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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Und du besonders, Geist, der du den Tempeln
Ein Herz vorziehst, aufrichtig, fromm und rein –
Erleuchte mich mit deinem Licht.

Milton.

 

Der Ort, wohin sich Carlo Giuntotardi geflüchtet hatte, ist an der sorrentinischen Küste in der Nähe der Trümmer von Königin Johannas Sommerresidenz unter dem Namen der ›Wasserhöhle‹ wohl bekannt. Höhle ist es eigentlich keine, obgleich der Eingang unter einem niederen, natürlichen Bogen hinläuft, denn das Wasserbecken innerhalb hat den freien Himmel über sich, und gleicht einer künstlichen Aushöhlung, welche man absichtlich zum Schutze für Boote errichtete, und wobei die natürliche Durchfahrt als Eingang benützt wurde.

Mochte übrigens der Ursprung dieses kleinen Hafens sein, welcher er wollte – die Kunst hätte jedenfalls keinen passenderen oder versteckteren Zufluchtsort ersinnen können, als unsere Flüchtlinge ihn hier in dem entscheidendsten Augenblicke fanden. Hatte man erst den Bogen hinter sich, so war das Boot selbst am hellen Mittag vor seinen Verfolgern wirksam geborgen, und Niemand, der nicht ganz genau mit den Eigentümlichkeiten des Einganges bekannt war, hätte sich träumen lassen, daß ein Boot hinter den Felsen des kleinen Vorgebirgs gleichsam begraben liegen könnte. Ghita sowohl als ihr Oheim fühlten jetzt keine weiteren Besorgnisse; Erstere aber kündigte Raoul an, daß sie zu landen beabsichtige, indem sie ihm versicherte, daß sie ihren Weg bis zu dem Fußpfade, der nach St. Agata führte, recht gut zu finden wisse.

Der verzweifelte Charakter der neulichen Jagd, die fast wunderbare Art, wie er dem Tode entronnen war, so wie die Notwendigkeit, sich von seiner Geliebten zu trennen, stimmten unseren Helden traurig, wenn nicht gar verdrießlich. Er konnte Ghita nicht auffordern, seine Gefahren noch länger mit ihm zu teilen; und doch fühlte er, daß wenn er sie jetzt ziehen ließe, die Trennung vielleicht eine ewige werden könnte.

Gleichwohl machte er keine Einwendung, sondern ließ das Boot unter Ithuels Aufsicht zurück, und half Ghita die trichterförmigen Abhänge des Wasserbeckens hinauf, indem er sich anschickte, sie auf ihrem Wege bis zur Straße zu begleiten. Carlo ging dem Paare voran, nachdem er seine Nichte benachrichtigt hatte, daß sie ihn in einer Beiden wohlbekannten Hütte am Weg finden würde.

Die Dunkelheit war nicht so groß, daß das Gehen sonderlich dadurch erschwert worden wäre; Raoul und Ghita verfolgten daher langsam ihren Weg den Felsen entlang. In Beiden tobte der gleiche Schmerz der Trennung, nur waren die Aussichten in die Zukunft bei Beiden fast gerade die entgegengesetzten. Das Mädchen nahm ohne Zögern den Arm des jungen Mannes; in ihrer Stimme wie in ihrem ganzen Wesen lag eine Zärtlichkeit, welche verrieth, welch' innigen Antheil ihr Herz an Dem, was vorging, nahm. Gleichwohl hatten ihre Grundsätze von jeher den Sieg bei ihr davongetragen, und so beschloß sie auch jetzt, offen und wie ihr Zweck es erforderte, zu reden.

»Raoul,« sprach sie nach einer jener glühenden Liebeserklärungen, welche einem Wesen von ihrer innigen, wahren Natur immer und selbst dann noch höchst angenehm sein mußten, wenn sie sogar die Nothwendigkeit einsah, eine so einschmeichelnde Bewerbung zurückzuweisen – »die Sache muß jetzt ein Ende nehmen. Ich kann unmöglich die Scenen noch einmal erleben, welche ich erst neulich mitangesehen habe; auch darf ich dir nicht gestatten, dich ferner solchen furchtbaren Gefahren auszusetzen. Je eher wir uns verständigen und – ich muß beifügen – von einander scheiden, desto weiser und für Beider Interesse förderlicher wird es sein. Ich tadle mich selbst, daß ich das vertraute Verhältniß so lange fortbestehen ließ, und daß ich überhaupt so weit gegangen bin.«

»Und so spricht die Feuerseele eines achtzehnjährigen, italienischen Mädchens! Du solltest aus einem Lande abstammen, wo sie sich rühmen, daß ihre Herzen noch wärmer als die Sonne glühten? – Du willst einem Geschlechte angehören, das selten auch nur Eine – ja, ja, auch nur eine Einzige in sich begreift, die nicht bereit wäre, Heimath, Vaterland, Hoffnungen, Vermögen, ja selbst das Leben aufzuopfern, um den Mann, der sie aus Allen ihres Geschlechtes auserkoren, glücklich zu machen!«

