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Sechstes Kapitel

Sind Alle fertig?
Ja; auch eingeschifft sind sie – von unsern Booten
Erwartet noch das letzte seinen Führer.
– Nun wohl: mein Schwert und meinen Mantel!

Der Corsar.

 

Welchen Erfolg Ithuels Kunstgriff äußerte, ließ sich, soweit dieß nämlich die Fregatte betraf, unmöglich bestimmen. Jedenfalls schien zwischen den beiden Schiffen ein gegenseitiges Einverständniß zu herrschen, und dieß hatte wenigstens bei den Leuten am Ufer das Resultat, daß ihr Verdacht gegen den Lugger gehoben wurde. Es hatte so wenig Wahrscheinlichkeit, daß ein französischer Corsar die Signale einer englischen Fregatte sollte beantworten können, daß sich selbst Vito Viti gedrungen fühlte, dem Vicestatthalter in einem Flüstern seine Meinung dahin zu erkennen zu geben, daß dieser Umstand »soweit« sehr zu Gunsten der Loyalität des Luggers spreche. Dann mußte doch auch Raouls äußere Ruhe in Anschlag gebracht werden, besonders da er, allem Anschein nach als gleichgültiger Beobachter, unter ihnen zurückblieb, während doch das fremde Schiff im raschesten Laufe heranrückte.

»Wir werden jetzt freilich keine Veranlassung haben, Euer edles Anerbieten anzunehmen, Signor Smees,« begann Andrea in verbindlichem Tone, während er sich anschickte, sich mit einigen seiner Räthe nach dem Statthalterspalaste zu begeben – »sind Euch aber nichtsdestoweniger zu großem Danke verpflichtet. Es ist ein Glück für uns, daß wir an Einem Tage mit dem Besuche von zwei Kreuzern Eurer großen Nation beehrt werden, und ich hoffe, Ihr werdet mir den Gefallen erweisen und den Kapitän, Euren Landsmann, begleiten, wenn er mir die Ehre erweist, den üblichen Besuch bei mir abzustatten, da es doch seine ernstliche Absicht zu sein scheint, dem Hafen von Porto Ferrajo sein Kompliment zu machen. Könnt Ihr nicht vielleicht den Namen der Fregatte errathen?«

»Ich glaube, ja, Signore,« gab Raoul gleichgültig zur Antwort; »da sie sich nunmehr als Landsmann zu erkennen gegeben, so halte ich sie für die Proserpina, ein ursprünglich französisches Schiff, – ein Umstand, der mich auch anfänglich über ihren Charakter irre führte.«

»Und der edle Cavalier, ihr Kommandant – Ihr kennt doch ohne Zweifel seinen Rang und Namen?«

»O, ganz genau; er ist der Sohn eines alten Admirals, unter dem ich erzogen wurde; wir selbst sind aber bis jetzt noch nie zusammengetroffen. Sir Brown – da habt Ihr Name und Titel jenes Gentleman.«

»Aha! das ist, wie man wohl sagen könnte, ein ächt englischer Name und Titel. Ich habe diese ehrenwerthe Benennung schon oft im Shakespeare und in anderen Eurer großen Schriftsteller getroffen. Auch Miltoni hat einen Sir Brown, wenn ich nicht irre – nicht wahr, Signore?«

»Ihrer mehrere, Signor Vicestatthalter,« gab Raoul, ohne sich auch nur einen Augenblick zu besinnen, zur Antwort, obgleich er keine Idee davon hatte, wer Milton eigentlich war – »Milton, Shakespeare, Cicero und alle unsere großen Schriftsteller erwähnen der Herren aus dieser Familie sehr häufig.«

»Cicero!« wiederholte Andrea verwundert; – »der war ja ein Römer, Capitano, und zwar einer von den alten; er starb, noch ehe England der gebildeten Welt überhaupt bekannt war.«

Jetzt merkte Raoul, daß er zu weit gegangen war; doch kam er noch keineswegs in Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren. Mit einem Lächeln, als ob er den Andern wegen seiner provinziellen Denkweise bemitleide, antwortete er in erläuterndem, halb und halb entschuldigendem Tone und mit einem Nachdruck, der einem Politiker Ehre gemacht haben würde:

»Ganz richtig, Signor Vicestatthalter – so weit es nämlich den betrifft, welchen Ihr meint; nicht aber, in so fern sich's um Sir Cicero, meinen berühmten Landsmann, handelt. Laßt doch 'mal sehen – ich glaube, es ist noch keine hundert Jahre, seit unser Cicero mit Tod abging. Er war in Devonshire geboren« – dieß war nämlich die Grafschaft, wo Raoul als Gefangener gewesen – »und muß in Dublin gestorben sein. Si – jetzt erinnere ich mich ganz genau – es war in Dublin, wo dieser tugendhafte und ausgezeichnete Schriftsteller seinen Geist aufgab.«

Auf alles Das hatte Andrea nichts zu erwiedern. Vor fünfzig Jahren herrschte unter den gebildeten Völkern noch solche Unwissenheit in derartigen Dingen, daß man der englischen Literatur ebensogut einen Homer hätte aufpfropfen können, ohne eben große Gefahr zu laufen, daß der Betrug entdeckt worden wäre.

Signor Barrofaldi war allerdings nicht sehr erfreut, da er fand, daß die Barbaren sich auch italienische Namen anmaßten: doch war er nicht abgeneigt, gerade diesen Umstand für ein Zeichen von Barbarei – der unvermeidlichen Folge ihrer eigentlichen Abstammung – zu nehmen. Zu glauben, daß ein Mann, der sich mit der Leichtigkeit und Unbefangenheit Raouls äußerte, alle diese Geschichten nur so erfinden könnte – das war ein Gedanke, der ihm bei seiner Unerfahrenheit unmöglich beifallen konnte, und das erste Geschäft, das er beim Wiedereintritte in seinen Palast vornahm, war ein Notabene, das er sich machte, um später in einem müssigen Augenblicke über die Schriften und allgemeinen Verdienste Sir Cicero's, des berühmten Namensvetters des Römers, Nachforschungen anzustellen.

