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Weiß wie ein Segel aus der dunst'gen See,
Wenn halb der Horizont bewölkt ist und halb offen:
Hochflatternd zwischen Meer und Himmelshöh' –
So strahlt dem Mann sein Letztes noch – sein Hoffen.
Die Insel.
Die Morgendämmerung des folgenden Tages wurde auf den verschiedenen englischen Schiffen, die am Eingange des Golfes von Salerno lagen, mit großer Spannung erwartet. Cuffe und Lyon hatten schon am Abend zuvor speziellen Befehl gegeben, sie zeitig zu wecken, und selbst Sir Frederick Dashwood ließ sich schon am frühen Morgen von dem wachhabenden Offiziere Rapport erstatten.
Cuffe war schon eine volle halbe Stunde vor Tagesanbruch aufgestanden. Er stieg sogar selbst nach dem großen Mars hinauf, um sobald als möglich einen weiten Ueberblick über den Horizont zu gewinnen. Griffin hatte ihn dabei begleitet, und Beide beobachteten, an die große Wand des Hauptmastes gelehnt, die langsame Annäherung der Morgenstrahlen, welche sich allmählig über das ganze Panorama ergoßen, das an Schönheit und Lieblichkeit Alles überbot, was die italienischen Landschaften sonst schon so reizend macht.
» Gegen das Land hin ist nichts zu bemerken,« rief Cuffe, sobald das Tageslicht nur einigermaßen einen Blick nach der Küste erlaubte, im Tone der Enttäuschung. »Sollte er sich wirklich außerhalb befinden, so wäre unser Werk erst halb gethan!«
»Dort drüben, dicht am Lande, ist ein weißer Punkt zu bemerken, Sir,« erwiederte Griffin, »hier, in der Richtung dieser Ruinen, von denen unsere jüngeren Herren, die neulich in den Booten einen Ausflug dahin machten, so viel Wunderbares erzählen. Ich halte es übrigens blos für eine Felucke oder eine Sparanara: da ist der Pieck eines Segels, das nicht luggerartig aussieht.«
»Was ist das hier, Griffin? – seewärts gegen Nordwesten. Ist's nicht zu groß für den Few-Folly?«
»Das muß die Terpsichore sein, Sir. Es ist gerade der Punkt, wo sie sich befinden sollte, wenn ich die Befehle richtig verstand, und Sir Frederick wird sie, denke ich, wohl dahin geführt haben. Dort drüben aber, am nördlichen Bord, ist ein Segel, das wohl dem Lugger angehören könnte: es steht gerade gegenüber von Campanella, nicht weit von dem nördlichen Rande der Bai.«
»Beim heiligen Georg! das muß der Lugger sein; Monsieur Yvard hat ihn die ganze Zeit über in der Umgegend von Amalfi versteckt gehalten! Laßt uns hinabsteigen, Sir, und Alles, was nur ziehen kann, mit einem Male einsetzen.«
Zwei Minuten später stand Griffin auf dem Verdeck, ließ die Raaen anhalen und Alles zum Einsetzen der Segel bereit halten. Wie gewöhnlich wehte ein schwacher Wind aus Südwesten, der dießmal beinahe gerade die Richtung ihres Kurses bezeichnete. Die Leesegelspieren wurden ausgesteckt, die Segel eingesetzt, und das Gallion des Schiffes gegen Norden, etwas seewärts von dem Gegenstande, auf den man Jagd machte – gestellt.
Die Proserpina hatte in diesem Augenblicke die Landspitze von Piane und das Dörfchen Abate fast gerade hinter sich. Die Geschwindigkeit des Schiffes mochte ungefähr vier Knoten, und die Entfernung quer über die Mündung des Golfs nahezu dreißig Meilen betragen. Demnach hätte die Fregatte acht Stunden nöthig gehabt, um diesen Zwischenraum selbst bei anhaltendem Winde zurückzulegen – und letzterer Fall war zu dieser Jahreszeit ziemlich unwahrscheinlich. Eine Woche später waren heftige Südwinde zu erwarten: für den augenblicklichen Zweck aber schien diese Woche den Harrenden die ganze Dauer eines Jahrhunderts einzuschließen.
Nach einer halben Stunde hatte man sich auf dem Verdeck der Proserpina überzeugt, daß das feindliche Schiff, wie die Fregatte selber, seewärts abhielt und gegen die Berge von Amalfi steuerte. Seine Geschwindigkeit mochte jener der Fregatte so ziemlich gleich kommen, denn sobald diese todt vor dem Winde lag, zählte sie nur noch zu den gewöhnlichen Seglern, während ihre große Ueberlegenheit erst dann eintrat, wenn sie die Brise vorwärts zwischen die großen Segelbalken brachte.
Beim ersten Anblick hatte man die Entfernung bis zu dem fremden Schiffe auf ungefähr fünfzehn Meilen geschätzt, da seine Leinwand klein und unförmlich erschien; jetzt aber begannen über sein Takelwerk, seine Größe und Entfernung allerhand Zweifel aufzutauchen. War es ein großes, hohes Schiff, so mußte es natürlich um ein Bedeutendes weiter entfernt stehen, und – war es ein großes, hohes Schiff, so konnte es nicht der Irrwisch sein.
Die andere Fregatte richtete sich in ihrem Kurse nach der Proserpina und steuerte quer über den Golf nach dem nördlichen Rande desselben – ein sicheres Zeichen, daß auch von ihren Toppmarsen aus Nichts sichtbar war, was sie zu einer andern Richtung hätte bestimmen können.
Nach zwei Stunden war übrigens am Borde der Terpsichore kein Zweifel mehr darüber, daß man sich auf einer falschen Fährte befand, und daß das leewärts liegende Schiff ihr eigener Kamerad, die Schaluppe, war. Lyon hatte nämlich, von heftigem Verlangen getrieben, die Prise vorher zu bekommen, ehe sie von den beiden andern Schiffen gesehen würde – die Ringeltaube mitten in den Golf hineingeführt, und Cuffe und Sir Frederick auf diese Art irre geleitet.
»Es ist kein Zweifel mehr!« rief der Kapitän der Proserpina, und senkte das Glas mit einem Unwillen, der sich in seinem ganzen Wesen unverkennbar aussprach; »es ist ein größeres Schiff, Winchester, und muß, wie Ihr sagt, die Ringeltaube sein: was Teufels der alte Lyon da drinnen zu schaffen hat, wenn er nicht etwa dicht am Lande etwas Feindliches bemerkt – das kann ich nicht verstehen. Da übrigens in dieser Region offenbar Nichts zu entdecken ist, so wollen wir doch einmal halten und uns selber umschauen.«
Damit war die Hoffnung auf einen Erfolg so ziemlich vernichtet. Die Offiziere fingen an zu vermuthen, daß ihr Ausgucker auf Campanella sich getäuscht, und eine Felucke oder vielleicht eine Schebecke für den Lugger angesehen habe, da man beiderlei Fahrzeuge auf einige Meilen Entfernung wohl mit einander verwechseln konnte.
An dem ganzen Irrthum waren übrigens Die auf dem Schiffe selber schuldig. Der Offizier, den man auf die Höhen geschickt hatte, war ein verschmitzter, erfahrener Untersteuermann, der Alles, was zu seinem besonderen Wirkungskreise gehörte, vortrefflich inne hatte, sonst aber beinahe gar nichts verstand. Wäre sein Hang zur Trunkenheit nicht gewesen, so wäre er schon längst zum Lieutenant vorgerückt, da er in der That länger als Winchester in der Marine diente; doch seiner eigenen Schwäche wohl bewußt, gehörte er zu einer Menschenklasse, welche das Avancement mehr wie eine Gottesgabe als wie ein Recht betrachtete, und hatte sich deßhalb längst in den Kopf gesetzt, daß er in seiner gegenwärtigen Stellung zu leben und zu sterben bestimmt sei, worüber denn jedes Verlangen nach etwas Höherem so ziemlich in ihm erloschen war. Der Name dieses Mannes war Clinch. In Folge seiner langen Erfahrung wurde die Meinung des Mates, wenn es den ihm eigenen Wirkungskreis betraf, – so lange er nämlich nüchtern war – von den Vorgesetzten sehr geachtet, und da er so vorsichtig war, im Dienste nie anders als nüchtern zu erscheinen, so hatte ihm seine Schwäche nur selten ernstliche Unannehmlichkeiten zugezogen. Cuffe hatte ihn in der schönsten Hoffnung und in der festen Ueberzeugung auf die Höhen von Campanella gestellt, daß, wenn irgend Etwas zu sehen wäre, es seinem Adlerblicke gewiß nicht entgehen würde.
Doch dieses Vertrauen war jetzt völlig getäuscht, und als dem Kapitän eine halbe Stunde später gemeldet wurde, ›der Kutter komme mit Mr. Clinch den Golf herunter auf sie zugesegelt‹, konnte Ersterer selbst den Namen seines betrunkenen Lieblings nicht ohne Verdruß anhören. Wie gewöhnlich, wenn er übler Laune war, ging er auch dießmal bei der Annäherung des Bootes in seine Kajüte, und hinterließ den Befehl, den Offizier, sobald er an Bord gekommen wäre, zu ihm hinabzuschicken.
Fünf Minuten später sah man Clinch sein finsteres, wetterzerschlagenes, aber dennoch hübsches, rothes Gesicht zur Kajütenthüre hereinstrecken.
»Nun, Sir,« begann der Kapitän in ziemlich hochfahrendem Tone, »eine verd – t hübsche Wildgänsejagd das, auf die Ihr uns Alle in diesen Golf heruntergeschickt habt! Der Südwind ist schon jetzt im Ersterben, und in einer halben Stunde wird wohl das Pech auf den Schiffen schmelzen, so windstill werden wir daliegen: kommt der Wind, so bläst er aus Westen und bringt uns sammt und sonders vier bis fünf Meilen todt nach leewärts.«
Clinch hatte sich durch seine lange Erfahrung im Seedienst die nützliche Lehre eingeprägt, daß man sich vor einem Sturme bücken müsse und ihm nicht Trotz zu bieten suchen dürfe. So oft er ›geriffelt‹ wurde, zeigte sich in seinem Gesicht ein Ausdruck der Ueberraschung, der höchst komisch mit dem der Zerknirschung wechselte, und jedesmal zu sagen schien – ›was hab' ich denn gethan?‹ oder ›wenn ich Etwas unrichtig angegriffen, da seht nur, wie mir's leid thut‹. – Auch bei der jetzigen Veranlassung trat er dem Kommandirenden mit der angedeuteten Miene entgegen, und es gelang ihm auch dießmal, wie immer, ihn dadurch einigermaßen zu besänftigen.
»Nun, Sir, erklärt einmal die Sache, wenn's Euch gefällig ist,« begann Cuffe nach augenblicklicher Pause auf's Neue.
»Wollt Ihr mir gefälligst sagen, Sir, was Ihr erklärt zu haben wünscht?« fragte Clinch, und das Erstaunen in seinen Zügen schien sich eher noch zu steigern.
»Das ist eine sonderbare Frage, Mr. Clinch! Ich wünsche eine Erklärung über das Signal, das Ihr von jener Landspitze aus gezeigt habt, Sir. Habt Ihr nicht unserem Schiffe durch Signale zu verstehen gegeben, daß Ihr den Few-Folly hier herunter gegen Süden segeln sähet?«
»Ja, Sir, und ich bin froh, daß kein Mißverständniß in der Sache vorgefallen ist,« antwortete Clinch mit dem zuversichtlichen Tone eines Mannes, der sich von einer Besorgniß erleichtert fühlt. »Ich fürchtete Anfangs, Kapitän Cuffe, mein Signal möchte nicht richtig verstanden worden sein.«
»Verstanden! Wie hätte es denn mißverstanden werden können? Ihr zeigtet ja eine schwarze Balle, und das bedeutet: ›der Lugger läßt sich sehen‹. Ihr werdet das hoffentlich nicht läugnen wollen?«
»O nein, Sir; eine schwarze Balle bedeutet: ›der Lugger läßt sich sehen‹. Das ist's gerade, was ich zeigte, Kapitän Cuffe.«
»Und drei schwarze Ballen zusammen, zum Zeichen, daß ›er gerade südlich von Capri steuert‹. – Was habt Ihr darauf zu sagen?«
»Alles richtig, Sir. Drei schwarze Ballen zusammen bedeutet: ›er steuert gerade südwärts von Capri‹. Die Entfernung habe ich deßhalb nicht angegeben, Kapitän Cuffe, weil mir Mr. Winchester kein Signal dafür mittheilte.«
»Und diese Signale habt Ihr alle halbe Stunden, so lang es Tag war, ja sogar bis zum Aufbruch der Proserpina – erneuert?«
»Alles meiner Ordre zufolge, Kapitän Cuffe, wie Mr. Winchester Euch bezeugen wird. Ich sollte das Signal, so lange der Lugger zu sehen wäre und bis zum Einbruch der Nacht, alle halbe Stunden wiederholen.«
»Ja, ja, Sir; aber Ihr hattet keine Ordre, uns nach einem Irrwische auszusenden, oder die nächste beste Schebecke von einer der griechischen Inseln für einen leichten, lenksamen, französischen Lugger anzusehen.«
»Das that ich auch nicht, Kapitän Cuffe – ich bitte um Verzeihung, Sir. Ich signalisirte den Few-Folly und nichts anderes, darauf kann ich Euch mein Wort geben.«
Cuffe fixirte den Untersteuermann eine halbe Minute lang mit strengem Blick, und unmerklich fühlte er seinen Zorn sich mindern.
»Ihr seid ein zu alter Seemann, Clinch, um nicht zu wissen, was Ihr vorhattet. Wenn Ihr den Kaper gesehen habt, so seid doch so gut und sagt uns wenigstens, was aus ihm geworden ist?«
»Das ist mehr, als ich sagen kann, Kapitän Cuffe – aber gesehen hab' ich ihn, und zwar so deutlich, daß ich sogar sein Bratspill unterscheiden konnte. Ihr wißt, Sir, wie wir ihm bei jener Jagd in der Gegend von Elba seine Bratspillraa abschossen; seit der Zeit hat er eine neue eingesetzt, welche ganz ungewöhnlich nach vorn überhängt. Ich merkte mir das, als wir im Kanal von Piombino abermals mit ihm zusammentrafen, und sobald ich ihn also gestern erblickte, mußte ich ihn doch wohl daran erkennen. Wer den trotzigen Folly einmal gesehen hat, kann ihn nicht leicht verkennen, und ich weiß gewiß, daß er es war, den wir damals, als ich das erste Mal signalisirte, ungefähr vier Meilen südlich vom Kap erblickten.«
»Vier Meilen! – Ich hatte mir gedacht, er müsse wenigstens acht bis zehn entfernt sein, und hielt auch in diesem Abstande von ihm ab, um ihn in's Netz zu bekommen. Warum ließet Ihr uns seine Entfernung nicht wissen?«
»Hatte keine Signale dazu, Kapitän Cuffe!«
»Nun denn, warum habt Ihr aber kein Boot abgeschickt, um es uns melden zu lassen.«
»Hatte keine Ordre, Sir. War von Mr. Winchester angewiesen, blos den Lugger und seinen Standpunkt zu signalisiren, und das thaten wir deutlich genug, wie Ihr selbst gestehen müßt, Kapitän Cuffe. Ueberdieß, Sir –«
»Nun – überdieß was?« fragte der Kapitän, als er den Untersteuermann stocken sah.
»Nun, Sir, wie konnte ich denn wissen, daß irgend Jemand auf der Fregatte glauben könne, ein Lugger sei acht bis zehn Meilen weit zu sehen. Das ist schon eine weite Wasserstrecke, Sir, und man müßte bei einem großen Schiffe schon auf die höchsten Spieren hinaufsteigen, um eine solche Aussicht vor sich zu haben.«
»Die Landspitze, auf welcher Ihr standet, ist viel höher als jede Spiere unserer Schiffe.«
»Ganz richtig, Sir; aber dazu immer nicht hoch genug, Kapitän Cuffe. Daß ich den Folly sah, das weiß ich so gewiß, als daß ich mich jetzt in Eurer Kajüte befinde.«
»Was ist aber dann aus ihm geworden? Ihr seht doch, er ist jetzt nicht mehr im Golfe zu erblicken!«
»Ich vermuthe, Kapitän Cuffe, er wird wohl so lange, als ihm zweckmäßig schien, im gleichen Kurse geblieben sein und dann nach Einbruch der Nacht seewärts gehalt haben. Er hatte übrig genug Raum vor sich, um zwischen den beiden Fregatten in die See hinaus zu gelangen, ohne in der Dunkelheit gesehen zu werden.«
Diese Vermuthung war so plausibel, daß sich Cuffe dadurch beschwichtigen ließ – und doch hatte Clinch die eigentliche Tatsache nicht getroffen.