» Mir schiene das Alles leicht zu vollbringen, Raoul. Si – ich glaube, ich könnte all' Das opfern, was du genannt hast, um dich glücklich zu machen! Heimath besitze ich keine, wenn nicht etwa die fürstlichen Thürme dafür gelten können; Vaterland – seit dem traurigen Ereignisse dieser Woche ist mir, als ob ich auch dieses verloren hätte; Hoffnungen blühen mir nur wenige auf dieser Welt, an welche nicht dein Bild sich knüpfte – und die, welche mir einst so theuer waren, sind, fürcht' ich, nunmehr erloschen; du weißt, ich besitze kein Vermögen, das mich zu bleiben oder dich mir zu folgen veranlassen könnte, und mein Leben – ach, ich besorge, es wird nur gar zu bald ganz werthlos – ja, ich bin gewiß, es wird höchst elend sein.«

»Warum willst du dich also nicht endlich entschließen, theuerste Ghita, die Last deiner Sorgen auf die Schultern eines Mannes zu legen, der stark genug ist, dieselbe zu tragen? Du kümmerst dich ja nicht um Putz oder äußeren Schimmer, und kannst einen Bräutigam auch in der ärmlichen Tracht eines Lazzarone annehmen, wenn du nur weißt, daß sein Herz redlich ist. Du wirst mich nicht deßhalb verschmähen, weil ich nicht angethan bin, wie sich's für eine Hochzeitfeier geziemt. Nichts ist leichter, als unter diesen Klöstern einen Altar und einen Priester aufzufinden; die Stunde der Messe ist nicht mehr fern. Gib mir ein Recht, Anspruch auf dich zu machen, und ich bezeichne dir einen Ort zum Rendezvous, bringe morgen Nacht den Lugger herbei, und führe dich im Triumphe nach unserer heiteren Provence: dort wirst du eben so sanfte Herzen wie das deinige finden, die dich mit Freuden willkommen heißen und dich als Schwester begrüßen werden.«

Raoul sprach in tiefem Ernst, und man konnte die Aufrichtigkeit seiner Gesinnung unmöglich bezweifeln; nur bei der Anspielung auf seinen gegenwärtigen Anzug glühte ein Strahl von Selbstgefälligkeit in seinen Zügen, denn er wußte recht gut, wie vortheilhaft er sich trotz dieser Lazzaronekleidung ausnahm.

»Dränge mich nicht, theurer Raoul,« antwortete Ghita, indem sie, sich selber unbewußt, seinen Arm fester an sich preßte, während Traurigkeit und Liebe zugleich aus ihrer Stimme hervorklang – »Dränge mich nicht, theurer Raoul – es kann ja doch nimmermehr sein. Ich habe dir bereits gesagt, welche Kluft zwischen uns liegt: du willst sie nicht überspringen, um zu mir zu gelangen; ich kann es nicht thun, um dich zu gewinnen. Nichts Anderes als sie konnte uns trennen: aber sie wird auch in meinen Augen mit jeder Stunde breiter und tiefer.«

»Ach, Ghita, du täuschest mich und dich. Wäre deine Liebe so stark, wie du glaubst – kein irdischer Grund könnte dich verleiten, mich von dir zu weisen.«

»Es ist ja kein irdischer Grund, Raoul; er steht höher als die Erde und Alles, was sie enthält.«

» Peste! Diese Priester sind die Geißeln, die den Menschen in jeder Gestalt quälen. Unsere Kindheit trüben sie mit harten Geboten, gewöhnen die Jugend an Bitterkeit und Härte, und machen uns abergläubisch und kindisch im Alter. Ich wundere mich nicht, daß meine braven Landsleute sie aus Frankreich vertrieben haben: sie thaten ja doch nichts, als schlingen wie die Heuschrecken und die Herrlichkeiten der Vorsehung durch ihren Anblick entstellen.«

»Raoul, du sprichst von den Dienern Gottes!« bemerkte Ghita sanft, aber traurig.

»Verzeihe mir, theuerste Ghita: die Geduld verläßt mich, wenn ich bedenke, welche Kleinigkeit uns auseinanderzureißen droht. – Du gibst vor, mich zu lieben?«

»Es ist nicht ein Vorgeben, Raoul, sondern reine und, wie ich fürchte, peinliche Wirklichkeit.«

»Wer sollte glauben, daß ein so freimüthiges Mädchen, deren Herz so zart, deren Seele so wahrhaftig ist, sich durch untergeordnete Rücksichten von dem Manne ihrer Wahl trennen ließe!«

»Es sind nicht untergeordnete Rücksichten, sondern Dinge von der höchsten Bedeutung, Raoul. O, daß ich dich davon überzeugen könnte! Die Frage ist die, zwischen dir und meinem Gotte zu wählen! Wäre es etwas Anderes, du würdest gewiß den Sieg davontragen.«

»Warum willst du dich überhaupt nur wegen meiner Religion beunruhigen? Gibt es nicht tausend Frauen, welche ihren Rosenkranz beten und ihre Ave's hersagen, während ihre Männer an alles Andere, nur nicht an den Himmel, denken? Du und ich können recht gut über diesen Unterschied wegsehen: Andere übersehen ihn auch und sind gleichwohl ein Herz und eine Seele. Ich wollte dich ja gewiß nie in deiner frommen Andacht stören, Ghita.«

