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Zuerst müssen wir uns nach den Umständen umsehen, welche im Gefechte den Sieg geben.
Von der Überlegenheit und Tapferkeit, Übung oder anderen Eigenschaften des Heeres ist hier nicht zu reden, weil sie in der Regel von Dingen abhängen, die außer dem Gebiete derjenigen Kriegskunst liegen, von der hier die Rede ist, übrigens bei Angriff und Verteidigung dieselbe Wirksamkeit äußern würden; ja, auch die Überlegenheit in der Zahl im allgemeinen kann hier nicht in Betracht kommen, da die Anzahl der Truppen gleichfalls ein Gegebenes ist und nicht in der Willkür des Feldherrn steht. Auch haben diese Dinge zum Angriff und zur Verteidigung keine besondere Beziehung. Außerdem aber scheinen uns nur noch drei Sachen von entscheidendem Vorteil zu sein, nämlich: die Überraschung, der Vorteil der Gegend und der Anfall von mehreren Seiten. Die Überraschung zeigt sich dadurch wirksam, als man dem Feinde auf einem Punkt viel mehr Truppen entgegenstellt, als er erwartete. Diese Überlegenheit der Zahl ist von der allgemeinen sehr verschieden, sie ist das wichtigste Agens der Kriegskunst. – Wie der Vorteil der Gegend zum Siege beiträgt, ist an sich verständlich genug, und es ist nur das eine zu bemerken, daß hier nicht bloß von den Hindernissen die Rede ist, welche dem Angreifenden bei seinem Vorrücken aufstoßen, wie: steile Gründe, hohe Berge, sumpfige Bäche, Hecken u. s. w., sondern daß es auch ein Vorteil der Gegend ist, wenn sie uns Gelegenheit gibt, uns verdeckt darin aufzustellen; selbst von einer ganz gleichgültigen Gegend kann man sagen, daß derjenige ihren Beistand genießt, der sie kennt. Der Anfall von mehreren Seiten schließt alle taktischen Umgehungen, groß und klein, in sich, und seine Wirkung gründet sich teils auf doppelte Wirksamkeit der Feuerwaffen, teils auf die Furcht vor dem Abschneiden.
Wie verhalten sich nun Angriff und Verteidigung in Rücksicht auf diese Dinge?
Wenn man die oben entwickelten drei Prinzipe des Sieges im Auge hat, so ergibt sich für diese Frage, daß der Angreifende nur einen geringen Teil des ersten und letzten Prinzips für sich hat, während der größere Teil und das zweite Prinzip ausschließend dem Verteidiger zu Gebote steht.
Der Angreifende hat nur den Vorteil des eigentlichen Überfalles des Ganzen mit dem Ganzen, während der Verteidiger im Laufe des Gefechts durch Stärke und Form seiner Anfälle unaufhörlich zu überraschen imstande ist.
Der Angreifende hat eine größere Leichtigkeit, das Ganze einzuschließen und abzuschneiden, als der Verteidiger, weil dieser schon steht, während jener sich noch in Beziehung auf dieses Stehen bewegt. Aber dieses Umgehen bezieht sich auch wieder nur auf das Ganze, denn im Laufe des Gefechtes und für die einzelnen Teile ist der Anfall von mehreren Seiten dem Verteidiger leichter als dem Angreifenden, weil er, wie oben gesagt wurde, mehr imstande ist, durch Form und Stärke seiner Anfälle zu überraschen.
