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Zwölftes Kapitel

Ein Friedensrichter – doch es währt nicht lange,
So ist er, kaum erhöht, schon abgesetzt im nächsten Jahr;
So ehren sie den Priester – doch, nicht bange,
Entläßt man ihn, ist er zu gläubig oder theuer gar.
Sie haben ein natürliches Talent zum Prophezeien,
Und wissen Alles – zeigte Park sich hier
Nach seiner langen Tour in Afrika, und wiese ihnen
Den Nilquell – sie – sie sprächen: »das wissen wir!«

Halleck.

 

Raoul hatte sich in den Mitteln, deren sich seine Feinde bedient hatten, so wie in der Art, wie sie dazu gelangt waren, nicht getäuscht. Die Fregatte hatte eine der Felucken mit Schiffsvorräthen nebst zehn bis fünfzehn Tonnen Theer beladen gefunden, und Griffin, der vor Begierde brannte, sich für die Niederlage des heutigen Morgens zu rächen, verfiel sogleich auf den Gedanken, daß man die Prise in ein Branderschiff verwandeln könnte. Da der zweite Lieutenant sich freiwillig erbot, das Schiff bis an den Lugger zu führen – was immer ein höchst verzweifeltes Unternehmen war – so gab Kapitän Cuffe seine Zustimmung.

Man konnte sich nicht leicht einen Angriff besser geleitet denken, als das von Griffin entworfene Seestückchen, und nur die Art, wie unser Held sein Schiff vor dem Untergange rettete, mochte die List des Feindes noch übertreffen. Die Fregatte hielt sich zwischen ihrer Prise und dem Lugger, um den Umstand, daß am Bord der ersteren ein Boot zurückblieb, geheim zu halten; erst als Alles fertig war, ließ man die Felucke scheinbar ihre Reise fortsetzen. Auch die beiden andern Prisen wurden freigegeben, um der ganzen Affaire gleichsam als Deckmantel zu dienen. Griffin hielt, wie wir gesehen haben, fortwährend auf das Land ab, und suchte stromaufwärts so nahe als möglich zu dem Lugger zu gelangen. Sobald er so weit vorwärts gekommen war, als er ungefähr wünschte, wurden Triebanker gelegt, um das Schiff in gleicher Richtung zu erhalten, und auf diese Art zog es, wie oben schon berichtet wurde, seiner beabsichtigten Beute entgegen. Ohne Ithuels mißtrauischen Scharfblick würde der Plan wohl schwerlich entdeckt worden sein, und hätte sich nicht Raoul mit kaltem Muthe und rascher Besonnenheit dazwischen geworfen, so wäre die List, trotz des schon erregten Verdachtes, unfehlbar gelungen.

Cuffe stand mit allen Uebrigen auf dem Verdecke der Fregatte und bewachte in gespannter Erwartung den Ausgang der Sache. Sie waren kaum im Stande, die Segel der Felucke mit Hilfe eines Nachtglases zu beobachten, während diese gegen den Lugger hintrieb, und Yelverton hatte eben gerufen, die beiden Schiffe stießen gegen einander – als auch schon die Flammen emporschlugen.

In dieser Entfernung schienen natürlich beide Schiffe eine einzige Feuermasse zu bilden, und als der Irrwisch um hundert Schritte näher gegen die Fregatte steuerte, während die Felucke zu brennen fortfuhr, erschienen sie beide, vom Bord der Proserpina aus gesehen, doch nur wie ein Ganzes, da sie sich mit dieser in schnurgerader Linie befanden.

Die Engländer erwarteten jeden Augenblick, die Pulverkammer des Luggers in die Luft fliegen zu hören, und als dieß nicht geschah, mußten sie zu dem Schlusse gelangen, daß das Schiff bereits untergesunken sei.

Griffin selbst ruderte landeinwärts, sowohl um das Feuer des Irrwisches, an dem er vorbei gemußt hätte, zu vermeiden, als auch in der Hoffnung, den feindlichen Führer, wenn er in einem Boote zu entkommen versuchen würde, vielleicht abschneiden zu können. Er erreichte sogar, eine volle Meile von dem Ankerplatze entfernt, einen Landungspunkt in dem Flusse, und wartete dort bis lange nach Mitternacht, bis er endlich fand, daß sich der Himmel mit Wolken bedeckte und die nächtliche Dunkelheit zunahm, worauf er, um jedem Unfalle auszuweichen, in einem weiten Bogen um das rauchende Wrack herumfuhr und nach der Fregatte zurückkehrte.

Dieß war der Stand der Dinge, als Kapitän Cuffe am folgenden Morgen mit dem Beginne der Dämmerung auf dem Verdecke erschien. Er hatte befohlen, ihn um diese Stunde zu wecken, und war nun voller Ungeduld, bis er einen Blick auf die See, besonders aber gegen die benachbarte Küste, werfen könnte. – Endlich begann sich der Vorhang sachte zu heben, und die Aussicht gegen den Fluß hin wurde weiter und weiter, bis zuletzt Alles, sogar das Land, sichtbar war.

Kein Fahrzeug irgend einer Art ließ sich blicken. Selbst das Wrack war verschwunden, obwohl man es später in der Brandung entdeckte, wohin es durch die Strömung getrieben worden, bis es in einen Wirbel gerathen war, der es wieder zurück und endlich an den Strand geführt hatte.

Von dem Irrwisch aber war auch nicht die geringste Spur zu entdecken. Nicht einmal ein Zelt an der Küste, ein irrendes Boot, eine treibende Spiere oder ein Fetzen von einem Segel! Alles war ohne Zweifel in dem Brande untergegangen.

