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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Ach, mancher Traum war auf dem Schiff
Noch kurz vor seinem Ende;
Der Heimath Bild den bangen Traum
Des Schläfers noch verschönte.

Wilson.

 

Raoul war über seinen ferneren Kurs bald entschlossen. Während er Clinch tröstete, hatte er Pintard den Befehl zugeschickt, sich nach dem andern Gig umzusehen, doch wenige Minuten der Nachforschung unter den Klippen überzeugten die Leute auf dem Verdeck, daß es nirgends zu finden war. Diese Meldung wurde alsbald in der Kajüte hinterbracht.

Ebensowenig vermochte Ithuel mit all' seinem Scharfsinn aus der gefangenen Bootsmannschaft irgend eine zweckdienliche Nachricht über den Gegenstand herauszubringen. Es herrschte unter den Leuten der Proserpina in Allem, was ihr Verhältniß zu dem Feu-Follet betraf, ein gewisser esprit de corps, der bei einer Gelegenheit, wie diese, sowohl Drohungen als Bestechungen zurückwies, und der Granitmann sah sich genöthigt, die Sache als hoffnungslos aufzugeben, wobei er übrigens nicht verfehlte, die Weigerung der Engländer, ihre Kameraden zu verrathen, weit eher ihrem Nationaleigensinne als einem andern achtbaren Gefühle zuzuschreiben.

Diese Vorliebe Ithuels, Denen, die er haßte, das Schlimmste zuzutrauen, war übrigens ihm und seinem Lande nicht allein eigen, und man darf mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß es ihm unter ähnlichen Umständen auf einer englischen Fregatte kaum besser ergangen wäre.

Da sich Raoul endlich überzeugt sah, daß das andere Boot entwischt war, und er ebenso die Nothwendigkeit erkannte, noch während der Dunkelheit aus dem Golfe zu kommen, so gab er widerstrebend den Befehl zum Aufbruch und ließ den Lugger doppeltgeflügelt todt vor den Wind stellen. Bis man diesen Befehl vollzogen hatte, war der Lugger mittlerweile so weit windwärts gesteuert, daß er gerade unter jenen stolzen Felsen stand, welche die Ebene von Sorrents von den Küsten von Vico trennen.

Kaum hatte er dieses kühne Vorgebirge erreicht, das, einem riesigen Strebepfeiler ähnlich, bis zu tausend Fuß senkrechter Höhe aus dem Meere emporsteigt, als der Feu-Follet von der vollen Gewalt des Landwindes erfaßt wurde: das Steuer aufwärts gestellt, die Segel etwas nachgelassen, hätte selbst ein Vogel sich kaum mit größerer Grazie oder Geschwindigkeit auf seinen Schwingen herumwenden können, als er nunmehr rings um das Vorgebirge steuerte.

Sein Kurs ging jetzt von einer Landspitze zur andern, denn so allein konnte man verhindern, daß er nicht zwischen den Einzackungen der Küste in eine Windstille gerieth. Dadurch kam der Lugger eher quer durch die Bucht von Sorrento, als in dieselbe hinein, so daß Yelverton, der an dem unteren Strande gelandet hatte, natürlich außer aller Berührung mit ihm blieb.

So rasch eilte das kleine Fahrzeug dahin, daß Raoul und Ithuel, welche ihren Posten auf dem Vorkastell wieder eingenommen hatten, schon eine Viertelstunde nach ihrem Aufbruch die Landspitze vor sich sahen, wo sie kaum zuvor im Versteck gelegen hatten; alsbald wurde das Steuer backbord gestellt, um auswärts zu gieren und Raum für den Irrwisch zu gewinnen. So schwebte Fels auf Fels, Dorf an Dorf, Bucht um Bucht an ihren Blicken vorüber, bis man den Kanal zwischen Capri und Campanella abermals erreicht hatte.

Indem sie auf diese Art an der Küste vorübergezogen, hatten sie die Absicht, jedes Boot, das dem Lugger etwa in den Weg käme, wegzunehmen, denn obgleich Raoul entschlossen war, seinen jetzigen Gefangenen freizugeben, so wünschte er doch sehr, eines der anderen Offiziere der Fregatte statt seiner habhaft zu werden. Sein Suchen blieb aber erfolglos, und als der Lugger in die offene See hinaustrat, mußte man jede Hoffnung auf einen Erfolg dieser Art – wenn auch mit Widerstreben – fahren lassen.

Der Irrwisch befand sich jetzt in der gefährlichen Nachbarschaft der drei feindlichen Kreuzer, und der Augenblick forderte raschen Entschluß. Zum Glück kannte Raoul die Stellung der englischen Schiffe, was die Gefahr für ihn allerdings verminderte; aber gleichwohl war es nicht rathsam, blos eine Meile von ihrem Ankerplatze entfernt sich längere Zeit herumzutreiben, und dabei noch Gefahr zu laufen, von der Landbrise gänzlich im Stich gelassen zu werden. Für jetzt verbarg die Dunkelheit und der Schatten des Landes den Kaper vor den feindlichen Blicken, und so beschloß sein Kommandant, wenn auch nicht im buchstäblichen Sinne zu ›heuen so lange die Sonne schien‹, so doch deren Abwesenheit nach Kräften zu nützen.

