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Einundzwanzigstes Kapitel

Die Ehre ist an's Leben ihm gekettet:
Wer Eines sucht, muß für das And're auch
Frisch wagen oder Beides gar verlieren.

Tatham.

 

So viel wußte man jetzt gewiß, daß der Irrwisch nicht in dem Golfe von Salerno war. Von den hohen Masten der Fregatte aus konnte man mit Hilfe der Gläser die ganze Küste übersehen, und nirgends war ein Zeichen von einem ähnlichen Fahrzeuge zu erblicken. Sogar Lyon hatte die Hoffnung aufgegeben, und rund herum geviert, so daß er abermals – ein getäuschter Mann – das Ufer entlang gegen Campanella hinsteuerte.

Da Cuffe den nächsten Wind aus Westen erwartete, so hielt er sich fortwährend nordwärts, in der Absicht, bis Amalfi hinauf zu segeln, und jeden Fischer, dem er begegnete, nach dem Lugger zu befragen.

Indem wir das Schiff seinen Kurs langsam in dieser Richtung verfolgen lassen, wollen wir unsere Aufmerksamkeit nunmehr auf den Zustand der Gefangenen richten.

Ghita und ihr Oheim waren diese ganze Zeit über mit aller Sorgfalt behandelt worden. Des Constable's Frau, eine höchst achtbare Matrone – wohnte am Bord der Proserpina, und Cuffe übergab ihr aus zarter Rücksicht das arme Mädchen zur Beherbergung und Verpflegung. Für ihren Oheim wurde ein näheres Unterkommen ausgemacht, und da Beide als gänzlich unschuldig betrachtet wurden, so war die Absicht, sie alsbald an's Land zu setzen, so wie man die Gewißheit erlangt haben würde, daß keine Nachricht über den Lugger aus ihnen herauszubringen sei.

Ithuel hatte seinen Dienst wieder angetreten und war den halben Morgen über auf dem Vormars gewesen. Die Barke, welche unterdessen auf dem Deck gestanden hatte, wurde jetzt in's Wasser gelassen und im Schlepptau behalten, bis der Augenblick gekommen wäre, wo Carlo Giuntotardi und seine Nichte dieselbe, nebst der Erlaubniß zur Abfahrt, zurück erhalten sollten. Dieser Augenblick wurde übrigens noch so lange hinausgeschoben, bis das Schiff um das Kap Campanella herum in den Golf von Neapel eingelaufen sein würde, da es offenbar grausam gewesen wäre, zwei Personen, wie den Oheim und seine Nichte, in bedeutender Entfernung von ihrem eigentlichen Ankerplatze von dem Schiffe fort zu schicken.

Raoul Yvard dagegen befand sich in ganz anderen Umständen. Er saß auf der Back unter der Obhut einer Schildwache in Erwartung des furchtbaren Augenblicks, wo er zur Execution abgerufen werden sollte. Seine Verurtheilung war allgemein auf dem Schiffe bekannt, doch nur Wenige nahmen Theil an seinem Schicksale, denn die Meisten waren in Folge des Kriegs mit derlei Strafen, mit dem Tod in Schlachten und den übrigen Zwischenfällen des Seelebens viel zu vertraut, als daß ein solcher Fall zumal auf einer im aktiven Dienste kreuzenden Fregatte irgend Aufsehen erregt hätte.

Nur einige Wenige dachten daran, dem Gefangenen seine Lage zu erleichtern. Winchester war ein menschenfreundlicher Mann, und hegte – zu seiner Ehre sei es gesagt – durchaus keinen Groll wegen seiner eigenen Niederlage und Verwundung, während er in seiner Eigenschaft als erster Lieutenant viel dazu beitragen konnte, dem Verurtheilten eine behagliche Lage zu bereiten. Er hatte den Gefangenen zwischen zwei offenen Stückpforten untergebracht, wo die Luft freien Durchzug fand – in einem so warmen Klima keine unbedeutende Rücksicht; überdieß hatte er eine Schotenwand aus Segeltuch rings um Raoul aufrichten lassen, so daß dieser die Wohlthat eines eigenen Zimmers genoß, und in einem so fürchterlichen Augenblicke wenigstens mit seinen Gedanken allein blieb.

Ob es wahrscheinlich sein möchte, daß der Gefangene einen Sprung durch eine Stückpforte versuchte – darüber hatten der erste und zweite Lieutenant bereits Berathung mit einander gepflogen; doch die Schildwache wurde ermahnt, gegen einen solchen Versuch auf ihrer Hut zu sein, und überdieß betrug sich Raoul so ruhig, daß man von seiner Seite nicht wohl einen übereilten Schritt befürchten durfte. Dann wäre es auch leicht gewesen, ihn wieder aufzufangen, da das Schiff nur langsam weiter zog und – die Wahrheit zu gestehen – Manche würden es lieber gesehen haben, wenn er ertrunken, als wenn er an dem Arme der Vorraa aufgehängt worden wäre.

In diesem engen Kerker brachte denn Raoul die Nacht und den folgenden Morgen zu. Wenn wir behaupten wollten, er sei unerschüttert gewesen, so würden wir ihm größeren Stoicismus andichten, als er in Wirklichkeit besaß. Im Gegentheil hatte er bittere Momente zu überwinden, und seine Angst würde ihn vielleicht übermannt haben, wenn ihn nicht der hohe Entschluß, eines Franzosen würdig zu sterben – aufrecht erhalten hätte.

