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Das Schiff ist hier geankert;
Ein Veroneser, Michael Cassio,
Lieutenant des kriegerischen Mohr's Othello –
Stieg d'raus an's Land.
Othello.
Der Blick, den Ithuel um sich warf, war kurz, aber vielumfassend. Er sah, daß Zwei von der Gesellschaft im Zimmer weit vornehmer als die vier Uebrigen sein mußten, die er für gewöhnliche südländische Matrosen erkannte. Die Stellung, welche Benedetta in dem Haushalte einnahm, konnte nicht leicht mißverstanden werden, denn ihre Miene schon verkündete sie als Herrin des Hauses, ob sie sich nun in den obern oder in den untern Gemächern zeigen mochte.
» Vino,« rief Ithuel und schwenkte die Hand, um sein Italienisch dadurch verständlicher zu machen: es war dieß nämlich, neben einigen anderen – das einzige Wort, das er, ohne seinen Dolmetscher um Beistand anzurufen, in dieser Sprache vorzubringen vermochte; » vino – vino – vino, Signora.«
» Si, si, si, Signore,« gab Benedetta lachend zur Antwort; dabei waren ihre ausdrucksvollen Blicke so scharf auf die Person ihres neuen Gastes geheftet, daß es noch sehr zweifelhaft schien, ob sie nicht schon durch seine äußere Erscheinung höchlich ergötzt sei; »Eure Eccellenza sollen sogleich bedient werden; ob aber für einen ganzen oder halben Paolo die Flasche, das hängt von Eurem eigenen Ermessen ab. Wir halten Wein von beiderlei Sorten; mit dem ersten« – hier warf sie einen Seitenblick nach Andrea Barrofaldi's Tafel – »pflegen wir meist Herren von Rang und Auszeichnung zu bedienen.«
»Was spricht das Weib?« brummte Ithuel zu seinem Dolmetscher, dem Genueser, der mehrere Jahre lang in der brittischen Marine gedient, und dadurch das Englische mit ziemlicher Leichtigkeit sprechen gelernt hatte; »Ihr wißt, was wir brauchen; sagt ihr also, sie soll es uns einhändigen, und ich will ihr ihren St. Paul ohne weitere Worte herausgabeln. Was doch ihr Leute für eine verzweifelte Vorliebe für Heilige habt, Philip-o!« so sprach nämlich Ithuel das Wort Filippo, den Namen seines Begleiters – »was doch ihr Leute für eine verzweifelte Vorliebe für Heilige habt, Philip-o, daß ihr sogar eure Geldsorten darnach benennen müßt.«
»Nicht auch so in Amerika, Signor Bolto?« fragte der Genueser, nachdem er Benedetta die Wünsche seines Begleiters auf italienisch erklärt hatte – »ist's nicht auch bei Euch zu Lande Brauch, die Heiligen zu ehren?«
»Die Heiligen zu ehren!« wiederholte Ithuel mit einem kuriosen Seitenblicke, während er zugleich an einem dritten Tische Platz nahm, und Gläser und Alles andere, was im Bereiche seiner Hand lag, auf eine Weise bei Seite schob, wie es seiner Ordnungsliebe am besten zusagte; dann lehnte er sich in dem Stuhle zurück, bis sich die beiden Enden seiner Ellbogen in das Polster hinter ihm eingruben, während die Füße, auf denen das Gestell ruhte, unter seinem Gewichte zu krachen anfingen – »die Heiligen zu ehren! wir wären weit mehr aufgelegt, die Bursche zu entehren! Was braucht Einer auch einen Heiligen zu ehren? Ein Heiliger ist ja nur ein Mensch – ein Mann wie Ihr und ich – und Ihr macht ein solches Aufheben von der Sache. Heilige gibt's genug in meinem Lande, wenn man nämlich den Erzählungen der Leute über sich selbst Glauben schenken wollte.«
»Nicht ganz so, Signor Bolto, Ihr und ich keine großen Heiligen! Italiener die Heiligen ehren, weil sie heilig und gut.«
Mittlerweile hatte Ithuel seine Füße auf das untere Gestell des Stuhles placirt, und seine Kniee dabei so weit ausgespreizt, als ihm die ungewöhnliche Länge seiner Beine nur immer erlaubte; die Arme ruhten ausgestreckt auf den Lehnen zweier Stühle, die er neben sich herangezogen hatte, so daß er vollkommen die Stellung eines sogenannten ausgespannten Adlers einnahm.
Andrea Barrofaldi betrachtete dieß Alles mit steigender Verwunderung. Er hatte zwar in einem Weinhause, wie das von Benedetta war, nicht sonderlich viel feine Lebensart erwartet: eine so vollkommene Nonchalance des Betragens aber hatte er noch bei keinem Menschen von der Klasse des Fremden, oder eigentlich noch bei gar keiner Klasse getroffen. Die italienischen Matrosen vor ihm beobachteten auf ihren Stühlen eine einfache, ehrerbietige Haltung, als ob Jeder von ihnen so wenig wie möglich aufdringlich zu erscheinen wünschte. Doch begnügte er sich, Alles mit ernstem, aufmerksamem Schweigen zu betrachten, ohne sich einen Laut der Verwunderung entschlüpfen zu lassen. Vielleicht, daß er in all' diesen Umständen Spuren von Nationaleigenthümlichkeiten, wenn nicht gar völkergeschichtliche Ueberbleibsel entdecken mochte.
»Ehren die Heiligen, weil sie heilig und gut!« wiederholte Ithuel mit sehr schlecht verhehlter Verachtung – »ei, das ist ja gerade der Grund, warum wir sie nicht verehren. Da könnte Jeder herkommen und Euch zumuthen, Ihr solltet ihn anbeten und Götzendienerei mit ihm treiben – die schrecklichste aller Sünden, welche jeder ächte Christ fliehen muß trotz der Hölle. Lieber wollt' ich noch diese Weinflasche, wenn's sein müßte, als den besten Heiligen aus Eurer Pfaffen Büchern – anbeten.«
Filippo war kein Kasuistiker, sondern ein einfacher Gläubiger, und als daher Ithuel seiner alten Gewohnheit, aus bloßen Flaschen und Krügen zu trinken, zufolge, in demselben Augenblicke das Ende der Bouteille an den Mund setzte, gab der Genueser keine Antwort, sondern hielt die Augen in ängstlicher Spannung auf die Flasche geheftet, die nach der Länge der Zeit, während der sie der Andere an den Mund hielt, in großer Gefahr zu schweben schien und gänzlich leer zu werden drohte – für einen Mann von so großer Vorliebe für den Wein, wie Filippo, gewiß kein geringfügiger Umstand.
