Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Kapitel

Wenn jemals bess're Tage Ihr gesehen,
Wenn Glocken Ihr zur Kirche hörtet läuten;
Wenn Ihr mit einem Ehrenmann zu Tische saßet,
Wenn Euch bekannt, wie süß das Mitleid-Geben und Empfangen,
Dann laßt hier für mein Fleh'n mich Gnad' erlangen!

Shakespeare.

 

Es wird nunmehr nothwendig, in der Zeit weiter zu rücken und den Schauplatz unserer Erzählung nach einem andern, wenn gleich nicht fernen Theile desselben Mittelmeeres zu verlegen.

Der Leser stelle sich im Geist an die Mündung eines weiten Golfes, der fast in jeglicher Richtung seine sechzehn bis achtzehn Meilen messen mag: seine Einfassung ist mit vorspringenden Vorgebirgen und zurücktretenden Krümmungen ausgezackt, und die Tiefe des Ganzen mag vielleicht die größte Breite, wie wir sie angaben, noch in etwas übertreffen. Dann wird er denjenigen Standpunkt einnehmen, wo wir ihm eines der schönsten Panorama's der Erde vor Augen stellen wollen.

Zu seiner Rechten erhebt sich ein hohes, felsiges Eiland von dunklem Tuffstein, das bei aller Großartigkeit seiner Formen durch seine lachenden Weingärten und üppigen Ortschaften einen heiteren Anblick gewährt – dessen Interesse durch die Ruinen, welche an Ereignisse aus der fernen Zeit der Cäsaren erinnern, noch vermehrt wird. Ein schmaler Arm des blauen Mittelmeeres trennt diese Insel von einem kühn hervortretenden Kap des Hauptlandes; dann folgt eine Reihe malerischer, mit Dörfern bedeckter Höhen und Thäler, die durch eine kühne und zugleich sanfte Scenerie gehoben und durch Einsiedeleien geschmückt werden, welche in der Sprache des Landes den Namen Camaldolis führen – bis wir zu einem Städtchen gelangen, das auf einer mehrere hundert Fuß über das Wasser emporsteigenden, auf Tuffstein ruhenden Ebene liegt, und dessen Häuser sich bis dicht an den Rand der schwindligen Klippen erstrecken, welche seine Ausdehnung gegen den Norden begränzen. Die Ebene selbst ist wie ein Bienenkorb mit Wohnungen bedeckt und wimmelt von Leben, während die dahinter liegenden Höhen zahlreiche Landhäuser und allenthalben Spuren menschlichen Fleißes aufweisen.

Verlassen wir diesen lachenden Theil der Küste, so erreichen wir, der Windung des Golfes folgend, einen Punkt, wo sich die Hügel oder Höhen zu zackigen Gebirgen aufthürmen, deren zahlreiche Spitzen sechs- bis siebentausend Fuß hoch gegen die Wolken hinansteigen; ihre Abhänge zeigen bald wilde Schluchten und Abgründe, bald malerische Wartthürme, Weiler, Klöster und Saumpfade, während ihr Fuß mit Städten und Dörfern betüpfelt oder eher begränzt wird.

Hier tritt die Gebirgsformation von dem Rande des Golfes zurück und folgt theils der südlichen Küste, theils läuft sie in das Innere des Landes weiter; das Gestade aber, das sich in einem Bogen gegen Norden und Westen hinbiegt, gestattet uns einen Blick auf eine weite im Hintergrunde vorragende Ebene, ehe es in einem hohen, inselähnlichen, konischen Berge endet, der eigentlich die Spitze der Küstenauszackung bildet. Das menschliche Auge wird nie einen üppigeren Schauplatz von Häusern, Dörfern, Städten, Weinbergen und Landhäusern erblicken, als der breite Abhang dieses isolirten Berges ihm darbietet; darüber weg schweift der Blick gegen die reiche Ebene, die dahinter zu liegen scheint und wallartig durch einen fernen, geheimnißvoll aussehenden, aber kühnen Zweig der Apenninen geschlossen wird.

Kehren wir wieder zu dem Gestade zurück, das jetzt mehr gegen Westen auszulaufen anfängt, so stoßen wir auf einen andern Tuffhügel, der die ganze charakteristische Fruchtbarkeit und Zerrissenheit dieser eigenthümlichen Gebirgsformation an sich trägt; eine weite, volkreiche Stadt von fast einer halben Million Einwohner liegt, beinahe zu gleichen Theilen geschieden, an der Gränze der Ebene und längs dem Rande des Wassers – oder dehnt sich an den Seiten des Hügels und bis zu dessen Gipfel empor. Von diesem Punkte aus erscheint die nördliche Seite des Golfes als eine wirre Masse von Ortschaften, Villen, Ruinen, Palästen und Weingeländen, bis wir das Ende – gleich seinem Nachbar gegenüber ein niedriges Vorgebirge – erreichen.

Diesem zunächst kommt ein kleines Eiland – eine Art natürlichen Vorpostens; dann zieht die Küste in einem Bogen gegen Norden, und bildet einen zweiten, kleineren Golf, der, überreich an Ueberbleibseln der Vergangenheit, einige Meilen weiter seewärts mit einem hohen, röthlichen, sandigen Uferabsturz endigt, welcher fast auf den Namen eines Berges Anspruch macht.

Westlich davon sehen wir noch zwei weitere Inseln liegen, die eine davon ist flach, fruchtbar und, wie man sagt, bevölkerter als jeder andere Theil Europa's von gleichem Umfange es sein soll; die andere dagegen erscheint als ein prachtvolles Gemische spitziger Berge, volkreicher Städte, fruchtbarer Thäler, Schlösser, Landhäuser – ein Gemälde, das noch durch die Trümmer lange ruhender Vulkane, die in großer aber anziehender Verwirrung unter einander geworfen sind, vervollständigt wird.

