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XXXVIII.

Nordwestlich vom Piräus ragte eine viereckige Halbinsel wie ein felsiger Sitz weit ins Meer. Die ruhigen Sommerwogen schlugen mit schäumenden Kämmen melodisch dagegen. Die Natur hatte diesen Fleck schon vor Jahrhunderten und Jahrhunderten geschaffen zu dem Zwecke, Xerxes einmal hier thronen und die Seeschlacht von Salamis anschauen zu lassen.

Der König der Könige saß hier wie vor einem Schauspiel, wie vor einem Flottenkampfspiel. Es war ein prächtiger Mittsommertag. Xerxes hatte die aufgehende Sonne im Rücken. Dies war nicht störend, zumal eine liebliche Brise wehte. Über dem Thron war ein Baldachin aus goldenem Tuch ausgespannt. Xerxes saß in goldener Waffenrüstung und trug ein neues Diadem mit hoher Spitze auf dem Kopfe. Sein blauschwarzer Bart duftete nach wohlriechenden Essenzen. Zufrieden und leutselig blickte er um sich.

Die Unsterblichen mit Hydarnes waren wie ein Wall von goldenen Schilden, Helmen und Speeren an den vier Seiten der Halbinsel aufgestellt.

Neben Xerxes saß Mardonios, um Xerxes saßen viele Brüder, Schwäger und Neffen. Es war eine glänzende Versammlung von Fürsten, und alle blitzten und funkelten in ihren goldenen Armbändern und Ehrenzeichen. Das war, namentlich wenn die Sonne darauf fiel, blendend. Es war ein unaufhörliches Funkeln und Strahlenschießen. Xerxes liebte es, wenn er leutselig um sich schaute, diese Strahlen schießen und alles so unaufhörlich funkeln zu sehen. Er war zufrieden. Dennoch betrauerte er wohl seine beiden Brüder, Abrokomes und Hyperanthes, die in den Thermopylen gefallen waren, als sie ihn verteidigten. Denn Xerxes litt an einer Schwäche gegen die Mitglieder seines Hauses und liebte die vielen Brüder, Schwäger und Neffen. Auch dachte er flüchtig darüber nach, daß der Hofgoldschmied, der ihn nach Europa begleitet hatte, dieses neue Diadem etwas zu weit gemacht habe und daß seine Krone, die ihm Leonidas in den Thermopylen abgerissen, sich besser um die Schläfen geschlossen habe. Er versuchte das Diadem, ohne es mit der Hand zu berühren, etwas höher hinaufzuschieben, indem er die Stirn runzelte und sie emporzog. Allein es half nicht. Das Diadem sank Xerxes wieder auf die Brauen herab. Einmal schob er mit lässiger Anmut die Krone hinauf. Als sie dann wiederum sank, fügte er sich in philosophischer Ruhe.

Im übrigen fühlte er sich heute sehr sicher, sehr ruhig, sehr im Gleichgewicht. Das Wetter war prächtig, und der Anblick seiner ungeheuren Flotte, die vor ihm lag in einer ungeheuren, unübersehbaren, nach Nordwest gerichteten Stellung – beide Flügel umzingelten die Griechen – einer Flotte, die sich von Westen nach Osten erstreckte, erfüllte ihn mit schwellendem Stolz. Er war sich dessen bewußt, daß kein Fürst der Welt solch eine Seemacht und zugleich eine solche Landmacht hinter sich in den Ebenen von Attika versammelt habe wie er, Xerxes, der König der Könige. Er wollte sich nun durch das zu weite Diadem nicht länger die Stimmung verderben lassen. Er wollte sich auch bezwingen, falls einmal während eines Augenblicks heute etwas geschehen sollte dort vor ihm, das einen Unfall bedeutete, ein Unglück. Es könnte wohl einmal ein Schiff geben, das nicht seine Pflicht täte, wenngleich er, Xerxes, hier saß. Dann wollte er nicht einmal von seinem Thron aufspringen. Er hatte sich dazu hinreißen lassen, als er von seinem Feldthrone aus den fluchwürdigen Widerstand in den Thermopylen hatte mitansehen müssen. Auf diesem Flottenthrone saß es sich auch bequemer und geräumiger, und Xerxes war im großen und ganzen guter Laune und des Sieges gewiß. Der Gott der Perser werde ihm und den Seinen helfen.

Schon drei Viertelstunden saß Xerxes dort. Hin und wieder sprach er mit Mardonios. Es machte den Eindruck, als sei der König der Könige zu früh auf seinem Theatersitz erschienen, um ein Schauspiel mit anzusehen. Die glänzenden Brüder und Schwäger und Neffen sprachen untereinander nur flüsternd, wie es die Regeln des Hoflebens vorschrieben. Die Unsterblichen standen regungslos wie goldene Statuen, gewaltige Prachtleiber, so gedrillt, wie nirgends sonst Unsterbliche gedrillt waren. Ihre goldenen Rücken, ihre vergoldeten Schilde und ihre vergoldeten Helme machten sie zu einer Mauer aus Gold, und die ganze Halbinsel lag wie eine Goldmasse in der Sonne.

Plötzlich sah der König, wie von Westen her die griechische Flotte sich näherte. Alle Perser sahen die griechische Flotte. Zwischen den beiden mächtigen Flügeln der ungeheuren persischen Seemacht tauchte, einer schmalen Sichel gleich, die griechische Flotte auf. Xerxes schüttelte flüchtig und verwundert den Kopf, dachte dann aber, daß er dies künftighin unterlassen müsse wegen des zu weiten Diadems. Aber er wunderte sich trotzdem. Was dachten sich denn eigentlich diese Griechen?

»Es beginnt«, sagte Xerxes.

Und zu einem diensttuenden Offizier an seiner Seite:

»Man rufe meine Schreiber!«

Die königlichen Schreiber näherten sich kriechend. Ihrer sechs kauerten nieder hinter Xerxes mit langen Rollen und Schreibstiften in der Hand. Sie sollten in Keilschrift den Verlauf der Schlacht buchen.

»Seht!« sagte Mardonios mit der Hand weisend. »Seht, Schwager und Fürst I«

Xerxes sah. Das Sonnenlicht des Morgens lag noch wie ein Dunst über dem blauen Meere, über den blauen Windungen der zurückweichenden Küste, über ihren tief eingezackten Buchten, über ihrem hervorragenden, umschäumten Vorgebirge. In dem zitternden Dunst ließ sich nicht alles gleich gut unterscheiden aus so großer Entfernung. Beim Ausschauen gewahrten Xerxes und Mardonios jetzt, wie ein griechisches und ein persisches Schiff aneinander gerieten.

»Welches Schiff ist das?« fragte Xerxes die ihn umringenden Offiziere.

Sie starrten hin. Sie konnten es nicht sehen. Das verstimmte Xerxes, weil er es nicht buchen lassen konnte. Die kauernden Schreiber hielten ihre Stifte in Bereitschaft und warteten nur darauf, sich auf ihre Papyrusrollen stürzen zu können.

Dort drüben hatte Ameinias, der Athener, den Kampf begonnen. Freilich machten die Aigineten ihm später diese Ehre streitig. Die Griechen hatten geglaubt, in der Sonne, die sie blendete, die schemenhafte Gestalt einer göttlichen Frau zu sehen – Pallas Athene – die sie mit einer Gebärde ermutigte. Viele glaubten sogar der Göttin Mahnung vernommen zu haben, nicht feige zu sein, nicht rückwärts zu fahren. Eine Ekstase ließ sie sogar in der Sonne die herrliche Traumerscheinung schauen und die göttlich klingende Stimme hören.

Xerxes und Mardonios unterschieden jetzt, nachdem sie sich langsam an Licht, Dunst und Ferne gewöhnt hatten, die Phönikier. Sie bewegten sich gegenüber der athenischen Flotte. Die Ionier lagen den Lazedämoniern gegenüber. Stafetten, die zwischen den beiden Flügeln der persischen Flotte hin und her ruderten, teilten dem König und den Prinzen mit, was sich auf dem Meere abspiele.

Die Stafetten meldeten. Xerxes sprach:

»Bucht, Schreiber!«

Die sechs Schreiber stürzten sich mit den bereitgehaltenen Schreibstiften auf die langen Papyrusrollen und buchten darauf die Meldung. Die sechs kontrollierten einander.

»Die Ionier, dem König der Könige getreu...«

»Und Oheim Artabanos, der mir sagte, ich solle den Ioniern mißtrauen«, sprach Xerxes hochmütig lächelnd.

»Entreißen«, buchten die Schreiber, »den Griechen viele Schiffe.«

»Bucht die Anzahl!« befahl Xerxes dringend.

Die Schreiber buchten, da das eine stillschweigende Abmachung war, doppelt soviel Schiffe, als die Stafetten gemeldet hatten.

»Die Namen der ionischen Befehlshaber?« fragte Xerxes.

»Theomestor, Sohn des Androdamas, und Phylakos, Sohn des Histiaios, beide aus Samos«, meldeten die Stafetten.

Die Schreiber buchten. Mit Keilschrift bedeckten sie hastig kritzelnd die langen Rollen.

»Es sind tapfere, treue Ionier«, sagte Xerxes preisend. »Ich werde Theomestor zum König von Samos ernennen und Phylakos dort Grund und Boden schenken. Und beiden werde ich den Titel ›Orosanges‹ verleihen. Ich werde Theomestor vier breite Armbänder und Phylakos zwei breite Armbänder geben. Bucht es, Schreiber!«

Die Schreiber buchten neben den persischen Siegen die vom König verheißenen Auszeichnungen. Allein hinter Mardonios flüsterte der Leiter des Meldedienstes:

»Fürstlicher Mardonios! Nicht alle Ionier sind treu. Einige Schiffe sind allem Anschein nach sogleich und vorsätzlich auf die griechische Linie zugefahren. Unter den Ioniern bergen sich Verräter.«

»Die Namen der Führer?« fragte Mardonios streng.

Der Leiter des Meldedienstes nannte die Namen. Mardonios flüsterte stirnrunzelnd den Verrat der Ionier Xerxes zu.

»Wie ist es möglich?« fragte Xerxes ärgerlich. »Es wird nicht wahr sein.«

Um besser sehen zu können, blinzelte er mit den Augen zu den Ioniern hinüber, die sich in der immer deutlicher werdenden blauen Ferne bewegten. Hastig und zornig sprach er zu den Schreibern, die glaubten, daß es etwas zu buchen gebe, und ihre Schreiberköpfe ehrfurchtsvoll zu dem König der Könige hinaufreckten:

»Nein. Es ist nichts zu buchen.«

Inzwischen war über die ganze Länge der Meerenge von Salamis die Seeschlacht entbrannt, entbrannt im wahrsten Sinne des Wortes. Denn aus den Schiffsgeschützen flogen die Pfeile, die mit Schwefel und Öl getränkte, brennende Wergbüschel trugen, hin und her. Hier und dort, zu beiden Seiten, stand eine Trireme in Brand. Sie erglühte an dem klargoldenen, blauen Tage kaum im Feuer, weil die gelbe Flammenglut bleich blieb und nur der Rauch sich schwarz nach oben verflüchtigte. Die Schiffe prallten aneinander, das eine mit dem bronzenen Schnabel in die Flanke des anderen. Das durchbohrte Schiff legte sich auf die Seite. Bewegliche Enterbrücken wurden ausgeworfen von Schiff zu Schiff. Die Krieger in schwerem Harnisch wurden handgemein. Sie taumelten ins Meer. Eine entsetzliche Waffe bildeten die Sensen, deren je eine von mehreren Männern bedient wurde. Die Schlachtsensen wurden nach beiden Seiten geschwenkt. Sie mähten mit ihren in der Sonne grell aufleuchtenden und wieder sich verdunkelnden Blitzen hoch über den Köpfen der Besatzung. Es war wie ein Kampf zwischen wütenden Zeitgeistern. Sie mähten durch das Takelwerk und die Segel. Sie behaupteten sich hartnäckig gegen die Masten. Die Schiffe, die noch vor kurzem im Dunst des langsam sich klärenden Tages auf dem blauen Meere manövriert hatten mit der gemessenen Feinheit zartliniger Schattenrisse am blauen Himmel, verwirrten sich gegenseitig in ihren Ruderreihen. Namentlich die Schiffe der persischen Flotte verwirrten sich, weil ihre Anzahl zu groß war, gegenseitig in ihren wimmelnden Ruderreihen. Die persischen Ruderer fluchten aufeinander.