» Das nennt Ihr Wein?« rief Ithuel, indem er inne hielt, um Athem zu schöpfen; »da ist doch nicht so viel Granit in einer ganzen Gallone, als bei uns in einer einzigen Pinte von unserm Cyder. Ich könnte ein ganzes Faß austrinken, und hinterher erst noch auf einem Brette marschiren, das gerade so schmal wie Eure Religion wäre, Philip-o!«
Diese Worte waren nichtsdestoweniger von einem Blicke der Zufriedenheit begleitet, der hinlänglich bewies, wie sehr der innere Mensch durch das, was er genossen, erquickt worden war: der hübsche Mund schien auf höchst ausdrucksvolle Weise andeuten zu wollen, wie er eigentlich recht wohl wisse, daß er der Kanal gewesen, mittelst dessen eine so höchst angenehme Communication mit dem Magen stattgefunden habe. Die Wahrheit zu sagen, hatte auch Benedetta eine Flasche von ihrer bessern Sorte heraufgebracht – dasselbe Gewächs, von welchem schon dem Vicestatthalter eine Probe verabreicht worden war – in der That ein so feines und mild eingehendes Getränk, daß Ithuel noch keineswegs gewahr wurde, welch' feurigen Gast er in seinem Innern aufgenommen hatte.
Diese ganze Zeit über war der Vicestatthalter damit beschäftigt, sich über Charakter und Abstammung des Fremden nähere Auskunft zu verschaffen. Daß er Bolt für einen Engländer halten mußte, war wohl natürlich genug, und diese Thatsache trug nicht wenig dazu bei, ihn in der Ansicht, welche er sich über die wahre Flagge des Luggers gebildet hatte, auf's Neue irre zu machen. Wie die meisten Italiener jener Zeit, betrachtete er die nördlichen Horden, und Alles, was mit ihnen verwandt war, als eine Art von Barbaren, und Ithuels Miene und Benehmen waren eben nicht geeignet, ihn von dieser Meinung abzubringen, denn dieses sonderbare Exemplar von einem Menschen zeigte sich, wenn auch nicht so lärmend roh und gemein, wie die niedrigeren Klassen seiner eigenen Landsleute, mit denen er gelegentlich in Berührung gekommen – gleichwohl in manchen wesentlichen Punkten offenbar so ungebildet, daß, wenn er überhaupt Ansprüche an ein feines Benehmen gemacht hätte, diese jedenfalls gegründeten Widerspruch erfahren mußten.
»Ihr seid ein Genueser?« redete der Vicestatthalter den Filippo mit einer Miene an, welche bewies, daß er ein Recht zu dieser Frage hatte.
»Ja, Signore, Eurer Eccellenza aufzuwarten, obwohl ich in gegenwärtigem Augenblicke in fremden Diensten stehe.«
»In wessen Diensten, Freund? Ich bekleide ein Amt hier in Elba, und frage nicht mehr, als meine Pflicht verlangt.«
»Das muß ich wohl glauben, Eccellenza,« erwiederte Filippo aufstehend mit einer ehrerbietigen Verbeugung, welche keine Spur jenes linkischen Wesens an sich hatte, dem die Nordländer so leicht anheimfallen; »ich muß es wohl glauben, denn es spricht sich schon in Eurer ganzen Erscheinung aus. – Ich stehe jetzt in Diensten des Königs von England.«
Dieß sprach Filippo mit fester Stimme, obwohl er seine Augen vor dem zweifelhaften, durchbohrenden Blicke des Statthalters zu Boden schlagen mußte. Die Antwort des Letzteren war gemessen und ihrem Zwecke entsprechend.
»Ihr seid glücklich,« sprach er, »einen so ehrenvollen Dienst erhalten zu haben, besonders da Euer eigentliches Vaterland den Franzosen abermals in die Hände gefallen ist. Jedes italienische Herz muß sich nach einer Regierung sehnen, die ihre Entstehung und ihren Fortbestand diesseits der Alpen findet.«
»Wir sind heutzutage noch eine Republik, Signore, was wir, wie Ihr wißt, von jeher gewesen.«
»Nun ja, wie man's nimmt. – Euer Gefährte da spricht kein Italienisch – ist er ein Engländer?«
»Nein, Signore, ein Amerikaner: so eine Art von einem Engländer, im Ganzen aber doch kein rechter. Er liebt auch England nicht sonderlich, so viel ich aus seinen Gesprächen abnehmen konnte.«
» Un Americano!« wiederholte Andrea Barrofaldi; » Americano!« rief Vito Viti; » Americano!« murmelten die Matrosen, einer nach dem andern, und Aller Augen richteten sich mit lebhafter Neugierde nach dem Gegenstand des Gesprächs, der dieß Alles mit geziemender Standhaftigkeit und Würde über sich ergehen ließ.
Der Leser darf sich nicht wundern, daß ein Amerikaner damals in einem Lande wie Italien mit Neugierde betrachtet wurde, denn noch zwei Jahre später geschah es zu Konstantinopel, daß, als ein amerikanisches Kriegsschiff plötzlich in dem dortigen Hafen vor Anker ging und seine Nationalfahne aufhißte, die Beamten der hohen Pforte gar nichts davon wußten, daß ein solches Land überhaupt nur existire. Zwar wurde der Hafen von Livorno schon um das Jahr 1799 häufig von amerikanischen Schiffen besucht; doch selbst hier waren die Leute, sogar mit solchen Beweisen vor ihren Augen, noch immer gewohnt, die Schiffsmannschaft für eine Art von Engländer zu halten, welche statt der Neger zu Hause Der Verfasser dieses Buches befand sich im Jahr 1828 in Livorno. Der Delaware, ein Schiff von 80 Kanonen, war eben erst ausgelaufen. Ein Eingeborener des Platzes sprach mit dem Schreiber dieses, den er für einen Engländer hielt, über dieses Schiff und bemerkte: »Natürlich besteht die Schiffsmannschaft aus lauter Schwarzen?« – »So dachte auch ich, Signore, bis ich selbst an Bord des Schiffes kam,« war die Antwort. »Aber denken Sie sich nur, sie sind allesammt weiß, wie Sie selbst oder wie ich.« den Seedienst versähen.