Die zahlreichen Hinrichtungen durch die Guillotine hatten Charakterstärke unter solchen Umständen so zu sagen zur Mode erhoben, und es gab nur Wenige, die dem Tode nicht mit geziemender Fassung entgegentraten. Unserem Gefangenen vollends kam ein starker, furchtloser Geist zu Hilfe, und er würde dem großen Tyrannen des Menschengeschlechts, selbst in seiner grausigsten Gestalt, mit Festigkeit, wenn nicht gar mit Verachtung in's Auge gesehen haben. Aber ein liebender Jüngling, wie er, konnte dem letzten großen Wechsel nicht wohl ohne ein tiefes Gefühl der Hoffnungslosigkeit entgegengehen, das in Raouls Falle durch keine erheiternde Aussicht auf die Zukunft gemildert wurde. Er glaubte sein Schicksal für immer besiegelt, und zwar weniger wegen seines eingebildeten Verbrechens der Spionerie, als wegen der wohlbekannten zahlreichen Unbilden, welche er dem englischen Handel zugefügt hatte.

Raoul konnte aus voller Seele hassen, und der Tagesmeinung jener vergangenen Periode zufolge – einer Meinung, welche, wie wir fürchten, trotz des ungeheuren Aufwands nichtssagender Philanthropie, wie sie jetzt von Mund zu Mund, von Feder zu Feder frei cirkulirt, auch für künftige Zeiten wieder maßgebend werden dürfte – war ihm das Volk, mit welchem er Krieg führte, von Herzen verhaßt, so daß er Alles bereitwillig glaubte, was politische Eifersucht zu dessen Nachtheile erfinden mochte. In dieser Gemüthsstimmung mußte er sich freilich denken, sein eigenes Leben könne nur als nichtsbedeutend betrachtet werden, wenn es gegen englische Herrschgier oder englische Gewinnsucht in die Wagschale gelegt würde. Er war gewohnt, sich das Volk der Britten nur als eine ›Nation von Krämern‹ zu denken, und trotzdem, daß er selbst einem Berufe folgte, der das Brandmal der Raubgier an der Stirne trägt, pflegte er dennoch sein eigenes Gewerbe als vergleichungsweise kriegerisch und ehrbar zu betrachten – Beides Eigenschaften, deren es unter seiner Leitung allerdings nicht ganz entbehrte.

Mit einem Worte – Raoul verstand Cuffe so wenig, als dieser Jenen verstand, was aus der Unterredung, welche wir nunmehr zu berichten haben, deutlich genug hervorgehen wird.

Der Gefangene empfing im Verlaufe des Morgens einen oder zwei freundliche Besuche: Griffin besonders hielt es für Pflicht, seine Bekanntschaft mit fremden Sprachen dazu zu benützen, daß er den Verurtheilten etwas aufzuheitern suchte. Die Festigkeit in dem ganzen Wesen des Gefangenen trug vollends dazu bei, daß das Gespräch bei diesen Veranlassungen niemals eine düstere Wendung nehmen konnte.

Um seine Sachen recht gut zu machen, hatte Winchester bei Errichtung der Leinwandschoten die beiden nebenstehenden Geschütze mit einschließen lassen, was dem engen Gemache natürlich mehr Licht und Raum verlieh, da die beiden Stückpforten auf diese Art zugleich mit in den Bereich gezogen wurden. Raoul spielte auf diesen Umstand an, als er, auf einem Stuhle sitzend, Griffin bei seinem letzten Besuche einlud, bei ihm Platz zu nehmen.

»Ihr findet mich hier auf jeder Seite von einem Achtzehnpfünder geschützt, wie es einem Seemanne, der zu sterben im Begriffe ist, geziemt,« bemerkte der Gefangene lächelnd. »Träfe mich der Tod aus der Mündung Eurer Kanonen, Monsieur le Lieutenant, so wäre dieß blos um wenige Monden oder Tage früher, als es im gewöhnlichen Laufe der Ereignisse vielleicht geschehen würde.«

»Wir wissen, was wir für einen tapfern Mann in Eurer Lage zu empfinden haben,« gab Griffin mit Rührung zur Antwort, »und Nichts würde uns Alle glücklicher machen, als hierin Euren Wunsch erfüllen zu können. – Ihr selbst in einer tüchtigen, warmen Fregatte an unserer Breitseite und wir auf diesem unserem Schiffe, alle zwei in offenem Kampfe für die Ehre ihrer beiderseitigen Länder begriffen.«

»Monsieur, das Kriegsglück hat anders entschieden; Ihr habt aber nicht Platz genommen, Monsieur le Lieutenant

» Mon pardon: Kapitän Cuffe hat mich mit der Bitte hergesendet, Monsieur Yvard, daß Ihr ihn, sobald es Euch angenehm wäre, in seiner Kajüte mit Eurer Gesellschaft beehren möchtet.«

Es liegt Etwas in der höflichen Redeweise der französischen Sprache, was Griffin in seinen Mittheilungen gegen den Gefangenen nicht wohl anders als artig zu sein gestattete, selbst wenn er zum Gegentheile Lust gehabt hätte. Das Letztere lag übrigens keineswegs in seiner Absicht, denn seit sich der tapfere Gegner in ihren Händen befand, waren alle edeldenkenden Männer auf der Proserpina geneigt, ihn mit der größten Zartheit zu behandeln.

Raoul fühlte sich durch diese Zeichen des Edelmuthes gerührt, und da er Griffins Unternehmungsgeist in den verschiedenen Versuchen gegen seinen Lugger erprobt hatte, so begann er allmählig besser von seinen Feinden zu denken. Von seinem Stuhle sich erhebend, erklärte er sich bereit, dem Kapitän noch in demselben Augenblicke aufzuwarten.