»Nicht du bist's, den ich fürchte, Raoul – ich selbst bin es,« antwortete das Mädchen mit überströmenden Augen, obwohl es ihr noch gelang, die Seufzer zu unterdrücken, die sich Luft zu machen drohten. »›Ein Haus, das in sich selbst getheilt ist, kann nicht bestehen‹, sagt man; wie könnte ein Herz, das von dir erfüllt ist, Raum finden für die Liebe, welche ich dem Schöpfer seines Daseins schulde. Wenn der Gemahl nur für die Welt lebt, dann ist es schwer für die Gattin, so, wie sie sollte, an den Himmel zu denken.«

Raoul fühlte sich durch das warme Gefühl, welches Ghita verrieth, tief ergriffen; der junge Mann hätte sie anbeten mögen für die vertrauensvolle Offenheit, mit der sie ihm die Gewalt, welche er über ihr Herz besaß, eingestand. Seine Antwort athmete dafür auch eine verführerische Zärtlichkeit und Hingebung, welche bewies, daß er des schweren Kampfes, den er in so reiner Brust angefacht hatte, nicht ganz unwerth war.

»Dein Gott wird dich niemals verlassen, Ghita; du hast als mein Weib, so wie als das jedes andern Mannes, nie Etwas zu fürchten. Nur ein unvernünftiges Thier könnte daran denken, dich in deiner Andacht oder was sonst nach deiner Ansicht nothwendig oder passend sein mag – hindern zu wollen. Lieber wollt' ich mir die Zunge aus dem Munde reißen, ehe Vorwurf, Spott oder Ueberredung von meiner Seite dich betrüben sollte, sobald ich einmal wüßte, daß du dich vertrauensvoll auf mich stütztest. Alles, was ich bis jetzt gesagt habe, geschah nur deßhalb, damit du mich in einer Sache, die du, wie ich weiß, für wichtig hältst, nicht falsch beurtheilen mögest.«

»Ach, Raoul, du verstehst dich nur wenig auf das Herz eines Weibes. Wenn deine Gewalt über mich schon heute so groß ist, daß sie mich der heiligsten meiner Pflichten beinahe untreu macht, was würde dann erst aus ihr werden, wenn sich die Liebe des Mädchens in die Alles verzehrende Hingebung der Gattin verwandelt hätte! Ich finde es jetzt schon schwer, die Liebe zu Gott mit dem mächtigen Gefühl, das du in meinem Herzen entzündet hast, zu vereinen – ein Jahr der Ehe würde mich in größere Gefahr bringen, als ich dir in Worten auszudrücken vermag.«

»So ist also die Furcht für dein Seelenheil stärker als deine irdischen Neigungen?«

»Nein, Raoul, das ist es nicht. Ich bin, hoffe ich, nicht feig noch selbstsüchtig, was meine eigene Person betrifft, auch denke ich keineswegs an die Strafe, die mich wegen einer Heirath mit einem Ungläubigen treffen könnte: was ich am meisten fürchte, ist – daß ich mit der Zeit Gott weniger lieben könnte, als ich ihn jetzt liebe oder als ich, ein Geschöpf Seiner Gnade, ihn lieben sollte.«

»Du sprichst, als ob der Mensch mit dem Wesen, welches du verehrst, rivalisiren könnte. Ich habe immer geglaubt, die Liebe, die wir für die Gottheit – und jene, welche wir zu einander hegen, seien ganz verschiedener Natur; ich sehe also keine Nothwendigkeit, warum sie einander widerstreiten sollten.«

»Nichts kann ungleicher sein, als jene beiden Gefühle, Raoul, und dennoch kann eines das andere schwächen, wenn nicht gar zerstören. O, wenn du nur daran glauben könntest, daß dein Erlöser dein Gott ist; wenn du nur für seine Liebe kalt sein und nicht so thätig gegen ihn auftreten wolltest, so könnte ich immer noch auf Besserung hoffen; aber ich darf nicht alle meine irdischen Pflichten einem Manne weihen, der ein offener Feind meines Herrn und Erlösers ist.«

»Ich will und kann dich nicht täuschen, Ghita – das überlasse ich den Priestern. Du kennst meine Ansichten, und mußt mich nehmen, wie ich bin oder mich ganz und gar verwerfen. Ich sage dir das, obgleich ich fühle, daß, wenn du auf deiner Grausamkeit beharrst, die Enttäuschung mich zu irgend einer verzweifelten Handlung treiben wird, die mich wohl noch die Gnade dieser Engländer empfinden lassen könnte.«

»Sprich nicht so, Raoul, sei klug, um deines Vaterlandes willen –«

»Nicht auch um deinethalben, Ghita?«

»Ja, Raoul, auch um meinetwillen. Ich will dir nicht verhehlen, wie ich viel glücklicher sein werde, wenn ich von deinem Wohlergehen und deinem Seelenfrieden hören darf. Obwohl du ein Feind bist, so wird es mir doch, fürcht' ich, immer Freude machen, wenn ich vernehme, daß du siegreich bist. Doch hier ist die Straße und dort die Hütte, wo mein Oheim auf mich wartet – wir müssen scheiden. Der Himmel segne dich, Raoul! meine Gebete werden tausendmal deinen Namen nennen. Bitte – setz' dich keiner Gefahr mehr aus, um mich zu sehen; wenn aber –«

Das Herz des Mädchens war so voll, daß die Bewegung sie überwältigte. Raoul horchte in höchster Spannung, was noch nachfolgen sollte – doch er horchte vergebens.