Sobald diese kleine Abschweifung vorüber war, trat er in den Palast, nachdem er nochmals seine Hoffnung ausgedrückt hatte: »Sir Smees« würde doch nicht ermangeln, »Sir Brown« bei dem Besuche zu begleiten, den der würdige Statthalter auf's Bestimmteste im Laufe der nächsten paar Stunden zu erhalten hoffte.

Die Gesellschaft begann sich nun zu zerstreuen, und Raoul sah sich bald seinen eigenen Gedanken überlassen, die gerade in diesem Augenblicke nichts weniger als angenehmer Natur waren.

Die Stadt Porto Ferrajo ist durch den Felsen, an dessen Fuße sie liegt, durch ihre Festungswerke und die Bauart ihres kleinen Hafens dermaßen von aller Aussicht auf die See ausgeschlossen, daß ihre Bewohner die Annäherung eines Schiffes niemals bemerken können, außer wenn sie sich nach den schon erwähnten Höhen und der daselbst befindlichen schmalen Promenade verfügen.

Dieser Umstand hatte abermals eine große Volksmenge auf dem Hügel versammelt, durch welche sich nun Raoul seinen Weg bahnen mußte. Seine Schiffsmütze und die angenommene Seeuniform, die er nicht ohne eine gewisse affektirte Zierlichkeit zur Schau stellte, trug nicht wenig dazu bei, die Vorzüge seiner äußern Erscheinung, deren er sich recht wohl bewußt war, gehörig in's Licht zu stellen. Sein unruhiges Auge wanderte von einem hübschen Gesicht zum andern, um Ghita aufzufinden, welche der einzige Gegenstand seines Suchens und in der That auch die alleinige Ursache der verdrießlichen Lage war, in welche er nicht nur sich selbst, sondern auch den Irrwisch versetzt hatte.

Während er auf diese Art bald an das Mädchen dachte, das er suchte, bald seine Gedanken wieder auf seine eigene Lage in einem feindlichen Hafen richtete, war er längs der ganzen Seite des Hügels hingewandert, und wußte jetzt kaum mehr, ob er wieder umkehren oder auf einem Umwege um die Stadt sein Boot aufsuchen sollte, als er plötzlich eine süße Stimme, die ihm augenblicklich zum Herzen drang, seinen Namen rufen hörte. Rasch umwendend sah er Ghita nur wenige Schritte vor sich stehen.

»Grüße mich zurückhaltend und als Fremder,« flüsterte das Mädchen in athemloser Hast, »und deute nach den verschiedenen Straßen, als ob du mich nach dem Wege durch die Stadt fragen wolltest. Dieß ist der Ort, wo wir uns gestern Abend getroffen – vergiß aber nicht, daß es jetzt nicht mehr dunkel ist.«

Raoul erfüllte ihr Begehren, und wer die Beiden aus der Ferne betrachtete, konnte ihr Zusammentreffen wohl für zufällig halten, obwohl der junge Mann seiner Liebe und Bewunderung in einem Strome von Lobsprüchen Luft machte.

»Genug, Raoul,« sprach das Mädchen und schlug erröthend die Augen nieder, obwohl kein Unwillen auf ihrem reinen, milden Antlitze sichtbar war; »ein ander Mal habe ich Zeit, auf solche Reden zu hören. Wie viel schlimmer ist deine Lage nunmehr geworden, als sie noch gestern Nacht war! Damals hattest du blos den Hafen zu fürchten: jetzt aber hast du nicht nur das Volk dieses Hafens, sondern auch dieses fremde Schiff vor dir – ein englisches Fahrzeug, wie mir gesagt wurde.«

»Ohne Zweifel – die Proserpina; Etouell sagt es; er kennt sie genau. Du erinnerst dich Etouells, theuerste Ghita – jenes Amerikaners, der zu gleicher Zeit mit mir im Gefängnisse saß? – nun, siehst du, er hat auf jener Fregatte gedient und behauptet, es sei die Proserpina von vierundvierzig Kanonen!« Raoul schwieg einen Augenblick: dann brach er in ein Lachen aus, das seine Gefährtin sehr in Erstaunen setzte, indem er fortfuhr: » Oui – la Proserpine, le Capitaine Sir Brown!«

»Was du bei alle Dem so belustigend finden kannst, Raoul, ist mehr, als ich zu verstehen vermag. Sir Brown oder Sir Irgendwersonst wird dich wieder auf jene schlimmen englischen Galeeren zurückschicken, von denen du mir schon so oft erzählt hast, und in diesem Gedanken kann doch nichts Angenehmes liegen.«

»Pah! meine süße Ghita – Sir Braun Brown heißt auf deutsch: Braun.
D. U.
oder Sir Weiß oder Sir Schwarz hat mich ja noch nicht in seinen Klauen. Ich bin kein Kind, das in's Feuer hineintaumelt, weil man ihm die Gängelbande gelöst hat, und der Irrwisch leuchtet oder erlischt ganz, wie es seinen Zwecken am besten zusagt. Ich wette zehn gegen eins, die Fregatte kommt in den Hafen herein, besieht uns in der Nähe und viert dann wieder, um sich nach Livorno zu wenden, wo ihre Offiziere weit bessere Unterhaltung als hier in Porto Ferrajo finden. Dieser Sir Brown hat gewiß ebensogut seine Ghita wie Raoul Yvard.«

»Nein, eine Ghita hat er, fürcht' ich, nicht, Raoul,« antwortete das Mädchen, gegen ihren Willen lächelnd, während die Röthe ihrer Wangen unmerklich zunahm – »Livorno hat wenig so unwissende Landmädchen, die, wie ich, in einem einsamen Wartthurm an der Küste auferzogen wurden.«

»Ghita,« fiel Raoul voll Gefühl ein, »um jenen einsamen Wartthurm dürfte dich manche edle Dame zu Rom oder Neapel beneiden, denn er hat dir die Unschuld des Herzens erhalten – eine Perle, wie große Städte sie nur selten aufzuweisen haben; denn wenn sie sich dort auch findet, so ist ihre Reinheit durch Gebrauch getrübt und ihre ursprüngliche Schönheit verloren.«

»Was weißt du von Rom und Neapel, von edlen Damen oder reichen Perlen, Raoul?« rief das Mädchen lächelnd, während die Zärtlichkeit, die ihr Herz in diesem Augenblick erfüllte, ihr unwillkürlich aus den Augen sprach.