Er hatte den Feu-Follet von seinem erhöhten Standpunkte aus allerdings im Süden gesehen, wie sein Signal gemeldet hatte, und seine Behauptungen über dessen Verfahren, bis die Dunkelheit jede Bewegung verhüllte, waren alle richtig. Statt aber, wie Clinch glaubte, den Golf zu verlassen, hatte der Lugger eine Viertelmeile von Campanella aufgehalt, war um jene Landspitze herumgesegelt, die Küste entlang nordwärts geradezu in den Golf von Neapel eingelaufen, und zwischen Ischia und Capri in die hohe See hinausgesteuert, wobei er eben an jenem Ankerplatze vorüberkam, welchen die drei englischen Schiffe kaum zuvor eingenommen hatten.
Als Raoul sein Schiff verlassen, hatte er befohlen, es wohl vom Lande ab und gerade so unter seinem Bratspillsegel zu halten, daß man Ischia und Capri fortwährend im Auge behielte. Da das Bratspill ein niedriges Segel ist, und ein Lugger überhaupt keine hohen Masten hat, so war dieß eines der gewöhnlichen Hilfsmittel von Kreuzern dieser Art, wenn sie lästiger Beobachtung entgehen wollen.
Monsieur Pintard, Raouls erster Lieutenant, hatte von demselben Punkte aus, wo Clinch postirt worden war, ein Signal von seinem Kommandanten erwartet; da er keines erhielt, war er nach Einbruch der Dunkelheit längs der Küste hingezogen, in der Hoffnung, den Standpunkt des Vermißten durch das Abbrennen eines blauen Lichtes zu entdecken. Als auch dieses fehlschlug, war er so zeitig vom Lande abgesteuert, daß er noch vor der Wiederkehr des Tageslichts die offene See erreichen und sodann die Morgenbrise zur Weiterfahrt benützen konnte.
Gerade die Kühnheit dieses Manövers war es, welche den Lugger rettete; denn Lyon kam kaum zwanzig Minuten früher durch den Paß zwischen Capri und Campanella, ehe Pintard blos mit eingesetztem Klüver- und Bratspillsegel dicht am Fuße des felsigen Kapes vorüberzog und sich ängstlich nach einem Signale seines Kapitäns umschaute. Die Franzosen konnten die Kriegsschaluppe ganz deutlich sehen, und mit Hilfe ihrer Nachtgläser sogar ihren Charakter entdecken, hielten sie jedoch irrigerweise für ein anderes Schiff, das nach Sicilien oder Malta bestimmt war: ihr eigenes Fahrzeug dagegen entging jeder Beobachtung des Feindes, Dank dem kleinen Segel, das sie führten, ihrer niedrigen Takelage und ihrer Lage in der Nähe des Landes, wodurch das Schiff eine dunkle Felsenreihe zum Hintergrund erhielt.
Clinch hatte nach Eintritt der Dunkelheit von den Bewegungen des Luggers nichts mehr gesehen, da er sich, sobald er bemerkte, daß sein eigenes Schiff in See gegangen und er mit seiner Bootsmannschaft zurückgelassen war, in das Dorf St. Agata zurückgezogen und nach einem Nachtlager umgesehen hatte. Am folgenden Morgen war er, so wie er die Fregatte südwärts entdeckte, alsbald vom Lande gestoßen und, wie schon erzählt, nach seinem eigenen Schiffe zurückgerudert.
»Wo habt Ihr die Nacht zugebracht, Clinch?« fragte der Kapitän, nachdem sich Beide über das wahrscheinliche Entkommen des Luggers besprochen hatten – »doch nicht auf den Höhen und unter freiem Himmel?«
»Auf den Höhen und unter der großen Himmelsdecke, welche uns Beide schon oft einhüllte, Kapitän Cuffe – nur hatte ich ein gutes neapolitanisches Lehmdach zwischen ihr und meinem Haupte. Sobald es dunkel wurde und ich bemerkte, daß die Proserpina abgesegelt war, entdeckte ich ein Dorf, mit Namen St. Agata, das auf den Höhen und gerade hinter den sogenannten Sirenenfelsen liegt – dort fanden wir ein gutes Unterkommen bis zum Morgen.«
»Es ist ein Glück, daß Ihr die ganze Bootsmannschaft zurückbringt, Clinch. Ihr wißt, bei uns herrscht gerade jetzt im Punkte der Bemannung gewaltige Ebbe, und unseren Burschen darf man hier herum in einem Lande, das steinerne Mauern, guten Wein und hübsche Mädchen im Ueberflusse hat, – nicht allzu viel vertrauen.«
»Ich nehme jedesmal eine Rotte tüchtiger, zuverlässiger Bursche mit mir, Kapitän Cuffe. Mir ging in diesen letzten fünf Jahren noch nie ein Mann von einem Boote verloren.«
»Da müßt Ihr wohl ein Geheimniß besitzen, das ich gerne wissen möchte, denn sogar auf den Admiralschiffen kommt's zuweilen vor, daß einer von der Barkenmannschaft durchgeht. Ihr werdet vermuthlich lauter verheirathete Bursche mitnehmen, welche ihren Weibern mit der Festigkeit eines Pflichtankers anhängen – das soll oft ein recht gutes Mittel sein.«
»O keineswegs, Sir. Ich versuchte es Anfangs, bis ich fand, daß die Hälfte der Bursche gerne davon gelaufen wäre, nur um ihrer Weiber auf diese Art los zu werden. Die Portsmouther und Plymouther Heirathen bringen nicht immer so großes Glück, Sir, und von den Ehemännern würden viele nach Ablauf des Honigmonats die Sache gerne mit einem Risse abbrechen. Erinnert Ihr Euch nicht, Sir, als wir noch zusammen auf dem Blenheim waren, verloren wir von der Bemannung des Langboots eilf Mann auf einmal, und es stellte sich heraus, daß neun davon liederliche Vagabunden waren, Sir, welche weinende Weiber und arme Kinder zu Haus im Stiche ließen!«
»Jetzt, da Ihr mich d'ran erinnert, kann ich mich allerdings eines derartigen Vorfalls entsinnen. – Nehmt Euch einen Stuhl, Clinch, und trinkt ein Glas Grog mit mir. Toni, stelle eine Flasche Jamaika vor Mr. Clinch. Ich habe sagen hören, Ihr selbst seid verheirathet, mein galanter Herr Untersteuermann.«
»Du lieber Gott! Kapitän Cuffe, das ist so eine Geschichte von unseren jungen Herren. Wenn Einer Alles glauben wollte, was sie sagen – die christliche Religion würde bald ihrer eigenen Klüse dwarsab gegenüber kommen, und was die Moral betrifft, da würde Jeder nur aufs Gerathewohl in den Tag hineinleben,« antwortete Clinch, nach einem höchst dankbaren Zuge mit den Lippen schnalzend. »Wir haben in dieser gesegneten Minute eine gewaltige Rotte von Sausewinden am Bord unserer Fregatte, Kapitän Cuffe, Sir, und Mr. Winchester hat mit ihnen alle Hände voll zu thun! Ich muß mich oft nur über seine Geduld wundern, Sir!«
»Wir sind selbst einmal jung gewesen, Clinch, und sollten Nachsicht haben mit den Thorheiten der Jugend. Doch was für ein Nachtlager fandet Ihr heute Nacht auf jenen Felsen da drüben?«
»Nun, Sir, so gut als man's außerhalb Alt-England erwarten kann. Ich traf eine ältliche Frau, die sich Giuntotardi nannte – das ist doch gutes, geregeltes Italienisch, nicht wahr, Sir?«
»Allerdings – doch Ihr sprecht ja, glaub' ich, diese Sprache, Clinch?«
»Nun, Sir, ich habe mich so lange in der Welt herumgetrieben, daß ich jede Sprache so ein bischen verstehe, da ich's bequem finde, zumal wenn man sich nach Speise und Trank umzusehen hat. Wir Beide – die alte Dame und ich haben einen herrlichen Rocken mit einander abgesponnen, Sir. Es scheint, sie hat eine Nichte und einen Bruder in Neapel, welche schon gestern Nacht hätten zurück sein sollen, und so war sie denn ihrethalben in großen Aengsten, und verlangte immer zu wissen, ob unser Schiff nichts von den Vermißten entdeckt habe.«
»Bei St. Georg! Clinch, da hättet Ihr herrlich sondiren können, wenn Ihr es nur gewußt hättet! Unser Gefangener ist auch in jener Gegend gewesen, und wenn wir die alte Frau gehörig ausfragen könnten, würden wir vielleicht einigen Aufschluß über seine Manöver erhalten. Ich hoffe, Ihr seid als gute Freunde geschieden?«
»Als die besten von der Welt, Kapitän Cuffe. Wer mich gut bewirthet und beherbergt, braucht mich nie als Feind zu fürchten.«
»Dafür will ich garantiren! Das ist auch der Grund, warum Ihr so loyal seid, Clinch.«
Das finstere, rothe Gesicht des Untersteuermanns zuckte ein klein wenig, und wenn auch sein Blick nicht alle Schattirungen seiner inneren Bewegung aussprach, so äußerte er letztere wenigstens dadurch, daß er überall hin, nur nicht dem Kapitän in's Auge schaute. Es war jetzt zehn Jahre, daß er hätte Lieutenant werden sollen, denn dem Dienstalter nach wäre er sogar vor Cuffe selbst gekommen, und sein Gewissen mahnte ihn sehr empfindlich an zweierlei Umstände, erstens – an seine lange und harte Probezeit, und zweitens daran, daß – er selbst in hohem Grade die Schuld derselben trug.
»Ich liebe Seine Majestät, Sir,« bemerkte Clinch, nachdem er sich geräuspert, »und wenn's mir selber irgend hart geht, so lege ich es nie Ihm zur Last. Aber Gedächtniß wird eben immer Gedächtniß bleiben, und so muß ich mich trotz all' meines Widerstrebens zuweilen doch daran erinnern, was ich hätte werden können und was ich wirklich geworden bin. Seine Majestät ernährt mich allerdings – aber mit dem Löffel eines Untersteuermanns, und wenn ich in seinem Dienste eine Herberge finde, so ist es doch nur in der Ambülance.«
»Ich bin schon oft und Jahre lang Euer Schiffskamerad gewesen,« antwortete Cuffe gutmüthig, doch nicht ganz ohne die Miene des Vorgesetzten; »und Niemand kennt Eure Geschichte besser als ich. Es sind nicht sowohl Eure Freunde, welche Euch im Nothfalle im Stiche ließen, als vielmehr ein gewisser Feind, dessen Gesellschaft Ihr niemals aufgeben wollt, obgleich er gerade Denen, die ihn am liebsten haben, auch am meisten schadet.«
»Ja, ja, Sir – das läßt sich freilich nicht läugnen, Kapitän Cuffe; und doch ist es ein hartes Ding, wenn man seine Tage so ohne alle Hoffnung verleben soll.«
Diese Worte wurden in so traurigem Tone gesprochen, daß Cuffe dadurch einen tieferen Blick in Clinchs Charakter gewann, als er seit Jahren hatte thun können, und manche früheren günstigen Eindrücke wurden auf's Neue in ihm angeregt. Clinch war sogar einmal sein Tischgenosse gewesen, und wenn auch Jahre einer entschiedenen Ungleichheit des Rangs eine Schranke in Etikette und Gesinnung zwischen ihnen aufgerichtet hatten, so konnte Cuffe diesen Umstand doch niemals vergessen.
»Es ist allerdings hart, wie Ihr sagt, ohne Hoffnung zu leben,« erwiederte der Kapitän; »aber Hoffnung sollte ja sogar noch vor dem Tode unser Letztes sein. Ihr dürftet Euch nur noch einmal zusammennehmen, Clinch, ehe Ihr Euch ganz der Verzweiflung hingebt.«
»Ich erwähne der Sache nicht sowohl meinethalben, Kapitän Cuffe, als wegen einiger Angehörigen, die noch zu Haus am Leben sind. Mein Vater war einer der achtbarsten Handelsmänner in Plymouth, und als er mich aufs Quarterdeck brachte, glaubte er, was Rechtes aus mir zu machen, statt daß ich jetzt mein Leben in einer Stellung zubringe, die, wie man wohl sagen kann, sogar noch geringer als seine eigene ist.«
»Da schätzt Ihr aber Euren eigenen Posten zu gering, Clinch. Die Stelle des Untersteuermanns auf einer von Seiner Majestät schönsten Fregatten ist etwas, worauf man stolz sein darf; ich war auch einmal Untersteuermann – ja sogar Nelson hat ohne Zweifel denselben Posten ausgefüllt. Was das betrifft, so kann ja selbst einer von Seiner Majestät eigenen Söhnen durch diese Rangstufe weiter gegangen sein.«
»Ja, ja, Sir, durch sie weiter gegangen, wie Ihr sagt,« erwiederte Clinch mit hohler Stimme. »Für die, welche durch dieselbe gehen, mag das ganz gut sein, aber für solche, die dabei stehen bleiben – ist's der Tod. Für einen Midshipman ist's wie eine Feder, die er sich auf den Hut steckt, wenn er einmal Mate wird; in meinem Alter aber ist's keine Ehre mehr, Mate zu sein, Kapitän Cuffe.«
»Wie alt seid Ihr, Clinch? – Nicht viel älter als ich.«
»Aelter als Ihr, Sir! – Der Unterschied in den Jahren ist zwischen uns freilich nicht so groß, als der im Rang, obwohl ich die Zweiunddreißig nie mehr erleben werde. Bei all' Dem ist's aber nicht sowohl das, als der Gedanke an meine arme Mutter, die ihr Herz daran gehängt hat, mich mit Seiner Majestät Offizierspatent in der Tasche zu sehen, und noch an eine zweite Person, die einem Manne ihr Herz schenkte, der leider ihrer Neigung niemals würdig war.«
»Das ist mir neu, Clinch,« versetzte Cuffe mit Theilnahme. »Man denkt so selten an die Heirath eines Steuermannsmate's, daß der Gedanke, Ihr könntet so etwas im Sinne haben, mir höchstens im Scherze gekommen wäre.«
»Steuermannsmate's haben schon geheirathet, Kapitän Cuffe, und jedesmal hat's ein erbärmliches Ende mit ihnen genommen. Doch Johanna und ich haben uns entschlossen, ledig zu bleiben, so lange wir nicht glänzendere Aussichten vor uns haben, als meine jetzigen Hoffnungen sie gewähren können.«
»Ist es aber auch ganz recht, Jack, ein armes junges Mädchen in einem Alter, wo sie noch die besten Aussichten zu einer vortheilhaften Verbindung vor sich hat – so auf's Ungewisse hin im Schlepptau mit sich zu führen?«
Clinch starrte seinen Kommandanten an, bis sich seine Augen mit Thränen füllten. Das Glas hatte seine Lippen nicht mehr berührt, seit das Gespräch diese Wendung genommen hatte, und der gewöhnlich harte, resignirte Ausdruck seiner Züge zeigte noch einmal das Gepräge menschlicher Empfindung.
»Es ist nicht meine Schuld, Kapitän Cuffe,« antwortete er leise; »es sind jetzt volle sechs Jahre, seit ich in sie drang, daß sie mich aufgeben sollte: aber sie wollte nichts davon hören. Ein sehr achtbarer Anwalt freite um sie, und ich bat sie sogar selbst, seine Hand anzunehmen. – Der einzige unfreundliche Blick, den ihr Auge je auf mich geworfen, traf mich damals, als sie jene Bitte von mir vernahm, die, wie sie sagte, in ihren Ohren beinahe wie gottlos klang. Sie wollte eines Seemanns Gattin sein oder als Mädchen sterben.«
»Das Mädchen hat wohl unglücklicherweise einige romantische Ideen über unsern Stand im Kopfe, Clinch, und gerade solche Geschöpfe sind immer am schwersten davon zu überzeugen, was zu ihrem eigenen Besten gereicht.«
»Johanna Weston! – Sie nicht, Sir; es ist nicht mehr Romantik in ihrem ganzen Wesen, als auf den Denkblättern eines Gebetbuchs. Sie ist nichts als Herz, die arme Johanna! und wie ich dazu kam, dieses Herz so fest an mich zu fesseln, das ist mir immer noch ein Räthsel, Kapitän Cuffe. Ich verdiene gewiß ihre Liebe nicht zur Hälfte, und fange nun sogar an, daran zu verzweifeln, ob ich je im Stande sein werde, ihr dafür zu lohnen.«
Clinch war noch immer ein hübscher Mann, obgleich das Seemannsleben und der ihm eigene schlimme Hang in seinem von Natur freien, offenen und einnehmenden Gesichte bereits einige Spuren hinterlassen hatte. Jetzt war nur tiefe Angst darauf zu lesen, wie sie zu Zeiten sein Herz überfiel, wenn sich die Hoffnungslosigkeit seiner Lage seiner Seele in ihrem vollen Umfange darstellte.
Cuffe fühlte sich tief gerührt, denn er erinnerte sich der Zeit, da sie Tischgenossen gewesen waren, und die Zukunft dem Einen ebensoviel wie dem Andern zu versprechen schien, obgleich der Kapitän schon damals den Vorzug der Geburt voraus hatte. Clinch war ein ausgezeichneter Seemann und tapfer wie ein Löwe: auch hatte er sich dadurch die Achtung seiner Kameraden in einem Grade erworben, daß sie sogar durch seine gelegentliche Selbstvergessenheit nie mehr ganz verwirkt werden konnte. Es gab sogar Einige, die ihn für den geschicktesten Seemann auf der Proserpina erklärten, und wenn diese Geschicklichkeit auf die treffliche Handhabung und Wartung des Schiffes selbst in den gefährlichsten Augenblicken beschränkt wurde, so mochte diese Behauptung auch wahr sein.
Alle diese Umstände veranlaßten Cuffe in den jetzigen Kummer des Steuermannsmate's weit tiefer einzugehen, als er wohl sonst gethan haben würde. Statt ihm aber die Flasche zu reichen, deren unmäßigem Genusse sich der Andere, wie Cuffe jetzt wohl fühlte, aus getäuschter Hoffnung hingegeben hatte – schob er sie sachte bei Seite und reichte seinem alten Tischgenossen die Hand, indem er für einen Augenblick jeden Unterschied des Ranges zu vergessen schien.
»Jack, mein ehrlicher Junge,« begann er in freundlichem, vertraulichem Tone, der Clinchs Ohren schon lange fremd geworden war – »Ihr habt noch guten Stoff in Euch, wenn Ihr ihm nur Raum zur Entwicklung gewähren wolltet. Rafft Euch auf wie ein Mann, nehmt Euch nur wenige Monate zusammen, und es wird sich wohl etwas ereignen, das Euch noch Eure Johanna wiedergeben und Eurer alten Mutter Herz erfreuen kann.«
Es gibt Perioden im Leben der Menschen, wo ein paar gütige Worte, eine freundliche Handlung Tausende menschlicher Wesen vom Untergang retten können. – Dieser Art war auch die Krisis in Clinchs Lebensschicksale. Er hatte die Hoffnung beinahe aufgegeben, und nur manchmal war sie auf's Neue in ihm erwacht, wenn er einen ermunternden Brief von seiner standhaften Johanna erhalten hatte, welche hartnäckig jede unvortheilhafte Meinung über ihn von sich wies und jeden Vorwurf wie eine schwere Sünde verschmähte. Um aber die Wirkung, welche des Kapitäns Worte und ganzes Wesen auf den Untersteuermann hatten, ganz zu begreifen, muß man nothwendigerweise den Einfluß kennen, welchen auf einem Kriegsschiffe der höhere Rang ausübt. Die hellen Thränen stürzten Clinch aus den Augen, und er drückte die Hand seines Kommandanten in krampfhafter Bewegung.
»Was kann ich thun, Sir? Kapitän Cuffe, was kann ich thun?« rief er. »Meinen Dienst hab' ich zwar noch nie vernachlässigt; doch gibt es Augenblicke der Verzweiflung, wo ich die Last zu hart zu tragen finde, ohne zur Flasche meine Zuflucht zu nehmen.«
»So oft Einer aus einem solchen Grunde trinkt, Clinch, möchte ich ihm immer rathen, sich dessen lieber ganz und gar zu enthalten. Er darf sich selbst nicht mehr vertrauen, und was er seinen Freund nennt, ist in Wahrheit sein bitterster Feind. Folgt mir, Clinch – schlagt sogar Eure Rationen aus – entschließt Euch, gänzlich frei zu sein. Eine Woche – ja sogar ein Tag kann Euch wieder eine Stärke geben, welche Euch in Stand setzt, ganz zu überwinden, indem Ihr Eure Vernunft wieder walten laßt. Abwesenheit vom Schiff hat Euch gelegentlich mit dem Laster befreundet, denn das Wenige, was Ihr hier zu Euch genommen, war nicht hinreichend, um Euch zu schaden. Wir haben jetzt eben eine höchst interessante Aufgabe vor uns, und ich will Euch auf eine Art zu thun geben, die von großer Wichtigkeit für Euch werden kann. Macht nur, daß Euer Name einen hübschen Platz in einer Depesche findet, und das Patent ist Euch gesichert. Nelson liebt es überhaupt alte Theerjacken vorzuziehen, und nichts würde ihn glücklicher machen, als wenn er Euch dienen könnte. Ihr dürft mir nur Veranlassung geben, es von ihm zu verlangen, und ich stehe Euch für den Erfolg. Gerade Euer Besuch in der Hütte dieser Frau könnte nicht ganz ohne Folgen sein – so sorgt also dafür, daß Ihr Eurem Glücke nicht selbst aus dem Wege geht.«
»Gott segne Euch, Kapitän Cuffe; Gott segne Euch, Sir!« antwortete Clinch tief erschüttert – »ich will versuchen, so zu handeln, wie Ihr wünscht.«
»Gedenkt Johanna's und Eurer Mutter. Wer ein Mädchen besitzt, das sein Glück ganz von des Mannes Existenz abhängig macht, der müßte wahrlich ein unvernünftiges Thier sein, wenn er den Kampf nicht mit allen Kräften aufnähme.«
Clinch stöhnte, denn Cuffe griff tief in seine Wunde, wenn gleich in der edlen Absicht, sie zu heilen. In seinem Seelenschmerze auf dem Stuhle sich krümmend, wischte sich der Untersteuermann endlich den Schweiß vom Gesicht, und gewann allmählig seine Selbstbeherrschung so weit wieder, daß er vergleichungsweise ruhig wurde.
»Wenn mir nur ein Freund den Weg bezeichnen wollte, wie ich das verlorene Terrain wieder gewinnen könnte,« sprach er, – »meine Dankbarkeit für ihn sollte erst mit meinem Leben enden, Kapitän Cuffe.«
»Nun so hört mich, Clinch – ich will Euch eine Aussicht eröffnen. Nelson liegt an der Beifahung dieses Luggers fast ebensoviel, als ihm nur jemals an dem Zusammentreffen mit einer feindlichen Flotte gelegen. Der Offizier, der ihm bei dieser Veranlassung gute Dienste leistet, darf gewiß sein, daß der Admiral seiner gedenken wird, und ich will Euch jede Gelegenheit hiezu bieten, die nur immer in meiner Macht steht. Geht und kleidet Euch aufs Beste; macht, daß Ihr so stattlich ausseht, als Ihr es wohl im Stande seid, und dann haltet Euch zu einem Bootsdienste bereit. Ich habe vorderhand schon einen Dienst für Euch, welcher der Anfang Eures Glückes sein kann, wenn Ihr anders Eurer Mutter, Johanna und Euch selbst getreu bleibt.«
Clinch fühlte sich von neuem Leben durchströmt. Jahre lang schon war er übergangen, war scheinbar vergessen worden, wenn man nicht gerade eines vollendeten Seemannes bedurfte, und selbst der Versuch, sich auf die Proserpina versetzen zu lassen, deren Kommandant ein alter Tischgenosse von ihm war, hatte dem Anscheine nach fehlgeschlagen. Jetzt aber war ihm eine Möglichkeit eröffnet, und ein Strahl der Hoffnung brach, strahlender als je, in die Dunkelheit seiner Zukunft.
Sogar Cuffe war über den frohen Ausdruck in des Steuermanns Zügen und über die Lebendigkeit seiner Bewegungen betroffen, und machte sich insgeheim Vorwürfe darüber, daß er so lange für das wahre Wohl eines Mannes, der doch gewiß Ansprüche an seine Freundschaft besaß, gleichgültig gewesen war.
Und doch war in dem gegenwärtigen Verhältnisse zwischen diesen alten Tischkameraden durchaus nichts Ungewöhnliches. Durch Familie und Freunde begünstigt, hatte Cuffe niemals Ursache gehabt, in Kleinmuth zu verfallen, sondern war mit Glück und Unternehmungsgeist auf seiner Laufbahn weiter geschritten, während der Andere, ohne äußere Stütze und jeder unmittelbaren Gelegenheit, vorwärts zu kommen, beraubt, auf schlimme Abwege gerathen, und nach und nach der Mann geworden war, den wir in ihm kennen gelernt haben.
Beispiele, wie dieses letztere, sind selbst in einer Marine, wo die Beförderung so regelmäßig, wie in dem amerikanischen Dienste stattfindet – keineswegs selten; nur der Fall wird nicht zu oft getroffen werden, daß es Einem unter so traurigen Umständen gelingt, das Versäumte wieder nachzuholen.
Nach einer halben Stunde stand Clinch in seinem besten Anzuge zum Dienst bereit. Die Offiziere des Quarterdecks betrachteten mit Erstaunen alle diese Vorkehrungen, denn in neuerer Zeit war der Untersteuermann in diesem Theile des Schiffes überhaupt nur sehr selten gesehen worden. Doch auf einem Kriegsschiffe macht die Disciplin einen Theil des Glaubens aus, und Niemand wagte Fragen zu stellen.
Der Kapitän schloß sich mit Clinch abermals einige Minuten lang ein und ertheilte ihm seine Befehle; dann sah man den Mann mit froher Miene das Schiff verlassen, und des Kapitäns eigenes Boot – den schnellsten Ruderer der Fregatte – besteigen.
Sobald er darin Platz genommen, stieß das Boot ab, und steuerte gegen die Landspitze von Campanella, die jetzt ungefähr drei Meilen entfernt sein mochte. Niemand wußte, wohin er bestimmt war: Alle aber glaubten, es gelte einen Dienst, der sich auf den Lugger bezöge und einen umsichtigen Seemann zu seiner Ausführung erforderte.
Cuffe selbst war in der jüngsten Zeit unstät und ruhelos gewesen, wurde aber jetzt gefaßter, als er seinen alten Tischgenossen rüstig und mit einer Geschwindigkeit dahin rudern sah, welche ihn im Laufe weniger Stunden sogar bis Neapel bringen mußte, falls seine Reise wirklich so weit gehen sollte.