Wenn sich der Leser zu dieser Beschreibung eine Küste vorstellt, wo fast jeder Fuß breit durch irgend eine glorreiche Erinnerung der Vergangenheit, von gestern an bis zu den dunkelsten Fernen der Geschichte, – interessant wird; wenn er die Wasserfläche durch eine Flotte kleiner, lateinisch aufgetakelter Fahrzeuge belebt, oder gar durch die gelegentliche Ankunft eines größeren Schiffes noch pitoresker macht; wenn er den Golf mit zahllosen Fischerbooten übersäet und von dem Gipfel des kegelförmigen Berges, der gleichsam das Haupt des Golfes bildet, eine Rauchsäule aufsteigen läßt – so bekommt er einen Umriß alles Dessen, was das Auge des Fremden bezaubert, wenn er sich Neapel von der Seeseite nähert.

Der Zephyr wehte wieder, und die gewöhnliche Flotte von Sparanara's oder unbedeckten Felucken, welche zu dieser Jahreszeit jeden Morgen von der Seeküste nach der Hauptstadt fahren und um diese Stunde zurückkehren, segelte am Fuße des Vesuvs hin; die einen steuerten bis gegen Massa hinauf, andere zogen nach Sorrento, nach Vico oder Persano; wieder andere hielten sich mehr beim Wind und waren gegen Castellamare oder die benachbarten Landungspunkte gerichtet.

Die Brise wurde allmählig so frisch, daß die Fischer, die lange Linie von Booten durchbrechend, welche sich, blos auf Sprechweite von einander entfernt, an manchen Stellen eine ganze Meile weit erstreckt hatte – nach dem Lande zurückzurudern begannen.

Das Innere des Golfes wimmelte in der That von Fahrzeugen jeder Größe, die in verschiedenen Richtungen hin und her fuhren, während eine große Masse englischer, russischer, neapolitanischer und türkischer Zweidecker, Fregatten und Schaluppen der Stadt gegenüber vor Anker lag.

Am Bord eines der größten Zweidecker der englischen Flotte wehte die Contreadmiralsflagge vom Besanmast und bezeichnete dadurch den Rang des darauf Kommandirenden. Eine Corvette allein war unterwegs. Sie hatte eine Stunde früher den Ankerplatz verlassen und zog, mit Leesegeln auf ihrer Steuerbordseite, quer über den herrlichen Golf, allem Anschein nach ihren Kurs gegen die zwischen der Insel Capri und der Landspitze von Campanella gelegene Meerenge nehmend, um nach Sicilien zu segeln. Leicht hätte dieses Schiff um erstgenannte Insel herumsegeln können; aber sein Kommandant – ein höchst gemächlicher Mann – wollte erst, wenn der Wind recht begänne, mit vollen Segeln davoneilen, und glaubte, wenn er sich recht nahe an der Küste hielte, könne er vielleicht während der Nacht die Landbrise benützen. So hoffte er, daß der eben wehende Zephyr ihn durch den Golf von Salerno führen sollte.

Auch eine Fregatte, unter ihren Stagsegeln stehend, schoß, sobald der Westwind sich aufmachte, unter der Flotte hervor; doch hatte sie dicht unter dem Kiel ein Anker ausgeworfen und schien noch irgend eine Anordnung oder Befehle zu erwarten, ehe sie sich wirklich zur Abfahrt anschickte. Ihr Kapitän war nämlich in diesem Augenblicke noch am Bord des Flaggenschiffes, wohin der Contreadmiral ihn beordert hatte.

Diese Fregatte war die Proserpina, von sechsunddreißig Kanonen, Kapitän Cuffe – Schiff und Offiziere gehören bereits unter des Lesers nähere Bekannte. Ungefähr eine Stunde vor Eröffnung unserer jetzigen Scene war Kapitän Cuffe in der That durch ein Signal an Bord des Foudroyant berufen worden, wo er einen kleinen, blaß aussehenden, schmächtig gebauten Mann, dem der rechte Arm fehlte, gefunden hatte, der auf dem Deck der Vorderkajüte auf- und abging und seine Ankunft ungeduldig zu erwarten schien.

»Nun, Cuffe,« begann diese uneinnehmend aussehende Person, mit einer zuckenden Bewegung des verstümmelten Armes, »ich sehe, Ihr seid aus der Flotte hervorgebrochen; seid Ihr ganz zur Abfahrt bereit?«

»Wir haben, der Briefe wegen, noch ein Boot am Land, Mylord: sobald dieses zurückkommt, werden wir unsern Anker lichten, der gerade unter dem Kiel steht.«

»Recht so: ich habe die Ringeltaube zu demselben Zwecke nach dem Süden entsendet, und wie ich sehe, ist sie schon unterwegs und eine halbe Meile vom Ankerplatze entfernt. Dieser Mr. Griffin scheint ein tüchtiger junger Mann zu sein – sein Bericht über die Art, wie er den Brander führte, gefällt mir sehr gut, wenn es gleich dem französischen Schufte gelang, ihm zu entkommen! Bei all' Dem ist dieser Rowl! – Ei – hm – wie lautet der Name des Burschen in Eurer Aussprache, Cuffe? – Ich kann nie recht aus ihrem Kauderwälsch kommen.«

»Nun, um Euch die Wahrheit zu gestehen, Sir Horatio – ich bitte um Verzeihung – Mylord – es liegt Etwas in dem Kern meiner ächt englischen Gefühlsweise, was mich ewig verhindern würde, das Französische zu lernen, selbst wenn ich in Paris geboren und erzogen wäre. Es ist zu viel Sächsisches in mir, als daß ich Worte hinunterschlucken könnte, die unter hundert Fällen fünfzigmal gar keinen Sinn haben.«

»Ihr seid mir darum nur um so werther, Cuffe,« antwortete der Admiral, und das Lächeln, das jetzt seine Miene erhellte, ließ sein Gesicht, das im Zustand der Ruhe beinahe häßlich war, mit einem Male fast hübsch erscheinen – eine Eigenthümlichkeit, welche keineswegs selten ist, sobald ein kräftiger Wille den Zügen seinen Ausdruck verleiht, und der Grund des Herzens wirklich gesund ist. »Ein Engländer hat auch mit all' den gallischen Tendenzen nichts zu schaffen. – Dieser junge Mr. Griffin scheint Geist zu besitzen, und ich sehe es immer als ein gutes Zeichen an, wenn ein junger Mann sich freiwillig zu solchen verzweifelten Unternehmungen meldet – er sagt mir aber, er sei blos Euer zweiter Lieutenant; wer war denn die ganze Zeit über Euer Premier?«

