Edward Lytton Bulwer
Eugen Aram
Edward Lytton Bulwer

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Siebentes Kapitel.

Das Geständnis. – Das Schicksal

In langen Winternächten sitz am Feuer
Bei guten alten Leuten, laß sie dir
Geschichten von bedrängten Zeiten sagen,
Vorlängst begegnet? und eh' gute Nacht
Tu bietest, ihren Jammer zu erwidern,
Erzähl' du meinen klagenswerten Fall. –
Richard II.

Ich bin in Ramshill, einem kleinen Dorfe in Netherdale, geboren. Meine Vorfahren hatten ursprünglich einigen Rang: sie waren früher Herren des Fleckens Aram am südlichen Ufer des Tees. Aber die Zeit hatte diese Ansprüche auf Ansehen herabgebracht, so hoch sie immerhin von den Erben eines alten Namens und leerer, wenn auch stolzer Erinnerungen in Ehren gehalten wurden. Mein Vater lebte auf einem kleinen Pachthofe und besaß besonders im Gartenbau große Geschicklichkeit, ein Geschmack, der von ihm auf mich übergegangen ist. Ich mochte ungefähr dreizehn Jahre alt sein, als die tiefe, mächtige Leidenschaft, welche der Dämon meines Lebens wurde, sich zuerst erkennbar in mir regte. Von der Wiege an hatte ich Hang zur Einsamkeit und war zu träumerischer Betrachtung geneigt; Charakterzüge, welche die Liebe verkündeten, die mich jetzt ergriff – die Liebe zum Wissen. Gelegenheit oder Zufall wandte meine Aufmerksamkeit zuerst den abstrakteren Fächern zu; meine ganze Seele wurde von jenem edeln Studium ergriffen, das die beste Grundlage zu jeder Wahrheitsforschung bildet. Der Erfolg, den ich darin erlangte, leitete meine Bestrebungen dann bald auch auf blühendere Bahnen. Geschichte und Dichtkunst – die Beherrscherin der Vergangenheit und die Zauberin, die uns ins Reich der Träume versetzt, traten an die Stelle, die Linien und Zahlen eingenommen hatten. Mehr und mehr ward mein Wesen einsam und fremd gegen die Menschen; in immer lieblicherer, immer zauberhafterer Gestalt erschien mir das Wissen, und mit jedem Tage wuchs die Leidenschaft, in Besitz desselben zu gelangen. Ich verbreite mich nicht – bin jetzt nicht dazu gestimmt – über das mich zu verbreiten, was ich ohne Hilfe und mit einer Mühe, die ebenso süß als anstrengend war, mir zu eigen machte.Aus einem noch vorhandenen Briefe Eugen Arams ersieht man, daß sein Verfahren, sich die gelehrten Sprachen anzueignen, darin bestand, eine bestimmte Zeit bei je fünf Linien zu verweilen und über keine Stelle wegzugehen, bis er sich überzeugt hielt, daß er ihren Sinn gefaßt habe.

Die Welt, die Schöpfung, was da lebte und webte, wurde für mich ein Gegenstand, der mich einem glühend verfolgten und, wie mir vorkam, erhabenen Ziel zuführte. Die niedrigern Freuden des Lebens, die Reize seiner gewöhnlichern Fessel, ließ ich unversucht und ungefühlt an mir vorüber. Wie Sie von Menschen im Morgenlande lesen, die tagelang unbeweglich, mit zum Himmel gerichteten Blicke dastehen, so hatte mein Gemüt, in Betrachtung von Dingen über seinen irdischen Bereich verloren, kein Auge für das, was zunächst um mich vorging. Meine Eltern starben und ich war eine Waise. Ich hatte keine Heimat und kein Vermögen, aber wo immer das Feld eine Blume, der Himmel einen Stern bot, da war Stoff für mein Denken, da war Nahrung für meine Wonne. Monate wanderte ich einsam umher, blieb selten anders als unter freiem Himmel über Nacht, und ging den Menschen, als demjenigen Teil von Gottes Geschöpfen, von welchen ich am wenigsten lernen konnte, aus dem Wege. Ich kam nach Knaresborough: die Schönheit der Gegend, die Gelegenheit, mich aus einer mir dort zugänglichen Bibliothek mit Büchern zu versehen, bewogen mich, hier meinen Sitz aufzuschlagen. Mit den neuen Schätzen öffneten sich mir neue Wünsche; die Begierde nach dem Ruhme, mein Mitgeschlecht aufzuklären, ergriff mich, durchdrang mich, ließ mir keine Ruhe. Anfangs hatte ich das Wissen bloß um seiner selbst willen geliebt: jetzt sah ich in der Ferne einen Gegenstand, der noch größer war als das Wissen. Wozu, fragte ich mich, diese Mühen? Weshalb nähre ich eine Lampe, die an verlassener Stelle nur sich selbst verzehrt? Weshalb häufe ich Reichtümer auf, ohne zu fragen, wem sie zu gute kommen sollen? Ich war ruhelos und unzufrieden. Was konnte ich thun? Ich hatte keine Freunde, ich trat als ein Fremdling vor meine Mitbrüder, die eherne Mauer meiner Armut schloß mich von jeder Verwendung meiner Anlagen aus. Ich sah meine Wünsche gehemmt gerade wo ihnen das erhabenste Ziel vorschwebte. Alles was stolz, emporstrebend, glühend in meiner Natur war, schrumpfte erstarrend zusammen. Die Kenntnisse, deren Erwerbung in meinem engen Bereich lag, hatte ich erschöpft. Wo sollte ich, hilf- und geldlos, mit meinem aufgeregten, nicht gefüllten Durst etwas Neues hernehmen? Indem ich meine Fähigkeiten zu den niedrigsten Arbeiten herabwürdigte, schützten sie mich nur eben vor dem Hungertode: – sollte das mein Los für immer sein? Und während ich so meine Seele zermalmte, um die armseligsten Bedürfnisse des Körpers zu befriedigen – wie viel goldene Stunden, wie viele Gelegenheiten zu ruhmvoller Erhebung, wie viel Zugänge zu neuen Himmeln der Wissenschaft, wie viele Möglichkeiten, die Menschheit aufzuklären, gingen auf immer verloren! Zuweilen wenn die Knaben, denen ich die ersten, unbeachteten Anfangsgründe künftiger Geistesbildung beibrachte, sich um mich sammelten; wenn sie mir mit ihren lachenden Augen ins Gesicht schauten; mir – denn alle liebten mich – ihre kleinen Freuden und Leiden mitteilten, wünschte ich, ich möchte zur Kindheit zurückkehren können, wie einer von ihnen werden, und in diesen Himmel von innerer Ruhe eindringen, der mir versagt war. Öfter aber noch blickte ich eher mit heißergrimmter als mit trauernder Seele auf mein Los; und sah ich drüber hinaus, was entdeckte ich da von Hoffnung? Graben konnte ich; aber sollte alles, was in mir dürstete und aufquoll, vertrocknen und ersticken, bloß damit ich meinen Lebensunterhalt gewänne? Sollte ich knechtisch zur Scholle zurückkehren und vergessen, daß es ein Wissen in der Welt gab? Sollte ich meinen Geist morden, um meinen Körper zu erhalten? Betteln konnt' ich nicht. Wo lebte je der wirkliche Gelehrte, der echte Diener und Priester der Wissenschaft, der nicht mit einem erhabenen Gefühle von der Würde seines Berufes erfüllt war? Sollte ich die Wunde meines Stolzes aufdecken, von meinem Herzen die Hülle abziehen und reiche Dummköpfe anflehen, einen Schulmeister nicht sterben zu lassen? Pah! – Wer selbst durch die schmählichste Armut je so weit herabgewürdigt ward, kann wohl der Marktschreier, aber nie der wahre Jünger der Wissenschaft sein! Stehlen. rauben – ärgeres noch – all das könnten ich oder meine Berufsgenossen thun: – betteln? nimmermehr! Was that ich also? Ich verwandte den niedrigsten Teil meiner Kenntnisse dazu, mir die unumgänglichen Mittel zum Leben zu verschaffen, und der höchste – jenes Wissen das in der Erde Tiefen drang und die Sterne des Himmels zählte – nun der blieb, außer für den Besitzer, wertlos für jedermann.