Mit einem Worte – zwei und ein halbes Jahrhundert nationaler Existenz, und mehr als ein halbes Jahrhundert nationaler Unabhängigkeit haben noch nicht genügt, um alle Bewohner der alten Welt darüber zu belehren, daß die große Republik der Neuzeit mit Menschen von europäischem Ursprung und weißer Hautfarbe bevölkert ist. Selbst von Denen, welchen diese Thatsache bekannt ist, mögen vielleicht die Meisten ihre Belehrung nicht aus ordentlichen Studien und einer sichern Kenntniß der Geschichte, sondern eher aus leichteren Werken, wie etwa unser eigenes hier – geschöpft haben.
» Si,« wiederholte Ithuel mit Nachdruck, sobald er auf seine Nationalität anspielen hörte und Aller Augen auf sich gerichtet sah – » Si Americano – ich brauche mich meines Vaterlandes nicht zu schämen, und wenn Ihr einigermaßen mit solchen Dingen bekannt seid, so laßt Euch sagen, daß ich von New-Hampshire stamme, was wir sonst auch den Granitstaat zu nennen pflegen. Sagt ihnen das, Philip-o, und laßt mich wissen, was sie darauf antworten.«
Filippo übersetzte diese Rede, so gut er konnte; ebenso auch die Antwort, wie denn bei dem Gespräche, das nunmehr folgte, die Vermittlung des Dolmetschers unumgänglich nöthig war, wenn die beiden Theile einander verstehen wollten. Der Leser muß sich also jedesmal hinzudenken, wie Filippo das Verständniß einleitete, während wir die verschiedenen Reden gerade so aufführen werden, wie wenn die Sprechenden das, was der vis-à-vis sagte, vollkommen verstanden hätten.
» Uno stato di granito!« wiederholte der Vicestatthalter, mit einem Blick auf den Podesta, worin einiger Zweifel zu lesen war – »es muß eine mühsame Existenz sein, welche diese armen Leute zu tragen haben, wenn sie sich auf einem solchen Boden um ihr tägliches Brod abmühen müssen. Fragt ihn doch einmal, guter Filippo, ob sie in jenem Theile der Welt auch Wein pflanzen?«
»Wein!« rief Ithuel; – »sagt dem Signore, daß wir bei uns dieses Getränk da gar keinen Wein nennen würden. In unsere Kehlen geht nichts ein, was nicht kratzt trotz einer Feile und brennt gleich einem Lavastrome des Vesuvs. Ich wollte nur, wir hätten eine Flasche Rum aus Neuengland hier, um ihm den Unterschied deutlich zu machen. Ich verachte den Mann, der Alles nur deßhalb für's Beste hält, weil es sein eigen ist, aber Geschmack bleibt nun einmal Geschmack, das läßt sich nicht läugnen.«
»Vielleicht kann uns der amerikanische Signore auch über die Religion seines Vaterlandes Aufschluß geben – oder sind die Amerikaner etwa noch Heiden? Ich erinnere mich nicht, Vito, jemals etwas über die Religion dieses Welttheiles gelesen zu haben.«
»Wie – schon wieder Religion! – nun, eine solche Frage würde unter unserem Volke in New-Hampshire keinen geringen Auflauf veranlassen. Merkt auf, Signore – eure Ceremonien, eure Heiligenbilder, die Priesterröcke, das Glockengeklingel und das ewige Knieen und Scharren, gelten bei uns keineswegs für Religion – ebensowenig, als wir dieses milde Getränk – Wein nennen würden.«
Ithuel stand mehr unter dem Einflusse dieses »milden Getränkes«, als er selbst wußte, sonst würde er seine Mißbilligung nicht so laut ausgesprochen haben, da die Erfahrung ihn bereits belehrt hatte, wie nothwendig es sei, in den meisten katholischen Ländern sich über solche Gegenstände nur höchst vorsichtig auszusprechen. Von alle Dem konnte Signor Barrofaldi freilich nichts wissen, und er ertheilte deßhalb seine Antwort mit dem strengen Ernste eines guten Katholiken, ohne jedoch die Mäßigung eines gebildeten Mannes aus dem Auge zu verlieren.
»Was der Amerikaner unsere Ceremonien und Heiligenbilder und unser Glockengeklingel nennt, sind lauter Dinge, die er wahrscheinlich gar nicht versteht; denn ein Land, das so wenig civilisirt ist, wie das seinige, kann die Mysterien einer uralten, tiefsinnigen Religion nicht wohl begreifen.«
»Civilisirt! ich glaube, die Haare würden euch in diesem Theile der Welt zu Berge stehen, wenn ihr einen solchen Grad von Civilisation aufweisen müßtet, wie ihn bei uns die kleinsten Kinder besitzen, doch das Schwatzen hilft ja doch zu nichts, und so laßt uns lieber trinken!«
Andrea bemerkte in der That, daß bei dem Schwatzen nicht viel herauskam, besonders da Filippo sogar den Amerikaner zuletzt nicht recht verstanden zu haben schien; er war deßhalb selbst geneigt, den Gedanken an eine Dissertation über »Religion, Gesetze und Sitten« aufzugeben, und lieber gleich zu dem Gegenstande überzugehen, der ihn eigentlich hierher geführt hatte.
