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Siebentes Kapitel

Antigonus: In der That, Sir, es sind Betrüger da draußen!
d'rum geziemt's einem Manne, auf der Hut zu sein.

Clown: Fürchte nichts, Mann, du sollst hier nichts verlieren.

Antigonus: Ich hoffe so, Sir; denn ich habe allerhand Scheidemünze
bei mir.

Das Wintermährchen.

 

So standen die Sachen zu Porto Ferrajo gegen Mittag oder um die Stunde, wo sich dessen Bewohner zum Mittagsmahle niedersetzten. Die Meisten ließen die Siesta darauf folgen, obwohl die Seeluft mit ihrer belebenden Kühle den Bewohnern dieser Insel eine solche Erholung weit weniger, als ihren Nachbarn auf dem Hauptlande drüben nöthig machte. Nach dieser Periode folgte die erquickende Frische des Abends, und mit ihr die Wiederkehr des Zephyrs oder der westlichen Brise.

Dieser Wechsel in der Luftströmung ist in der That während der Sommermonate am mittelländischen Meere so regelmäßig, daß der Seemann mit Sicherheit darauf rechnen kann, den ganzen Morgen eine leichte Brise aus Süden, Mittags Windstille – die Siesta des Meeres – und gegen drei oder vier Uhr ein köstliches Lüftchen aus Westen kommen zu sehen, welch' Letzterem dann mit Einbruch der Nacht ein frischer Landwind zu folgen pflegt. Wochen lang hinter einander haben wir diese Reihenfolge ununterbrochen fortdauern sehen, und wenn auch hie und da ein Wechsel eintrat, so geschah es nur in den leichten Episoden der Regenschauer und Gewitterstürme, deren Italien weit weniger, als die Küste von Amerika aufzuweisen hat.

Dieses war also der Stand der Dinge zu Porto Ferrajo am Abend jenes Tages, der mit so viel Geräusch und Aufregung begonnen hatte. Der Zephyr hatte sich wieder eingestellt: die Spaziergänger hatten abermals ihre Abendpromenade angetreten, und die klatschsüchtige Menge begann von Neuem ihre Muthmaßungen aufzuwärmen und neue Zweifel und Behauptungen in den beinahe erstorbenen Streit zu bringen. Da erhob sich plötzlich das Gerücht und verbreitete sich in der Stadt wie ein Lauffeuer: der »Ving-y-Ving« nähere sich der Insel abermals von der Luvseite her, gerade wie er am Abend vorher herangezogen war – mit dem Vertrauen eines Freundes und der Geschwindigkeit eines Vogels.

Jahre waren schon verstrichen, seit kein ähnlicher Tumult mehr in der Hauptstadt von Elba entstanden war. Männer, Frauen, Kinder sah man aus den Häusern stürzen und die Höhen hinanklimmen: alle eilten nach der Promenade, wie wenn sie sich mit eigenen Augen von dem Dasein eines solchen Wunders überzeugen wollten. Vergeblich riefen die Alten und Schwachen ihre jüngeren, kräftigeren Genossen um den üblichen Beistand an: man floh sie gleich Pestkranken, und überließ es ihnen selbst, die Terrassen so gut sie konnten, hinauf zu humpeln. Sogar Mütter konnte man ihre Kleinen eilends mit sich fortschleppen, und dann, als fürchteten sie, zu spät zu kommen, auf offener Straße verlassen sehen, obgleich sie überzeugt sein durften, daß dieselben bis an den Fuß der Anhöhe hinabrollen würden, wenn es ihnen nicht gelänge, den Gipfel derselben allein zu erklimmen. Kurz – es war eine Scene der Verwirrung, welche unter vielem Anderen, was ganz natürlich war – auch manchen Stoff zum Lachen wie zur Verwunderung darbot.

Noch waren keine zehn Minuten verflossen, seit das neue Gerücht die unteren Stadttheile erreicht hatte, und schon waren an zweitausend Personen auf dem Hügel versammelt, darunter alle Hauptpersonen des Ortes, 'Maso Tonti, Ghita und wer dem Leser noch sonst aus dem Eingange unserer Erzählung bekannt ist. In der That, so sehr glich die Scene dieses Abends der des vorangegangenen – die größere Menge der Zuschauer und die sichtbarere Theilnahme etwa ausgenommen – daß, wer das gestrige Ereigniß mit angesehen, das heutige für eine bloße Fortsetzung desselben halten konnte.

Da war wieder der Lugger, mit ausgebreitetem Fock- und Hauptsegel, das Bratspill ausgegeit, gleich einem Doppelflügler daherkommend, und glitt wie eine Ente, die ihrem Neste zuschwimmt, auf der glitzernden Wasserfläche hin. Dießmal flatterte übrigens die englische Wimpel wie im Triumph am Ende der Bratspillraa, und das kleine Fahrzeug nahm seinen Weg näher gegen die Felsen, wie Einer, der mit der Küste bekannt ist und keine Gefahr befürchtet.

Es lag in der That ein Anschein festen Vertrauens in der Art, wie das Schiff sich unter die Mündung der Kanonen begab, die es in wenigen Minuten hätten in den Grund bohren können, und Niemand, der dieses Herankommen beobachtete, konnte auf den Gedanken verfallen, daß es Jemand anders, als ein wohlbekannter, vertrauter Freund sei, der sich also nähere.