»Wenn was, theure Ghita? Du wolltest Etwas sagen, das, wie ich fühle, ermuthigend sein muß.«

»O, wie sehr hoffe ich, daß es so sein möchte, mein armer Raoul! Wenn Gott jemals dein Herz ergreift und du als gläubiger Christ mit einem Wesen vor dem Altar stehen möchtest, das mit der größten Sehnsucht bereit ist, dir Alles zu weihen, nur nicht ihre Liebe zu ihrem Schöpfer und den Schatz ihres zukünftigen Heils – dann suche Ghita: du wirst sie so finden, wie du sie dir wünschest.«

Raoul streckte seine Arme aus, um das liebende Mädchen an seine Brust zu schließen: doch, als ob sie sich vor sich selbst scheute, wich sie ihm aus, und floh eilig den Pfad entlang, wie wenn sie verfolgt zu werden fürchtete.

Der junge Mann blieb einen Augenblick stehen, und war halb und halb zu folgen geneigt; dann aber gewann wieder die Vernunft die Oberherrschaft, und er dachte an die Nothwendigkeit, noch während der Nacht einen sicheren Zufluchtsort zu erreichen. Noch zeigte die Zukunft eine Hoffnung, und diese Hoffnung gebot ihm, andere Gelegenheiten aufzusuchen, um seinen Plan doch noch durchzusetzen.

Aber Raoul Yvard, so hoch er auch seine Geliebte verehrte, kannte Ghita Caraccioli doch nur sehr wenig. Sie war allerdings voll weiblichen Gefühls, und ihr Herz für ihn insbesondere mit der innigsten Zärtlichkeit erfüllt: aber die Verehrung, welche sie Gott weihte, trug jenen unerschütterlichen Charakter an sich, der bis an's Ende ausdauert. In Allem, was sie sprach und fühlte, war sie die Wahrheit selber: keine falsche Scham hieß sie ihre Neigung verläugnen, aber dabei hatte sie alle ihre Vorsätze gleichsam in einen geistlichen Panzer eingehüllt, der sie für alle Anfechtungen der Welt unbezwinglich machte.

Unser Held fand Ithuel mit völliger Sorglosigkeit im Boote schlafend. Der Granitmann kannte seine Lage vollkommen, und da er eine lange Ruderpartie voraussah, so hatte er sich gemächlich auf der hintern Spitzbank der Jolle niedergelegt, und schlummerte so ruhig, als er nur je in seiner Hängematte auf dem Irrwisch gethan hatte. Es kostete sogar ziemliche Mühe, ihn aufzuwecken, und nur widerstrebend ergriff er das Ruder.

Ehe Raoul die Felsrinne hinabstieg, hatte er von der Klippe oben einen Blick auf das Wasser geworfen. Er lauschte aufmerksam, ob er nicht von den englischen Booten einen Laut heraufschallen hörte – doch in der Dunkelheit war Nichts zu sehen, und Entfernung oder Vorsicht mochten Ursache sein, daß man auch Nichts vernehmen konnte.

Da er sich überzeugt glaubte, daß außen Alles sicher war, so beschloß er, in die Bai hinauszurudern, in einem Umweg seinen Feinden auszuweichen, und sich in der Erwartung westwärts zu wenden, daß er den Lugger auf offener See finden würde. Da die Landbrise ziemlich stark und die Jolle um ein Beträchtliches leichter geworden war, so durfte er mit ziemlicher Sicherheit darauf zählen, seinen Zweck wenigstens in so weit zu erreichen, daß er noch vor der Wiederkehr des Tageslichtes dem Feinde aus den Augen wäre.

» Pardie, Etouelle!« rief Raoul, nachdem er den Amerikaner zum dritten Male aufgerüttelt hatte, »du schläfst ja trotz einem Mönch, der sich für das Ablesen mitternächtlicher Messen bezahlen läßt. Komm, Freund; jetzt ist's Zeit, daß wir uns rühren, denn außen ist Alles sauber.«

»Nun, Kapitän Rule, die Natur ist, wie man sagt, ein guter Werkmeister,« antwortete Ithuel gähnend und sich die Augen reibend, »und nie hat sie einen hübscheren Versteck als diesen zu Stande gebracht. Man schläft so ruhig darin! Hurrah! ich denke, die Asche muß lebendig erhalten werden, sonst verlieren wir am Ende unsern Rückweg nach Frankreich. Schiebt das Boot herum, Kapitän Rule; hier ist das Loch, das ebenso schwer zu finden ist, als man ein Tau in ein Nadelöhr einfädeln wird. Ein tüchtiger Stoß, und die Jolle schießt in die offene Bai hinaus!«

Raoul that, wie verlangt. Ithuel faßte die Ruderpinne, die Jolle glitt durch die Oeffnung und fühlte sogleich die langen Grundwellen des prachtvollen Golfes.

Die beiden Abenteurer schauten sich etwas verlegen um, sobald sie ihren Versteck hinter sich hatten; doch die Finsterniß war zu dicht, um auf der Oberfläche des Wassers irgend Etwas erkennen zu lassen. Das Leuchten, das zuweilen den Gipfel des Vesuvs erhellte, glich dem Flammen des Blitzes, und würde die Lage dieses berühmten Berges deutlich genug angezeigt haben, wenn auch seine dunkeln Umrisse nicht ohnedieß schon als eine finstere Masse am Eingänge des Golfes sichtbar gewesen wären. Die gezackten Bergspitzen hinter und oberhalb Castelamare, so wie der ganze Küstenstreif in der Nähe, waren gleichfalls zu unterscheiden – das gegenüberliegende Ufer aber nur an dem schwachen Flimmern von tausend Lichtern zu erkennen, welche gleich verdunkelten Sternen auf der andern Seite der breiten ruhigen Wasserfläche erschienen und verschwanden. In dem Golfe selbst ließ sich nur wenig und in der unmittelbaren Nähe der Küste gar nichts unterscheiden, denn die Felsen umschloßen das Ganze mit einem breiten Gürtel tiefer Finsterniß.

Nachdem sich die beiden Männer eine volle Minute schweigend umgeschaut hatten, senkten sie die Ruder und begannen in den Golf hinaus zu rudern; sie waren übereingekommen, zuvor die offene See zu gewinnen, ehe sie ihre kleinen Sturmsegel einsetzten. Kaum hatten sie eine kurze Strecke zurückgelegt, als ihnen das schwere Flaggen eines Segels ganz in ihrer Nähe zu Ohren drang, worauf Beide mit instinktartiger Bewegung vorwärts schauten.

Da stand in der That ein Schiff gerade vor ihnen, und drohte sogar, ihren eigenen Kurs zu durchkreuzen. Es war dicht beim Winde, und hatte die Backbordhalsen angezogen, auch offenbar erst vor Kurzem seine Segel entfaltet, um, ohne zu vieren, an dem Vorgebirge vorüberzuluven. Gelang ihm dieß, so war es im Stande, hier liegen zu bleiben, bis es vielleicht unter die Klippen der Stadt Sorrento getrieben wurde. Dieß war auch in der That sein Ziel, denn zum zweiten Male hörte man es jetzt seine Segel schütteln.

» Peste!« murmelte Raoul, »das ist ein kecker Lootse: er sucht die Felsen, wie wenn sie seine Geliebte wären. Wir müssen ruhig liegen bleiben, Etouelle, und ihn vorüber lassen, sonst könnte er uns noch beunruhigen.«

»Das wird allerdings das Weiseste sein, Kapitän Rule; übrigens halte ich den Burschen für keinen Engländer. Horch! das Wasser kräuselt sich an seinem Bug mit dem Geräusche eines Messers, das eine reife Wassermelone zerschneidet.«

» Mon Feu-Follet!« rief Raoul aufstehend und seine Arme ausstreckend, als ob er das geliebte Fahrzeug umarmen wollte. »Etouelle, sie suchen uns, denn wir sind sehr hinter unserer Zeit zurückgeblieben.«

Der Fremde kam eilends näher: sobald seine Umrisse sichtbar wurden, war kein Verkennen mehr möglich. Die beiden ungeheuren Sturmsegel, das kleine Bratspill, der Rumpf und die ganze schöne Form trat ihnen undeutlich vor Augen, gerade wie der flinke Vogel erst dann Farbe und Gestaltung annimmt, wenn er aus der Tiefe des Luftraumes hervortaucht. Das Schiff war nur hundert Schritte entfernt; in der nächsten Minute wäre es an ihnen vorübergeflogen.

» Vive la République!« sprach Raoul deutlich, obwohl er sich scheute, seine Stimme zu einem lauten Rufe zu erheben.

Abermals flaggte die Leinwand und das Getrappel von Fußtritten ließ sich auf dem Deck des Luggers vernehmen; dann kam er auf fünfzig Schritte von der Jolle in den Wind geschossen. Raoul bewachte seine Bewegung, und als er beinahe still lag, war er schon dicht an der Seite des Fahrzeugs und hatte ein Tau gefaßt. – Im nächsten Augenblicke stand er an dessen Bord.

Raoul betrat das Verdeck seines Luggers mit dem Stolze eines Monarchen, der seinen Thron besteigt. Der Vorzüge seines Schiffes sich bewußt, und voll Vertrauen auf seine eigene Geschicklichkeit, bekümmerte sich dieser tapfere Seemann nicht im Mindesten um die Thatsache, daß er von mächtigen Feinden umringt war. Wind und Stunde waren günstig, und kein Gefühl der Unruhe störte den Triumph dieses glücklichen Augenblicks.

Die Erläuterungen zwischen dem Kapitän und seinem ersten Lieutenant Pintard waren kurz, aber deutlich. Der Feu-Follet hatte sich mit tiefgestellten Segeln vom Lande entfernt gehalten, so daß er bei seiner eigenthümlichen Takelage und der Kürze seiner Masten nicht über fünf bis sechs Meilen weit gesehen werden konnte; als die bestimmte Zeit abgelaufen war, hatte er sich nach dem Golfe von Salerno gewendet, um die Signale von den Höhen von St. Agata abzuwarten. Da aber nirgends welche zu sehen waren, so ging er abermals in See und streifte, wie schon erzählt worden, die Küste entlang, in der Hoffnung, auf irgend einen Boten zu stoßen.

Obgleich er von seinen Feinden nicht gesehen werden konnte, so hatte er die Kreuzer, welche auf ihn Jagd machten, doch fortwährend im Auge gehabt, und es herrschte auf dem Lugger große Unruhe über das Schicksal der Abwesenden. Am heutigen Nachmittag befand sich der Lugger dicht an der Nordwestseite von Ischia, und umsegelte diese Insel in der Abenddämmerung, scheinbar in der Absicht, in dem Hafen von Bajä vor Anker zu gehen, wo es nur selten an Kreuzern der Verbündeten fehlte. Da aber der Wind vom Lande her wehte, so steuerte er wieder weiter, fuhr durch den Kanal zwischen Procida und Misenum, und kam ungefähr drei Stunden vor dem Zusammentreffen mit Raoul in den Golf von Neapel, um die ganze gegenüberliegende Küste nach der Jolle zu durchstöbern.

Das Licht an der Gaffel der Proserpina war ihm nicht entgangen; er hatte es im Anfang für ein Signal des vermißten Bootes gehalten. Um sich davon zu überzeugen, hatte der Lugger so lange abgehalten, bis seine Nachtgläser ein Schiff erkennen ließen; dann aber hatte er in den Wind gehalt, und war mit zwei bis drei Halbbordwendungen um die Landspitze herumgesegelt, wo sein Kapitän im Verstecke lag, denn die Marina Grande von Sorrents war einer der Punkte, deren der Kapitän in seinen letzten Instructionen als der Orte für ein Rendezvous erwähnt hatte.

Warme Glückwünsche und freudige Bewegung empfingen Raoul, als er so unerwartet am Bord seines Luggers erschien. Er besaß jede Eigenschaft, um sich bei seinen Leuten beliebt zu machen. Tapfer, abenteuerlich, entschlossen, großmüthig und gutherzig, wie er war, machten ihn seine Vorzüge zum Liebling seiner Mannschaft, und zwar in so hohem Grade, wie dieß selbst unter dieser ritterlichen Nation nur selten der Fall ist. Der französische Matrose kann Vertraulichkeit weit besser als sein großer Rivale und Nachbar, der Engländer, ertragen, und unser Held war von Natur offen und freimüthig gegen Alle, ob sie nun über oder unter ihm stehen mochten. Die Gemüther, welche er für sich zu gewinnen hatte, waren nicht so rauh und unlenksam, wie die der angelsächsischen Rasse, und Raouls kecker, ungestümer Charakter war ganz vortrefflich dazu gemacht, sich die Bewunderung und Zuneigung seiner Leute zu erwerben. Ohne Scheu und Zurückhaltung drängten sich nun Alle um ihn; jeder wollte seine guten Wünsche an den Tag legen und ihn seine Bewillkommnung hören lassen.

»Ich habe euch dicht um das Feuer spielen lassen, camarades,« sprach Raoul, von den Beweisen der Anhänglichkeit seiner Leute gerührt; »jetzt wollen wir aber auch Rache dafür nehmen. In diesem Augenblick machen englische Boote, dort drüben gegen's Land hin, Jagd auf mich; wir wollen versuchen, eines oder das andere derselben abzufangen, um ihnen zu zeigen, daß der Feu-Follet noch am Leben ist.«

Ein Freudenruf folgte als Antwort; dann sah man einen alten Quartiermeister, der seinem Kommandanten den ersten Unterricht im Seewesen ertheilt hatte, sich durch die Menge drängen, um ihm mit einer Art von Autoritätsrecht seine Fragen vorzulegen.

» Mon capitaine,« sprach er, »seid Ihr diesen Engländern nahe gestanden?«

»Ja, Benoit Benedikt.
D. U.
; etwas näher, als ich eigentlich wünschen konnte. Um Euch die Wahrheit zu gestehen – der Grund, warum Ihr mich nicht früher gesehen, war der, daß ich meine Zeit am Bord unserer alten Freundin, der Proserpina, zubrachte. Offiziere und Mannschaft wollten meine Gesellschaft nicht mehr entbehren, nachdem sie meine Bekanntschaft einmal gemacht hatten.«

» Peste! mon cher capitaine – so seid Ihr also gefangen gewesen?«

»So etwas dergleichen, Benoît. Zuletzt stellten sie mich gar auf ein Gitter, legten ein Tau um meinen Nacken, und wollten mich eben als Spion aufknüpfen, als ihnen zu allem Glück ein paar Kanonen von Nelson – da droben von der Stadt her – befahlen, mich wieder gehen zu lassen. Da ich an solchen Belustigungen keinen Geschmack fand, und meinen theuren Irrwisch wieder sehen wollte, so nahmen Etouelle und ich die Jolle und verließen die Fregatte, um erst dann wieder zurückzukehren und uns hängen zu lassen, wenn wir einmal nichts Besseres mehr zu thun wissen.«

Dieser Bericht erforderte eine nähere Erklärung, welche Raoul mit wenig Worten gab. In der nächsten Minute füllten sich die Segel auf der Backbordseite wieder, und der Irrwisch steuerte abermals vorwärts und gerade gegen die Klippen.

»Da drüben, nahe bei Capri ist ein Licht in Bewegung, mon capitaine,« bemerkte der erste Lieutenant; »ich vermuthe, daß es von einem unserer Feinde herrührt. Sie schwärmen in diesem Golfe so zahlreich wie die Seemöven.«

»Ihr habt ganz recht, Monsieur. Es ist die Proserpina; das Licht ist ein Signal für ihre Boote. Sie ist übrigens zu weit leewärts, um mit uns in Berührung zu kommen, und ich weiß so ziemlich gewiß, daß sich zwischen ihr und den Schiffen vor der Stadt nichts mehr befindet, was uns ein Leid zufügen könnte. Sind unsere Lichter alle wohl geborgen? Laßt mir scharf darauf Acht geben, Monsieur.«

»Alles in Ordnung, mon capitaine. Der Irrwisch zeigt seine Laternen nie, als wenn er einen Feind in's Moor verlocken will!«

» Bon« gab Raoul lachend zur Antwort, und sprach dieß Wort in jener nachdrücklichen Weise, wie sie dem Franzosen eigen ist. Während der Lugger rasch gegen die Felsen vordrang, verfügte er sich selbst auf das Vorkastell, um ungehindert ausschauen zu können; Ithuel stand wie gewöhnlich neben ihm.

Die Hochebene von Sorrento endet nach der Seite des Golfes hin in senkrechten Tufffelsen, deren Höhe zwischen ein- bis zweihundert Fußen abwechselt. Die zunächst der Stadt gehören unter die höchsten, und sind mit Landhäusern, Klöstern und andern Wohnungen besetzt, deren Grundmauern häufig fünfzig Fuß tiefer als die Straße des Platzes auf Felsvorsprüngen ruhen.

Raoul war während der kurzen Herrschaft der Rufo-Partei öfter hier gewesen und kannte den größern Theil der Küste ziemlich genau. Er wußte, daß sein kleiner Lugger an den meisten Stellen bis dicht an die Felsen vorrücken konnte, und war überzeugt, daß, wenn er überhaupt auf eines von den Booten der Proserpina träfe, dieß ganz nahe am Lande geschehen müßte. Da aber der Nachtwind von der Campagna zwischen dem Vesuv und Castelamare herüber geraden Wegs in den Golf hereinwehte, so wurde es nöthig, den Feu-Follet, sobald er dicht an den Klippen war, vom Ufer abzuhalten. Dort war die Dunkelheit am größten, und weder Takelage noch Umrisse konnten auf eine weitere Strecke erkannt werden.

Eben während er herumwendete, und ehe noch die Vorsegel aufgezogen waren, hörte Raoul plötzlich einen lauten Ruf am Vordertheil.

»Felucke, ahoi!« schrie Einer auf englisch, und ein Boot stand dicht an dem Buge des Luggers.

»Halloh!« antwortete Ithuel und erhob den Arm, um Denen in seiner Nähe Schweigen zu gebieten.

»Was ist das für ein Fahrzeug?« fragte der in dem Boot.

»Eine Felucke, welche der Admiral herabgeschickt hat, um nach der Proserpina zu sehen: da wir sie zu Capri nicht fanden, so sind wir jetzt wieder auf dem Rückwege nach dem Ankerplatz der Flotte.«

»Haltet gefälligst einen Augenblick, Sir; ich will zu Euch an Bord kommen. Vielleicht kann ich Euch aus der Noth helfen, denn ich weiß zufällig etwas von jener Fregatte.«

»Ja, ja, Sir; aber sputet Euch ein wenig, wenn's gefällig ist, denn wir müssen diesen Wind, so lange er anhält, so gut als möglich benützen.«

Es ist merkwürdig, wie leicht wir uns täuschen lassen, sobald einmal unsere Ideen eine falsche Richtung genommen haben. Dieß war denn auch mit dem Mann auf dem Boote der Fall, denn er hatte sich in den Kopf gesetzt, er sehe die Umrisse einer Felucke, die so häufig in jenen Gewässern getroffen werden, und der Gedanke, daß er den ersehnten Lugger vor sich habe, war ihm nie in den Sinn gekommen. Von diesem Irrthum verleitet, befand er sich bald an der Seite des Luggers und auf dem Verdecke seines Feindes.

»Kennst du diesen Herrn, Etouelle?« fragte Raoul, der seinem Besuche bis an die Fallreepstreppe entgegen gegangen war.