Cuffe harrte seiner in der Hinterkajüte. Sobald Griffin mit dem Gefangenen eintrat, bot er Beiden mit Artigkeit Sitze an; Ersterer wurde zum Bleiben eingeladen, nicht sowohl um bei der Verhandlung als Zeuge zu dienen, als vielmehr um im Nothfalle die Rolle des Dolmetschers zu übernehmen.

Eine kurze Pause folgte; dann eröffnete der Kapitän das Gespräch, das auf englisch geführt wurde, wobei Griffin, so oft es nöthig wurde, gelegentlich Beistand leistete.

»Ich bedaure sehr, Monsieur Yvard, einen tapferen Mann in Eurer Lage zu sehen,« begann Cuffe, der, abgesehen von dem besonderen Gegenstande, den er im Auge hatte, hierin nicht mehr als die Wahrheit sprach. »Wir haben Eurem Muth und Scharfsinn alle Gerechtigkeit widerfahren lassen, selbst während wir uns nach Kräften bemühten, Euch in unsere Gewalt zu bekommen. Aber die Kriegsgesetze sind nothgedrungen streng, und wir Engländer haben einen obersten Kommandanten, der in Dienstangelegenheiten nicht zum Scherzen geneigt ist.«

Dieß sagte Cuffe theils aus Politik, theils auch aus gewohnter Ehrfurcht vor Nelsons Charakter.

Raoul nahm es übrigens im günstigsten Lichte auf, obwohl der politische Theil von des Kapitäns Motive bei ihm rein verloren war, wie die Folge sogleich lehren wird.

»Monsieur, ein Franzose weiß für Freiheit und Vaterland zu sterben,« gab Raoul mit Höflichkeit, aber auch mit Nachdruck zur Antwort.

»Daran zweifle ich nicht; Monsieur; gleichwohl sehe ich nicht ein, warum die Sachen aufs Aeußerste getrieben werden sollten. England ist eben so freigebig mit Belohnungen, als es die Macht besitzt, Beleidigungen zu rächen. Vielleicht ließe sich ein Plan einleiten, der die Nothwendigkeit abwendete, das Leben eines braven Mannes auf so grausame Weise zu opfern.«

»Ich bin keineswegs gestimmt, den Helden zu spielen, Monsieur le Capitaine. Wenn sich irgend eine passende Art auffinden ließe, wie ich aus meiner gegenwärtigen Lage erlöst werden könnte, so würde meine Dankbarkeit der Größe des mir geleisteten Dienstes gewiß nicht nachstehen.«

»Das heiße ich vernünftig und ganz dem Zwecke gemäß gesprochen. Ich zweifle durchaus nicht: wenn wir uns erst recht verstehen, wird sich die Sache in aller Freundschaft beilegen lassen. Griffin, seid so gut und bedient Euch mit einem Glase Wein und Wasser; Ihr werdet es an einem so warmen Tage gewiß erfrischend finden. Monsieur Yvard wird uns Gesellschaft leisten, denn der Wein kommt von Capri und ist nichts weniger als schlecht, wenn auch Einige den Lacrymä Christi vorziehen, der, wie ich glaube, am Fuße des Vesuvs wächst.«

Griffin that, wie der Kapitän gewünscht, doch drückte sein Gesicht noch keineswegs jene Zufriedenheit aus, die in Cuffe's Miene zu lesen war. Raoul lehnte das Anerbieten ab und erwartete die versprochene Erklärung mit einer Spannung, welche er sich nicht zu verbergen bemühte.

Cuffe schien, in seiner Erwartung getäuscht, nur mit Widerstreben fortfahren zu wollen; da er jedoch seine beiden Gesellschafter verstummt fand, so war er genöthigt, mit seinem Vorschlag herauszurücken.

» Oui, Monsieur,« fuhr er fort, »England ist mächtig genug, um zu strafen, aber auch bereit, zu vergeben. Es ist ein wahres Glück für Euch, daß Ihr es in einem so ernsten Momente in Eurer Gewalt habt, Euch für ein Vergehen Pardon zu sichern, welches im Kriege von jeher mit der härtesten Strafe belegt wurde.«

»Auf welche Art kann dieß geschehen, Monsieur le Capitaine? Ich bin nicht der Mann, der das Leben verachtet, besonders wenn ich in Gefahr stehe, dasselbe durch einen schmachvollen Tod zu verlieren.«

»Ich bin erfreut, Monsieur Yvard, Euch in dieser Stimmung zu finden; sie wird mich der Erfüllung einer höchst peinlichen Pflicht überheben und manche Schwierigkeiten aus dem Wege räumen helfen. Ohne Zweifel habt Ihr schon von dem Charakter unseres gepriesenen Admirals Nelson gehört?«

»Sein Name ist jedem Seemanne bekannt, Monsieur,« gab Raoul steif zur Antwort, denn seine natürlichen Antipathien waren selbst durch die Gefahr seiner Lage keineswegs geheilt. »Er hat ihn mit blutigen Schriftzügen auf den Wassern des Nils niedergeschrieben!«

»Ja, ja, seine dortigen Thaten werden, gleich allen übrigen, nicht leicht vergessen werden. Er ist ein Mann von eisernem Willen; wenn er sein Herz an irgend Etwas gehängt hat, wird er vor keiner Gefahr zurückschrecken, um sein Ziel zu erreichen, besonders wenn das Mittel gesetzlich und der Ausgang ruhmwürdig ist. Um offen mit Euch zu sprechen, Monsieur – er wünscht sehr, Euren Lugger, den Few-Folly – in seine Gewalt zu bekommen.«

»Aha!« rief Raoul mit ironischem Lächeln; »Nelson ist nicht der erste englische Admiral, der diesen Wunsch gehegt hat. Der Feu-Follet, Monsieur le Capitaine, ist so reizend, daß er viele Bewunderer besitzt!«

»Unter denen Nelson einer der wärmsten ist. Nun seht, gerade dieß macht die Erledigung Eures Falles um so leichter. Ihr habt Nichts zu thun, als den Lugger in unsere Hände zu übergeben, und Ihr sollt pardonirt und als wirklicher Kriegsgefangener behandelt werden.«

»Seid Ihr von Monsieur Nelson bevollmächtigt, mir diesen Vorschlag zu machen?« fragte Raoul ernst.

»Ja. Mit der Sorge für seines Vaterlandes Interessen betraut, ist er geneigt, das Vergehen, das unter dem Schutze des Nationenrechtes gegen uns verübt wurde, zu übersehen, um dafür den Feind der Mittel zu berauben, unserem Handel ferner so bedeutenden Schaden zuzufügen. Stellt den Lugger in unsere Hände, und Ihr sollt auf ein gewöhnliches Gefangenenschiff geschickt werden. Ja noch mehr – vertraut uns blos das Geheimniß seiner jetzigen Stellung, dann wollen wir dessen Beifahung schon selbst auf uns nehmen.«

»Monsieur Nelson thut ohne Zweifel nicht mehr als seine Pflicht,« versetzte Raoul ruhig, aber mit einer Miene strenger Selbstachtung. »Sein Amt verlangt, für den englischen Handel Sorge zu tragen, und er hat alles Recht, einen solchen Vergleich abzuschließen. Aber der Vertrag könnte nicht auf gleiche Bedingungen hin in's Werk gesetzt werden: denn Nelson folgt nur der Eingebung seines Pflichtgefühls, während ich keine Vollmacht besitze.«

»Wie? – Ihr habt doch die Vollmacht, zu sprechen, und das wird genügen, um uns mitzutheilen, welche geheimen Befehle Ihr dem Lugger gegeben habt, und wo er in diesem Augenblicke zu treffen sein mag!«

» Non, Monsieur, nicht einmal diese Vollmacht besitze ich. Ich kann Nichts thun, was mich mit solcher Schmach bedecken müßte. Meine Zunge steht unter einem Gesetze, das ich wahrlich nicht verfaßte, als von Verrätherei die Rede war.«

Hätte Raoul einen theatralischen Ton und Anstrich angenommen, wie man vielleicht erwarten konnte, so würde dieß auf Cuffe wahrscheinlich sehr wenig Eindruck gemacht haben; aber seine ungekünstelte Ruhe und Standhaftigkeit erzwang sich den Glauben seines Gegners.

Die Wahrheit zu sagen – der Kapitän fühlte sich enttäuscht. Er würde Anstand genommen haben, einem Offiziere der regulären französischen Marine einen solchen Vorschlag zu machen, so wenig auch diese zu jener Zeit, besonders bei Nelsons Flotte, in Achtung standen; von einem Kapersmanne aber hatte er bei einem Plane, der zur Belohnung für den verlangten Verrath dem Gefangenen das Leben anbot, – nichts als bereitwillige Zustimmung erwartet. Anfänglich fühlte er sich geneigt, Raoul den Widerspruch zwischen der Art seines Berufes überhaupt – wie nämlich Cuffe ihn ansah – und den soeben preisgegebenen Grundsätzen vorzuhalten: doch die anspruchslose Ruhe und Wahrheit, die sich in den Gefühlen des Anderen aussprach, ließen ihn nicht dazu gelangen. Dann war auch Cuffe – um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – zu großmüthig, als daß er die Gewalt über seinen Gefangenen mißbraucht hätte.

»Ihr werdet wohl thun, Monsieur Yvard, darüber nachzudenken,« bemerkte der Kapitän nach einer minutenlangen Pause. »Das Interesse, das auf dem Spiele steht, ist so groß, daß Ihr Euch bei einigem Nachdenken doch noch zu einer Sinnesänderung veranlaßt fühlen könntet.«

»Monsieur Cuffe, ich vergebe Euch, wenn Ihr Euch selbst vergeben könnt,« antwortete Raoul mit strenger Würde in seinem Wesen, und stand dabei auf, wie wenn er von seinem Versucher alle ferneren Höflichkeiten verschmähte. »Ich weiß, was Ihr von uns Kapern haltet; aber ein Offizier in einem ehrenvollen Dienst sollte sich dennoch wohl besinnen, ehe er einen Mann in die Versuchung führt, eine Handlung wie diese zu vollbringen. Die Thatsache, daß das Leben Eures Gefangenen auf dem Spiele steht, sollte einen braven Seemann bei jeder Einwirkung auf dessen Furchtsamkeit oder Charakterstärke nur um so zartfühlender machen. Aber, wie gesagt, ich vergebe Euch, Monsieur, wenn Ihr Euch selbst vergeben könnt.«

Cuffe stand verlegen da. Das Blut drang ihm zum Herzen und schien dann durch die Poren seines Gesichts hervordringen zu wollen. Der heftigste Unwille drohte ihn beinahe zu verzehren: bald aber wurde er wieder er selbst und begann die Dinge in dem Lichte zu betrachten, wie er's in kühleren Augenblicken zu thun gewohnt war. Doch konnte er immer noch nicht sprechen, sondern ging in der Kajüte auf und ab, um seine Selbstbeherrschung wieder zu gewinnen.

»Monsieur Yvard,« begann er endlich, »ich bitte Euch aufrichtig und von Grund meines Herzens um Verzeihung. Ich kannte Euch nicht, sonst würde ein solcher Vorschlag Euch niemals verletzt oder einen brittischen Offizier in meiner Person beschimpft haben. Auch Nelson ist gewiß unter allen Lebenden der Letzte, der das Gefühl eines Feindes, wenn er ein Ehrenmann ist, verwunden möchte – aber wir haben Euch nicht gekannt. Die Kapersleute zeigen nicht alle Eure Denkungsweise, und das war es, was uns zu einem Irrthum verleitete.«

» Touchez-là« sprach Raoul, seine Hand ihm freimüthig entgegenstreckend. » Monsieur le Capitaine, Ihr und ich, wir sollten uns einmal auf zwei hübschen Fregatten – jeder für die Ehre seines Vaterlandes – gegenüber stehen: möchte auch der Ausgang sein, welcher er wollte – er würde jedenfalls den Grund zu einer ewigen Freundschaft legen. Ich habe lange genug in vôtre Angleterre gelebt, um zu wissen, wie wenig nôtre France Euch bekannt ist; mais n'importe – tapfere Männer verstehen einander auf der ganzen Welt: für die kurze Zeit, die mir noch übrig ist, wollen wir Freunde sein.«

Cuffe nahm Raouls Hand, und sogar eine Thräne trat ihm in die Augen, als er sie mit warmer Herzlichkeit schüttelte.

»Das war ein verd–t niederträchtiges Geschäft, Griffin,« sagte der Kapitän, sobald er wieder, ohne Schwäche zu verrathen, sprechen konnte; »mein Lebenlang soll man mich nicht mehr darüber betreffen, und wenn auch eine Flotte, so groß wie die in dem Golfe drüben, der Preis davon wäre.«

»Ich glaubte nie, daß es gelingen würde, Sir, und – die Wahrheit zu sagen – ich hoffte es auch niemals. Ihr werdet mich entschuldigen, Kapitän Cuffe – aber wir Engländer halten die Kontinentalen, und besonders die Franzosen, nicht ganz so hoch, als sie es verdienen. Ich fürchtete gleich von Anfang an, daß es nicht gehen würde.«

Cuffe wiederholte nun seine Entschuldigungen, und nach einigen Worten freundlicher Achtung von beiden Seiten kehrte Raoul in sein kleines Gemach zurück, indem er des Kapitäns Anerbieten, eines der Kajütenkabinete einzunehmen, ablehnte.

Griffin war bald wieder zurück, und dann wurde das Gespräch von beiden Offizieren wieder aufgenommen.

»Das ist doch eine recht peinliche Geschichte, Griffin,« bemerkte Cuffe. »Es ist vollkommen richtig: im technischen Sinne ist Monsieur Yvard ein Spion und schuldig nach den Formen des Gesetzes; dennoch hege ich nicht den geringsten Zweifel an der Wahrheit seiner ganzen Erzählung. Diese Ghita Caraccioli, wie das Mädchen sich nennt, ist das leibhafte Sinnbild der Wahrhaftigkeit: sie war vorgestern in der That in Nelsons Kajüte, und zwar unter Umständen, welche keinerlei Verdacht gegen die Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit ihres Charakters zulassen, während die Erzählungen Beider vollkommen mit einander übereinstimmen. Selbst der Veechy und dieser engbrüstige alte Podesta bestätigen ihren Bericht, denn sie haben Ghita zu Porto Ferrajo gesehen, und fangen auch ihrerseits an zu glauben, daß der Franzmann blos um ihretwillen in den Hafen herkam.«

»Ich zweifle keineswegs, Kapitän Cuffe, daß Lord Nelson Aufschub oder selbst Pardon bewilligen wird, wenn ihm die Tatsachen gehörig vorgestellt werden,« bemerkte Griffin, der sich mit edelmüthiger Theilnahme dafür interessirte, demselben Manne das Leben zu erhalten, den er noch wenige Wochen zuvor durch Feuer zu vernichten versucht hatte – so groß ist die Verkehrtheit des Menschen, und so verschiedenartig die Gefühle, welche durch den Krieg hervorgerufen werden.

»Das ist die bedenkliche Partie in der ganzen Geschichte, Griffin. Das Urtheil ist bestätigt; ich habe den Befehl, es noch am heutigen Tage zwischen Auf- und Niedergang der Sonne in Vollziehung zu setzen, und jetzt ist's bereits Mittag: wir selbst stehen südwärts von Campanella, und zu weit von dem Flaggenschiffe entfernt, als daß man an ein Signalisiren denken könnte.«

Griffin schrak zusammen: all' die großen Schwierigkeiten des Falles stellten sich seinem Geiste mit einem Male vor Augen. Nach den bestehenden Dienstgebräuchen durfte an einem Befehle, und besonders an einem von so großer Wichtigkeit – nichts gemäkelt werden, und doch befand man sich hier in einem Dilemma, wo kein Ausweg vorhanden zu sein schien.

»Guter Gott! Welches Unglück, Kapitän Cuffe! Kann nicht zu Land ein Eilbote abgeschickt werden, der das Flaggenschiff noch zeitig erreichte?«

»Ich habe schon daran gedacht, Griffin, und Clinch ist mit diesem speciellen Auftrage abgegangen.«

»Clinch! – Verzeiht mir, Sir; aber ein derartiger Auftrag erforderte einen sehr raschen und nüchternen Offizier!«

»Clinch ist rasch genug, und ich weiß, seine sonstige Schwäche wird heute keine Macht über ihn üben. Ich habe ihm den Weg zu einem Lieutenantspatente eröffnet, und Niemand kann schneller in einem Boote nach Neapel gelangen, als Clinch, wenn es ihm wahrhafter Ernst ist. Er wird die Nachmittagsbrise, falls eine solche eintreten sollte, so gut als möglich benützen, und ich habe ein Signal mit ihm ausgemacht, mittelst dessen er mir das Resultat sogar bis auf acht bis zehn Meilen Entfernung mittheilen kann.«

»Hat Euch Lord Nelson in dem Befehle keinerlei Vollmacht überlassen, Sir?«

»Nein – wofern sich nicht Raoul Yvard mit deutlichen Worten bereit erklärt, den Lugger aufzugeben. Für diesen Fall habe ich einen Brief, der mich bevollmächtigt, die Execution so lange zu verschieben, bis ich mit dem kommandirenden Admirale direkt verkehren kann.«

»Wie unglückselig sich doch Alles fügen mußte! Ist denn keine Möglichkeit vorhanden, Sir, irgend einen Fall aufzustellen, der jene Vollmacht vorderhand anwendbar machte?«

»Das ginge vielleicht für Einen von Euch, Mr. Griffin, die ihr keine Verantwortlichkeit habt,« versetzte Cuffe etwas scharf; »ich meines Theiles möchte aber lieber vierzig Franzosen aufknüpfen, als mich von Nelson wegen Dienstnachlässigkeit aus bronten lassen.«

Cuffe drückte sich hier etwas stärker aus, als er vielleicht beabsichtigte: doch der Kommandant eines Kriegsschiffes pflegt seine Worte nicht immer so genau abzuwägen, wenn er sich zu der Besprechung eines Gegenstandes mit einem Untergebenen herabläßt. Seine Erwiederung mußte Griffins Eifer einigermaßen dämpfen, obgleich das Gespräch nichtsdestoweniger fortgesetzt wurde.

»Nun, Sir,« antwortete der Lieutenant, »so viel weiß ich gewiß, daß wir Alle so dringend wie Ihr selbst wünschen, unser Schiff mit dieser Execution verschont zu sehen. Erst gestern war es, wo wir uns in der Konstabelkammer gegen einige Offiziere vom Lapwing ›Kibitze‹ auf deutsch.
D. U.
, die zum Besuch da waren, rühmten, die Proserpina habe noch nie eine Execution oder kriegsrechtliche Peitschenstrafe an ihrem Borde gehabt, trotzdem, daß sie jetzt nahezu vier Jahre unter brittischer Flagge stehe und siebenmal im Feuer gewesen sei!«

»Gebe Gott, Griffin, daß Clinch den Admiral finde und zeitig genug zurückkehre.«

»Wie wäre es, Sir, wenn wir den Vicestatthalter einen Versuch bei dem Gefangenen anstellen ließen; vielleicht überredet er ihn, daß er wenigstens scheinbar einwilligt, oder etwas dergleichen, nur um wenigstens einen Aufschub zu rechtfertigen, Sir. Man sagt, die Corsikaner seien die scharfsinnigsten Bursche in diesem ganzen Theile der See, und Elba liegt so nahe bei Corsika, daß zwischen der beiderseitigen Bevölkerung kein allzu großer Unterschied denkbar ist.«

»Ja, Euer Veechy ist ein leibhaftiger Hexenmeister. – Er brachte bei seiner ersten Unterredung mit Yvard das Geheimniß so genau an den Tag, daß er ohne Zweifel auch bei einer zweiten seine Ueberlegenheit geltend machen wird!«

»Man kann nicht wissen, Kapitän Cuffe. Der Italiener hat mehr Hilfsmittel, als die meisten andern Erdenkinder, und Signor Barrofaldi ist ein kluger, verständiger Mann, wenn er mit offenen Augen handelt. Der Feu-Follet hat noch andere Leute, als den Vicestatthalter und den Podesta, zum Besten gehabt!«

»Ja, diesen verd–ten Irrwischen ist niemals zu trauen. Es sollte mich gar nicht Wunder nehmen, wenn wir den Folly plötzlich doppelt geflügelt mit einer Sechsknotenbrise vom Lande her in die See hinaussteuern sähen, während wir selbst wie eine Kathedrale still lägen, und kaum Wind genug hätten, um den Rauch unseres Küchenfeuers aus seiner senkrechten Richtung zu bringen.«

»Auf unserer inneren Seite ist er nicht, Kapitän Cuffe; darauf dürfen wir uns verlassen. Ich bin mit dem besten Glase des ganzen Schiffes auf der großen Bramraa gewesen und habe den ganzen Horizont von den dort oben gelegenen Ruinen ostwärts bis zu der Stadt Salerno gemustert – nirgends ist Etwas zu sehen, das auch nur die Größe einer Sparanara hätte.«

»Bei all' Dem sollte man aber doch glauben, dieser Monsieur Yvard müsse am Ende doch nachgeben, um sein eigenes Leben zu retten.«

» Wir sollten doch hoffentlich kaum so Etwas vermuthen, Kapitän Cuffe?«

»Ich glaube, Ihr habt recht, Griffin, man fühlt sich gedrungen, den Kapersmann seinem Gewerbe zum Trotz hochzuschätzen. Wer weiß, ob sich nicht aus diesem Bolt etwas herausbringen ließe; er muß über den Lugger ebensoviel wie Yvard selber wissen.«

»Ganz richtig, Sir; noch vor einer Minute dachte ich daran, Euch etwas der Art vorzuschlagen. Er ist ein Bursche, auf dem man mit Freuden herumreiten möchte, wie man etwa auf dem Haupttakel herumreitet. Soll ich ihn rufen lassen, Kapitän Cuffe?«

Der Kapitän zögerte, da die früheren Versuche auf Ithuels Eigennutz fehlgeschlagen hatten. Doch war die Erhaltung von Raouls Leben und die Gefangennahme des Luggers in Cuffe's Augen zu Gegenständen von beinahe gleichem Interesse geworden, und er wollte deßhalb kein irgend ausführbares Mittel zu Erreichung seines Zieles vernachlässigen.