»Glaubt Ihr wohl, Signor Andrea,« fragte Vito Viti triumphirend, »daß einer jener republikanischen Schurken auf diese Art nach Porto Ferrajo zu kommen wagen würde – wenn er noch überdieß, wie dieser »Sir Smees« die Leute kennt, mit denen er's zu thun hat? Erinnert Euch, Vicestatthalter, daß der Mann in eigener Person unter uns am Lande war, und doch wahrscheinlich seinen Kopf nicht geradezu in des Löwen Rachen stecken würde!«

»Du hast deine Meinung in der That stark geändert, Nachbar Vito,« antwortete der Vicestatthalter etwas trocken, denn er war weit entfernt, sich von dem Thema des Sir Cicero, so wie von manchen anderen Umständen aus der englischen Geschichte und Politik befriedigt zu fühlen: »Personen vom Magistrate ziemt es eher vorsichtig und behutsam zu sein.«

»Ei, seht doch – wenn es in ganz Elba einen behutsameren, umsichtigeren Mann gibt, als den armen Podesta von Porto Ferrajo, so laßt ihn einmal in Gottes Namen auftreten und seine Thaten beweisen! Ich denke, Herr Vicestatthalter, für den müssigsten, unwissendsten Mann in des Großherzogs Staaten brauche ich mich doch gerade nicht zu halten. Weisere mag es allerdings geben, worunter ich Eure Eccellenza zähle – aber einen loyaleren Unterthan, einen eifrigeren Freund der Wahrheit findet Ihr gewiß nirgends.«

»Ich glaube es ja, guter Vito,« erwiederte Andrea, und lächelte seinen alten Gefährten freundlich an, »und habe deinen Rath und deine Dienste auch immer in diesem Lichte betrachtet. Dennoch wünschte ich etwas mehr von diesem Sir Cicero zu wissen, denn, um offen mit dir zu reden, ich habe die ganze Siesta damit zugebracht, in meinen Büchern nach einem solchen Manne nachzuschlagen.«

»Und bestätigen sie denn nicht jede Sylbe, die Signor Smees gesprochen?«

»Im Gegentheil – ich kann sogar den Namen überhaupt nicht finden. Es ist zwar wahr, daß einige ausgezeichnete Redner jener Nation englische Cicero's genannt werden – das geschieht aber überall, wenn man Einen loben will.«

»Davon verstehe ich nichts, Signore – davon verstehe ich nichts. In unserem Italien mag es wohl vorkommen: aber glaubt Ihr denn, daß es auch unter so weit entlegenen und jüngst noch so barbarischen Nationen wie die Engländer, Deutschen oder Franzosen – der Fall sein könne?«

»Du vergißst, Freund Viti,« unterbrach der Vicestatthalter seinen Gefährten, und lächelte abermals, dießmal aber aus Mitleid mit dessen Unwissenheit und Vorurtheilen, während er es früher aus Freundlichkeit gethan hatte – »daß wir Italiener uns schon seit tausend Jahren die Mühe nahmen, diese Völker zu civilisiren, und daß sie die ganze Zeit über nicht rückwärts geschritten sind. – Daran ist aber wohl kein Zweifel, daß der ›Ving-y-Ving‹ abermals in unsere Bai einzulaufen beabsichtigt: dort steht ›Signor Smees‹ und beschaut uns durch sein Glas, wie wenn auch er eine zweite Zusammenkunft mit uns im Sinne hätte.«

»Mir kommt es vor, Vicestatthalter, daß es eine Sünde, fast so arg wie Ketzerei wäre, wenn man den Charakter von Leuten, welche uns so offen ihr Vertrauen schenken, bezweifeln wollte. Ein Republikaner würde gewiß nicht wagen, zum zweiten Mal in der Bai von Porto Ferrajo vor Anker zu gehen. Einmal kann es möglicherweise geschehen, zweimal aber! – nein, nie – niemals!«

»Ich weiß nicht, aber du hast doch wohl recht, Vito, und glaube mir, ich hoffe es wirklich. Willst du vielleicht zum Hafen hinabgehen und darauf sehen, daß die Formen gehörig beobachtet werden? Versäume dann nicht, dir so viele Umstände, als du kannst, zu unserem Nutzen zu sammeln.«

Die Menge setzte sich nun in Bewegung nach dem unteren Stadttheile, dem Lugger entgegen, und der Podesta drängte sich eilends durch die Masse, um, sobald »Signor Smees« an's Land steigen würde, zu dessen Empfange bereit zu sein. Man hielt es für würdevoller und passender, wenn der Vicestatthalter zurückbliebe, und den Bericht des vermeintlichen englischen Offiziers auf der Stelle, wo er jetzt eben war, erwartete.

Auch Ghita gehörte zu den wenigen Personen, welche auf der Anhöhe zurückblieben; ihr Herz pochte von Neuem aus Besorgniß vor den Gefahren, denen ihr Geliebter um ihretwillen abermals getrotzt hatte, und überfloß jetzt beinahe vor Zärtlichkeit, wenn sie sich der schmeichelnden Ueberzeugung hingab, daß Raoul Yvard nimmermehr ein solches Wagstück unternommen hätte, wenn sie nicht in Porto Ferrajo gewesen wäre.

Ghita delle Torri oder Ghita von den Thürmen, wie das Mädchen aus einem Grunde, der im Verlaufe unserer Erzählung klar werden wird, von Denen, die sie kannten, genannt wurde – eigentlich hieß sie Ghita Caraccioli – war von Kindheit an eine Waise gewesen. Sie hatte sich in ihrer eigenthümlichen Lage ein Selbstvertrauen, eine Seelenstärke angeeignet, welche bei einem so jugendlichen und von Natur so sanften Wesen sonst wohl schwerlich anzutreffen gewesen wäre. Eine Tante hatte ihrer Seele die Grundsätze der weiblichen Sitte eingeprägt, und ihr Oheim, der, von einem heftigen religiösen Drange getrieben, für die Freuden dieser Welt abgestorben war, hatte das Seinige dazu beigetragen, ihr das Gefühl tiefer Frömmigkeit und ängstlicher Gewissenhaftigkeit einzupflanzen.

So ließ die Wahrhaftigkeit ihres Wesens sie die Täuschung verdammen, welche Raoul eben jetzt beging, während ihre weibliche Schwäche sie wiederum geneigt machte, das Unrecht um des Beweggrundes willen zu verzeihen. Sie war oft und immer wieder vor dem Gedanken zurückgebebt, wie tief der junge Seemann in diesen Trug verwickelt werden mußte – einen Trug, der überdieß noch so leicht mit Gewaltthat und Blutvergießen enden konnte: dann hatte sie wieder unter dem Einflusse eines sanfteren Gefühles gezittert, wenn sie bedachte, daß er sich all' diesen Gefahren nur ihretwegen aussetzte. Ihre Vernunft hatte ihr schon längst vorgestellt, daß Raoul Yvard und Ghita Caraccioli einander eigentlich fremd sein sollten – ihr Herz aber hatte wieder ganz andere Dinge zu erzählen.