Um diese Zeit traf ich in Knaresborough mit einem entfernten Verwandten, Richard Hausman, zusammen. Wir begegneten uns bisweilen auf unsern Spaziergängen, denn er suchte meinen Umgang und ich konnte ihn nicht immer vermeiden. Wie ich, war er zur Armut geboren, aber immer stand ihm so viel zu Gebot, als in seinen Verhältnissen für Reichtum gelten mochte. Dies wußte ich mir nicht zu erklären und bei unsern gelegentlichen Zusammenkünften sprachen wir bisweilen hierüber. »Du bist arm mit all deinen Kenntnissen,« sagte er, »ich weiß nichts, aber nie bin ich arm. Wie kommt das? Die Welt ist meine Schatzkammer. – Ich lebe auf Rechnung meiner Mitmenschen. – Die Gesellschaft ist meine Feindin. – Die Gesetze verurteilen mich zum Hungertod; aber Selbsterhaltung ist ein Trieb, der heiliger ist als die Gesellschaft und gebieterischer als die Gesetze.«

Die unverhohlene, kecke Art, womit er sich ausdrückte, machte Eindruck auf mich, während ich mich zugleich dadurch zurückgestoßen fühlte. Ich betrachtete ihn als ein Studium und stritt mit ihm, um ihn kennen zu lernen. Er war Soldat gewesen – hatte den größten Teil Europas gesehen – besaß einen guten, scharfen Verstand;– er war ein Bösewicht – aber ein kühner – gewandter – und damals nicht gänzlich verstockter Bösewicht. Seine Reden erweckten dunkle, wirre Betrachtungen in mir. Was war das für ein gesellschaftlicher Zustand, worin ich lebte? – lag er nicht im Kampf mit seinen eigenen Elementen? Geistesbildung war mein ewiger Traum und diesen Traum hätte ich verwirklichen mögen nicht durch leidende Geduld, sondern durch mutige That. Abtrotzen mögen hätt' ich die Mittel zur Weisheit und Größe von dieser Gesellschaft, der ich nichts zu danken hatte. War's nicht besser und edler, dies, selbst auf Gefahr meines Lebens, zu thun, als mich in ein Loch zu legen und zu sterben wie ein Hund? War's nicht besser, – besser für die Menschheit selbst – daß ich, eh ich ein solches Los über mich kommen ließ – eine kühne Frevelthat beging, um durch diese Frevelthat mir die Macht zum Guten zu erkaufen? Ich stellte mir diese Frage. Es ist eine furchtbare Frage, sie öffnet ein Labyrinth von Schlußfolgerungen, worin sich die Seele auf ewig verlieren kann.

Eines Tages suchte mich Hausman in Begleitung eines Fremden auf, der eben, aus Ihnen schon bekannten Gründen, sich in unserm Städtchen aufhielt. Sein – angeblicher – Name war Clarke. – Mann, ich komme jetzt dazu, offen über diesen Fremden, über seinen Charakter und sein Schicksal zu sprechen, Und doch – doch bist du sein Sohn! – Gern möcht' ich die Farben mildern, aber ich sage die Wahrheit über mich selbst und darf daher, wenn mein eigenes Bild nicht schwärzer erscheinen soll, als ich verdiene, die Wahrheit auch nicht übertünchen, wenn ich von andern rede. Hausman traf mich und stellte mir seinen Gefährten vor. Vom ersten Anblick an schlich ein Widerwillen gegen diesen Fremden durch meine Seele, was wirklich nicht unschwer zu erklären war. Sein Benehmen erschien rücksichtslos, ja wohl unverschämt. Auf seinem Gesicht drückten sich die Linien und Züge von tausend Lastern ab; in Stirn und Aug' las man die Geschichte eines niederträchtigen, obwohl sorglosen Lebens. Sein Gespräch stieß mich über alle Beschreibung zurück. Er äußerte die gemeinsten Empfindungen und weidete sich an denselben als Ergebnissen eines überlegenen Verstandes. Unumwunden bekannte er sich als einen Schurken aus Grundsatz und von der niedrigsten Stufe. Überlisten, betrügen, sich aus der Schlinge ziehen. Ränke schmieden, schmeicheln, lügen – waren Künste, zu welchen er sich mit so nackter, kalter Roheit bekannte, daß man fühlte, er sei in der langen Gewohnheit seiner Entwürdigung unempfindlich gegen alles geworden, was nicht selbst entwürdigt war. Hausman schien einen Reiz auf ihn auszuüben, der ihm jedes Geheimnis entlockte und so erzählte uns denn Clarke viele Anekdoten aus seinem Schurkenleben und den Fährlichkeiten, worein ihn dasselbe gebracht und schloß mit den Worten: »Gleichwohl sehen Sie mich jetzt beinahe reich und in aller Behaglichkeit. Von jeher war ich der glücklichste Mensch: geht mir's heut schlimm, so wendet sich's morgen zum Guten. Ich gestehe, daß das Schlimme auf meine eigene Rechnung kommt und die Vorsehung mir das Gute zusendet.« Zufälligerweise trafen wir noch einigemal zusammen und sein Gespräch nahm stets denselben Lauf – sein Glück und seine Schurkereien. Einen andern Gegenstand, einen andern Ruhm kannte er nicht. Regte dies die Tiefen meiner Seele nicht zu düstern Betrachtungen auf? War es kein Fingerzeig an die Menschen, ihr Glück selbst in die Hand zu nehmen, wenn das Schicksal seine Gunst an dieses niedere Gewürm vergeudete, das selbst zum Laster nur durch Schmutzgassen und unsaubere Nebenwege vordringen konnte? Verlohnte sich's tugendhaft zu sein und zuzuschauen, während die Schlechtigkeit am Fest des Lebens schwelgte? Dieser Mensch war von den niedrigsten Leidenschaften, den gemeinsten Begierden erfüllt: er befriedigte sie und das Schicksal lächelte zu seinen Wagnissen. Ich, der von meinem Herzen die ärmlichen Verlockungen der Sinne ausgeschlossen – der nur ruhmvolle Gedanken, erhabene Wünsche genährt hatte – ich beraubte mich ihrer Früchte, zitternd, ohne Hoffnung, ohne Lohn, in die Schnürbrust menschlicher Gesetze gebannt, – die Kraft zur Tugend selbst verlierend, weil ich nicht ins Verbrechen hinüberstreifen wollte.