»Es ist Mr. Clinch, der Untersteuermann auf der verfluchten Proserpina – der Nämliche, der uns dort drüben bei der Landspitze auf unserer Jolle ansprach.«

»Wie!« rief Clinch und seine Unruhe war in seiner Stimme deutlich zu erkennen – »bin ich etwa in die Hände von Franzosen gefallen?«

»Ja, Monsieur,« gab Raoul höflich zur Antwort, »aber nicht in die Hände von Feinden. Dieß ist der Feu-Follet und ich bin Raoul Yvard.«

»So ist alle Hoffnung auf Johanna für immer dahin! Ich habe einen glücklichen Tag verlebt, wenn er auch mit Geschäften überhäuft war, denn ich fing an zu glauben, daß mir auf Erden noch eine Aussicht blühe. Man kann Nelson nicht leicht vor sich sehen, ohne frischen Muth zu fassen und den Wunsch zu nähren, ihm einigermaßen ähnlich zu werden – aber ein Gefängniß ist nicht der Ort für Beförderung!

»Laßt uns in meine Kajüte treten, Monsieur; dort können wir uns behaglicher und bei Licht besprechen.«

Clinch war in Verzweiflung, und es galt ihm jetzt vollkommen gleich, wohin man ihn führen mochte. Bald saß er in der Kajüte – ein Bild der Hoffnungslosigkeit – und betrachtete die Branntweinflasche, die vor ihm auf dem Tische stand, fast mit derselben Wildheit, wie man sich den hungrigen Wolf vor einem Lamme denkt, eben ehe er in den Schafpferch eindringt.

»Ist dieß der Herr, den du meinst, Etouelle?« fragte Raoul, als die Kajütenlampe dem Gefangenen in's Gesicht schien – »derselbe, der so sehr erfreut war, als er hörte, daß sein Feind nicht aufgehängt wurde?«

»Der nämliche, Kapitän Rule: im Ganzen ist er ein gutmüthiger Offizier – der sich selbst mehr als jedem Andern schadet. Man sagte auf der Fregatte, er sei nach Neapel gegangen, um Euch irgend einen guten Dienst zu leisten.«

» Bon! Ihr seid lange auf Eurem Boote gewesen, Mr. Clinch: wir wollen Euch ein gutes Mahl nebst einem Glase Wein vorsetzen, und dann soll es Euch frei stehen, Eure Fregatte aufzusuchen und wieder unter Eure eigene Flagge zurückzukehren.«

Clinch starrte den Sprechenden an, als ob er das, was er hörte, nicht glauben könnte oder wollte: dann aber trat ihm die Wahrheit mit einem Male vor Augen und er brach in Thränen aus. Den ganzen Tag über waren seine Gefühle in Extremen umhergeschweift: das erneuerte Vertrauen und der Rath seines Kapitäns hatten ihm frische Hoffnung und damit eine ferne Aussicht auf künftiges Glück eröffnet. Bis jetzt hatte er sein Bestes gethan, und gerade weil er noch mehr leisten wollte, war er seinem Feinde in die Hände gefallen. Für einen einzigen Augenblick war das schöne Luftschloß, welches seine wiederbelebten Hoffnungen den Tag über so emsig zusammengefügt hatten – in Trümmer gegangen; aber Raouls freundliches Wesen, seine Worte und Ithuels Erläuterungen wälzten die Bergeslast von seiner Brust – und er wurde von seinem Gefühle überwältigt.

Keiner wird je so tief herabsinken, daß nicht Funken jenes stolzen Geistes in ihm zurückblieben, die mit den gröberen Theilen unserer sinnlichen Natur verbunden ist. Clinch trug das lebendige Bewußtsein in sich, daß er eines Bessern fähig sei, und so oft das Bild der geduldigen, aufopfernden und standhaften Johanna vor seine Seele trat, um ihm seine Schwächen vorzuwerfen, hatte es ihm Augenblicke der tiefsten Seelenangst verursacht. Zwar hatte sie diesen Vorwürfen niemals Worte gegeben – sich vielmehr immer geweigert, den Verleumdungen seiner Feinde – wofür wenigstens sie dieselben ansah – Glauben zu schenken: aber Clinch vermochte nicht immer jenen Geist in sich zu beruhigen, und er schämte sich oft vor sich selbst, wenn er daran gedachte, wie Johanna die Last hinausgeschobener Hoffnung mit so viel größerer Standhaftigkeit als er selbst ertrug. Die neuliche Unterredung mit Cuffe hatte Alles, was noch von Ehrgeiz und Selbstachtung in ihm war, auf's Neue erweckt, und er hatte die Fregatte heute Morgen mit dem festen, männlichen Entschlusse verlassen, sich zu bessern und mit unablässiger, ausdauernder Anstrengung danach zu streben, daß er ein Lieutenantspatent und mit diesem – seine Johanna erhielte. Dann kam die Gefangennehmung und ein Augenblick tiefer Verzweiflung, bis Raouls Großmuth die Last von ihm wälzte und die Aussicht auf's Neue heiter wurde.


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