Eben die jetzige Veranlassung war ganz dazu geeignet, diese widerstreitenden Gefühle lebendig zu erhalten, und während die meisten Andern nach dem Hafen hinabeilten, um das Einlaufen des Doppelflüglers mit anzusehen, blieb sie, wie schon gesagt, auf dem Hügel zurück, indem sie, meist in Thränen gebadet, ihren eigenen Gedanken Gehör schenkte.

Raoul aber hatte keineswegs die Absicht, seinen Irrwisch einem Orte anzuvertrauen, wo er so leicht unter der Hand des Menschen erlöschen konnte. Statt, wie man erwartet hatte, vor den abermaligen Angriffen eines herumschweifenden Republikaners hinter den Gebäuden des Hafens Schutz zu suchen, schoß er an dem Ende des Quai's vorüber und ankerte nur wenige Faden von derselben Stelle, die er heute Morgen verlassen hatte, indem er den Bugsiranker wieder so auswarf, daß er nach dem Kunstausdrucke »auf denselben zu stehen kam«.

Sobald dieß geschehen war, trat er voll Zuversicht in sein Boot und ruderte nach dem Landungsplatze.

»Ei, Signor Capitano,« rief Vito Viti seinem neuen Schützlinge, sobald dieser den Fuß an's Land setzte, mit voller Herzlichkeit entgegen, »wir rechneten zuversichtlich auf das Vergnügen, Euch hier in unserem Hafen und gleichsam in unserem Busen aufzunehmen. Wie pfiffig Ihr heute Morgen diesen Sansculotten angeführt habt! Ja, ja, selbst unserem Colombo zum Trotz muß man's sagen, die Engländer sind eine große Nation und wie für den Ocean geboren! Der Vicestatthalter erzählte mir Vieles von Eurer berühmten Admiralin, der Elisabetta und von der spanischen Armada – dann hattet Ihr auch Euren Nelsoni, und jetzt haben wir unseren Smees!«

Raoul nahm diese Komplimente, welche ebensogut seiner Nation als seiner eigenen Persönlichkeit galten, sehr freundlich auf, schüttelte dem Podesta mit geziemender Herzlichkeit und Herablassung die Hand, und spielte den großen Mann, als ob er von Kindheit auf an diese Art von Weihrauch gewöhnt wäre. Wie es seiner öffentlichen Stellung sowohl, als seinem Charakter geziemte, machte er dem Andern den Vorschlag, den höheren Behörden der Insel unverzüglich seine Aufwartung zu machen.

»König Georg, mein Herr und Gebieter,« fuhr Raoul fort, während er mit Vito Viti vom Quai aus nach dem Palaste des Vicestatthalters hinging, »hält sehr streng auf diesen Punkt und hat uns Allen seine besonderen Befehle hierüber gegeben. ›Betretet nie den Hafen eines meiner Alliirten, Smeet,‹ so sprach er, als ich mich das letzte Mal bei ihm verabschiedete, ›ohne Euch sogleich pflichtgemäß zu dem Kommandanten des Platzes zu verfügen. Ihr werdet Euch durch Höflichkeit niemals etwas vergeben, und England ist ein zu gebildetes Land, um sich selbst durch die Italiener, die Schöpfer der modernen Civilisation, in solchen Sachen überbieten zu lassen.‹«

»Wahrlich, Ihr seid glücklich, einen solchen Souverain zu besitzen: dieß um so mehr, da Ihr sogar den Zutritt zu seiner geheiligten Person genießt.«

»Ja, dafür ist aber auch die Marine sein Lieblingsfach, und uns Kapitäne insbesondere betrachtet er wie seine Kinder; ›daß Ihr mir nie nach London kommt, mein theurer Smeet,‹ sagte er zu mir – ›ohne in meinem Palaste vorzusprechen, wo Ihr jederzeit einen Vater finden werdet‹ – Ihr wißt, er hat einen Sohn unter uns, der erst neulich noch, so gut wie ich selbst, Kapitän war?«

» San Stephano! – er, das Kind eines großen Königs! – Ich muß gestehen, Signore, das wußte ich nicht.«

»Ja, in England besteht ein Gesetz, wonach der König wenigstens einen Sohn in der Marine placiren soll. ›Ja,‹ sprach Seine Majestät, ›vergeßt mir niemals, den höheren Autoritäten Eure Aufwartung zu machen, und verkündet ihnen ein- für allemal mein Wohlwollen und meine Gewogenheit, sogar bis zu den untergeordneten Behörden herab, die das Vertrauen ihrer Vorgesetzten genießen.‹«

Raoul gefiel sich ungemein in der Rolle, die er jetzt spielte, nur war er fast zu sehr zu Uebertreibungen geneigt. Gleich allen kühnen und entschlossenen Geistern geschah es ihm viel zu leicht, jene Gränzlinie, welche das Erhabene vom Lächerlichen scheidet, zu überschreiten, und sich dadurch der Gefahr, entdeckt zu werden, nur allzuhäufig auszusetzen.

Von Vito Viti hatte er übrigens in dieser Beziehung wenig zu fürchten, denn bei ihm kam provinzielle Leichtgläubigkeit und Liebe zum Wunderbaren der grassesten Unwissenheit zu Hilfe, so daß Alles, was der Andere in dieser Weise äußern mochte, bei ihm ganz sicher aufgehoben war. Vito Viti hielt es für eine Ehre, sich mit einem Manne zu unterhalten, der seinerseits mit einem Könige gesprochen hatte, und er konnte nicht umhin, während er die steile Straße hinaufkeuchte, die Empfindungen, die in seiner Brust glühten, wenigstens theilweise laut werden zu lassen.