»Was ich von solchen Dingen verstehe? – nun, in der That, ich bin ja in beiden Städten gewesen, und habe mit eigenen Augen gesehen, was ich beschreibe. Ich ging nach Rom, um den heiligen Vater zu sehen und mich zu überzeugen, ob unsere französischen Ansichten über seinen Charakter und seine Unfehlbarkeit richtig seien oder nicht, ehe ich mich für eine bestimmte Religion entschiede.«

»Und du fandest ihn wirklich ehrwürdig und heilig, Raoul,« fiel das Mädchen mit Ernst und Nachdruck ein, denn dieß war ein Thema, worüber große Meinungsverschiedenheit zwischen Beiden herrschte – »ich weiß, du fandest ihn so – würdig, das Oberhaupt einer uralten, wahren Kirche zu sein. Meine Augen haben ihn noch nie gesehen, aber ich weiß, daß dieß die Wahrheit ist.«

Raoul wußte wohl, daß die Laxheit seiner religiösen Ansichten – die bei dem damaligen sittlichen Zustande seines Vaterlandes gleichsam auf ihn vererbt worden waren – Ghita allein noch abhielt, alle andern Bande von sich zu werfen, und für immer alles Wohl und Wehe mit ihm zu theilen. Doch war er zu offen und edelgesinnt, um sie betrügen zu wollen, dabei aber auch von jeher viel zu umsichtig, als daß er ihren tröstenden Glauben, ihr schönes Vertrauen zu erschüttern versucht hätte. Gerade ihre Schwäche – denn in diesem Lichte erschienen ihm ihre Ansichten – hatte einen eigenen Reiz für ihn, denn nur wenige Männer, so sehr sie sich selbst als Freigeister oder Skeptiker zeigen mögen, finden Vergnügen an dem Anblick eines Weibes, das die Ungläubige spielt, und er hatte nie zärtlicher in ihr ängstliches, aber liebliches Antlitz geschaut, als eben in diesem Augenblick, da er ihre Frage mit einer Wahrheitsliebe beantwortete, welche in der That an Großherzigkeit gränzte.

» Du bist meine Religion, Ghita!« sprach er; »in dir verehre ich Reinheit und Heiligkeit und –«

»Nein – nein, Raoul, das darfst du nicht – halt ein; wenn du mich wahrhaft liebst, sprich nicht mehr so fürchterliche Gotteslästerung. Sage mir lieber, ob du den heiligen Vater nicht so fandest, wie ich ihn beschrieben habe?«

»Ich fand in ihm einen friedfertigen, ehrwürdigen und – ich glaube zuversichtlich, auch einen guten Greis, Ghita, aber weiter nichts als einen Menschen. Von Unfehlbarkeit konnte ich nichts an ihm bemerken, wohl aber sah ich seinen Stuhl von einer Rotte spitzbübischer Kardinäle und anderer Unglücksstifter umgeben, die weit besser dazu geeignet waren, einen ehrlichen Christenmenschen an der Nase herumzuführen, als ihn gen Himmel zu leiten.«

»Sprich nicht weiter, Raoul – ich will nichts mehr davon hören. Du kennst diese heiligen Männer nicht und deine Zunge ist dein eigener Feind, ohne – horch! was hat das zu bedeuten?«

»Das ist ein Kanonenschuß von der Fregatte – da muß ich eiligst nachsehen. – Sprich, wann und wo werden wir uns wiedersehen?«

»Das weiß ich jetzt noch nicht. So wie die Sachen stehen, sind wir schon zu lange, ja viel zu lange beisammen und müssen uns jetzt trennen. Ueberlaß es mir, die Mittel zu einer späteren Zusammenkunft aufzufinden; auf alle Fälle werden wir in kurzer Zeit wieder in unserem Thurme sein.«

Kaum hatte Ghita geendet, so glitt sie davon und war bald in der Stadt verschwunden. Raoul selbst war einen Augenblick unschlüssig, ob er ihr folgen sollte oder nicht: dann aber eilte er wieder auf die Terrasse vor dem Statthaltereigebäude, um den Zweck des Kanonenschusses zu erforschen. Der Knall hatte auch andere Personen nach derselben Stelle gelockt, und als er oben ankam, fand sich der junge Mann abermals von einer neugierigen Menge umgeben.

Mittlerweile war die Proserpina – denn Ithuel hatte sich in dem Namen des Fremden nicht getäuscht – dem Eingange des Hafens bis auf eine Meile nahe gekommen; sie hatte jetzt beigedreht und steuerte gegen die Ostküste, offenbar in der Absicht, in kurzer Zeit in den Hafen einzulaufen. Der Rauch, der dem Kanonenschusse gefolgt war, zog eben in einer leichten Wolke leewärts und an der großen Bramraa flatterten abermals Signale.

Dieß Alles war Raoul vollkommen verständlich, denn er erkannte auf den ersten Blick, daß die Fregatte in doppelter Absicht näher gekommen war, einmal, um sich den Lugger, der mit so kriegerischer Miene in der Bai vor ihr lag, schärfer zu besehen und dann, um durch Signale besser mit ihm verkehren zu können.

Ithuels Auskunftsmittel hatte nicht genügt, denn der wachsame Kapitän Cuffe, alias Sir Brown, der die Proserpina kommandirte, war nicht der Mann, der sich durch einen wirklich abgenützten Kunstgriff so leicht betrügen ließ.

Raoul stand in athemloser Erwartung, und beobachtete den Lugger, begierig, was derselbe jetzt vornehmen würde.

Ithuel hatte, wie es schien, durchaus keine Eile, sich selbst zu kompromittiren, denn das Signal war nun schon mehrere Minuten am Bord der Fregatte aufgesteckt, und immer noch auf dem Lugger kein Zeichen von Vorbereitung zu einer Antwort zu entdecken. Endlich geriethen die Fallen auf dem Irrwische in Bewegung, und drei schöne, stattliche Flaggen stiegen am Ende der Bratspillraa empor, welche man bei ruhigem Wetter fast immer aushängen ließ.

Was das Signal zu bedeuten hatte, konnte Raoul nicht erkennen, denn er war zwar mit allen den Signalen versehen, vermöge welcher er mit den Kriegsschiffen seiner eigenen Nation verkehren konnte: ihm aber auch diejenigen zu verschaffen, welche zu einer Communication mit dem Feinde erforderlich gewesen wären, hatte natürlich die Kräfte des Direktoriums überstiegen.

Ithuels Erfindsamkeit hatte übrigens in dem vorliegenden Falle dem Mangel abzuhelfen gewußt. So lange er noch am Bord der Proserpina – demselben Schiffe, von dem der Lugger jetzt bedroht war – diente, hatte er gesehen, wie die Fregatte mit einem englischen Kaper, auch einem Lugger – neben einem oder zwei anderen das einzige Fahrzeug dieser Bauart, welches von England ausgelaufen – zusammengetroffen war, und sein scharfbeobachtendes Auge hatte sich die Flaggen, welche jener Lugger damals aufgesteckt, wohl gemerkt. Da man nun von der Mannschaft eines Kapers keine große Gewandtheit oder selbst Genauigkeit im Gebrauche von Signalen erwarten konnte, so hatte er beschlossen, dieselbe Nummer aufzustecken, mochte dann auch daraus folgen, was da wollte.

Wäre er auf dem Quarterdecke der Fregatte gestanden, so hätte er aus Kapitän Cuffe's Verwünschungen abnehmen können, wie seine List in so weit gelungen war, daß dieser Offizier seine unverständliche Antwort eher der Unwissenheit als einer betrügerischen Absicht zuschrieb. Nichtsdestoweniger schien die Fregatte keineswegs zu einer Aenderung ihres Kurses geneigt zu sein, denn, war es nun, daß sie in dem Hafen vor Anker gehen oder den Lugger gar noch genauer untersuchen wollte – so viel ist gewiß, daß sie ihre Fahrt fortsetzte, und sich der östlichen Seite der Bai mit der Geschwindigkeit von ungefähr sechs Meilen in der Stunde näherte.

Raoul Yvard hielt es nunmehr für passend, in eigener Person für die Sicherheit des Irrwisches aufzutreten. Ehe er an's Land gegangen war, hatte er seine vorläufigen Befehle darüber ertheilt, was im Falle einer Annäherung der Fregatte geschehen sollte; die Umstände erschienen ihm aber jetzt so ernsthaft, daß er den Hügel hinabeilte und selbst Vito Viti noch einholte, der nach dem Hafen gegangen war, um einigen Bootsleuten über die Art und Weise, wie die Quarantainegesetze bei dem Verkehr mit einer brittischen Fregatte gehandhabt werden sollten, seine Weisungen zu ertheilen.

»Ihr müßt ja unendlich glücklich sein in der Aussicht, in diesem Sir Brown einem ehrenwerthen Landsmann zu begegnen,« meinte der engbrüstige Podesta, der gewöhnlich sowohl beim Herab- als beim Hinansteigen der steilen Straße den Athem verlor; »er scheint in der That entschlossen zu sein, in der Bai vor Anker zu gehen, Signor Smees.«

»Euch die Wahrheit zu gestehen, Signor Podesta, so muß ich bekennen, daß ich froh wäre, wenn ich jetzt nur noch halb so fest, wie vor einer Stunde, daran glauben könnte, daß wir wirklich Sir Brown und die Proserpina vor uns haben. Ich sehe allerhand Symptome, nach welchen ich ihn am Ende doch für einen Republikaner halten muß, und ich gehe deßhalb, um für den Ving and Ving auf meiner Hut zu sein.«

»Der Teufel hole alle Republikaner – so lautet mein demüthiges Gebet, Signor Capitano; doch kann ich kaum glauben, daß eine so graziöse und stattlich aussehende Fregatte in der That solchen Bösewichtern gehören könnte.«

»O Signore, wenn dieß Alles wäre, so müßten wir, fürcht' ich, die Palme am Ende doch den Franzosen zuerkennen,« gab Raoul lachend zur Antwort, »denn gerade die stattlichsten Fahrzeuge in seiner Majestät Diensten sind republikanische Prisen. Selbst wenn die Fregatte dort drüben sich wirklich als die Proserpina erweisen sollte, so könnte sie sich keines bessern Ursprungs rühmen. Ich glaube aber, der Vicestatthalter hat nicht wohl daran gethan, die Batterien leeren zu lassen, denn der Fremde beantwortet unsere Signale nicht so, wie er sollte. Unsere letztere Mittheilung ist ihm völlig unverständlich geblieben.«

Raoul war der Wahrheit näher, als er sich vielleicht denken mochte, denn nach dem Signalbuche der Proserpina waren Ithuels Nummern allerdings baarer Unsinn. Seine zuversichtliche Miene blieb aber bei Vito Viti nicht ohne Wirkung: der anscheinenden Ernsthaftigkeit des Andern, so wie dem eben erwähnten Umstande, der freilich, beim rechten Licht betrachtet, ebensosehr gegen seinen Gefährten als zu dessen Gunsten sprach, gelang es endlich, den Letzteren abermals irre zu führen.

»Und was ist da zu thun, Signore?« fragte der Podesta, indem er plötzlich auf der Straße stehen blieb.