In dieser Absicht befahl er, den Lugger beizudrehen, Clinchs Boot nach der Fallreepstreppe der Leeseite zu schaffen, die Gefangenen aber alle auf das Verdeck, und zwar die Gemeinen auf die Kuhl, den Untersteuermann dagegen nach dem Quarterdeck heraufzubringen.

»Ich muß jetzt dem Vergnügen Eurer ferneren Gesellschaft entsagen, Monsieur Clinch,« sprach Raoul mit jener Höflichkeit, welche seinem Volke so zu sagen angeboren ist. »Wir sind vôtre belle Proserpine gerade so nahe, als sich's mit unserer Sicherheit verträgt, und ich sehne mich nach nôtre belle France. Es weht ein hübscher Wind, der uns von der Küste ab und in zwei Stunden aus Eurem Gesichtskreise führen wird. Ihr werdet die Güte haben und mich Monsieur Cuffe – oui pardi! und auch jenen braves Italiens empfehlen, die sich als Sir Smees' geschworene Freunde bewährt haben! Touchez-là!«

Raoul lachte, denn er fühlte sich jetzt fröhlichen Herzens, und allerhand drollige Einfälle drängten sich in seinem Gehirn. Unserem Clinch dagegen kam Alles, was er hörte, fast wie griechisch vor, und er verstand nur soviel davon, daß der Franzose sein Schiff von der Küste entfernen wolle – ein Umstand, welchen er gar nicht ungerne vernahm. Ein paar Stunden früher würde er viel darum gegeben haben, wenn er ihn aufzufinden gewußt hätte; jetzt aber hatte Raouls Edelmuth eine Revolution in seiner Denkungsweise hervorgebracht, und kein Wunsch stand seinem Herzen ferner, als der, sich gegen den berühmten Kapersmann verwenden zu lassen. Gleichwohl hatte er aber im Dienste des Königs eine Verpflichtung, eine zweite für Johanna, und eine dritte für sich selbst zu erfüllen.

»Kapitän Yvard,« sprach der Untersteuermann, die dargebotene Hand des Andern ergreifend, »ich werde diese Eure Güte niemals vergessen; sie fällt in einen für mich höchst günstigen Augenblick. Mein ganzes Glück in dieser und vielleicht auch in der künftigen Welt« – ein unwillkürliches ›Pah‹ entfuhr hier dem Zuhörer – »hängt von meiner jetzigen Freiheit ab. Ich muß aber – um Euch die ganze Wahrheit zu sagen, denn dazu fühle ich mich Euch gegenüber verpflichtet – ich muß Alles aufbieten, um, sobald ich wieder Herr meiner selbst bin, diesen Euren Lugger hier so wie jeden andern Feind meines Königs gefangen zu nehmen oder zu vernichten.«

» Bon! – Ich liebe Eure Freimüthigkeit ebensosehr wie Eure Menschlichkeit, Monsieur Clinch. Ich erwarte immer, einem braven Feinde zu begegnen, sobald un Anglais gegen mich herankömmt: solltet Ihr jemals darunter sein, so werde ich darum nichts Schlimmerem entgegensehen.«

»Meine Pflicht wird von mir verlangen, Kapitän Yvard, meinem Kommandanten zu berichten, wo ich den Folly fand und verließ, und wo ich ihn etwa befindlich glaube! Selbst über Eure Ausrüstung, die Zahl Eurer Mannschaft und derlei nähere Umstände werde ich befragt werden und als Ehrenmann darauf antworten.«

» Mon cher, Ihr seid ein ›anständiger Bursche‹, wie ihr Engländer zu sagen pflegt. Ich wollte, es wäre heller Mittag, damit Ihr mein Deck besser betrachten könntet; der Feu-Follet ist nicht so häßlich, daß er einen Schleier zu tragen wünschen müßte. Sagt ihm Alles, mon brave Clinch; wenn Monsieur Cuffe einen zweiten Angriff gegen den Lugger unternehmen sollte, so kommt en personne in dem ersten Boote – wir werden uns immer glücklich schätzen, Monsieur Clinch vor uns zu sehen. Was unsern jetzigen Kurs betrifft, so seht Ihr, unser Gallion ist nach la belle France gerichtet, so daß Ihr also Raum genug zu einer langen Jagd vor Euch habt. Adieu, mon ami – au revoir!«

Clinch schüttelte jetzt sämmtlichen Offizieren herzlich die Hand, erklärte nochmals in tiefer Rührung seinen Dank für die großmüthige Behandlung, welche er erfahren hatte, und folgte dann seiner Mannschaft in das Boot: dort angekommen, stieß er alsbald vom Lugger ab, und nahm seinen Kurs nach dem Lichte, das noch immer am Bord der Proserpina brannte.

Zu gleicher Zeit füllte der Lugger und war in der Dunkelheit Clinchs Augen in Kurzem entschwunden, nachdem er ihn eine Zeitlang doppelt geflügelt gegen Westen hatte steuern sehen, als ob er in der That der Straße von Bonifacio und seinem Vaterlande Frankreich so eilig als möglich entgegensegle.

In Wirklichkeit aber lag dieß keineswegs in Raouls Absicht. Seine Kreuzfahrt war noch nicht beendigt, denn für einen Mann von seinem Temperament hatte gerade die gegenwärtige Lage, mitten unter seinen mächtigen Feinden, unendlichen Reiz. Erst den Tag vor seiner letzten Gefangennehmung hatte er ein werthvolles Transportschiff erobert, bemannt und nach Marseille gesendet: er wußte, daß ein zweites stündlich in dem Golfe erwartet wurde. Dieß gab ihm seinen Leuten gegenüber genügenden Vorwand, um da zu bleiben, wo sie waren.

Doch die Aufregung dieses fortwährenden Spießruthenlaufens, die Freude, die überlegene Segelkraft seines Luggers an den Tag zu legen, die Gelegenheit, sich auszuzeichnen, und alle anderen Motive eines Seemanns waren nichtsbedeutend, verglichen mit der Stärke des Bandes, durch das sich sein Herz unaufhörlich zu Ghita hingezogen fühlte.

In neuerer Zeit hatte sich seiner Liebe ein Gefühl beigesellt, das der Verzweiflung nahe kam. So sanft und zärtlich er auch Ghita ihm gegenüber gefunden hatte, so war sie in ihren Grundsätzen doch immer ausnehmend fest und standhaft gewesen. In ihren neulichen Gesprächen – von denen wir einige ihrer besonderen Färbung wegen übergingen – hatte Ghita ihr Widerstreben, das Glück ihres Lebens auf einen Mann zu gründen, dessen Gott nicht der ihrige war – so fest und entschieden ausgesprochen, daß er an dem Ernste ihrer Gesinnung, so wie an ihrer Fähigkeit, dieselbe durch die That zu bewähren, nicht länger zweifeln durfte. Was den Eindruck dieses Entschlusses noch mehr verstärken mußte, war gerade die Freimüthigkeit, mit welcher das Mädchen niemals gezögert hatte, die Macht, welche Raoul über ihr Herz besaß, zuzugestehen, denn dadurch war jeder Vorwand zu der Vermuthung abgeschnitten, als ob sie bei ihrer jetzigen Weigerung Verstellung übe. Die Unterredung von heute Nacht lastete schwer auf Raouls Herzen, und er konnte sich unmöglich entschließen, nach einem solchen Schiffbruche seiner Hoffnungen vielleicht auf Monate von der Geliebten zu scheiden.

Sobald man also den Lugger so weit in der See wußte, daß er von Clinchs Boote aus nicht mehr gesehen werden konnte, stellte man ihn abermals mit der Backbordseite in den Wind, und er steuerte gegen die gepriesenen Ruinen von Pästum, welche an der Ostküste des Golfes von Salerno liegen. Der Wind war so schwach, daß er selbst einem mit der See Vertrauten nicht hinreichend scheinen mochte, um sogar dieses leichte Fahrzeug mit solcher Geschwindigkeit durch das Wasser zu führen: aber die Landbrise war mit Nachtdünsten erfüllt – diese hatten die Segel straffer gespannt, und so war die Triebkraft des Nachthauches gerade doppelt so stark, als sie zu sein schien. Eine Stunde, nachdem man aufgeholt hatte, stand der Irrwisch bereits acht Meilen von dem Punkte entfernt, wo er seine Richtung geändert hatte, und gerade so weit windwärts, daß er vieren und seinen Kurs geraden Wegs nach den unterhalb des Dorfes St. Agata – Ghita's jetzigem Wohnorte – gelegenen Felsen nehmen konnte.

Bei diesem neuen Plane hatte Raoul eine doppelte Absicht vor Augen. Zwischen Sicilien, Malta und Neapel waren beständig englische Schiffe unterwegs, und da die nach Norden bestimmten gerade bei diesem Vorgebirge dem Lande nahe kommen mußten, so mochte ihm seine Stellung erlauben, falls sich am nächsten Morgen ein passendes Schiff in der See draußen zeigte, mit dem wiederkehrenden Tage einen plötzlichen Schlag auszuführen. Dann hoffte er von Ghita wenigstens ein Zeichen zu erhalten, das seinem Herzen immer so theuer war, oder vielleicht, daß gar Liebe und Besorgniß sie an den Strand herabführen und ihm eine abermalige Zusammenkunft verschaffen würde.

So groß war die Gewalt einer Leidenschaft, welcher sich Raoul mit derselben Rückhaltlosigkeit hingab, die man vielleicht von schwachmüthigeren und weniger entschlossenen Männern erwartet hätte – denn unter ihrem Einflusse wird sich selbst der Held nur wenig von dem gewöhnlichen Haufen unterscheiden.

Die paar letzten Tage und Nächte hatten Offiziere und Mannschaft des Luggers, so wie dessen Kommandant, in einer Aufregung und Besorgniß verlebt, welche Alle die Nothwendigkeit des Schlummers um so dringender empfinden ließ. Ithuel hatte schon eine Stunde in seiner Hängematte geschlafen, und Raoul dachte nun ernstlich daran, seinem Beispiele zu folgen. Er gab daher dem jungen Lieutenant, der den Dienst auf dem Verdeck hatte, die nöthigen Instructionen, und verfügte sich dann in seine Kajüte, wo er in wenig Minuten allen Hoffnungen und Besorgnissen der Gegenwart entrückt war.

Alles schien sich zu vereinigen, um den Lugger und die Absichten seines Kommandanten zu begünstigen. Der Wind ließ allmählig nach, bis nur noch ein schwaches Lüftchen herrschte, das gerade hinreichte, um das Schiff in seinem Kurse zu erhalten: das Kräuseln des Wassers verschwand, und nur das lange, schwere Anschwellen der Wogen schien, dem tiefen Athmen eines Seeungeheuers ähnlich, den Busen des Oceans zu heben. Die Dunkelheit nahm zu mit dem Herannahen des Morgens; doch die Oberfläche des Golfes war spiegelglatt und ruhig, und schien keine unmittelbare Veranlassung zur Wachsamkeit oder Besorgniß darzubieten.

Dieß sind die Augenblicke der Abspannung in dem Leben eines Seemanns. Arbeitsvolle Tage bringen schlaftrunkene Nächte, und die Ruhe der Natur ladet fortwährend zu der Versuchung ein, ihr Beispiel nachzuahmen. Die Reaction, welche der Aufregung folgt, vertreibt die Lust zum Gesang, zu Scherzen und munteren Erzählungen; Geist und Körper sehnen sich, von ihrer Arbeit auszuruhen. Selbst das murmelnde Klatschen des Wassers, das sich an den Seiten des Schiffes hebt und senkt, klingt wie ein Wiegenlied, und der Schlummer erscheint in solchen Momenten als das einzige Glück unseres Daseins.

Unter solchen Umständen war es also kein Wunder, wenn sich die Wache auf dem Deck des Luggers diesem dringenden Bedürfnisse unserer Natur hingab. Man erlaubt gewöhnlich der Mehrzahl, in solchen Augenblicken eines kurzen Schlafs zu genießen, während einige Wenige munter bleiben müssen; aber in solchen Zeiten der Abspannung findet selbst der Diensteifer seine Aufgabe mühsam und schwer zu vollziehen. Ein Ausgucker nach dem andern ließ das Haupt sinken; der junge Mann auf dem Quarterdeck begann in seinem Armstuhle das Bewußtsein der Gegenwart zu verlieren, während träumerische Erinnerungen an seine Heimath – die Provence und an den Gegenstand seiner jugendlichen Bewunderung vor seiner Seele schwebten.

Nur der Matrose am Steuerruder wußte sich munter und seine Augen offen zu erhalten. Es ist dieß ein Posten, der stete Wachsamkeit erfordert, und auf Schiffen, wo die Disciplin eines geregelten Dienstes nicht in ihrer ganzen Strenge gehandhabt wird, geschieht es nicht selten, daß die Andern auf diesen Umstand bauen, und in dem Gedanken, daß der Mann am Rade sein Amt pünktlich versehe, ihre eigene Pflicht vergessen.

Dieß war jetzt in gewissem Grade auch am Bord des Irrwisches der Fall. Einer der besten Matrosen des Luggers stand am Steuerruder, und Jeder war überzeugt, daß keine Aenderung des Windes eintreten, kein Wechsel der Segel nöthig werden konnte, ohne daß Antoine sie darauf aufmerksam machen müsse. In jenem üppigen Theile der See, in welchem sie sich nunmehr befanden, war zu dieser ruhigen Jahreszeit ein Tag dem andern so ähnlich, daß Alle am Bord mit dem regelmäßigen Umspringen des Windes vollkommen vertraut waren: Morgens Süd-, Abends West- und Nachts Landwind – das folgte Alles so natürlich, wie das Auf- und Niedergehen der Sonne. Keiner fühlte eine Besorgniß, während er sich der Mahnung des Schlummers und dem träumerischen Einflusse des Klima's überließ.

Nicht so Antoine: seine Haare waren bereits ergraut und der Schlaf zählte bei ihm nicht mehr zu den dringendsten Bedürfnissen. Auch besaß er vielen Amtsstolz, eine lange Erfahrung und sehr scharfe Sinne, welche durch Uebung und mannigfache Gefahren beinahe prophetisch geworden waren. Er wendete die Blicke immer wieder gegen Campanella zurück, um sich zu überzeugen, ob nicht ein Zeichen vom Feinde zu bemerken wäre: doch die Dunkelheit ließ nichts als die schwarzen Umrisse der hohen Felsenküste gewahren. Dann streiften seine Augen über das Verdeck, und er sah, wie jetzt Alles von seiner eigenen Wachsamkeit und Pflichttreue abhing. Der Stand der Segel und des Wetters gab übrigens keinen Grund zur Besorgniß, und so begann er in seiner Einsamkeit mit leiser Stimme einen jener Troubadoursgesänge anzustimmen, den er während seiner Kindheit in der angeborenen langue du midi erlernt hatte.

So verstrichen die Minuten, bis Antoine die ersten Strahlen des Morgens über die Bergspitzen in der Nähe von Eboli aus der Dunkelheit hervorbrechen sah. Er hatte sich bis jetzt sehr allein gefühlt, und begrüßte nunmehr mit Freuden diese Zeichen der Wiederkehr des Lebens und eines neuen Tages.

»Hsch! mon lieutenant!« flüsterte der alte Matrose, der die Schläfrigkeit seines Vorgesetzten vor den Blicken der übrigen Gemeinen nicht verrathen mochte; » mon lieutenant – ich bin's, Antoine!«

»Ah – bah! Oh, Antoine, est-ce toi? Bon! – was willst du denn, mon ami?«

»Ich glaube die Brandung zu hören, mon lieutenant. Horch! – ist das nicht das Wasser, das sich gegen die Felsen am Ufer bricht?«

» Jamais! Du siehst ja, das Land ist noch eine ganze Meile entfernt: an dieser Küste gibt's keine Untiefen. Der Kapitän befahl uns, scharf an's Land zu halten, ehe wir beidrehten oder ihn herbeiriefen. Pardie, Antoine! – wie die kleine Hexe während meiner Wache wieder gearbeitet hat! Da sind wir nun, kaum Schußweite von den Höhen entfernt, und doch ist kein Wind gegangen.«

» Pardon, mon lieutenant! – Das Rauschen der Brandung will mir nicht gefallen: es klingt zu nahe, als daß es vom Lande kommen könnte. Wollt Ihr die Güte haben, Euch einmal auf der Vorderschanze umzusehen, Monsieur? Das Tageslicht läßt schon einigermaßen Etwas unterscheiden.«

Der junge Mann gähnte, reckte die Arme und ging dann nach vorn, denn so sehr er auch geneigt gewesen war, sich dem Schlummer hinzugeben, so war er doch ebenso bereit, einen alten Schiffsgenossen, dessen Erfahrung er hochschätzte, von seiner Unruhe zu befreien. Doch war sein Schritt noch immer nicht so rasch wie gewöhnlich, und es dauerte fast eine Minute, bis er die Klüshölzer erreichte. Kaum war er aber daselbst angekommen, als er erstaunt stehen blieb und in wahnsinniger Hast mit dem Arme zurückwinkte.

»Hart auf – hart auf mit dem Steuer, Antoine! Die Segel losgelassen, mes enfants!« donnerte er mit einer Stimme, welche in den innersten Tiefen des Schiffes wiederhallte.

Der Irrwisch hob sich in diesem Augenblick auf einer schweren Grundwoge; im nächsten saß er fest, und den ganzen Bau durchdrang ein Zittern, wie wir es verspüren, wenn wir bei einem Sprunge den Boden früher, als wir erwarteten, erreichen. Da lag er zwischen Klippen gebettet, eben so unbeweglich, wie einer jener Felsen, welche, so weit unsere Geschichtsbücher reichen – schon länger als Jahrtausende den Wogen des Mittelmeeres getrotzt haben. – Mit einem Worte: der Lugger war unterhalb der Höhen von St. Agata auf einem jener berühmten Inselchen aufgerannt, welche unter dem Namen der Sireneninseln bekannt sind, und schon von dem ältesten aller Profanschriftsteller – dem guten Vater Homer, erwähnt werden.

Kaum war der Schlag geschehen, als Raoul auch bereits auf dem Verdecke erschien. Alles, was Leben hatte, rührte sich auf dem Schiffe, das mit einem Male ein Schauplatz des Lärms, der Thätigkeit und der höchsten Kraftanstrengung geworden war.

In einem Augenblicke wie dieser hat ein Schiffskapitän Gelegenheit, die höchsten und nützlichsten seiner Eigenschaften zu entwickeln. Von Allen ringsumher war Raoul der ruhigste; mit seiner unerschütterten Fassung war er am besten geeignet, die nothwendig gewordenen Befehle zu ertheilen. Kein Ausruf der Ueberraschung – kein Wort des Vorwurfs – ja nicht einmal ein tadelnder Blick traf irgend Einen seiner Umgebung. Das Unglück war einmal geschehen: das Einzige, was man thun konnte, war, es wieder so gut als möglich auszugleichen, und alle Sorge für Mannszucht oder Vertheilung von Belohnungen und Strafen der Zukunft zu überlassen.

»Der Lugger ist so fest wie eine Kathedrale geankert, mon lieutenant,« bemerkte er ruhig gegen den Offizier, durch dessen Nachlässigkeit das Unglück herbeigeführt worden war. »Ich sehe nicht ein, wozu diese Segel nützen sollen; laßt sie alle einnehmen; sie führen das Schiff höchstens tiefer in die Klippen, falls es noch einmal loskommen sollte.«

Der junge Mann gehorchte, und jede Nerve seines Körpers zitterte in dem Bewußtsein seiner Schuld: dann eilte er nach dem Hintertheil, warf einen einzigen Blick auf die verzweifelte Lage des Luggers und stürzte sich mit dem seinem Volke eigenen Ungestüm in die See, um nie wieder an's Tageslicht zu kommen. Der traurige Selbstmord wurde Raoul augenblicklich gemeldet.

» Bon!« lautete seine Antwort. »Hätte er es eine Stunde früher gethan, so würde der Irrwisch jetzt nicht auf diesen Klippen wie auf einer Schiffswerfte aufsitzen. Mais, mes enfants, courage! Wir wollen doch sehen, ob unser schöner Lugger nicht mehr zu retten ist.«

Die stoische Kälte und Bitterkeit in dieser Antwort war gleichwohl frei von jeder überlegten Grausamkeit. Raoul liebte – zunächst nach Ghita – unter allen Dingen dieser Welt seinen Lugger am meisten, und in seinen Augen galt es für eine unverzeihliche Sünde, ihn während einer Windstille, wie hier geschehen, Schiffbruch leiden zu lassen.

Gleichwohl war der gegenwärtige Fall keiner von den seltensten. Schiffen ergeht es häufig wie Menschen, die in einem Uebermaaß von Zuversicht ihren Untergang finden, und die amerikanische Küste – wegen der Regelmäßigkeit ihres Ankergrundes für den vorsichtigen Seemann in der ganzen bekannten Welt eine der sichersten – hat manches ähnliche Unglück aufzuzählen, das blos deßhalb möglich war, weil gar kein Vorzeichen von Gefahr zu ersehen gewesen. Unser Held würde sich selbst eine solche Nachlässigkeit niemals vergeben haben, und das, was die Eigenliebe uns selbst zu übersehen verbietet, wird nicht leicht aus Menschenliebe Verzeihung finden.

Die Pumpen fingen an zu sondiren, und man überzeugte sich bald, daß der Lugger so sachte und ohne alle Verletzung seiner Fugen in sein jetziges Bett eingelaufen war, daß er noch fest wie eine Flasche zusammenhielt. Dieß gewährte noch so viel Hoffnung auf eine Rettung des Schiffes, als die Umstände nur immer gestatten mochten.

Raoul versäumte keinerlei Vorsichtsmaßregeln. Es war mittlerweile so hell geworden, daß er recht wohl bemerken konnte, wie von Salerno her eine Felucke unterwegs war, welche die Landbrise oder was noch davon übrig geblieben – zum Auslaufen benützt hatte. Er schickte Ithuel mit einem bewaffneten Boote ab, um sie zu nehmen und bis zu den Klippen heranzubringen: dieß geschah in der doppelten Absicht, um die Prise entweder, wenn es möglich wäre, zum Flottmachen seines eigenen Schiffes zu benützen oder im äußersten Falle mit ihrer Hilfe nach Frankreich zu entrinnen.

Er ließ sich übrigens nicht herab, seinen Leuten diese Beweggründe zu erklären, und ebensowenig wagten sie, ihn darum zu befragen. Er handelte jetzt ganz, wie es einem Kommandanten in einem verzweifelten Nothfalle ziemte. Selbst die angeborene Schwatzhaftigkeit seiner Landsleute vermochte er wirksam zu unterdrücken: statt ihrer herrschte das tiefe, aufmerksame Schweigen einer vollkommenen Disciplin, welches ihm bei seinen Seeunternehmungen schon so oft einen ungewöhnlichen Erfolg gesichert hatte. Eben jener Mangel an Stille und Aufmerksamkeit ist es, dem das vielfache Unglück zur See zugeschrieben werden darf, welches unläugbar ein Volk befallen hat, das sich sonst durch Muth und Unternehmungsgeist auszeichnet. Wer es gut mit ihm meint, wird übrigens mit Freuden erfahren, daß dieses Uebel sich in neuerer Zeit in bedeutendem Maaße vermindert hat.

Sobald das Boot zur Eroberung der Felucke abgeschickt war, wurde auch die Jolle in's Wasser gebracht, und Raoul fing jetzt an, in eigener Person die Lage des Luggers zu untersuchen.

Die Sirenenfelsen, wie die Inselchen bis auf den heutigen Tag genannt werden, erheben sich weit genug über die Oberfläche der See, um auf ziemliche Entfernung sichtbar zu sein; da sie jedoch mit der Küste in einer Linie liegen, so hätte es den Ausguckern auf dem Irrwische, selbst wenn sie munter gewesen wären, sehr schwer fallen müssen, sie damals, als das Schiff aufrannte, zu unterscheiden. Das zunehmende Tageslicht setzte aber jetzt die Franzosen in den Stand, ihre Lage genau zu untersuchen und den Umfang des Unheils kennen zu lernen.

Der Lugger war durch eine ungewöhnlich hohe Grundwoge in eine Spalte zwischen zweien von den Felsen eingeklemmt worden; ringsumher war wohl tiefes Wasser, aber dennoch schien es unmöglich, ihn ohne eine Erleichterung des Ballastes wieder flott zu machen. So lange der Wind nicht wehte und die See nicht höher ging, war er allerdings sicher genug; sobald aber eine höhere Woge den Kiel emporhob und wieder sinken ließ, mußte er ohne Gnade leck werden.