»Ist's nicht ein Glück, einem solchen Fürsten zu dienen?« rief er – »ja sogar für ihn zu sterben!«

»Letzteres ist ein Dienst, der mir bis jetzt noch nicht zu Theil geworden,« antwortete Raoul unbefangen, »der mir aber eines Tages wohl noch zufallen mag. – Glaubt Ihr nicht, Podesta, daß Der, welcher für seinen Fürsten das Leben opfert, kanonisirt zu werden verdient?«

»Das würde aber doch den Kalender bei den gegenwärtigen Kriegen gar zu sehr anfüllen, Signor; bei Generalen und Admiralen und andern hohen Personen – ja, da will ich Euch wohl recht geben. Si – ein General oder Admiral, der für seinen Souverain stirbt, verdient allerdings heilig gesprochen zu werden – und das, Signore, würde diese elenden französischen Republikaner ohne Hoffnung oder Ehre lassen!«

»Sie sind ja doch nur Canaille, vom Höchsten bis zum Niedersten, und können vernünftigerweise nichts Besseres erwarten. Wünschen sie heilig gesprochen zu werden – wohl, so laßt sie die Bourbone wieder einsetzen, um rechtmäßig zu dem Genusse eines solchen Segens zu gelangen. – Die Jagd heute Morgen muß die Stadt zum Wenigsten belustigt haben, Signor Vito Viti?«

Bei dem Podesta bedurfte es blos einer solchen Einleitung, um sich alsbald über seine eigenen Empfindungen, seine Spannung und sein Entzücken des Langen und Breiten zu ergießen. Er verbreitete sich in den wärmsten Ausdrücken über den großen Dienst, welchen der Lugger der Stadt dadurch erwiesen, daß er die schurkischen Republikaner von ihr abgelenkt habe, und schilderte das Manöver, wo das Schiff an dem Hafen vorübergesegelt sei, statt in denselben einzulaufen – als eine der denkwürdigsten Thaten, von denen er jemals gehört oder gelesen.

»Ich habe den Vicestatthalter aufgefordert, mir in dem ganzen Gebiet der Geschichte – von seinem Tacitus an bis zu Eurem neuen englischen Werke über Rom – ein Beispiel von einem glücklicheren Einfalle eines Seemannes aufzuweisen. Ich glaube kaum, daß der ältere Plinius oder Marcus Antonius, ja sogar Cäsar jemals eine schönere That verrichtet haben, und ich bin gewiß nicht der Mann, der zu übertriebenem Lobe geneigt wäre, Signore. Wäre es noch vollends statt eines kleinen Luggers eine Flotte von Dreideckern gewesen – durch die ganze Christenheit würde der Ruhm Eurer Heldenthat erschallt sein!«

»Wäre es nur eine Fregatte gewesen, mein vortrefflicher Freund, so hätten wir jenes Manöver gar nicht nöthig gehabt. Peste! eine stolze englische Fregatte wird sich doch nicht vor einem einzelnen Republikanerschiffe an den Felsen vorüberdrücken und wie der Dieb in der Nacht davon fliehen!«

»Aha, dort ist der Vicestatthalter auf seiner Terrasse; er stirbt vor Ungeduld, Euch zu begrüßen, Sir Smees. Wir wollen die Sache für ein ander Mal, wenn eine Flasche guten florentinischen Getränks vor uns steht, aufsparen.«

Die Aufnahme, welche Raoul bei Andrea Barrofaldi fand, war weit weniger warm, als bei dem Podesta; doch blieb er höflich, ohne ein Zeichen des Mißtrauens sichtbar werden zu lassen.

»Ich bin gekommen, Signor Vicestatthalter,« begann der Kapersmann, »gehorsam den ausdrücklichen Befehlen meines Herrn, um Euch abermals meinen Respekt zu beweisen und meine Wiederankunft in Eurer Bai zu vermelden, obwohl die Kreuzfahrt, die ich seit meinem letzten Abgange machte, nicht ganz so lange als eine Reise nach Ostindien gedauert hat.«

»So kurz sie auch war, Signore, so hätten wir doch allen Grund gehabt, Eure Abwesenheit höchlich zu bedauern, wenn wir nicht eben hierdurch so bewunderungswürdige Beweise von Eurer Gewandtheit und Tüchtigkeit als Seemann erhalten hätten,« erwiederte Andrea mit geziemender Freundlichkeit. »Als ich Euch scheiden sah, hegte ich in der That die Besorgniß, daß wir wohl niemals wieder das Vergnügen Eures Besuches genießen würden. Aber wie bei Eurem englischen Sir Cicero mag sich auch bei Euch der zweite leicht noch angenehmer als der erste gestalten.«

Raoul lachte, und ließ sich sogar so weit herab, ein klein wenig zu erröthen; dann aber schien er sehr ernstlich über einen wichtigen Gegenstand nachzudenken. Ein Lächeln spielte zu wiederholten Malen um seinen hübschen Mund; dann nahm er plötzlich eine Miene seemännischer Offenheit an und machte seiner vorherrschenden Empfindung in Worten Raum.

»Signor Vicestatthalter, ich bitte für einen Augenblick um die Gunst einer geheimen Unterredung; Signor Vito Viti, laßt uns gefälligst nur einen einzigen Moment allein. – Ich bemerke, Signore,« fuhr Raoul fort, während er mit Andrea etwas beiseite trat, »daß Ihr meine kleine Prahlerei mit unserem englischen Cicero nicht so leicht vergessen könnt. Was mögt Ihr aber Besseres verlangen? wir Seeleute werden noch als Kinder zur See geschickt und verstehen uns nur wenig auf Bücher. Mein trefflicher Vater, Mylord Smeet, ließ mich in meinem zwölften Jahre auf eine Fregatte bringen, – dieß ist, wie Ihr selbst zugeben werdet, ein Alter, wo man von Cicero's, Dante's oder Corneille's nur sehr wenig wissen kann. So geschah es denn, daß, als ich einen Gentleman vor mir sah, dessen Ruf als Gelehrter weit über die Gränzen dieses Eilandes, das er auf so bewunderungswürdige Art regiert, gedrungen ist – ich mich durch einen übel angebrachten Ehrgeiz zu einer Thorheit verleiten ließ, die er jetzt nur schwer verzeihen kann. Wenn ich auch von Namen gesprochen habe, von denen ich nichts verstehe, so mag dieß eine Schwäche sein, der wohl mancher junge Mann unterliegen kann – ein hassenswerthes Verbrechen aber ist sie doch gewiß nicht.«

