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Neunundzwanzigstes Kapitel

So geht der stetig wechselnde Verlauf der Dinge,
Dem Kreise folgend muß er ewig wenden:
Und ob der Morgen hohen Ruhm dir bringe,
Der Abend kann mit deinem Sturze enden,

Daniel.

 

Bei Scenen, wie die eben erzählte, ist es nicht leicht, die Details der Handlung aufzuzählen. Außer dem ungestümen Angriff, mit dem die Ruinen erobert wurden, war in dem dichten Handgemenge nichts weiter zu unterscheiden – das traurige Resultat sagte alles Uebrige.

Die Hälfte der französischen Besatzung wälzte sich in ihrem Blute, und der Fels war ringsum mit Feinden besä't, welche nicht glücklicher als Jene davongekommen waren. Der Sturm war ein verzweifelter gewesen; der Grimm über die erhaltene Schlappe hatte die natürliche Unerschrockenheit der Angreifenden gesteigert, und die Vertheidiger mußten trotz des tapfersten Widerstandes bei der Ueberzahl ihrer Feinde nothwendig unterliegen.

Englischerseits befand sich unter den Erschlagenen der Kommandant Sir Frederick Dashwood in eigener Person: er lag einen Schritt von seinem Gig entfernt – eine Kugel hatte ihn gerade in den Kopf getroffen. Griffin war schwer verwundet, Clinch dagegen unverletzt: er stand auf dem niedrigen Walle, und schwenkte die englische Flagge, nachdem er zuvor das entsprechende Nationalzeichen den Franzosen abgenommen hatte. Sein Boot hatte zuerst den Felsen berührt, seine Leute waren die Ersten auf der Insel, und er selbst der Vorderste unter Allen gewesen. Mit verzweifeltem Muthe hatte er für Johanna und sein Lieutenantspatent gestritten, und dießmal schien die Vorsehung seinen Anstrengungen zu lächeln.

Raoul lag vor seiner eigenen Brustwehr ausgestreckt; er war Clinchs Abtheilung entgegengeeilt, und hatte mit seinem früheren Gefangenen in der That so eben den Kampf, Mann gegen Mann, begonnen, als er plötzlich, von einer Flintenkugel aus M'Beans Händen durchbohrt zu Boden stürzte.

» Courage, mes braves! en avant!« hatte man ihn rufen hören, während er über den niederen Aufwurf setzte, um seine Feinde wieder zurückzuwerfen; auch als er schon auf dem harten Felsen lag, war seine Stimme immer noch stark genug, um seinen letzten Ruf: » Lieutenant, nom de Dieu – sauve mon Feu-Follet!« vernehmen zu lassen.

Pintard wäre wahrscheinlich sogar auf diesen Befehl hin noch nicht aufgebrochen, hätte er nicht in demselben Augenblicke die englischen Schiffe, vom Westwinde begünstigt, um das Kap Campanella herumkommen sehen. Zu gleicher Zeit hörte er neben sich Segel flattern; er wandte sich um und sah den Michael unter seinem Vormarssegel stehen, und bereits von den Klippen abfallen. Keine Seele war auf seinem Verdecke sichtbar; Ithuel, welcher das Steuer führte, hatte sich niedergebückt, so daß er durch die Hängmatten der Kuhl verdeckt war.

Augenblicklich kappte der Lugger seine Halsen, und einem aufgeschreckten Renner ähnlich schwang sich der Feu-Follet rückwärts: man durfte nur die Beschlagleinen loslassen, und alsbald sah man das Vormarssegel herabkommen. Leicht, wie er war, fühlte er sogleich die Brise, welche jetzt in starken Windstößen herankam, vierte rund auf dem Kiele, und hatte pfeilgeschwind die kleine Bai verlassen.

Zwei bis drei von den englischen Booten suchten ihn zu verfolgen – doch umsonst. Winchester, welcher jetzt das Kommando führte, rief sie mit der Bemerkung zurück, daß die Schiffe selbst nunmehr jene Aufgabe zu lösen hätten. Der Tag war in der That zu blutig gewesen, um noch an etwas Anderes denken zu können, als wie man den errungenen Sieg behaupten und für die Verwundeten Sorge tragen wollte.

Wir müssen übrigens für einen Augenblick die Gruppe auf dem Felseninselchen verlassen, um die beiden Schiffe auf ihrem Versuche zur Flucht zu begleiten.