»Der hatte bei dem Morgenscharmützel eine kleine Schramme davon getragen, Mylord; deßhalb wollte ich ihn natürlich nicht gehen lassen. Sein Name ist Winchester; ich meine, Ihr solltet Euch seiner von der Schlacht von St. Vincent her erinnern. Miller Ralph Willet Miller, Kommandant des Schiffes, auf welches Nelson in der Schlacht beim Kap St. Vincent seine Flagge übertrug. Er war ein Amerikaner, aus Manhattan gebürtig; nahe Verwandte von ihm wohnen noch jetzt unter demselben Namen zu New-York. Den Namen Willet soll er von dem ersten englischen Mayor geerbt haben, von welchem viele der alten Familien im unteren Theile dieses Staates, besonders aber in Long-Island – abstammen. hatte eine gute Meinung von ihm, und als ich von dem ›Pfeil‹ auf die ›Proserpina‹ kam, gab er ihn mir als zweiten Lieutenant mit. Durch den Tod des armen Drury rückte er auf dem natürlichen Wege zum Premier vor.«

»Ja, ja, Cuffe, ich erinnere mich seiner einigermaßen. Das war ein glänzender Tag, und seine Thaten sollten alle meinem Geiste eingeprägt sein. Ihr habt mir erzählt, Mr. Griffin habe das Kabeltau des Luggers ganz hübsch gedreggt?«

»Darüber kann wohl keinerlei Art von Zweifel obwalten. Ich konnte die beiden Schiffe durch mein Nachtglas dicht neben einander liegen sehen – beide schienen in Flammen zu stehen – Alles war so deutlich, als man nur immer den Vesuv bei finsterer Nacht Feuer speien sieht.«

»Und doch durfte dieser Few-Folly entwischen! – Der arme Griffin hat sich recht umsonst in eine so verzweifelte Gefahr gestürzt.«

»In der That, Mylord, das hat er.«

Nelson war bis jetzt mit raschen Schritten in der Kajüte auf- und abgegangen, während Cuffe, der seine anfängliche Einladung, an dem Tisch in der Mitte Platz zu nehmen, ehrerbietig abgelehnt hatte – in einiger Entfernung stand; jetzt aber blieb der Admiral plötzlich stehen und schaute dem Kapitän fest in's Gesicht. Der Ausdruck seiner Züge war mild und ernst; die Stille, die seinen Worten voranging, machte dieselben nur um so feierlicher und eindringlicher.

»Es wird noch der Tag kommen, Cuffe,« sprach er, »wo dieser junge Mann froh sein wird, daß sein Angriff gegen diese Hallunken – die Franzosen, fehlschlug. Ja, von Grund seines Herzens wird er sich darüber freuen!«

»Mylord!«

»Ich weiß, das kommt Euch sonderbar vor, Kapitän Cuffe; aber es wird Keiner deßhalb eines gesunderen Schlafes genießen, weil er ein Hundert seiner Mitgeschöpfe wie die Wittwen bei einem indischen Leichenbegängnisse verbrannt oder in die Luft gesprengt hat. – Deßhalb dürfen wir aber Diejenigen, die nur thaten, was ihre Pflicht deutlich von ihnen verlangte – nicht weniger zu Gnaden empfehlen.«

»Verstehe ich recht, Lord Nelson? Soll die Proserpina den Few-Folly, falls wir wieder das Glück haben sollten, auf ihn zu stoßen – nicht um jeden Preis zerstören?«

»Keineswegs, Sir. Unsere Befehle lauten allerdings – verbrennen, versenken und zerstören. Dieß ist Englands Politik in diesem verzweifelten Kriege, und sie muß auch aufrecht erhalten werden. Ihr wißt so gut wie ich selbst, wofür wir streiten – es ist ein Kampf, der sich nicht mit Höflichkeit durchfechten laßt: dennoch möchte ich eine glorreiche, heilige Sache nicht gerne durch Unmenschlichkeit befleckt sehen. Wer in offenem, männlichem Kampfe fällt, verdient eher unsern Neid, als unser Mitleid, denn er bezahlt die große Schuld der Natur blos um etwas früher, als es sonst wohl geschehen wäre; aber in dem Gedanken, unsere Mitgeschöpfe wie die Lumpen eines Pestkranken zu verbrennen, liegt Etwas, gegen das sich unsere Menschlichkeit empört. Nichtsdestoweniger müssen wir diesen Lugger um jeden Preis zu bekommen suchen, denn Englands Macht und Handel darf nicht ungestraft auf so kecke Weise gestört und verhöhnt werden. Die Laufbahn dieser französischen Tiger muß, und gelte es auch jedes Opfer, geschlossen werden, Kapitän Cuffe.«

»Das weiß ich, Mylord; was das betrifft, so liebe ich für meine Person einen Republikaner so wenig, als Eure Herrlichkeit oder gar Seine Majestät selbst nur immer es thun kann, und ich bin überzeugt, Sie findet so wenig Geschmack an dem Ungeziefer, als Fleisch und Blut nur immer einimpfen können.«

»Ich weiß, Ihr denkt so, Cuffe, – ich weiß gewiß, so denkt Ihr, und ich schätze Euch deßhalb nur um so höher. Bei dem Engländer gehört es theilweise zur Religion, in Zeiten wie diese den Franzmann zu hassen. Nach dem Frieden von 83 ging ich über den Kanal, um ihre Sprache zu erlernen, sympathisirte aber selbst in Friedenszeiten so schlecht mit ihnen, daß ich nie im Stande war, einen Brief in ihrer Sprache zu schreiben oder selbst nur die nöthigsten Bedürfnisse des Lebens zu verlangen.«