»Ihr gebt also zu, Signore, daß es nie einen englischen Sir Cicero gegeben hat?«

»Die Wahrheit zwingt mich, zu gestehen, daß ich nichts von einem solchen weiß. Für einen jungen Mann, wie ich, der das Mangelhafte seiner Erziehung recht wohl fühlt, ist es allerdings hart, gleich bei der ersten Bekanntschaft ein solches Bekenntniß vor einem Philosophen abzulegen. Anders gestaltet sich's freilich, wenn natürliche Bescheidenheit durch vertrauliche Herzensgüte ermuthigt wird, und bei Signor Barrofaldi gilt eine eintägige Bekanntschaft eben so viel, als bei einem gewöhnlichen Manne die eines ganzen Jahres.«

»Wenn dieß der Fall ist, Sir Smees, so kann ich das Vorgegangene recht leicht begreifen und eben so willig übersehen,« erwiederte der Vicestatthalter mit einer Selbstgefälligkeit, welche der von Vito Viti kaum vorhin bewiesenen Einbildung in Nichts nachstand. »Für ein empfindliches Gemüth muß es sehr peinlich sein, die Lücken zu fühlen, welche eine unvermeidliche Folge des Mangels an Gelegenheit zum Studiren sind, und ich kann dann nur noch bekennen, wie erfreulich es für mich ist, einen Scharfblick zu entdecken, der diesen Mangel auffindet und freimüthig zugesteht. Wenn England auch dem Namen nach niemals einen Cicero besaß, so hat es ohne Zweifel in Wirklichkeit schon manche gehabt, selbst wenn wir den Schimmer abrechnen, welchen die Zeit gewöhnlich über einen Mann von solchem Rufe verbreitet. Sollte Euer Dienst Euch im Laufe dieses Sommers noch öfters dieses Weges führen, Signore, so würdet Ihr das Vergnügen, welches ich schon jetzt Eurer Bekanntschaft danke, in hohem Grade vermehren, wenn Ihr mir erlauben wolltet, Eure Leselust auf Werke zu lenken, die einem Geiste, wie dem Euren, nicht allein Befriedigung, sondern auch sicheren Gewinn gewähren müßten.«

Raoul äußerte seinen verbindlichen Dank für dieses Anerbieten und von diesem Augenblicke herrschte das beste Einverständniß zwischen den beiden Partien. Der Kapersmann, der eine weit bessere Erziehung genossen hatte, als er zugeben wollte, dabei aber jede Rolle trefflich zu spielen und bei Gelegenheit sehr geschickt zu schmeicheln verstand, beschloß in Zukunft vorsichtiger zu sein und, welche Freiheiten er sich sonst auch mit andern Gegenständen nehmen mochte, mit literarischen Vermuthungen jedenfalls sparsamer umzugehen.

Und doch hatte dieser kecke, furchtlose Seemann seiner Ghita noch niemals geschmeichelt, sie in Nichts zu täuschen versucht. Bei ihr war er die lauterste Aufrichtigkeit, und der Einfluß, den er über die Gefühle dieses reinen Wesens errungen hatte, verdankte seine Entstehung nicht nur Raouls männlicher Erscheinung und seiner Kunst zu gefallen, sondern und hauptsächlich der offenen Natürlichkeit und der wahren Empfindung, die er ihr von jeher bewiesen hatte. Es wäre in der That für einen Mann, der sich mit dem Studium der menschlichen Natur abgegeben hätte – ein interessanter Gegenstand der Beobachtung gewesen, zu bemerken, wie vollständig sich die Unschuld und Sitteneinfalt des Mädchens jeder Handlung des jungen Mannes, die nur einigermaßen mit ihr in Verbindung stand, mitgetheilt hatte, so daß er sogar verschmähte, eine Religiosität zu heucheln, die er nicht wirklich fühlte, und deren Mangel das einzige Hinderniß einer Verbindung war, nach welcher er jetzt beinahe schon ein volles Jahr gestrebt hatte, und die ihm unter allen anderen Wünschen am meisten am Herzen lag. Mit Andrea Barrofaldi und Vito Viti, besonders aber mit dem verhaßten Engländer war es freilich ganz anders, und Raoul fühlte sich selten glücklicher, als eben bei solchen Scenen listigen Betrugs, worin wir ihn gerade in diesem Augenblicke verflochten sehen.

Der Vicestatthalter, der nunmehr sein Verhältniß zu »Signor Smees« auf so durchaus freundlichen Fuß gestellt hatte, konnte nicht wohl weniger thun, als seinen Gast zugleich mit dem Podesta zum Eintritte in den Palast einzuladen.

Da es für den Seemann doch noch zu hell war, als daß er eine Zusammenkunft mit Ghita hätte hoffen dürfen, so nahm er mit Freuden das Anerbieten an, vergaß jedoch nicht, ehe er die Schwelle überschritt, den ganzen nördlichen Horizont von seinem erhöhten Standpunkte aus auf das Sorgfältigste zu mustern. – Dieser kleine Verzug erlaubte dem Podesta, mit seinem Freunde unbemerkt einige Worte zu wechseln.

»Ihr habt ›Sir Smees‹ hoffentlich ganz so gefunden, wie Eure Weisheit und Erfahrung sich ihn nur wünschen konnte?« fragte Vito Viti mit großem Ernst. »Ich für meinen Theil halte ihn für einen höchst interessanten jungen Mann, bestimmt, in späterer Zeit Flotten anzuführen und über das Geschick von Nationen zu entscheiden.«

»Er ist liebenswürdiger und sogar besser unterrichtet, als ich mir gedacht hätte, Nachbar Vito Viti. Er gibt seinen Sir Cicero mit einer Gefälligkeit auf, die Einen ordentlich bedauern läßt, daß dieß überhaupt nöthig war, und, wie Ihr selbst, so zweifle auch ich keinen Augenblick, daß er noch einstmals ein berühmter Admiral werden wird. Sein Vater, ›Milordo Smees‹, hat allerdings seine Erziehung nicht so geleitet, wie es eigentlich hätte geschehen sollen, doch ist es noch nicht zu spät, das Uebel wieder gut zu machen. Geht und ersucht ihn, daß er eintreten möge; ich sehne mich sehr, seine Aufmerksamkeit auf einige Werke zu lenken, die für einen Mann von seinem Lebensalter von Nutzen sein müssen.«

Auf diesen Wink kehrte der Podesta nach dem Eingange zurück, um den vermeinten Guernseyfahrer in den Palast einzuführen. Er fand Raoul am Eingange stehend und noch immer mit Betrachtung der See beschäftigt.

Man sah zwei oder drei Küstenfahrer oder Felucken sich nach italienischer Art längs der Küste hinstehlen, indem sie sich einerseits vor den Barbaresken im Süden, andererseits vor den Franzosen im Norden zu fürchten schienen. Sie Alle hätten gute Prisen abgegeben: doch um unserem Kapersmann Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – es war nicht seine Gewohnheit, Seefahrer so niederen Ranges in ihrem Treiben zu belästigen. Dagegen kam aber in diesem Augenblicke eine Felucke, von Norden her, um das Vorgebirge herumgesegelt, und mit ihr beschloß er, sobald er wieder in den Hafen zurückgekehrt wäre, sich in Verbindung zu setzen, um zu erfahren, ob sie etwa auf die Fregatte gestoßen sei.

Eben als er zu diesem Entschlusse gelangt war, trat der Podesta aus dem Palast, um ihn zu seinem Freunde zu führen.

Es ist nicht nöthig, das Gespräch, das nunmehr folgte, des Weiteren wieder zu geben. Es bezog sich mehr auf Literatur und allgemeine Gegenstände, als auf irgend Etwas, was mit unserer Erzählung in Verbindung gestanden wäre, und der würdige Vicestatthalter schien geneigt, die Freimüthigkeit des jungen Seemannes dadurch zu belohnen, daß er ihm so viel Belehrung, als Zeit und Umstände nur immer erlauben wollten, zu Theil werden ließ.

Raoul ließ sich dieß Alles recht gerne gefallen, und wartete geduldig, bis der Tag zu Ende ginge, wo er dann mit voller Zuversicht darauf rechnete, Ghita abermals auf der Promenade zu treffen. Da er nun einmal entdeckt hatte, wie er mit Schüchternheit weit sicherer als mit Anmaßung durchkommen würde, so fand er seine Aufgabe, den Betrug weiter durchzuführen, verhältnißmäßig leicht: er durfte den Vicestatthalter nur ganz seinen eigenen Weg gehen lassen, um diesen würdigen Beamten dahin zu bringen, daß er nicht nur seiner vorgegebenen Nationalität vollen Glauben schenkte, sondern sich auch überredete, »Signor Smees« sei ein junger Mann, der sogar mehr Gelehrsamkeit besitze, als er im Anfang vermuthet hatte.

Auf diese eben so einfache als natürliche Weise gelang es Raoul in den nächsten paar Stunden, größere Fortschritte in Andrea Barrofaldi's Gunst zu machen, als sonst wohl in einem Jahre geschehen wäre, wenn er seine eigene Kenntniß und Belesenheit als Autorität hätte geltend machen wollen.

Aus der Zeit, welche der Vicestatthalter so freigebig auf diese Unterredung zu verwenden geneigt schien, läßt sich wohl mit Sicherheit schließen, daß ihm dieselbe höchst angenehm war; Raoul dagegen konnte nicht umhin, diesen Aufschub als einen der härtesten Dienste anzusehen, denen er sich noch jemals unterzogen hatte. Vito Viti seinerseits fühlte sich ganz erbaut, und machte auch keinen Hehl daraus, sondern gab seine innere Zufriedenheit zu wiederholten Malen durch Ausdrücke des Entzückens zu erkennen, und wagte nur hie und da eine Bemerkung, wie wenn er ausdrücklich seine eigene Unwissenheit hätte kundgeben wollen.

»Ich habe Euch schon oft groß gesehen, Vicestatthalter,« rief er, als Andrea endlich mit einer Abhandlung über die frühere Geschichte aller nördlichen Völker – die Dissertation hatte eine volle halbe Stunde gedauert – zum Schlusse gekommen war, »noch nie aber so groß, wie an dem heutigen Abend. Ja, Signore, heute Nacht seid Ihr in der That bewunderungswürdig gewesen! Nicht wahr, Signor Smees? Glaubt Ihr nicht auch, daß ein Professor zu Pisa oder selbst zu Padua diesen Gegenstand nicht erschöpfender hätte abhandeln können, als es hier vor unseren eigenen Ohren geschehen ist.«

»Signor Podesta,« erwiederte Raoul, »so lange ich den Worten des Herrn Vicestatthalters lauschte, hat nur ein Gefühl meine Seele beschäftigt, nämlich das des tiefsten Bedauerns, daß mein Stand mich von all' den reichen Schätzen einer solchen Gedankentiefe ausschließen mußte. Doch ist uns jedenfalls erlaubt, das zu bewundern, was wir selbst nicht einmal nachahmen können.«

»Sehr richtig bemerkt, Signore,« antwortete Andrea mit wohlwollender Herablassung; »doch mit Gaben, wie die Eurigen, Sir Smees, ist es nicht so sehr schwer, das, was wir bewundern, auch nachzuahmen. Ich will ein Verzeichniß derjenigen Werke aufsetzen, die ich Eurer Lectüre empfehlen möchte: wenn Ihr zu Livorno oder Neapel einsprecht, könnt Ihr Euch die Bücher alle zu mäßigen Preisen verschaffen. Morgen früh sollt Ihr die Liste neben dem Frühstück auf Eurem Tische sehen, denn ich werde mich nicht eher zur Ruhe begeben, als bis sie ganz vervollständigt ist.«

Raoul benützte dieses Versprechen mit Freuden als einen Wink zum Aufbruch, und verabschiedete sich unter geziemenden Dankbarkeits- und Höflichkeitsbezeigungen. Als er aber den Palast hinter sich hatte, machte er seiner Ungeduld in öfteren Ausbrüchen Luft, wie Einer, der einer Scene entronnen ist, wo die marternde Langeweile nur durch Lächerlichkeiten einigermaßen aufgeheitert wurde, und allerlei Flüche trafen die Nationen des Nordens, die so rücksichtslos waren, eine Geschichte aufzuweisen, die ihm viel länger und weitläufiger erschien, als er überhaupt für nöthig halten konnte.