Mit schwerem Herzen schieden Pintard und seine Gefährten von ihrem bisherigen Anführer; doch sahen sie Raoul deutlich auf den Felsen hingestreckt und mit der Hand auf der Brust daliegen, so daß an der tödtlichen Gefährlichkeit seiner Wunde nicht zu zweifeln war. Sie Alle fühlten, wie er selbst, für den Lugger fast dieselbe Theilnahme, wie sie ein Liebender für seine Herrin hegt, und Raouls letzter Ruf » Sauve mon Feu-Follet« – klang noch immer in ihren Ohren.

Sobald der Lugger geviert hatte, wurde das Hintersegel aufgezogen, und er begann alsbald mit seiner gewohnten Schnelligkeit über die Oberfläche hinzugleiten, indem er das Element unter seinen Bügen beinahe mit der Schärfe des Messers zu durchschneiden schien. Fast hätte man glauben können, sein Kurs führe ihn dicht am Vordertheil der englischen Schiffe vorüber, während er in Wirklichkeit aus dem Golfe hinaussteuerte.

Ithuel wagte nicht, dieses Manöver nachzuahmen. Er glaubte mit Recht, bei der großen Begierde seiner Feinde, den Lugger einzuholen, würden seine eigenen Bewegungen unbeachtet bleiben, und er hielt sich deßhalb mehr in der Richtung gegen Pästum. Der Eigenthümer der Felucke war noch immer am Bord der Terpsichore; doch alle seine Vorstellungen und Bitten, sein eigenes Fahrzeug zu verfolgen und abzufangen, fanden bei dem Lieutenant, der jetzt die Fregatte kommandirte, nicht die mindeste Beachtung. Er, so wie alle andern Befehlshaber, hatten blos ein Ziel vor Augen, nämlich das – sich des Luggers zu versichern.

Der traurige Ausgang des Kampfes auf dem Felsen, so wie der Tod des englischen Anführers war natürlich noch Niemand bekannt: das eigentliche Resultat aber war deutlich genug an der englischen Flagge, welche auf den Ruinen flatterte, so wie an der Flucht der beiden feindlichen Schiffe zu erkennen.

Die Jahreszeit war jetzt so weit vorgerückt, daß die seitherige Stabilität der Nachmittagsbrisen ziemlich unsicher wurde. Der Zephyr hatte sich zwar schon frühe und in bedeutender Stärke eingestellt; aber in dem Stande des Barometers wie in der ganzen Atmosphäre zeigten sich deutliche Zeichen eines Sirocco. Dieß feuerte die auf den Schiffen um so mehr an, sich der Prise noch vor einem Umspringen des Windes zu versichern.

Da nunmehr drei Schnellsegler auf den Lugger Jagd machten, so zweifelte Keiner an einem endlichen Erfolge, und Cuffe rieb sich auf seinem Quarterdeck vor lauter Freude die Hände, als er so günstige Zeichen vor sich sah.

Die Ringeltaube wurde durch Signale befehligt, süd-südwestlich gerade in den Wind zu halen, um so weit in die See hinauszusteuern, daß dem Lugger der Wind abgeschnitten und ihm jede Möglichkeit benommen würde, in dieser Richtung zu entrinnen, was ihm, wie Cuffe glaubte, recht leicht möglich war, sobald er einmal unter Umständen in den Wind gelangen konnte, welche seine Schiffe verhinderten, den Kaper unter ihre Kanonen zu bringen. Die Terpsichore sollte rasch in den Golf einlaufen, damit nicht ein ähnliches Manöver auf dieser Seite versucht würde, während die Proserpina ihren Kurs unter einem Winkel änderte, der für den Fall, daß der Feind den seinigen beibehielte, der Jagd bald ein Ende machen mußte.

Bei dem einfachen Takelwerke des Luggers war es den Franzosen ein Leichtes, alle ihre Segel einzusetzen, was auch bald geschehen war. Pintard beobachtete das Resultat mit angestrengter Aufmerksamkeit, da er noch nicht wußte, welche Wirkung dieser Segelstand bei der gegenwärtigen Tracht auf sein schönes Schiff äußern mochte, und er sich zu gleicher Zeit nicht verhehlen konnte, daß jetzt Alles auf seine Fersengeschwindigkeit ankam. Zum Glück hatte man schon beim Wiedereinnehmen des Ballastes hierauf einige Rücksicht genommen, und man fand also bald, daß das Schiff sich aller Wahrscheinlichkeit nach ganz gut halten würde.