»Dieser Amerikaner ist also, wie es scheint, ein Diener des Königs von England,« fuhr er mit gleichgültiger Miene fort; »ich erinnere mich, gehört zu haben, daß zwischen seinem Lande und dem der Engländer ein Krieg bestand, in welchem die Franzosen den Amerikanern in ihrem Streben nach Nationalunabhängigkeit Beistand leisteten. Worin diese Unabhängigkeit besteht, weiß ich nicht: wahrscheinlich ist das Volk in der neuen Welt noch immer genöthigt, Matrosen herbeizuschaffen, die dann in der Marine ihrer früheren Herren Dienste leisten müssen.«
Ithuels Muskeln begannen zu zucken und ein Ausdruck tiefer Bitterkeit verfinsterte sein Gesicht. Dann lächelte er halb spöttisch und machte seinen Gefühlen in Worten Luft.
»Vielleicht mögt Ihr recht haben, Signore; vielleicht ist dieß die eigentliche Wahrheit an der Sache. Die Engländer pressen unsere Leute nicht anders, als ob sie das beste Recht von der Welt dazu hätten. Im Ganzen mögen wir wirklich auch jenen Herren dienen, und Alles, was wir zu Haus über Unabhängigkeit sprechen und denken, ist gerade nur so viel, als wenn das Pulver auf der Zündpfanne aufbrennt. Trotzdem gibt's aber doch auch Leute unter uns, die, wenn sich Gelegenheit dazu bietet, so oder anders Rache zu nehmen, bereit sind, und wenn ich dem gnädigen John Bull nicht einen schlimmen Streich spiele, so oft mir das Glück die Möglichkeit dazu in den Weg wirft, so will ich in meinem ganzen Leben nie mehr ein Stück von den alten Staaten zu Gesicht bekommen – weder vom Granit- noch vom ausgerodeten Lande.«
Die letzte Aeußerung wurde nicht ganz wortgetreu übersetzt; doch hatte der Vicestatthalter so viel davon verstanden, daß seine ganze Neugierde rege wurde: denn es kam ihm doch sonderbar vor, daß ein Mann, der unter den Engländern diente, solche Gesinnungen gegen sie hegen sollte.
Ithuel hatte dießmal nicht seine gewöhnliche Vorsicht beobachtet, denn ohne daß er's wußte, hatte der ölige Wein mehr »Granit« in sich, als er dachte; überdieß kam er nur selten auf den Mißbrauch des Preßsystemes zu sprechen, ohne mehr oder weniger von seiner gewohnten Selbstbeherrschung zu verlieren.
»Fragt den Amerikaner, wann er zuerst in die Dienste des Königs von England getreten ist,« bemerkte Andrea, »und warum er dort geblieben, wenn er ihm unangenehm wurde, da sich doch so viele Gelegenheiten bieten, dieselben zu verlassen?«
»Ich bin niemals eingetreten,« erwiederte Ithuel, das Wort in seiner technischen Bedeutung nehmend; »sie haben mich gepreßt wie einen Hund, den man nur ohne Weiteres anspucken darf, und haben mich sieben lange Jahre behalten, um ihre verfluchten Schlachten durchzufechten und ihnen sonst noch behilflich zu sein. Im verflossenen Jahre war ich auch dabei, an der Mündung des Nils, bei jener sauberen Geschichte – auch beim Kap St. Vincent bin ich gewesen – und noch bei einem Dutzend solcher Schlachten, ganz gegen meinen Willen, das kann ich euch versichern. Das war allerdings hart zu tragen, doch das Härteste hab' ich noch gar nicht gesagt – auch weiß ich nicht, ob ich überhaupt nur davon sprechen soll.«
»Wir werden Alles, was uns der Amerikaner erzählen will, mit Vergnügen anhören.«
Ithuel war ziemlich unentschlossen, ob er weiter gehen sollte oder nicht. Er nahm einen frischen Zug aus der Flasche, und dieß erwärmte sein Herz dermaßen, daß er vollends herausplatzen mußte.
»Nun, sie haben auch noch Schimpf auf das Unrecht gehäuft. Es ist schon schlimm genug, wenn man einem Menschen unrecht thut; wenn man ihn aber obendrein noch beschimpft, dann müßte Einer doch wenig Zunder in seinem Wesen haben, wenn er nicht endlich einmal Feuer finge.«
»Ja, wer den Schaden hat, darf für den Schimpf nicht sorgen,« bemerkte der philosophische Vicestatthalter. »Das ist auch bei unserem Vaterlande nur allzusehr der Fall, mein würdiger Nachbar Vito Viti.«
»Ich glaube, die Engländer behandeln alle Menschen gleich schlecht, mag's nun in Italien oder in Amerika geschehen,« denn so sprach Ithuel das letztere Wort aus, trotzdem, daß er schon mehrere Jahre in der mittelländischen See und in deren Nachbarschaft gekreuzt hatte. »Was ich aber am härtesten zu tragen fand, war, daß sie beständig wegen meiner Sprache und Manieren ihr Takelwerk gegen mich losließen
