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Achtundzwanzigstes Kapitel.
Fortsetzung.

Aber die Verteidigung besteht aus zwei verschiedenen Elementen, nämlich aus der Entscheidung und dem Abwarten. Die Verbindung dieser beiden Elemente soll der Gegenstand dieses Kapitels sein.

Zuerst müssen wir sagen, daß der Zustand des Abwartens zwar nicht die vollendete Verteidigung ist, aber doch das Gebiet derselben, in welchem sie zu ihrem Ziele hin vorschreitet. So lange eine Streitkraft den ihr anvertrauten Landstrich nicht verlassen hat, dauert die Spannung der Kräfte, in welchen der Angriff beide Teile versetzte, bis zur Entscheidung fort. Diese kann erst dann als wirklich erfolgt betrachtet werden, wenn entweder der Angreifende oder der Verteidiger das Kriegstheater verlassen hat.

Solange sich eine Streitkraft in ihrem Gebiete behauptet, dauert ihre Verteidigung desselben, und in diesem Sinne ist die Verteidigung des Kriegstheaters mit der Verteidigung in demselben identisch. Ob der Feind einstweilen von dem Landstrich viel oder wenig eingenommen hat, ist dabei unwesentlich, denn es ist ihm nur bis zur Entscheidung geliehen.

Aber diese Vorstellungsart, durch die wir den Zustand des Abwartens in seinem richtigen Verhältnis zum Ganzen feststellen wollen, ist nur dann wahr, wenn wirklich eine Entscheidung gegeben werden soll und von beiden Teilen als unvermeidlich betrachtet wird. Denn nur durch diese Entscheidung werden die Schwerpunkte der beiderseitigen Macht und die durch sie bedingten Kriegstheater wirksam getroffen. Sowie der Gedanke einer Entscheidung wegfällt, so sind die Schwerpunkte neutralisiert, ja in einem gewissen Sinn werden es die ganzen Streitkräfte, und nun drängt sich der Besitz der Landesfläche, die das zweite Hauptglied des ganzen Kriegstheaters bildet, unmittelbar als Zweck hervor. Mit andern Worten: je weniger von beiden Seiten die entscheidenden Schläge in einem Kriege gesucht werden, je mehr er eine bloße gegenseitige Beobachtung ist, um so wichtiger wird der Landbesitz, um so mehr strebt der Verteidiger, alles unmittelbar zu decken, um so mehr der Angreifende, sich im Vorrücken auszubreiten.

Nun kann man sich nicht verhehlen, daß die große Mehrheit der Kriege und Feldzüge einem reinen Beobachtungszustande viel näher liegt, als einem Kampf auf Leben und Tod, d. h. einem Kampf, in welchem wenigstens einer der beiden Teile die Entscheidung durchaus sucht. Nur die Kriege des neunzehnten Jahrhunderts haben diesen letzten Charakter in einem so hohen Grade gehabt, daß man dabei von einer Theorie Gebrauch machen konnte, die davon ausgeht. Weil aber schwerlich alle künftigen Kriege diesen Charakter haben werden, vielmehr vorauszusehen ist, daß die Mehrzahl derselben sich wieder zu dem Beobachtungscharakter hinneigen wird, so muß eine Theorie, welche für das wirkliche Leben taugen soll, darauf Rücksicht nehmen. Wir werden uns daher zuerst mit dem Fall beschäftigen, in dem die Absicht einer Entscheidung das Ganze durchdringt und leitet, also mit dem eigentlichen und, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, dem absoluten Kriege, dann wollen wir in einem andern Kapitel diejenigen Modifikationen in Betracht ziehen, welche durch die mehr oder weniger große Annäherung an den Beobachtungszustand entstehen.

In dem ersten Fall (die Entscheidung werde von dem Angreifenden oder dem Verteidiger gesucht) wird die Verteidigung des Kriegstheaters darin zu bestehen haben, daß der Verteidiger sich in demselben auf solche Art behaupte, daß er die Entscheidung in jedem Augenblick mit Vorteil geben könne. Diese Entscheidung kann in einer Schlacht, sie kann in einer Reihe großer Gefechte, sie kann aber auch in dem Resultat bloßer Verhältnisse bestehen, die aus der Disposition der gegenseitigen Streitkräfte, d. i. möglicher Gefechte entspringen.

Wäre die Schlacht auch nicht das kräftigste, das gewöhnlichste und wirksamste Mittel der Entscheidung, wie wir das früher schon bei mehreren Gelegenheiten gezeigt zu haben glauben, so würde es doch hinreichen, daß sie überhaupt zu den Mitteln der Entscheidung gehört, um die stärkste Vereinigung der Kräfte zu fordern, welche die Umstände irgend gestatten. Eine Hauptschlacht auf dem Kriegstheater ist der Stoß des Schwerpunktes gegen den Schwerpunkt; je mehr Kräfte man in dem einen oder andern versammeln kann, um so sicherer und größer wird die Wirkung sein. Also jede Teilung der Kräfte, welche nicht durch einen Zweck hervorgerufen wird (der entweder selbst durch eine glückliche Schlacht nicht erreicht werden kann, oder der den glücklichen Ausgang der Schlacht selbst bedingt), ist verwerflich.