»Wir müssen's eben machen, so gut wir's unter den jetzigen Umständen vermögen. Meine Pflicht ist, für den Ving and Ving zu sorgen – die Eure, für die Stadt bedacht zu sein. Sollte der Fremde wirklich in die Bai hereinkommen, und seine Breitseite auf gehörige Schußweite gegen diesen steilen Hügel drehen, so hättet Ihr kein Fenster in der ganzen Stadt, das nicht der Mündung seiner Kanonen offen läge. Ihr werdet mir darum erlauben, in den innern Hafen hereinzusteuern, wo wir durch die Häuser vor seinen Kugeln geschützt sind, und dann möchte es vielleicht gut sein, wenn wir meine Leute in die nächste Batterie schickten. Ich sehe in kurzer Zeit einem Blutvergießen und großer Verwirrung entgegen.«

Dieß Alles wurde mit so viel anscheinender Aufrichtigkeit vorgetragen, daß der Podesta dadurch nur um so vollständiger überlistet wurde. Er rief einen Nachbar, und schickte denselben mit einer Botschaft an Andrea Barrofaldi den Hügel hinauf, während er selbst nach dem Hafen eilte, da er, besonders in dem jetzigen Augenblicke, noch weit eher bergab als bergan zu steigen vermochte. Raoul blieb ihm dicht an der Seite, und Beide erreichten zusammen den Rand des Wassers.

Der Podesta gehörte zu denjenigen Personen, die eben so gerne ihrem Gefühle als ihrem Verstande Gehör geben, und war von jeher sehr geneigt, jede Ansicht, die für den Augenblick bei ihm vorherrschte, auch sogleich zu äußern. So scheute er sich denn auch keineswegs, bei gegenwärtiger Veranlassung gegen die Fregatte los zu ziehen, denn da er einmal an dem Köder, den ihm der Andere so geschickt hingeworfen, angebissen hatte, so äußerte er auch sein Mißtrauen laut und vernehmlich. All' das Signalisiren und Flaggenaufstecken hielt er nun für weiter nichts als für republikanische List, und genau in demselben Verhältniß, als er sich über den vermeinten Betrug der Fregatte zu ärgern anfing, wurde er auch immer geneigter, der Ehrlichkeit des Luggers blindlings zu vertrauen.

So war der Bürgermeister mit einem Male gänzlich umgewandelt, und wie dieß bei allen plötzlichen, aber späten Veränderungen geschieht, so war er jetzt ganz in der Laune, das frühere Zaudern durch das Uebermaaß seines jetzigen Eifers wieder gut zu machen. Bei dieser Stimmung und noch mehr bei dem Charakter und der Geschwätzigkeit des Mannes, welcher Raoul nur zuweilen durch einige zeitgemäße Einflüsterungen nachzuhelfen suchte, war es kein Wunder, daß nach fünf Minuten die Ansicht allgemein verbreitet war, die Fregatte sei in hohem Grade verdächtig, während der Lugger genau in demselben Maaße, als der Andere in der öffentlichen Gunst fiel, immer höher in derselben steigen mußte.

Diese Einmischung Vito Viti's kam, soweit es wenigstens den Irrwisch und dessen Mannschaft betraf, ausnehmend gelegen, denn die vorangegangenen Beobachtungen und der Verkehr mit den Bootsleuten hatten in Betreff ihrer eigentlichen Nationalität eher einen ungünstigen als vortheilhaften Eindruck zurückgelassen. Mit einem Worte, Tommaso Tonti und seine Genossen standen eben auf dem Punkte, ihre Ueberzeugung dahin auszusprechen, daß diese Leute sammt und sonders Wölfe in Schafskleidern – d. h. Franzosen seien, wenn der Podesta nicht so laut und nachdrücklich das Gegentheil behauptet hätte.

» No, no – amici miei« sprach Vito Viti, während er lärmend auf dem schmalen Quai hin und her ging, »glaubt mir, es ist nicht Alles Gold, was glänzt, und diese Fregatte ist wahrscheinlich kein Alliirter, sondern ein Feind. Ganz anders dagegen verhält sich's mit dem Ving-y-Ving und Signor Smees hier – wir dürfen wohl sagen, daß wir ihn kennen. – Wir haben seine Papiere eingesehen, und der Vicestatthalter, wie ich, haben ihn so zu sagen über die Geschichte und die Gesetze seiner Insel examinirt, denn England ist eine Insel, meine guten Nachbarn, so gut wie Elba – ein Grund weiter, um Achtung und Freundschaft für deren Bewohner zu hegen. Wir haben Vielerlei über Englands Geschichte und Literatur zusammen besprochen, und darum sind wir jetzt auch verbunden, dem Lugger unsere Liebe und unsern Schutz angedeihen zu lassen.«

»So ist's recht, Signor Podesta,« rief Raoul aus seinem Boote herüber; »und da dieß der Fall ist, so will ich mich beeilen, mein Schiff in die Mündung Eures Hafens herein zu holen, um dasselbe gegen die Boote dieser schurkischen Republikaner zu vertheidigen und jeden Versuch einer Landung zu hintertreiben.«

Mit der Hand winkend verließ der junge Mann rasch den dicht mit Menschen besetzten Hafen, während noch hundert Viva's ihm nachschallten.

Raoul sah nun, daß seine Befehle nicht vernachlässigt worden waren. Von dem Lugger war eine schmale Leine ausgeworfen und auf der inneren, östlichen Seite des schmalen Hafens an einem Ringe befestigt worden, scheinbar in der Absicht, um das Schiff in den Hafen selbst hereinzuhalen. Ebenso bemerkte er, daß der Bugsiranker, woran der Irrwisch befestigt war, nach dem Ausdruck der Seeleute »unter seinem Fuße lag«, oder daß das Kabeltau nahezu »auf und nieder« stand.

Mit einem Winke der Hand ertheilte er einen neuen Befehl, und sah alsbald, wie seine Leute den Bugsiranker aus der Tiefe holten. Bis er das Verdeck seines Luggers betrat, war der Anker bereits gelichtet und aufgestaut, und nichts hielt das Schiff zurück, als die Leine, welche am Quai festgemacht war.