»Wenn Ihr auch nur das Geringste verlangen könnt, so seid Ihr weit geschickter als ich, denn ich konnte in ihrem Kauderwälsch das Gallion nie vom Spiegel unterscheiden.«

»Es ist ein höllischer Jargon, Cuffe, der durch ihre Akademien, ihre falsche Philosophie und Ungläubigkeit noch vollends so verwirrt wurde, daß sie ihn bald selbst nicht mehr verstehen werden. Was für Namen sie nur z. B. ihren Schiffen geben, nachdem sie einmal ihren König enthauptet und ihren Gott verrathen haben! – Wer hat wohl jemals gehört, daß ein Fahrzeug mit einem Namen, wie dieser Lugger, getauft worden wäre! – › Few-Folly?‹ – Ich denke doch, ich habe den Namen des Schurken richtig verstanden?«

»Ganz richtig – Griffin spricht ihn so aus, obgleich er durch sein vieles Französisch und Italienisch sogar mit seinem eigenen Englisch etwas wunderlich geworden ist. Des jungen Mannes Vater war Konsul; so hat er denn ein halbes Dutzend fremder Sprachen in seinem Gehirne aufgestapelt. Er spricht das Folly etwas breit – ich glaube ungefähr wie Follay – doch bedeutet's ja immer dasselbe. Thorheit Folly heißt nämlich auf deutsch – Thorheit.
D. U.
bleibt Thorheit, wie man sie auch aussprechen mag.«

Nelson ging fortwährend in seiner Kajüte auf und nieder, focht mit dem Stumpf seines rechten Armes und lächelte halb bitter, halb ironisch, was ihn wieder in gute Laune zu versetzen schien.

»Erinnert Ihr Euch des Schiffes, Cuffe, mit dem wir auf dem alten Agamemnon vor Toulon einen so heißen Kampf bestanden?« fragte er plötzlich, nachdem er ein paarmal, schweigend auf- und abgegangen war. »Ich meine den entmasteten Vierundachtziger, der von der Fregatte in's Schlepptau genommen wurde, und den wir so lange einpfefferten, bis sogar seine gallische Suppe darnach schmeckte? Wißt Ihr vielleicht noch, wie sein eigentlicher Name in gutem, ehrlichem Englisch hieß?«

»Nein, Mylord. Ich erinnere mich, wie sie sagten, er heiße der Ça Ira, und ich dachte mir immer, das müsse der Name irgend eines alten Griechen oder Römers – oder vielleicht gar eines ihrer neugebackenen republikanischen Heiligen sein.«

»Die! – der Teufel hole sie – sie haben ja keine neuen Heiligen zu benennen, mein guter Junge, seitdem sie die alten sämmtlich abgedankt haben! In dem Namen einer spanischen Flotte liegt immer etwas Ehrwürdiges, und man fühlt jedesmal, während man mit ihnen zu thun hat, daß man wenigstens gegen rechte Leute losdonnert. Nein, Sir, Ça Ira bedeutet nicht mehr und nicht weniger als, ›'s wird schon gehen‹; ich glaube, Cuffe, sie werden mehr denn einmal an den Namen ihres Schiffes gedacht haben, als der alte Grieche sich an ihr Hintertheil anhängte und ihnen die Kajütenfenster einschoß! Es müßte sich in der That nicht übel ausgenommen haben, wenn wir ihn geentert und in unserer eigenen Marine untergebracht hätten – Seiner Majestät Schiff ›'s wird schon gehen‹, von vierundachtzig Kanonen, Kapitän Cuffe!«

»Ich wäre ganz gewiß bei den Lordkommissären darum eingekommen, den Namen ändern zu dürfen.«

»Daran hättet Ihr ganz recht gethan. Da könnte Einer ebensogut auf einem Linienschiff segeln, das den Namen ›Genug‹ führte. Damals kam der Dreidecker, der jenem aus der Klemme half, der Sans-culottes, wie die Franzosen ihn nennen: ich denke, Ihr wißt, was dieß bedeutet?«

»Ich – nein, Mylord; die Wahrheit zu sagen, ich bin kein Gelehrter und fühle in dieser Beziehung auch gar keinen Ehrgeiz in mir. › Sans‹, glaub' ich, ist im Französischen so viel wie › saint‹; was aber der › Culottes‹ war, das kann ich mir wahrlich nicht denken.«

Nelson lächelte, und die Wendung, welche das Gespräch genommen hatte, schien ihm insgeheim Freude zu machen. Die Wahrheit zu sagen, fühlte er Etwas schwer auf seinem Herzen lasten, und bei seiner großen Energie trieb ihn sein Gefühl von einem Extrem zum andern, wie dieß bei Männern von solcher Leidenschaftlichkeit häufig vorkommt, besonders wenn ihr Grundcharakter ein gesunder ist.

»Dießmal habt Ihr fehlgeschossen, mein theurer Cuffe,« sprach er; »denn › sans‹ heißt auf französisch ›ohne‹ und › culottes‹ bedeutet ›Hosen‹. Jetzt denkt Euch einmal, einen Dreidecker den ›Ohnehosen‹ zu heißen! Ich kann nicht begreifen, wie nur ein ehrbarer Flaggenoffizier solche Namen in seinen Depeschen anführen kann, ohne ein höchst widriges Gefühl zu verspüren, das nahezu seine ganze Philosophie über den Haufen werfen muß. ›Die Schiffe der Republik bildeten eine Linie: vorn kam der ›'s wird schon gehen‹; ihm folgte der ›Ohnehosen‹ als zweites Schiff‹«! – Ha! – ha! Cuffe – Hol' mich der Henker, Sir, wenn ich in einer Marine dienen möchte, deren Schiffe solche Namen führen! Das ist ja noch tausendmal schlimmer, als alle die Heiligen, welche die Spanier auf ihre Schiffe kleben, und die nicht anders aussehen, als wie eine Linie von Booten, welche ein Schiff nach seinem Ankerplatze bugsiren!«

Hier wurde das Gespräch durch das Erscheinen eines Midshipmans unterbrochen, welcher die Meldung brachte, es sei ein Herr mit einer Dame vom Ufer herübergekommen, welche den Contreadmiral in dringenden Angelegenheiten zu sprechen wünschten.

»Laßt sie nur herabkommen, Sir,« gab Nelson zur Antwort. »Ich führe doch ein hartes Leben, Cuffe; da ist in ganz Neapel kein Wäscherweib oder Winkelkrämer, die mich nicht geradezu wie ihren Podesta behandelten, als ob mein Amt es nicht anders mit sich brächte, als daß ich alle ihre Klagen und verlorene Kleider oder verwechselte Güter anhören müßte. Seine Majestät muß noch einen Lord-Oberrichter bei der Flotte anstellen, der zu Gunsten der jungen Herren die Justiz verwaltet, sonst wird er bald keinen Offizier mehr bekommen, der mit einer Flagge am Haupttopp dienen möchte.«

»Gewiß, Mylord, die Kapitäne könnten diese Last von Euren Schultern nehmen!«

»Ja, es gibt Männer in der Flotte, welche das können, und darunter auch einige, welche es thun, manche aber auch, welche es nicht thun. Doch hier kommt, glaub' ich, der Kläger; Ihr sollt den Fall mit anhören und als Unterrichter in der Sache entscheiden.«

Bei diesen Worten ging die Kajütenthüre auf, und die erwarteten Gäste – ein Herr in den Fünfzigen und ein Mädchen von neunzehn Jahren – traten in's Zimmer. Ersterer war ein Mann von einfachem Aeußeren, mit zerstreuter Miene und zu Boden geschlagenen Blicken; Letztere besaß den ganzen Ausdruck, die Schönheit, Natürlichkeit und Grazie in Miene und Haltung, wodurch sich Ghita Caraccioli so besonders auszeichnete. Mit einem Worte, die beiden Gäste waren Carlo Giuntotardi und seine zarte Nichte.

Die Bescheidenheit und Lieblichkeit des Mädchens mußten Nelson sehr auffallen, denn er bot ihr voll Artigkeit einen Sitz an, während er selbst und Cuffe, wie bisher, stehen blieben.

Nach einigen Versuchen, sich verständlich zu machen, mußte dieser gefürchtete Admiral bald erkennen, daß er eines Dolmetschers bedurfte, da seine Gäste nicht englisch sprachen, und seine eigene Kenntniß des Italienischen zu unvollständig war, als daß er darin nur einigermaßen ein zusammenhängendes Gespräch hätte führen können. Er zögerte einen Augenblick und ging dann an die Thüre der inneren Kajüte, eines Gemachs, wo sich die ganze Zeit über einzelne Stimmen – darunter auch eine weibliche – hatten vernehmen lassen. Hier lehnte er einen Augenblick, wie unentschlossen, an dem Bretterverschlag; dann begann er endlich seine Wünsche zu äußern.

»Ich muß Euch um einen Dienst ersuchen, den ich mir unter gewöhnlichen Umständen nicht zu erbitten einfallen ließe,« sprach er mit einer Sanftheit in Stimme und Wesen, welche bewies, daß die Person, an die er sich wendete, einen langgewohnten Einfluß auf ihn ausübte. »Ich bedarf eines Dolmetschers zwischen mir und dem zweitschönsten weiblichen Wesen im Königreiche Neapel; ich kenne Niemand, der hiezu tauglicher wäre, als die Königin der Schönheit.«

»Von ganzem Herzen, theurer Nelson,« antwortete eine volle, klangreiche Frauenstimme von innen. »Sir William ist mit seinen Alterthümern beschäftigt, und ich fing eben an, aus Mangel an Unterhaltung mich zu ennuyiren. Vermuthlich habt Ihr als Lord-Großkanzler der Flotte ein Unrecht zu richten, durch das eine Dame beleidigt wurde.«

»Der Grund der Klage ist mir noch unbekannt: es ist aber nicht unwahrscheinlich, daß das Ganze auf etwas der Art hinausläuft. Gerade in einem solchen Falle kann man sich keinen bessern Vermittler wünschen, als ein Wesen, das über die Gebrechlichkeiten und Schwächen seines eigenen Geschlechts so hoch erhaben ist.«

Die Dame, welche nunmehr aus der inneren Kajüte trat, war zwar auffallend hübsch, zeigte aber dennoch nichts in ihrer Erscheinung, was die Lobsprüche in den letzten Worten des brittischen Admirals gerechtfertigt hätte. Es lag etwas Künstliches und Weltliches in dem Ausdrucke ihres Gesichtes, das nur um so mehr auffiel, wenn man es unmittelbar mit der edlen Natürlichkeit und stillen Reinheit verglich, welche sich auf Ghita's Antlitz in jedem Zuge aussprach. Die Eine hätte recht gut ein Bild der Göttin Circe vorstellen können, während die Andere kein übles Modell für eine Vestalin abgegeben hätte, wenn eine Solche in ihrem Aeußern den moralischen Eindruck der erhabenen, herzergreifenden Wahrheiten wiedergeben könnte, welche allein in den wahren Offenbarungen Gottes liegen. Dann war die Dame eine Frau auf der Mittagshöhe ihrer Reize, denen die ganze Kunst der Toilette und ein eigenthümlicher, piquanter, wenn auch nicht reiner Geschmack zu Hilfe kam; die Andere dagegen stand da in ihrem einfachen, schwarzen neapolitanischen Schnürleibchen, ohne einen anderen Kopfputz, als den ihr die eigenen seidenen Flechten verliehen, und doch trat ihre tadellose Figur und einnehmende Miene gerade in diesem Augenblicke weit deutlicher hervor, als es unter dem Einflusse auch der geschicktesten Kleidermacherin oder Putzkünstlerin hätte geschehen können.

Die Dame verrieth einige Ueberraschung, vielleicht gar einen Schatten von Unbehaglichkeit, als ihr erster Blick auf Ghita fiel; doch war sie eine viel zu gute Schauspielerin, um sich so leicht außer Fassung bringen zu lassen; sie lächelte und hatte alsbald ihre Selbstbeherrschung wieder gewonnen.

»Ist dieß das Wesen, das mit einer solchen Bitte zu Euch kommt?« fragte sie mit einem Anflug natürlichen, weiblichen Gefühls in ihrer Stimme: »dieser arme, alte Mann ist wahrscheinlich der hart betroffene Vater?«

»Was die Bitte selbst betrifft, so ist sie mir, wie gesagt, bis jetzt noch unbekannt, und ich will also auch keine Vermuthungen anstellen.«

»Kapitän Cuffe, ich hoffe, ich habe das Vergnügen, Euch wohl zu sehen. – Sir William, so wie der Admiral, erwarten, daß Ihr uns heute Mittag an unserer kleinen Familientafel Gesellschaft leisten werdet und –«

»Und was sagt die Herrin – wenn auch nicht des Hauses, so doch des Schiffes?« fiel Nelson ein, der die Sirene seit dem Augenblicke, da sie in die Vorderkajüte getreten war, kaum einen Moment aus den Augen gelassen hatte.

»Daß sie – wenn sie gleich diesen Titel, so ehrenvoll er auch ist, ablehnen muß – sich dennoch mit den Uebrigen in der Einladung vereinigt und Kapitän Cuffe ersucht, uns mit seiner Gesellschaft zu beehren. Nelson sagt mir, Ihr seid einer seiner Agamemnons, wie er euch Alle, jung und alt, Männer und Knaben, groß und klein zu nennen pflegt, und ich liebe sogar den Klang dieses Namens. Welch' herrliche Benennung für ein Schiff – ›Agamemnon!‹ – Ein Grieche, befehligt von einem ächt englischen Herzen!«

»Ja, ja, er klingt schon etwas besser als der ›'s wird schon gehen‹ oder gar der andere ›Bursche‹ – nicht wahr, Cuffe?« versetzte der Admiral lächelnd und mit einem freundlichen Blick auf seinen Untergebenen. »Aber bis jetzt wissen wir immer noch nichts über das Anliegen dieses ehrlich dreinblickenden Italieners und seiner äußerst unschuldig aussehenden Gefährtin.«

»Nun denn, ihr Herren,« fiel die Dame ein, »in dieser Sache bin ich als ein pures Mundstück – als ein Echo zu betrachten, das blos wiedergibt, was mein Ohr erreicht, und zwar ein irisches Echo, das die zuerst vernommenen Worte in verschiedener Sprache wiederholt. Stellt Euere Fragen, Mylord; sie sollen mit den Antworten, die ich erhalte, getreulich übersetzt werden. Ich will nur hoffen, daß Kapitän Cuffe eben so schuldlos aus der Sache hervorgeht, als es für jetzt den Anschein hat.«

Die beiden Herren lächelten; doch konnte der Scherz den Kapitän nicht beunruhigen, da er noch vor fünf Minuten von dem Dasein der beiden Fremden durchaus nichts gewußt hatte, und die Keckheit der Anspielungen zu der auf Schiffen herrschenden Freiheit, so wie zu den Sitten des Landes, wo sie sich eben jetzt befanden, nicht übel zu passen schien.

»Wir wollen uns zuerst nach dem Namen dieses würdigen Mannes erkundigen, wenn Ihr ihn gefälligst darum befragen wollt,« bemerkte Nelson gegen seine schöne Freundin.

»Carlo Giuntotardi, edle Dame, ehemals ein armer Gelehrter hier in Neapel, jetzt Aufseher der fürstlichen Wartthürme auf den Höhen von Argentaro,« lautete die ruhige, aber ehrerbietige Antwort des Mannes, der ebenso wie seine Nichte den angebotenen Stuhl abgelehnt hatte, so daß die ganze Gesellschaft stehen blieb – »Carlo Giuntotardi, erlauchte Dame.«

»Ein recht guter Name, Signore, dessen Ihr Euch keineswegs zu schämen braucht. – Und der deinige?« fuhr sie fort, indem sie sich an das Mädchen wandte.

»Ghita Caraccioli, Eccellenza – Schwestertochter dieses ehrwürdigen Thurmwärters des Fürsten.«

Hätte sich eine Bombe über dem Foudroyant entladen, Nelson hätte sicherlich nicht so heftig zusammenfahren können; auch über das schöne Gesicht der Dame ging ein Schatten finsteren Unmuths, der nicht ganz frei von Furcht zu sein schien. Selbst Cuffe hatte das Mädchen wenigstens in so weit verstanden, daß er ihren Namen auffing; er trat einen Schritt vorwärts, indem sich lebhafte Neugierde und ängstliche Verwirrung auf seinem röthlichen Gesichte abmalten.

Bald aber war diese Erschütterung vorüber: die Dame gewann zuerst ihre Fassung wieder, während Nelson fünf- bis sechsmal in der Kajüte auf- und abging und mit seinem verstümmelten Arme zuckte, ehe er nur wieder aufblicken konnte.

»Ich wollte eben fragen, ob denn diese ewigen Quälereien niemals ein Ende nehmen werden,« bemerkte die Dame auf englisch, »hier aber muß wohl ein Mißverständniß obwalten. Das Haus Caraccioli ist eines der erlauchtesten in ganz Italien, und es ist kaum denkbar, daß Leute dieser Klasse für Den, welchen wir meinen, ein solches Interesse haben können. Ich will deßhalb der Sache weiter nachforschen. – Signorina,« fuhr sie auf italienisch und zwar in strengem Tone fort, als ob ihr dieß von dem Verhörenden also geboten wäre – »der Name Caraccioli ist ein edler Name, und wird nicht leicht von der Tochter eines fürstlichen Thurmwärters geführt werden.«

Ghita zitterte und blickte beschämt zu Boden; doch war der Beweggrund ihres jetzigen Schrittes zu edel und sie selbst zu unschuldig, um sich im Angesichte einer Schuldbewußten lange zurückschrecken zu lassen; als die Glut, welche der Abendröthe glich, die so oft an dem Himmel ihres Geburtslandes hinzieht, – von ihren Wangen gewichen war, schlug sie die Augen empor und schaute der finsterblickenden Dame in's Gesicht.

»Ich weiß, was Eure Eccellenza meint,« lautete ihre Antwort, »und fühle wohl, daß Ihr recht habt; doch wäre es grausam gegen das Kind, wenn es nicht den Namen seines Vaters tragen dürfte. Der meinige hieß Caraccioli und hinterließ mir als einziges Erbe diesen seinen Namen. Ob er selbst hiezu berechtigt gewesen, das laßt Euch von meinem Oheim erzählen.«

»So sprecht denn, Signor Giuntotardi: zuerst gebt uns die Geschichte dieses Namens – dann erzählt uns, was Euch hierher gebracht hat.«

»Meine Schwester, edle Dame, ein frommes, unschuldiges Weib, wie nur je eines in Italien lebte, – der Himmel habe sie selig! – heirathete Don Francesco Caraccioli, den Sohn desselben Don Francesco, der, aus jenem erlauchten Hause stammend, nunmehr zum Tode verurtheilt ist, weil er die Flotte gegen den König führte. Meine Ghita hier ist die einzige Frucht dieser Verbindung. Zwar hatte die Kirche das Band nicht gesegnet, das den Vater meiner Nichte in's Leben rief; aber der edle Admiral zögerte niemals, seinen Sohn anzuerkennen, und verlieh ihm seinen Namen, bis Letzterer, von Liebe bewogen, die Schwester eines armen Gelehrten zur Gattin nahm. Dann allerdings begann sein Vater das Antlitz von ihm abzuwenden, und bald entzog der Tod beide Gatten dem Bereiche alles irdischen Haders. – Dieß ist unsere einfache Geschichte, edle und erlauchte Signora; dieß ist der Grund, warum meine arme Nichte hier den großen Namen der Caraccioli führt.«

»Ihr wollt uns also zu verstehen geben, Signor Giuntotardi, daß Eure Nichte als Tochter eines natürlichen Sohnes von Don Francesco Caraccioli die Enkelin des unglücklichen Admirals ist?«

»So ist es, Signora. Da meine Schwester mit ihrem Gatten wirklich vermählt war, so konnte ich nicht weniger thun, als ihre Tochter, die ich erzog, einen Namen führen zu lassen, welchen ihr Vater schon vor ihr hatte tragen dürfen.«

»Solche Dinge sind ganz natürlich, und es bedarf deßhalb keiner Entschuldigung. Jetzt nur noch eine Frage, ehe ich dem englischen Admiral den Inhalt Eurer Rede erkläre: – weiß Fürst Caraccioli von dem Dasein dieser seiner Enkelin?«

»Ich fürchte – nein, Eccellenza. Ihre Eltern starben so frühzeitig – ich selbst liebte das Kind so sehr – und es war so wenig Hoffnung vorhanden, daß ein erlauchter Herr, wie er, eine durch die heilige Kirche geweihte Verbindung mit niederen Personen, wie wir – anerkennen würde, daß ich zur Sicherung der Ansprüche meiner Nichte nie mehr gethan habe, als daß ich sie den Namen ihres Vaters führen ließ.«

Die Dame schien durch diese Worte getröstet, und erklärte jetzt Nelson in aller Kürze das Wesentlichste von dem, was der Andere gesprochen hatte.

»Es kann sein,« fügte sie bei, »daß diese Leute wegen desselben Anliegens hier sind, um dessenwillen wir schon so häufig und so erfolglos angegangen wurden: ich glaube aber eher, daß dieß nicht der Fall ist, und zwar deßhalb, weil sie für einen Mann, der ihnen vollkommen fremd ist, doch unmöglich eine solche Theilnahme fühlen können. Vielleicht ist's aber auch irgend ein müssiger Einfall, der mit dieser Geschichte in Verbindung steht. – Was wünschest du, Ghita? – Dieß hier ist Don Horatio Nelsoni, der berühmte englische Admiral, von dem du schon so viel gehört hast.«

»Ich bin vollkommen davon überzeugt, Eccellenza,« gab Ghita ernst zur Antwort; »mein guter Oheim hier hat Euch erzählt, was wir sind, und Ihr könnt nun unser Anliegen leicht errathen. Wir kamen erst heute Morgen von St. Agata, auf der andern Seite des Golfes, herüber, und hörten von einem Verwandten in der Stadt, daß Don Francesco vor einer Stunde gefangen genommen worden sei. Seitdem soll er durch Offiziere, die sich eben auf diesem Schiffe versammelten, wegen Verraths an seinem König zum Tode verurtheilt worden sein. Einige sagen sogar, Signora, er soll noch vor Untergang der Sonne dem Tode entgegengehen.«

»Wenn dieß so wäre, welchen Grund könntest du haben, dich selbst deßhalb so sehr zu beunruhigen?«

»Eccellenza, er war meines Vaters Vater; ich habe ihn zwar nie gesehen, weiß aber dennoch, daß dasselbe Blut in unsern Adern fließt. Wenn dieß Alles richtig ist, so sollten auch in unsern Herzen dieselben Gefühle leben.«

»Das ist Alles recht gut, Ghita – wenigstens scheint es so; du kannst aber doch für einen Mann, den du niemals sahst, und der es sogar verschmähte, dich als ein rechtmäßiges Kind anzuerkennen – kaum so tief empfinden. Auch bist du noch jung und von einem Geschlecht, das immer besonders vorsichtig sein sollte: ist es ja doch sogar von Männern unweise, sich in diesen unruhigen Zeiten in die Politik einzumischen.«

»Es ist ja nicht die Politik, Signora, die mich hierher führt, sondern einzig und allein Natur und Pflichtgefühl – fromme Liebe für meines Vaters Vater!«

»Was willst du also vorbringen, Kind?« fragte die Dame ungeduldig; »vergiß nicht, daß du vor einem Manne stehst, dessen Zeit kostbar ist und für ganze Nationen von hoher Wichtigkeit sein kann.«

