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Wir haben im fünfzehnten Kapitel von der Natur der Gefechte im Gebirge, im sechzehnten von dem Gebrauch gesprochen, den die Strategie davon machen kann, und sind dabei öfter auf den Begriff einer Gebirgsverteidigung gestoßen, ohne uns bei der Form und den Einrichtungen einer solchen Maßregel aufzuhalten. Wir wollen sie hier näher betrachten.
Da Gebirge häufig wie Streifen oder Gürtel über die Erdoberfläche hinziehen und die Teilung zwischen den nach verschiedenen Richtungen hin abfließenden Gewässern, folglich die Scheidung ganzer Wassersysteme bewirken, und da diese Form des Ganzen sich in seinen Teilen wiederholt, indem diese sich in Armen oder Rücken von dem Hauptstock absondern und dann die Scheidung für kleinere Wassersysteme bilden, so hat sich die Vorstellung von einer Gebirgsverteidigung natürlich zuerst auf die Anschauung der Hauptgestalt eines mehr langen als breiten, folglich wie eine große Barriere sich hinziehenden Hindernisses gestützt und aus ihr entwickelt. Obschon bis jetzt unter den Geologen über die Entstehung der Gebirge und die Gesetze ihrer Gestaltung noch nichts ausgemacht ist, so zeigt doch in jedem Fall der Lauf des Wassers deren System am kürzesten und sichersten, sei es, daß seine Wirkungen an diesem System Anteil haben (durch den Spülungsprozeß), oder daß der Wasserlauf eine Folge jenes Systems ist. Es war daher auch wieder natürlich, bei dem Gedanken einer Gebirgsverteidigung den Wasserlauf als Führer anzunehmen, denn er ist nicht nur als ein natürliches Nivellement zu betrachten, durch welches man die allgemeine Erhöhung, also das allgemeine Profil des Gebirges, kennen lernt, sondern es sind auch die vom Wasser gebildeten Täler als die zugänglichsten Wege zu den höchsten Punkten zu betrachten, weil in jedem Fall so viel von der Wasserspülung feststeht, daß sie die Ungleichheiten der Abhänge in eine regelmäßige Kurve ausgleichen. Es würde sich hiernach also die Vorstellung der Gebirgsverteidigung so gestalten, daß man das Gebirge, wenn es der Verteidigungsfront ungefähr parallel liefe, als ein großes Hindernis des Zuganges, als eine Art von Wall betrachtete, dessen Eingänge durch die Täler gebildet werden. Die eigentliche Verteidigung würde also auf dem Kamm dieses Walles (d. h. an dem Rande der auf dem Gebirge befindlichen Hochebenen) stattzufinden haben und die Haupttäler quer durchschneiden. Wäre der Hauptzug des Gebirges mehr senkrecht auf die Verteidigungsfront, so würde einer seiner Hauptarme zu verteidigen sein, der einem Haupttale parallel und bis zum Hauptrücken hinaufliefe, welcher als der Schlußpunkt zu betrachten wäre.
Wir haben diesen Schematismus einer Gebirgsverteidigung nach der geologischen Struktur hier angedeutet, weil er wirklich der Theorie eine Zeitlang vorgeschwebt und in der sogenannten Terrainlehre die Gesetze des Spülungsprozesses mit der Kriegführung amalgamiert hat.
Aber hier ist alles so voll falscher Voraussetzungen und ungenauer Substitutionen, daß von dieser Ansicht in der Wirklichkeit zu wenig übrig bleibt, um daraus irgend einen systematischen Anhalt machen zu können. Die Hauptrücken sind bei eigentlichen Gebirgen viel zu unwirtbar und unwegsam, um auf ihnen bedeutende Truppenmassen aufzustellen; mit den Nebenrücken ist es oft ebenso, oft sind sie zu kurz und unregelmäßig. Hochebenen finden sich nicht auf allen Gebirgsrücken, und wo sie sich finden, sind sie meist schmal und dabei sehr unwirtbar; ja, es gibt sogar wenige Gebirge, die, genauer angesehen, einen ununterbrochenen Hauptrücken und an ihren Seiten einen solchen Abhang bilden, der einigermaßen für eine schiefe Fläche oder wenigstens für eine terrassenförmige Abdachung gelten könnte. Der Hauptrücken windet, krümmt und spaltet sich, mächtige Arme streichen in gebogenen Linien ins Land hinein und erheben sich oft gerade in ihren Endpunkten zu beträchtlicherer Höhe als der Hauptrücken selbst; Vorgebirge lagern sich daran und bilden große Talvertiefungen, die nicht in das System passen. Dazu kommt, daß, wo sich mehrere Gebirgszüge kreuzen, oder in dem Punkt, von dem mehrere auslaufen, der Begriff eines schmalen Streifens oder Gürtels ganz aufhört und einem strahlenförmigen Wasser- und Gebirgszuge Platz macht.