Hundert Hände zogen an dieser Leine, und der Lugger näherte sich rasch der Stelle, wo er sich Sicherheit versprechen konnte. Durch einen eigenen Kunstgriff verhinderte Raoul aber, daß er nicht in die Mündung des Hafens einlief. Die Leine war nämlich hinten an dem Backbordkrahnbalken befestigt – ein Umstand, wonach der Lugger nothwendig in der entgegengesetzten Richtung, d. h. gegen die östliche Seite des Eingangs gieren mußte.

Wenn der Leser sich erinnert, daß der Hafen nur in sehr kleinem Maaßstabe erbaut und der Eingang kaum breiter als hundert Fuß war, so wird er die Lage der Dinge um so besser verstehen. Um die angefangene Bewegung scheinbar noch zu unterstützen, war zu gleicher Zeit das Bratspillsegel ausgesetzt worden, so daß der Lugger, da der Wind von Süden, also gerade von hinten kam, in raschem, graziösem Laufe dahinzog.

Als derselbe dem Eingange näher kam, wurde die Leine einige Mal umschlungen, so daß das Schiff mit der Geschwindigkeit von drei bis vier Knoten in der Stunde dahinschoß und seine Büge gerade gegen die Spitze des Hafendammes anzurennen drohten.

Ein solcher Mißgriff lag aber keineswegs in Raoul Yvards Absicht. Die Leine wurde im rechten Augenblicke gekappt, das Steuer so gestellt, daß das Gallion steuerbord zu stehen kam, und eben als Vito Viti, der Alles mit ansah, ohne auch nur die Hälfte davon zu verstehen, in neue Viva's ausbrach, und Alle rings um ihn her zu gleichem Rufe ermunterte, glitt der Lugger, statt in den Hafen einzulaufen, ganz dicht an dessen Außenseite vorüber.

So vollständig war Jedermann durch dieses Manöver überrascht, daß man es im Anfang für ein Mißverständniß, einen unglücklichen Zufall oder für ein Versehen des Steuermanns hielt, und manche von den Zuschauern ihr Bedauern darüber äußerten, daß die Fregatte es nun vielleicht in ihrer Gewalt habe, sich diesen Unfall zu Nutze zu machen. Das Flattern der Leinwand zeigte übrigens, daß man auf dem Lugger keine Zeit verloren hatte, und im nächsten Augenblicke sah man den Irrwisch mit vollen Segeln an einer Lücke zwischen den Waarenhäusern vorüberschießen.

In diesem Augenblicke vierte die Fregatte und schwenkte mit dem Gallion westwärts. Sie hatte Alles gesehen, was vorgegangen war, hatte sich aber, eben so wie alle Uebrigen, täuschen lassen in der Meinung, der Lugger wolle dem Hafen zusteuern. Der Engländer war aber in der Absicht, die Bai recht genau zu durchstöbern, bereits so weit gegen das östliche Ufer hinausgesteuert, daß er jetzt zwei volle Meilen entfernt war, und da der Lugger, indem er das Vorgebirge umsegelte, dicht am Fuße der Felsen hinsteuerte, um dem Feuer der oberhalb befindlichen Batterien zu entgehen, so hatte er in weniger als fünf Minuten seinen Feind auf eben diese Entfernung hinter sich.

Dieß war übrigens noch nicht Alles: denn ein Feuer von der Fregatte wäre in diesem Augenblicke eben so nutzlos als gefährlich gewesen, da der Lugger die Jagdkanonen seines Feindes und den Palast des Stadthalters fast in gerader Linie hinter sich hatte. So blieb der Fregatte also nichts übrig, als was man sprüchwörtlich eine »Sternjagd«, d. h. eine »lange Jagd« zu nennen pflegt.

Alles das, was wir so eben erzählt, mochte ungefähr zehn Minuten Zeit erfordert haben; doch erhielten Andrea Barrofaldi und seine Rathgeber die Nachricht immer noch so zeitig, daß sie auf das Vorgebirge hinaustreten und den Ving-y-Ving dicht unter den Klippen am Fuße desselben vorbeipassiren sehen konnten. Raoul stand, das Sprachrohr in der Hand, am Bord seines Schiffes, das noch immer die englische Flagge von seinem Topp wehen ließ; da der Wind aber nur leicht war, so mochte seine gewaltige Stimme schon ausreichen, um den Zuschauern auch den Rest seines Mährchens vollends aufzubinden.

»Signori,« rief er, »ich will diesen schurkischen Republikaner, der auf mich Jagd macht, von eurem Hafen ablenken: dieß wird wohl der wirksamste Dienst sein, den ich euch zu erweisen vermag.«

Diese Worte wurden von den Beobachtern am Lande gehört und verstanden: die Einen ließen ein Murmeln des Beifalls vernehmen, während den Andern die ganze Sache höchst sonderbar und räthselhaft vorkam. Es blieb übrigens gar keine Zeit, um thätlich einzuschreiten, selbst wenn man einen solchen Plan gehabt hätte, denn der Lugger hielt sich zu nahe an die Küste, als daß eine Kugel ihn hätte erreichen können, und überdieß fehlte es in den Batterien an den nöthigen Vorbereitungen, um einem Feinde zu begegnen. Dann war man auch noch immer im Zweifel, gegen wen man eigentlich seinen Angriff richten sollte, und Alles ging zu rasch an den Zuschauern vorüber, als daß eine Berathung oder Verabredung möglich gewesen wäre.

Die Bewegung des Irrwisches war so leicht, daß man sie für instinktartig hätte halten können. Seine Obersegel waren alle entfaltet, obwohl die Brise nichts weniger als stark war, und wie er so auf den langen Dünungen dahinschaukelte, sah man das Wasser vor seinen keilförmigen Bügen mit einer Heftigkeit sich kräuseln, wie wenn die Strömung in ihrem Laufe einem plötzlichen Hindernisse begegnet. Nur wenn er in eine Vertiefung hinabsank und sich gegen eine neue Woge stemmte, konnte man den Schaum an seinem Gallion emporspritzen sehen. Eine lange Reihe rasch verschwimmender Wasserblasen bezeichnete sein Fahrwasser, und kaum stand er einer der zuschauenden Gruppen gegenüber, als er auch schon, dem Meerschweine gleich, wenn es an einem Hafen vorüber jagt, dahingeflogen war.

Zehn Minuten, nachdem der Lugger an dem Regierungspalaste auf der Spitze des Vorgebirges vorübergekommen war, trat er in eine zweite Bai, welche breiter und fast eben so tief wie diejenige ist, an welcher Porto Ferrajo liegt. Hier faßte er die Brise, ohne durch die nahe gelegenen Felsen gehindert zu sein, und seine Geschwindigkeit wurde dadurch bedeutend vermehrt. Er hatte sich bis jetzt zu nahe an die Küste gehalten, so daß ein guter Theil des Windes, der nach und nach stärker geworden war, für ihn verloren ging: jetzt aber kam die volle Strömung von hinten und wirkte mit doppelter Gewalt. Er halte seine Halsen nieder, zog einige Segel ein, luvte und war den Zuschauern bald aus den Augen entschwunden, indem er windwärts gerade auf einen Punkt lossteuerte, welcher die östliche Spitze der obenerwähnten Bai bildete.

Diese ganze Zeit über war die Proserpina nicht müssig gewesen. Sobald sie bemerkte, daß der Lugger zu entkommen suchte, sah man es in ihrer Takelage lebendig werden. Segel auf Segel wurde eingesetzt, eine weiße Wolke folgte der andern, bis das Schiff vom Flaggenstock bis zu der Schanze in eine große Leinwandmasse gekleidet war. Seine obersten Segel faßten den Wind, der über die anliegende Küste daher gestrichen kam; pfeilschnell schoß die Fregatte dahin, denn gerade sie stand in dem Rufe einer der schnellsten Seglerin der ganzen englischen Marine.

Auf Andrea Barrofaldi's Uhr waren eben zwanzig Minuten verflossen, seit der Irrwisch an der Stelle, wo er stand, vorübergesegelt war, als die Proserpina ihm gegenüber zu liegen kam. Da sie tieferen Fahrwassers bedurfte, so mußte sie sich eine halbe Meile von dem Vorgebirge fern halten: doch war sie immer noch so nahe, daß man während des Vorübersegelns ihren Bau überhaupt, sowie ihre Einrichtung mit größter Muße betrachten konnte.

Die Batterien waren jetzt bemannt, und man hielt eine Berathung über die Frage, ob es nicht passend sein möchte, einen Republikaner für die Kühnheit zu bestrafen, mit der er einem toskanischen Hafen so nahe gekommen war. Aber an seinem Topp flatterte noch immer die geachtete und gefürchtete englische Wimpel, und es war also doch noch zweifelhaft, ob der Fremde Freund oder Feind sein mochte. In dem ganzen Wesen des Schiffes lag durchaus nichts Verdächtiges, und doch machte es offenbar Jagd auf ein Fahrzeug, das von einem toskanischen Hafen kam, und also von einem Engländer eher Schutz als Feindseligkeit erwarten durfte.

Mit einem Worte, die Meinungen waren getheilt, und sobald dieß einmal bei Dingen dieser Art der Fall ist, wird jede Entscheidung offenbar höchst schwierig. War der Fremde auch ein Franzose, so hatte er ja offenbar keinerlei Unbill gegen einen Bewohner der Insel im Sinne, und trotzdem, daß die Berathenden es in ihrer Macht hatten, ein Feuer zu eröffnen, so sahen sie gleichwohl vollkommen ein, wie sehr die Stadt dem Feinde bloßgegeben war, und wie wenig Nutzen sich auch nur von einer einzigen vollen Lage erwarten ließ.

Die Folge hievon war, daß die wenigen Stimmen, welche zur Eröffnung von Feindseligkeiten gegen die Fregatte riethen, ebensogut wie die paar Rathgeber, welche gerne denselben Plan gegen den Lugger befolgt hätten – nicht allein durch das Ansehen der Oberen, sondern schon durch das bloße Gewicht der Mehrzahl in ihren Wünschen zurückgehalten wurden.

Mittlerweile eilte die Proserpina vorwärts, und war nach zehn weiteren Minuten nicht nur außer der Schußlinie, sondern auch außer dem Bereiche der Kugeln. Als sie in die zweite westlich gelegene Bai eindrang, konnte man den Irrwisch von ihrem Verdecke aus eine volle Meile vorwärts und dicht beim Winde gewahren: die Brise wehte an dem westlichen Ende der Insel vorüber, und fegte mit einer Geschwindigkeit über das Wasser hin, welche das Resultat einer Verfolgung mehr als zweifelhaft machte.

Dennoch beharrte das Schiff bei seinem Kurse, und kaum war eine Stunde verflossen, seit es seine vollen Segel entfaltet hatte, als es in gleicher Linie mit dem westlichen Vorsprung der Hügelkette und nur eine Meile leewärts davon stand. Hier wurde es von der südlichen Brise gefaßt, welche mit voller Gewalt aus der Durchfahrt zwischen Elba und Corsika hervorwehte, und klar sah es nun seinen ferneren Kurs vor sich liegen. Die Lee- und Oberbramsegel waren schon zwanzig Minuten früher eingehißt worden; jetzt wurden alle Boleinen gehalt und die Fregatte scharf in den Wind gestellt.

Doch war die Jagd offenbar eine hoffnungslose, denn der kleine Irrwisch hatte alle Umstände so sehr für sich, wie wenn er das Wetter ausdrücklich angewiesen hätte, seine ganze Macht zu seinen Gunsten aufzubieten. Seine Segel waren so weit geflacht, daß sie immer gleich aufrecht standen: sein Gallion stand um einen vollen Punkt windwärts von dem der Fregatte, und – was eben so wichtig war – er steuerte sogar leewärts von dem Punkte ab, worauf sein Vordertheil hinwies, während die Proserpina ein wenig, aber auch nur ein ganz klein wenig, von ihrem Kurse abfiel. Unter all' diesen Umständen machte der Lugger immer sechs Fuß im Wasser, bis die Fregatte deren fünf zurücklegte, so daß er dieselbe nicht nur in der Geschwindigkeit, sondern auch in der Ausdauer des Laufes übertraf.