Daß der Verteidiger den Beistand der Gegend vorzugsweise genießt, ist an sich klar; was aber die Überlegenheit in der Überraschung durch Stärke und Form der Anfälle betrifft, so folgt sie daraus, daß der Angreifende auf Straßen und Wegen einherziehen muß, wo es nicht schwer wird, ihn zu beobachten, während der Verteidiger sich verdeckt aufstellt und bis zum entscheidenden Augenblicke dem Angreifenden fast unsichtbar bleibt. – Seitdem die rechte Art der Verteidigung stattzufinden pflegt, sind Rekognoszierungen ganz aus der Mode gekommen, d. h. sie sind unmöglich geworden. Man rekognosziert zwar noch zuweilen, aber man bringt selten viel mit nach Hause. So unendlich groß der Vorteil ist, sich die Gegend zu seiner Aufstellung aussuchen zu können und mit ihr vor dem Gefecht völlig bekannt zu sein, so einfach es ist, daß der, welcher sich in dieser Gegend in den Hinterhalt legt (der Verteidiger), seinen Gegner viel mehr überraschen kann als der Angreifende, so hat man sich doch noch zur Stunde von den alten Begriffen nicht losmachen können, als sei eine angenommene Schlacht schon eine halb verlorene. Dies kommt von der Art der Verteidigung, die vor zwanzig Jahren, und zum Teil auch im Siebenjährigen Kriege üblich war, wo man vom Terrain keinen andern Beistand als den einer schwer zugänglichen Front (steile Berglehnen u. s. w.) erwartete, wo die dünne Aufstellung und die Unbeweglichkeit der Flanken eine solche Schwäche gab, daß man sich von einem Berge zum andern hin neckte und dadurch das Übel immer ärger machte. Hatte man nun eine Art von Anlehnung gefunden, so kam alles darauf an, daß in diese wie auf einem Stickrahmen aufgespannte Armee kein Loch gestoßen wurde. Das besetzte Terrain bekam auf jedem Punkt einen unmittelbaren Wert, mußte also unmittelbar verteidigt werden. Da konnte also in der Schlacht weder von einer Bewegung, noch von einer Überraschung die Rede sein; es war der völlige Gegensatz von dem, was eine gute Verteidigung sein kann, und was sie in der neueren Zeit auch wirklich geworden ist.
Eigentlich ist die Geringschätzung der Verteidigung immer die Folge einer Epoche, in der eine gewisse Manier der Verteidigung sich überlebt hat, und das war denn auch der Fall mit der oben erwähnten, die früher ihre Zeit hatte, wo sie dem Angriff wirklich überlegen war.
Gehen wir die Ausbildung der neueren Kriegskunst durch, so war im Anfange, d. h. im Dreißigjährigen und im spanischen Erbfolgekriege, die Entwickelung und Aufstellung der Armee eine der großen Hauptsachen in der Schlacht. Sie war der wichtigste Teil des Schlachtenplanes. Dies gab dem Verteidiger in der Regel große Vorteile, weil er schon aufgestellt und entwickelt war. Sobald die Manövrierfähigkeit der Truppen größer wurde, hörte dieser Vorteil auf, und der Angreifende bekam eine Zeitlang das Übergewicht. Nun suchte der Verteidiger Schutz hinter Flüssen, tiefen Taleinschnitten und auf Bergen. Dadurch bekam er abermals ein entschiedenes Übergewicht, welches so lange dauerte, bis der Angreifende so beweglich und gewandt wurde, daß er sich selbst in die durchschnittene Gegend wagen und in getrennten Kolonnen angreifen, also den Gegner umgehen konnte. Dies führte zu der immer größeren Ausdehnung, durch welche nun der Angreifende auf die Idee gebracht werden mußte, sich auf ein paar Punkten zu konzentrieren und die dünne Stellung zu durchstoßen. Dadurch bekam der Angreifende das Übergewicht zum drittenmal, und die Verteidigung mußte ihr System abermals ändern. Das hat sie in den letzten Kriegen getan. Sie hat ihre Kräfte in großen Massen zusammengehalten, diese meistens unentwickelt, wo es anging, auch verdeckt aufgestellt, und sich also bloß in Bereitschaft gesetzt, den Maßregeln der Angreifenden zu begegnen, wenn diese sich mehr entwickeln würden.
Dies schließt die teilweise passive Verteidigung des Bodens nicht ganz aus; der Vorteil derselben ist zu groß, als daß deren Benutzung nicht hundertmal in einem Feldzuge vorkommen sollte. Aber solche passive Verteidigung des Bodens ist gewöhnlich nicht mehr die Hauptsache, und darauf kommt es hier an.
Sollte der Angreifende irgend ein neues großes Hilfsmittel erfinden, was doch bei der Einfachheit und inneren Notwendigkeit, zu der alles gediehen ist, nicht wohl abzusehen ist, so wird die Verteidigung auch ihr Verfahren ändern müssen. Immer aber wird ihr der Beistand der Gegend gewiß sein, und weil Gegend und Boden jetzt mehr als je den kriegerischen Akt mit ihren Eigentümlichkeiten durchdringen, ihr im allgemeinen ihre natürliche Überlegenheit sichern.