Von diesen Thatsachen hatte sich Raoul kaum fünf Minuten, nachdem die Jolle im Wasser war, genugsam überzeugt, und freute sich jetzt nicht wenig, daß er Ithuel so unverweilt gegen die Felucke abgeschickt hatte. Zunächst wurden nun die Klippen untersucht, um zu sehen, in wie fern sie das Ausladen der Schiffsvorräthe begünstigten. Einige derselben waren hoch genug, um das Wegschwemmen der gelandeten Gegenstände zu verhindern; doch kann man sich bei Felsen, die dem Andrange der See frei stehen, nicht unter allen Umständen hierauf verlassen – denn selbst bei Windstillen herrscht keine Regelmäßigkeit in dem Fallen und Steigen dieses Elementes. Für jetzt ging die See allerdings weniger hoch als gewöhnlich, und so konnten die Franzosen eher hoffen, ihre Vorräthe an zwei oder drei verschiedenen Punkten sicher landen zu können.

Raoul befahl alsbald, das Werk mit Ernst zu beginnen. Der Lugger führte im Ganzen vier Boote, nämlich ein Langboot, einen Kutter, die Jolle und das kleine Boot. Das zweite dieser Fahrzeuge war mit starker Bemannung gegen die Felucke abgeschickt worden: die drei anderen beschäftigten sich jetzt damit, die Vorräthe auszuladen.

Raoul erkannte sogleich, daß der Augenblick keine halben Maßregeln gestattete, und daß das Schiff schwere Opfer bringen mußte, um seinen Kiel zu retten. Dieß und die Sicherheit der Mannschaft war der Hauptzweck, den er für jetzt im Auge hatte, und welchem gemäß er alle seine Vorkehrungen treffen mußte.

An den Wasserfässern im Kielraum wurde alsbald der Boden eingeschlagen und die Pumpen kamen so schnell wie möglich in Bewegung. Vorräthe aller Art wurden in die See geworfen, denn der Irrwisch hatte sich erst kürzlich aus dem Inhalte einer Prise frisch versehen, und ging etwas tiefer im Wasser, als für seine eigentliche Geschwindigkeit gut war. Kurz – alles Entbehrliche wurde über Bord geschleudert, und nur so viel Wasser und Lebensmittel zurückbehalten, als die Mannschaft bis zu dem Augenblicke bedurfte, wo man Corsika erreicht hätte – denn dorthin wollte der Kapitän unter Segel gehen, so wie sein Schiff wieder flott wäre.

Das Mittelmeer hat keine regelmäßige Ebbe und Flut, obwohl das Wasser entweder in Folge von Stürmen oder wegen der Einwirkung der anstoßenden Meere in unregelmäßigen Zwischenräumen zu fallen und zu steigen pflegt. Dieser Umstand entzog die Matrosen zwar der Gefahr, bei hohem Wasser an's Land gehen zu müssen, verhinderte sie aber auch, eine spätere Ebbe zu benützen, und ließ sie ganz in derselben Stellung, in die sie durch den Zufall gerathen waren, – eine Stellung, in welcher ihr Loos ganz von den eigenen Anstrengungen abhing.

Unter solchen Umständen bot unser Held Alles auf, um die Pflichten seines verantwortlichen Postens zu erfüllen. Eine Stunde angestrengter Arbeit brachte bei guter Leitung und beharrlichem Willen eine wesentliche Aenderung in ihrer Lage hervor: war ja das Schiff klein und die Zahl der Arbeiter verhältnißmäßig bedeutend. Nach Ablauf der erwähnten Zeit brachte der diensthabende Offizier die Meldung, der Rumpf hebe sich unter der Gewalt der ansteigenden Wogen, und es lasse sich in Kurzem erwarten, daß er mit einer Kraft gegen dieselbe kämpfen werde, welche Rippen und Planken in Gefahr bringen könnte.

Dieß war das Zeichen, um das Ausladen einzustellen und die Vorkehrungen zum Herausheben des Luggers zu vervollständigen: denn nachdem die Last einmal so weit vermindert war, daß diese Arbeit begonnen werden konnte, durfte man sie der Sicherheit halber nicht länger verschieben. Das Langboot hatte einen Anker hinausgeführt und war bereits wieder auf dem Rückwege gegen die Klippen, wobei es während des Ruderns immer mehr Tau ausstach – bei der Tiefe des Wassers eine höchst gefährliche Aufgabe, da man befürchten mußte, in dem scharfen Winkel, welchen das Kabel bildete, die Grundtakelage, wie man's nennt, heim zu reißen.