Das Schiff, das windwärts von ihm segelte, war nicht der erste Lugger, auf den Kapitän Cuffe Jagd gemacht hatte: ihm war dieser Fall wohl schon fünfzigmal vorgekommen, und er wußte wohl, wie nutzlos die Verfolgung eines solchen Fahrzeuges sein mußte, wenn die Umstände vollends dessen Eigenschaften so ganz entsprachen. Auch konnte er noch gar nicht gewiß sein, ob er überhaupt nur einen wirklichen Feind verfolge, denn so sehr auch die Signale sein Mißtrauen erregt hatten, so war das Schiff doch offenbar aus einem befreundeten Hafen gekommen. Ueberdieß war Bastia in wenigen Stunden zu erreichen, und dann hatte der Fremde die ganze Ostküste von Corsika mit ihren zahlreichen kleinen Buchten und Häfen vor sich, wo ein Schiff von seiner Größe in solcher Bedrängniß leicht Zuflucht finden konnte. Nachdem er sich also nach einem abermaligen halbstündigen Wettlauf unter der vollen Gewalt der Brise von der Fruchtlosigkeit fernerer Verfolgung überzeugt hatte, ließ dieser erfahrene Offizier das Steuerruder der Proserpina beidrehen, die Raaen in's Kreuz brassen und das Gallion nach Norden wenden, indem er seinen Kurs scheinbar nach Livorno oder dem Golfe von Genua nahm.

Eben als die Fregatte diese Aenderung in ihrem Kurse vornahm, war der Lugger, der einige Zeit zuvor geviert hatte, gerade auf dem Punkte, hinter der westlichen Spitze von Elba zu verschwinden; bald hatte er sich ganz aus dem Gesichtskreise verloren, indem er alle Aussicht zu haben schien, ungehindert um das Vorgebirge herum zu kommen, ohne nochmals wenden zu müssen.

Es war nicht mehr als natürlich, daß eine solche Jagd, an einem so abgelegenen und gewöhnlich so ruhigen Orte, wie Porto Ferrajo – einige Bewegung hervorrufen mußte. Von den jungen Müssiggängern der Garnison stiegen einige zu Pferd und galopirten über die Anhöhen, um das Resultat des Wettlaufes zu beobachten; die Berge im Innersten hatten zwar durchaus keine regelmäßigen Straßen, sie waren aber doch durch brauchbare Saumpfade durchschnitten.

Wer in der Stadt zurückblieb, war natürlich keineswegs geneigt, einen so günstigen Gegenstand der Unterhaltung nur so ohne Weiteres wieder entschwinden zu lassen, blos weil es etwa an Lust zum Plaudern gefehlt hätte. In der That wurde an diesem Tage fast von nichts Anderem, als von dem gedrohten Angriffe der republikanischen Fregatte und dem glücklichen Entkommen des Luggers gesprochen. Doch waren Viele in ihrem Urtheile immer noch zweifelhaft, denn jede Frage hat ihre zwei Seiten, und so gab es allerdings Stoff genug, um die Discussion höchst lebendig und die Beweisführungen äußerst scharfsinnig zu machen.

Unter den Disputirenden spielte Vito Viti so ziemlich die Hauptrolle. Da er sich durch seine Viva's und seine lauten Bemerkungen im Hafen so sehr bei der Sache betheiligt hatte, so glaubte er es seinem eigenen Charakter schuldig zu sein, das, was er gesprochen, auch öffentlich zu rechtfertigen, und Raoul Yvard hätte sich keinen wärmeren Anwalt wünschen können, als er nunmehr an dem Podesta einen besaß. Der würdige Bürgermeister übertrieb dabei die Gelehrsamkeit des Statthalters im Englischen so weit, daß er behauptete, es habe an den nöthigen Beweisen für die wahre Nationalität des Luggers gar nichts gefehlt. Ja, er ging sogar noch weiter und versicherte, er selbst habe einen Theil der Dokumente verstanden, welche »Signor Smees« vorgezeigt habe; was vollends den »Ving-y-Ving« anlange, so müsse ja Jeder, der nur im Geringsten mit der Geographie des brittischen Kanales bekannt sei, zur Genüge wissen, daß gerade er zu jener Art von Schiffen gehöre, wie sie die halb gallischen Bewohner von Guernsey und Jersey zum Kreuzen gegen die ganz gallischen Einwohner des naheliegenden Festlandes auszuschicken pflegten.

Während all' dieser Discussionen schlug aber immer noch ein Herz in Porto Ferrajo, das, wenn auch die Zunge seiner Besitzerin stumm war, dennoch durch die widerstreitenden Empfindungen der Dankbarkeit, der Täuschung, der Freude und der Furcht heftig bewegt wurde. Von allen Mädchen in der Stadt war Ghita die einzige, welche keine Muthmaßung oder Behauptung aufzustellen, keine Meinung zu verfechten, noch irgend einen Wunsch vorzubringen hatte. Doch horchte sie aufmerksam auf Alles, was gesprochen wurde, und war höchlich erfreut, als sie entdeckte, daß ihre eigenen, so eiligen Zusammenkünfte mit dem hübschen Seemanne allem Anscheine nach der Beobachtung der Andern entgangen waren.

Endlich wurde ihre Seele durch die Rückkehr der Reiter aus den Bergen aller Besorgnisse gänzlich enthoben, so daß ihr ganzes Gefühl in eine zärtlich bekümmerte Rückerinnerung überzugehen anfing. Die jungen Männer berichteten, die Obersegel der Fregatte seien gerade noch – und zwar, so viel sie beurtheilen könnten, schon über die Insel Capraya hinaus am nördlichen Horizonte sichtbar, während der Lugger sich fast bis gegen Pianosa hin windwärts geschlagen habe und Willens scheine, gegen die Küste von Corsika hinzusteuern, ohne Zweifel in der Absicht, den Handel dieser feindlichen Insel zu belästigen und zu stören.


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