Dieß Alles ging vor sich, während er längs der Promenade hinschritt. Er fand dieselbe ganz einsam; jedes lebende Wesen schien sie verlassen zu haben. Endlich glaubte er, auf eine kurze Entfernung vor sich, in einem Seitenwege, der nie sehr besucht war, eine weibliche Gestalt zu bemerken. Er eilte auf sie zu, und sein rasches Auge erkannte augenblicklich Die, welche er suchte: sie hatte offenbar seine Ankunft erwartet.

»Raoul!« rief Ghita im Tone des Vorwurfs, »womit sollen diese oft wiederholten, gefährlichen Versuche noch enden? Da du einmal so klug und geschickt aus dem Hafen von Porto Ferrajo entwischt bist, warum besaßest du nicht so viel Klugheit, ganz davon wegzubleiben?«

»Du kennst den Grund, Ghita, wie kannst du also nur noch fragen? Heiliger Neptun! habe ich meine Sachen nicht gut gemacht? – und diesen tapferen Vicestatthalter auf eine merkwürdige Art an der Nase herumgeführt? Es kommt mir zuweilen vor, Ghita, als ob ich meinen Beruf verkannt und statt eines Seemannes – Diplomat hätte werden sollen.«

»Und warum denn gerade ein Diplomat, Raoul? Wie du auch immer bei einer Veranlassung, wie die jetzige und in einem dringenden Nothfalle handeln magst – du bist doch zu ehrlich, um auf die Länge zu täuschen.«

»Warum? – Doch gleichviel. Dieser Andrea Barrofaldi und jener Vito Viti werden eines Tags das Warum schon einsehen. – Jetzt aber an unser Geschäft, Ghita, da der Irrwisch die Bai von Porto Ferrajo doch nicht auf ewig zieren kann.«

»Wahr,« fiel das Mädchen ein; »ich bin ja auch aus keinem anderen Grunde gekommen, als um dir das Nämliche zu sagen. Mein theurer Oheim ist angekommen und beabsichtigt, mit der ersten Felucke nach den Thürmen unter Segel zu gehen.«

»In der That? – Nun, siehst du, dieser Umstand trägt mehr dazu bei, mich an eine Vorsehung glauben zu lassen, als all' das Predigen von sämmtlichen Kuttenträgern in Italien. Da kann der Lugger die Stelle der Felucke einnehmen, und wir können noch heute Nacht absegeln. Meine Kajüte steht ganz zu deinen Diensten, und wenn dein Oheim dir als Beschützer zur Seite steht, so kann gewiß keine Lästerzunge an diesem Schritte etwas aussetzen.«

Ghita hatte, um die Wahrheit zu gestehen, dieses Anerbieten erwartet, würde aber jedenfalls, so angenehm es ihr auch war, Schicklichkeits halber den Antrag abgelehnt haben, wenn nicht ein wichtiger Umstand dafür gesprochen hätte – nämlich der, daß Raoul auf diese Art am besten aus einem feindlichen Hafen fortgeschafft und insofern auch von der dringendsten Gefahr befreit werden konnte. Für ein so innig liebendes Wesen, wie sie, war dieß ein Gegenstand, für den sie wohl viel größere Opfer, selbst wenn der Schein noch weit mehr gegen sie gewesen wäre – hätte bringen können.

Uebrigens möchten wir dem Leser keine falsche Meinung über die Lebensansichten und die Erziehungsweise des Mädchens beibringen. Obgleich letztere in vieler Beziehung weit besser gewesen war, als die meisten Mädchen ihres Standes sie gewöhnlich erhielten, so waren erstere dennoch einfach, und ganz ihrer Stellung, so wie den Gebräuchen ihres Landes angepaßt. Sie war nicht in jener strengen Zurückhaltung auferzogen worden, wie sie junge Italienerinnen von Stand in ihrem äußeren Benehmen charakterisiert – eine Zurückhaltung, welche hier vielleicht in demselben Grade zu stark hervortritt, als sie bei jungen Amerikanerinnen wohl allzu sehr vermißt werden könnte. Dafür aber hatte sie Alles gelernt, was Wohlanständigkeit und zarte Sitte, sowohl um der Schönheit als der Sicherheit willen, von ihr verlangte, und ihr Verstand hatte ihr bereits eingeschärft, wie unpassend, wenn nicht gar unschicklich es erscheinen müßte, wenn ein Mädchen in ihrer Lage als Passagier auf ein Kaperschiff ginge, besonders wenn dieses von ihrem anerkannten Liebhaber befehligt würde. Auf der andern Seite betrug die Entfernung zwischen Porto Ferrajo und den schon erwähnten Thürmen blos ungefähr fünfzig Meilen, und wenige Stunden mochten genügen, um sie unversehrt unter ihr eigenes Dach und – was eben damals in ihren Augen weit wichtiger war – Raoul sicher aus dem Hafen zu bringen.

Alle diese Umstände hatte sie bereits erwogen, und war demgemäß auf den Vorschlag, der ihr so eben gemacht worden, gehörig vorbereitet.

»Wenn mein Oheim und ich dieses edelmüthige Anerbieten annehmen könnten, wann würde es dir gelegen sein, unter Segel zu gehen, Raoul?« fragte das Mädchen. »Wir sind bereits länger abwesend, als wir beabsichtigten – länger, als wir eigentlich gesollt hätten.«

»In einer Stunde, wenn nur ein bischen Wind vorhanden wäre. So aber siehst du, Ghita, wie es steht – der Zephyr hat zu wehen aufgehört, und fast scheint's, als ob in ganz Italien jedes Lüftchen sich zum Schlummer niedergelegt hätte. Sobald wir's irgend im Stande sind, gehen wir unter Segel – darauf kannst du dich verlassen. Im Nothfall können wir uns auch der großen Ruder bedienen.«

»So will ich denn mit meinem Oheim sprechen und ihm sagen, daß ein Schiff zur Abfahrt bereit ist, und daß wir am besten mit diesem abgehen würden. – Ist es nicht sonderbar, Raoul, daß er kein Wörtchen davon weiß, daß du in der Bai bist? Er verliert die Dinge um ihn her mit jedem Tage mehr aus den Augen, und ich glaube sogar, er wird sich kaum mehr erinnern, daß du ein feindliches Schiff befehligst.«

»Laß ihn mir nur sein Vertrauen schenken, Ghita; er wird nie Veranlassung bekommen, davon erfahren zu müssen.«

»Das wissen wir wohl, Raoul. Die großmüthige Weise, mit der du unsere Rettung aus der Hand des algierischen Corsaren bewirktest, – bei welcher Gelegenheit unsere Bekanntschaft begann – und wofür wir dich ewig segnen werden, hat den Frieden zwischen dir und uns für immer befestigt. Wärest du im vergangenen Sommer uns nicht noch zu rechter Zeit zu Hilfe gekommen, so seufzte jetzt mein Oheim und ich in der Sklaverei der Barbaren.«

»Das ist ein weiterer Umstand, der mich zu dem Glauben an eine Vorsehung geneigt macht, meine Ghita! Damals, als ich dich und deinen guten Oheim aus den Händen des Algierers befreite, wußte ich nicht, wen ich eigentlich vom Sklavenjoche rettete. Und doch siehst du, wie Alles so kommen mußte, daß ich mit dem Dienste, den ich dir leistete, mir selbst am meisten nützte.«

»Wollte Gott, du lerntest endlich den Herrn verehren, der über uns Alle nach seinem heiligen Willen schaltet!« flüsterte Ghita; die Thränen traten ihr in die Augen, und nur durch eine krampfhafte Anstrengung gelang es ihr, die tiefste Bewegung zu unterdrücken, womit sie jene Worte gesprochen hatte. »Doch wir danken dir immer und immer wieder, Raoul, als dem Werkzeuge, dessen sich Seine Gnade in jener Gefahr mit dem Algierer bediente, und so vertrauen wir uns dir auch jetzt und für immer. – Es wird nicht schwer sein, meinen Oheim zum Einschiffen zu bewegen. Da er aber deinen wahren Charakter kennt, sofern er sich nämlich zufällig desselben erinnert, so halte ich es kaum für gut, ihm zu sagen, mit wem es geschehen soll. Wir müssen jetzt noch Ort und Stunde unserer Zusammenkunft festsetzen: dann will ich dafür sorgen, daß er zu gehöriger Zeit bereit ist.«

Raoul und Ghita beriethen sich jetzt zunächst über die näheren Umstände in Betreff der Abfahrt: zum Rendezvous wurde ein Plätzchen außerhalb der Stadt, nicht weit von Benedetta's Weinhause entfernt, auserlesen, da sie hier am wenigsten einer Beobachtung ausgesetzt waren.

In Kurzem war alles Nöthige bereinigt, und Ghita hielt es jetzt für klug, sich zu entfernen. Ihr Freund fügte sich williger in diesen Vorschlag, als er wohl gethan haben würde, wenn sie ihm nicht so fest versprochen hätte, ihn schon in einer Stunde wieder zu treffen, um indessen Alles so in Stand zu setzen, daß sie mit dem ersten Windhauche abfahren könnten.

Als Raoul sich wieder allein sah, fiel ihm ein, daß Ithuel und Filippo wie gewöhnlich am Ufer waren. Der aus New-Hampshire hatte sich nämlich blos unter der Bedingung dazu verstanden, Dienste bei ihm zu nehmen, daß ihm das Landen jederzeit erlaubt sein sollte – ein Privilegium, das er bei Gelegenheiten, wie die jetzige, regelmäßig durch Einschmuggeln von Contrebande-Artikeln zu mißbrauchen pflegte. Der Amerikaner besaß in derlei Dingen eine solche Geschicklichkeit, daß Raoul, der zwar für seine Person das Schmuggeln verachtete, Anderen aber wohl einige Nachsicht angedeihen lassen mußte, bei ihm weniger Gefahr für den Lugger befürchtete, als wohl bei einem minder listigen Burschen der Fall gewesen wäre.

Im jetzigen Augenblicke blieb ihm aber nichts übrig, als die Beiden entweder aufzutreiben oder im Stiche zu lassen. Zum Glück fiel ihm der Name des Weinhauses ein, wo sie die Nacht zuvor eingekehrt hatten; dorthin verfügte er sich unverzüglich, und fand glücklicherweise Ithuel und dessen Dolmetscher, Beide in ernster Untersuchung einer abermaligen Flasche jenes beliebten toskanischen Getränkes begriffen. Auch 'Maso und dessen gewöhnliche Begleiter waren gegenwärtig, und da es offenbar nicht auffallen konnte, wenn der Kommandant eines englischen Kriegsschiffes ein Freund von gutem Getränke war, so nahm Raoul, um jedem Verdachte vorzubeugen, einen Stuhl und verlangte ein Glas.

Aus dem Gespräche, das nunmehr folgte, konnte der junge Seemann übrigens mit ziemlicher Gewißheit abnehmen, daß, wenn es ihm auch gelungen war, dem Vicestatthalter wie dem Podesta Staub in die Augen zu streuen, diese erfahrenen, alten Matrosen dagegen seinem Charakter noch immer mißtrauten. Längs der Küste hinzusegeln, statt in den Hafen einzudringen, war an einer französischen Fregatte so ungewöhnlich, an einer englischen dagegen so natürlich, daß die alten Seefahrer, die mit derlei Dingen recht wohl vertraut waren, diesen Umstand bereitwillig mit den verdächtigen Zeichen zusammenreimten, welche ihnen vorher schon an dem Lugger aufgefallen waren, und so der eigentlichen Wahrheit in Betreff der beiden Schiffe ziemlich nahe zu sein schienen.

Um alles Das bekümmerte sich übrigens Raoul weit weniger, als er sonst wohl gethan haben würde, wenn er nicht zur alsbaldigen Abfahrt entschlossen gewesen wäre. Er schlürfte seinen Wein mit anscheinender Gleichgültigkeit, und entfernte sich, sobald er's für passend hielt, mit Ithuel und dem Genueser.


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