»Ich glaube das, Eccellenza, und will mich darum auch kurz zu fassen suchen. Ich wünsche, meines Großvaters Leben von diesem berühmten Fremden zu erflehen. Man sagt mir, der König werde ihm nichts abschlagen – er darf es also nur von Don Ferdinando verlangen, um es auch zu erhalten.«

Manche würden vielleicht die gereiften Reize der Dame der Unschuld athmenden Schönheit des Mädchens vorgezogen haben; wer aber Beide in diesem Augenblicke gesehen hätte, müßte ganz gewiß anderer Meinung geworden sein. Auf Ghita's Antlitz strahlte die heilige Hoffnung und der fromme Ernst, der sie hierhergeführt hatte: dagegen lauerte ein finsterer Ausdruck hinter den Zügen der englischen Schönheit, der sie eines ihrer größten Reize – der Sanftmuth und Güte ihres Geschlechts – beraubte. Wären keine Zuschauer zugegen gewesen, so würde das Mädchen wahrscheinlich auf eine rauhe Art zurückgestoßen worden sein; so aber bildete Zurückhaltung keinen geringen Bestandtheil in dem Charakter dieser Frau, und sie überwachte ihre Gefühle nur, um desto besser zu ihrem Zwecke zu gelangen.

»Der Admiral hier ist kein Neapolitaner, sondern ein Engländer,« gab sie zur Antwort; »und kann also mit der Gerechtigkeit eures Königs nichts zu schaffen haben. Er würde es kaum für passend halten, sich in die Vollstreckung der neapolitanischen Gesetze zu mengen.«

»Es ist immer passend, Signora, sich dann darein zu mengen, wenn sich's um die Rettung eines Menschenlebens handelt – ja es ist noch mehr als passend – es ist sogar barmherzig – in Gottes Augen.«

»Was kannst du davon wissen? Der Gedanke, daß du von dem Blute der Caraccioli in dir trägst, hat dich dein Geschlecht und deine Lage vergessen lassen, um dir dafür eine romantische Pflicht-Idee vor Augen zu halten.«

»Nein, Signora, so ist es nicht. Schon vor achtzehn Jahren hat man mich belehrt, daß der unglückliche Admiral mein Großvater sei; da es aber sein Wille war und er mich nicht sehen wollte, fühlte ich nie das Verlangen, mich ihm aufzudrängen. Vor dem heutigen Morgen ist mir der Gedanke, daß ich das Blut der Caraccioli in mir trage, noch nie in den Sinn gekommen, wenn nicht etwa, um die Sünde meiner Großmutter zu betrauern, und selbst jetzt hat es mir schon bitteren Schmerz verursacht, daß ein so grausames Loos das Schicksal Desjenigen bedroht, der jene Schuld mit ihr theilte.«

»Du bist kühn, Mädchen, daß du auf solche Art von deinen Verwandten zu sprechen wagst, zumal sie zu dem hohen Adel dieses Landes gehören!«

Bei diesen Worten flammte hohe Röthe auf dem Antlitz der Dame und ihr Blick war noch finsterer als zuvor, denn auch sie zählte einzelne Vorfälle in ihrem früheren Leben, welche die einfache Sprache einer strengen Moralität gleich beleidigend für ihr Ohr wie für ihre Erinnerung machten.

»Nicht ich bin es, Eccellenza, sondern Gott selber ist's, der also spricht. Gerade das Verbrechen ist ein weiterer Grund, warum sich dieser große Admiral seines Einflusses bedienen sollte, um das Leben eines Sünders vor einem so übereilten Ende zu retten. Der Tod ist Allen fürchterlich, nur nicht Denen, welche mit Herz und Seele auf die Vermittlung des Sohnes Gottes vertrauen: doppelt furchtbar aber ist er, wenn er uns plötzlich und unvorgesehen überfällt. Zwar ist Don Francesco bereits hoch betagt: aber habt Ihr nicht selbst bemerkt, Signora, daß gerade die betagtesten Personen in hoher Stellung verhärtet werden und darauf los leben, als ob sie niemals sterben würden? Ich meine besonders jene Menschen, welche ihre Jugend verstreichen lassen, als ob die Freuden der Welt nie ein Ende nehmen sollten.«

»Du bist zu jung, Mädchen, um dich zu einer Weltverbessererin aufwerfen zu können, und vergißst, daß dieß das Schiff eines der größten Offiziere Europa's ist, dessen Zeit so vielfach in Anspruch genommen wird. Du kannst jetzt gehen: ich will ihm wiederholen, was du gesagt hast.«

»Ich habe noch eine zweite Bitte, Eccellenza – daß mir erlaubt werden möge, Don Francesco zu besuchen, damit ich wenigstens seinen Segen empfange.«

»Er ist nicht auf diesem Schiff. Du wirst ihn am Bord der Fregatte Minerva finden: ohne Zweifel wird dir der Zutritt nicht verweigert werden. Halt – diese wenigen Zeilen werden deine Bitte unterstützen. – Addio, Signorina.«

»Und darf ich Hoffnung mit mir nehmen, Eccellenza? Denkt nur, wie süß das Leben Denjenigen sein muß, welche ihre Tage so lange in Ehre und Ueberfluß hingebracht haben! Seine Enkelin erschiene ihm ja wie ein Bote vom Himmel, wenn sie ihm einen Strahl von Hoffnung bringen dürfte.«

»Ich darf dich nicht dazu berechtigen. Die Sache liegt in den Händen der neapolitanischen Behörden: wir Engländer können uns nicht darein mischen. – Geht jetzt, Beide zusammen: der große Admiral hat wichtige und dringende Geschäfte.«

Ghita wandte sich um und verließ langsam und bekümmert die Kajüte. Noch unter der Thüre begegnete sie dem englischen Lieutenant, der die letzte, wie man weiß vergebliche Bitte des unglücklichen Gefangenen überbrachte, daß man ihn nicht gleich einem Dieb aufhängen, sondern wenigstens den Tod eines Kriegers sterben lassen möchte.


 << zurück weiter >>