Finster und schnell überfielen mich diese Gedanken; aber sie führten zu keinem Ergebnis. Über sie hinaus sah ich noch nichts. Ich ließ den Grimm an meinem Herzen nagen und behielt äußerlich dasselbe ruhige, freundliche Benehmen bei das in gleichem Verhältnis mit der Zunahme meiner geistigen Kräfte sich in mir ausgebildet hatte. Ja während ich mit dem Geschick haderte, hörte ich nicht auf die Menschen zu lieben. Eifersüchtig sehnte ich mich – nach was? nach der Möglichkeit, der Menschheit Dienste zu leisten. Von Kindheit an war ich gutmütig und liebevoll gegen alles um mich her gewesen; selbst das geringste Tier würde mich unter einem ganzen Haufen als seinen Beschützer erwählt haben,Alle authentischen Anekdoten über Aram bewähren seine natürliche Sanftheit gegen jedes Geschöpf. Ein Geistlicher (Herr Hinton) sagt, er habe ihn oft beobachtet, wie er beim Auf- und Abgehen in seinem Garten sich bückte, um eine Schnecke, einen Wurm aus dem Wege zu räumen, damit er nicht zertreten würde. Herr Hinton stellt die scharfsinnige Vermuthung auf, Aram habe sein Verbrechen durch das Erbarmen, das er für jedes Tier, selbst das Insekt, gezeigt, wieder gutmachen wollen. In der That beweisen jedoch mehrere Anekdoten, daß er schon vor Begehung jenes Verbrechens gleich mitleidig war. So seltsam widerspricht sich das menschliche Herz. und doch war ich verdammt ... Aber ich will meiner Erzählung nicht vorgreifen. Wenn ich nachts von langen, einsamen Wanderungen heimkehrte, kam ich oft an dem Hause vorbei, worin Clarke wohnte. Zuweilen taumelte er dann vor seiner Thür umher und verunglimpfte alle Vorübergehenden; gleichwohl wurde ihr Zorn durch Ekel jedesmal zum Stillschweigen gebracht. »Und dieses scheußliche, sich im Staube wälzende Geschöpf,« sagte ich innerlich, »vergeudet in niedrigen Ausschweifungen, verpraßt in Freveln gegen die Gesellschaft das, womit ich meine Seele zu einer brennenden Lampe machen könnte, die ihren Strahl über die Welt verbreiten sollte.«

Es lag etwas in der Verworfenheit dieses Menschen, was mich weit mehr anwiderte als Hausmaus verbrecherische Sinnesart. Letzterer hatte nicht den Vorteil einer Erziehung genossen; er ließ sich nicht zu den Armseligkeiten der Sünde herab; er war ein erklärter, roher, trotziger Bösewicht, dessen Denkweise seinen Lastern noch gewissermaßen etwas Achtungswertes aufdrückte. Bei Clarke aber bemerkte man die Spuren günstigerer Verhältnisse, besserer Erziehung; in ihm sprach sich nicht sowohl derbe Roheit als das zerstörende Krebsgeschwür einer durchweg gemeinen Seele aus. War Geld in Hausmaus Tasche, so lag ihm an demselben sehr wenig, und bereitwillig hätte er eine Schuld bezahlt, einem Freunde aus der Not geholfen; nicht so der andere. Wäre diesem der Reichtum in Fluten zugeströmt, so würde er dennoch dem Gläubiger heimlich entlaufen sein, den Freund betrogen haben; es lag eine jammervolle, entwürdigende Schwäche in seiner Natur, die ihm die niedrigste Gemeinheit im Licht eines überlegenen Scharfsinns erscheinen ließ. Zudem war sein Geist nicht nur entadelt, sondern durch seine Lebensart auch zerrüttet. Eine seltsame, wahnsinnige Verkehrtheit, wonach er sich über seine eigene Nichtswürdigkeit lustig machte, lief durch sein Wesen hin. Hausman war jung: er konnte sich wieder bessern. Clarke aber hatte graue Haare und blöde Augen; war der Konstitution, wenn nicht den Jahren nach, alt; alles an ihm hoffnungslos und eingewurzelt; der Aussatz ihm zur andern Natur geworden. Jetzt hat die Zeit Hausman zu dem gemacht, was Clarke damals war.

Als ich einmal über die Straße ging, begegnete ich, obwohl es hoher Mittag, Clarke im Zustand völliger Betrunkenheit, wie er einen Haufen Menschen, die sich um ihn gesammelt, anredete. Ich suchte mich auf der entgegengesetzten Seite der Straße durchzuschlagen, er aber wollte das nicht zugeben; er, dessen Berührung, dessen Anblick schon mich halb krank machte, wälzte sich mir in den Weg und ließ sich beikommen, mich zu verspotten, zu beschimpfen, ja zu bedrohen. Aber als er näher kam, fuhr er vor dem bloßen Blick meines Auges zusammen und ich ging fort, ohne mich weiter nach ihm umzusehen. Die mir angethane Schmach verletzte mich im Innersten: er hatte auf meine Armut gestichelt; Armut zu verhöhnen war einer seiner Lieblingsspäße. Tief hatte er mich verwundet: aber Wut, Rachbegierde – nein! diese Leidenschaften hatte ich noch nie gegen irgend jemand gefühlt. Auch jetzt erhoben sie sich um solcher Ursache willen noch nicht in mir; aber ich war in meinen eigenen Augen erniedrigt; der Stich ging mir durch die Seele. Armut! Ein solcher Mensch sollte mich verhöhnen! Um eines bißchen gelben Staubes willen sollte er sich über mich erhaben wähnen! Ich ging aus der Stadt und verweilte an den zerrissenen, buchtigen Ufern des Flusses. Es war ein dämmeriger Wintertag; schwarz und düster rollte das Gewässer dahin und trostlos rauschte das dürre Laub unter meinen Füßen. Wer will behaupten, die äußere Natur habe keine Wirkung auf unser Gemüt? Alles um mich her schien feindlich auf mein Los zu blicken. Im Angesicht des Himmels und der Erde las ich Bestätigung des Fluchs, welchen der Mensch über die Armut ausgesprochen hat. Ich lehnte mich an einen Baum, der über das Wasser herhing, und ließ in bitterem Schweigen meinen Gedanken ihren Lauf. – Ich hörte meinen Namen aussprechen – fühlte eine Hand an meinem Arm, wandte mich um – und Hausman stand neben mir.

»Was, moralisieren?« sagte er mit seinem rohen Lächeln.

Ich antwortete nicht.

»Sieh,« sprach er, aufs Wasser deutend, »wie der Fisch dort auf seine Beute lauert, auf eine Beute aus seinem eigenen Geschlecht. Was, du hast im Buch der Natur gelesen, ist's nicht allenthalben so? – Wer nicht thut wie die übrigen,« fing er von neuem an, »erfüllt nicht die Bestimmung seines Daseins: er will weiser sein, als seinesgleichen, und ist nur der Narr seiner eigenen Plage. Ist's nicht so? Ich bin ein einfacher Mensch und möchte was lernen.«

Noch immer gab ich keine Antwort.

»Du schweigst,« sprach er, »bist du mir böse?«

»Nein!«

»Nun denn,« fuhr er fort, »mag's auch seltsam scheinen! bei aller Verschiedenheit unserer Sinnesart sind mir in diesem Augenblick in gleicher Lage. In der weiten Welt hab' ich keine Guinee, und du bist vielleicht ebenso bedürftig. Aber merke den Unterschied: ich, der Unwissende, werde, ehe drei Tage vorüber sind, wieder einen vollen Beutel haben: du, der Weise, wirst immer gleich arm bleiben. Komm, wirf deine Weisheit weg und thue wie ich.«

»Was?«

»Nimm vom Überfluß anderer, was deine Notdurft erfordert. Mein Pferd, meine Pistole, eine fertige Hand, ein festes Herz sind für mich, was Geldkisten für die übrige Welt. Entdeckung und Tod sind Möglichkeiten, die dabei mit unterlaufen – ich geb' es zu: aber ist diese Möglichkeit nicht immer noch besser als manche Gewißheit?«

Ich wandte das Gesicht ab. In der Stille meines Zimmers, in der Verborgenheit meines Herzens hatte ich dieselben Gedanken gehabt, die der Räuber jetzt aussprach. Es kämpfte in mir. »Willst du Gefahr und Beute teilen?« hob Hausman mit leiser Stimme wieder an.

Ich sah ihm ins Auge. »Sprich,« sagt' ich, »erkläre, was du vorhast.«

Hausmans Blicke leuchteten auf.

»Höre mich,« sprach er, »Clarke ist im Begriff, neben dem ihm legal zugefallenen Mammon sich noch mehr anzueignen. Er hat sein Vermächtnis in Edelsteine umgesetzt; andere Edelsteine hat er unter falschen Vorwänden geborgt; diese will er sich ebenfalls zueignen und die Stadt bei finsterer Nacht verlassen. Er hat mir seine Absicht anvertraut und mich um meinen Beistand gebeten. Ich und er sind nämlich, um es zu gestehen, alte Freunde. Wir haben schon früher Gefahren und Beute geteilt: so hat er sich denn jetzt wieder an mich gewandt, ihm bei seiner Flucht behilflich zu sein. Merkst du nun, wo's hinaus soll? Machen wir ihm seine Bürde leichter! Ich biete dir die Hälfte an. Teile das Wagnis und seine Früchte.«

Ich fuhr auf, ging weg, drückte die Hände gegen mein Herz; ich hätte die Stimme, die in mir flüsterte, zum Stillschweigen bringen mögen. Hausman bemerkte den Kampf; er folgte mir nach, nannte den Betrag des Wertes, dessen Erbeutung er vorschlug. Was er mir als meinen Anteil bezeichnete, setzte mich in stand, alle meine Wünsche zu erfüllen! – Das Mittel zur Befriedigung der einzigen Leidenschaft meiner Seele, des Durstes nach Kenntnissen – die Macht zu stiller, glücklicher Unabhängigkeit – alles war in meine Hand gelegt. – Keine Wiederholung des Betrugs; keine Fortsetzung der Sünde; eine einzige Handlung reichte hin! Tief atmete ich auf, aber ich bannte den Sturm nicht, der meine Brust ergriffen hatte. Schaudernd schloß ich die Augen, aber immer wieder stieg jenes Bild vor mir auf.

»Gieb mir deine Hand,« sagte Hausman.Obwohl es nach dem bisherigen Abschnitt von Arams Geständnis scheinen dürfte, Hausman habe auf nichts weiteres als auf die Beraubung Clarkes hingedeutet, so erhellt doch aus dem folgenden, daß er über das noch schändlichere Verbrechen wenigstens einen Wink fallen gelassen hatte.

»Nein, nein,« rief ich und eilte von ihm weg. »Ich muß warten, – ich muß überlegen; – ich verwerf' es nicht, aber auch entschließen kann ich mich jetzt noch nicht.«

Hausman drängte, aber ich beharrte bei meinem Bescheid; er wollte sich aufs Drohen legen, aber meine Natur war mächtiger als die seinige und überwältigte ihn. Es ward verabredet, er solle mich abends aufsuchen und meinen Entschluß vernehmen; –die folgende Nacht war diejenige, in welcher die That geschehen sollte. Wir schieden. – – – Als umgewandelter Mensch langte ich in meiner Wohnung an. Das Verhängnis hatte sein Netz um mich gewoben; – ein neuer Umstand zog jetzt das Gewebe dichter zusammen. Auf meinen Spaziergängen hatt' ich oft ein armes Mädchen bemerkt, das ihre Familie durch Geschicklichkeit im Spitzenklöppeln ernährte – ein stilles, sanftes Wesen, ein Bild der Geduld. Vor wenigen Tagen war sie von Clarke, unter dem Vorwand ihr Spitzen abzukaufen, ins Haus gelockt worden (als eben alle übrigen Bewohner sich wegbegeben hatten) und ihr dort von jenem die brutalste Gewalt geschehen. Die ausnehmende Dürftigkeit der Eltern hatte es dem Verbrecher nicht schwer gemacht, diese Leute zum Stillschweigen zu bereden, aber etwas von der Geschichte war gleichwohl unter die Menge gekommen. Das arme Mädchen wurde Gegenstand jenes Geschwätzes und jener Verlästerungssucht, die gerade bei den niedern Volksklassen ebenso roh im Ausdruck als schadenfroh in der Gesinnung ist, und in einem Anfall von Scham und Verzweiflung hatte sich das unglückliche Geschöpf jetzt eben das Leben genommen. Dieses schauerliche Ereignis entlockte den Eltern den wahren Hergang. Die Unthat samt ihrer Folge kam mir in derselben Stunde zu Ohren, wo meine Seele unentschlossen schwankte. Können Sie sich wundern, daß, sie dadurch auf einmal, und zu furchtbarem Entschluß, bestimmt wurde? Was war dieser Elende? Im Laster ergraut – der Zeit durch seinen Lebenswandel vorgreifend – nach einem entehrten Grab schwankend – alles was er auf seinem Weg. berührte, besudelnd – mit greisen Haaren und schmutzigen Lüsten, welche Fäulnis, nicht Glut des Herzens andeuteten, ein fressender Schaden, ein Fluch für die Welt! Was war meine That? – Befreiung der Erde von einem ebenso niederträchtigen als giftigen Geschöpf. War dies Verbrechen oder Gerechtigkeit? In mir selbst fühlte ich den Willen – den Geist, der ein Segen für die ganze Menschheit werden konnte. Mir fehlten die Mittel, den Willen zur Ausübung zu bringen, dem Geiste Flügel zu geben. Eine einzige That verschaffte mir diese Mittel. Wäre das Opfer dieser That ein leidlich rechtlicher Mensch gewesen, der mit ruhigem Schritt die enge Bahn zwischen Bösem und Gutem hinging, manchem etwas zu Lieb und niemand etwas zu Leid that; – so hätt es immer noch eine Frage sein können, ob die Menschheit durch mein Thun nicht mehr gewinne als verliere. Hier aber war einer, dessen Schritt nie an einer guten Handlung hinstreifte – dessen Herz für kein edles Gefühl schlug –, ein Schandfleck, eine Pestbeule der Schöpfung; – nichts als der Tod konnte dieses Geschwür wegwaschen und die Welt reinigen. Der Krieger empfängt seinen Sold, und mordet, und schläft ruhig, und die Menschen rufen ihm Beifall zu. Sie erwidern: er tötet nicht um Geld, sondern um des Ruhmes willen. Zugegeben – obwohl es ein Trugschluß ist. Aber war denn hier nicht Ruhm zu gewinnen in einem noch herrlichern Felde als demjenigen der Schlachten? War kein Ruhm zu gewinnen in jenem Wissen, das uns erhält, nicht zerstört? Wollte ich meinen Schlag nicht eben für diesen Ruhm, für die Mittel, ihn zu gewinnen, führen? Ja, nehmen Sie an, der Krieger töte aus Vaterlandsliebe, einem noch höheren Gefühl, als die Liebe zum Ruhm: – überbot der Grund, der mich antrieb, nicht sogar die Vaterlandsliebe? Umschloß er nicht einen weiteren Kreis? Konnte die Welt seiner wohlthätigen Wirksamkeit eine Grenze setzen? Gab es einen Winkel auf der Erde, gab es einen Abschnitt in der Zeit, den eine brennende Seele, befreit von den Sorgen des Leibes, an die sie jetzt sklavisch gekettet war, und ganz der Wissenschaft hingegeben, nicht durchdringen, beleben, erhellen konnte? – Dies waren die Fragen, die ich mir stellte: – Nur die Zeit hat Antwort darauf erteilt.

Hausman kam, gemäß unserer düstern Verabredung. Schweigend gab ich ihm die Hand. Wir verstanden einander. Wir sprachen nichts weiter über die That selbst, sondern über die Art, wie sie gethan werden sollte. Der vorerwähnte traurige Vorfall machte es Clarke noch wünschenswerter die Stadt bald zu verlassen. Er war mit Hausman übereingekommen, sich schon in gegenwärtiger Nacht, nicht erst in der folgenden, wie anfänglich seine Absicht gewesen, heimlich zu entfernen. Die Juwelen und sein sonstiges Eigentum waren in ein kleines Päckchen zusammengepackt. Nach der Abrede wollte er seine Wohnung um Mitternacht oder später verlassen, und Hausman hatte sich anheischig gemacht, etwa eine halbe Stunde von der Stadt ein Gefährt in Bereitschaft zu halten. Für diesen Dienst hatte Clarke eine Belohnung versprochen, womit jener zufrieden schien. Wir beschlossen, daß ich Hausman und Clarke an einer gewissen Stelle des Weges, den sie von der Stadt aus zu nehmen hatten, treffen sollte, und dort –-! Hausman schien zuerst besorgt, ich möchte den Mut verlieren und in meinem Vorsatz schwankend werden. Dies ist nie der Fall bei Menschen von tiefer, kraftvoller Sinnesart. Den Entschluß zu fassen, war der schwierige Schritt – einmal entschlossen warf ich keinen Blick mehr hinter mich. Hausman trennte sich für jetzt von mir. Ich hatte keine Ruhe in meinem Zimmer. Ich ging fort und durchwanderte die Stadt. Tiefer und tiefer sank die Nacht herab – eins ums andere sah ich die Lichter in jedem Hause erlöschen, bis es endlich ganz still wurde. Schweigen und Schlaf hatten ihre Herrschaft über dem Reich der Menschen aufgeschlagen. Diese Stille – diese Ruhe – dieses Feiern von Sorg' und Müh' – wie tief gruben sie sich in mein Herz! Nie schien mir's, habe die Natur eine so furchtbare Pause gemacht. Es war mir, als wären nur ich und mein beabsichtigtes Opfer noch allein auf der Welt. Dabei hatte ich mich gegen jeden Anfall von Beängstigung in einen erhabenen, unnatürlichen Wahnsinn hineingearbeitet. Ich betrachtete die That, die ich vollführen wollte, als ein großes, feierliches Opfer für die Wissenschaft, deren Priester ich war. Das Schweigen umher atmete für mich eine ernste, erhabene Heiligkeit – die Stille nicht des Kirchhofs, sondern des Altars. Stunde um Stunde hörte ich die Glocke schlagen, aber ich schwankte weder noch ward ich ungeduldig. Mein Gemüt lag still versenkt in meinem Vorsatze.

Der Mond ging auf, aber mit bleichem, krankhaftem Antlitz. Ringsum lag der Winter über der Erde: der Schnee, der gegen Abend gefallen, bedeckte den Boden hoch, und der Frost schien die ganze Natur in dieselbe Todesruhe zu bannen, die meine Seele ergriffen hatte.

Um Mitternacht, eben bevor Clarke seine Wohnung verlassen würde, sollte Hausman zu mir kommen: aber es waren beinahe zwei Stunden über diese Zeit verflossen, als er endlich anlangte. Ich ging vor meiner Hausthür auf und ab und bemerkte, daß er nicht allein, sondern in Gesellschaft Clarkes war. »Ha!« rief er, »das trifft sich gut: ich sehe du gehst gerade nach Haus. Ja, ich besinne mich, du hattest etwas vor der Stadt zu thun, und kehrst jetzt wohl eben zurück? Willst du Herrn Clarke und mich für einen Augenblick bei dir aufnehmen? – denn, die Wahrheit zu sagen.« setzte er mit leiserer Stimme hinzu, »der Nachtwächter geht umher, und der darf uns nicht sehen! Ich habe Clarke schon gesagt, daß er dir trauen kann –, sind wir doch Verwandte!«

Clarke, der in Bezug auf den Charakter seines Begleiters zum Verwundern arglos und unbesorgt war – aber wen das Schicksal vernichten will, den blendet es zuvor – that an mich in ahnungslosem Ton die nämliche Bitte, unter Andeutung der nämlichen Ursache. Nur ungern öffnete ich und ließ sie ein. Wir stiegen in mein Zimmer hinauf. Ohne eine Spur von Gewissen sprach Clarke über den Betrug, den er beabsichtigte, und mit einer Herzlosigkeit, daß mir das Blut in den Adern kochte, von dem armen Opfer, dem seine viehischen Lüste den Untergang bereitet hatten. All das waren eiserne Bande um meinen Entschluß. Sie blieben beinahe eine Stunde bei mir, denn der Nachtwächter hielt sich geraume Zeit in dem Viertel auf! – endlich ersuchte mich Hausman sie eine Strecke Weges vor die Stadt hinauszubegleiten. Clarke unterstützte seinerseits die Bitte. Wir gingen; das übrige – was brauch' ich es zu wiederholen? Hausman log vor dem Gericht. Meine Hand schlug – aber nicht den Todesstreich. Doch habe ich von dieser Stunde an meine Rechte nie mehr als Pfand der Liebe oder Freundschaft dargereicht; – jenes Andenken klebte ihr als Fluch an.

Wir teilten unsere Beute. Die meinige begrub ich für den Augenblick. Hausman stand in Verkehr mit einem Zigeunerweib, durch dessen Hilfe er seinen Anteil auf einmal nach London schaffte. Und nun merken Sie auf, wie ohnmächtig wir uns im ewigen Gewebe des Schicksals abmühen! Drei Tage nach jener That starb eine Verwandte von mir, die sich im Leben nicht um mich gekümmert hatte, und vermachte mir ein großes Vermögen! – ein großes Vermögen wenigstens für mich! – ein größeres, als die Summe, um derentwillen ich..........! Die Nachricht traf mich wie ein Donnerschlag. Hätte ich nur drei kurze Tage gewartet! Großer Gott! als man mir's ankündigte – da glaubte ich die Teufel den Narren verlachen zu hören, der sich der Weisheit gerühmt hatte! Sagt mir nichts mehr von unserem freien Willen – wir sind bloß Werkzeuge einer unentrinnbaren ewigen Notwendigkeit – vorausbestimmt für unser Schicksal – an ein Rad gebunden, das uns fortrollt, bis es zu dem Punkte gelangt, wo wir zerquetscht werden sollen! Hätte ich nur drei Tage gewartet, nur drei kurze Tage! wäre mir nur ein Traum gekommen, hätte mir nur mein Herz zugerufen: du hast lange geduldet, harre noch aus!Bis hierher hat man Aram selbst, ohne Kommentar oder Unterbrechung eine Geschichte erzählen lassen. Die Kette von Folgerungen, das metaphysische Labyrinth seiner Verteidigung und der Beweggründe, die er um seine Thal Herzog, mußten billigerweise in ihrer ganzen Länge gegeben werden, um ein klares Licht auf seinen Charakter zu werfen – und vielleicht das Gehässige seines Verbrechens einigermaßen zu mildern. Keine moralische Betrachtung dürfte größern Eindruck machen, als die, welche uns zeigt, wie sich der Mensch in seine eigenen Trugschlüsse verfangen kann. Sie ist, unter dem rechten Gesichtspunkt gesehen, mehr wert, als Bande von Predigten. – Jetzt aber muß ich einen Augenblick innehalten und den Leser zu bemerken bitten, daß gerade der Umstand, welcher Aram in seinen verwirrenden Ansichten von einer Vorausbestimmung bestärkte, eher jene göttliche Tugend – die Grundlage aller christlichen wie heidnischen Tugenden – die Tugend, welche Epiktet zur klaren Anschauung brachte und Christus heiligte – den Heldenmut im wahren Sinn des Wortes einschärfen sollte. Der Leser wird finden, daß die Antwort auf die Folgerungen, die den Geist Arams wahrscheinlich überredeten und zum Verbrechen verblendeten, in der Umänderung seiner Empfindungen liegt, welche dem Verbrechen nachfolgte. Ich muß um Entschuldigung für diese Unterbrechung bitten – sie schien mir hier am rechten Ort zu sein, obwohl, sobald wir die Moral als Wissenschaft lehren wollen, wir das Moralisieren als Methode vermeiden sollten. Nein, dafür, für die Schuld und ihre Buße, für ein zerstörtes Leben und einen schmachvollen Tod – mit all meinem Durst für das Gute, meinen Träumen künftigen Ruhms – dazu war ich geboren, dazu war ich bezeichnet von meinem ersten Schlaf in der Wiege an!

Clarkes Verschwinden verursachte natürlich großes Aufsehen; denen, welche er betrogen, mußte begreiflicherweise an seinem Auffinden liegen. Ein unbestimmtes Gerede, daß er möchte vielleicht ermordet worden sein, verbreitete sich. Infolge des Zusammentreffens einiger Umstände wurden Hausman und ich verhört, ohne daß übrigens ein wirklicher Verdacht vor oder nach der Untersuchung an mir haften geblieben wäre. Das Verfahren endete ohne jeden Erfolg. Hausman verriet sich nicht, und ich, der von Kindheit an meine Leidenschaften bemeistert hatte, konnte auch meine Nerven bemeistern, welche die Spielpuppen der Leidenschaften sind. Aber im Gesicht der Frau, bei der ich wohnte, las ich, daß ich beargwöhnt sei. Hausman sagte mir, sie habe ihre Vermutung offen gegen ihn ausgesprochen; ja er ging mit Anschlagen gegen ihr Leben um, von denen er jedoch, nachdem er die Stadt verlassen hatte, was bald darauf geschah, natürlicherweise abstand. Ich blieb nicht lange nach ihm zurück; ich grub meine Diamanten aus, verbarg sie auf meinem Leibe und machte mich zu Fuß nach Schottland auf, wo ich meine Beute in Geld verwandelte. Jetzt hatte ich keinen Mangel mehr zu leiden; – hatte ich aber auch Ruhe? Noch nicht. Es trieb mich hinaus, durch die Welt zu wandern – Kains Fluch fällt auf Kains Kinder. Ich reiste eine beträchtliche Zeit, sah Menschen und Städte und öffnete ein neues Buch über mein Geschlecht. Sonderbar! vor der That war ich im Gange der Welt wie ein Kind, und ein Kind hätte mich bei all meinem Wissen betrügen können. Sobald die That vollbracht war, ging mir ein Licht auf; – auf meinen Augen schien ein Zauber zu ruhen, der sie befähigte, in das Herz der Menschen einzudringen! Ja, es war ein Zauber, ein neuer Zauber – es war der Argwohn! – Ich übte mich jetzt im Gebrauch der Waffen – sie waren meine einzigen Gefährten. Friedlich, wie ich der Welt erschien, fühlte ich, daß auf ewig das in meinem Innern wohne, womit die Welt Krieg führt.