Während Kapitän Cuffe in seine Kajüte hinabging, behauptete er eine aufrechtere Haltung, als er seit der gestrigen Morgenaffaire gezeigt hatte, und als er seinen Schreibtisch öffnete, geschah es mit der Miene eines Mannes, der mit sich selbst und seinen Thaten vollkommen zufrieden ist. Doch war sein Triumph nicht ohne Beimischung großherzigen Bedauerns. Es war allerdings eine große That, den gefährlichsten Kaper in der ganzen französischen Marine zerstört zu haben, und doch war es ein trauriges Loos, das siebenzig bis achtzig menschliche Wesen betroffen hatte – nicht anders als wie kriechendes Gewürm im Feuer umzukommen!

Nichtsdestoweniger war die Sache nun einmal geschehen und mußte an die vorgesetzten Behörden berichtet werden. Demgemäß wurde an den im Mittelmeere kommandirenden Offizier folgender Brief geschrieben:

 

»S. M. S. Seiner Majestät Schiff.
D. U.
Proserpina – an der Mündung des Golo,
Insel Corsika, den 23. Juli 1799.

Mylord!

Ich habe Euch zur Berichterstattung an die Lord-Kommissäre vom Admiralitätsamte die freudige Nachricht mitzutheilen, daß der republikanische Kaper, der Few-Folly, unter dem Kommando des berüchtigten Raoul Yvard, in der Nacht vom 22. dieß durch mich zerstört wurde. Die Umstände, welche diesen wichtigen Sieg begleiteten, waren folgende:

Auf die Nachricht, daß sich der berüchtigte Seeräuber an den römischen und neapolitanischen Küsten umhertreibe und allenthalben Unheil anrichte, segelte ich mit Seiner Majestät Schiffe die Halbinsel entlang, und so nahe am Lande, daß ich dasselbe fortwährend im Auge hatte, bis wir früh Morgens am 21. durch den Kanal von Elba kamen. Als wir die Bai von Porto Ferrajo zu Gesicht bekamen, sahen wir einen Lugger unter englischer Flagge vor der Stadt vor Anker liegen. Da es in einem befreundeten Hafen war, so konnten wir nicht annehmen, daß das Fahrzeug der Few-Folly sei; dennoch steuerten wir mit dem Entschlusse, uns von der Sache zu überzeugen, auf den Hafen los, und signalisirten den Fremden, bis dieser, unsere östliche Stellung benutzend, um die Felsen herumschlüpfte und windwärts entkam. Wir verfolgten ihn eine kurze Strecke weit und segelten dann hinter Capraya, wo wir bis zum Morgen des 22. blieben, worauf wir abermals gegen die Stadt aufbrachen.

Wir fanden den Lugger in der offenen See, und da wir uns jetzt hinlänglich von seinem wahren Charakter überzeugt hatten und mittlerweile eine Windstille eintrat, so schickte ich unter dem Kommando der H. H. Winchester und Griffin, meines ersten und zweiten Lieutenants, die Boote der Fregatte gegen den Feind. Nach einem kurzen Scharmützel, worin wir einigen Verlust erlitten, obgleich der der Republikaner offenbar weit größer war, gelang es Monsieur Yvard, in Folge einer plötzlich umspringenden Brise, uns abermals glücklich zu entwischen.

Jetzt wurden auf der Fregatte alle Segel eingesetzt und wir jagten den Lugger in die Mündung des Golo. Glücklicherweise hatten wir eine Felucke mit einer Ladung Theer und anderer brennbarer Stoffe am Bord gekapert, als wir uns eben dem Lande näherten, und so beschloß ich, einen Brander daraus zu machen und das feindliche Schiff, das außer Kanonenschußweite und von den Untiefen im Flusse gedeckt, vor Anker gegangen war, auf diese Art zu zerstören.

Da Mr. Winchester, der erste Lieutenant, in der Bootsaffaire verwundet worden war, übertrug ich Mr. Griffin die Ausführung meines Planes: derselbe hatte sich schon vorher freiwillig dazu erboten, und löste seine Aufgabe gestern Abend gegen zehn Uhr mit der größten Kaltblütigkeit – ganz wie es einem tüchtigen Offizier geziemt.

Ich schließe seinen Bericht über die Affaire bei und bitte um die Erlaubniß, den jungen Mann der Gnade der Lord-Kommissäre anempfehlen zu dürfen. Auch mit Mr. Winchesters trefflichem Benehmen während des scharfen Feuers am vergangenen Morgen habe ich alle Ursache, zufrieden zu sein. Ich hoffe, dieser brave Offizier wird bald wieder im Stande sein, seinen Dienst anzutreten.

Erlaubt mir, Mylord, Euch zu der vollständigen Zerstörung dieses höchst gefährlichen feindlichen Kreuzers meinen Glückwunsch abzustatten: derselbe ist so von Grund aus abgebrannt, daß auch nicht eine Spiere oder ein Stück seines Wracks übrig blieb. Wir haben Grund zu glauben, daß der Lugger mit Mann und Maus zu Grunde ging, und obwohl dieses für menschliche Wesen schreckliche Ende tief zu bedauern ist, so wurde es wenigstens im Dienste einer rechtmäßigen Regierung und Religion verhängt. Der Lugger steckte überdieß voll von leichtfertigen Frauen, denn als unsere Leute ihm auf ihrem Brander näher kamen, hörte man sie eben ihre philosophischen, irreligiösen Gesänge anstimmen.

Ich werde die Küste nach dem etwa herumtreibenden Floßholz durchsuchen und dann nach Livorno weiter segeln, um frische Lebensmittel daselbst einzunehmen.

Ich habe die Ehre zu sein, Mylord,
Eurer Herrlichkeit gehorsamster Diener
Richard Cuffe.

Seiner Herrlichkeit, Lord Nelson,
Herzog von Bronte etc. etc., Contreadmiral.«

 

Cuffe überlas diesen Bericht zweimal, dann ließ er Griffin rufen, dem er ihn laut vorlas, indem er bei der Stelle, wo er von dem trefflichen Benehmen des jungen Mannes sprach, einen bedeutungsvollen Blick auf seinen Untergebenen heftete.

