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XXV.

Leonidas dachte nach. Er war kein Genie wie Themistokles. Er war kein schlauer Staatsmann und spitzfindiger Denker. In seiner großen einfachen Seele gab es keinerlei Verwicklung von Widersprüchen. In ihm war nichts anderes als Klarheit, für ihn gab es nichts anderes als die senkrechten Linien, die er unausweichlich vor sich schimmern sah. Dazu kam, daß Leonidas gegen die Götter, an die er glaubte, fromm war. Während er nun auf seinem Sitze vor dem Zelte zwischen den Felsen nachdachte, wie einst Achilles am Seestrande von Ilion gesessen, beschäftigten sich seine Gedanken vor allem damit, wie er mit den Seinen der drohenden Gefahr entrinnen könne, von den nahenden Persern umzingelt zu werden. Seine Gedanken schweiften einzig zu dem Orakel, dessen er sich erinnerte.

Als die Lazedämonier die Pythia in Delphi zu Anfang dieses Krieges befragten, hatte sie in Versen des alten Epos gesprochen:

»Euch aber, die das geräumige Sparta bewohnen, verkünd ich:
Entweder geht eure große und ruhmreiche Hauptstadt zugrunde
unter den Händen der Enkel des Perseus, oder, wenn das nicht,
wird sie den Tod ihres Königs aus Herakles' Stamme betrauern.«

Vor kurzem war Leonidas König von Sparta geworden. Seine beiden älteren Brüder waren gestorben. Niemals hätte er geglaubt, daß die Krone ihm zufallen werde. Wenige Wochen erst war diese Krone sein. Er dachte nach über sein kurzes Königtum und gestand sich, daß er kämpfend sterben werde. Er dachte an sein junges Weib Gorgo, die Tochter seines verstorbenen Bruders Kleomenes. Er dachte an seinen jungen Sohn. Er dachte daran, daß die Dreihundert, die um ihn geblieben waren, und die alle in der Blüte männlichen Alters standen, ihre Frauen und Kinder in Sparta gelassen hatten. Allein die Wehmut über dies alles war in des Leonidas Seele nur gering. Vielmehr lebte in ihm einer stillen Begeisterung gleich nur die ruhige Erwartung, daß er für sein Land kämpfen und sterben werde, daß er, umgeben von allen seinen Tapferen, für ewig ruhmreich sein werde. Rings um seine glatte nachdenkliche Stirn, auf der eine einzige Runzel der Männlichkeit eingegraben war, hörte er die flatternden Flügel der breitbeschwingten Nike, fühlte er den schwellenden Wind ihrer weißen Gewänder, sah er, wie die weißen jungfräulichen Arme der Siegesgöttin sich ausstreckten und wie ihre Finger ihm die Zweige und Kränze aus Myrte und Lorbeer reichten. Zwischen den steilen Felsen, wo nun die Sonne des schicksalsschweren Tages leuchtete, der der erste von vielen anderen schicksalsschweren Tagen sein würde, dämmerten die lichten Erscheinungen wie in goldenem Sonnenstaub um Leonidas, den sinnenden Helden.


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