Hieraus geht schon hervor, und jeder, der Gebirgsmassen in diesem Sinne angesehen hat, wird es noch deutlicher fühlen, wie die Idee einer systematischen Aufstellung zurücktritt, und wie wenig praktisch es sein würde, wenn man sie als Grundidee der Anordnungen festhalten wollte. Aber es ist noch ein wichtiger Punkt aus dem Gebiet der näheren Anwendung zu beachten.
Fassen wir die taktischen Erscheinungen des Gebirgskrieges noch einmal scharf ins Auge, so ist klar, daß zwei Hauptelemente darin vorkommen, nämlich: erstens die Verteidigung steiler Abhänge, zweitens enger Täler. Diese letztere nun, die oft, ja meistens, die größere Wirksamkeit im Widerstande gewährt, läßt sich mit der Aufstellung auf dem Hauptrücken nicht wohl vereinigen, denn es ist oft die Besetzung des Tales selbst erforderlich, und zwar mehr bei seinem Austritt aus der Gebirgsmasse, als bei seinem Ursprung, weil es dort tiefer eingeschnitten ist. Außerdem bietet diese Talverteidigung ein Mittel, Gebirgsgegenden auch dann zu verteidigen, wenn auf dem Rücken selbst gar keine Aufstellung genommen werden kann; sie spielt also gewöhnlich eine um so größere Rolle, je höher und unwegsamer die Masse des Gebirges ist.
Aus allen diesen Betrachtungen geht hervor, daß man von dem Gedanken einer zu verteidigenden, mehr oder weniger regelmäßigen Linie, die mit einer der geologischen Grundlinien zusammenfiele, ganz absehen und ein Gebirge nur wie eine mit Unebenheiten und Hindernissen von mancherlei Art durchzogene Fläche betrachten muß, von deren Teilen man einen so guten Gebrauch zu machen sucht, als es die Umstände gestatten, – daß also, wenn auch die geologischen Lineamente des Bodens zu einer klaren Einsicht in die Gestalt der Gebirgsmassen unentbehrlich sind, sie doch in den Verteidigungsmaßregeln wenig zur Geltung kommen können.
Weder im Österreichischen Erbfolgekriege, noch im Siebenjährigen, noch im Revolutions-Kriege finden wir Aufstellungen, die ein ganzes Gebirgssystem umfaßten, und bei denen die Verteidigung nach dessen Hauptlineamenten geordnet worden wäre. Niemals finden wir die Heere auf dem Hauptrücken, immer an dem Abhang, bald höher, bald tiefer aufgestellt, bald in dieser, bald in jener Richtung; parallel, senkrecht und schief; mit und gegen den Wasserzug; bei höheren Gebirgen, wie die Alpen, sogar oft in einem Tale fortlaufend; bei geringeren, wie die Sudeten (und das ist die stärkste Anomalie) auf der Hälfte des dem Verteidiger zugekehrten Abhanges, also den Hauptrücken vor sich habend, wie die Stellung, in der Friedrich der Große 1762 die Belagerung von Schweidnitz deckte und die hohe Eule vor der Front seines Lagers hatte.
Die berühmten Stellungen des Siebenjährigen Krieges von Schmotseifen und Landshut sind im allgemeinen in Talvertiefungen; eben dies ist der Fall mit der Stellung von Feldkirch in Vorarlberg. In den Feldzügen von 1799 und 1800 haben die Hauptposten der Franzosen wie der Österreicher jederzeit in den Tälern selbst gestanden, nicht bloß quer über dieselben, um sie zu sperren, sondern auch ihrer Länge nach, während die Rücken entweder gar nicht oder nur mit wenigen einzelnen Posten besetzt waren.