D. h. mich auslachten.
D. U., und mich immer meiner Yankee-Reden und Yankee-Sitten halber verspotteten, während sie behaupteten, der Leib, von dem alles Das abstamme, sei doch ein englischer Leib, und so machten sie fort von einem Tag zum andern, während stets wieder ein neuer Feind sein Feuer auf diesen meinen Leib abgab. Nun wird aber bei uns in Amerika allgemein angenommen, Squire, daß wir von Allen bei weitem das beste Englisch reden, und ich bin gewiß, daß Keiner von uns das Wort ›Schwein‹ wie ›Wein‹, ›Anker‹ wie ›Hanker‹ oder ›Stoß‹ wie ›Oß‹ aussprechen würde. – Was denkt man denn in diesem Theile der Welt von der Sache, Signor Squire?«
»Wir sind für Eure Sprache nicht die besten Kritiker, aber vernunftgemäß läßt sich doch annehmen, daß die Engländer ihre Muttersprache besser als jedes andere Volk reden werden. So viel muß man ihnen wenigstens einräumen, Signor Bolto.«
»Ei, diesen Vortheil werde ich ihnen keineswegs einräumen. Ich bin nicht umsonst in der Schule gewesen – ich nicht. Die Engländer sprechen z. B. P-r-e-d-i-g-e-r wie Prädiger, K-u-k-u-m-e-r wie Kuhkummer und E-n-g-e-l wie Aengel, und Nichts auf der Welt wird mich überzeugen, daß das richtig ist. Ich habe mir ein Verzeichniß solcher Wörter gesammelt, welche sie gegen alle Vernunft aussprechen, und das ist so lang wie ein Paar Kabeltaue oder wie das Steuerreep auf einem Schiff. Ihr müßt nämlich wissen, Signor Squire, daß ich in meinen früheren Jahren einmal Schulmeister gewesen bin.«
» Non è possibile!« rief der Vicestatthalter, den das Uebermaaß des Erstaunens sein gewöhnliches feines Benehmen vergessen ließ; »Ihr wollt wohl damit sagen, Herr Amerikaner, Ihr habet im Auftakeln und Steuern von Luggern Unterricht gegeben?«
»Ihr habt noch nie einen ärgeren Bock geschossen, Signore. Ich lehrte im Gegentheil alle möglichen Geschichten, die auf Erziehung Bezug hatten, und hätte mir einer meiner Schüler einen solchen Schnitzer gemacht und ›Gaistlicher‹, oder ›Aengel‹, oder ›Herth‹, oder ›Kuhkummer‹ gesagt – der hätte mir wenigstens eine Woche lang noch Allerlei darüber zu hören bekommen. Doch ich verachte einen Engländer von Grund meiner Seele, denn das Herz ist für mein Gefühl noch nicht tief genug.«
So abgeschmackt auch Ithuels kritische Behauptungen allen Denen erscheinen müssen, welche nur einigermaßen mit der eigentlichen englischen Sprache vertraut sind, so waren sie doch keineswegs abgeschmackter, als so manche Kritiken über denselben Gegenstand, welche hie und da in der Tagesliteratur unseres Landes glänzen: in seinem letzten Satze hatte er vollends das Wort: Verachtung – in einem Sinne gebraucht, der in seiner provinziellen Bedeutung die ursprüngliche Bezeichnung beinahe verdrängt hat. Unter ›Verachtung‹ verstand nämlich Ithuel ›Haß‹ – eine Leidenschaft, welche vielleicht unter allen andern dem Worte, dessen er sich bediente, am fernsten steht, insofern es nicht leicht ist, Diejenigen, welche wir verachten, auf die Stufe zu erheben, auf der sie stehen müssen, wenn wir sie hassen sollen.
»Bei alledem sind die Engländer nichts weniger als zu verachten,« gab Andrea zur Antwort, der natürlich die Aeußerung des Fremden wörtlich nehmen mußte, da er von ihrem provinziellen Doppelsinne nichts wissen konnte; »für ein nördliches Volk haben sie in den letzten Jahren, besonders zur See, wunderbare Dinge verrichtet.«
Das war mehr, als Ithuel ertragen konnte. All' die erlittenen Beleidigungen – und wahrlich, es waren viele und schwere Kränkungen gewesen – erwachten wieder in seinem Geiste, vom Nationalhasse vollends entflammt und entzündet: er brach in eine unzusammenhängende Flut von Schmähungen aus, welche Filippo's Sprachkenntniß völlig zu Schanden und eine Verdolmetschung rein unmöglich machte.
Ithuel hatte jetzt bereits so viel Wein verschluckt, daß er – besonders da das Getränk weit mehr Gehalt zeigte, als er erwartete – zu jedem Ungeschicke reif gewesen wäre, und nur seine ausnehmende Heftigkeit hielt ihn ab, mehr zu verrathen, als gerade in diesem Augenblicke rathsam gewesen wäre. Der Vicestatthalter lauschte voll Aufmerksamkeit, in der Hoffnung, etwas Zweckdienliches erhaschen zu können; doch kam ihm nichts als ein wirrer Schwall unzusammenhängender Schimpfwörter zu Ohren, aus dem er sich durchaus nichts Passendes abnehmen konnte.
So wurde die Scene in Kurzem unangenehm, und Andrea Barrofaldi traf Maßregeln, derselben ein Ende zu machen. Er wartete einen günstigen Moment zum Sprechen ab, und als Ithuel endlich einen Augenblick inne hielt, um frischen Athem zu schöpfen, benützte er die Pause, um auch ein Wörtchen einzuwerfen.
»Das mag Alles ganz wahr sein, Signore,« bemerkte der Vicestatthalter, »da es übrigens von einem Manne ausgeht, der in Diensten der Engländer steht, und an einen Andern gerichtet ist, der sich einen Diener ihres Bundesgenossen, des Großherzogs von Toskana, nennt, so erscheint es eben so außerordentlich als unberufen, und somit wollen wir lieber von andern Dingen reden. Dieser Lugger, an dessen Bord Ihr dient, ist ohne allen Zweifel ein englisches Fahrzeug, trotz Dem, was Ihr uns über die Nation selbst gesagt habt.«
»Ja, er ist englisch,« gab Ithuel mit grimmigem Lächeln zur Antwort, »und ein hübsches Fahrzeug ist er dazu. Doch er kann ja nichts dafür, und was man nicht ändern kann, muß man ertragen. 's ist ein Segler aus Guernsey, und ein verzweifelter Renner, wenn er einmal erwacht und seine Meilenstiefel anzieht!«
»Diese Seeleute haben eine ganz eigene Sprache,« bemerkte Andrea gegen Vito Viti mit einem Lächeln, das Ithuels seemännischen Manieren gelten sollte. »Euch selbst, wie mir, würde der Gedanke, daß ein Schiff Stiefel anziehe, lächerlich erscheinen, Nachbar; die Matrosen aber tragen in ihrer Phantasie alle möglichen Gegenstände auf ihre Schiffe über. Es ist wirklich merkwürdig, guter Vito, sie reden zu hören; ich habe, seitdem ich auf dieser Insel wohne, schon oft daran gedacht, eine Anzahl ihrer bildlichen Ausdrücke zu sammeln, um denjenigen Zweig der Literatur, der sich mit ihrem Berufe beschäftigt, verständlicher zu machen. Der Gedanke, als ob ›der Lugger seine Stiefel anzöge‹ – ist in der That ganz heroisch!«
Nun war aber Vito Viti, obgleich ein Italiener und mit einem so musikalischen Namen begabt, gleichwohl nichts weniger als poetischer Natur, sondern ein Mann, der Alles so durchaus buchstäblich nahm, daß er wohl für den reinen Mann der Thatsache gelten konnte. Demgemäß konnte er auch in dem Gedanken, daß ein Schiff Stiefel trage, keine so gar besondere Schönheit entdecken, und obwohl er gewöhnt war, den überlegenen Kenntnissen und der ausgebreiteten Belesenheit des Vicestatthalters den Vorzug vor seiner eigenen einzuräumen, so hatte er doch bei der gegenwärtigen Veranlassung den Muth, einen Einwurf gegen die Wahrscheinlichkeit des erwähnten Umstandes vorzubringen.
