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Britischer Pessimismus.

Seit einigen dreißig Jahren besucht der Verfasser sein Vaterland, aber nie ist unter seinen Freunden in der industriellen Welt eine solche Verzagtheit zu finden gewesen wie dieses Jahr. Selbst diejenigen sind jetzt Pessimisten, die bisher unerschütterliche Optimisten waren und fest daran glaubten, daß sich das Mutterland »auf die eine oder andere Weise hindurchwürgen« und aus dem drohenden Mißgeschick, wie oft zuvor in seiner langen, bewegten und berühmten Geschichte, mit Glanz hervorgehn würde.

Die gegenwärtige Lage ist offenbar sehr dazu angetan, einen niederzudrücken, aber ob der wahre mutige Brite aus dem Optimismus, seinem natürlichen Zustand, in den Pessimismus fällt, hängt nur davon ab, ob er rückwärts oder vorwärts schaut: denn wenn man die menschliche Gesellschaft als ein Ganzes betrachtet, macht uns ein Ausblick auf künftige, ideale Bedingungen zu Pessimisten, die die jetzigen augenscheinlichen Mängel, Fehler und Zeichen der Barbarei beklagen, während uns ein Rückblick bestätigt, daß die Menschheit empor gekommen ist und sich weiter erheben muß, daß alles, obwohl langsam, gut geht – und auf einmal sind wir wieder gesunde Optimisten.

Ebenso der besorgte Brite, gerade jetzt, hinsichtlich des Industrialismus. Welch ein Bild schaut er, wenn er rückwärts blickt! Er sieht sein Land nicht allein als das grösste von allen, sondern in vielen Elementen der Macht, den Finanzen, dem Handel, Gewerbe, Bergbau, der Weberei und Schiffahrt alle anderen Nationen zusammen erfolgreich bekämpfen, Britannien in der einen Wagschale und die Welt in der andern. Es ist nur 55 Jahre her, daß Britannien aufgehört hat, mehr Kohlen zu fördern als die ganze übrige Welt, und noch sind Leute im Erwerbsleben tätig, die es mehr Eisen und Stahl erzeugen, mehr Baumwolle, Wolle und Leinenzeug mit der Maschine weben, mehr Schiffe besitzen und mehr Maschinen verfertigen gesehn haben, als alle andern, das erste an Reichtum und Ansehn. Die Dampfmaschine, die die Dampfschiffahrt und den Eisenbahnverkehr bringt, die Hochöfen und Puddleöfen, die Pfeiler der modernen Eisenerzeugung, die Bessemer-, Siemens-, Martin- und Thomasverfahren, die Grundlagen der Stahlverfertigung, Arkwright und Hargreaves, die Gründer der mechanischen Weberei: das alles und noch mehr von ähnlicher Wichtigkeit in anderen Zweigen der Gütererzeugung ist das alleinige Werk dieses Landes, da kein anderes zum industriellen Fortschritt wesentlich beitrug: Britannien der Pionier, der der Welt voranschritt und sie zum modernen Industrialismus führte.

Ist es zu verwundern, wenn der stolze Brite zuweilen zu der Ansicht neigt, er müsse von einem andern Lehm gemacht sein als die Menschen der übrigen Länder und der natürliche Beherrscher der andern und dazu erwählt sein, sie mit gewerblichen Erzeugnissen zu versehn, die sie nicht herstellten, nicht herstellen könnten und herzustellen nie die Absicht haben würden? Wenn er dies je glaubte, so wollen wir es ihm nachsehn, denn er hatte allen Grund, alles Große von der Rasse zu erwarten, die solche Wunder vollbracht und der Welt die Erfindungen geschenkt hat, die ihre materiellen Bedingungen umgestaltet haben. Sein Land stand eben über andern Ländern, die auf vielen der wichtigsten Gebiete menschlicher Tätigkeit seinem unbedingten Einfluß unterworfen waren, ein Riese unter Zwergen. Und nicht allein auf dem Feld der Industrie war seine Stelle gebietend. Glänzende Erfolge in unendlich höheren Dingen, nämlich in der Entwicklung der bürgerlichen und religiösen Freiheit, der Volksregierung und auf kolonialem Gebiete ließen sich sofort anführen, wenn sie in den Rahmen dieses Aufsatzes fielen. »Ich bin ein Römer« bedeutete wenig im Vergleich zu all dem, was in den Worten »ich bin ein Brite« liegt.

So das Bild, das den optimistischen, vielleicht selbstsüchtigen Briten schuf. Zu seiner Ehre mag gesagt sein: Keiner irgend einer anderen Rasse hätte auf ein solches Bild der Errungenschaften, der Führung und der Dienste seines Vaterlandes für die Welt blicken und sich dabei im Großen und Ganzen mit einer würdevolleren Bescheidenheit und einem erhabeneren, von Prahlerei freieren Stolz benehmen können.

Lenken wir jetzt geschwind den Blick von der Vergangenheit auf die gegenwärtigen Bedingungen! »Welche Veränderung!« ruft der Optimist aus: Nicht mehr Britannien in allem gegen die ganze Welt, nicht einmal mehr die erste unter den Nationen in Reichtum oder Ansehn, Gewerbe, Bergbau, Weberei, Handel. Der Vorrang in allem verloren. In der Seeschiffahrt noch zu vorderst, aber selbst hier der Anteil an der Weltschiffahrt von Jahr zu Jahr geringer. Die Zahlen in diesem Aufsatze sind aus »Statesman's Year-Book«, 1900. Er wuchs nur um 46 000 Tonnen in den 5 Jahren von 1894-1899 und war 1898 um 9000 Tonnen kleiner als 1896. Das schlimmste aber, die Herrschaft zur See in großen Schnelldampfern verloren – jene unvergleichlichen Kreuzer, die jetzt die britische Flagge wehen lassen, alle in Deutschland gebaut; nicht ein entsprechendes Schiff in Britannien gebaut oder im Bau; das Feld gänzlich dem Nebenbuhler überlassen. In der Eisenerzeugung ist Deutschland von 1 500 000 auf 7 000 000 Tonnen im Jahr gestiegen, während Britannien einen Stillstand verzeichnet hat; seine höchste Erzeugung war 9 500 000 Tonnen. Die Vereinigten Staaten stellten letztes Jahr 13 500 000 Tonnen her und werden in diesem Jahre noch darüber hinausgelangen, während wir in Britannien weniger als das letzte Jahr erzeugen.

