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Neunundzwanzigstes Kapitel.
Fortsetzung. Successiver Widerstand.

Wir haben im zwölften und dreizehnten Kapitel des dritten Buches gezeigt, daß in der Strategie ein successiver Widerstand nicht in der Natur der Sache begründet ist, und daß alle Kräfte, welche vorhanden sind, gleichzeitig gebraucht werden sollen.

Für alle beweglichen Streitkräfte bedarf dies keiner näheren Bestimmung; wenn wir aber das Kriegsgebiet selbst mit seinen Festungen, Bodenabschnitten und selbst mit seiner bloßen Flächenausdehnung auch als eine Streitkraft betrachten, so ist diese unbeweglich, und wir können sie also nur nach und nach in Tätigkeit bringen, oder wir müssen gleich so weit zurückgehen, daß alle Teile, welche in Wirksamkeit treten sollen, vor uns liegen bleiben. Alles, was das vom Feinde besetzte Land zu dessen Schwächung beitragen kann, tritt dann sogleich in Wirksamkeit, denn der Angreifende muß des Verteidigers Festungen wenigstens einschließen, er muß sich der Landesoberfläche durch Besatzungen und andere Posten versichern, er muß lange Wege zurücklegen, alles auf weite Entfernungen herbeiziehen u. s. w. Alle diese Wirkungen treten für den Angreifenden ein, er mag vor der Entscheidung oder nach der Entscheidung vorschreiten, nur daß sie im ersten Fall noch etwas stärker sein werden als im letzten. Hieraus folgt also, daß, wenn der Verteidiger seine Entscheidung zurückverlegen will, er allerdings darin ein Mittel hat, jene unbeweglichen Streitkräfte alle zugleich ins Spiel zu bringen.

Von der andern Seite ist es klar, daß dieses Zurückverlegen der Entscheidung keinen Einfluß auf die Wirkungssphäre des Sieges haben wird, den der Angreifende erkämpft. Wir werden diese Wirkungssphäre des Sieges beim Angriff näher betrachten, hier aber bemerken wir nur, daß sie so weit reicht, bis die Überlegenheit (nämlich das Produkt der moralischen und physischen Verhältnisse) erschöpft ist. Diese Überlegenheit erschöpft sich aber erstens durch den Verbrauch der Streitkräfte, den das Kriegstheater kostet, und zweitens durch den Verlust in den Gefechten; beide Arten der Schwächung können nicht wesentlich verändert werden, ob die Gefechte am Anfang oder am Ende, vorn oder hinten liegen. Wir glauben z. B., daß ein Sieg Bonapartes über die Russen 1812 bei Wilna ebenso weit geführt haben würde wie der von Borodino, – vorausgesetzt, daß seine Stärke dieselbe gewesen wäre, – und daß ein Sieg bei Moskau ihn auch nicht weiter geführt hätte; Moskau war in jedem Fall die Grenze dieser Siegessphäre. Ja, es ist keinen Augenblick zweifelhaft, daß eine entscheidende Schlacht an der Grenze (aus andern Gründen) viel größere Siegesresultate gegeben haben würde, und dann vielleicht auch eine weitere Siegessphäre. Es wird also auch das Zurückverlegen der Entscheidung für den Verteidiger von dieser Seite nicht bedingt.

Wir haben in dem Kapitel von den Widerstandsarten dasjenige Zurückverlegen der Entscheidung, welches als das äußerste betrachtet werden kann, unter dem Namen Rückzug ins Innere des Landes und als eine eigene Widerstandsart kennen gelernt, bei der es mehr darauf abgesehen ist, daß der Angreifende sich selbst aufreiben soll, als daß er durch das Schwert der Schlacht zugrunde gerichtet werde. Aber nur, wenn eine solche Absicht vorherrscht, kann das Zurückverlegen der Entscheidung als eine eigene Widerstandsart angesehen werden, denn sonst ist es klar, daß dabei unendlich viele Abstufungen gedacht werden können, und daß sich diese mit allen Mitteln der Verteidigung verbinden lassen. Wir sehen also die mehr oder weniger starke Mitwirkung des Kriegstheaters nicht als eine eigene Art des Widerstandes an, sondern nur als eine beliebige Beimischung der unbeweglichen Widerstandsmittel je nach dem Bedürfnis der Verhältnisse und Umstände.

Glaubt nun aber ein Verteidiger von diesen unbeweglichen Streitkräften nichts zu seiner Entscheidung nötig zu haben, oder sind ihm die damit verknüpften anderweitigen Opfer zu groß, dann bleiben sie ihm für die Folge und bilden gewissermaßen allmähliche Verstärkungen, welche vielleicht die Möglichkeit gewähren, die bewegliche Streitmacht in hinreichender Stärke zu erhalten, um der ersten günstigen Entscheidung noch eine zweite und auf diese vielleicht noch eine dritte folgen zu lassen, d. h. es wird auf diese Weise eine successive Kraftanwendung möglich.

Wenn der Verteidiger an der Grenze eine Schlacht verloren hat, die nicht gerade eine Niederlage ist, so kann man sich sehr wohl denken, daß er hinter seiner nächsten Festung schon imstande sein kann, eine zweite anzunehmen; ja, wenn er es mit einem nicht sehr entschlossenen Gegner zu tun hat, so reicht vielleicht ein beträchtlicher Bodeneinschnitt schon dazu hin, diesen zum Stehen zu bringen.

Es gibt also in der Strategie bei der Benutzung des Kriegstheaters wie in allem übrigen eine Ökonomie der Kräfte; mit je wenigerem man ausreicht, um so besser; aber ausreichen muß man, und es kommt natürlich hier, wie im Handel, auf etwas anderes an als auf bloßes Knausern.

Um aber einem großen Mißverständnis vorzubeugen, müssen wir darauf aufmerksam machen, daß dasjenige, was man nach einer verlorenen Schlacht noch an Widerstand leisten und unternehmen kann, hier gar nicht der Gegenstand unserer Betrachtung ist, sondern nur, wieviel Erfolg wir uns von diesem zweiten Widerstand im voraus versprechen, wie hoch wir ihn also in unserm Plan anschlagen dürfen. Hier gibt es fast nur einen Punkt, auf den der Verteidiger zu sehen hat: es ist sein Gegner, und zwar seinem Charakter und seinen Verhältnissen nach. Ein Gegner von schwachem Charakter, von geringerer Sicherheit, ohne großartigen Ehrgeiz, oder in sehr gebundenen Verhältnissen wird sich, im Fall er glücklich ist, mit einem mäßigen Vorteil begnügen und bei jeder neuen Entscheidung, die ihm der Verteidiger anzubieten wagt, zaghaft innehalten. In diesem Fall darf der Verteidiger darauf rechnen, die Widerstandsmittel seines Kriegstheaters nach und nach in immer neuen, obgleich an sich schwachen Entscheidungsakten geltend zu machen, in welchen sich für ihn stets die Aussicht erneuert, die endliche Entscheidung zu seinen Gunsten zu wenden.

Aber wer fühlt nicht, daß wir uns hier schon auf dem Wege zu den Feldzügen ohne Entscheidung befinden, die weit mehr das Feld successiver Kraftverwendung sind, und von denen wir im folgenden Kapitel sprechen werden.


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