Ein Zeichen der Zustimmung war Alles, was der Lieutenant bedurfte, und in wenigen Minuten stand Ithuel abermals vor seinem Kapitän.

»Es bietet sich dir jetzt die beste Gelegenheit, Master Bolt, ein hübsches Stück Abtrift zu gewinnen,« begann der Kapitän, »und ich will dir eine Möglichkeit gewähren, dir selber zu helfen. Du weißt doch vermuthlich, wo du den Few-Folly zuletzt verlassen hast?«

»Ich weiß nicht, aber ich könnte wohl, Sir, –« antwortete Ithuel, die Augen umherrollend, um sich zu überzeugen, wo der Andere eigentlich hinauswolle, »ich weiß nicht, aber zur Noth könnte ich mich schon entsinnen, Sir; obwohl mein Gedächtniß, wenn ich die Wahrheit gestehen soll, keines von den verzweifelt besten ist.«

»Nun also; wo war's gleich? Bedenke, daß das Leben deines ehemaligen Freundes Raoul Yvard von deiner Antwort abhängen kann!«

»Das möcht' ich doch wissen! – wahrhaftig, dieses Europa ist ein kurioser Theil der Welt, wie Alle zugeben müssen, die von Ameriky kommen. Was hat denn Kapitän Rule gethan, Sir, daß er jetzt in solcher Gefahr stünde?«

»Ihr wißt, daß er der Spionerie überwiesen wurde, und meine Befehle lauten dahin, ihn aufknüpfen zu lassen, wofern wir nicht seinen Lugger bekommen. Dann allerdings könnten wir ihm möglicherweise einige Gnade gewähren, da wir nicht sowohl gegen Individuen, als gegen Nationen Krieg führen.«

Cuffe wäre wahrscheinlich selbst in Verlegenheit gerathen, wenn er die Anwendung dieses seines Satzes auf den gegenwärtigen Fall hätte erklären müssen; in der Voraussetzung jedoch, daß er es mit einem Manne zu thun habe, der selbst weder sehr logisch, noch überhaupt philosophisch gebildet sei, war er über seine Art und Weise, die Sache einzuleiten, ziemlich gleichgültig, wofern er nur sein Ziel erreichte.

Aber er kannte Ithuel noch nicht. Liebe für Raoul oder den Lugger, oder überhaupt für irgend etwas Anderes, als ihn selbst, bildete keinen Theil seines Charakters; dagegen hatte sich der Haß gegen England mit seinem ganzen moralischen Systeme verkörpert, wenn man von einem solchen Manne überhaupt sagen konnte, daß er ein moralisches System besitze. Er sah keinen Gewinn davon voraus, wenn er Raoul einen besonderen Dienst leistete, obwohl er dieß gethan haben würde, sobald nichts dazwischen kam, was ihn daran hinderte: den Irrwisch aber in englische Hände gelangen zu lassen – dagegen empfand er so starken Widerwillen, daß er selbst sein Leben zu wagen entschlossen war, um diesen Fall zu verhindern. So ging also seine Sorge nunmehr darauf hin, seinen Zweck mit der geringsten Gefahr für sich selbst zu erreichen.

»Und wenn man des Luggers habhaft werden kann, Sir – wollt Ihr dann Kapitän Rule gehen lassen?« fragte er mit teilnehmender Miene.

»Ja, wir können das wohl thun, doch hängt es immer noch von dem Admirale ab. Kannst du uns sagen, wo du den Lugger verließest und wo er jetzt wahrscheinlich ist?«

»Kapitän Rule hat Ersteres bereits gesagt, Sir. Er bekannte hierüber die Wahrheit vor Gericht. Um aber zu sagen, wo der Lugger jetzt ist, da möchte ich Den wohl sehen, der das zu thun im Stande wäre. Seht, Sir, ich habe mich schon um acht Uhr niedergelegt, während er zehn bis fünfzehn Meilen todt leewärts von einer Insel oder vielleicht von einem Leuchtthurm stand, und als ich um acht Uhr Morgens wieder aufstand, fand ich ihn ebensoweit windwärts von demselben Gegenstande. Er ist ein so durchaus nichtberechnendes Fahrzeug, als ich nur je eines mit meinem Fuße betreten.«

»In der That!« fragte Cuffe spöttisch; »da nimmt's mich nicht Wunder, daß sein Kapitän jetzt in der Klemme sitzt.«

»Klemme, Sir! – Der Folly ist selbst nichts als Korb und Klemme. Ich hab's mit meiner eigenen Hand riskirt, seine Gissing Gissing nennt man die ungefähre Schätzung der Geschwindigkeit eines Schiffes, wonach man seinen Standpunkt festzustellen sucht.
D. U.
zu stellen.«

»Du!«

»Ja, Sir – ich, Ithuel Bolt, so ist mein Name; ich hab' es versucht, mit Hilfe des Thermometers, der Lothleinen, der Logarithmen Lauter Hilfsmittel, deren man bei Bestimmung der Gissing gar nicht bedarf.
D. U.
und solcher Erfordernisse, die Euch wohl bekannt sind, Kapitän Cuffe, des Folly's Gissing zu stellen, und ich war nie im Stande, bis auf hundert Meilen genau den Punkt zu bestimmen, wo er in Wirklichkeit gesehen wurde.«

»Es überrascht mich durchaus nicht, das zu vernehmen, Bolt; für jetzt aber brauche ich blos zu wissen, wie deiner Ansicht nach die genaue Stellung des Luggers beschaffen sein mag, und zwar ohne Hilfe von Thermometer und Logarithmen; ich meine, du würdest besser zurecht kommen, wenn du solche Dinge bei Seite ließest.«

»Nun, wer weiß, ob ich es kann, Sir! Ich bin der Meinung, Sir, daß der Folly unter kurzen Segeln irgendwo seewärts von Capri steht, wo er Kapitän Rule und mich erwarten und sich mit scharfen Augen nach den feindlichen Kreuzern umschauen wird.«

Hiermit hatte Ithuel nicht nur die Lage des Luggers in jenem Augenblicke genau angegeben, sondern auch Alles gesagt, was er in Betreff seiner Stellung für wahrscheinlich hielt. Dennoch war der eigentlichen Absicht dieses Mannes nichts fremder, als seine früheren Tischkameraden an den Feind zu verrathen. Er war listig genug, um zu entdecken, wie wenig Cuffe ihm zu glauben geneigt schien, und er bekannte deßhalb die Wahrheit, als das sicherste Mittel, um jedes Unheil von dem Lugger abzuwenden.

Seine List gelang ihm auch vollkommen. Sein ganzes Wesen hatte so viel Trug und niedrige Verschlagenheit an sich, daß weder Cuffe noch Griffin ein Wort von Dem glaubten, was er sagte, und nachdem man ihn noch eine Zeitlang auszupumpen versucht, wurde der Bursche höchst ungnädig und mit der scharfen Weisung entlassen, es werde ausnehmend vortheilhaft für ihn sein, wenn er seinem Dienste auf dem Schiff pünktlich nachzukommen trachtete.

»Auf diese Art kommen wir nie zum Ziel,« rief der Kapitän im Aerger über die neue Täuschung. »Sollte Clinch irgend Etwas zustoßen oder der Admiral gar mit dem König auf eine seiner Jagdpartien ausgezogen sein, so würden wir uns in einer verdrießlichen Klemme befinden. Wollte Gott, wir hätten unsern Ankerplatz vor Capri gar nicht verlassen! Dann könnte man doch mit einiger Sicherheit mit dem Flaggenschiffe verkehren. Ich würde es mir niemals verzeihen, wenn sich wirklich irgend ein Unglück ereignen sollte!«

»Wenn man Alles aufs Beste besorgt, Kapitän Cuffe, so darf man mit leichtem Herzen der Zukunft entgegensehen; Ihr konntet ja unmöglich vorher wissen, was später kommen würde. Möchte vielleicht nicht – man würde freilich ungerne daran gehen – aber die Noth ist ein harter Lehrmeister –«

»Heraus damit, Griffin; mir ist Alles lieber, als Ungewißheit.«

»Nun, Sir, ich dachte eben daran, ob diese junge Italienerin nicht vielleicht irgend Etwas von dem Lugger wissen könnte; da sie offenbar den Franzmann liebt, so könnten wir mittelst ihres Herzens ein freies Bekenntniß ihrer Zunge erkaufen.«

Cuffe schaute seinem Lieutenant eine halbe Minute lang aufmerksam in's Gesicht: dann schüttelte er mißbilligend mit dem Kopfe.

»Nein, Griffin, nein,« sprach er, »dazu kann ich nimmermehr meine Zustimmung geben. Bei diesem witzelnden, zweideutigen Yankee – wenn er überhaupt ein Yankee ist – fühlt man allerdings wenige Skrupel, was Zartsinn betrifft: aber die Gefühle eines armen, unschuldigen Mädchens auf diese Art auf die Probe zu stellen – das hieße doch wahrlich zu weit gehen. Das Herz eines jungen Mädchens sollte uns unter allen Umständen heilig sein.«

Griffin erröthete und biß sich in die Lippen. Niemand liebt es, sich im Punkte der Großmuth – und wäre es auch nur dem Scheine nach – übertroffen zu sehen, und er ärgerte sich, daß er einen Vorschlag gemacht hatte, welchen sein Vorgesetzter als ungeziemend behandelte.

»Nichtsdestoweniger würde sie den Lugger als einen wohlfeilen Preis betrachten, Sir,« erwiederte er mit Pathos, »wenn sie das Leben ihres Geliebten dadurch erkaufen könnte. Es wäre freilich etwas ganz Anderes, wenn wir von ihr verlangten, daß sie statt eines bloßen Kapers – ihren Anbeter selbst verkaufen sollte.«

»Thut nichts, Griffin; wir wollen uns nicht in die Herzensangelegenheiten eines jungen, Wesens mischen, welches uns der Zufall in die Hände geführt hat. Sobald wir dem Lande nahe genug gekommen sind, will ich dem alten Mann sein Boot zurückstellen und ihn seine Nichte an's Land führen lassen. Dadurch werden wir ihrer auf ehrliche, offene Weise los werden. Gott weiß aber, was aus dem Franzmann werden soll!«

Damit hatte das Gespräch ein Ende. Griffin ging auf das Verdeck, wohin ihn der Dienst rief, und Cuffe setzte sich nieder, um die Instructionen des Admirals zum neunten oder zehnten Mal zu überlesen.


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