»So viel von dem verdammten Irrwische, Griffin! Ich denke, er wird Niemand mehr zu einer Wildegänsejagd verlocken.«

»Ich denke nicht, Sir. Wollt Ihr mir erlauben, Kapitän Cuffe, in der Schreibart von des Luggers Namen eine kleine Aenderung vorzuschlagen? Der Sekretär könnte sie vornehmen, wenn er den Brief in's Reine schreibt.«

»Aha – es mag wohl sein, daß der Name von der Art, wie wir ihn setzen würden, abweicht, denn die französische Schreibweise will überhaupt nicht viel bedeuten. Schreibt ihn, wie Ihr wollt – Nelson hegt zwar gegen ihre gepriesene Philosophie und Gelehrsamkeit eben so große Verachtung, wie ich selbst. Ich hoffe, das Englische werdet Ihr alles richtig geschrieben finden – wie buchstabirt denn Ihr das konfuse Kauderwälsch?«

» Feu-Follet, Sir – die letzte Sylbe lautet Follay und nicht Folly. Ich dachte schon daran, Kapitän Cuffe, Euch um Erlaubniß zu bitten, einen der Kutter nehmen zu dürfen, um nach dem Ankerplätze des Luggers hinzurudern und nachzusehen, ob nicht von seinem Wrack noch etwas aufzufinden ist. Unser Schiff wird doch schwerlich vor dem Eintritte des Westwindes unter Segel gehen.«

»Nein – wahrscheinlich nicht. Ich will mein Langboot bemannen lassen, dann können wir zusammen gehen. Der arme Winchester muß ja ohnedieß eine Zeitlang das Haus hüten, und wir brauchen ihn also nicht erst zu befragen, ob er's gerne thut. – Ich hielt nicht für nöthig, Griffin, dem Admiral den ganzen Belauf unseres Verlustes bei dem Bootscharmützel auf die Nase zu binden, da er ihn doch nur unmuthig gestimmt haben würde.«

»Ich gebe Euch vollkommen recht, Sir, denn auf diese Art ist es am besten – ›Einiger Verlust‹ deckt Alles zu: man meint damit ›mehr oder weniger‹.«

»Das war eben auch meine Ansicht von der Sache. Ich möchte behaupten, es waren wohl gegen zwanzig Frauenzimmer am Bord des Luggers?«

»Die Zahl kann ich nicht angeben, Sir; ich hörte nur weiblichen Gesang, als wir mit unserem Brander näher kamen, und glaube wohl, daß ihrer leicht so viele gewesen sein mögen. Der Lugger war mit Menschen voll gepfropft, denn sie schwärmten wie die Bienen auf der Vorderschanze umher, als wir mit ihm zusammenstießen. Bei dem Schein des Feuers erblickte ich sogar Raoul Yvard so deutlich, wie ich Euch jetzt vor mir sehe, und hätte ihn mit einer Muskete wegputzen können – das wäre aber doch nicht ehrenhaft gewesen.«

Cuffe stimmte bei und ging dann nach dem Verdeck voraus, nachdem er zuvor den Befehl zum Bemannen der Boote ertheilt hatte. Die beiden Offiziere ruderten nun nach dem Punkte, wo sie vermutheten, daß der Irrwisch vor Anker gelegen, und suchten fast eine Stunde lang in der Nachbarschaft, ob sie nicht auf dem Grunde noch Spuren des Wracks finden könnten.

Griffin stellte die Vermuthung auf: wenn die Pulverkammer versunken sei, so dürfte leicht in der Hast und Verwirrung des Augenblicks die Luke zur Ambülance offen geblieben sein – ein Umstand, der den Kiel eines so kleinen Fahrzeugs, besonders nachdem der Rumpf bis auf den Wasserspiegel abgebrannt war, recht gut in zwei bis drei Stunden in die See geführt haben könnte.

Diesen Kiel zu finden, war die nächste und zwar keineswegs hoffnungslose Aufgabe, da das Wasser des mittelländischen Meeres so klar ist, daß das Auge selbst an der Mündung des Golo auf mehrere Faden Tiefe eindringen kann, obwohl dieser Strom immer mehr oder weniger Schutt von des Gebirgen mit sich führt.

Wir brauchen wohl kaum zu sagen, daß ihre Nachsuchungen von keinem Erfolge gekrönt wurden, denn der Irrwisch lag eben damals wohlgeborgen in Bastia vor Anker, wo seine Mannschaft den beschädigten Hauptmast bereits abgenommen hatte, um an seiner Stelle einen neuen einzusetzen. Gerade in jenem Augenblicke ging Carlo Giuntotardi mit seiner Nichte und Raoul Yvard in der Hauptstraße der Stadt spazieren – der Ort ist nämlich gerade wie Porto Ferrajo auf einem Hügel gelegen – ohne nur entfernt an Branderschiffe, englische Fregatten oder an die Gefahren der See zu denken.

Dieß Alles war aber Kapitän Cuffe und seinen Begleitern ein tiefes Geheimniß, denn diese hatten sich – allerdings nicht ganz ohne Grund – schon längst daran gewöhnt, von dem Ausgang ihrer Seeunternehmungen die günstigsten Erwartungen zu hegen, und zweifelten keinen Augenblick, daß der Irrwisch, ihrem Ausdruck zufolge, »seine Gebeine irgendwo am Ufer zur Ruhe gelegt habe«.

Nachdem zwei bis drei Stunden in vergeblichen Nachsuchungen vergeudet waren, beschloß Cuffe, nach seinem Schiffe zurückzukehren. Er war ein kühner Jägersmann und hatte eine Vogelflinte in seinem Boote mitgebracht, halb und halb in der Absicht, zu landen und bis der Westwind einträte, zwischen einigen Morästen, die er in der Nähe des Ufers bemerkte, die Pirsch zu versuchen: Griffin hatte ihn jedoch überredet, diesen gewagten Versuch wieder aufzugeben.