Ich hintergehe Sie nicht. Was die Menschen Reue nennen, empfand ich nicht! Einmal zur Überzeugung gelangt, daß ich ein Wesen von der Erde geschafft, das ihre Bewohner verletzte und besudelte: daß ich bei Zertretung eines nichtswürdigen Lebens, mit welchem ich nicht eine Tugend – nicht eine Empfindung – nicht einen Gedanken, der andern zum besten dienen konnte, zertreten hatte, einem ruhmwürdigen Zweck zugestrebt; – einmal zu solcher Überzeugung gelangt, war ich nicht schwach genug, leere Reue über eine That zu empfinden, die ich in meinem Fall für kein Verbrechen gelten ließ. Reue fühlte ich nicht, wohl aber Bedauern. Den Gedanken, daß, wenn ich drei Tage gewartet, ich mir nicht eine Schuld, aber die Möglichkeit der Schande erspart haben würde; – die Möglichkeit, zu Hausmaus Genossen herabzusinken; – das Gefühl, daß den Menschen Macht gegeben sei, Gewalt gegen mich anzuwenden; – daß ich nicht länger außer dem Bereich menschlicher Bosheit oder menschlicher Neugier stehe – daß ich ein Sklave meines eigenen Geheimnisses sei – daß ich fürder nicht Herr, mein Herz nach Gefallen zu zeigen oder zu verbergen – daß ich zu jeder Stunde, im Besitz von Ehren, in den Armen der Liebe gepackt und als Mörder ausgeschrien werden konnte – daß mein Leben, mein Ruf vom Hauch des Zufalls abhingen – daß im Augenblick, wo mir's am wenigsten ahnte, die Erde ihren Toten zurückgeben, das Hochgericht sein Opfer fordern konnte: könnt' ich dies fühlen, all dies – ohne die Vergangenheit zu einem Gespenst für mich zu machen? – zu einem Gespenst, das an meiner Seite ging – sich mit mir zu Bett legte – aus meinen Büchern sich erhob – zwischen mich und die Sterne des Himmels schlich – sich unter die Blumen stahl und ihren süßen Duft vergiftete – das mir ins Ohr flüsterte: »Arbeite Thor und sei weise; der Vorzug der Weisheit ist, daß sie uns dem Bereich der Schicksalsgöttin entrückt, du aber bist ihr Schoßkind!« – Ja, ich stellte endlich meine Wanderzüge ein, umgab mich mit Büchern, und noch einmal ward, wie es früher gewesen, das Wissen mein Durst, aber nicht, wie früher, mein Glück. Ich beschäftigte meine Gedanken, legte neue Vorratskammern in meinem Geist an – blickte um mich und fand wenige, deren Schätze den meinigen gleich kamen; aber wo – bei dieser noch so heißen Leidenschaft für die Weisheit – wo war jenes einst noch glühendere Verlangen, das mich in eine so dunkle Kluft zwischen Jugend und Mannesalter – zwischen dem vergangenen und meinem gegenwärtigen Leben hineingetäuscht hatte – das Verlangen, mein Wissen zum besten der Menschheit anzuwenden? – Fort – tot, begraben auf ewig in meiner Brust, mit all den tausend Träumen, die vor ihm dahingewelkt waren! Sobald die That gethan war, schien die Menschheit plötzlich meine Feindin geworden zu sein. Ich betrachtete sie mit andern Augen. Mir war bewußt, daß ich das Geheimnis in mir trage, dessen Bekanntwerden mir ihren Haß, ihren Abscheu zuziehen würde – selbst wenn ich mein künftiges Leben zu einer ununterbrochenen Reihe und Wohlthaten für sie und ihre Nachkommen bestimmte! War dieser Gedanke nicht genug, meine Glut zu ersticken – die Thatkraft zum Nichtsthun einzufrösteln? Je größeres ich leisten – je glänzendere Ehren ich gewinnen – je höhere Dienste ich der Welt leisten mochte, um so schrecklicher und grauenhafter wurde ja endlich mein Fall! Ich hätte nur das Gerüst aufgebaut, von welchem ich dereinst herabgestürzt werden sollte! Durch solche Gedanken beherrscht, faßte ich die menschlichen Dinge von einem gegen mein ehemaliges Streben sehr abstechenden Gesichtspunkt auf: – im Augenblick, wo der Mensch fühlt, daß ein Gegenstand seinen Zauber für ihn verloren hat, tröstet er sich durch Vernünfteln über seinen Verlust. »Wie,« sagte ich, »wozu mir schmeicheln, daß ich der Menschheit dienen, daß ich sie aufklären könne? Sind wir gewiß, daß ein individuelles Wissen dies jemals gethan hat? Sind wir wirklich weiter gekommen, weil Newton gelebt, sind wir glücklicher, weil Bacon gedacht hat?« Diese verdüsterte erkältende Art der Betrachtung sagte meiner damaligen Gemütsstimmung mehr zu, als die warme, sehnsüchtige Begeisterung, die ich früher genährt. Bloß auf die Außenwelt gerichteter Ehrgeiz war von meinen Knabenjahren an von mir verachtet worden. Der wahre Wert von Krone und Scepter – die bange Unruhe der Herrschgewalt – die Demütigungen der Eitelkeit – hatten sich vor meinem Auge nie verbergen können. Was mich erhoben, war die Begierde nach geistigem, Ruhm. Auch diesen betrachtete ich jetzt als ein Trugbild. Nur um meine eigene Seele darin zu baden, strebte ich fürder nach dem Feuer des Prometheus; aber ich fühlte kein Verlangen mehr das mitzuteilen, was unter Umständen, deren Leitung nicht in meiner Gewalt stand, die Menschen ebenso gut verderben als aufhellen, ebenso leicht ihr Fluch als ihr Segen werden konnte. Aber immer noch liebte ich die Wissenschaft – liebe sie noch und würde, könnt' ich ewig leben, sie ewig lieben! Sie ist eine Gefährtin – eine Trösterin – ein Lebenszweck – eine Lethe, Doch nicht weiter hiervon! – Dahin auf ewig war für mich die strahlende Ruhmbegierde, welche die Geistesbildung zum Mittel, nicht zum Zweck macht. Wie gegen die gewöhnliche Annahme behauptet wird, die Biene sammle den Honig ohne Vorgefühl des Winters und arbeite ohne anderes Ziel als die Arbeit selbst, so häufte ich Jahr für Jahr alles auf, was die Erde meinem Fleiß darbot und fragte nicht wozu. Ich hatte mich in eine Welt des Entsetzens gestürzt, um einen Traum zu genießen. Siehe! das Bild war entschwunden, aber ich konnte nicht mehr zurück.