Pintard hielt den Lugger für so leicht, daß er darüber nicht ohne Besorgnisse war; da er aber nicht wagte, ihn so hoch aufzuhalen, daß er sich in dieser Beziehung erproben konnte, so blieb es bei ihm vorderhand bei der bloßen Meinung. Ihm war es genug, wenn er so weit südwestlich gelangte, daß er voraussichtlich um das Vorgebirge von Piane herumkommen konnte, besonders da er mit einer Geschwindigkeit über das Wasser hinschoß, welche seine drei Verfolger sammt und sonders weit hinter sich ließ. Um aber so viel Raum in offener See zu gewinnen, daß er bei Nacht seinen Kurs in mehr als in einer Richtung ändern konnte, ließ der Lieutenant seinen Lugger fortwährend, so oft der Wind dieß gestattete, dergestalt luven, daß er immer weiter vom Lande abkam.

Die beiden französischen Schiffe standen im Anfange der Flucht eine volle Meile südwärts von den Engländern – diesen Vorsprung hatte ihnen nämlich die Lage der Felseninseln gelassen – so daß sie im Beginne der Jagd so ziemlich außer Schußgefahr waren. Ithueln brachte sein Kurs bald ganz aus dem Bereiche des feindlichen Geschützes, und Cuffe wußte wohl, daß mit einem derartigen Versuche gegen den Lugger nur wenig zu gewinnen, dagegen aber sehr viel zu verlieren war. Demzufolge wurde keine einzige Kanone abgefeuert: der Ausgang des Ganzen sollte einzig und allein von der Segel- und Steuerfertigkeit der betreffenden Schiffe abhängen.

Dieß war der Stand der Dinge im Beginne der Jagd. Der Wind wurde immer stärker, und war bald zu einer heftigen Brise angewachsen, welche die Schiffe unter einer Wolke von Lee- und Stagsegeln – letztere waren zu jener Zeit besonders häufig im Gebrauch – mit der Geschwindigkeit von vollen zehn Knoten auf die Stunde dahintrieb. Doch Keines vermochte den Feu-Follet einzuholen. Sein jetziger Kurs war für ihn keineswegs günstig, da der Wind ihn zu sehr vom Hintertheile faßte; dennoch gewann er eher an Vorsprung, als daß ihm solcher abgewonnen wurde.

Alle vier Schiffe steuerten natürlich so rasch als möglich gegen Süden, und kamen dadurch bald leewärts von der Felucke, welche ihre Segel gerefft hatte und ostwärts gehalt war, sobald sie überzeugt sein durfte, daß sie nicht verfolgt wurde. Kaum war die gehörige Zeit verstrichen, als der heilige Michael sofort zu vieren und aus dem Golfe hinauszusteuern begann, indem er das Kielwasser der Terpsichore gerade außer Kanonenschußweite durchkreuzte.

Natürlich wurde dieß von der Fregatte aus gesehen, und der Patron der Felucke raufte sich auf dem Quarterdeck die Haare, warf sich auf den Boden, und schnitt noch allerhand verzweifelte Grimassen, um seine Trostlosigkeit zu äußern und das Mitleid der Engländer zu erregen – doch Alles war vergeblich: der Lieutenant weigerte sich hartnäckig, einer elenden Felucke halber eine Aenderung seines Kurses vorzunehmen, während er ein so ruhmwürdiges Ziel, wie Raoul Yvard's gepriesenen Lugger, ganz deutlich vor Augen hatte. So gewann also Ithuel unbelästigt die hohe See, und wir dürfen schon jetzt nebenher bemerken, daß er nach kurzer Frist in völliger Sicherheit Marseille erreichte, wo der Granitmann die Felucke verkaufte, und dann eine Zeit lang völlig verschwand. Wir werden nur noch einmal Gelegenheit finden, in unserer Erzählung auf ihn zurückzukommen.

Die bisher angestellte Schnelligkeitsprobe mußte Pintard bald überzeugen, daß er sogar bei der jetzigen Brise nur wenig von seinen Verfolgern zu fürchten hatte. Bald aber sollten die Umstände den Lugger noch mehr begünstigen. Der Wind sprang bedeutend gegen Norden um, so daß der Lugger noch vor Sonnenuntergang doppeltgeflügelt vor seinen Feinden hinzog und das Land immer mehr in den Rücken bekam.

In Kurzem begann die Brise so stark zu wehen, daß die Schiffe ihre leichteren Segel einziehen mußten. Nicht lange vor Einbruch der Nacht hatten beide Fregatten, mit Einschluß der Schaluppe, blos noch das große Bramsegel mit den Mars- und untern Leesegeln auf jeder Seite entfaltet. Der Irrwisch dagegen traf keine Aenderung in seiner Takelage. Das Bratspillsegel war, sobald es todt in den Wind kam, eingenommen worden, und das Schiff zog ruhig unter seinen beiden ungeheuern Doppelflügeln dahin, da es sich auf ihre Festigkeit vollkommen verlassen konnte. Die Nacht war nicht finster; gleichwohl durfte man hoffen, falls der bisherige Unterschied im Segeln fortdauerte, dem Feinde noch vor acht Uhr aus dem Gesicht zu gelangen.