»Signor Vicestatthalter,« erwiederte er, »es ist nicht Alles Gold, was glänzt. Schöne Worte verhüllen manchmal armselige Gedanken, und wir haben hier z. B. gleich einen Beweis für Das, was ich meine. Ich habe jetzt doch schon eine schöne Zeit in Porto Ferrajo verlebt – schon volle fünfzig Jahre, in Betracht, daß ich hier geboren wurde und mein ganzes Leben lang nur viermal von der Insel abwesend war – so lange ich aber auch schon hier lebe, so habe ich doch noch nie ein Schiff im Hafen gesehen, das Stiefel oder selbst nur Schuhe getragen hätte.«
»Es ist ja auch nur metaphorisch, guter Vito, und muß vom poetischen Gesichtspunkte aus aufgefaßt werden. So spricht Homer von Göttinnen, welche ihre Lieblingskrieger durch vorgehaltene Schilde deckten, und Ariosto läßt Ratten und Esel Gespräche mit einander halten, als ob sie Mitglieder einer Akademie wären. Das Alles sind nur Produkte unserer Phantasie, Signore, und wer am meisten von dieser Gabe besitzt, erfindet auch am leichtesten solcherlei Geschichten, die, wenn auch nicht streng der Wahrheit gemäß, doch in hohem Grade belustigend sind.«
»Nun, was den Homer und Ariost betrifft, Signor Vicestatthalter, so möchte ich fast bezweifeln, ob jemals Einer von ihnen ein Schiff mit Stiefeln gesehen, oder ob sie überhaupt von Fahrzeugen eben so viel verstanden haben, wie wir, die wir hier, in Porto Ferrajo leben. – Hört Ihr, Freund Filippo! fragt doch gleich einmal den Amerikaner, ob er je in seinem Lande ein Schiff mit Stiefeln gesehen habe? Fragt ihn nur ganz einfach und geradezu und ohne Eure verdammte Poeterei.«
Filippo that, wie ihm befohlen ward, und überließ es Ithuel, den Zweck der Frage sich selbst vorzumalen. Alles, was unterdessen verhandelt worden, war ihm nämlich Geheimniß geblieben, da man die Unterredung in gutem Toskanisch geführt hatte.
»Stiefel!« wiederholte der Eingeborene aus dem Granitstaate mit einem drolligen Seitenblicke; »vielleicht nicht gerade Fußbekleidung und Sohlen, denn die müßten ja natürlich unter'm Wasser sein: aber jedes Schiff, das nicht mit Kupfer beschlagen ist, zeigt seinen Stiefel hals, wie man's nennt – und deren hab' ich schon an die zehntausend, mehr oder weniger, gesehen, darauf will ich schwören.«
Diese Antwort mystificirte den Vicestatthalter und brachte den Podesta vollends ganz in Verwirrung. Auch den ernsten Matrosen am andern Tische kam die Sache sonderbar vor, denn in keiner andern Sprache ist das Seemannsidiom poetischer und figürlicher, als in der englischen, und der Ausdruck Stiefel- oder Kielhals, auf ein Schiff angewendet, klang ihnen, gerade wie den übrigen Zuhörern, so gut wie griechisch. Sie besprachen sich unter einander über die Sache, während ihre beiden Vorgesetzten am andern Ende des Zimmers eine geheime Berathung hielten und so dem Amerikaner Zeit ließen, seine Gedanken zu sammeln und sich der eigenthümlichen Lage zu erinnern, worin nicht nur er selbst, sondern mit ihm auch alle seine Schiffsgenossen sich befanden.
Niemand war verschmitzter und erfinderischer, als dieser Mann, sobald er auf seiner Hut war, und nur sein unauslöschlicher Haß gegen England und die Engländer hätte ihn beinahe verleiten können, ein Geheimniß zu verrathen, dessen Bewahrung gerade in diesem Augenblicke von äußerster Wichtigkeit war.
Zuletzt herrschte ein allgemeines Stillschweigen: die verschiedenen Gruppen der Sprechenden hielten in ihrer Unterredung inne, und Aller Augen waren auf den Vicestatthalter gerichtet, als ob man von ihm einen Wink erwartete, der dem Gespräche eine andere Wendung geben sollte.
Auch täuschten sie sich hierin nicht, denn der Vicestatthalter fragte zuerst Benedetta, ob sie noch ein besonderes Zimmer besitze, und winkte dann Ithuel und dem Dolmetscher, ihm dahin zu folgen, indem er selbst in Begleitung des Podesta voranging. Sobald die Vier die übrige Gesellschaft verlassen und sich in dem erwähnten Zimmer versammelt hatten, wurde die Thüre abgeschlossen, und die beiden Toskaner rückten jetzt auf einmal mit ihrer wahren Absicht an's Licht.