An Stahl haben die Vereinigten Staaten letztes Jahr 10 638 000 Tonnen und in diesem Jahr, bis jetzt, mehr als im vorigen hergestellt, während wir hinter unserem höchsten Betrag von 5 000 000 Tonnen im letzten Jahre zurück blieben.

An Textilerzeugnissen führen wir nach den Angaben Lord Mashams in den »Times« weniger aus und mehr ein. 1891 führten wir für 106 000 000 £, 1899 für 102 000 000 aus, 1891 für 28 000 000, 1899 für 33 000 000 ein. Seine Herrlichkeit behauptet, Großbritannien habe seinen Ausfuhrhandel seit 30 Jahren tatsächlich nicht um einen Schilling vermehrt.

Auch finanziell verlieren wir rasch den Vorrang. Die täglichen Geschäfte der Newyorker Börse übersteigen die der Londoner. Unsere Diskontanleihen werden in den Vereinigten Staaten aufgenommen, die, bisher unser größter Schuldner, unsere Haupt-Gläubiger-Nation werden. Wir bieten jedem, der Vertrauen hat zu zeichnen, unsere Schuldscheine über 100 £ an, wenn er uns 93 £ 14 sh. in bar geben will; Consols waren 113 und sind jetzt unter 95; wir geben in zwei Jahren für das, was eine bloße Parade sein sollte, ebenso viel aus, wie die in 50 Jahren bewirkten Verminderungen der Staatsschuld betragen; und noch kostet uns der Krieg 1½ Millionen Pfund wöchentlich, was infolge neuer Steuern wegen vermehrten Soldes bald noch mehr werden wird. Wir haben unsere Steuern gerade um 11 Millionen im Jahr erhöht, während Amerika die seinigen durch ein seltsames Zusammentreffen um den selben Betrag vermindert hat – Britannien belastete sich auf diese Weise im Handicap und das Gewicht unseres Wettbewerbers wurde für das industrielle Rennen leichter.

Wir werden nicht einmal lange mehr den Ruhm haben dürfen, die größte Stadt der Welt zu besitzen, da ja New-York heute den 4½ Millionen Londons bereits 3½ Millionen entgegenstellt und die Bevölkerung des jetzigen New-Yorker Stadtbezirkes im letzten Jahrzehnt um 35% zugenommen hat, während das Wachstum Londons nur ein Viertel so groß ist. Bei weiterem Anwachsen wie in den letzten fünf Jahren wird New-York London 1910 fast gleich und 1915 überlegen sein.

Während wir stehen geblieben sind, hat sich die Ausfuhr der Vereinigten Staaten an gewerblichen Erzeugnissen in fünf Jahren verdreifacht und jetzt 80 Millionen £ erreicht. Unsere gesamte Ausfuhr betrug 1890 263 531 000 £ und erreichte diesen Betrag nie wieder bis zum Jahre 1899, wo sie durch Hinzunahme von 6 Millionen £ fürs Ausland gebauter Schiffe, die bisher nicht eingeschlossen gewesen waren, auf 264 660 000 £ stieg. Unsere Einfuhr wuchs im selben Zeitraum um 65 000 000 £, zum Teil um deswillen, weil wir für unsere Nahrung von fremden Nationen immer abhängiger wurden.

Bis vor kurzem die ersten in der Maschinenindustrie, haben wir jetzt Straßenbahnen und Untergrundbahnen, von deren Ausrüstung nicht allein die elektrischen Vorrichtungen, sondern auch die dazu gehörenden großen Dampfmaschinen aus Amerika stammen. Frankreich zeigt für das letzte Jahr eine Ausfuhr von Kraftfahrzeugen im Werte von 1 Million £; wir führen keine solchen aus und kaufen sogar von Frankreich.

Der frühere Optimist, jetzt ein jämmerlicher Pessimist, fährt in seiner Klage fort. Selbst im Schiffsbau, wie lange kann uns der Vorrang hierin bleiben, wenn bereits Panzerplatten aus Amerika in Tausenden von Tonnen nach Belfast und Glasgow gehn und Amerika heute zwei 18 000-Tonnenschiffe baut? Das Kabel kündet eben den Stapellauf des ersten an, und zwei andere von 20 000 Tonnen, dem ungeheuren Celtic gleichkommende sind bestellt.

Unsere industrielle Macht erweist sich als ebenso rückständig, wie es unsere Kriegsmacht anerkanntermaßen ist; unsere Eisenbahnen daheim und in den Kolonien beziehen ihre Schienen, Brücken und Stahlwagen von Amerika. Unsere Mannschaft arbeitet nicht so und kann nicht so wie die amerikanische arbeiten, wie der besondere Kommissär der »Times« nachgewiesen hat; ebensowenig lassen sich unsere Feldherrn in der Industrie mit denen in Amerika vergleichen.

Das System unserer Militärmacht muß, nachdem es zusammengebrochen ist, neu aufgebaut werden. Die »Times« veröffentlicht einen Brief von Arthur H. Lee, Mitglied des Parlaments und ehemaligem Militärattaché in Washington, und schreibt in ihrem Leitartikel: »Captain Lee erklärt, daß die amerikanischen Rekruten unseren gewöhnlichen Rekruten sowohl körperlich wie geistig unendlich überlegen sind. Ihr Durchschnittsalter ist fast 23, die durchschnittliche Größe der Infanterie 5 Fuß 8½ Zoll; alle von ihnen können lesen und schreiben; besondere Erörterungen werden über ihre Persönlichkeit angestellt und Captain Lee bestätigt, daß sie in Kriegs- wie Friedenszeiten erfahrungsgemäß von ernsten Vergehen frei sind und daß er nie einen amerikanischen Soldaten betrunken gesehen hat. Lord Lansdowne findet 92 000 unserer Rekruten untauglich.«

Dies eine beliebige Auswahl von Bissen, wie sie die Presse und die Zeitschriften der entmutigten Briten als Nahrung vorsetzen. Es gibt noch viele andere von ähnlicher Bedeutung, da wir aber eben eine der letzten Nummern der »Times« angezogen haben, wollen wir die Liste schließen, obgleich der Pessimist ohne Zweifel bei dem Gegensatz zwischen dem Blick rückwärts und dem gegenwärtigen Anblick noch länger verweilen und allem, was zur Milderung oder Erklärung geboten wird, mit dem Ausrufe Hamlets begegnen wird: »Schau her auf dieses Bild, und schau auf das!« Er wird keinen Trost finden. Der Trost ist aber nahe und mit der Erlaubnis des Lesers will ich versuchen, ihn darzubieten; ehe jedoch unser pessimistischer Freund genügende Empfänglichkeit dafür erlangen wird, ist ein Schritt unentbehrlich. Er muss sich den heutigen Bedingungen anpassen und sich vergegenwärtigen, daß es heute nutzlos ist, bei dem Vergangenen zu verweilen, und namentlich muß er aufhören, sein einzelnes Land mit den 45 Ländern der amerikanischen Union, einem aus vielen zusammengesetzten Ganzen zu vergleichen. Es kann nicht zulässig sein, 41 000 000 Menschen auf zwei 120 000 Quadratmeilen großen Inseln, beziehentlich eine Bevölkerung von mehr als 500 auf der Quadratmeile (England und Wales) mit 77 000 000 auf 3 000 000 Quadratmeilen zu vergleichen, die in ihren natürlichen Hilfsquellen ungleich sind und 25 Menschen auf der Quadratmeile haben.

Gehen wir daher auf der einzigen vernünftigen Grundlage, der Berechnung auf den Kopf, vor und sehen wir, was sich ergibt, wenn man die pessimistischen Punkte der Reihe nach betrachtet.

Zuerst der Verlust an Reichtum und Kredit. Der Vorrang in der Welt hinsichtlich des angesammelten Reichtums ist nur hin, wenn der Pessimist darauf besteht, Britannien mit der amerikanischen Union zu messen, die indeß Großbritannien an Reichtum, auf den Kopf berechnet, nicht annähernd erreicht; bei fast der doppelten Bevölkerung hat sie nur ein Fünftel mehr Gesamtvermögen. Keine andere Nation macht Britannien den Vorrang streitig, selbst nicht an Gesamt-Reichtum. In diesem Punkt also sicherlich nicht viel Anlaß zu Pessimismus.

Eine Einbuße an Kredit ist bedenklich, aber welcher Staatskredit außer dem Britanniens könnte einen Aufwand vertragen, der viermal so viel beträgt wie die Einkommenzunahme aus den selben Steuern in den 20 Jahren bis 1896 und der hierauf in den folgenden fünf Jahren bis 1901 um nicht weniger als 28 000 000 £ jährlich gestiegen ist, während der Steuerertrag nur um 16 000 000 £ wuchs? Der stärkste Beweis für den britischen Kredit ist, daß er nicht vernichtet ist; keine andere Nation hätte sich so unbekümmert über die einfachsten Regeln gesunder Finanzwirtschaft hinwegsetzen können, allen Warnungen der aufeinander folgenden Autoritäten zum Trotz, deren es keine strengere geben konnte als die des jetzigen befähigten und mutigen Schatzkanzlers. Mag eine regierungstreue Presse auch noch so entschieden unverminderten Kredit fordern, so wird der Leihende doch sagen, daß 6½ % des vorgeschossenen Betrags abgezogen werden müssen, weil der Kredit geschwächt ist. Der Kanzler verkündet der Welt, daß die Grenze der jetzigen Steuerkraft ungefähr erreicht ist und daß der Handel nicht wächst.

Die schließliche Antwort für den Pessimisten ist hier, daß das britische Volk bald zur Änderung der Politik gezwungen sein wird, in der ganzen Welt vermehrte Verantwortung zu suchen, Kriege hervorzurufen, und nicht nur den Regierungen, sondern – eine neue und verhängnisvolle Tatsache – auch den Völkern der anderen Länder entgegenzuwirken, eine Politik, die unbedingt die erhöhten Ausgaben erheischt, welche Britannien bereits seinen stolzen Ruhm des Vorranges im Kredit gekostet haben – einen Verlust an natürlichem Einfluß.

Der Rücken des ermüdeten Titanen war schon gekrümmt, als er sich entschied, seine Bürde durch Erstrebung anerkannter Oberhoheit in Südafrika noch zu vermehren. Zwei junge Freistaaten wurden für tot erklärt und einverleibt, aber der Titane findet, daß sie noch auf seinem Rücken kämpfen. Ob der gegenwärtige Krieg unvermeidlich war oder nicht, steht hier nicht zur Erörterung. War er unvermeidlich, so müßte England künftig nur desto vorsichtiger sein, in fernen Weltteilen Verpflichtungen zu übernehmen, die solche Aufgaben im Gefolge führen, denn jeder muß einsehen, daß dies Britannien Gefahren von anderen Seiten aussetzen würde, die die jetzigen Kursziffern der Konsols einmal völlig verändern könnten. Das Wunder ist nicht, daß diese auf 95 gefallen, sondern daß sie noch so hoch geblieben sind. Mit der Rückkehr zu einer Politik des Friedens und guten Willens anderen Nationen und gewöhnlicher Vorsicht schlafenden Hunden gegenüber, sowie auch in den Ausgaben, wird der Kredit bald wieder gewonnen sein. Noch ist kein nicht wieder gutzumachendes Unglück geschehen, das Notsignal ist aber aufgezogen.

Selbst im Kredit sind es nur die Vereinigten Staaten, deren Kredit besser ist, wie die Kurse ihrer Schuldscheine zeigen; wenn sie aber nur die halbe Strecke des Weges finanzieller Störungen gehen würden, den Britannien jahrelang geschritten ist, so wäre es unwahrscheinlich, daß selbst sie zu den Bedingungen der letzten Erhöhungen der britischen Schuld borgen könnten. Der Vorrang im Kredit kann noch wiedergewonnen werden.

Im Bergbau, in der Weberei, dem Handel, der Industrie ist die Vorherrschaft nur verschwunden, wenn der Pessimist darauf besteht, Britannien wie früher der ganzen amerikanischen Union gegenüber zu stellen. Keine andere Nation raubt Britannien seine Stellung auf irgend einem dieser Gebiete oder wird es voraussichtlich tun. Es behauptet selbst der gesamten Union gegenüber in der Weberei und im auswärtigen Handel noch den Vorrang und bleibt in der Ausfuhr nicht weit zurück. Hier also besteht nicht viel Grund zu Unzufriedenheit, da es einem Bunde von 45 Staaten gegenüber in zwei Fällen noch den Vorrang besitzt und in einem dritten auf der selben Stufe steht.

Im auswärtigen Seeverkehr nimmt allerdings Britanniens früherer, großer Anteil an der Weltschiffahrt ab. Wie könnte es anders sein? Noch übertrifft er aber den anderer Nationen um das Doppelte. Der Vorsprung ist so groß, daß ihn wahrscheinlich kein jetzt lebender überholt sehn wird. Im Jahre 1898 hatte Britannien einen Seeverkehr von 9 000 000 Tonnen, die Vereinigten Staaten hatten einen solchen von weniger als 5 000 000, Deutschland 1 700 000, Frankreich weniger als 1 000 000. Kein Grund daher, in schlaflosen Nächten die Stellung Britanniens in der Schiffahrt zu betrauern.

Ebenso im Schiffsbaugewerbe. Amerika macht zwar rasche Fortschritte und baut Riesen-Kriegs- und -Kauffahrteischiffe, desgleichen Deutschland, und beide werden sich als Wettbewerber erweisen; es ist aber ziemlich verfrüht, sich zu beunruhigen, solange Britannien jährlich 850 000 Tonnen (1898) und Amerika nur 249 000 und Deutschland – Zahlen liegen mir nicht vor – sicherlich viel weniger, wahrscheinlich nicht die Hälfte bauen.

 

Amtliche Zahlen liegen nur teilweise und ungleichartig vor. Nach einer in »Brockhaus' Konversationslexikon« (1903) unter »Schiffbau« abgedruckten Statistik des Germanischen Lloyd, die die Kriegs- und Kauffahrteischiffe unter 100 t ausser Betracht lässt, wurden im Jahre 1900 hergestellt:

  Segler: Dampfer: Zusammen:
  Zahl Tonnengehalt Zahl Tonnengehalt Zahl Tonnengehalt
in England (einschl. Kolonien) 37 12 103 661 1 459 372 698 1 471 475
in Amerika 104 105 371 93 192 560 197 297 931
in Deutschland 20 8 671 70 203 179 90 211 850

[Fußnote mit Tabelle aus technichen Gründen im Text wiedergegeben. Re]

 

Britannien braucht und verwendet mehr Schiffe als jede andere Nation, da es Kohlen und gewerbliche Erzeugnisse auszuführen und Massen von Nahrungsmitteln und Rohstoffen einzuführen hat. Es braucht sich in der Reederei nicht von dem ersten Platz verdrängen zu lassen, denn Amerika, das nicht soviel einzuführen braucht, ist gegen Britannien, das seinen Schiffen für die fremden Häfen der ganzen Welt seewärts wie heimwärts bessere Frachten bietet, im Nachteil. Wenn daher Britannien die Vorherrschaft in der Reederei verliert, wird es sie verdientermaßen verlieren. Im Schiffsbau wird die Sache bald anders liegen. Britannien darf sich nicht in Schlaf wiegen, denn Amerika mit seinem billigen Stahl und Bauholz und seinen erstaunlichen Arbeitern ist wohl gerüstet. Wenn hier Britannien den ersten Platz behauptet, wird es den Preis in hohem Maße verdienen.

Was den erheblichen Verlust an atlantischem Reiseverkehr angeht, so werden ein paar Worte erklären, warum er unvermeidlich war, wenn man Britanniens Lage ins Auge faßt. Die britischen Dampferlinien, die zwischen Liverpool und New-York fahren, befördern nur Reisende nach und von Britannien mit seinen 41 000 000 Einwohnern. Die deutschen Linien, die Bremen und Hamburg mit New-York verbinden, ziehen zuerst alles aus dem nördlichen Europa an sich, berühren dann Southampton und ziehen dort einen Teil der britischen Reisenden an, und mit dieser Vermehrung noch nicht zufrieden, fahren sie nach Cherbourg hinüber, wo sie den Verkehr aus Paris und dem ganzen südlichen Europa aufnehmen. Auf diese Weise nähren drei große Ströme des Reiseverkehrs ihre Riesenschnelldampfer; die 300 000 000 Europas sind ihnen tributpflichtig; und auf der Heimreise nach Deutschland ziehen sie alle an sich, die irgend einen von diesen Millionen besuchen wollen oder mit ihm geschäftlich zu tun haben, denn die heimkehrenden Schiffe berühren auch Cherbourg, Southampton oder Plymouth und landen Reisende. Demgegenüber sind den britischen Linien nur 41 000 000 Menschen für die Überfahrt nach New-York und auf der Rückkehr von Amerika nach Britannien nur diejenigen Amerikaner tributpflichtig, die die 41 000 000 zum Vergnügen oder in Geschäften besuchen wollen. Selbstverständlich müssen daher die deutschen Linien in großen Schnelldampfern die Führung haben. Darin liegt aber kein Grund zu Pessimismus, da die britischen Reeder weder untätig noch unfähig sind; sie zeigen nur ihren gesunden Verstand, wenn sie die Lage anerkennen und werden dann für Britannien mehr von dem Nutzen des atlantischen Reiseverkehrs bewahren, als wenn sie das Unmögliche versuchten.

In der Eisengewinnung werden die 56 000 000 Einwohner Deutschlands die Erzeugung Britanniens bald erreicht haben, zumal Deutschland an Bevölkerung rasch zunimmt. Dies bedeutet aber keinen Rückgang des Betrags Großbritanniens; dieser kann sogar noch etwas steigen. Die Erzeugung Britanniens auf den Kopf gerechnet wird größer bleiben als die irgend eines anderen Landes außer den Vereinigten Staaten. Kann man mehr verlangen? Ebenso mit dem Stahl. Britanniens Erzeugung von 5 000 000 Tonnen im letzten Jahre war fast halb so groß wie die der Vereinigten Staaten und stand hinter dieser, auf den Kopf gerechnet, nicht weit zurück – eine bemerkenswerte Tatsache, wenn man die Verhältnisse in Betracht zieht, welche zeigen, welch kleiner Riese Britannien ist. Keine andere Nation mißt sich mit ihm in Stahl, auch nicht in der Summe der Erzeugung. Darum auch hier kein Grund zu Pessimismus; aber ein Einsichtsloser kann natürlich leicht über den Verfall seines Landes klagen, weil es 5 000 000 statt 10 500 000 erzeugt, die ein halber Kontinent hervorbringt.

Wir kommen jetzt zu der Frage: »Geht der britische Außenhandel zurück?« Es ist dies in letzter Zeit oft der Gegenstand der Erörterung gewesen, ohne Ergebnis, da die Frage aus zwei Teilen besteht, was die Streitenden gewöhnlich nicht beachten. Die Ausfuhr ist der eine Zweig, die Einfuhr der andere; die erstere hat auf den Kopf der Bevölkerung gerechnet abgenommen, die letztere zugenommen. Beide zusammen zeigen, daß der britische Außenhandel nicht zurückgeht. Während der zehn Jahre von 1889-1898 war die Ausfuhr auf den Kopf von £ 6. 13 sh 11 d auf £ 5. 15 sh 2d gesunken und die Einfuhr von £ 11. 10 sh 1 d auf £ 11. 14 sh 1 d gestiegen. Es waren das meist Jahre niedriger Preise; die Mengen nahmen in Wirklichkeit nicht ab. Das letzte Steigen der Preise hat den Wert der Einfuhr sowohl wie den der Ausfuhr anschwellen lassen, im allgemeinen zeigt sich aber keine wirkliche Zunahme der Mengen, außer in größeren Einfuhren an fremden Nahrungsmitteln. Selbst hierbei ist jedoch ein Teil der Zunahme auf höhere Preise zu rechnen.

Bei sorgfältiger Prüfung des Gegenstandes und Vermeidung der Gefahr, aus vorübergehenden Ursachen und Wertverhältnissen, die nur für dieses oder jenes Jahr gelten, verallgemeinernde Schlüsse zu ziehen, findet der Verfasser zu seiner Genugtuung auf die Frage »Geht der britische Handel zurück?« die Antwort, daß weder von einem Rückgang noch von einem Wachstum gesprochen werden kann, wenn man Ein- und Ausfuhr zusammen nimmt. Der britische Handel hat wahrscheinlich seine Grenzen erreicht und dehnt sich nicht mehr aus, nachdem er seit 10 Jahren praktisch auf demselben Punkt geblieben ist.

Es überrascht den Verfasser, daß in Britannien dem monatlichen Ausweis der Ein- und Ausfuhr soviel Bedeutung beigemessen wird, als ob deren Zunahme oder Abnahme ein schlagender Beweis wirtschaftlichen Gedeihens oder des Gegenteils wäre. Eine geringere Ausfuhr kann bekunden, daß der heimische Verbrauch größer ist – die beste aller wirtschaftlichen Bedingungen. So wird die Stahlausfuhr Amerikas dieses Jahr kleiner sein als letztes, weil sein eigener Bedarf größer ist. Glücklich das Land, das seine Erzeugungsfähigkeit zu eigener weiterer Entwicklung benutzen kann! Jede zu Betriebserweiterungen oder neuen Unternehmungen gebrauchte Tonne bringt produktiveres Kapital hervor. Die Ausfuhr vermindert sich, aber was hinausgeht, fördert auf die Dauer die Entwickelung der empfangenden Nation, bringt der ausführenden Nation dagegen, durch die Erzeugung, nur vorübergehend Nutzen. Was im Lande selbst verbraucht wird, entwickelt die erzeugende Nation und nützt ihr dauernd. Ähnlich bei der Einfuhr. Ihre Verminderung kann ein Beweis sein, daß die Nation mehr und mehr ihren eigenen Bedarf deckt. Eine glückliche Nation, die es kann! Die amerikanische Einfuhr wird aus diesem Grunde immer kleiner und, indem sie den Umfang des Außenhandels verringert, zu einem Zeichen fortgesetzter Entwicklung, über die sich das Land freut. Das letzte Jahr war für die britischen Erzeugnisse ein sehr günstiges. Die Ausfuhr solcher nahm gleichwohl in vielen Zweigen ab, die Verminderung der Einfuhrmengen war aber der beste Beweis des Gedeihens. Noch ein anderer Punkt wird bei der Betrachtung der Ausfuhr oft übersehen, nämlich, daß diese als Ganzes mit den im Lande verbrauchten Mengen nicht verglichen werden darf. Man schätzt, daß ein Achtel der britischen Erzeugung ausgeführt wird. Wenn man aber nur die gewerblichen Erzeugnisse betrachtet, findet man, daß an Roheisen 9 000 000 Tonnen hergestellt und nur 1 000 000 ausgeführt werden. Von den Kohlen geht nahezu der sechste Teil ins Ausland: 220 000 000 Tonnen Erzeugung, 36 000 000 (durchschnittlich) Ausfuhr. Von Textilerzeugnissen aus Leinen wird ein Viertel ausgeführt: 20 000 000 £ Erzeugung, 5 000 000 Ausfuhr; an Wollwaren wird für 50 000 000 £ verfertigt und für 14 000 000 ausgeführt. Allein bei Baumwollwaren erreicht der ausgeführte Betrag den im Lande verbrauchten. Die jährliche Gesamtausfuhr beträgt im Durchschnitt 235 000 000 £; rechnet man 12% Nutzen darauf, so ist der Gewinn 28 000 000 £. Die Zunahme des Staatsaufwandes in 5 Jahren, die Kosten des gegenwärtigen Krieges nicht eingeschlossen, macht gerade diese Zahl aus; sollten daher diese Aufwendungen zu dauernden werden, würde der Gewinn aus der ganzen Ausfuhr Britanniens hauptsächlich von der mutmaßlichen Reichs-Erweiterung und den dabei unvermeidlichen Rüstungen verschlungen. »Die ungeheuer großen Interessen Britanniens in China« werden zur Zeit viel besprochen, schrumpfen aber bei näherer Prüfung zusammen. Der Betrag, für den China britische Erzeugnisse bezieht, ist nur 5 000 000 £ im Jahr. Das kleine Holland nimmt die Hälfte mehr, ebenso das kleine Belgien und die brasilianischen und venezolanischen Republiken jede für sich. Es kann dort leicht ein sehr großer Krieg entbrennen, der Tausende von Menschenleben und ein paar hundert Millionen kosten würde, die geopfert werden müßten, nur weil ein Handel von lumpigen fünf Millionen zu schützen wäre, der im Jahre vielleicht 600 000 oder 700 000 £ Gewinn brächte. Ebenso wenig wahrscheinlich ist es, daß der chinesische Handel wesentlich zunehmen würde, denn die Chinesen brauchen wenig von dem, was westliche Völker verfertigen. Eine große Vermehrung des chinesischen Verbrauchs an britischen Erzeugnissen ist nach der Ansicht des Verfassers, der jenes seltsame Land ein klein wenig kennt, unwahrscheinlich.

Es ist jammervoll, für eine Schattenherrschaft über unfruchtbare, weit entlegene Gebiete, dünn bevölkerte Länder, angeblich zur Sicherung neuer Märkte für britische Erzeugnisse, so viele Leben geopfert und so viel Geld verschwendet zu sehn. Die Märkte unzivilisierter Länder bedeuten sehr wenig, außerdem hat Britannien von seiner nominellen Herrschaft unter der Politik des Freihandels wenig Vorteil, denn der Handel folgt nicht der Flagge – er folgt dem niedrigsten Preis. Das treue Kanada kauft dreimal soviel von den Vereinigten Staaten wie von Britannien. Selbst seine britischen Nationalflaggen kauft es in New York. Eine Erhöhung der Kaufkraft des britischen Volkes für heimische Erzeugnisse um 2 sh 6 d im Jahr würde den Markt um ebensoviel vergrößern, wie die ganze Ausfuhr nach China ausmacht; noch nicht 6 d auf den Kopf würde dem Gewinn gleichkommen. Ein Pfund auf den Kopf würde Britannien mehr neuen Handel verschaffen als seine gesamte Ausfuhr nach Indien und Süd- und Ostafrika zusammen, oder nach Kanada und Australien, China und Japan zusammen, oder nach den Vereinigten Staaten, Brasilien, Argentinien und Kanada zusammen und halb so viel wie der gesamte Ausfuhrhandel nach allen britischen Besitzungen, der 80 000 000 £ jährlich beträgt. Fielen die in den letzten fünf Jahren aufgelaufenen 28 000 000 £ Staats-Mehrausgaben fort, damit dieser Betrag im Lande für britische Erzeugnisse ausgegeben werden könnte, so würde dadurch ein neuer Markt von gleicher Bedeutung geschaffen, wie Kanada, Süd- und Ost- und Westafrika, das fremde Süd- und Ostafrika, Westindien, Ceylon und Hongkong zusammen genommen. Neue überseeische Gebiete als Märkte erwerben heißt um eines Schattens willen die Wirklichkeit verlieren – eine Jagd auf Regenbogen machen. Das Urteil ist dieser Politik gesprochen. Der Handel hat nicht zugenommen. Der wahre Staatsmann wird sein Augenmerk auf die Verbesserung der Verhältnisse im eigenen Lande richten, denn hier kann das größte Wachstum des britischen Handels am leichtesten herbeigeführt werden. Ein gewinnbringender inländischer Markt ist die stärkste Waffe, die gebraucht werden kann, um fremde Märkte zu erobern.

Hervorragende Redner sagen zuweilen, Britannien sei leicht besteuert. Im Vergleich zu Deutschland und der amerikanischen Union ist das gewiß nicht zutreffend, und diese Länder hat Britannien industriell am meisten zu fürchten. Ich will nicht behaupten, daß Britannien auf den Kopf gerechnet überhaupt so niedrige Steuern haben könnte wie die Vereinigten Staaten, aber der Umstand, daß dies nicht der Fall sein kann, ist ein weiterer Grund, die Hilfsquellen des Landes sorgfältig zu wägen.

Der Aufwand der britischen Regierung beträgt jetzt fast 3 £ auf den Kopf, der der Vereinigten Staaten 1 £ Die Angabe der Aufwendungen der Regierung der Vereinigten Staaten mit 1 £ auf den Kopf bezieht sich auf die Jahre vor dem spanischen Krieg. Steuern im Belaufe von 11 000 000 £ sind seitdem abgeschafft worden, was drei Schillingen auf den Kopf entspricht. Billigerweise muss indessen gesagt werden, dass die ordentlichen Verwilligungen des letzten Jahres grösser waren als vor dem Kriege, sodass die jährlichen Ausgaben ungeachtet der genannten Steuerverminderung heute etwas über 1 £ betragen werden. A. C., die Kosten des spanischen und südafrikanischen Krieges bei beiden nicht mit einbegriffen. Das ist für das Vereinigte Königreich eine Last von 80 000 000 £ im Jahr, fast 2 £ auf den Kopf, mit denen die 41 000 000 Briten im Handicap mehrbelastet sind. Es ist fast dreimal der gesamte unmittelbare Nutzen, der bei 12% auf die ganze britische Ausfuhr erzielt wird. Der Deutsche bezahlt nur £ 1. 7 sh. 6 d. auf den Kopf gerechnet. Hierbei ist offenbar nur das Reichsbudget in Betracht gezogen, das 1899/1900 etwa diesen Betrag auf den Kopf der Bevölkerung ergibt. Dazu treten aber die Budgets der deutschen Einzelstaaten mit einem ähnlichen oder selbst weit höheren Betrag, in einzelnen Ländern bis zu 60 und 70 M auf den Kopf, ferner in gewissem Masse auch die der Städte und Kommunalverbände (in den 30 Grossstädten 1899/1900 zwischen 18 und 46 M Steuerbelastung auf den Kopf), die zum Teil Ausgaben solcher Natur einschliessen, wie sie in England z. B. mit im Staatsbudget erscheinen. Um wirklich vergleichbare Grössen zu gewinnen, wären Art, Zusammensetzung und das gegenseitige Verhältnis der deutschen, englischen usw. Reichs-, Staats-, Provinz- und Gemeindebudgets erst genau zu prüfen, was hier, wie überhaupt eine wissenschaftliche Kritik der Ziffern des Verfassers, natürlich zu weit führen würde. Vermutlich dürfte dann dem Deutschen als Steuerzahler eine wesentlich andere Rangstellung zufallen, als ihm der Verfasser im Vergleich zum Briten und Amerikaner einräumt.

Das letzte Finanzjahr ließ der Republik nach der Bestreitung der ordentlichen Ausgaben sowie auch der Kosten des Philippinenkrieges einen Überschuß von 16 000 000 £. Daher die Steuerermäßigung im Belaufe von 11 000 000 £. Der Schatzsekretär kauft jetzt mit seinen Mehreinkünften Schuldscheine der Regierung auf. Der Vorrat an Gold war in der Schatzkammer nie so groß – er näherte sich kürzlich 100 000 000 £. Nachdem der britische Arbeitgeber und Arbeitnehmer die amerikanische Stufe der Produktionsbedingungen erreicht haben werden, wird Britannien in dem industriellen Wettrennen durch die große Steuerbürde, unter der seine gewerblichen Unternehmer im Vergleich mit Amerika arbeiten, gleichwohl noch in hohem Maße mehrbelastet bleiben. Der Verfasser meint, dieser Gesichtspunkt hätte in der Bestimmung der Weltpolitik eines Landes mit maßgebend, wenn nicht ausschlaggebend zu sein. Er wird sich den Staatsmännern bald aufdrängen.

Die Schuld der Vereinigten Staaten beträgt heute im ganzen nur 202 000 000 Dollar, auf die sie von 298 000 000 Dollar im Jahre 1880 gesunken ist. Es ist dies weniger als eine Million £ auf jeden Staat und zwar sind dabei die Tilgungsfonds, die in vielen Fällen die Schuld fast ausgleichen, außer Betracht gelassen. Der Amerikaner ist überraschend vorsichtig im Eingehen von Schulden, da den Staaten und Städten verfassungsmäßig verboten ist, gewisse Prozentsätze des Vermögensstandes zu überschreiten. Er befindet sich in dieser Beziehung in schroffem Gegensatz zum Kanadier und Australier.

Die Rückständigkeit Britanniens in elektrischen Maschinen und Ausrüstungsgegenständen, Kraftfahrzeugen und dergl. beruht auf dem natürlichen Beharrungsvermögen der Rasse. Die Franzosen sind eher geneigt, neue Dinge zu versuchen, und der Verfertiger begegnet dort einer Nachfrage im Lande selbst, die wie eben bemerkt für die Gewinnung fremder Märkte die sicherste Grundlage ist. Britannien kann seinen flinken Nachbar noch überflügeln – seine neuen Betriebsanlagen sollten den jüngsten industriellen Eindringling bald vertreiben; und dann wird die Ausfuhr beginnen. Es ist nicht immer der zuerst ansetzende, der zuerst ans Ziel kommt. Der Verfasser erwartet von Britannien, daß es hier bald in der ersten Reihe sein wird.

Die Heere Britanniens, das industrielle und das militärische, sind das nächste, was den Pessimisten beunruhigt. Ihre Erfolglosigkeit entspringt der selben Ursache: Weder das eine noch das andere hat in neuerer Zeit Feinde gehabt, die seines Stahles würdig gewesen wären, das industrielle bis jetzt überhaupt noch nie. Sowohl der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer haben noch viel von jener leichtfertigen Gleichgültigkeit, die das frühere Produktionsmonopol hervorgebracht hat. Das militärische Heer hat zivilisierten weißen Feinden seit mehr als einer Generation nicht mehr gegenübergestanden. Es hat sehr leicht ruhmvolle Siege gewonnen, indem es Tausende mit bloßem Speer bewaffnete Menschen niedergeschossen hat, was in den Siegern den gefährlichen Eindruck hervorrief, 25 000 Mann britischer Truppen könnten überall hinmarschieren und alles vollbringen. Beim ersten Versuch erwiesen sich die Methoden und die Ausrüstung als rückständig, ebenso diejenigen des industriellen Heeres. Für beide war die Arbeit nur ein Spiel. Der Verfasser (Hon. George Brodrick) von »einer Dilettanten-Nation« in der vorliegenden Zeitschrift, Oktober 1900, trifft den Nagel auf den Kopf. Es ist das selbe als wenn Arthur Balfour und Herbert Gladstone einen Vardon und Taylor herausfordern und sich einbilden wollten, sie könnten den Sieg davon tragen.

Aber noch ist nichts verloren. Die guten Eigenschaften der Rasse schlummern nur und sind noch vorhanden: Die unentwegte Ausdauer, der Ehrgeiz hervorzuragen, der Wille zu siegen oder zu sterben, sie alle sind da, es hat nur die Veranlassung gefehlt, sie zu geregelter Wirksamkeit auszubilden. Es braucht in der Industrie oder im Kriege nur ein ernstliches Mißgeschick einzutreten, der britische Handel tatsächlich von andern weggenommen zu werden oder soweit zurückzugehn, daß Betriebe eingestellt werden müssen und Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu der Überzeugung gelangen, es müsse entweder anders werden oder zu Ende gehn – oder es braucht nur die szepterführende Insel angegriffen zu werden, sodaß der bisher selbstzufriedene Offiziersdilettant in seinem militärischen Dasein statt eines bloßen Zeitvertreibs einen ernsten Beruf gleich dem der Marine erblicken und der Soldat gewahr werden wird, daß es gilt, statt Speeren Gewehren entgegenzutreten und zur Rettung des Vaterlandes zu siegen oder zu sterben: und die Welt wird – und vielleicht erst dann – sehen, welche Wunder die Rasse noch vollbringen kann, wenn sie nicht um eine schattenhafte Oberherrschaft über andere, sondern für die Heimat und das Vaterland ficht.

Das Blut hat sich nicht verschlechtert. Wie sich der britische Arbeiter entwickelt, sehen wir, wenn er in den Fabriken der Republik neben dem amerikanischen seinen Rock ablegt.

So ist denn die industrielle Lage, so düster sie auch erscheinen mag und so gefährlich sie leicht werden kann, heute doch nicht die Hauptquelle der Gefahr für Britannien, denn nach einem mehr oder weniger rauhen und in jeder Beziehung heilsamen Erwachen darf es dem Lande selbst überlassen bleiben, sich durch Annahme der von Arbeitgebern wie Arbeitern benötigten Änderungen zu retten – Änderungen, die innerhalb seiner Macht liegen und es in den Stand setzen werden, seinen Handel im Wettbewerb mit andern zu behaupten. Die finanzielle und politische Lage ist es vielmehr, die Beunruhigung verursacht. Es bedarf keines Propheten, um vorauszusagen, daß ein weiteres feindseliges Benehmen gegen andere Regierungen und Völker und eine fortgesetzte Erwerbung fremder Gebiete unter dem Vorwande natürlicher Reichs-Gründung die Macht der Nation bald zu sehr anspannen und ihrer Produktion Lasten auferlegen werden, welche sie unfähig machen müssen, den jetzigen Umfang ihres Handels und damit den finanziellen, kommerziellen und industriellen Vorrang Britanniens in der Welt (die Amerikanische Union hors concours) zu behaupten.

Wenn je ein Land klare und untrügliche Anzeichen dafür erhielt, daß die Zeit gekommen sei, wo es sich mit seinen Verpflichtungen und Bestrebungen auf der ganzen Welt endlich nach seinen Hilfsmitteln richten und seinen Rock nach dem Tuche schneiden müsse, so ist es wohl das liebe alte Mutterland unserer Rasse, mit seinem nicht mehr wachsenden Handel, dem Erfordernis seines Heeres von dreißigtausend Mann oder mehr in Südafrika, auch nach Eintritt des Friedens, und seinen anwachsenden Ausgaben und Steuern sowie seinen hochverzinsten, bereits das Kapital von jenseits des Ozeans heranziehenden Anleihen. Klippen vor uns, gewiß, aber das heißt doch nicht, daß die Offiziere des Staatsschiffes mit Volldampf auf sie loszufahren brauchen, sondern nur, daß man die Klippen, die nun in Sicht sind, vermeiden wird.

Von der vorzüglichsten Eigenschaft der Rasse – jenem den Leuten aller Parteien innewohnenden »heilsamen, gesunden Menschenverstand« – darf man erwarten, daß das gute Schiff Britannia in der Folge richtig und sicher steuern wird, um sich für die vielen langen und glücklichen Reisen, die ihm noch bestimmt sind, stark zu erhalten, nicht allein zu seinem eigenen Vorteil oder dem der englischsprechenden Rasse, sondern, wie der Verfasser von jeher zuversichtlich gehofft hat, zum Vorteil der Welt als Ganzes.

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