Inzwischen tobte der Kampf heftiger. Während die Sensen mähten und Segel und Takelwerk zerfetzten und zerrissen, während die Masten krachend zerbrachen und mehrere Schiffe diesseits und jenseits aufloderten in der flüchtigen gelben Glut, die sich kaum tiefer zu röten vermochte in all dem Blau und Sonnengold des Sommertages, schwankten auch die dröhnenden eisernen Sturmböcke hin und her, die an Ketten an den Masten hingen. Hin und her, hin und her schlugen sie ihre schweren scharfen Spitzen in die Planken der einander anfallenden Schiffe, zerschlugen die Planken der Schiffe zu Splittern, bis sie kenternd untergingen. Das entsetzliche Dröhnen der an den Ketten knarrenden und keuchenden Sturmböcke wurde zum Rhythmus des Krieges, zur Begleitung der brüllenden Kriegerchöre, der stets lauter schallenden Befehle. Von des Xerxes Thron aus, der über dem Kampf erhaben aufragte, ließ sich alles in einem unbestimmten Durcheinander überschauen. Aber wegen dieses Durcheinanders ließ sich nicht alles unterscheiden. Der Eindruck, den die Seeschlacht machte, war der eines ungeheuren beiderseitigen Chaos, eines Chaos, in dem die Vernichtung augenfälliger wurde, während zugleich wieder jedes Schiff, das in Flammen aufging, durch schwarzen Rauch und grauen Rauch verwischte, was soeben erst deutlich von den persischen Fürsten wahrgenommen ward.

Xerxes hatte eine Weile geschwiegen. Allein es wurde mehr und mehr wahrnehmbar ungeachtet des Rauches, ungeachtet des beiderseitigen Chaos, ungeachtet der dichten Haufen der einander bekämpfenden Triremen, daß die persische Flotte große Verluste erlitt. Die Schreiber mit den Stiften in den Händen buchten nicht mehr. Denn sie buchten nie persische Schiffe, die untergingen oder verbrannten. Jetzt war schon, soweit Xerxes sehen konnte, die ganze Meerenge zwischen den Schiffen übersät mit den Wracks, den treibenden Überresten der abgemähten Segel und Taue, den ertrinkenden Schiffbrüchigen, und es fiel Xerxes auf, daß die griechischen Schiffbrüchigen nach Salamis schwammen, während die persischen, in zu schwerem Harnisch oder des Schwimmens unkundig ertranken, in dichten Massen ertranken, indem sich die Männer im Todeskampfe umklammerten. Nun war wie das Wasser auch der Himmel besudelt. Die schöne Reinheit des sommerlichen Tages schien verschwunden, schmutzig und verschwommen in den dicken Wolken, die aus den brennenden Schiffen aufstiegen. Die Felsen blauten nicht mehr wie zuvor, die Landschaft zerfloß in matteren Farben. Die Luft war nicht zu atmen. Bis über des Xerxes Thron hin wirbelten die brennenden Fetzen, die rauchgeschwärzten Atome, fielen die Rußflocken herab. Auf dem verunreinigten Wasser zwischen den Schiffen wagten die Tapfersten, aus beiden Lagern in Beibooten die Taue der großen Ruder mit Doppeläxten durchzuhauen. Das Schiff war dann außer Tätigkeit gesetzt und manövrierunfähig gemacht und wurde in einem Blutbad auf den beweglichen Enterbrücken erobert, die hin und her geschlagen wurden.

Xerxes erblaßte. Denn er sah, daß namentlich die persischen Schiffe und die ihrer Verbündeten in Brand gesteckt, mit langen Harpunen und Haken geentert und von den dröhnend geschwenkten Sturmböcken in den Grund gebohrt wurden. Xerxes erblaßte. Was war die Ursache, daß diese Seeschlacht, für deren Erfolg er geglaubt hatte bürgen zu können, seiner Erwartung wiederum nicht völlig entsprach? Waren denn diese Griechen in der Tat bessere Seeleute? In jedem Falle konnten sie schwimmen, und die Perser und ihre Verbündeten konnten es nicht. Wie war es nur möglich, dachte Xerxes, daß sie nicht schwimmen konnten? Er verbiß sich in eine Wut darüber, daß sie nicht schwimmen konnten, daß sie in großen Scharen vor seinen Augen ertranken, während die Griechen, so weit er sehen konnte, ihm gegenüber ruhig auf Salamis zu schwammen. Mehr und mehr steigerte sich seine Unruhe. Er konnte nicht länger schweigen, umklammerte des Mardonios Arm und sagte mit hohler Stimme:

»Mardonios!«

Das war alles, was er sagte. Er sah, daß Mardonios ebenso bleich war, wie er selber sich fühlte. Mit einem raschen Blick hatte er um sich geschaut und gesehen, wie die glänzenden Brüder, Schwäger und Neffen bleich und aufmerksam starrend dasaßen. Dann brachte er endlich zischend die Worte hervor:

»Wie kämpfen sie schlecht, und das noch dazu unter meinen Augen! Ich werde Achaimenes ...«

Doch was er dem Achaimenes, seinem Bruder und seinem obersten Flottenbefehlshaber auf dem prächtigen sidonischen Führerschiff zudachte, sprach er nicht aus. Plötzlich hatte er sich erhoben, wie sehr er sich auch vorgenommen hatte, sich zu beherrschen und auf seinem Throne sitzenzubleiben, was immer geschehen möge. Denn er hatte die Trireme der Artemisia, der Königin von Halikarnaß, entdeckt inmitten der dichtesten Verwirrung zwischen den einander mit den Sturmböcken rammenden Schiffen. Ihre Segel waren zerfetzt, und sie brannte. Eine athenische Trireme jagte dem Schiffe der Artemisia nach. Es hatte den Anschein, als wage sie es nicht, sich zum Kampfe zu stellen. Sie floh. Sie floh mit den auf und ab, auf und ab keuchenden Rudern, bis sie vor sich auf befreundete Schiffe stieß. Sie schien keinen Augenblick zu zögern. Das Schiff der Königin von Halikarnaß stieß mit dem Schnabel quer gegen das ihr das Fahrwasser versperrende Schiff des Damasithymos, des Königs der Kalyndier, des Verbündeten der Perser.

Das getroffene Schiff sank, als werde es unter Wasser gezogen. Artemisias Schiff schoß vorwärts mit einer kaum merklichen Schwenkung.

Der Athener, der vermutete, daß er sich irre und daß Artemisias Schiff griechisch gesinnt sei, hemmte seine Fahrt und nahm anderen Kurs.

»Wen hat Artemisia in den Grund gebohrt?« fragte Xerxes.

In seiner Umgebung wußte man, daß er Artemisia wohlgesinnt war. Niemand – auch wer ihn erkannt hatte – machte sich viel aus den Kalyndiern und ihrem Damasithymos, dem unbedeutenden, kleinen König. Ob sich wohl jemand von seiner Bemannung retten werde, um zu berichten, was geschehen? Es schien, als habe eine plötzliche, geheime Verschwörung zugunsten der Artemisia stattgefunden. In diesem kritischen Augenblick dachte Xerxes nicht an Damasithymos, war sich seines Verbündeten kaum bewußt. Es gab wohl hundert dieser kleinen Könige. Kannte Xerxes der König der Könige, alle diese hundert kleinen Könige?

»König der Könige!« hörte man in der Umgebung des Xerxes rufen. »Artemisia ist die Mutigste, obgleich sie eine Frau ist. Saht Ihr, wie sie das athenische Schiff in den Grund bohrte?«

»War es ein Athener?« fragte Xerxes.

»Es war ein Athener! Es war ein Athener!« riefen die Neffen und Schwäger. Mardonios schwieg, war seiner Sache nicht sicher.

»Diese Frau kämpft wie ein Mann,« rief Xerxes, »während meine Männer ...«

Er hätte hinzufügen mögen: wie Weiber kämpfen. Allein er besann sich, sagte es nicht und befahl den Schreibern, die mit den Stiften und den Papyrusrollen herbeistürzten:

»Bucht, Schreiber! Artemisia, Königin von Halikarnaß, Kos und Nisyros, bohrt eine athenische Trireme in den Grund. Seid stolz darauf, daß es an euch ist, diese Ereignisse zu buchen!«

Unten am Felsen, auf dem der Thron stand, war eine Stafette einem Boot entstiegen. Sie kletterte hinauf über die ausgehauene Treppe. Sie warf sich schwankend, verzweifelnd, ohne Helm, dem Xerxes zu Füßen und rief aus:

»Herr! König der Könige! Der Sohn des Dareios, Ariabignes, Euer königlicher Bruder und Flottenbefehlshaber, ist ertrunken. Sein Schiff ist in den Grund gebohrt mit all seinen Offizieren und der Bemannung.«

»Was?« schrie Xerxes rasend.

Eine zweite Stafette folgte der ersten. Blutend, schwer verwundet warf sie sich dem Xerxes zu Füßen und rief aus:

»Herr! Ich komme, Euch zu melden, daß durch den Verrat der Ionier, der elenden Ionier, der Verräter, die phönikischen Schiffe vernichtet wurden.«

»Die Ionier! Die Ionier!« brüllte Xerxes, während er die Fäuste ballte. »Es sind Verräter. Oheim Artabanos hat uns gewarnt.«

Eine dritte Stafette warf sich vor dem Throne nieder, während die Schreiber in ihrer Ratlosigkeit nicht wußten, was und wie sie buchen sollten.

»König der Könige! Ich melde Euch im Gegenteil, daß die ionischen Samothraker eine athenische Trireme in den Grund gebohrt haben.«

»Bucht den Sieg!« befahl Xerxes den Schreibern. Diese stürzten sich von neuem auf Stift und Rolle. Mit Keilschrift bedeckten sie schnell kritzelnd die Papyrusrollen.

Die zweite Stafette war umgesunken, die erste und die dritte trugen ihn weg, während eine vierte Stafette von Wasser triefend sich der Länge nach vor des Xerxes Thron warf:

»Herr! König der Könige! Eine äginetische Trireme hat den Samothraker, über den Euch mein Vorgänger berichtete, in den Grund gebohrt.«

Xerxes knirschte vor Wut, ballte die Fäuste. Die Stafetten folgten einander, bildeten eine Reihe auf der in den Felsen eingehauenen Treppe. Sogar auf den regungslosen, runden, goldenen Rücken der Unsterblichen war etwas wie Bewegung zu lesen.

Die Stafetten warfen sich eine nach der anderen dem Xerxes zu Füßen. Brachte die eine gute Kunde, so machte die nächste diese sogleich wieder zunichte. Mehr und mehr zeigte es sich, daß, die Seeschlacht nicht mehr zu gewinnen war, wie unwahrscheinlich es auch klingen mochte.

Xerxes maß abwechselnd jedem Befehlshaber und jedem Volk die Schuld bei, daß die Schlacht nicht so verlief, wie er es wünschte. Gleichzeitig aber wuchs in ihm eine geradezu kindliche Verwunderung darüber, daß die kleinen athenischen Schiffe, die außerdem noch plump waren, nicht nur den Kampf gegen seine ungeheure Seemacht aushielten, sondern sie sogar noch zu vernichten drohten. Es war unglaublich, unglaublich, und doch sah er es hier vor sich von seinem Throne aus. Die Samothraker hatten inzwischen, nachdem das Schiff in den Grund gebohrt war, dessenungeachtet die aiginetische Trireme, die sie angefallen hatte, bestiegen, sich ihres Kaperers bemächtigt und als ausgezeichnete Speerwerfer, die sie waren, die Aigineten verjagt und getötet. Diese Heldentat versöhnte Xerxes ein wenig und lenkte seine Aufmerksamkeit von den Ioniern ab, den Verrätern, vor denen ihn Oheim Artabanos bereits gewarnt hatte. Doch da seine Wut einen Ausweg suchte, warf sie sich auf die Phönikier, deren Schiffe vernichtet waren.

»Schlagt allen ihren Schiffsführern, die sich gerettet haben, die Köpfe ab,« brüllte Xerxes mit trunkenen Augen, während ihm das zu weite Diadem schief um die Schläfen hing, »damit diese Feiglinge nicht die verleumden können, die tapferer sind als sie!«

In diesem Augenblick sich jagender Erregungen waren die Ionier gerettet. Auf dem besudelten Meer, in der besudelten Atmosphäre war deutlich zu sehen, daß die heimgesuchte persische Flotte in der Verwirrung einen Rückzug suchte hinter die Insel Psyttaleia nach der Bucht von Phaleron zu. Die persische Flotte floh. Auf dem Felssitz, wo Xerxes' Thron stand, waren alle Prinzen um Xerxes und auch Mardonios aufgestanden und sahen die persische Flotte fliehen. Die athenischen Schiffe jagten sie, und die aiginetischen Schiffe ruderten ihr dreist entgegen. Sie fiel wie in eine Falle, sie verwirrte sich in ihren eigenen zu vielen, zu dicht aufeinander folgenden Ruderreihen. Das Schiffsvolk fluchte. Die Niederlage war zu sehen, war zu hören. Da war kein Zweifel mehr.

»Xerxes!« flüsterte Mardonios, indem er alle höfische Rücksicht vergaß. »Es ist hier nicht mehr sicher.«

Auf der Insel Psyttaleia selbst, wo Tausende von Persern zu landen versuchten, tobte gleichfalls der Kampf, unmittelbar vor dem Thron des Xerxes. Aristides, des Themistokles Feind, der aber in diesen Tagen sich mit ihm versöhnt hatte, vernichtete mit einer Schar ihm befreundeter und ergebener athenischer Hopliten die Perser.

Da umfaßte Xerxes mit einem einzigen verzweiflungsvollen Blick die ganze von Rauch geschwärzte Landschaft der Meerenge von Salamis. Die Küsten, die mehr und mehr in dem Schwarz und Grau brennender Schiffe verschwammen, die Vorgebirge, die Felsen, deren sonst blau und zierlich verschwimmender Horizont ihm unkenntlich schien, verändert in eine höllische Landschaft der Verzweiflung, während die Ruder, die Wracks und die Leichen von der schwellenden Flut bis an die Felsen gespült wurden. Dann sagte er zu Mardonios nur noch:

»Komm!«

Alle persischen Rücken auf dem Felsensitze wandten sich um, die Unsterblichen, die Neffen, Schwäger und Brüder und Xerxes selber. Es war ein endloses Glitzern, eine in der untergehenden Sonne langsam verglitzernde Linie unnützen Goldes, das wie in Beschämung die in Stein gehauene Treppe hinabfloß. Der König der Könige floh.


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