»Herr Amerikaner,« begann der Vicestatthalter; »zwischen Leuten, die sich im Voraus verstehen, bedarf es nur weniger Worte. Dieß hier ist eine Sprache, die auf der ganzen Welt bekannt ist, und ich lege sie Euch so deutlich als möglich vor, damit wir uns nicht mißverstehen mögen.«
»Nun das ist allerdings ziemlich deutlich,« rief Ithuel – »zwei – vier – sechs – acht – zehn schimmernde Goldstücke – zecchini, wie Ihr's in diesem Theile der Welt – sequins, wie man's in England nennt. – Was habe ich denn gethan, Signor Squire, oder was soll ich vielmehr thun, um diese zwanzig Dollars zu gewinnen? Nennt Eure Bedingungen; dieses Hintermberghalten ist ganz gegen meine Natur.«
»Ihr sollt die Wahrheit sagen. Wir vermuthen, daß der Lugger ein französisches Schiff ist, und wenn Ihr uns die Beweise hiervon in die Hände liefert, so werdet Ihr uns zu Freunden gewinnen und es soll Euer Schade nicht sein.«
Andrea Barrofaldi wußte nur wenig von Amerika und den Amerikanern; aber die in Europa so allgemein verbreitete Meinung war auch die seine: daß nämlich das Gold die größte Gottheit sei, die in jenem Welttheile verehrt werde, und daß er also nichts zu thun habe, als einen angemessenen Bestechungspreis zu bieten, um einen Mann von Ithuels Charakter zu erkaufen. Auf seinem eigenen Eilande hätte er allerdings mit zehn Zechinen jeden Matrosen des Hafens bestechen und zu jeder beliebigen Handlung – ein offenbares Verbrechen höchstens ausgenommen – verleiten können. Der Gedanke, daß ein Barbar aus dem Westen, statt seine Schiffskameraden an ihn zu verkaufen, lieber eine solche Summe ausschlagen würde, kam ihm nicht entfernt in den Sinn.
Doch der Italiener verstand sich in diesem Punkte schlecht auf den Amerikaner. Zwar war weit und breit kein größerer Spitzbube in seiner Art zu finden, als unser Ithuel; aber auf so unzweideutige Art eine Bestechung sich bieten zu lassen, verstieß doch gegen alle seine Begriffe von persönlicher Würde, Selbstachtung und republikanischer Tugend, und wäre der Lugger jetzt eben nicht in so mißlichen Umständen gewesen, so hätte er die Sache wohl mit einem Male entschieden und dem Vicestatthalter sein Geld geradezu vor die Füße geworfen – vielleicht nicht, ohne im nächsten Augenblick auf Mittel zu sinnen, wie er es, da er nun doch einmal wußte, wo welches zu finden war – dem Besitzer wieder abjagen könne. Er hatte noch nie ein Geschenk angenommen, wenn es ihm von einem Höheren in Gestalt einer Geldsumme oder als Preis einer Bestechung angeboten wurde, und in seinen Augen hätte es den Anschein von Erniedrigung und Verrath an seiner eigenen Nation gehabt, wenn er hier zum ersten Male unterlegen wäre; dagegen hätte er sich nichts daraus gemacht, vom Morgen bis zum Abend alle möglichen Lügen, Kunstgriffe und Prellereien zu ersinnen, um nur einige Kupfermünzen aus seines Nachbars Tasche in die seinige herüber zu locken, so lange es sich dabei nur um Ansichten und Gebräuche gehandelt haben würde.
Mit einem Worte, Ithuel war in solchen Dingen, was man gewöhnlich gesetzlich-ehrlich nennt, aber nicht ohne allerlei weltumfassenden Vorbehalt für falsche Eide und sonstige Umgehungen des Gesetzes, gegenüber von Zollbeamten, so wie zu Gunsten des Schmuggelhandels, den er – wohl gemerkt in fremden Ländern – unter allen Gestalten betrieb, denn zu Haus dachte er nicht im Traume an dergleichen. Bekanntlich ist dieß gerade diejenige Klasse von Menschen, die gewöhnlich gegen jede Spitzbüberei, welche Andere verüben, am lautesten loszieht. Hätte es ein Gesetz gegeben, das den Angeber nur halb und halb gerechtfertigt hätte, so würde er keinen Anstand genommen und den Lugger mit Allem, was er enthielt, besonders im Wege eines ordentlichen Handels, verrathen haben; so aber hatte er sich schon längst die feste Ansicht gebildet, jeder Italiener sei ein verrätherischer Spitzbube, der durchaus nicht dasselbe Vertrauen wie ein amerikanischer Schurke verdiene. Ueberdieß würde ihn sein unbezähmbarer Haß gegen England selbst in einem weit weniger gefährlichen Falle, als dieser war, aufrecht erhalten haben.
Seine ganze Selbstbeherrschung zusammenraffend, schaute er zwar immer noch mit natürlichem Verlangen nach den dargebotenen Zechinen, antwortete aber dennoch mit einer Einfachheit in seinem Wesen, welche den Vicestatthalter nicht nur überraschte, sondern ihm sogar imponirte:
»Nein, nein, Signor Squire,« begann er, »erstlich habe ich kein Geheimniß zu verrathen, und wollte ich Euer Geld annehmen, ohne Euch den dafür verlangten Preis zu erstatten, so hieße das doch spitzbübisch gehandelt; dann ist ja der Lugger auch in Guernsey erbaut und führt ein ächtes Patent König Georgs am Bord. Bei uns zu Hause nimmt Keiner Gold, ohne etwas von gleichem Werthe dafür zu verkaufen. Alles Bitten und Betteln betrachten wir als ein niedriges, unziemliches Gewerbe, und als den kürzesten Weg, um ein ächter Lump zu werden; obschon ich gerne bereit bin, für Euer Geld ebensogut wie für das eines anderen Mannes zu arbeiten, sobald ich es auf gesetzliche Weise verdienen kann. In diesem Punkte haben die Könige bei mir gerade keinen Vorzug«
Diese ganze Zeit über hielt Ithuel die Zechinen in seiner ausgestreckten Hand, wie wenn er sie, obwohl mit Widerstreben, zurückgeben wollte; der Vicestatthalter, der seine Geberden weit besser als seine Worte begriff, sollte daraus abnehmen, daß er sein Geheimniß nicht verkaufen wolle.