Eine Sternjagd ist, wie das schon bekannte Sprüchwort sagt, eine lange Jagd. Es beweist schon große Ueberlegenheit, wenn ein guter Segler über eine Meile mehr als ein anderer in der Stunde zurückgelegt: aber selbst unter solchen Umständen müssen viele Stunden verstreichen, bis einer den andern bei Tag aus den Augen verliert. Die drei englischen Schiffe hielten erstaunlich gut Richtung, indem die Proserpina nur ein klein wenig voran war; der Irrwisch dagegen hatte nach Verlauf von sechs Stunden seit dem Beginne der Jagd einen Vorsprung von vollen vier Meilen gewonnen – die letzten drei von dem Augenblicke an gerechnet, da er seine Doppelflügel wieder entfaltet hatte.

Seine Leichtigkeit kam dem kleinen Fahrzeug herrlich zu Statten: die Segel hatten eine geringere Last nachzuziehen, und Pintard bemerkte, wie der Rumpf, nachdem der scharfe Kiel das Wasser getheilt und an den Bügen emporgeworfen hatte, – nur ganz leicht über die Wellen hinzustreifen schien. Stunde um Stunde saß er auf dem Bugspriet und beobachtete den Lauf seines Schiffchens: kaum sah man vorne eine Schaumreihe aufspritzen, als sie auch schon am Hintertheile des Luggers glitzerte. Von Zeit zu Zeit lüpfte eine nachstürzende Woge den Spiegel des Schiffes aufwärts, wie wenn sie ihn über die Büge hinauswerfen wollte: der Feu-Follet aber war zu sehr an solche Bewegungen gewöhnt, um sich dadurch außer Fassung bringen zu lassen – wie eine Schaumblase hob er sich auf den Wellen empor, und ein Pfeil konnte kaum mit größerer Schnelligkeit vorüberfliegen, als er jedes Mal wieder vorwärts eilte, wie wenn er die verlorene Zeit einholen wollte.

Cuffe verließ das Deck nicht eher, als bis die Glocke ein Uhr schlug. Yelverton und der Steuermann, theilten sich mit einander in die Wache, doch war der Kapitän mit seinem Rathe und Befehle stets bei der Hand.

»Der Bursche scheint schneller zu gehen, wenn er mit Doppelflügeln einhersegelt, als wenn er sogar enggehalt ist – so kommt's wenigstens mir vor, Yelverton,« bemerkte Cuffe, nachdem er die beabsichtigte Beute mit dem Nachtglas lange beobachtet hatte. »Ich fange an zu fürchten, daß wir ihn am Ende noch verlieren werden. Von den andern Schiffen thut auch keines einen Schritt, um uns zu helfen. Da ziehen wir alle Drei todt in seinem Kielwasser; einer hinter dem andern, fast gerade so, wie die alten Jungfern am Sonntag Morgen in die Kirche gehen.«

»Es wäre besser gewesen, Kapitän Cuffe, wenn die Ringeltaube mehr gegen Westen und die Fregatte etwas östlicher abgehalten hätte. So schnell der Lugger schon für gewöhnlich mit ausgebreiteten Flügeln ist, so ist er doch am schnellsten, wenn diese auf solche Art in den Wind gestaut sind. Ich bin jeden Augenblick darauf gefaßt, ihn westwärts abgieren und uns nach und nach ganz in sein Kielwasser bringen zu sehen. Das, fürcht' ich, werden wir sogar noch schlimmer finden, Sir, als es schon jetzt ist.«

»Ich möchte ihn gerade jetzt nicht um tausend Pfund verlieren! Ich kann nicht begreifen, was der verd–te Dashwood getrieben hat, daß er sich seiner nicht versicherte, als er die Felsen in Besitz nahm. Ich werde wohl, sobald wir wieder zusammentreffen, ein wenig über ihn herfahren müssen.«

Cuffe würde wohl anders gesprochen haben, wenn er gewußt hätte, daß Sir Frederick Dashwoods Leiche eben in diesem Augenblick mit Trauergepränge nach einem zu Neapel vor Anker liegenden Zweidecker geführt wurde, dessen Kapitän ein Vetter des Verstorbenen war. Von dem Allen aber war ihm nichts bekannt, und er erfuhr auch seinen Tod erst eine volle Woche später, nachdem der Leichnam längst beerdigt war.

»Nehmt einmal das Glas, Yelverton, und seht nach dem Burschen. Mir wird er immer undeutlicher – er muß uns rasch aus den Augen kommen. Merkt mir besonders darauf, ob Ihr irgend ein Zeichen bemerkt, daß er westwärts zu gieren beabsichtigt.«

»Dieß könnte wohl kaum geschehen, ohne seinen vorderen Flügel auf die andere Seite zu stellen. – Ich will mich hängen lassen, Kapitän Cuffe, wenn ich ihn überhaupt noch sehe. Ah! hier ist er, todt gerade vor uns, aber so düster wie ein Gespenst. Ich kann kaum seine Segel unterscheiden: noch hat er seine Doppelflügel: hol' ihn der Teufel, er gleicht weit eher einem Gespensterschiffe, als einem wirklichen Wesen. Jetzt, bei dieser Gierung hab' ich ihn wieder verloren, Sir – ich wollte, Ihr suchtet ihn selbst, Kapitän Cuffe; ich thue, was ich kann, aber ich finde ihn nicht mehr.«

Cuffe fing nun selbst an, ihn aufzusuchen – doch vergeblich. Einmal glaubte er ihn freilich zu sehen; aber bei genauerer Untersuchung fand er, daß es nur eine Täuschung war. So lange hatte er aus diesen einen Gegenstand hingeschaut, daß die Illusion seinem geistigen Auge recht leicht das Bild des kleinen Luggers in schwachen, Umrissen vormalen konnte, wie er, einem Wölkchen am Himmel ähnlich, doppeltgeflügelt dahinzufliegen und seiner Beobachtung fortwährend zu spotten schien. Die ganze Nacht träumte er von ihm, und es vergingen kaum fünf Minuten, wo seine umherschweifenden Gedanken ihm nicht verführerische Gemälde vor Augen hielten, wie er den Lugger eben in Besitz nahm und die ersehnte Prise endlich bemannte.

Schon vorher hatte er den beiden andern Schiffen durch Signale den Befehl zugeschickt, daß sie ihren Kurs ändern sollten, um dem Feu-Follet, für den Fall, daß er selbst eine andere Richtung annehmen sollte, vielleicht doch noch zu begegnen. Lyon wurde westwärts, die Terpsichore aber etwas weiter gegen Osten beordert, während die Proserpina für ihre eigene Person beschloß, nach zwei Uhr eine südwestliche Richtung anzunehmen.

Eine Stunde vor Tag aber kam ein plötzliches, heftiges Umspringen des Windes: der erwartete und schon längst angekündigte Sirocco trat ein und mußte den Lugger ohne allen Zweifel windwärts bringen. Die Brise aus Süden war vom ersten Windstoße an sehr stark, und wenn sie sich auch erst am Nachmittag des folgenden Tages zum wirklichen Sturme steigerte, so wehte sie doch schon von der ersten Stunde an scharf genug und in heftigen Stößen.

Bei Tagesanbruch hatten die drei Schiffe einander gänzlich aus dem Gesicht verloren. Die Proserpina, die wir als alten Bekannten, der zugleich in dem Reste unserer Erzählung seine Rolle spielt, auch fernerhin begleiten wollen, stand unter doppeltgerefften Marssegeln mit dem Gallion gegen Westsüdwest gewendet, und arbeitete sich durch die Wellenschluchten, welche der neuliche Tramontana So nennt man in Italien den Nordwind.
D. U.
zurückgelassen hatte. Das Wetter war trüb und düster; ein feiner Nebelregen kam im Gefolge der Windstöße, und es gab Augenblicke, wo man das Wasser kaum auf Kabellänge vor dem Schiffe erkennen konnte – der gewöhnliche Horizont blieb vollends gänzlich unsichtbar.

Auf diese Art trieb die Fregatte weiter: Cuffe mochte nicht gern jede Hoffnung auf Erfolg aufgeben und sah doch wenig Aussicht auf ein endliches Gelingen vor sich. Die Ausgucker waren wie gewöhnlich ausgestellt, doch mehr der Form wegen, als weil man sich viel Nutzen von ihnen versprechen durfte, da es für einen Mann von den Kreuzbäumen nur selten möglich war, weiter zu sehen, als vom Deck aus geschehen konnte.

Offiziere wie Mannschaft hatten mittlerweile gefrühstückt. Eine Art finsteren Unmuths herrschte auf dem Schiffe, und die neuliche, für Raoul Yvard so freundliche Stimmung war über der nunmehrigen Täuschung beinahe wieder verschwunden. Einige fingen an, in ihrem Grimme auf die Möglichkeit hinzudeuten, daß die beiden andern Schiffe auf den Lugger stoßen könnten; andere dagegen fluchten und meinten: »es sei ganz einerlei, wer ihn auch sehe, fangen könne ihn doch Keiner, wenn er nicht etwa mit dem Vater der Lüge in schlimmem Einverständnisse stehe. Der Bursche führe mit allem Recht den Namen Irrwisch; denn ein Irrwisch sei er auch wirklich, und werde es auch immer bleiben. Ebensogut könnte man ein Irrlicht auf einer Wiese, als dieses Fahrzeug auf der See verfolgen. Man dürfe sich noch Glück wünschen, wenn die auf den Booten gegen den Feu-Follet abgeschickten Offiziere und Matrosen jemals wieder auf ihr eigenes ehrliches Schiff zurückkämen.«

Mitten unter diesen düsteren Prophezeihungen und Klagen hörte man von dem Vormanne auf dem Fockmars den Ruf herabtönen:

»Segel ho!«

Dann folgte die gewöhnliche Frage und Erwiederung, und die Offiziere bekamen allmählig einen schwachen Schimmer von dem Gegenstande. Der Fremde war ungefähr eine halbe Meile entfernt – aber wegen des dichten Nebels nur sehr undeutlich gesehen worden, doch gesehen hatte man ihn.

»Es ist eine Schebecke,« brummte der Quartiermeister, der heute am lautesten auf den Irrwisch geschimpft hatte; »ein Bursche, dessen Kielraum mit einem Weine vollgepfropft ist, der das schönste Frauengesicht in ganz Lunnun mit Runzeln bedecken würde.«

»Beim Jupiter, Ammon!« rief Cuffe; »es ist der Irrwisch, oder ich müßte nur einen alten Bekannten nicht wieder erkennen. Quartiermeister – reicht mir das Glas – nicht dieses: das kürzere Glas ist das beste.«

»Lang oder kurz, den werdet Ihr doch nie mehr ausfindig machen,« murmelte der Quartiermeister. »Der Folly müßte wahrlich mehr Narrheit an sich haben, als ich ihm bis jetzt zutraute, wenn wir in diesem Sommer noch einmal etwas von ihm zu sehen bekämen.«

»Was könnt Ihr von ihm bemerken, Kapitän Cuffe?« fragte Yelverton in seinem Eifer.

»Ganz wie ich Euch sagte, Sir; 's ist der Lugger – und – ich kann mich unmöglich täuschen! Ha! beim Jupiter! er kommt, wie früher, doppeltgeflügelt vor dem Winde daher! Das scheint jetzt sein Lieblingsspiel zu sein, und man könnte glauben, er habe noch nicht genug daran bekommen.«

Ein aufmerksamer Blick überzeugte Yelverton, daß sein Kommandant recht hatte. Selbst der Quartiermeister mußte seinen Irrthum eingestehen, wenn er es auch noch so ungerne und nur mit Widerstreben that. Man durfte nicht länger zweifeln – es war der Lugger; doch konnte man ihn noch so wenig deutlich erblicken, daß man oft nur mit Mühe seine allgemeinen Umrisse zu unterscheiden vermochte. Seiner Richtung nach mußte er ungefähr eine Meile hinter dem Spiegel der Fregatte an dieser vorüberkommen: für jetzt stand er noch etwa auf dreifachen Abstand windwärts von derselben.

»Er kann uns nicht sehen,« bemerkte Cuffe nachdenklich. »Ohne Zweifel glaubt er uns windwärts, und sucht jetzt aus unserer Nachbarschaft zu entkommen. Wir müssen wenden, ihr Herren – jetzt eben ist der günstige Moment dazu. Laßt die Fregatte vieren, Mr. Yelverton: ich denke, es wird schon gehen.«

Der Versuch wurde gemacht und gelang. Die Proserpina arbeitete kräftig, und Yelverton verstand sie ganz nach ihrer Laune zu lenken. In fünf Minuten hatte das Schiff gewendet und auf der Steuerbordseite bereits wieder Alles angehalt – enggereffte Kreuz-, doppeltgereffte Vor- und Hauptmarssegel, ein gerefftes großes Segel mit Allem, was sonst noch zu diesem gehörte. Um den Lugger nicht vorüberschlüpfen zu lassen, hatte man ein wenig abgehalten, so daß das Fahrzeug mit fünf bis sechs Knoten Geschwindigkeit vorwärts eilte.

Die nächsten fünf Minuten nahmen auf der Proserpina das ungetheilte Interesse aller Anwesenden in Anspruch. Der Nebel wurde immer dichter und jede Spur des Feu-Follet ging verloren. Als man ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er gerade in der jetzigen Richtung der Fregatte mit seinen Doppelflügeln mehr geflogen als gesegelt. Nach Cuffe's Berechnung mußten die beiden Schiffe in weniger als einer Viertelstunde auf einander stoßen, wenn nicht eines von beiden seinen Kurs änderte. In der Aussicht auf dieses Zusammentreffen wurden schon die verschiedenen Kanonen bereit gehalten.

»Laßt den Nebel nur noch einige Minuten so andauern und er ist unser!« schrie Cuffe. »Mr. Yelverton, Ihr müßt hinabgehen und selbst nach den Kanonen sehen. Schickt's ihm nur tüchtig hinüber, wenn Ihr Befehl zum Abfeuern erhaltet. Der Bursche hat wenig Takelwerk, und es müßte der größte Zufall sein, wenn Ihr ihn geradezu abtakeln solltet. Heizt ihm nur tüchtig ein auf dem Verdeck, und er wird sich ergeben müssen, mag nun Raoul Yvard oder der Teufel selber ihn kommandiren.«

»Dort ist er, Sir!« rief ein Midshipmann vom Krahnbalken herunter; denn Jeder, der es nur immer wagen konnte, hatte sich nach vorne gemacht, um den Feind so früh wie möglich zu entdecken.

Da stand er in der That, doppeltgeflügelt wie zuvor.

Die Achtlosigkeit der Ausgucker auf dem Lugger ist natürlich niemals erklärt worden; nach den Nebenumständen, welche später bekannt wurden, läßt sich übrigens vermuthen, daß der größere Theil der Mannschaft eingeschlafen war, um sich von den außergewöhnlichen Anstrengungen des vorangegangenen Tages und einer Nacht, welche die ganze Bemannung – aus etlichen dreißig Köpfen bestehend – an den Segeln munter erhalten hatte – wieder in etwas zu erholen. Endlich, da sich das Wetter eben etwas aufhellte, wurde die Fregatte von dem Lugger aus gesehen – es war auch in der That keinen Augenblick zu früh.

Die beiden Schiffe standen in diesem kritischen Moment ungefähr eine halbe Meile von einander; der Feu-Follet lief gerade gegen den Luvbug der Proserpina. Im nächsten Augenblicke aber hatte er seine Flügel verstellt, man sah ihn alsbald in den Wind kommen, und dabei so weit von seiner bisherigen Richtung abfallen, daß er mit den beiden Jagdkanonen auf der Luvseite in gleiche Linie kam.

Cuffe gab augenblicklich Befehl, das Feuer zu eröffnen.

»Welcher Teufel ist denn in den Burschen gefahren?« rief der Kapitän. »Er bückt sich ja, wie wenn er einen Mandarin nachäffen wollte – und war doch sonst so straff wie eine Kirche! Was kann das bedeuten, Sir?«

Der Quartiermeister wußte Nichts zu antworten; wir aber können dem Leser schon sagen, daß der Lugger in solchem Sturme für so viele Leinwand zu leicht war, und daß es zum Segelverkürzen an Zeit fehlte. Er tauchte tief in die immer höher anschwellende See; ein Windstoß kam dazu, und seine Leekanonen wurden vollkommen im Wasser begraben.

Gerade in diesem Augenblicke donnerte die Proserpina ihre Rauch- und Flammenschichten gegen ihn; man konnte aber die Kugel nicht verfolgen, und so wußte Niemand, wo sie eingeschlagen hatte. Schon waren deren vier abgefeuert worden, als eine frische Bö losbrach und den Lugger neuerdings in Nebel hüllte, worauf natürlich das Feuern eingestellt wurde.

Heiß, einschläfernd und erlahmend, wie der afrikanische Sturmwind gewöhnlich ist, war seine jetzige Kraftanstrengung so gewaltig, daß die Proserpina das Kreuzbram- wie das große Segel einnehmen mußte, um die betreffenden Spieren zu retten. Doch kam sie augenblicklich wieder in die frühere Richtung, und das Marssegel wurde sogleich wieder eingesetzt. Ein Sonnenstrahl folgte dem Windstoß – der Lugger aber war verschwunden!

Die Sonne blieb kaum eine Minute lang in schwachem Schimmer sichtbar; dennoch konnte das Auge eine Zeitlang mehrere Meilen weit in die Ferne dringen. Dann wurde der Horizont wieder eng begränzt, von Windstößen war aber eine Viertelstunde lang nichts mehr zu verspüren.