»Auf jenem nassen Grunde muß es Waldschnepfen geben, Griffin,« meinte Cuffe, während er mit Widerstreben etwas Weniges in seinem Entschlusse nachgab, »und Winchester wird sich in ein paar Tagen wohl nach Geflügel sehnen. Ich war mein Lebtage noch nie verwundet, ohne eine besondere Lust nach Wildpret zu verspüren, nachdem das Fieber vorüber war. Auch Haarschnepfen muß man am Ufer dieses Flusses antreffen – letztere fangen um diese Zeit an, zu streichen, Griffin!«

»Es ist weit wahrscheinlicher, Sir, daß von der Mannschaft des Kapers Einige auf Planken und leeren Tonnen an's Ufer gelangt sind und in dem Dickicht herumstreichen, um unsere Boote zu bewachen. Drei oder vier derselben würden für Euch doch zu viel sein, Kapitän Cuffe, denn die Schufte führen alle Messer so lang wie Hirschfänger.«

»Ich glaube, Eure Vermuthung könnte richtig sein, und so muß ich wohl meinen Plan aufgeben. – Rudert nach der Fregatte zurück, Davy – dann wollen wir wieder einige dieser französischen Hallunken aufspüren!«

Damit war die Sache beendigt. In einer halben Stunde schaukelten die Boote schon wieder auf dem Verdeck der Proserpina, und drei Stunden später stand das Schiff unter vollen Segeln und fing an sich sachte vom Lande zu entfernen.

Dießmal aber war die Brise aus Westen ausnehmend schwach, und die Sonne ging eben unter, als das Schiff die kleine Insel Pianosa hinter sich hatte. Jetzt kam der Wind von Norden und die Fregatte drehte das Gallion gegen Osten, so daß ihr Kurs zwischen dem eben erwähnten Lande und der Insel Elba mitten inne lag.

Die ganze Nacht über steuerte die Proserpina in langsamem Laufe an der Südseite der letzteren Insel vorüber, bis sich gegen Morgen der Südwind wieder einstellte, und die Fregatte, nachdem der Tag weiter vorgerückt war, in dem Kanale von Piombino fast gerade so wieder erschien, wie sie dem Leser im Beginne der Erzählung vorgeführt wurde.

Cuffe hatte Befehl gegeben, ihn wie gewöhnlich mit Tagesanbruch zu wecken, denn in einem so wichtigen, ereignißreichen Kriege hatte er sich's zur Gewohnheit gemacht, in solchen Augenblicken auf dem Verdeck zu sein, um sich mit eigenen Augen zu überzeugen, was Alles das Glück über Nacht in seinen Bereich geführt hatte.

»Nun, Mr. Griffin,« begann er, sobald er die Begrüßung des wachhabenden Offiziers empfangen hatte, »Ihr habt heute eine stille Nacht gehabt. Dort drüben ist die Landspitze von Piombino, wie ich sehe, und hier auf unserer Backbordseite haben wir abermals Elba und das kleine Felseneiland. In jetziger Zeit ist doch ein Tag gerade wie der andere, besonders für uns Seeleute.«

»Ist das wirklich Euer Ernst, Kapitän Cuffe? – Meiner Ansicht nach hat der heutige Tag seit dem Augenblicke, da wir den Sperber und sein Convoi wegkaperten, wenigstens dem Logbuche der Proserpina nach, nicht seines Gleichen. Ihr vergeßt, Sir, daß wir gestern Abend den Irrwisch zerstörten!«

»Ja, ja – das ist schon Etwas – besonders für Euch, Griffin. Nun, sobald wir Livorno erreichen können, wird Nelson mit dem nächsten Postschiffe davon hören, und das soll alsbald geschehen, so wie ich Gelegenheit gefunden habe, mit dem Volke in Porto Ferrajo zu verkehren. Nach all' Dem, was vorgegangen, können wir wohl nicht weniger thun, als Eurem – ›der Henker hole die Torie's‹ Vice Governatore – S. Seite 174, Anm. – unsern glücklichen Sieg mitzutheilen.«

»Segel ho!« rief der Ausgucker auf der Vormarsraa.

Die beiden Offiziere drehten sich um und schauten nach allen Richtungen aus, bis der Kapitän die übliche Frage stellte:

»Wohinzu?«

»Hier, Sir, dicht an unserem Bord – auf der Backbord-Hand und an unserer Luvseite.«

»Auf unserer Luvseite! Hol' mich der Teufel, das kann nicht wahr sein, Griffin. Da ist ja nichts als die Insel zu sehen. Der Bursche kann doch dieses kleine Eiland nicht für den Rumpf eines Schiffes gehalten haben!«

»Wenn er's gethan, Sir,« gab Griffin lachend zur Antwort, »so müßte er ihn für einen Zwanzigdecker gehalten haben. Das ist ja Ben Brown da oben – wir haben keinen besseren Ausgucker auf der Fregatte.«

»Seht Ihr's, Sir,« fragte Ben Brown, und schaute über seine Schulter auf das Verdeck herunter.

»Nicht einen Fetzen davon,« schrie Cuffe. »Du mußt wohl träumen, Bursche. – Wie sieht's denn aus?«

»Das kleine Eiland da verdeckt es Euren Blicken, Sir. Es ist ein Lugger, Sir, und sieht dem, den wir gestern Nacht verbrannten, so ähnlich, wie ein Krahnbalken dem andern.«

»Ein Lugger!« rief Cuffe. »Wie! abermals einer dieser Spitzbuben! Beim Jupiter! Ich will hinaufsteigen und selbst einen Blick hinauswerfen. Zehn gegen Eins, ich kann ihn vom großen Mars aus erkennen.«

Drei Minuten später stand Kapitän Cuffe auf dem fraglichen Mars, wohin er – wie jeder vernünftige Mann auf einer Fregatte, besonders wenn diese aus Mangel an Wind still steht, durch das Soldatengaat Die Oeffnung in der Mitte des Marses, wo der Topp des Mastes und der Fuß der Stenge mit einander verbunden sind.
D. U.
gelangt war.

Damals war's eine Zeit, wo man rasch avancirte; man zählte nur wenige graubärtige Lieutenants in der englischen Marine, und selbst unter den Admiralen gab's Manche, die noch nicht alle Weisheitszähne aufzuweisen hatten. So war auch Cuffe noch ein junger Mann, und es kostete ihn keine große Anstrengung, um auf die erwähnte Art an der Schiffswand emporzuklettern.

Sobald er einmal auf dem Marse stand, ließ er auch seine Blicke munter umherwandern. Eine volle Minute blieb er regungslos und starrte in der von Ben Brown angedeuteten Richtung hinaus.

Diese ganze Zeit über stand Griffin auf dem Quarterdeck und schaute eben so aufmerksam auf seinen Vorgesetzten, wie dieser das fremde Segel im Auge behielt. Dann ließ sich Cuffe endlich herab, einen Blick unter sich zu werfen, um die Neugierde des wachhabenden Offiziers zu befriedigen, die, wie er wohl fühlte, in dessen jetziger Stellung so natürlich war. Griffin wagte nicht, seinen Kapitän zu fragen, was er sehe – in seinem Blicke aber lag ein ganzes Buch voll Fragen über diesen interessanten Gegenstand.

»Ein Bruder-Corsar, beim Jupiter Ammon!« rief Cuffe; »ein Zwillingsbruder noch obendrein, denn sie sehen einander in der That so ähnlich, wie ein Krahnbalken dem andern. Ja, beim Jupiter, sogar noch mehr, wenn ich überhaupt ein Urtheil in der Sache habe.«

»Was sollen wir thun, Kapitän Cuffe?« fragte der Lieutenant. »Wir steuern fortwährend leewärts. Ich weiß nicht gewiß, Sir, ob eine Strömung hier in der Nähe ist, aber –«

»Schon gut, Sir – ganz gut – laßt die Backbordhalsen sobald wie möglich anziehen und die Backbordbatterien klar machen. Wir müssen den Burschen vielleicht erst zum Krüppel schießen, ehe wir seiner habhaft werden können.«

Mit diesen Worten stieg Cuffe durch dasselbe Soldatengaat wieder herab und erschien bald darauf auf dem Verdeck. Das Schiff wurde nun ein Schauplatz des Lärmens und der Thätigkeit. Alle Matrosen wurden aufgerufen: einige machten die Kanonen klar, während die anderen die Raaen braßten und dem neuen Kurse gemäß stellten.

Der Leser wird das Folgende weit leichter verstehen, wenn er vielleicht einen Blick auf die Karte der italienischen Küste werfen will. Dort wird er bemerken, daß das östliche Ufer der Insel Elba beinahe in gerader Linie von Norden gegen Süden hinläuft, während Piombino von ihrer nördlichen Spitze aus nordnordöstlich abliegt. In der Nähe letzterer Landspitze befindet sich das kleine, so oft erwähnte Felseneiland, das Napoleon fünfzehn Jahre später zu der vorgeschobenen Redoute seines Inselreiches machte.

Die Proserpina befand sich auf der einen Seite dieses Eilandes, der fremde Lugger aber auf der andern. Erstere war so weit durch den Kanal gegangen, daß sie mit den Backbordhalsen dicht beim Winde halen und dennoch an dem Eilande vorbeikommen konnte; letzterer dagegen stand gerade so weit windwärts, d. h. gegen Süden, daß man ihn auf dem Verdeck der Fregatte wegen der zwischenliegenden Felsen nicht sehen konnte. Da die Entfernung zwischen dem Eilande und der Insel Elba kaum ein paar hundert Schritte betrug, so hoffte Kapitän Cuffe, seinen Feind zwischen sich und dem Lande einzuschließen, denn er ließ sich nicht träumen, daß es dem Fremden einfallen werde, durch einen so engen Felsenpaß zu steuern.

Aber er kannte seinen Mann nicht, denn dieser war kein anderer als Raoul Yvard, der in der Hoffnung, jedes weitere Zusammentreffen mit seinem furchtbaren Gegner zu vermeiden, von Bastia aus diesen Weg eingeschlagen hatte. Sobald es hell geworden, hatte er die luftigen Segel der Fregatte über die Felsen hervorragen sehen, und da er über ihre Existenz wenigstens nicht im Zweifel sein konnte, so erkannte er sie mit einem einzigen Blick. Sein erster Befehl war, Alles so flach wie möglich zu halen, und seine Hauptabsicht ging jetzt dahin, unter dem Schutze der Gebirge von Elba in diesen nämlichen Paß zu gelangen, durch welchen der Wind mit weit mehr Gewalt als irgendwo sonst in der Nachbarschaft wehte.

Während die Proserpina eine volle Meile seewärts im Kanale stand, hatte der Irrwisch, der bei leichtem Winde nur um so rascher segelte, Zeit genug, seinen Plan auszuführen. Statt den schmalen Paß zwischen beiden Eilanden zu vermeiden, lief Raoul kühn in denselben ein; er behielt fortwährend ein wachsames Auge auf seine Fockraa gerichtet, von wo man jede drohende Gefahr sogleich berichten mußte, und so gelang es ihm, in der Meerenge selbst hinauf- und wieder zurückzusteuern, so daß er südwärts auf der Steuerbordseite herauskam und die Spitze der Insel in demselben Augenblicke bereits hinter sich hatte, da die Fregatte an der entgegengesetzten Mündung des Passes erschien.

Jetzt hatte der Lugger eine leichte Aufgabe vor sich: er durfte nur seinen Feind bewachen und zeitig genug wenden, um das Inselchen zwischen sich und der Fregatte zu behalten, da der Engländer doch nicht wagte, sein großes Schiff durch eine so enge Schlucht zu führen. Raoul übersah diesen Vortheil nicht, und Cuffe war schon zweimal und jedes Mal näher und näher an der Insel vorübergekommen, bis er endlich einsah, daß ihm seine Kanonen nichts helfen würden, so lange er nicht wenigstens luvwärts um den zwischenliegenden Gegenstand herumkommen konnte; auch in diesem Falle sah er voraus, daß sie bei so leichtem Winde und in solcher Entfernung von seinem Feinde dennoch unnütz sein müßten.

»Thut nichts, Mr. Griffin; laßt den Burschen laufen,« rief der Kapitän, sobald er diese entscheidende Entdeckung machte; »es ist schon genug, daß wir die See von einem dieses Gelichters gesäubert haben. Ueberdieß wissen wir ja auch nicht, ob er überhaupt nur ein Feind ist. Er zeigt keine Flagge, und scheint eher aus Porto Ferrajo, einem befreundeten Hafen, ausgelaufen zu sein.«

»Raoul Yvard that das nicht ein-, sondern zweimal,« murmelte Yelverton, der aus dem Grunde, weil er bei den verschiedenen Angriffen auf den Irrwisch nicht verwendet worden war, zu den Wenigen am Borde der Proserpina gehörte, welche den Untergang des Luggers bezweifelten. »Diese Zwillinge sehen sich doch erstaunlich ähnlich – besonders Pomp Abkürzung für Pompejus.
D. U.
, wie der amerikanische Neger von seinen beiden Zwillingskindern sagte.«

Diese Bemerkung blieb unbeachtet, denn die Illusion in Betreff der Zerstörung des Kapers war auf der Fregatte so allgemein, daß es ein hoffnungsloses Unternehmen gewesen wäre, Offiziere und Mannschaft überreden zu wollen, der Irrwisch sei gar nicht verbrannt, da dieß gerade eben so viel geheißen hätte, als wenn man eine ›große Nation‹ zu dem Glauben bewegen wollte, daß auch sie manche von den Schwächen und Blößen zeige, welche kleinere Körperschaften zugestandener Maßen an sich tragen können.

Die Proserpina vierte nun abermals und segelte mit aufgehißter Flagge in die Bai von Porto Ferrajo, wo sie ziemlich nahe an der Stelle, welche sich Raoul die beiden vorhergehenden Male zu demselben Zwecke auserlesen hatte – vor Anker ging. Das Langboot wurde ausgesetzt und Cuffe stieg in Begleitung Griffin's, der als Dolmetscher mitging, an's Land, um den Platzbehörden den üblichen Dienstbesuch abzustatten.

Da der Wind sehr schwach war, so hatte man mehrerer Stunden bedurft, um alle diese Veränderungen herbeizuführen, und als die beiden Offiziere die Terrassen in den Straßen hinanstiegen, war der Tag mittlerweile so weit vorgerückt, daß ihr Besuch auch der Zeit nach als passend erschien. Cuffe erschien in voller Uniform, mit Epauletten und Degen, und zog deßhalb Aller Augen auf sich: Vito Viti halte sich bereits beeilt, seinen Freund von der ihm bevorstehenden Ehre zu benachrichtigen. So wurde der Vicestatthalter nicht überrascht, sondern hatte noch so viel Zeit, um sich auf Entschuldigungen zu besinnen, daß er sich durch einen so unverschämten Betrug hatte bethören lassen, wie der war, welchen ihm Raoul Yvard mit so viel Glück gespielt habe.

Der Empfang war würdig, aber steif, denn schon der Umstand, daß Alles, was von den beiden Hauptpersonen gesprochen wurde, zuvor erst übersetzt werden mußte, wenn es verstanden werden sollte – mußte das Ceremoniel eher vermehren, als vermindern. Aus diesem Grunde waren auch die paar ersten Minuten der Unterredung etwas gezwungen: da aber jeder der beiden Theile Etwas auf dem Herzen trug, wovon er sich gerne losgemacht hätte, so mußte das natürliche Gefühl bald über die steife Form die Oberhand gewinnen.

»Ich muß Euch die Art und Weise erklären, Sir Cuffe, wie sich ein neulicher Vorfall hier in unserer Bai zugetragen,« bemerkte der Vicestatthalter, »denn ohne eine solche Erklärung könntet Ihr leicht glauben, daß wir in unserem Dienste nachlässig und des Vertrauens unwürdig seien, das der Großherzog in uns setzt. Ich meine, wie Ihr wohl selbst ahnen werdet, den Umstand: daß der Irrwisch zweimal friedlich unter den Kanonen unserer Batterien gelegen hat, während sein Kommandant und sogar ein Theil seiner Bemannung gastfreundlich an unserem Strande aufgenommen wurde.«

»In Zeiten wie die jetzigen, müssen solche Dinge vorkommen, Mr. Veechygovernatory, – und wir Seemänner rechnen sie blos unter die Unfälle des Kriegs,« gab Cuffe gnädig zur Antwort, denn er war in dem Gefühle seines jetzigen Sieges viel zu großmüthig, als daß er Andere aus eine harte Weise hätte beurtheilen können. »Es mag vielleicht nicht so leicht sein, einen Seeoffizier wie mich, zu täuschen, aber ich darf wohl sagen, Veechygovernatory, hätte das Ding irgend eine Beziehung auf die Verwaltung Eurer kleinen Insel hier gehabt, so würde selbst Monsieur Yvard Euch zu stark für sich erfunden haben.«

Der Leser wird bemerken, daß Cuffe für die Benennung des Elbanesischen Würdeträgers eine neue Aussprache gefunden hatte, was daher kam, daß er denselben Wunsch, wie wir Alle, wenn wir mit Fremden sprechen, hegte, nämlich den – sie immer lieber in ihrer, als in unserer eigenen Sprache anzureden. Der würdige Kapitän hatte ebensowenig eine genaue Idee von einem Vicestatthalter, als das amerikanische Volk gerade jetzt zu begreifen scheint, was ein Vicepräsident zu bedeuten hat: da er aber bemerkt hatte, daß das Wort im Italienischen wie ›Veechy‹ Lautet im Deutschen – witschi – fast ebenso wie das italienische vice.
D. U.
ausgesprochen wurde, so war er gerne bereit, ihm seine wahre Betonung zu geben, wobei jedoch Griffin, der dieß vernahm, ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken konnte.

»Ihr erweist mir bloße Gerechtigkeit, Signor Kuhffe oder Sir Kuhffe, wie ich Euch wohl tituliren sollte,« erwiederte der Statthalter; »denn in Sachen, die unser Amt hier am Lande betreffen, sind wir keineswegs so unwissend, als in Dingen, welche zu Eurem ehrenvollen Berufe gehören. Dieser Raoul Yvard stellte sich mir als einen der brittischen Offiziere vor, die ich alle verehre und hochachte; er hatte kecker Weise den Namen einer Familie angenommen, welche, wie ich glaube, in eurem Lande sehr mächtig ist und in hohem Ansehen steht –«

»Aha – der Barone!« rief Cuffe; er hatte nämlich im Verkehr mit den Bewohnern von Süditalien entdeckt, daß dieses Wort ebensowohl einen ›Schurken‹ als einen ›Baron‹ bezeichne, und gebrauchte es daher gerne bei passenden Gelegenheiten. »Sagt doch einmal, Veechy-Governatory, welchen Namen hat er denn angenommen? – Ca'endish oder Howard oder Seymour oder sonst einen aus diesen hochadeligen Häusern, darauf will ich wetten, Griffin! Es nimmt mich nur Wunder, daß er unsern Nelson wenigstens verschont ließ.«

»Nein, Signore; er trug den Familiennamen eines andern berühmten Geschlechts. Der republikanische Corsar stellte sich mir als Sir Smees – Sohn eines gewissen Milordo Smees, vor.«

»Smees – Smees – Smees! – Ich erinnere mich nicht, einen solchen Namen jemals unter unserem Peers-Adel nennen gehört zu haben. Es kann doch nicht etwa Seymour sein, was der Veechy meint! – Das ist allerdings ein großer Name, und Einige von ihnen haben auch in der Marine gedient: es ist möglich, daß der Barone am Ende doch die Unverschämtheit gehabt hat, sich für einen Seymour auszugeben!«

»Ich glaube doch nicht, Kapitän Cuffe! – ›Smees‹ lautet ziemlich so, wie ein Italiener unser ›Smith‹ aussprechen würde, was die Franzosen, wie Ihr wißt, wie ›Smeet‹ buchstabiren. Es wird sich am Ende herausstellen, daß dieser Mr. Raoul den ersten besten englischen Namen, der ihm einfiel, annahm, wie Einer, der über Bord stürzt, sich an eine herumtreibende Spiere oder eine lose Boje anklammert, und dieser Name lautet nun zufällig ›Smith‹.«

»Wer Teufels hat je von einem Mylord Smith gehört! Da könnten wir noch eine hübsche Aristokratie bekommen, Griffin, wenn sie aus solchen Burschen zusammengestoppelt würde!«

»Nun, Sir, der Name kann doch keinen großen Unterschied machen: ich denke, alte Abstammung und tapfere Thaten machen die Hauptsache.«

»Und auch einen Titel hat er angenommen – Sir Smees! Sicherlich hätte er darauf geschworen, Seine Majestät habe ihn auf dem Verdeck seines eigenen Schiffes unter der königlichen Flagge zum Ritter und Bannerherrn geschlagen, wie dieß mit einigen unserer alten Admirale der Fall war. Der Veechy hat aber jedenfalls einen Theil der Geschichte vergessen, denn er hätte doch wenigstens Sir John oder Sir Thomas Smees heißen müssen!«

»Nein, Sir, das ist gerade die Art der Italiener und Franzosen, welche nichts davon wissen, wie wir unsere Taufnamen mit dem Titel verbinden, und Sir Edward, Lord Harry oder Lady Betty sagen.«

»Da sehe Einer die Franzosen! Ja wahrhaftig, von ihnen will ich Alles glauben; diesen Italienern aber hätte ich doch etwas Besseres zugetraut. Uebrigens möchte es doch gut sein, dem Veechy von dem, was wir gesprochen haben, einen Wink zu geben, sonst könnten wir als unhöflich erscheinen – und hört Ihr, Griffin, da Ihr einmal daran seid, so reibt's ihm wegen seiner Bücher und derartiger Dinge nur ein bischen unter die Nase, denn unser Schiffschirurg sagte mir, er habe zu Livorno von ihm, als von einem wahrhaften Bücherwurme, sprechen hören.«

Der Lieutenant that, wie man ihm geheißen hatte, und warf eine Anspielung auf den Ruf von Andrea's Gelehrsamkeit ein, welche unter diesen Umständen recht gut angebracht war, und der Person, an welche sie gerichtet wurde, um so mehr, als es mit deutlichen Worten geschah – gerade in diesem Augenblicke der Spannung höchlich erwünscht kam.

»Meine Ansprüche auf Gelehrsamkeit sind nur gering, Signore,« gab Andrea voll Demuth zur Antwort, »wovon ich auch Sir Kuhffe zu unterrichten bitte; sie waren aber jedenfalls hinreichend, um gewisse Anzeichen an diesem Corsaren zu entdecken – ein Umstand, der in einem höchst entscheidenden Augenblicke beinahe zu der Bloßstellung des Fremden geführt hätte. Er hatte nämlich die Kühnheit, Signore, mir weiß machen zu wollen, es gebe einen englischen Redner, Namens Sir Cicero, von demselben Namen und auch den nämlichen Verdiensten, wie jener berühmte Redner von Roma und Pompeji gewesen!«

»Der Barone!« rief Cuffe abermals, als ihm dieses neue Verbrechen Raouls erklärt wurde. »Ich glaube, der Schurke war zu Allem fähig. Jetzt aber hat's ein Ende mit ihm und mit all' seinen Sir Smees und Sir Cicero's obendrein. Ich denke, Ihr könntet nunmehr den Veechy in das Geheimniß von des Burschen Schicksale einweihen, Griffin!«

Dieser erzählte sofort dem Vicestatthalter, wie der Irrwisch mit Raoul Yvard und allen seinen Genossen, ihrer Vermuthung zufolge, gleich den Raupen auf einem Baume im Feuer umgekommen sei. Andrea Barrofaldi hörte ihm zu, nicht ohne einen geziemenden Grad von Entsetzen in seinen Mienen zu verrathen: Vito Viti aber vernahm die Geschichte mit Zeichen von Ungläubigkeit, die er sich nicht einmal zu verbergen bemühte. Nichtsdestoweniger fuhr Griffin so lange fort, bis er selbst über die Art, wie er und Cuffe den Ankerplatz des Luggers, in der vergeblichen Absicht das Wrack zu entdecken, untersucht – berichtet hatte.

Die beiden Beamten hörten dieß Alles mit tiefem Interesse. Beide schauten einander eine Zeitlang an und wechselten bedeutungsvolle Geberden: dann übernahm Andrea abermals das Amt des Sprechers.

»Darin waltet irgend ein sonderbares Mißverständniß, Signor Tenente Herr Lieutenant.
D. U.
,« äußerte er endlich; »denn Raoul Yvard ist noch am Leben. Er fuhr erst heute Morgen mit Tagesanbruch in seinem Lugger an unserem Vorgebirge vorüber!«

»Aha – das glaubt er wohl deßhalb, weil er den Burschen gesehen, auf welchen wir draußen vor dem Hafen gestoßen,« erwiederte Cuffe, nachdem er sich die Antwort hatte übersetzen lassen; »ich wundere mich nicht darüber, denn die beiden Schiffe sahen einander überraschend ähnlich. Der Barone aber, den wir mit unseren eigenen Augen abbrennen sahen, kann nimmermehr auf der See herumschwimmen, Griffin. Ich sage Barone, denn meiner Meinung nach hatte der Few-Folly eben so viel von einem Schurken an sich, wie sein Kommandant und Alle, die darauf waren.«

Griffin erläuterte dieses den beiden Italienern, ohne jedoch für dieses Mal Glauben bei ihnen zu finden.

»Nicht so, Signor Tenente – nicht so,« versetzte der Vicestatthalter. »Daß der Lugger, der heute Morgen hier vorbeipassirte, der Feu-Follet war, wissen wir ganz gewiß, denn er kaperte im Laufe der Nacht eine unserer Felucken, die von Livorno kam, und Raoul Yvard ließ dieselbe wieder los, aus Dankbarkeit, wie er gegen den Schiffsherrn bemerkte, für die höfliche Behandlung, die er in unserem Hafen erfahren hatte. Ja er trieb seine Anmaßung sogar so weit, daß er demselben Manne auftrug, mir Grüße von ›Sir Smees‹ auszurichten, und seine Hoffnung auszudrücken, daß er noch eines Tags im Stande sein würde, mir seinen Dank persönlich zu bezeigen.«

Der englische Kapitän nahm diese Nachricht auf eine Weise auf, die sich von ihm erwarten ließ; so unfreundlich sie auch war, so sah er sich doch genöthigt, nachdem er noch allerhand Fragen an den Vicestatthalter gerichtet und dessen Antworten vernommen hatte – der Sache, so schwer es ihn auch ankam, Glauben zu schenken. Er trug seinen offiziellen Bericht in der Tasche, und war im Verlaufe der Unterredung damit beschäftigt, ihn insgeheim in so kleine Stücke zu zerreißen, daß selbst ein Mahomedaner sie für zu winzig erklärt haben würde, um nur das Wörtchen ›Allah‹ darauf zu schreiben.

»Ein verd–es Glück ist's noch, Griffin, daß der Brief nicht schon heute früh nach Livorno abging,« bemerkte, er nach einer langen Pause. »Nelson würde mich nicht übel gebrontet Anspielung auf Nelsons Titel, als Herzog von Bronte.
D. U.
haben, wenn er ihn erhalten hätte. Und doch habe ich noch nie auch nur halb so fest an die neunundzwanzig Artikel geglaubt, als –«

»Ich glaube, es sind deren neunund dreißig, Kapitän Cuffe,« fiel Griffin bescheiden ein.

»Nun, meinetwegen neunund dreißig, wenn Ihr wollt – was wollen auch zehn mehr oder weniger in solchen Dingen bedeuten? Man müßte sie ja doch alle glauben, wenn's deren auch ein ganzes Hundert wäre. Aber ich habe an sie niemals so fest wie an die Vernichtung dieses höllischen Hallunken geglaubt. Jetzt ist mein Glaube für mein Lebenlang erschüttert.«

Griffin äußerte einige Worte des Bedauerns, war aber selbst zu schmerzlich betroffen, um einem Anderen viel Trost einsprechen zu können. Andrea Barrofaldi, der wohl sah, wie die Sachen standen, trat jetzt als artiger Wirth dazwischen, und lud die beiden Offiziere ein, sein Junggesellenfrühstück mit ihm zu theilen.

Die weiteren Folgen dieses Besuchs, so wie die Mittheilungen, zu welchen er Veranlassung gab, sollen im Verlaufe unserer Erzählung nachgeholt werden.


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