»Ihr könnt das Geld behalten, Freund,« bemerkte der Vicestatthalter; »denn wenn wir Italiener einmal etwas hergeben, so ist's nicht unser Gebrauch, das Geschenk wieder zurückzunehmen, Morgen früh fällt Euch vielleicht etwas ein, was mir zu wissen nützlich sein könnte.«
»Ich sehe eben keine Veranlassung zu Geschenken; auch ist es gerade nicht unserer Granitregel gemäß, dieselben anzunehmen,« erwiederte Ithuel etwas barsch. »Ein hübsches Benehmen bleibt ein hübsches Benehmen, und denjenigen meiner Nebenmenschen, der einen Andern mit einem Geschenke überrumpeln und versuchen will, nenne ich fast eben so schlecht, wie einen englischen Aristokraten. Bietet die Dollars im Wege eines geordneten Handels, und ich will den Mann finden – und noch dazu auf dem Lugger selbst werd' ich ihn finden – der Euch zu Eurer vollen Zufriedenheit dafür bedienen wird. – Hört Ihr, Philip-o! sprecht einmal mit dem Herrn, aber ein bischen leise, wegen der drei Tabakfäßchen, die wir an dem Tage, als wir um die nördliche Landspitze von Corsika herumsegelten, von einem Virginienfahrer einnahmen. Daraus wird er hoffentlich sehen, daß wir nicht seine Feinde sind. Ihr braucht aber dabei nicht gerade zu plärren, so daß es der Wirthin oder den Männern, welche in dem Zimmer drüben trinken, zu Ohren kommt.«
»Signor Ithuello,« gab der Genueser auf Englisch zur Antwort, »es geht nicht wohl an, daß wir diese Herren etwas von den Tabakfäßchen wissen lassen – der Eine ist der Vicestatthalter und der Andere eine Magistratsperson. Der Lugger würde ja als Schmuggelschiff aufgegriffen, und das hätte so ziemlich neben einem feindlichen Schiffe feil.«
»Ja, aber ich habe eine Sehnsucht nach diesen Zechinen, um Euch die Wahrheit zu sagen, Philip–o! Ich sehe kein anderes Mittel, sie zu gewinnen, als mittelst der drei Tabakfäßchen.«
»Ei, warum wollt Ihr sie denn nicht behalten, wenn der Signore sie Euch selbst in die Hand legt? Ihr habt ja gar nichts zu thun, als sie in die Tasche zu stecken und zu fragen: »Eccellenza, was beliebt Euch zu wünschen?«
»Das ist nicht granitartig, Mann, sondern mehr in der Weise von euch Italienern. Das elendeste Geschöpf auf der Welt ist ein armer, verschämter Teufel; ihm zunächst kommt der Straßenbettler, dann jene Schelme, die einem sechs Schilling sechs Pence als kleine Darleihen abnehmen, und zuletzt von Allen kommt der Engländer. Sie Alle kann ich nur verachten; aber laßt diesen Signore nur ein Wörtchen sagen, daß er einen Handel schließen will, und er soll mich so bereit und geschickt finden, als er nur immer wünschen mag. Bei einem Handel – da will ich's selbst mit dem Teufel aufnehmen!«
Filippo schüttelte den Kopf, zum Zeichen, daß er ein für alle Mal eine solche Thorheit ablehne, wie das Anbieten eines Schmuggelartikels gegenüber von Personen gewesen wäre, denen die Pflicht geboten hätte, jede Verletzung der Einkommensgesetze zu bestrafen.
Mittlerweile blieben die Zechinen in Andrea Barrofaldi's Händen, der sehr in Verlegenheit schien, wie er sich das Benehmen des sonderbaren Menschen, den der Zufall in seinen Weg geworfen hatte, erklären sollte. Das Gold wurde wieder in die Börse gesteckt; sein Mißtrauen und seine Zweifel waren aber noch keineswegs gehoben.
»Beantwortet mir nur Eines, Signor Bolto?« fragte der Vicestatthalter nach einer Minute tiefen Nachsinnens; »wenn Ihr die Engländer so sehr hasset, warum dient Ihr dann auf ihren Schiffen? – Warum sie nicht bei der ersten Gelegenheit verlassen? Das Land reicht so weit wie der Ocean, und Ihr müßt ja oft am Lande sein.«
»Ich denke, Signor Squire, Ihr müßt nicht gar oft die Karten studiren, sonst wäret Ihr wohl nicht auf eine solche Behauptung verfallen. Erstlich gibt es auf der Erde zweimal so viel Wasser als trockenes Land, und so muß es auch der Vernunft gemäß sein, denn ein Acker guten, fruchtbaren Bodens ist den sechsfachen Raum Wassers werth. Dann kennt Ihr meinen Charakter und meine Absichten nur schlecht, wenn Ihr eine solche Frage an mich richten könnt. Ich diene dem König von England, um ihn einst dafür bezahlen zu lassen. Wenn Ihr über einen Menschen einen Vortheil gewinnen wollt, müßt Ihr ihn zuerst zu Eurem Schuldner machen; dann erst könnt Ihr auf die sicherste und vortheilhafteste Weise Euren Willen an ihm vollziehen.«
Das Alles war für den Vicestatthalter unverständlich, der endlich nach einigen weiteren Fragen und Antworten sich höflich von den Fremden verabschiedete, und Benedetta durch einen Wink bedeutete, daß dieselben ihm nicht wieder nach dem erst vorhin verlassenen Zimmer folgen dürften.
Ithuel kam das Verschwinden der beiden Herren gar nicht ungelegen; doch merkte er wohl, daß es nicht gerathen sein möchte, noch mehr Wein zu trinken; er bezahlte daher seine Rechnung und stolperte mit seinem Begleiter auf die Straße.
Eine Stunde später waren die drei Tabakfäßchen im Besitze eines am Platze ansäßigen Kaufmanns: ein so kurzer Zwischenraum genügte dem Manne vollkommen, um einen Handel abzuschließen und die besagten Gegenstände abzuliefern – was der eigentliche Zweck seiner Landung gewesen war.
Dieses kleine Schmuggelgeschäft ging übrigens ganz ohne Wissen Raoul Yvards vor sich, denn dieser war im Ganzen immer Kapitän eines eigenen Luggers, und zeigte in seinem Charakter, neben allerlei Gebräuchen und Grundsätzen, welche keine sehr hohen Gesinnungen zu versprechen schienen, doch auch wieder manche Züge ritterlicher Ehrenhaftigkeit. Indeß war dieser Mangel an Geneigtheit, sich auf seine Weise einen Heller Geld zu verdienen – nicht der einzige unterscheidende Zug in dem Charakter des Schiffskommandanten und jenes Mannes, dessen er sich gelegentlich zur Maskirung seiner wahren Absichten bediente.