In dem Augenblicke, da der Lugger vermißt wurde, stand die Proserpina etwa um einen halben Punkt östlich von dem Orte, wo man ihn vermuthet hatte. Kurze Zeit darauf segelte sie, vielleicht kaum hundert Fäden leewärts, daran vorüber; dann vierte sie, steuerte eine gehörige Strecke süd- und westwärts gerade aus, wendete sodann abermals, und zog in ost-südöstlicher Richtung von Neuem über dieselbe leere Stelle. Keine Spur von dem vermißten Schiffe war zu entdecken – die See hatte Alles, Lugger, Mannschaft und Takelage mit einem Male verschlungen.

Da so viele leichte Artikel auf den Klippen zurückgelassen worden waren, so ließ sich vermuthen, daß gar Nichts übrig geblieben, was noch auf den Wogen hätte schwimmen können – Alles war dem Feu-Follet in die Tiefe gefolgt. Boote hatte er keine mit sich geführt, da alle an dem Felseninselchen zurückgelassen worden waren; wenn von den Matrosen wirklich noch Einer den verzweifelten Versuch machte, sein Leben mitten in diesem Wassersturze zu retten, so war es ihm entweder nicht gelungen oder er wurde von den Engländern bei ihrer Nachsuchung übersehen. Auch konnten Letztere sich in der Entfernung getäuscht haben, und vielleicht nur auf Kabellänge an der Stelle vorüber gesteuert sein, wo die Opfer des Schiffbruchs, wenn wirklich solche vorhanden waren, noch immer um ihr Leben kämpften.

Cuffe und Alle mit ihm waren von diesem unvorhergesehenen schweren Unglücksfalle tief erschüttert. Unter solchen Umständen äußert der Verlust eines Schiffes fast dieselbe Wirkung, wie der plötzliche Tod eines Gefährten – es ist ein Loos, das uns Alle betreffen kann, und muß wohl Trauer und Nachdenken Hervorrufen. Doch gaben die Engländer die Hoffnung immer noch nicht auf, vielleicht doch Einige der Schiffbrüchigen zu retten, wenn sie sich etwa an herumschwimmende Spieren geklammert oder mit übernatürlicher Anstrengung Stunden lang über dem Wasser erhalten hätten.

Gegen Mittag jedoch brach die Fregatte auf, und segelte bei anhaltendem Südwinde nach Neapel. Unterwegs wurde sie durch eine feindliche Kriegsschaluppe von ihrem Kurse abgeleitet; doch war sie mit dieser glücklicher als mit dem Irrwische, denn sie nahm dieselbe wirklich gefangen, so daß die Prise wenige Tage später dem Admirale vorgeführt werden konnte.

Das Erste, was Cuffe nach seinem Einlaufen bei der Flotte vornahm, war ein Besuch auf dem Foudroyant, um Nelson über seine Thaten Bericht zu erstatten. Der Contreadmiral hatte bis jetzt außer dem Kampfe auf den Inseln und der späteren Trennung der Schiffe nichts Weiteres von dem Endresultate vernommen.

»Nun, Cuffe,« rief er seinem alten Agamemnons-Kameraden entgegen, als dieser in die Kajüte trat, indem er ihm freundlich seine eine Hand darreichte, »der Bursche ist eben auf und davon gegangen? Es war freilich eine recht schlimme Geschichte; wir müssen sie aber, so gut es geht, zu tragen versuchen. Wo glaubt Ihr denn, daß der Lugger sich jetzt befindet?«

Cuffe erklärte Alles, wie sich's zugetragen hatte, und übergab dem Admiral einen dienstlichen Bericht über seinen spätern Erfolg mit der Schaluppe. Ersteres schien Nelson zu überraschen, Letzteres dagegen nicht wenig zu freuen. Nach einer langen, nachdenklichen Pause ging er in die Hinterkajüte, und kehrte mit einer kleinen wimpelähnlichen Flagge zurück.

»Während Lyon außen herumkreuzte,« sprach er, »und seine Schaluppe bis zu den Krahnbalken in's Wasser tauchte, wurde dieses Ding da auf einen Hilfsanker geschwemmt, und blieb daselbst hängen. Es ist eine wunderliche Flagge – sollte sie etwa mit dem Lugger in irgend einer Verbindung stehen?«

Cuffe betrachtete die Wimpel, und erkannte in ihr sogleich die kleine ala-e-ala-Flagge, wie sie ihm die Italiener in ihren häufigen Gesprächen beschrieben hatten. – Sie war das einzige Ueberbleibsel, das jemals von dem Wing and Wing aufgefunden wurde.


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