihr und boten die Peitsche kriechend und sich krümmend ihr mit hoch erhobenen Händen dar.

Doch es bedeutete Gnade, was die alte Frau tat, sie, die Tochter des Kyros, die im Frauenhofe allmächtige Herrscherin war, sie, um die sich lange bereits die Legende schaudererregender Ehrfurcht wob. Artaxixa riß ihre Tochter empor, ihre Sklavinnen stürzten herbei, und ein dritter Peitschenhieb wies der Schuldigen, der aber Gnade verliehen ward, den Weg.

»In dein Gemach!«

Artaynte floh aus dem Kreis der Frauen. Amestris schrie auf, als sei dem Blutdurst eines Tieres eine Beute entgangen.

»Der Basileus hat sie mir gegeben«, schrie sie Atossa rasend ins Gesicht.

Die Peitsche wand sich empor. Die Peitsche kreiselte einer Schlange gleich durch die Luft. Die Peitsche bedrohte Amestris, die Königin von Persien, und aus den zugekniffenen Augen der allmächtigen Mütterlichkeit blitzte die Wut, blitzte das unantastbare Ansehen.

Amestris schrie zu den Säulen empor ob ihrer Demütigung. Ihre Hände krampften sich vor Wut zusammen. Sie schrie weiter und stieß in hysterischer Machtlosigkeit ein fast erstickendes Schluchzen aus.

»Die Königin in ihr Gemach!« zischte Atossa in überwallender Erregung zwischen ihren alten runzligen Lippen. »Ich herrsche hier, ich, ich!«

Alles zitterte. Amestris gehorchte. Ihre Sklavinnen umringten sie und stützten sie, während sie mit den Fäusten um sich schlug und sich wand wie ein gebändigtes wildes Tier. Die Eunuchen umringten sie, öffneten ehrerbietig die Vorhänge vor den Türen.

Atossa bückte langsam umher mit ihren durch Alter und Krankheit stets qualvoll zusammengekniffenen Augen im verzerrten Antlitz. Alles schwieg. Keine Stimme erklang. Kein Wort erschallte zwischen den regungslosen, dicht aneinander gedrängten Frauen, Prinzessinnen, Nebenfrauen und Sklavinnen. Dann wandte sich Atossa langsam um.

Sie entfernte sich mit den übrigen Königinwitwen des Dareios, Artystone, Parmys, Phaidyme. Um Artaxixa und Artozostra rauschten sogleich in einem jetzt nicht mehr bezwingbaren Rauschen hunderte Frauenstimmen.

»Jetzt hat sie, was sie verdient!« meinte die Mutter der Artaynte, indem sie auf ihre Tochter anspielte.

Es gab lebhafte Auseinandersetzungen. Aus den Portiken strömte der süße Duft der Kuchen und all des symbolisch geformten Zuckerwerkes, das man zu dem Vollkommenen Fest gebacken hatte.

»Das ist doch kein Grund,« meinte Artaxixa, »all das Köstliche nicht zu genießen.«

Alle stimmten mit ihr überein. Der Zug der Sklavinnen, die auf Schilfplatten das Zuckerwerk und das süße Backwerk trugen, strömte herein, beinah feierlich, mit religiöser Weihe, während sie in hieratischen Haltungen köstlich duftende Näschereien auf ihren Köpfen oder mit weit ausgestreckten Armen vor sich her trugen. »Wir wollen Amestris etwas davon schicken«, sagte Artaxixa.

»Und Artaynte«, fügte Artozostra mitleidig hinzu.

»Und den Königinwitwen«, summte es heftig ringsumher. Artaxixa und Artozostra trafen ihre Auswahl aus den Herrlichkeiten, und weihevoll begaben sich die Sklavinnen mit ihren gefüllten Platten zu den Königinwitwen, zu Amestris und auch zu der beklagenswerten Artaynte.

An jenem Abend verlief das Vollkommene Fest, als sei nichts geschehen.


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