Aber nicht bloß die größte Vereinigung der Streitkräfte ist die Grundbedingung, sondern auch eine solche Stellung und Lage derselben, daß die Schlacht unter vorteilhaften Umständen stattfinden könne.

Die verschiedenen Stufen der Verteidigung, welche wir im Kapitel von den Widerstandsarten kennen gelernt haben, sind mit diesen Grundbedingungen vollkommen homogen, es kann also nicht schwer fallen, sie nach dem Bedürfnis des individuellen Falles an dieselben anzuknüpfen. Aber ein Punkt scheint auf den ersten Anblick ein Widerspruch in sich zu schließen und bedarf um so mehr einer Entwickelung, als er einer der wichtigsten in der Verteidigung ist: es ist das Treffen des feindlichen Schwerpunktes.

Erfährt der Verteidiger zeitig genug, auf welchen Straßen der Feind vordringen wird, und auf welcher namentlich der Kern seiner Macht unfehlbar anzutreffen ist, so kann er ihm auf dieser Straße entgegengehen. Dieser Fall wird der gewöhnliche sein, denn wenn auch in den allgemeinen Maßregeln, in der Anlage von festen Plätzen, großen Waffenniederlagen und dem Friedensstand der Streitkräfte die Verteidigung dem Angriff vorhergeht und diesem also zur Richtschnur wird, so ist doch bei der wirklichen Eröffnung des Kriegsaktes in Beziehung auf die angreifende Macht die Verteidigung schon in dem ihr überhaupt eigentümlichen Vorteil der Hinterhand.

Das Vorrücken mit einer beträchtlichen Streitkraft in Feindesland erfordert bedeutende Voranstalten, Anhäufung von Lebensmitteln, Vorräte von Ausrüstungsgegenständen u. s. w., die lange genug dauern, um dem Verteidiger Zeit zu lassen, sich danach zu richten, wobei nicht zu übersehen ist, daß der Verteidiger überhaupt weniger Zeit braucht, weil in jedem Staat die Dinge mehr auf die Verteidigung als auf den Angriff vorbereitet sind.

Allein wenn dies auch für die Mehrheit der Fälle vollkommen wahr ist, so bleibt doch immer die Möglichkeit, daß im einzelnen Fall der Verteidiger über die Hauptlinie des feindlichen Vordringens in Ungewißheit sei, und dieser Fall kann um so eher eintreten, wenn die Verteidigung auf Maßregeln beruht, die selbst viel Zeit kosten, z. B. die Anlegung einer festen Stellung u. s. w. Ferner kann der Angreifende, wenn der Verteidiger sich auch wirklich auf seiner Vorrückungslinie befindet, in solchen Fällen, in denen dieser ihm nicht eine Offensivschlacht liefert, der von ihm genommenen Stellung aus dem Wege gehen, indem er seine ursprüngliche Richtung nur etwas verändert, denn in dem kultivierten Europa ist man niemals so gestellt, daß es nicht rechts und links Wege gäbe, die an einer Stellung vorbeiführten. Offenbar könnte in diesem Fall der Verteidiger seinen Gegner nicht in einer Stellung erwarten, wenigstens nicht mit der Absicht, dort eine Schlacht zu liefern.

Ehe wir aber davon reden, welche Mittel in diesem Fall dem Verteidiger bleiben, müssen wir zuvor die Natur eines solchen Falles und die Wahrscheinlichkeit seines Vorkommens näher in Betracht ziehen.

Natürlich gibt es bei jedem Staat und ebenso bei jedem Kriegstheater (von dem wir vorderhand allein zu reden haben) Gegenstände und Punkte, auf die ein Angriff vorzugsweise wirksam sein wird. Wir finden es am angemessensten, darüber beim Angriff ausführlicher zu reden. Hier wollen wir nur bei der Bemerkung stehen bleiben, daß, wenn der vorteilhafteste Gegenstand und Punkt des Angriffs für den Angreifenden ein Bestimmungsgrund für die Richtung seines Stoßes wird, dieser Bestimmungsgrund auch auf den Verteidiger zurückwirken und ihn in den Fällen, in denen er nichts von den Absichten des Feindes weiß, leiten muß. Nähme der Angreifende diese ihm günstige Richtung nicht, so würde er sich eines Teiles seiner natürlichen Vorteile begeben. Es ist ersichtlich, daß, wenn der Verteidiger sich in dieser Richtung aufgestellt hat, das Mittel, ihm auszuweichen und vorbeizugehen, nicht umsonst zu haben ist, sondern Opfer kostet. Hieraus folgt, daß von der einen Seite die Gefahr des Verteidigers, seines Gegners Richtung zu verfehlen, und von der andern die Fähigkeit des Angreifenden, seinem Gegner vorbeizugehen, beide nicht so groß sind, wie es auf den ersten Blick scheint, weil ein bestimmter, meistens überwiegender Grund für die eine oder andere Richtung schon vorhanden ist, und daß folglich der Verteidiger mit seinen an den Ort gebundenen Einrichtungen in der Mehrheit der Fälle den Kern der feindlichen Macht nicht verfehlen wird. Mit andern Worten: hat der Verteidiger sich richtig gestellt, so darf er meistens sicher sein, daß der Gegner ihn aufsuchen wird.

Aber hiermit soll und kann die Möglichkeit nicht geleugnet werden, daß der Verteidiger mit seinen Anstalten den Angreifenden irgend einmal nicht treffe, und es entsteht also die Frage, was er dann tun solle, und wie viel ihm von den eigentlichen Vorteilen seiner Lage noch übrig bleiben werde.

Fragen wir uns, welche Wege überhaupt einem Verteidiger übrig bleiben, dem der Angreifende vorbeigeht, so sind es folgende:

  1. seine Macht von Hause aus zu teilen, um den Gegner mit einem Teil gewiß zu treffen und dann mit dem andern zu Hilfe zu eilen:
  2. eine Stellung mit der vereinigten Macht zu nehmen und sich, im Fall der Gegner vorbeigeht, schnell zur Seite vorzuschieben. In den meisten Fällen wird ein solches Vorschieben nicht mehr genau seitwärts geschehen können, sondern die neue Stellung wird etwas weiter rückwärts genommen werden müssen;
  3. den Gegner mit vereinigter Macht von der Seite anzufallen;
  4. auf seine Verbindungslinien zu wirken;
  5. durch einen Gegenangriff auf sein Kriegstheater oder Land genau das zu tun, was der Gegner tut, indem er uns vorbeigeht.

Wir führen dies letztere Mittel hier an, weil man sich den Fall denken kann, in dem es wirksam wäre; allein da es der Absicht der Verteidigung, d. h. den Gründen, aus denen diese gewählt wurde, widerspricht, so kann es nur als eine Abnormität betrachtet werden, welche nur entweder große Fehler des Gegners oder andere Eigentümlichkeiten des individuellen Falles veranlassen können.

Das Wirken auf die feindliche Verbindungslinie setzt eine Überlegenheit der unsrigen voraus, und diese ist allerdings eine der Grundbedingungen einer guten Verteidigungsstellung. Aber wenn aus diesem Grunde diese Wirkung dem Verteidiger auch einen gewissen Vorteil versprechen sollte, so ist sie doch bei der Verteidigung eines Kriegstheaters selten geeignet, die Entscheidung zu geben, die wir als Zweck des Feldzuges vorausgesetzt haben.

Die Dimensionen eines einzelnen Kriegstheaters sind gewöhnlich nicht so groß, daß die Verbindungslinien des Angreifenden durch ihre Länge eine große Empfindlichkeit bekämen; und selbst wenn sie diese haben, so ist die Zeit, welche der Angreifende zur Ausführung seines Schlages braucht, gewöhnlich zu kurz, als daß dieser, bei der langsamen Wirksamkeit jenes Mittels, dadurch gehemmt werden könnte.

Es wird also dieses Mittel (nämlich das Wirken auf die Verbindungslinien) gegen einen zur Entscheidung entschlossenen Gegner, sowie auch dann, wenn der Verteidiger diese Entscheidung sucht, in den meisten Fällen ganz unwirksam sein.

Die drei andern Mittel, welche dem Verteidiger übrig bleiben, sind auf eine unmittelbare Entscheidung, auf ein Treffen des Schwerpunktes mit dem Schwerpunkt gerichtet, sie sind also der Aufgabe entsprechender. Aber wir wollen es nur gleich sagen, daß wir dem dritten entschieden den Vorzug vor den andern beiden einräumen und, ohne diese letzteren ganz zu verwerfen, jenes in der Mehrheit der Fälle für das wahre Mittel des Widerstandes halten.

Bei einer geteilten Aufstellung ist man in Gefahr, in einen Postenkrieg verwickelt zu werden, bei dem gegen einen entschlossenen Gegner im günstigsten Fall nichts als ein bedeutender relativer Widerstand herauskommen kann, nicht aber eine Entscheidung, wie wir sie beabsichtigen; hat man aber auch durch einen richtigen Takt diesen Abweg zu vermeiden gewußt, so wird doch durch den vorläufigen geteilten Widerstand der Stoß immer merklich geschwächt werden, und man kann niemals sicher sein, daß nicht die zuerst vorgeschobenen Korps unverhältnismäßige Verluste erleiden. Dazu kommt, daß der Widerstand dieser Korps, welcher doch gewöhnlich mit einem Rückzug auf die herbeieilende Hauptmacht endigt, den Truppen meistens in dem Licht verlorener Gefechte und verfehlter Maßregeln erscheint und die moralischen Kräfte somit merklich schwächt.

Das zweite Mittel: sich mit der in einer Stellung vereinigten Macht dem Gegner dort vorzulegen, wohin dieser ausweichen will, setzt in die Gefahr, zu spät zu kommen und also zwischen zwei Maßregeln stecken zu bleiben. Außerdem erfordert eine Verteidigungsschlacht Ruhe, Überlegung, Bekanntschaft, ja Vertrautheit mit der Gegend, und das alles ist bei einem eiligen Vorschieben nicht zu erwarten. Endlich sind die Stellungen, welche ein gutes Verteidigungsschlachtfeld gewähren, doch zu selten, um sie auf jeder Straße und jedem Punkt derselben voraussetzen zu können.

Dagegen ist das dritte Mittel, nämlich den Angreifenden von der Seite anzufallen, ihm also eine Schlacht mit verwandter Front zu liefern, von großen Vorteilen begleitet.