Die Rücken der höheren Alpen sind nämlich von solcher Unwegsamkeit und Unwirtlichkeit, daß es unmöglich wird, sie mit starken Truppenmassen zu besetzen. Will man nun durchaus Streitkräfte im Gebirge haben, um Herr desselben zu sein, so bleibt nichts anders übrig, als sie in den Tälern aufzustellen. Auf den ersten Anblick scheint dies fehlerhaft, weil man nach den gewöhnlichen theoretischen Vorstellungen sagen würde: Die Höhen beherrschen die Täler. Allein so ist es nicht; die Rücken sind nur auf wenigen Wegen und Pfaden zugänglich und mit seltener Ausnahme nur für Fußvolk, weil die Fahrstraßen den Tälern folgen. Der Feind könnte also nur auf einzelnen Punkten derselben mit Infanterie erscheinen; für ein wirksames Flintenfeuer ist aber bei diesen Gebirgsmassen die Entfernung zu groß, und so steht man denn im Tal weniger gefährlich, als es das Ansehen hat. Aber freilich ist eine solche Talverteidigung einer andern großen Gefahr ausgesetzt, nämlich der, abgeschnitten zu werden. Der Feind kann zwar nur mit Fußvolk, langsam und mit großen Anstrengungen auf einzelnen Punkten ins Tal hinabsteigen, er kann also nicht überraschen, aber keine der Stellungen verteidigt die Ausmündung eines solchen Pfades im Tal, der Feind bringt also nach und nach überlegene Massen hinunter, breitet sich dann aus und sprengt die dünne und von dem Augenblick an sehr schwache Linie, die vielleicht nichts mehr zu ihrem Schutz hat als das steinige Bett eines seichten Gebirgsbaches. Nun ist aber der Rückzug, der stückweise immer im Tale stattfinden muß, bis man einen Ausgang aus dem Gebirge gefunden hat, für viele Teile der Linie unmöglich, und die Österreicher haben daher in der Schweiz fast jedesmal ein Dritteil oder die Hälfte ihrer Truppen an Gefangenen verloren. –
Jetzt noch einige Worte über den Grad der Teilung, welchen die Streitkräfte gewöhnlich bei solcher Verteidigung erleiden.
Jede solche Aufstellung geht von einer mehr oder weniger in der Mitte der ganzen Linie auf dem hauptsächlichsten Zugang genommenen Stellung der Hauptmacht aus. Von dieser werden rechts und links andere Korps zur Besetzung der wichtigsten Eingänge entsendet, und es entsteht also für das Ganze eine Aufstellung von drei, vier, fünf, sechs Posten u. s. w. ziemlich in einer Linie. Wie weit diese Ausdehnung getrieben werden darf oder muß, hängt von den Bedürfnissen des einzelnen Falles ab. Ein paar Märsche, also sechs bis acht Meilen, sind eine sehr mäßige, und man hat sie wohl bis zu zwanzig und dreißig Meilen steigen sehen.
Zwischen den einzelnen, eine oder ein paar Stunden voneinander gelegenen Posten finden sich dann leicht andere, weniger wichtige Zugänge, auf welche man später aufmerksam wird; es finden sich einzelne vortreffliche Posten für ein paar Bataillone, die sich zur Verbindung der Hauptposten sehr gut eignen; sie werden also auch besetzt. Daß die Zerteilung der Kräfte noch weiter gehen und bis zu einzelnen Kompagnien und Schwadronen heruntersteigen könne, ist leicht einzusehen, und der Fall ist oft genug vorgekommen; es gibt also hier keine allgemeinen Grenzen der Zersplitterung. Von der andern Seite hängt die Stärke der einzelnen Posten von der Stärke des Ganzen ab, und es ist also auch schon darum nichts über den möglichen oder natürlichen Grad der Stärke zu sagen, welche die Hauptposten behalten werden. Wir wollen nur einige Sätze, welche die Erfahrung und die Natur der Sache lehren, zum Anhalt geben.
Was hiernach von einer Gebirgsverteidigung zu erwarten ist, in welchen Fällen man dieses Mittel anwenden dürfe, wie weit man in der Ausdehnung und in der Zersplitterung der Kräfte gehen könne und dürfe: das alles muß die Theorie dem Takt des Feldherrn überlassen. Es ist genug, wenn sie ihm gesagt hat, was dies Mittel eigentlich sei, und welche Rolle es in den kriegerischen Beziehungen der Heere übernehmen dürfe.
Ein Feldherr, der sich in einer ausgedehnten Gebirgsstellung auf das Haupt schlagen läßt, verdient vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden.