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Amerikanertum gegen Imperialismus.

I.

Aus mehrfachen gewichtigen Gründen sehe ich Besitzungen im fernen Osten als eine Last an, die unserer Republik nichts als Unheil bringt. Nur einer dieser Gründe soll indessen jetzt betrachtet werden – die Kriegsgefahr und die fast fortwährenden Kriegsgerüchte und Kriegsdrohungen, denen alle im fernen Osten interessierten Nationen ausgesetzt sind. Es vergeht kaum eine Woche, die nicht beunruhigende Gerüchte über drohende Feindseligkeiten oder neue Bündnisse oder Veränderungen von Bündnissen zwischen den zum künftigen Kampfe rüstenden Mächten bringt. Hauptsächlich diese Frage des fernen Ostens hält jede Schiffswerft, Geschütz- und Panzerfabrik der Welt Tag und Nacht, Sonn- und Wochentags mit der Herstellung von Zerstörungswerkzeugen beschäftigt. In jener Region wird das Gewitter erwartet, und dort wird der Sturm ausbrechen.

Es ist erst vier Jahre her, daß Japan China schlug und als Frucht des Sieges einen Teil chinesischen Gebietes überlassen bekam. Alsbald erschien auf der Bildfläche eine Vereinigung Frankreichs, Rußlands und Deutschlands, die Japan aus China hinaustrieb. Rußland nahm einen Teil der Beute für sich selbst, und Deutschland nahm später Gebiete dicht daneben. Japan bekam nichts. Britannien, das mächtigste von allen, stand neutral dabei. Hätte es sich entschlossen, Japan zu verteidigen, würde der größte je bekannte Krieg die wahrscheinliche Folge gewesen und das Gewitter ausgebrochen sein. Wäre die Frage heute zu entscheiden, so müßte man wahrscheinlich damit rechnen, daß Britannien Japan unterstützen würde.

Deutschland erhielt ein Zugeständnis in China, und sofort erschien Britannien, um Deutschland zu ersuchen, daß es in seinem ganzen chinesischen Gebiet die »offene Tür« aufrecht erhalten sollte; dasselbe Verlangen wurde an Rußland gestellt. Beide willigten gezwungenermaßen ein. Der ferne Osten ist eine Dynamitmine, die stets der Explosion ausgesetzt ist.

In diese Pulverkammer wünschen sich die Vereinigten Staaten zu begeben, um bei dem kommenden Kampfe mit die Hand im Spiele zu haben. Es ist augenscheinlich, daß dasselbe, was mit Japan hinsichtlich chinesischen Gebietes geschehen ist, mit den Vereinigten Staaten hinsichtlich ihres Gebietes, der Philippinen, aus dem nämlichen Grunde geschehen wird – weil der Gebieter überwältigend stark und das Opfer hoffnungslos schwach ist.

Das Stärkeverhältnis der um die Herrschaft im fernen Osten streitenden Mächte ist das folgende: Groß-Britannien hat 80 erstklassige Kriegsschiffe und 581 Kriegsschiffe überhaupt, Frankreich hat deren 50 und 403, Rußland 40 und 286, Deutschland 28 erstklassige und 216 im ganzen. Japan wird bald in gleichem Range mit Deutschland stehn, dort in unmittelbarer Nähe des Kriegsschauplatzes aber stärker sein.

Die Vereinigten Staaten beabsichtigen, mit 18 erstklassigen und 81 Schiffen im ganzen in die Zone der Gefahr einzutreten. Bei ihrer größeren Entfernung vom Schlachtfelde würde diese Flotte jedoch kaum höher als auf die Hälfte jener Zahl zu bewerten sein. Rußland ist 8000 Meilen, die andern Europäer sind ungefähr 9000 Meilen entfernt. Die Vereinigten Staaten liegen über das Kap und die Straits 15 000 bis 17 000 Meilen weit weg; der Weg über Europa beträgt etwa 12 000 Meilen, würde aber zu Kriegszeiten unbrauchbar sein, da die über Europa gehenden amerikanischen Schiffe geradenwegs ihren europäischen Feinden in die Hände fallen würden.

Die Heere der europäischen Nationen sind die folgenden: Das Heer Deutschlands auf dem Friedensfuße 562 352 Mann, auf dem Kriegsfuße 3 000 000 (dazu eine große bevorstehende Vermehrung); das Heer Frankreichs auf dem Friedensfuße 615 413, auf dem Kriegsfuße 2 500 000; das Rußlands auf dem Friedensfuße 750 944, auf dem Kriegsfuße 2 512 143. Alle Franzosen und Deutschen über 20 und alle Russen über 21 Jahre sind dem Militärdienst unterworfen. Sie sind in der Tat erst Soldaten, dann Bürger.

Es liegt auf der Hand, daß die Vereinigten Staaten keine Forderung irgend eines ihrer Wettbewerber bestreiten oder bekämpfen können, die durch die Neutralität der andern Mächte gesichert wird, wie das Beispiel Frankreichs, Deutschlands und Rußlands in bezug auf die Neutralität Britanniens lehrt. Sie können nicht alleinstehn. Was die »Saturday Review« sagt, ist wahr:

»Wir wollen offen sein und gerade heraussagen, daß wir von dieser Annäherung in materiellen Interessen gegenseitigen Gewinn erwarten. Die amerikanischen Bevollmächtigten in Paris führen ihre Unterhandlungen, gleichviel ob sie zum Ziele gelangen oder nicht, unter dem Schutz der Seemacht Englands, und wir werden für diesen Beistand ein materielles quid pro quo erwarten. Wir erwarten von den Vereinigten Staaten, daß sie mit Kanada in der Tarifangelegenheit großmütig verfahren, und wir erwarten, daß sich die Vereinigten Staaten unserer erinnern, wenn sie in den Besitz der Philippinen-Inseln gelangen, und vor allem erwarten wir ihren Beistand an dem bald nahenden Tage, wo die Zukunft Chinas zur Entscheidung kommt, denn der junge Imperialist hat einen Pfad betreten, wo es eines guten Freundes bedürfen wird, und eine dauernde Freundschaft zwischen den beiden Nationen kann nicht durch leere Sentimentalitäten auf offener Tribüne, sondern nur durch gegenseitige Vorteile in soliden materiellen Interessen gesichert werden.«

Bischoff Potter hat kürzlich gesagt, daß wir das Werkzeug Britanniens werden müssen, wenn wir uns auf den Kampfplatz wagen, und das ist wahr. Dank Britanniens Neutralität und dank ihr allein durften wir Spanien die Philippinen überhaupt wegnehmen. Andernfalls würden Frankreich, Deutschland und Rußland nie neutral geblieben sein, und der verlangte Preis ist vom Präsidenten Mc. Kinley zu zahlen gewesen – die »offene Tür«, die den Handel unserer Besitzungen Britannien sichert. Nichts ist bezeichnender gewesen als die Äußerung des Senators Davis, des Vorsitzenden des Senatsausschusses für auswärtige Angelegenheiten, dessen Tüchtigkeit, Einfluß und Stellung gleich hervorragend sind. Er sagt:

»Ich befürworte einen die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Japan umfassenden Bündnisvertrag zum Schutze aller ihrer Interessen nördlich des Äquators. Der Rest der Welt würde eine heilsame, mit Achtung gleichbedeutende Furcht vor uns haben.«

Aus alledem ist zu entnehmen, daß in derselben Weise, wie uns Britannien erlaubte, Spanien die Philippinen zu nehmen, auch unsere Stellung im Osten von seiner beständigen Unterstützung oder einem Bündnis mit ihm abhängt – für unsere Republik meines Erachtens eine ziemlich demütigende Stellung. Sehen wir aber, wie es sich mit Bündnissen näher verhält. Können wir uns auf ein Bündnis verlassen? Die Verbindungen der Nationen wechseln in Europa mit beängstigender Schnelligkeit. Frankreich und Britannien fochten gemeinsam im Krimkrieg. Sie nahmen Sebastopol wie wir Manila nahmen. Ihre Flaggen wehten dort zusammen, aber sie dachten nicht daran, daß ihnen diese Tatsache Anspruch auf Land gäbe. Heute bilden Rußland und Frankreich ein festes Bündnis gegen Britannien und andere Länder. Deutschland bekämpfte Österreich, heute sind sie zusammen im Dreibund. Italien schlug im Bunde mit Frankreich die Schlacht von Solferino, heute ist Italien ein Glied des Dreibundes gegen Frankreich. Europa ist ein Kaleidoskop, in dem Bündnisse wechseln, sich auflösen, wieder entstehen und mit den vorübereilenden Vorgängen wieder andere Formen annehmen. Während der letzten Woche hat sich die bittere Feindschaft, die infolge der deutschen Einmischung in Transval kürzlich zwischen Deutschland und Britannien herrschte, geändert und es wird verkündet, »daß sie in vielen Punkten zusammen gehen und hoffen, in Zukunft immer mehr zusammen zu wirken«. Heute ist die Frage: Sollen sich Frankreich und Deutschland zu gewissen gemeinschaftlichen Zwecken verbinden? Dies würde noch vor kurzer Zeit aufgefallen sein, die Staatsmänner werden sich aber erinnern, daß sich Deutschland und Frankreich mit Rußland bereits verbanden, um Japan aus China zu treiben. Es gibt kein Bündnis, selbst nicht das anscheinend unpassendste, das nicht geschlossen werden kann und geschlossen wird, um den unmittelbaren Interessen oder Begierden von Nationen zu dienen. Den Senator Davis scheint der Gedanke eines Bündnisses seines Vaterlandes mit Britannien und Japan zu befriedigen. Hätte er heute sein Bündnis, so könnte es morgen vielleicht nicht mehr das Papier wert sein, auf das es geschrieben wurde.

Ich meine daher, kein Amerikaner sollte sein Land in eine Lage bringen, die es nicht in ausschließlichem Vertrauen auf seinen eigenen starken Arm behaupten kann. Augenblicklich ist auf seinen Arm nicht viel Verlaß; seine 81 Kriegsschiffe sind zu wenig, um in Betracht zu kommen, und was sein Heer angeht – was sind seine 56 000 Liniensoldaten? Seine Freiwilligen werden ja entlassen. Seine Flotte sowohl wie sein Heer sind nur zu einem gut – von irgend einer der stärkeren Mächte mit Leichtigkeit gefangen und vernichtet zu werden. Auf den Schutz Britanniens, und auf ihn allein, haben wir uns im fernen Osten zu verlassen – auf einen dünnen Faden fürwahr! In dem Flugsand der Bündnisse sollen wir unsere einzige Grundlage haben.

Der Verfasser gehört nicht zu denen, die glauben, die Republik könnte nicht stark genug werden, um allein zu marschieren, ihre eigene Macht aufrecht zu erhalten und für sich allein selbst eine gebietende Macht und nicht nur der schwache Schützling einer tatsächlich gebietenden Macht zu sein. Um aber eine gebietende Macht zu werden, muß sie tun, was gebietende Mächte tun – eine Flotte schaffen, die der Flotte jeder andern Macht gleich ist und Hunderttausende regulärer Truppen besitzen, die mit der Flotte zusammen wirken.

Wenn sich die Republik ausschließlich und unausgesetzt der Beschaffung einer etwa der Britanniens gleichkommenden Flotte widmet, wozu sie genötigt sein wird, um nicht der Gnade stärkerer Mächte preisgegeben zu sein, so wird dies die Arbeit von mehr als 20 Jahren erfordern, die Erbauung von 20 Schiffen jährlich angenommen, während unsere Flotte bisher nur um sechs jährlich vermehrt worden ist. Um die Leute zu bekommen, diese Schiffe zu bemannen, muß sie die Mittel beschaffen, sie auszubilden. Daß sie es tun kann, steht außer Frage; daß der Amerikaner zu Wasser und zu Lande dem Manne jeder andern Nation mindestens gleichkommt, ist nicht zu bestreiten. Mehr als das, ich kenne den amerikanischen Arbeiter, insbesondere den Maschinenarbeiter, als den geschicktesten, gewandtesten der Welt – und Siege zur See hängen ebenso sehr von den Maschinisten unter dem Deck ab, wie von den Feuerwerkern oben, und auch die amerikanischen Feuerwerker sind ohnegleichen. Es war für mich keine Überraschung, daß die amerikanischen Kriegsschiffe diejenigen Spaniens ohne Verlust zum Sinken brachten. Den letzten Winter verlebte ich im Auslande in Gesellschaft hervorragender Leute europäischer Nationen, die in Cannes zusammen kommen. Sie hegten allgemein die Überzeugung, daß die spanische Flotte eine Zeitlang über uns Herr bleiben würde, obgleich zugegeben wurde, daß die überlegenen Hilfsmittel der Vereinigten Staaten diesen schließlich den Sieg sichern müßten. Sollten jemals Kriegsschiffe in der Welt denjenigen der amerikanischen Flotte begegnen, sagte ich damals, würden die fremden Kriegsschiffe zu Grunde gehen – aus zwei Gründen, erstens weil unsere Schiffe die neuesten und best ausgerüsteten wären und zweitens, weil ich wüßte, was für Leute hinter den Geschützen ständen. Wenn je die Republik ihre industriellen Ideale fallen läßt und auf den Standpunkt der Kriegsideale Europas herabsteigt, wird sie dort hervorragen, daran hege ich keinen Zweifel. Der Mensch, den unser anregendes Klima hervorbringt, ist der zäheste, rascheste, gewandteste aller Menschen, und das Organisationstalent ist im Amerikaner in größerer Vollkommenheit vorhanden, als in irgend einem anderen. Was ich aber zur Erwägung gebe, ist der Umstand, daß die Republik heute ein Schwarm Industrieller ohne eine angemessene Flotte und ohne Soldaten ist, daß sie darum einen Beschützer haben muß und daß sie im Osten, wenn sie dort auftreten soll, in keiner Beziehung eine gebietende Macht sein kann. Der Imperialismus setzt voraus, daß eine See- und Heermacht dahinter steht. Geistige Kraft, Bildung, Zivilisation sind nicht der Rückgrat des Imperialismus; es sind die geistigen Kräfte, die die höhere Zivilisation, das Amerikanertum ausmachen. Die Grundlage des Imperialismus ist rohe körperliche Gewalt, die Bekämpfung der Menschen mit materiellen Kampfmitteln, Kriegsschiffen und Geschützen.

Der Verfasser des zuerst in der »North American Review« erschienenen »A Look Ahead« steht sicher nicht in dem Argwohn, dem Zusammenschluß der englisch sprechenden Rasse feindlich zu sein. Es ist dies mein Traum und eine der Bewegungen, die mir am meisten am Herzen liegen. Seit vielen Jahren weht von meiner Sommerwohnung in meinem Heimatlande eine Flagge, die zusammengenäht die Felder des Sternenbanners und der englischen Nationalflagge enthält – die erste Flagge dieser Art, die je gesehen wurde. Sie wird dauernd dort flattern und die Winde werden weiter die Beiden in liebender Umarmung umwehen. Ich befürworte aber nicht ein formales Bündnis wie das vom Senator Davis gewünschte; ich baue im Gegenteil auf das »Herzensbündnis«, das heute glücklicherweise besteht. Bündnisse kriegführender Mächte entstehen und vergehen mit den Fragen, die sich von Zeit zu Zeit erheben. Der Patriotismus der Rasse liegt tiefer und wird durch die Wellen an der Oberfläche nicht gestört. Die gegenwärtige Aera guten Einvernehmens zwischen den alten und den neuen Ländern bedeutet, daß die Heimat von Shakespeare und Burns nie überfallen werden wird, ohne daß sich auch andere als eingeborene Briten zu ihrer Verteidigung finden würden. Sie bedeutet, daß das Riesenkind, die Republik, von einer Vereinigung anderer Rassen nicht angegriffen und bedroht werden wird, ohne daß der alte Löwe ein Knurren vernehmen läßt, das die Erde erschüttern wird. Sie soll aber nicht bedeuten, daß sich das alte oder neue Land bindet, dem andern in allen seinen Plänen daheim oder draußen zu helfen, sondern daß die Republik der Freund aller Nationen und der Verbündete keiner bleibt und daß sie, die heute von allen fremden Verwickelungen frei ist, es nicht unternehmen wird, Britannien beizustehen, wenn es mit solchen zu tun hat. Man denke zum Beispiel an Rußland. Erst letztes Jahr drängten leitende Staatsmänner Britannien, gegen dieses Land zu Felde zu ziehen. Sie wollten seine berechtigte Ausdehnung nach dem stillen Ozean hindern – berechtigt, weil sie zusammenhängendes Gebiet ergreift, welches Rußland aufsaugen und russisch machen kann, um seine Herrschaft zu befestigen. Rußland weis besseres zu tun, als auswärtige Besitzungen zu haben, die Angriffen ausgesetzt sind. Rußland ist immer der Freund der Vereinigten Staaten gewesen. Als Lord Palmerston, der Premierminister Großbritanniens, die Südstaaten anerkennen wollte, sandte Rußland seine Flotte nach Newyork. Rußland verkaufte uns Alaska. Wir haben keine denen Rußlands entgegengesetzte Interessen; die beiden Nationen sind die einzigen beiden großen Nationen in der Welt, die fest, einheitlich, uneinnehmbar sind, weil sich jede nur über zusammenhängendes Gebiet ausgebreitet hat, auf dem die eigene Rasse gedeihen kann. Auch was den Handel mit Rußland angeht, wächst unsere Ausfuhr mit wunderbarer Schnelligkeit. Schiffsladungen amerikanischer Lokomotiven, amerikanischer Stahlbrücken und amerikanischer elektrischer Maschinen gehen von unseren Küsten nach Rußland. Alles, worin unser Land hervorragt oder hervorragend wird, geht nach Rußland. Gesetzt, Britannien und Rußland gerieten im fernen Osten in Streit und wir hätten ein Bündnis mit Britannien, so würden wir uns gegen einen unsrer besten Freunde im Kriege befinden.

Die Schwesterrepublik Frankreich und unsre eigene sind von Anfang an nahe Freunde gewesen. Die Dienste, die uns Frankreich während der Revolution erwiesen hat, mögen vergessen sein, sollten aber den Amerikanern in der Erinnerung bleiben. Daß manche Interessen in Frankreich mit Spanien sympathisierten, war nur natürlich. Die Finanzwelt Frankreichs besaß die spanische Schuld. Die Religion Frankreichs ist die Religion Spaniens. Die Feinde der französischen Republik ergriffen für die Monarchie Partei. Aber das kann ohne Gefahr eines Widerspruches behauptet werden, daß diejenigen, die in Frankreich regieren, als Freunde zu unsrer Republik standen und daß unsere Feinde in Frankreich auch die Feinde der französischen Regierung waren. Ein Bündnis mit Britannien und Japan würde uns möglicherweise zu einem Feind Frankreichs machen. Ich möchte kein Bündnis schließen, das dazu führt. Ich möchte nicht mit irgend welcher Macht unter irgend welchen denkbaren Umständen ein Bündnis schließen; ich möchte die Republik den Freund aller Mächte bleiben sehen. Das ist ihre Politik von Anbeginn an gewesen und sollte es bleiben.

Wenn »die Welt vor uns eine heilsame, mit Achtung gleichbedeutende Furcht haben soll«, wie es Senator Davis wünscht, wird dies für die Republik kein guter Tag sein. Besser erscheint es mir, an der Forderung Washingtons festzuhalten und die »Freunde aller Nationen« zu sein – eine heilsame Freundschaft statt einer »heilsamen Furcht«.

Ich habe darauf hingewiesen, daß zwischen dem Beschützer und seinem Schützling Schwierigkeiten entstehen können, ich möchte aber nicht so verstanden werden, als ob ich glaubte, daß ein tatsächlicher Krieg zwischen ihnen möglich wäre. Weit entfernt davon, bin ich der Meinung, daß zwischen den beiden Zweigen der englisch sprechenden Rasse niemals ein tatsächlicher Krieg vorkommen wird. Sollte der eine Grund zur Beschwerde haben, würde der andere schiedsrichterliche Entscheidung anbieten, und keine Regierung könnte auf der einen oder anderen Seite bestehen, die dies Anerbieten zurückwiese. Die mächtigste, je in Britannien bekannte Regierung war die Lord Salisburys, als Präsident Cleveland mit Recht einen Schiedsspruch in der venezolanischen Angelegenheit verlangte. Wie allgemein bekannt ist, hatte Mr. Gladstones Regierung dem schiedsrichterlichen Verfahren zugestimmt. Lord Salisbury erkannte die Vereinbarung, nachdem er zur Macht gelangt war, nicht an. Lord Salisbury lehnte das Ersuchen des Präsidenten Cleveland ab, und was war die Folge? Manche Uneingeweihte in den Vereinigten Staaten glauben, daß er durch die Haltung der Vereinigten Staaten gezwungen wurde, seine Weigerung zurückzuziehen und des Präsidenten Cleveland Wunsch zu entsprechen. Dies traf nur zum Teil zu. Der Zwang, seine Entscheidung ins Gegenteil zu verändern, ging von den Kreisen in Britannien aus, auf die er sich stützte. Es ist dies ein öffentliches Geheimnis. Die Namen der ihm am nächsten stehenden Machthaber, die für Präsident Cleveland Partei ergriffen, lassen sich aufführen, die veröffentlichten Kabeldepeschen genügen aber. Der Thronerbe und der künftige Thronerbe kabelten, daß sie hofften und erwarteten, die Frage würde friedlich geregelt werden. Daß hinter diesen Kabeldepeschen die Königin selbst, die Freundin der Republik stand, steht außer Zweifel.

Über den Gedanken eines tatsächlichen Krieges zwischen Großbritannien und der Republik kann man hinweggehn, wie über etwas, was nicht in Betracht kommt; was man aber zu befürchten hat, ist das folgende: die Neutralität Britanniens – die heute sogar von anderen Mächten gewünscht wird – in dem Falle, daß ihm sein Schützling Ärgernis verursachen oder undankbar erscheinen und sich für den dem Schwächling gewährten Schutz nicht voll erkenntlich zeigen sollte. Es bedurfte nicht feindseliger Handlungen Großbritanniens, um Japan in seinen Plänen aufzuhalten und aus seinem Besitz zu drängen, sondern nur des einfachen Entschlusses, sich nicht zugunsten Japans einzumischen. Hätte Japan Britannien befriedigende Vorteile zu bieten gehabt, dürfte es dessen Unterstützung wohl gefunden haben. Die Grundlage auf der in Europa Bündnisse geschaffen werden, ist der beide Teile zufriedenstellende Tausch; jede europäische Nation hat ihren Preis, und jede von ihnen hat etwas, was die andere begehrt. Frankreich könnte Britannien freie Hand in Ägypten lassen, Deutschland könnte mit Britannien in der Erwerbung der Delagoa-Bai zusammengehn und den Sorgen in Transvaal ein Ende machen. Dies ist etwas, was Britannien herzlich begehrt Rußland könnte Britannien eine erwünschte Grenze in Indien geben. Diese Nationen sind sämtlich in ihren Interessen und Wünschen auf einander angewiesen und niemand kann voraussagen, welche Bündnisse man brechen und was für welche man schliessen wird – alles ist eine Frage der eignen Interessen. Die Vereinigten Staaten befinden sich nicht in ähnlicher Lage. Sie haben wenig Wünschenswertes im Austausch gegen ein Bündnis zu bieten und würden aller Wahrscheinlichkeit nach den Zielen ihrer stärkeren Nebenbuhler zum Opfer fallen – wenigstens könnte dies geschehen, da sie selbst machtlos sind.

Wenn ein Staatsmann die Stellung und Interessen seines Landes in Händen hat, ist es seine ernste Pflicht, sich nicht mit Dingen, wie sie künftig sein sollen, sondern mit den Dingen wie sie gegenwärtig sind, zu befassen. Der Traum der Vereinigung der englischsprechenden Rasse, dem vielleicht keiner lieber nachhängt, als der Verfasser, selbst dieser bestechende Traum ist nur als ein Traum zu nehmen. Das »Parlament der Welt, der Staatenbund der Welt« wird sicher kommen. Der Beobachter der Entwicklung hegt keinen Zweifel darüber, daß sich die höchsten Ideale nicht durch unsre eignen äußeren Handlungen, sondern aus jener Tendenz heraus verwirklichen, die in unserm Innern nach Rechtlichkeit strebt. Derjenige ist aber kein Staatsmann, sondern nur ein Träumer, der seine Hoffnungen Tatsachen gegenübersetzen will, und wer den Vereinigten Staaten, wie sie heute dastehen, den Rat gibt, in den bevorstehenden Kampf im fernen Osten einzutreten und sich auf irgend ein mit einer oder allen Mächten abzuschließendes Bündnis zu verlassen, erscheint ungeeignet, die Politik der Republik zu gestalten oder ihre Geschicke zu lenken.

Man betrachte nur ihre feste, einheitliche, uneinnehmbare Stellung. Wenn sich alle Seemächte zusammentäten, um die Republik anzugreifen, was würde dann deren Antwort sein? Sie würde ihre Häfen mit Minen füllen; sie würde ihre Kriegsschiffe hinter diese zurückziehen, bereit, herauszuschnellen, wenn sich eine günstige Gelegenheit zum Angriff bietet. Und sie würde in der Verzweiflung noch mehr tun: Sie würde ihre Häfen unzugänglich machen – ein paar versenkte, belastete Leichter würden dazu genügen – und alle Mächte der Welt wären dann außer Stande, ihr großen Schaden zuzufügen. Nur der Saum würde gestört werden, das von ihm eingefaßte große Reich würde dagegen den Angriff kaum spüren.

Die Republik würde durch die Schließung der Häfen den hauptsächlichsten Mächten einen viel größeren Schaden bereiten, als ihr selbst verursacht werden könnte, denn die Nichtausfuhr amerikanischer Nahrungsmittel und Baumwolle würde für Britannien Hunger und Not bedeuten und es in höherem Maße schädigen, als Verluste in Schlachten. Selbst für Frankreich und Deutschland würden die Folgen einer solchen Einstellung der amerikanischen Ausfuhr bedenklicher sein als die Wirkungen eines gewöhnlichen Krieges. Binnen kurzer Zeit müßten die Mächte erkennen, wie nutzlos der Versuch war, diese in sich selbst abgeschlossene Republik, deren Besitz gleichsam innerhalb einer sicheren Umzäunung liegt, ernstlich zu schädigen.

Das Nationalvermögen würde während der Einschließung weniger schnell wachsen, aber das wäre alles. Unser auswärtiger Handel würde leiden, er ist aber gering, nicht mehr als 4 vom Hundert unseres Binnenhandels. Kein Sachverständiger schätzt den jährlichen inneren Warenaustausch unseres Volkes auf weniger als 50 000 Millionen Dollar; Ein- und Ausfuhr haben noch nie ganz 2000 Millionen Dollar erreicht. Die jährliche Zunahme des Binnenhandels wird für sich allein ungefähr gleichhoch veranschlagt wie unser ganzer Außenhandel, Ein- und Ausfuhr zusammengenommen. Es würde wohl Arbeit verdrängt werden, aber die neue Nachfrage nach solcher infolge des neuen Standes der Dinge würde sie voll wieder unterbringen. Wir würden aus der Sperre ohne ernsten Schaden hervorgehen. Soviel in betreff der Unüberwindlichkeit der Republik. Das Glück ergießt sich heute über sie. Zum erstenmal in ihrer Geschichte ist sie das größte Exportland der Welt, selbst die Ausfuhr Britanniens ist geringer als die ihre. Ihre Erzeugnisse überschwemmen alle Länder, ihre kommerzielle Entfaltung erfolgt in Sprüngen und Sätzen. Newyork ist der finanzielle Mittelpunkt der Welt geworden. Nicht mehr London ist es heute, sondern New York. Dieser Rang darf zwar noch nicht als dauernd verbürgt gelten, wird sich aber bald befestigen, wenn die Republik nicht durch den Imperialismus in europäische Kriege verwickelt wird. Die Arbeit steht in unserm Lande bei den höchsten in der Welt bezahlten Löhnen in Nachfrage; die industrielle Oberhoheit der Welt liegt in unsrer Hand. Zwei Fragen harren der Entscheidung des amerikanischen Volkes: Erstens, sollen wir, wie wir es sind, fest, einheitlich, unüberwindlich, republikanisch, amerikanisch bleiben? Oder zweitens, sollen wir unter den Schutz Britanniens kriechen, und, wie Bischof Potter sagt, dessen Werkzeug werden, um nach dem Phantom des Imperialismus haschen zu können?

Wird das letztere gewählt, so müssen wir uns dann vergegenwärtigen, daß wir uns für die neue Arbeit, die uns der Imperialismus auferlegt, zunächst in Ruhe vorzubereiten haben.

Wir brauchen ein großes reguläres Kriegsheer geschulter Soldaten. Der Versuch, regulären Truppenmassen mit Freiwilligen entgegen zu treten, ist zwecklos – dies haben wir herausgefunden. Nicht etwa, als ob Freiwillige Leuten von dem Schlage, der sich für Bezahlung zum regulären Heeresdienst einfach anwerben läßt, nicht überlegen wären, wenn sie sich anwerben und ausbilden lassen würden, sondern eben weil sie nicht ausgebildet werden. 38 000 Mann mehr sollen ins reguläre Heer eingestellt werden; aber es ist leicht, »Geister aus der ungeheuerlichen Tiefe zu rufen« – vielleicht kommen sie nur nicht. Die gegenwärtige gesetzliche Stärke des Heeres ist 82 000 Mann; wir haben aber nur 56 000, wie der Präsident in seiner Botschaft sagt. Warum füllen wir nicht erst diese Lücke aus, anstatt Gesetze für die Anwerbung von mehr Leuten zu verlangen? Weil die Arbeiter gut beschäftigt und in manchen Staaten Leute heute schwer zu haben sind; weil die Leute, die sich jetzt anwerben lassen, wissen, wozu sie gebraucht werden und jene Arbeit nicht das ist, was man von amerikanischen Soldaten bisher verlangt hat. Sie haben nie ihr eigenes Land zu verlassen und noch weniger Leute niederzuschießen gehabt, deren einziges Verbrechen gegen die Republik darin bestand, daß auch sie, wie wir selbst, die Unabhängigkeit ihres Landes wünschten und an die Unabhängigkeitserklärung, an das Amerikanertum glaubten. Der Präsident wird vielleicht nicht die Soldaten bekommen, die er wünscht und die wir haben müssen, wenn er mit seinem Imperialismus nicht Schiffbruch erleiden soll. Wir haben allen Grund zu bezweifeln, ob unser Heer ohne eine große Erhöhung der Löhnung, vielleicht ohne Zwangsaushebung, auch nur auf 100 000 Mann gebracht werden kann. Sicherlich müssen wir aber, bevor wir im fernen Osten erscheinen, ein großes reguläres Heer haben.

Das zweite unbedingte Erfordernis ist eine Flotte, die, wenigstens in gewissem Grade, den Flotten der anderen im Osten beteiligten Mächte entspricht. Wir können sie in 20 Jahren vielleicht haben, wenn wir es betreiben, dies bedeutet aber die Erbauung von 20 Schiffen im Jahre. Die Beschaffung geschulter Leute zu ihrer Besatzung wird eine ebenso schwierige Aufgabe sein wie die Erbauung der Schiffe.

Erst wenn wir so ausgerüstet sind, und nicht eher, werden wir in der Lage sein, »durch die alleinige Macht unseres von keinem Herrn abhängigen Willens« Land im fernen Osten zu nehmen und zu behaupten, wie wir es behaupten müßten, wenn wir es überhaupt behaupten wollen. Uns jetzt, ohne Heer und Flotte, im Vertrauen auf die trügerische, veränderliche Grundlage der »Protektion« oder »Neutralität« oder »Allianz« eines andern in den Strudel zu stürzen, hieße sich um eine Niederlage und eine solche Demütigung bewerben, wie sie selten das Los einer Nation gewesen ist, auch nicht der ärmsten und der am wahnsinnigsten oder törichtsten regierten. Es wäre wider den gesunden Menschenverstand.

Damit bin ich am Ende des Gegenstandes, über den ich schreiben wollte, es bleibt aber die praktische Frage übrig: »Was sollen wir mit den Philippinen tun?« Sie sind nicht unser, wenn der Senat den Vertrag nicht billigt; aber angenommen, er wird es tun, so erhebt sich dann jene Frage.

Sie ist am besten durch eine andere zu beantworten: »Was haben wir mit Kuba zu tun versprochen?« Die beiden Fälle sind einander so ähnlich, wie es derartige Fälle gewöhnlich sind. Wir trieben Spanien sowohl aus Kuba wie aus den Philippinen. Unsere Schiffe liegen in den Häfen beider. Der Insel Kuba erneuert der Präsident in seiner Botschaft die vom Kongreß gegebene Bürgschaft – es soll ihr geholfen werden, »in einem möglichst baldigen Zeitpunkte eine freie und unabhängige Regierung« zu bilden.

Die zauberwirkenden Worte »frei und unabhängig« werden von dem Volke Kubas freundlich aufgenommen und unsere Soldaten werden als Befreier begrüßt werden. So sicher ist dessen unsere Regierung, daß nur die Hälfte der für Kuba bestimmten Truppenzahl hingeschickt werden soll.

Selbst wenn wir versucht sein sollten, mit unserer Bürgschaft ein falsches Spiel zu treiben, wie es die Feinde der Republik in Europa von uns voraussagen, so wird doch das Streben eines Volkes nach Unabhängigkeit selten unterdrückt. Es gibt eine große Zahl Amerikaner, und darunter die besten, die empört sein würden, wenn unsere Soldaten gegen die Kubaner Verwendung fänden und diese um das, was ihnen versprochen worden war, zu kämpfen hätten. Die letzten Nachrichten, die ich von Kuba habe, sind aus einer guten Quelle. Diese Notwendigkeit wird danach wahrscheinlich nicht eintreten. Kuba wird bald eine Regierung bilden, und, ich betone diese Weissagung, die Einverleibung verlangen. Die Grundeigentümer Kubas, die die neue Regierung kontrollieren werden und viele Amerikaner, die sich mit ihnen an den dortigen Besitzungen beteiligen, werden darauf abzielen. »Zollfreier Zucker« bedeutet Reichtum für sie alle. Werden die Vereinigten Staaten Kuba aufnehmen? Das ist zweifelhaft. Aber Kuba braucht uns nicht sehr zu beunruhigen. Es ist dabei kein Imperialismus vorhanden – keine Gefahr auswärtiger Kriege.

Warum wäre nun die für die Insel Kuba angenommene Politik nicht auch für die Philippinen-Inseln die richtige? General Schofield meint, daß dort 30 000 Mann erforderlich sein werden, da wir möglicherweise »sie zu verhauen« haben werden. Und dies eine Aufgabe für Amerikaner! General Miles glaubt, 25 000 würden genügen. Wenn wir ihnen versprechen, was wir Kuba versprachen, würde, wie bei Kuba, die Hälfte der Zahl ausreichen – wahrscheinlich noch weniger – und es würde uns die unsympathische Aufgabe erspart bleiben, Leute niederzuschießen, die keines Vergehens gegen uns schuldig sind.

Wenn wir betonen: »Die Sklaven sind unser, weil wir sie gekauft haben« und ihnen nicht sagen, daß wir nicht als Sklavenaufseher, sondern als Freunde kommen, um ihnen zur Unabhängigkeit zu verhelfen, so werden wir ohne Zweifel »sie zu verhauen« haben. Es wird sehr zu Gunsten der Filipinos sprechen, wenn sie sich tatsächlich dagegen auflehnen, »wie Vieh gekauft und verkauft zu werden«. Sie könnten schwerlich einen besseren Beweis ihrer Tauglichkeit zur Selbstregierung liefern.

Kuba steht unter dem Schutze der Monroe-Doktrin; keine fremde Einmischung ist dort möglich. Man stelle die Philippinen unter ähnliche Bedingungen, bis sie eine ständige Regierung haben und den 8 000 000 Bewohnern dann ihre eigene Beschützung anvertraut werden kann. In Wirklichkeit würde es keine Macht auf die Feindschaft von 8 000 000 Leuten ankommen lassen, die die Hoffnung der Unabhängigkeit gekostet haben. »Frei und unabhängig« sind zauberwirkende, nie vergessene und selten ohne Verwirklichung bleibende Worte.

Nur ein einziger Einwand kann gegen diese Politik erhoben werden: sie sind nicht fähig, sich selbst zu regieren. Erstens ist das nicht bewiesen. Man sagte es von jeder der 16 spanischen Republiken, als sie von Spanien losbrachen; man sagte es noch innerhalb unserer Generation von Mexiko; es war die Ansicht der Briten über uns selbst. Nach der Meinung des Verfassers wohnt diesem Einwand wenig Kraft inne. Ich habe im fernen Osten die Dorfgemeinden Indiens besucht, um selbst da ein 2000 Jahre zurückreichendes System der Selbstregierung zu finden. Kein Land, auch nicht das rückständigste, entbehrt einer Regierung und gewisser »Rangordnungen und Grade« der Menschen. Der Stammeshäuptling und andere von weniger Ansehen werden oft von den Stammesangehörigen gewählt. In den wilden Ländern der Afridis – eines Stammes in Indien, der soeben 70 000 Soldaten, einheimische und britische, das größte dort je versammelte Heer, zu Schanden gemacht hat – gibt es ein System der Selbstregierung und ein sehr strenges. Menschliche Gemeinwesen können nicht bestehen, ohne in größerer oder geringerer Vollkommenheit als Regel Frieden und Ordnung einzuführen.

Die Filipinos stehen keineswegs auf der niedrigsten Stufe – weit entfernt davon; auch stehen sie nicht viel tiefer als die Kubaner. Sich selbst überlassen, werden sie Irrtümer begehen, aber welche Nation tut dies nicht? Aufruhr und Blutvergießen mögen ausbrechen – in welcher Nation fehlen sie? Sicherlich nicht in der unsrigen. Das schließliche Ergebnis wird aber notwendig eine dem Volke besser angepaßte Regierung sein als irgend eine, die unsere Soldaten und ihre Offiziere je geben könnten.

So allein kann die Republik ihrer Bürgschaft, daß das Schwert nur für die Sache der Menschlichkeit und nicht zu Gebietserweiterung gezogen wurde, und den wesentlichen Grundsätzen treu bleiben, auf denen sie selbst beruht: daß »die Regierung ihre gerechten Machtbefugnisse von der Zustimmung der Regierten ableitet«, daß die Flagge, wo immer sie auch weht, »die Gleichheit der Bürger«, »das Vorrecht des einen als das Recht aller« verkünden soll, daß »alle Menschen gleich geschaffen sind«, daß unter ihrer Herrschaft nicht nur ein Teil vollberechtigte Bürger und ein Teil rechtlose Untertanen, Freie und Knechte, sondern daß alle Freie sein sollen. Dies zur Antwort auf die Frage: Amerikanertum gegen Imperialismus.

II.

In der Januarnummer der »Review« habe ich die Gefahr auswärtiger Kriege und Verwickelungen als einen der verschiedenen schwerwiegenden Gründe erörtert, die dagegen sprechen, daß die Republik von ihrer bisherigen Politik, die sie auf ihrem eigenen Kontinent fest und geschlossen erhalten hat, abgeht, um die Unterwerfung und Beherrschung fremder Rassen in den Tropen zu unternehmen. Betrachten wir jetzt einen der Gründe, die für ein solches Verlassen der bisherigen Politik geltend gemacht werden – den einzigen, dem Lebenskraft innewohnt, denn die beiden andern, einst so sehr betonten sind bereits gewelkt und werden überhaupt kaum mehr ins Feld geführt. Jene beiden Gründe waren die »Ausdehnung des Handels« im Frieden und die »Steigerung der Macht« im Krieg. Der erstere verlor seine Kraft, als der Präsident von Großbritannien gezwungen wurde, als Preis für dessen Hilfe die »offene Tür« zu gewähren; denn die »offene Tür« einem dem betr. Absatzgebiete näher benachbarten Fremden gewähren bedeutete die »geschlossene Tür« für die Boden- und Bergbau-Erzeugnisse des eigenen Landes. Es gab nie und kann nie auf den Philippinen einen Handel geben, der wert wäre, daß darum gestritten würde, aber das wenige, was es an Handel dort gibt oder geben kann, ist aus der Hand gegeben worden. Als unser Volk Deweys Flotte statt von unserem eigenen fruchtbaren Lande von Australien aus verproviantiert sah, sank der Anspruch auf jede dort mögliche Ausdehnung des amerikanischen Handels in sich selbst zusammen.

Der zweite Grund, daß nämlich die Republik als Kriegsmacht gestärkt werden würde, behauptete das Feld nicht einmal so lange wie derjenige der Ausdehnung des Handels, denn es war augenscheinlich, daß entfernte Besitzungen unseren Feinden im Kriege nur verwundbare Angriffspunkte bieten würden, die bisher gefehlt hatten. Als eine feste Masse, ohne auswärtige Besitzungen, ist die Republik praktisch unangreifbar. Sollte sie die Philippinen behalten, würde sie von der Gnade jeder der großen Seemächte abhängen. Daher warnte der Admiral Lampson vor einigen Tagen, daß »das Wagnis eines Krieges und die Kriegsgefahren bereits um 100% gestiegen seien und wir unsere Flotte verdoppeln müßten.« Und soeben hat der Präsident verlangt, daß auch unser Heer verdoppelt werden soll.

So sind die beiden Gründe »Ausdehnung des Handels« im Frieden und »Steigerung der Macht« im Kriege dann in sich selbst zusammengefallen.

Als das einzige Lebenselement des Imperialismus verbleibt heute der Gedanke, daß die Vorsehung dem amerikanischen Volke eine neue und größere Bestimmung eröffnet hat, die ihm zwar schwere Lasten auferlegt, vor der es aber nicht zurückweichen darf, ohne eine heilige Pflicht zu versäumen: daß es seine heilige Aufgabe geworden ist, die Hebung eines rückständigen, seiner Obhut anvertrauten Volkes zu übernehmen. Man hat einen Findling an unsrer Tür gelassen, den aufzunehmen, zu erziehen und zu leiten unsre Pflicht ist. In einem Worte, es ist die »Menschlichkeit«, die »Pflicht«, die »Bestimmung«, die von uns wieder ein Opfer verlangt. Ihre mächtige Stimme, die uns zurief, das Schwert für das bedrückte Kuba zu ziehn, beruft uns jetzt zu einer schwierigeren Aufgabe, und daher zu einer größeren »Pflicht.«

Es ist für diejenigen, die zum Amerikanertum halten, ermutigend, daß die Hauptstärke der imperialistischen Bewegung, die uns heute zum Verlassen unserer republikanischen Ideale auffordert, auf keiner unedlen Grundlage beruht. Weder der Wunsch nach Gewinn, wie unsere europäischen Kritiker behaupten, noch der Wunsch nach militärischem Ruhm verleiht dem überraschenden Drang nach Ausdehnung und der Absicht, fremde Rassen zu ihrem eignen Besten zu beherrschen, die Kraft. Im Durchschnitt glaubt der Amerikaner, namentlich im Westen, tatsächlich, daß sein Vaterland jene tropischen Völker beherrschen und ihnen dadurch nützen könne; er betrachtet es als eine Pflicht, einer Aufgabe nicht auszuweichen, die die Vorsehung seinem Vaterlande deutlich auferlegt habe. Der Verfasser weiß, daß die Cyniker hier wie im Auslande, namentlich aber die letzteren, über diese Behauptung lächeln werden; wie groß aber im allgemeinen, vom Süden abgesehen, die Unwissenheit des amerikanischen Volkes über unterworfene Rassen und tropische Lebensbedingungen ist, können sich Europäer nicht vorstellen. Diese Unwissenheit ist wirklich so groß, wie es jene Ansicht vermuten läßt. Ein solcher Mangel an Kenntnissen ist ein Unrecht, aber je größer dieser Mangel ist, desto deutlicher bekundet er eine unbedingte Aufrichtigkeit und »gute Absichten«, die ohne gleichzeitige Kenntnisse ein recht gefährliches Ding sind. Die Leute des Südens, die die Rassenprobleme kennen, verwerfen dagegen mit seltener Einmütigkeit jeden weiteren Landzuwachs und erachten es als eine »heilige Pflicht«, unsere Republik vor weiteren aus Rassenunterschieden entstehenden Gefahren zu bewahren.

Unsere Nationalgeschichte ist nicht derartig gewesen, daß unser Volk in ihr für die Behandlung dieser neuen, wesentlich fremdländischen Angelegenheit Erfahrung schöpfen könnte, die amerikanische Demokratie hat aber in allen nationalen Krisen ein höchst rühmliches Gefühl für die moralische Seite jeder auftauchenden Zeitfrage offenbart. Die entscheidende Stimme war die Stimme derjenigen, die für das einstanden, was auf die Abschaffung der Sklaverei abzielte, bis die hohen moralischen Gesichtspunkte der Angelegenheit erkannt und anerkannt wurden. Der Patriotismus spielte in der Sezessionsfrage wohl die erste Rolle, die Begeisterung des Volkes wuchs aber beträchtlich von dem Augenblick an, wo von der Sklavenbefreiung die Rede war. Auch in der jüngsten Streitfrage, derjenigen der Herabsetzung der Währung, fanden die für die Erhaltung der hohen Währung eintretenden ihre stärkste Waffe darin, dass sie vor dem Volke die moralische Seite der Sache aufrollten und geltend machten, es müssten in Gold eingegangene Schulden in Gold bezahlt, die in Banken in Gold deponierten Ersparnisse des Volkes ebenso zurückgezahlt und die Pensionen der Soldaten in einem jedem andern gleichwertigen Gelde ausgezahlt werden. Die Gerechtigkeit der Sache, was recht, was billig war – mit andern Worten, die moralische Seite der Frage – war für die Entscheidung ausschlaggebend.

Man hört viel von der abnehmenden Bedeutung der Kanzel in unserer Zeit und davon, daß ihr Einfluß auf theologische Fragen und Dogmen nicht mehr derselbe sein könne, der er einst war. Soweit jedoch unser Land in Betracht kommt, möchte ich sagen, daß die Kanzel in Fragen der Sittlichkeit ebensoviel gewonnen, wie sie in theologischen Fragen eingebüßt hat. Sie ist auf diesem Gebiete in der Republik heute nicht weniger mächtig als in Schottland und weit mächtiger als in irgend einem andern englischsprechenden Lande. Ihre Stimme ist in solchen Fragen mächtig gewesen, wenn sie sich entschieden nach der einen oder andern Seite ausgesprochen hat, wie es gewöhnlich der Fall gewesen ist; in bezug auf den Imperialismus ist sie aber geteilt gewesen. Bischof Potter, Dr. van Dyke, Dr. Cuyler, Dr. Parkhurst, Dr. Eaton und andere gleich hervorragende sind seine Gegner. Andrerseits vertreten Bischof Doane, Dr. Lymann Abbott und andere die gegenteilige Ansicht, aber allein von dem Standpunkt des Nutzens für die unterworfene Rasse und durchaus nicht von dem unseres eigenen Vorteils. Dieser Standpunkt und er allein gibt dem Imperialismus die ihm noch verbleibende Lebenskraft.

Das Wesen der ganzen Angelegenheit legt Professor Alden von der Pensylvanischen Universität folgendermaßen dar:

Die Gründe, aus denen die Mission Gebietserweiterungen begünstigen müsse, deutete der Geistliche, dessen Predigt ich letzten Sonntag beiwohnte, in der folgenden Fürbitte für die Filipinos an: »Wir bitten Dich, daß diejenigen, welche lieber in der Dunkelheit bleiben und sogar dafür kämpfen wollen, gleichviel ob freiwillig oder unfreiwillig in das Licht gerückt werden mögen.« Ich mußte unwillkürlich an die einfältige Bemerkung denken, die der fromme Dichter des Rolandliedes bei der Beschreibung eines der Siege Karls des Großen über die Muselmänner macht:

En la citet nen at remes paien
Ne seit ocis, o devient crestiens.

d. h.: »Es blieb kein Heide in der Stadt übrig, der nicht entweder getötet oder zum Christen bekehrt wurde.« So mag es auch in Manila geschehen, wenn seinen Einwohnern ein ähnliches Dilemma bereitet wird.

Bischof Doane ist der hervorragendste Vertreter der religiösen Welt, der die Missionsansicht verteidigt, er würde aber wahrscheinlich zögern, die logischen Schlüsse zu ziehen, wie es seine weniger bekannten priesterlichen Anhänger tun. Das »Pflicht«-Argument des Bischofs wird in folgendem dargelegt:

»Bischof Doane meint, jene Voraussetzung scheine einzuschließen, daß wir sowohl nach dem natürlichen nationalen Rechte der Souveränität wie unter der bestehenden Verfassung dem Volk, das wir befreit haben, eine Regierung geben können. Erweise sich aber die Voraussetzung als falsch, so müßten wir uns dann erinnern, daß im Falle der Not Leben und Pflicht der Nation wichtiger sind als der Buchstabe einer Urkunde und die Verfassung nicht, wie manche zu glauben scheinen, eine feste und endgültige Offenbarung Gottes ist, sondern verbessert werden kann … Keine Schwierigkeiten und keine Besorgnisse können die Tatsachen verändern oder die fortschreitende Bewegung des göttlichen Willens aufhalten, die schließlich die Zivilisation, die Freiheit und die Religion des englisch sprechenden Volkes an die Stelle der verlorenen Herrschaft der lateinischen Rasse und der lateinischen Religion zu setzen sucht. Gott hat das Volk Amerikas berufen, sein Werkzeug in einer Bewegung zu sein, die in ihren Wirkungen vielleicht noch größer ist als die Reformation in England oder die Befreiung Italiens oder die Einigung Deutschlands, und im Geiste der Abhängigkeit von ihm, mit dem ruhigen Mute geduldiger Streiter, müssen wir uns zu der Pflicht der Stunde erheben.«

Mit dieser Ansicht, die Bischof Doane vertritt, haben wir Anti-Imperialisten es zu tun, nicht mit debattierenden Parteipolitikern, die ihr Banner schwingen und mit auf Beifall berechneten Phrasen arbeiten, um das Volk zu berauschen. Wir finden in des Bischofs Worten einen Grund zu dem gegen Geistliche zuweilen erhobenen Vorwurf, daß sie, weil ihre Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die andere Welt gerichtet sei, als Ratgeber in Dingen dieser Welt selten glänzten. Das Heilmittel des Bischofs gegen obwaltende verfassungsmäßige Hindernisse zum Beispiel ist leicht vorzuschlagen, aber eine solche Verfassungsänderung ist unmöglich, da ja in dieser Beziehung alle südlichen Staaten an den jetzigen Bestimmungen hängen und Gegner gewaltsamer »Erlösung« und Beherrschung untertaner Rassen sind. Da sie in ihrem eigenen Lande eine gewisse Erfahrung in Rassenproblemen haben, die dem Norden und Westen abgeht, stehen sie zum alten Amerikanertum. Dann wieder offenbart uns der Bischof »Gottes Willen«, der, wie er uns kundgibt, »schließlich die Zivilisation, die Freiheit und die Religion des englisch sprechenden Volkes an die Stelle der verlorenen Herrschaft der lateinischen Rasse und der lateinischen (katholischen) Religion zu setzen suche«. Es dürfte selbst für einen Laien, der nicht Anspruch darauf machen kann, die Absichten des Schöpfers zu kennen, leicht wahrzunehmen sein, daß in dem Falle der Tropen die Unbekannte Macht eine unüberwindliche Schranke gegen die englisch sprechende Rasse aufgerichtet zu haben scheint. Professor Worcester, der am meisten über die Philippinen weiß, sagt uns, daß sich unsere Rasse dort nicht ansiedeln und kein dauerndes Heim gründen kann, ebensowenig kann sie es oder hat sie es je in anderen Teilen der Tropen gekonnt. Sie hat es in Indien versucht, aber vergeblich. Wenn ein britisches Kind dort geboren wird, muß es nach der Heimat geschickt werden. Auf den Philippinen ist es noch viel schlimmer. Kann Bischof Doane auf irgend eine beträchtliche oder erfolgreiche Ansiedelung unserer Rasse in den Tropen verweisen? Er kann es nicht und diese Tatsache dürfte wohl hervorgehen lassen, daß der Bischof Gottes Willen falsch ausgelegt haben mag. Es will eher scheinen, daß Gott auf seine eigne Art das Volk, das er in die Tropen gesetzt hat, eine Zivilisation für sich entwickeln läßt und sein liebendes, väterliches Auge dort ebenso zärtlich auf seinen Kindern ruht wie auf dem Bischof. Auf meinen Reisen habe ich überall die Weltgesetze auf immer höhere Normen des nationalen Lebens hinwirken sehen. Die ganze Welt wird beständig besser. Nur ungeduldige Menschen, denen der Glaube an die die ganze Welt durchwaltende göttliche Herrschaft fehlt, zweifeln, daß alles gut gehe. Des Bischofs vorzüglicher Kollege, Bischof Potter, sieht »Gottes Willen«, unsere »heilige Pflicht«, so ganz anders als Bischof Doane. Wenn Bischöfe derselben Kirche verschiedener Meinung sind, ist es schwer zu entscheiden.

Vielleicht sind wir nicht berechtigt, Dr. Abbott noch als Imperialisten anzuführen, seitdem sein neuester Artikel im »Outlook« den Titel »Ein offizielles Dementi des Imperialismus« trägt. Nachdem er den vom Kongreß angenommenen kubanischen Beschluß angeführt hat, fragt er:

Warum sollte nicht der Kongreß unter den jetzigen Zeitumständen einen ähnlichen Beschluß in Betreff der Philippinen fassen? Wenn die Herstellung des Friedens gesichert ist, ist unsere Mission zu Ende … Der obige Beschluß in Betreff Kubas war einfach eine Bestätigung der Grundsätze unserer Regierung, die in unserer Verfassung niedergelegt, ein Lebenselement für sie und in vielen Perioden ihrer Geschichte bestätigt und wieder bestätigt sind. Er stellt in Abrede, daß wir fremde Völker unterwerfen oder ihr Gebiet zu eigen besitzen wollen. Unter keinen Umständen wünscht das amerikanische Volk, ein unbefriedigtes und widerstrebendes Volk gegen seinen Willen unter Militärherrschaft zu halten.

Diese Gedanken rechtfertigen den Titel. Sie sind tatsächlich ein Dementi des Imperialismus, aber es scheint, daß, wie dem Bischof Potter auch dem Dr. Abbott die Bischof Doane widerfahrene Offenbarung des Willens Gottes nicht beschieden gewesen ist. Nach ihm »endet unsere Mission, sobald die unterworfenen Rassen besänftigt sind«, dagegen kann erst nach der Herstellung des Friedens des Bischofs »heilige Mission« beginnen, »Gottes Willen« durch die Bekriegung der katholischen (lateinischen) Form der Religion und die Einführung »der Religion des englischsprechenden Volkes« durchzusetzen, von der wir in unserem Lande mehr als 250 verschiedene Formen haben, welche alle englisch sprechende Leute gebrauchen und lieben. Selbst unsere geschätzten katholischen Freunde sind oft »englischsprechende Leute«.

Nichtsdestoweniger muß man anerkennen, daß Bischof Doane und seine Schule und Dr. Abbott und die seinige, so diametral entgegengesetzt sie auch in ihren Schlußfolgerungen sind, doch beide das verfolgen, was ihnen als das Wohl der armen rückständigen Rassen erscheint, nicht aber Geldgewinn oder Militärruhm für ihr eigenes Land. Keiner dieser ernsten, trefflichen Männer hat irgend etwas mit der schreienden politischen Schule gemein. Sie erblicken nur ernste und ungesuchte »Pflicht«, wo die anderen, wenn nicht für die Nation, so wenigstens für sich selbst als Politiker »Gewinn« oder »Ruhm« finden.

Der Imperialismus kann nur dann eine »heilige Pflicht« werden, wenn unsere Einwirkung durch Zwang den unterworfenen Rassen zum Segen gereichen kann; im anderen Falle bleibt er, wie ihn der Präsident einmal nannte, ein »sträflicher Angriff«. Sehen wir daher, ob einer solchen Einwirkung Gutes oder Böses entspringt. Es ist leicht festzustellen, denn es gibt viele abhängige Gebiete europäischer Mächte in der Welt und viele in Abhängigkeit gehaltene Rassen. Hat sich der Einfluß der höheren Rasse auf die niedere je als der einen oder anderen nützlich erwiesen? Mir ist kein Fall bekannt, wo er es gewesen wäre oder ist, und ich habe viele abhängige Gebiete besucht. Wo sind die Tatsachen, die Zeugen, daß er es gewesen sei? Im Gegenteil, die meisten Autoritäten erklären, daß der Einfluß einer höheren Rasse eine niedere in den Tropen nicht erhebt, sondern entsittlicht. Es ist nicht schwer zu verstehen warum. Man nehme z. B. die Philippinen. Die vorherrschende Religion ist unsere eigene christliche, die katholische natürlich, aber die christliche, wie in Frankreich und Belgien. Im Innern sind von nächstgroßer Bedeutung die Mohamedaner. Mr. Bray, der dort ansässige englische Konsul, entrollt im »Independent« ein Bild glücklichen Lebens in Manila, daß mich an das erinnerte, was ich im Osten gefunden hatte.

Eine der größten Genugtuungen, die man bei einer Reise um die Welt empfindet, ist die Erfahrung, daß Gott alle Völker in ihrer eigenen Heimat glücklich gemacht hat. Wir finden kein Volk in irgend einem Weltteil, daß sein Stück Land mit irgend einem anderen vertauschen möchte. Meine eigene Erfahrung hat mir diese Wahrheit sehr stark eingeprägt. Auf unserer Reise nach dem Nordpol hielten wir im Polarkreise, um ein Lager von Lappländern zu besuchen. Ein Führer wurde mit der Anweisung versehen, hinter den hintersten Angehörigen der Gesellschaft hin und her zu gehen, damit keiner zurückbliebe. Bei der Rückkehr aus dem Lager ging ich mit diesem Führer, der englisch sprach und in seinen Jugendjahren als Matrose in der Welt herumgekommen war und mit Stolz davon sprach, daß er New-York, Boston, New-Orleans und andere unserer Häfen kannte. Als wir den Rand des Fjord erreichten und auf diesen hinabblickten, sahen wir auf der anderen Seite einen kleinen Ort und ein im Bau begriffenes zweistöckiges Haus mit einem Rasenplatz ringsum, ein Haus, das soviel größer als jede der benachbarten Hütten war, daß es große Wohlhabenheit verriet. Unser Führer erklärte, daß ein Mann ein großes Vermögen erworben hätte. Es war ihr Multimillionär, und sein Vermögen sollte keine geringere Ziffer als 30 000 Kronen erreichen (7500 Dollar), und er war nach seinem Geburtsorte Tromsö zurückgekehrt, um diesen »Palast« zu bauen und sein Leben dort zu verbringen. Seltsame Vorliebe für eine sechs Monate lange Nacht! Aber es war die Heimat. Ich fragte den Führer, welchen Platz der ganzen Welt er wählen würde, wenn er je ein solches Vermögen erwerben sollte – mit der leisen Hoffnung, er würde einen Ort unseres eigenen so begünstigten Landes nennen. Wie konnte er anders? Aber sein Gesicht strahlte vor Vergnügen bei dem Gedanken, je reich zu sein und er sagte schließlich: »Oh, es gibt keinen zweiten Ort wie Tromsö!«

Als ich im südlichen Indien reiste, wurde ich eines Tages ins Land hinausgeführt, um Tapiokawurzeln sammeln und zum Gebrauch mahlen zu sehen. Die im Gehölz arbeitenden Erwachsenen, Männer und Frauen, hatten jedes einen Schurz um die Lenden, die Knaben und Mädchen aber, mit ihrer schwarzglänzenden Haut, waren jeder Bürde bar. Unser Führer erklärte diesen Leuten, wir kämen aus einem Lande, das so weit entfernt und so verschieden von dem ihrigen sei, daß die Gewässer von der außerordentlichen Kälte manchmal fest würden und wir darauf laufen könnten; die Kälte wäre dann dort manchmal so stark, daß der Regen zu kleinen Stückchen gefröre und so tief auf der Erde läge, daß die Menschen nicht hindurchschreiten könnten und man müßte daher drei oder vier schwere Kleider übereinander tragen. Diese glücklichen Leute wunderten sich, wie uns unser Führer sagte, warum wir dort blieben, warum wir nicht kämen und uns des Lebens in ihrem begünstigten Klima freuten.

Genau so steht es heute mit den Philippinen, wie man aus Mr. Brays Berichten über sie sehen kann. Es ist erstaunlich, wie sehr alle Menschen in der ganzen Welt in ihrem Wesen ähnlich sind. Die Leute dort lieben ihr Heim und ihr Land, ihre Frau und Kinder wie wir und haben ihre Freuden. Wenn wir in unseren menschenfreundlichen Bestrebungen und unserem Sehnen, ihnen zu nützen, unter dem Titel der Pflicht oder Bestimmung hundert von ihnen nach New-York brächten und ihnen schöne Wohnungen in der fünften Avenue und ein ihrer Wohnung entsprechendes Vermögen schenkten und versuchten, sie nach unserer Ansicht zu »zivilisieren«, so würden sie alle in einem unbewachten Augenblick auf und davon laufen und ihr Leben für den Versuch einsetzen, zu ihrer eigenen Zivilisation zurückzukehren, die Gott ihnen auf den Philippinen zu geben für gut befunden hat. Sie haben genau dieselben Gefühle wie wir, einschließlich der Liebe zum Vaterland, für das sie wie wir selbst, wir sehen es, zu sterben bereit sind. Oh, wie schade! wie schade! daß Filipinomütter mit Amerikanermüttern in gleicher Weise ihre verlorenen Söhne beweinen müssen, von denen die einen als Verteidiger ihres Landes, die andern als Eindringlinge gefallen sind! Die Eindringlinge gehorchten aber denen, die es als ihre »Pflicht« erachteten, in das Land der Filipinos zu deren Zivilisation einzudringen. Pflicht, gestrenge Göttin, welch seltsame Dinge tun die Menschen zuweilen in deinem Namen!

Ein anderer Grund, der es meines Dafürhaltens unserem Bereich entrückt, diesen Leuten Nutzen zu bringen, ist der Umstand, daß mit Ausnahme von ein paar nach eigenem Gewinn strebenden Leuten die einzigen Amerikaner, die die Filipinos je kennen lernen, unsere Soldaten sein werden, denn amerikanische Frauen und Kinder können ihr Heim dort nicht aufschlagen. Kein weihevoller, vom amerikanischen Heim ausgehender Einfluß, keine christlichen Frauen, keine süßen Kinder, nichts als Männer und Soldaten, die ersteren nur ein paar Abenteurer, die nach erfolglosem Beginnen daheim dort Geld erwerben zu können glauben. Jeder über den Gegenstand schreibende sagt uns gegenwärtig, daß die Anwesenheit von Soldaten in einer Stadt der Tropen für Eingeborene wie Fremde unheilvoll ist, daß die Berührung der höheren Rasse mit der niederen beide aus wohlbekannten Gründen entsittlicht. 46 Prozent des britischen Heeres in Indien sind jederzeit krank. Welcher imperialistische Geistliche oder kluge Mann wüßte nicht, daß Soldaten in fremden Heerlagern, weit entfernt, Missionare für das Gute zu sein, selber mehr als die Eingeborenen missionsbedürftig sind? Es wäre alles so ganz anders, wenn Amerikaner ihre Wohnungen auf den Philippinen aufschlagen und sich dort ansiedeln, mit dem Volk vermischen und eine Kolonie begründen könnten. In den Kolonien, nicht in bloßen abhängigen Gebieten, hat Britannien gute Werke getan. Soldaten werden der niederen Rasse auf den Philippinen nicht nützen. Männer, die nach Gewinn suchen, auch nicht. Missionare sind dort bereits im Überfluß vorhanden. Außer einigen solchen einer andern Sekte des Christentums haben wir nichts, was wir weiter hinsenden können, und diese werden dort nur dann ein Willkommen finden, wenn wir aufhören, das Volk zu bekriegen, während sie heute als Feinde betrachtet werden würden. Nicht Zivilisation, nicht Verbesserung kann daher der Imperialismus den Philippinen bringen, wenn wir sie ständig im Besitz behalten, sondern nur großen Schaden für die Filipinos sowohl wie für unsere Soldaten und für die amerikanischen Bürger die hingehen. Es ist ein schlechter Tag für den Soldaten wie für den Geschäftsmann, wenn er sich in einem fremden Lande der erhebenden Einflüsse beraubt sieht, deren Mittelpunkt die Heimat ist.

Die religiöse Schule der Imperialisten will zweifellos für die Filipinos tun, was für sie am besten ist, aber wenn wir in einem Volke sein Sehnen nach Unabhängigkeit vernichten, nehmen wir ihm mit der einen Hand mächtigere Mittel der Zivilisation, als wir mit der andern zu verleihen vermögen. Der Brust jedes menschlichen Gemeinwesens ist der heilige Keim der Selbstregierung eingepflanzt, das mächtigste Mittel der Vorsehung, den Menschen auf den Stufen des Daseins aufsteigen zu lassen. Jeder Herrscher, mag er Präsident oder Zar sein, der das Wachstum dieses geweihten Funkens zu unterdrücken sucht, macht sich des größten der öffentlichen Verbrechen schuldig. Es gibt kein Volk und keinen Stamm, wie niedrig er auch stehen mag, der nicht in höherem oder geringerem Grade eine Selbstregierung besitzt. Die Haitianer und die San Dominganer bedürfen nicht unserer Einmischung. Warum erscheint es nicht auch als unsere Pflicht, unsere Ideen diesen unseren Nachbarn aufzuzwingen? Die Filipinos stehen nicht unter diesen Völkern. Wir hören im Gegenteil sowohl den Admiral Dewey wie den General Merrit aussprechen, daß die Filipinos in höherem Maße als die Kubaner zur Selbstregierung fähig seien. Es darf als eine offenbare Wahrheit gelten, daß ein Volk, welches für die Unabhängigkeit seines Landes zu kämpfen und zu sterben bereit ist, zum mindesten eines Versuches mit der erstrebten Selbstregierung würdig ist. Die Filipinos haben dies getan. Aber auch sonst ist es besser für die Entwickelung eines Volkes, wenn es versucht, sich selbst zu regieren, da dies die einzige Schule ist, um es zu lernen. Gleichviel welche langen Jahre des Mißerfolges durchzukämpfen sind, das Ende ist gewiß: die erfolgreiche Entwickelung der Fähigkeit zur Regierung. Die Kosten sind große, aber der Erfolg steht über jedem Preis. Keine höhere Rasse ermöglichte ihn je einer andern, ohne sich unter ihr anzusiedeln und mit ihr zu mischen. Auf den Philippinen und in den Tropen überhaupt ist das unmöglich. Die eindringende Rasse kann dort nicht gezüchtet werden, und wo wir unsere eigene Rasse nicht züchten können, können wir den anderen keine Zivilisation verleihen. Wir können ihre Entwickelung nur verzögern, nicht beschleunigen.

Indien ist der britischen Herrschaft nahezu zweihundert Jahre unterworfen und doch kann noch nicht ein einziges Stück Artillerie einheimischen Truppen anvertraut werden. Das Volk muß noch wie zu Anbeginn niedergehalten werden. Es verhält sich so in allen abhängigen Gebieten, wo sich die höhere Rasse das Recht anmaßt, die niedere zu beherrschen, ohne sich ansiedeln und mit ihr mischen zu können. Wir fordern den Imperialisten heraus, der uns unter allen britischen Besitzungen ein Beispiel für das Gegenteil anführen kann.

Der Trieb, der viele Geistliche und andere wohlwollende Leute anfangs hinriß, war für ihr Herz und Gemüt ehrenvoll. Dr. Abbotts ebenerwähnter Artikel kann aber als ein Zeugnis dafür gelten, daß jetzt die Vernunft Gehör verlangt und mit Ernst zu erwägen ist, nicht was wir tun möchten, sondern was wir unter den obwaltenden Umständen tun oder vernünftigerweise versuchen können.

Auch die Presse hat wie die Geistlichkeit ihren Teil dazu beigetragen, den Trieb zu erregen, dem Rufe der »neuen Bestimmung« zu folgen; eines der hervorragendsten aller Organe in dieser Beziehung und das führende Regierungsorgan im Westen, der Chicagoer »Times-Herald«, findet aber seine heiße Leidenschaft, nach einem jüngst erschienenen Leitartikel zu urteilen, vor dem Tone der Vernunft gedämpft, indem er die nationalen Bedingungen der Angelegenheit einander gegenüberstellt und prüft. Er schreibt:

»Das Gewissen des amerikanischen Volkes wird das Hinschlachten von Filipinos in einem Eroberungskriege nicht dulden. Wir trachten nicht nach ihrem Land, wir wünschen nicht, das Joch Spaniens durch ein solches von dem milderen und gerechteren Gepräge der Vereinigten Staaten zu ersetzen. Der Präsident möge verkünden, daß wir nicht die Absicht haben, uns asiatische Gebiete einzuverleiben und daß die Bürgschaft des Kongresses für die kubanische Unabhängigkeit die Bürgschaft der amerikanischen Nation für die Philippinen sein wird.«

Hätte der Präsident dies in seiner Botschaft an die Filipinos ausgesprochen, könnte sich heute nicht das Gespenst nahezu 5000 nach der Beschreibung des Kabels »wie Gras niedergemähter« menschlicher Wesen und 80 von unseren eigenen Landsleuten hingeopferter und mehrerer Hundert Verwundeter vor ihm erheben. Es ist die Folge davon, daß er verfehlte, dem einen Volk zu sagen, was er dem anderen sagte. Seine Verantwortung ist groß.

Ich schreibe diese Zeilen am Vorabend des Geburtstages des größten Staatsmannes des Jahrhunderts, vielleicht aller Jahrhunderte, wenn man seine seltsame Geschichte betrachtet – Abraham Lincolns. Washington, Franklin und Jefferson mögen, wie uns oft gesagt wird, Größen der Vergangenheit geworden sein, weil sie als Männer des vorigen Jahrhunderts unser Geschick nicht kennen konnten; hier aber ist der Mann unserer eigenen Zeit, den zu kennen viele von uns den Vorzug gehabt haben. Brauchen wir seine Lehren vor denen irgend eines noch lebenden Zeitgenossen von ihm auf die Seite zu schieben? Man höre ihn: »Niemand ist gut genug, einen anderen ohne seine Einwilligung zu regieren. Ich meine, dies ist der leitende Grundsatz, der Rettungsanker amerikanischen Republikanertums.« Es ist zur Stunde nicht gebräuchlich, die große Wichtigkeit der »Einwilligung des Regierten« zu betonen, bald wird es aber wieder gebräuchlich sein.

Es scheint Lincoln eingegeben gewesen zu sein, das nötige Wort für diese Stunde auszusprechen, wo sich alles, was uns im politischen Leben bisher als teuer galt, in befremdlicher Umstürzung befindet. Unsere »Pflicht«, des »weißen Mannes Bürde« zu tragen, ist heute in aller Munde, Lincoln sagt uns aber: »Wenn der weiße Mann sich regiert, so ist das Selbstregierung, wenn er aber sich und noch einen anderen regiert, so ist das mehr als Selbstregierung: es ist Despotismus.« Lincoln wußte nichts von der neuen »Pflicht« und der neuen »Bestimmung«, oder ob »die Pflicht die Bestimmung« oder »die Bestimmung die Pflicht« begründet, er kannte aber recht gut die alten republikanischen Lehren.

Eine andere Lektion von dem großen Amerikaner: »Unser Verlaß ist auf die Liebe zur Freiheit, die Gott uns eingepflanzt hat. Unsere Verteidigung liegt in dem Geiste, der die Freiheit als das Erbe aller Menschen in allen Ländern der Welt preist. Wer die Freiheit andern verweigert, verdient sie nicht für sich und kann sie unter einem Gericht Gottes nicht lange behalten.«

Sollen diese weitherzigen, freiheitliebenden und edlen freiheitgewährenden Grundsätze des Amerikanertums, wie sie der Präsident Lincoln verkündet, hinter dem freiheitversagenden, rassenunterjochenden Imperialismus des Präsidenten Mc. Kinley zurückstehen, wenn der nächste Aufruf an das amerikanische Volk ergeht? Wir haben nie einen Augenblick an der Antwort gezweifelt, denn diese Grundsätze haben noch nie verfehlt, große Fragen weise zu entscheiden und die amerikanischen Ideale aufrecht zu erhalten.

Noch nie hatte unser Volk mehr Grund, Abraham Lincoln zu loben, als zu diesem seinem neunzigsten Geburtstag, und noch nie hatte es bis heute Grund zu beklagen, daß ein Nachfolger im Präsidentenstuhl seine Lehren umzustoßen suchen würde.

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