Erstens entsteht hierbei immer, wie wir wissen, eine Entblößung der Verbindungs-, hier der Rückzugslinien, und es liegt schon in den allgemeinen Verhältnissen des Verteidigers, demnächst aber vorzüglich in den strategischen Eigenschaften, welche wir von seiner Aufstellung gefordert haben, daß der Verteidiger dabei im Vorteil sein wird.

Zweitens – und dies ist die Hauptsache – ist jeder Angreifende, der an seinem Gegner vorbeigehen will, in zwei ganz entgegengesetzte Bestrebungen verwickelt. Ursprünglich will er vorwärts, um den Gegenstand des Angriffs zu erreichen; die Möglichkeit aber, jeden Augenblick von der Seite angefallen zu werden, erzeugt das Bedürfnis, nach dieser Seite hin in jedem Augenblick einen Stoß, und zwar einen Stoß mit vereinter Macht, zu richten. Diese beiden Bestrebungen widersprechen sich und erzeugen eine solche Verwickelung der inneren Verhältnisse, eine solche Schwierigkeit der Maßregeln, wenn sie für alle Fälle passen sollen, daß es strategisch kaum eine schlimmere Lage geben kann. Wüßte der Angreifende mit Gewißheit den Augenblick, wo er angefallen werden wird, so könnte er mit Kunst und Geschick alles dazu vorbereiten, aber in der Ungewißheit darüber und bei der Notwendigkeit des Vorschreitens kann es kaum fehlen, daß, wenn die Schlacht erfolgt, sie ihn in höchst dürftig zusammengerafften und also gewiß nicht vorteilhaften Verhältnissen findet.

Gibt es also für einen Verteidiger günstige Augenblicke zu einer Angriffsschlacht, so sind sie gewiß in solchen Verhältnissen am ersten zu erwarten. Bedenkt man noch, daß dem Verteidiger hierbei die Kenntnis und Wahl der Gegend zu Gebote stehen, sowie daß er seine Bewegungen vorbereiten und einleiten kann, so wird man nicht bezweifeln können, daß er auch noch unter diesen Umständen eine entschiedene strategische Überlegenheit über seinen Gegner behauptet.

Wir glauben also, daß ein Verteidiger, der sich mit vereinigter Macht in einer gut gelegenen Stellung befindet, das Vorbeigehen des Gegners ganz ruhig abwarten kann, und daß, wenn dieser ihn nicht in seiner Stellung aufsucht, und wenn die Wirkung auf dessen Verbindungslinie den Umständen nicht entsprechen sollte, ihm in dem Seitenanfall ein vortreffliches Mittel zur Herbeiführung der Entscheidung bleibt.

Wenn Fälle dieser Art in der Geschichte fast ganz fehlen, so liegt es teils daran, daß die Verteidiger selten den Mut gehabt haben, in einer solchen Stellung auszuharren, sondern sich entweder geteilt oder dem Angreifenden durch Quer- und Diagonalmärsche noch eiligst vorgeschoben haben, oder daß kein Angreifender dem Verteidiger unter solchen Umständen vorbeizugehen wagt, und gewöhnlich seine Bewegung dadurch in Stillstand gerät.

Der Verteidiger ist in diesem Fall zu einer Angriffsschlacht gezwungen; die weiteren Vorteile des Abwartens, einer starken Stellung, guter Verschanzungen u. s. w. muß er entbehren; die Lage, in welcher er den vorrückenden Feind findet, kann ihm in den meisten Fällen diese Vorteile nicht ganz ersetzen; denn eben um ihnen auszuweichen, hat der Angreifende sich dieser Lage ausgesetzt; aber sie bietet ihm immer einen gewissen Ersatz, und die Theorie ist also hier nicht etwa in dem Fall, eine Größe mit einemmal aus der Rechnung verschwinden, das pro und contra sich gegenseitig verschlingen zu sehen, wie es so oft geschieht, wenn kritische Geschichtsschreiber ein fragmentarisches Stück Theorie einlegen.

Man glaube ja nicht, daß wir es hier mit logischen Spitzfindigkeiten zu tun haben, vielmehr erscheint dieser Gegenstand, je mehr man ihn praktisch betrachtet, als ein das ganze Verteidigungswesen umfassender, überall durchgreifender und dasselbe regelnder Gedanke.

Nur wenn der Verteidiger entschlossen ist, seinen Gegner, sobald dieser ihm vorbeigeht, mit aller Macht anzufallen, kann er den beiden Abgründen sicher ausweichen, an welchen die Verteidigung so nahe hinführt: nämlich einer geteilten Aufstellung und einem eiligen Vorschieben. In beiden nimmt er das Gesetz des Angreifenden an; in beiden behilft er sich mit Maßregeln der höchsten Notdurft und gefährlichsten Eile, und überall, wo ein entschlossener, nach Sieg und Entscheidung dürstender Gegner auf ein solches Verteidigungssystem gestoßen ist, hat er es zertrümmert. Hat aber der Verteidiger seine Macht zu gemeinschaftlichem Schlagen auf dem rechten Punkt versammelt, ist er entschlossen, mit dieser Macht im schlimmsten Fall seinen Gegner von der Seite anzufallen, so ist und bleibt er im Recht und gestützt auf alle Vorteile, die ihm die Verteidigung in seiner Lage darbieten kann; gute Vorbereitung, Ruhe, Sicherheit, Einheit und Einfachheit werden der Charakter seines Handelns sein.

Wir können nicht umhin, hier eines großen geschichtlichen Ereignisses zu gedenken, welches von den hier entwickelten Begriffen nahe berührt wird; wir tun es, um einer falschen Bezugnahme auf dasselbe zu begegnen.

Als im Oktober 1806 das preußische Heer in Thüringen das französische unter Bonaparte erwartete, befand sich das erstere zwischen den beiden Hauptstraßen, auf welchen das letztere Vordringen konnte, nämlich der über Erfurt und der über Hof auf Leipzig nach Berlin. Die frühere Absicht, gerade über den Thüringerwald nach Franken einzubrechen, und später, als diese Absicht aufgegeben war, die Ungewißheit, auf welcher der beiden Straßen die Franzosen vordringen würden, hatte diese Zwischenstellung veranlaßt. Als eine solche hätte sie also zu der Maßregel des eiligen Vorschiebens führen müssen.

Dies war auch die Idee, im Fall der Feind über Erfurt gekommen wäre, denn die Wege dahin waren vollkommen zugänglich; dagegen war an ein Vorschieben auf die Straße von Hof nicht zu denken, teils weil man von dieser Straße zwei bis drei Märsche entfernt war, teils weil der tiefe Einschnitt der Saale dazwischen lag; auch war dies nie die Absicht des Herzogs von Braunschweig gewesen, und es war keine Art von Vorbereitung dazu getroffen, wohl aber war es immer die Absicht des Fürsten Hohenlohe, d. h. des Obersten Massenbach, der den Herzog in diese Idee mit Gewalt hineinziehen wollte. Noch weniger konnte davon die Rede sein, aus der auf dem linken Saaleufer genommenen Aufstellung zu einer Angriffsschlacht auf den vorrückenden Bonaparte überzugehen, d. h. zu einem solchen Seitenanfall, wie wir ihn oben angegeben haben; denn war die Saale ein Hindernis, um sich dem Feinde im letzten Augenblick noch vorzulegen, so mußte sie als ein noch viel größeres erscheinen, um in dem Augenblick zu einem Angriff überzugehen, wo der Feind schon im Besitz des jenseitigen Ufers, wenigstens teilweise, sein mußte. Der Herzog beschloß also, hinter der Saale das Weitere abzuwarten, wenn man dem, was in diesem vielköpfigen Hauptquartier und in dieser Zeit der Verwirrung und höchsten Unentschlossenheit geschah, noch den Namen eines individuellen Entschlusses beilegen kann.

Sei es mit diesem Abwarten, wie ihm wolle, es folgte daraus, daß man sich in der Lage befand:

  1. den Feind anzugreifen, wenn er über die Saale kam, um die Preußische Armee aufzusuchen, oder
  2. wenn er sie stehen ließ, auf seine Verbindungslinie zu wirken, oder
  3. wenn man es tunlich und ratsam fand, sich ihm durch einen schnellen Flankenmarsch noch bei Leipzig vorzuschieben.

Im ersten Fall befand sich die preußische Armee wegen des gewaltigen Saaletals in einer großen strategischen und taktischen Überlegenheit; im zweiten in einer ebenso großen rein strategischen, weil der Feind zwischen uns und dem neutralen Böhmen nur eine sehr schmale Basis hatte, während die unsrige außerordentlich breit war; selbst im dritten war sie, durch die Saale gedeckt, immer noch in keiner nachteiligen Lage. Alle diese drei Fälle sind auch im Hauptquartier trotz der Verwirrung und Unklarheit desselben wirklich zur Sprache gekommen, aber freilich kann man sich nicht wundern, daß, wenn sich auch noch eine richtige Idee erhalten haben konnte, sie in ihrer Ausführung an der gänzlichen Unentschlossenheit und der überall herrschenden Verwirrung unfehlbar zugrunde gehen mußte.

In den ersten beiden Fällen wurde die Stellung auf dem linken Ufer der Saale als eine wahre Flankenstellung betrachtet, und sie hatte unstreitig als solche sehr große Eigenschaften; aber freilich ist eine Flankenstellung mit einem Heere, das seiner Sache wenig gewiß ist, gegen einen sehr überlegenen Feind, gegen einen Bonaparte, eine sehr kühne Maßregel.

Nach langer Unentschlossenheit wählte der Herzog am 13. die letzte der drei angegebenen Maßregeln, aber es war zu spät. Bonaparte war schon im Überschreiten der Saale begriffen, und die Schlachten von Jena und Auerstädt mußten geschlagen werden. Der Herzog in seiner Unentschlossenheit hatte sich zwischen zwei Stühle gesetzt; für das Vorschieben verließ er die Gegend zu spät und für eine zweckmäßige Schlacht zu früh. Nichtsdestoweniger hat die starke Natur dieser Stellung sich dermaßen bewährt, daß der Herzog den rechten Flügel seines Gegners bei Auerstädt vernichten konnte, während der Fürst Hohenlohe sich mit einem blutigen Rückzugsgefecht noch aus der Schlinge zu ziehen vermochte; aber bei Auerstädt wagte man nicht, auf den Sieg zu bestehen, der unfehlbar, und bei Jena glaubte man auf einen rechnen zu können, der ganz unmöglich war.

In jedem Fall hatte Bonaparte ein solches Gefühl von der strategischen Bedeutung der Stellung an der Saale, daß er es nicht gewagt hat, ihr vorbeizugehen, sondern sich zu einem Übergang über die Saale im Angesicht des Feindes entschlossen hat.

Durch das, was wir gesagt haben, glauben wir die Verhältnisse der Verteidigung zum Angriff im Fall des entscheidenden Handelns hinreichend angegeben und die Fäden, an die sich die einzelnen Gegenstände der Verteidigungspläne anknüpfen lassen, ihrer Lage und ihrem Zusammenhang nach gezeigt zu haben. Die einzelnen Anordnungen noch bestimmter durchzugehen, kann nicht unsere Absicht sein, denn es würde in ein unerschöpfliches Feld individueller Fälle führen. Hat der Feldherr sich einen bestimmten Richtungspunkt vorgesetzt, so wird er sehen, wie die geographischen, statistischen, politischen Umstände, die materiellen und persönlichen Verhältnisse seines Heeres und des feindlichen dazu passen, und wie sie das eine oder andere in der Verfahrungsweise bedingen.

Um aber die Steigerung der Verteidigung, welche wir in dem Kapitel von den Widerstandsarten kennen gelernt haben, hier bestimmter anzuknüpfen und dem Auge wieder näherzubringen, wollen wir das, was sich in Beziehung auf dieselben uns allgemeines aufdringt, hier angeben.

1. Veranlassungen, dem Feinde mit einer Offensivschlacht entgegenzugehen, kann es folgende geben:

a) Wenn wir wissen, daß der Angreifende mit sehr geteilter Macht vorgeht, und wir also, selbst bei großer Schwäche, noch die Aussicht auf einen Sieg haben.

Ein solches Vorgehen des Angreifenden ist aber an sich sehr unwahrscheinlich, und folglich jener Plan nur in dem Fall gut, daß wir mit Gewißheit davon unterrichtet sind; denn darauf rechnen und alle seine Hoffnungen darauf stützen, in einer bloßen Voraussetzung und ohne genügendes Motiv, führt gewöhnlich in eine nachteilige Lage. Die Umstände wollen sich dann nicht finden, wie man sie erwartet hat, man muß die offensive Schlacht aufgeben, ist zu einer defensiven nicht vorbereitet, muß mit einem unfreiwilligen Rückzug anfangen und fast alles dem Zufall überlassen.

Ungefähr so war es mit der Verteidigung beschaffen, welche im Feldzug von 1759 die Armee unter Dohna gegen die Russen führte, und die unter General Wedel mit der unglücklichen Schlacht von Züllichau endigte.

Nur allzu sehr sind die Planmacher mit diesem Mittel bei der Hand, weil es die Sache so kurz abmacht, ohne viel zu fragen, inwieweit die Voraussetzungen, auf die es sich stützt, gegründet sind.

b) Wenn wir überhaupt zur Schlacht stark genug sind, und

c) wenn ein sehr unbeholfener und unentschlossener Gegner dazu besonders einladet.

In diesem Fall kann die Wirkung des Unerwarteten mehr wert sein als aller Beistand der Gegend in einer guten Stellung. Es ist das eigentlichste Wesen einer guten Kriegführung, die Macht moralischer Kräfte auf diese Weise ins Spiel zu bringen; – aber die Theorie kann es nicht laut, nicht oft genug sagen: es müssen objektive Gründe zu diesen Voraussetzungen vorhanden sein; ohne diese individuellen Gründe immer nur von Überraschung, von dem Übergewicht eines ungewöhnlichen Angriffs zu reden, darauf Pläne, Betrachtungen, Kritiken zu bauen, ist ein ganz unzulässiges, grundloses Verfahren.

d) Wenn die Beschaffenheit unseres Heeres sich zum Angriff vorzugsweise eignet.

Es war sicher keine leere oder falsche Vorstellung, wenn Friedrich der Große glaubte, in seinem beweglichen, mutigen, vertrauensvollen, an Gehorsam gewöhnten, in Präzision geübten, von Stolz beseelten und gehobenen Heere mit seiner eingeübten schrägen Angriffsart ein Instrument zu besitzen, das in seiner festen und dreisten Hand zum Angriff viel mehr geeignet sei als zur Verteidigung; alle jene Eigenschaften gingen seinen Gegnern ab, und er hatte gerade in dieser Beziehung die entschiedenste Überlegenheit; davon Gebrauch zu machen, konnte ihm in den meisten Fällen mehr wert sein, als Schanzen und Hindernisse des Bodens zu Hilfe zu nehmen. – Aber eine solche Überlegenheit wird immer selten sein; ein gut exerziertes, in großen Bewegungen wohlgeübtes Heer gewährt nur einen Teil derselben. Wenn Friedrich der Große behauptet, die preußischen Truppen seien vorzüglich zum Angriff geschickt, und ihm das seitdem unaufhörlich nachgesprochen worden ist, so muß man doch nicht zu viel auf eine solche Äußerung geben; in den meisten Fällen fühlt man sich im Kriege beim Angriff leichter und mutiger als bei der Verteidigung; dies ist aber ein Gefühl, welches alle Truppen haben; auch gibt es kaum ein Heer, von dem seine Feldherren und Führer nicht dieselbe Behauptung aufgestellt hätten. Man soll also hier nicht leichtsinnig dem Schein einer Überlegenheit trauen und darüber reelle Vorteile versäumen.

Eine sehr natürliche und sehr gewichtige Veranlassung zur Angriffsschlacht kann die Zusammensetzung der Waffen sein, nämlich viel Reiterei und wenig Geschütz.

Wir fahren in Aufzählung der Gründe fort:

e) wenn man durchaus keine gute Stellung finden kann;

f) wenn wir mit der Entscheidung eilen müssen;

g) endlich das gesamte Einwirken mehrerer oder aller dieser Gründe.

2. Das Abwarten des Gegners in einer Gegend, in der man ihn dann selbst anfallen will (Minden 1759), hat seine natürlichste Veranlassung darin:

a) daß kein so großes Mißverhältnis zu unserem Nachteil vorhanden ist, um eine starke und verstärkte Stellung suchen zu müssen;

b) daß sich eine Gegend findet, die dazu vorzüglich geschickt ist. Die Eigenschaften, welche dies bestimmen, gehören in die Taktik; wir wollen nur erwähnen, daß sie vorzüglich in einem leichten Zugang von der Seite des Verteidigers und in allerhand Hindernissen von der feindlichen Seite her bestehen müssen.

3. Eine Stellung, um in derselben wirklich den feindlichen Angriff abzuwarten, wird man nehmen:

a) wenn das Mißverhältnis der Macht uns nötigt, in Hindernissen des Bodens und hinter Schanzen Schutz zu suchen;

b) wenn die Gegend eine vorzügliche Stellung der Art darbietet.

Die beiden Widerstandsarten 2. und 3. werden in dem Grade mehr Berücksichtigung verdienen, als wir die Entscheidung selbst nicht suchen, uns mit einem negativen Erfolg begnügen und von unserm Gegner erwarten können, daß er zögere, unentschlossen sei und zuletzt in seinen Plänen stecken bleiben werde.

4. Ein verschanztes, unangreifbares Lager erfüllt den Zweck nur:

a) wenn es auf einem vorzüglich wichtigen strategischen Punkte liegt.

Der Charakter einer solchen Stellung besteht darin, daß man darin gar nicht überwältigt werden könne; der Feind ist also gezwungen, jedes andere Mittel zu versuchen, d. h. seinen Zweck ohne Rücksicht auf die Stellung nachzugehen oder sie einzuschließen und auszuhungern; sollte er dies nicht können, so müssen die strategischen Eigenschaften dieser Stellung sehr groß sein.

b) Wenn man in dem Fall ist, Hilfe von außen zu erwarten.

In diesem befand sich das sächsische Heer in seiner Stellung bei Pirna. Was man auch nach dem üblen Erfolge gegen diese Maßregel gesagt hat, so bleibt doch gewiß, daß 17 000 Sachsen niemals auf eine andere Art 40 000 Preußen hätten neutralisieren können. Wenn die österreichische Armee bei Lowositz keinen besseren Gebrauch von der dadurch erhaltenen Überlegenheit machte, so beweist das nur, wie schlecht ihre ganze Kriegführung und Kriegseinrichtung war, und es ist nicht zu bezweifeln, daß, wenn die Sachsen, anstatt in das Lager von Pirna zu gehen, sich nach Böhmen zurückgezogen hätten, Friedrich der Große die Österreicher und Sachsen in demselben Feldzuge bis über Prag hinausgetrieben und diesen Ort genommen haben würde. Wer diesen Vorteil nicht gelten lassen will und immer nur an die Gefangennehmung der ganzen Armee denkt, der weiß überhaupt keine Rechnung der Art anzulegen, und ohne Rechnung gibt es kein sicheres Resultat.

Weil aber die Fälle von a und b sehr selten sind, so ist die Maßregel der verschanzten Lager allerdings eine, die reiflich überlegt werden muß, und die nur selten eine gute Anwendung findet. Die Hoffnung, dem Feind durch ein solches Lager zu imponieren und dadurch seine ganze Tätigkeit zu lähmen, ist mit zu großer Gefahr verknüpft, nämlich mit der Gefahr, sich ohne Rückzug schlagen zu müssen. Wenn Friedrich der Große seinen Zweck bei Bunzelwitz damit erreichte, so muß man die richtige Beurteilung seiner Gegner bewundern, aber freilich auch mehr, als in andern Fällen gestattet ist, auf die Mittel geben, die er im letzten Augenblick gefunden haben würde, sich mit den Trümmern seines Heeres einen Weg zu bahnen, und auf die Nichtverantwortlichkeit eines Königs.

5. Befindet sich eine, oder befinden sich mehrere Festungen in der Nähe der Grenze, so entsteht die Hauptfrage, ob der Verteidiger seine Entscheidung vor oder hinter ihnen geben soll. Das letztere wird motiviert:

a) durch die Überlegenheit des Feindes, die uns zwingt, seine Macht zu brechen, ehe wir sie bekämpfen;

b) durch die Nähe dieser Festungen, damit das Opfer an Land nicht größer sei, als wir gezwungen sind, es zu bringen;

c) durch die Verteidigungsfähigkeit der Festungen.

Eine Hauptbestimmung der Festungen ist es unstreitig, oder sollte es sein, die feindliche Macht in ihrem Vorgehen zu brechen und denjenigen Teil, welchem wir die Entscheidung abfordern, beträchtlich zu schwächen. Wenn wir so selten von den Festungen diesen Gebrauch machen sehen, so rührt es daher, daß der Fall, in dem eine Entscheidung von einem der beiden Teile gesucht wird, so selten vorkommt. Von diesem Fall aber handeln wir hier allein. Wir sehen es also als einen ebenso einfachen wie wichtigen Grundsatz an, in allen Fällen, in denen der Verteidiger eine oder mehrere Festungen in der Nähe hat, diese vor sich zu behalten und die entscheidende Schlacht hinter denselben zu liefern. Wir wollen zugeben, daß eine Schlacht, die wir diesseits unserer Festungen verlieren, uns etwas weiter in unser Land zurückwirft, als wenn wir sie mit eben den taktischen Resultaten jenseits verloren hätten, wiewohl die Ursachen dieses Unterschiedes mehr in der Einbildung als in materiellen Dingen ihren Grund haben; wir wollen uns auch selbst daran erinnern, daß eine Schlacht jenseits der Festungen in einer gut gewählten Stellung geliefert werden kann, während eine Schlacht diesseits in vielen Fällen eine Angriffsschlacht werden muß, nämlich, wenn der Feind die Festung belagert und diese also in Gefahr ist, verloren zu gehen; aber was sind diese feinen Nuancen gegen den Vorteil, daß wir den Feind in der Entscheidungsschlacht um ein Vierteil oder ein Dritteil seiner Macht schwächer finden werden, oder, wenn es sich um mehrere Festungen handelt, vielleicht gar um die Hälfte?

Wir glauben also, daß in allen Fällen einer unvermeidlichen Entscheidung, sei es, daß der Angreifer oder der Verteidiger sie suche, und dieser seines Sieges über die feindliche Macht nicht schon ziemlich sicher ist, oder wenn die Gegend nicht eine dringende Veranlassung gibt, die Schlacht weiter vorwärts zu liefern, – in allen diesen Fällen, sagen wir, muß eine nahegelegene und widerstandsfähige Festung dem Verteidiger die dringendste Veranlassung geben, sich von Hause aus hinter sie zurückzuziehen und die Entscheidung diesseits, also unter ihrer Mitwirkung, stattfinden zu lassen. Nimmt er dabei seine Stellung so nahe an dieser Festung, daß der Angreifende sie weder belagern noch einschließen kann, ohne ihn vertrieben zu haben, so setzt er diesen auch noch in die Notwendigkeit, den Verteidiger in seiner Stellung aufzusuchen. Uns erscheint daher von allen Verteidigungsmaßregeln in gefahrvollen Lagen keine so einfach und wirksam, als die Wahl einer guten Stellung nahe hinter einer bedeutenden Festung.

Freilich würde die Frage sich anders stellen, wenn die Festung sehr weit zurück läge, weil man dann einen bedeutenden Teil seines Kriegstheaters einräumen würde, ein Opfer, welches, wie wir wissen, nur gebraucht wird, wenn dringende Umstände es fordern. In diesem Fall nähert sich diese Maßregel mehr dem Rückzug ins Innere des Landes.

Eine andere Bedingung ist die Widerstandsfähigkeit des Platzes. Bekanntlich gibt es befestigte Plätze, besonders große, die mit dem feindlichen Heere in keine Berührung gebracht werden dürfen, weil sie einem gewaltsamen Angriff mit einer bedeutenden Truppenmasse nicht gewachsen sind. In diesem Fall müßte wenigstens unsere Stellung so nahe dahinter sein, daß die Besatzung unterstützt werden könnte.

Endlich ist der Rückzug in das Innere des Landes nur unter folgenden Umständen eine natürliche Maßregel:

a) wenn unser physisches und moralisches Verhältnis zum Gegner an einen glücklichen Widerstand an der Grenze oder in ihrer Nähe nicht denken läßt;

b) wenn Zeitgewinn eine Hauptsache ist;

c) wenn die Verhältnisse des Landes dazu die Hand bieten, wovon wir bereits im fünfundzwanzigsten Kapitel gesprochen haben.

Wir schließen hiermit das Kapitel von der Verteidigung eines Kriegstheaters, wenn auf der einen oder andern Seite eine Entscheidung gesucht wird, diese also unvermeidlich ist. Aber wir müssen freilich daran erinnern, daß im Kriege die Fälle sich nicht so rein darstellen, und daß man also, wenn man unsere Sätze und Entwickelungen in Gedanken auf den wirklichen Krieg überträgt, auch schon das dreißigste Kapitel im Auge haben und sich in der Mehrheit der Fälle den Feldherrn zwischen beiden Richtungen, nach Maßgabe der Umstände der einen oder andern näher, denken muß.


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