Sonst schien sich in diesem Augenblicke Alles günstig zu gestalten. Der Wind hatte sich vollkommen gelegt: die südliche Brise hatte nicht lange gedauert und von einer neuen war nichts zu verspüren. Die See erschien nicht unruhiger, als sie sich den ganzen Morgen über gezeigt hatte, d. h. sie war fast ganz ohne Bewegung: der Tag versprach ruhig und klar zu werden. Mit Ausnahme der Felucke ließ sich nirgends Etwas gewahren, und diese befand sich nicht nur in Ithuels Besitz, sondern war auch bereits bis auf eine halbe Meile gegen die Felsen gesteuert und kam mit jedem Augenblicke näher; in zehn Minuten mußte sie neben dem Irrwische liegen.

Raoul hatte sich überzeugt, daß das Wasser rings um den Lugger so tief war, daß die Prise diesen ganz gut berühren konnte, und eine Menge Gegenstände lagen auf dem Verdecke des Ersteren bereit, um, ehe man mit dem Ausheben begänne, auf dieses Begleitschiff hinübergeschafft zu werden. Auch die Klippen waren mit Fässern, Tauwerk, Kugeln, Ballast und ähnlichen Artikeln – Waffen und Munition allein ausgenommen – reich garnirt. Die beiden letzteren Gegenstände pflegte unser Held mit der ängstlichsten Sorgfalt zu behandeln, denn bei Allem, was er that, war immer der geheime Vorsatz zur entschlossensten Vertheidigung überwiegend.

Übrigens war nirgends ein Zeichen zu bemerken, welches auf eine solche Nothwendigkeit hingedeutet hätte, und die Offiziere schmeichelten sich schon mit der Hoffnung, daß es ihnen gelingen würde, ihren Lugger noch vor dem Eintritte der gewöhnlichen Nachmittagsbrise flott zu machen und in segelfertigen Zustand zu setzen. So wurde also den Leuten Befehl gegeben, bis die Felucke herangekommen wäre, das Frühstück einzunehmen, damit das einmal begonnene Werk keine Unterbrechung mehr zu leiden hätte.

Diese Pause gab Raoul Gelegenheit, sich umzusehen und reiflich nachzudenken. Zwanzigmal kehrte er die ängstlichen Blicke nach den Höhen von St. Agata, an welche Sehnsucht und Besorgniß ihn fortwährend fesselten: erstere galt Ghita, wie wir wohl kaum zu sagen nöthig haben; letztere dagegen entsprang aus dem Gedanken, es möchte ein neugieriger Zuschauer den Lugger erkennen und seinen Zustand an die Feinde verrathen, welche man vor Capri, kaum ein paar Meilen auf der anderen Seite der Höhen – vor Anker wußte.

Doch Alles schien um diese frühe Stunde noch in Ruhe versunken, und da der Lugger, wenn er die Segel nicht entfaltet hatte, ziemlich unbedeutend aussah, so war aller Grund zu der Hoffnung vorhanden, daß der Unfall bis jetzt noch unbemerkt geblieben sei. Die Annäherung der Felucke mußte sie freilich so ziemlich verrathen: doch hatte Raoul wenigstens die Vorsicht gebraucht und Ithuel den Befehl gegeben, daß keine Zeichen ihres Nationalcharakters verrathen werden dürften.

Jetzt, in der Stunde der Muße und Unthätigkeit, war Raoul Yvard ein ganz anderer Mann, als er noch wenige Stunden früher gewesen war. Damals betrat er das Verdeck seines kleinen Kreuzers so ziemlich mit dem Gefühle eines Mannes, der sich voll Triumphs seiner Jugend und Stärke bewußt ist; jetzt aber war ihm ungefähr zu Muthe, wie Einem, der sich durch Unglück und Krankheit herabgestimmt fühlt. Dessenungeachtet hatte sein Charakter nichts von seinem hohen, ritterlichen Sinne verloren, und selbst jetzt, da er auf dem Hackbord seines gestrandeten Irrwisches saß, entwarf er Pläne, wie er, falls es ihm nicht gelänge, seinen Lugger wieder flott zu machen, irgend einen stattlichen Engländer überfallen und entern könnte.

Ein solches Auskunftsmittel war es gerade, worüber er nachdachte, als Ithuel, einem durch's Sprachrohr ertheilten Befehle gemäß, seine Prise dicht neben den Lugger brachte und an denselben befestigte. Die Leute, welche den Amerikaner begleitet hatten, wurden jetzt zum Frühstück entlassen, während Raoul ihren Führer einlud, sein frugales Mahl auf dem Hackbord mit ihm zu theilen.

Während des Essens erkundigte sich Raoul über Alles, was während der paar Stunden seit ihrer letzten Trennung vorgefallen war. Ithuel hatte seine Erzählung bald beendigt, aber sein Zuhörer vernahm mit nicht geringer Bestürzung, daß die Mannschaft der Felucke, sobald sie die Eroberung ihres Schiffes als unvermeidlich betrachtete, ihr Boot bestiegen und sich nach dem Landungsplatze von Scaricatojo geflüchtet hatte. Daraus ging hervor, daß der Charakter des gestrandeten Schiffes bekannt sein mußte, und jetzt war kaum mehr zu hoffen, daß die Engländer ihre Lage nicht noch im Laufe des Morgens erfuhren.


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