Ruhe ward jetzt für mich das einzige KalonDas Schöne, Gute (Griechisch) D. Übers. – der einzige Reiz für mein Dasein. Ich verliebte mich in die Lehre jener alten Mystiker, welche die Glückseligkeit lediglich in eine in vollkommenem Gleichgewicht erhaltene Freiheit von Leidenschaften setzten. Wo aber, als in gänzlicher Abgeschiedenheit, war solche Freiheit zu genießen? Jetzt begriff ich, daß in altern Zeiten Menschen, welche das Andenken an irgend eine quälende Schuld verzehrte, in die Wüste flohen und Einsiedler wurden. Stille und Einsamkeit sind die einzigen Besänftigerinnen einer verdüsterten Erinnerung. – Leichte Bekümmernis rettet sich ins Menschengetümmel – durchbohrende Gedanken müssen sich selbst zur Ruhe kämpfen. Manches Jahr war vergangen, an manchem Orte hatte ich meine Wohnstätte aufgeschlagen. Alles Stürmische, wenn auch nicht alles Ruhelose, war endlich aus meinem Bewußtsein geschwunden. Die Zeit hatte mich in ein Gefühl von Sicherheit eingelullt. Ich atmete freier, stahl mich zuweilen ganz aus der Vergangenheit weg. Seit meinem Abgang von Knaresborough hatte es der Zufall mehrmals gefügt, daß ich meinen Brüdern nützlich werden konnte – nicht durch mein Wissen, sondern durch Mildthätigkeit oder Mut – durch Handlungen, deren Andenken mir wohl that. War das große Ziel, eine Welt zu erleuchten, dahin – war auf das Streben, meine Wohlthaten in einem so umfassenden Sinn auszuteilen, Gleichgiltigkeit, Hoffnungslosigkeit gefolgt – stets hing doch der Mensch, das Bild der Menschheit, noch an meinem Herzen; – stets war ich noch so geneigt zum Mitleid mit ihm – ebenso bereit zu seiner Verteidigung – ebenso froh, ihm Freude zu machen, wenn die Schickungen des Lebens mir irgend eine Gelegenheit dazu boten und vor allem verschloß sich meine Hand niemals der Armut. Denn ach! welch grimmiger Teufel schleicht in des Menschen Seele, der den Hunger vor seiner Thür sieht. Nur eine That des Erbarmens und wie viel schwarze Entwürfe, die in einer solchen Seele aufsteigen wollen, kannst du auf ewig zermalmen! Überzeuge den, der die Welt für seine Feindin halt, daß er mindestens einen Freund hat und du reißest einen Dolch aus seiner Hand!

Ich kam nach einem schönen, abgeschiedenen Teil des Landes; Walter Lester, ich kam nach Grünthal! – die reizende Gegend – die geräuschlose, tiefe Zurückgezogenheit des Ortes fesselten mich schnell. »In diesen Thälern,« sprach ich, »will ich den Rest meines Lebens verbringen; unter diesen stillen Gräbern soll auch das meinige gegraben werden, und mein Geheimnis soll mit mir sterben!«

Ich mietete das einsame Haus, das ich bewohnte, als Sie mich kennen lernten – dorthin schaffte ich meine Bücher und Instrumente. Ich bildete mir neue Entwürfe im großen Reich des Wissens, und eine tiefe Ruhe, die beinahe zur Zufriedenheit stieg, sank wie ein süßer Schlummer auf meine Seele!

In solchem Gemütszustände, dem freiesten von Erinnerungen, und von der angstvollen Sehnsucht, die Zukunft zu durchschauen, in welchem ich mich seit zwölf Jahren befunden, sah ich Madeline Lester zum erstenmal. Schon jenes erstemal schien mir ein plötzliches Himmelslicht aufzudämmern. Ihr Gesicht – seine stille – heitere – rührende Schönheit strahlte mich wie eine überirdische Erscheinung an. Mein Herz erglühte bei diesem Anblick – mein Puls schien von seiner gleichmäßigen Ruhe zu erwachen. Ich war noch einmal jung geworden. Jung! Wieder hatte ich die Jugend, die Frische, die Wärme – nicht nur des Körpers, sondern auch der Seele. Aber kaum daß ich Ihre Muhme damals sah, oder mit ihr sprach – kaum daß ich sie kannte: – noch liebte ich sie nicht, und nur selten begegneten wir uns. Geschah es, so fühlte ich mich den ganzen übrigen Tag hindurch von einem heiligen Geist umschwebt; – eine unruhige aber entzückende Regung durchschauerte mich; – ein Sturm aus Süden rührte die dunkeln Fluten meines Gemütes auf, aber er ging vorüber und alles ward wieder ruhig. Nicht ganz zwei Jahre nach der Zeit, wo wir uns zum erstenmal gesehen, brachte uns ein Zufall in innigere Verbindung. Ich übergehe das übrige. Wir liebten uns! Doch welche Kämpfe hatte ich zu bestehen, während diese Liebe bei mir wuchs! Wie widernatürlich schien es mir, daß ich – ich einer Leidenschaft unterließen sollte, die mich mit meinen Mitmenschen verband; und je mehr ich Madeline liebte, desto Peinigender war meine Besorgnis wegen der Zukunft! Was beinahe in Schlummer gesunken gewesen, erwachte von neuem zu furchtbarem Leben. Der Boden, der die Vergangenheit bedeckte, konnte sich spalten, der Tote erwachen, diese gespenstische Kluft mich auf ewig von ihr trennen! Welch ein Los wälzte ich überdies vielleicht auf diese Brust, die angefangen hatte sich mir mit solchem Vertrauen hinzugeben! Oft – oft beschloß ich zu fliehen – sie zu verlassen – die Wüste in einem entlegenen Teil der Welt zu suchen und mich nie wieder in ein Empfinden hineinlocken zu lassen! Aber wie der Vogel ins Netz flattert, wie der Hase auf der Flucht nach seinen eigenen Verfolgern umwendet, kämpfte ich nur kraftlosen Kampf mit einem unwiderstehlichen Verhängnis. Bemerken Sie, wie seltsam oft das Zusammentreffen des Schicksals ist, – des Schicksals, das uns warnt, aber zugleich die Macht nimmt, diesen Warnungen Folge zu leisten, – des nutzlosen Propheten, – des hinterlistigen Feindes! Am nämlichen Abend, der mich mit Madeline Lester näher bekannt machte, entdeckte Hausman, den Anschläge auf Trug und Gewalt in diese Gegend geführt hatten, meinen Aufenthalt und kam zu mir! Stellen Sie sich meine Empfindungen vor, als ich im Schweigen der Nacht meine einsame Wohnung auf sein Klingeln öffnete und nach so vielen Jahren – den Mitmörder beim Licht des Mondes wiedersah, das einst Zeuge jenes nie vergeßbaren Bundes zwischen uns gewesen! Zeit und fortgesetzte Verbrechen hatten seine Natur verändert, verhärtet, erniedrigt. Der Gewalt, der Willkür dieser Natur sah ich mich plötzlich hingegeben. Er brachte jene Nacht unter meinem Dache zu. Er war arm. Ich gab ihm, was in meinen Händen war. Er versprach, diesen Teil Englands zu verlassen – mich nie wieder aufzusuchen.

Am folgenden Tage fand ich vor meinen eigenen Gedanken keine Ruhe; die Umwälzung war zu plötzlich, zu voll von stürmischen, wilden, quälenden Empfindungen. Zu kurzer Ruhe floh ich nach dem Hause, wohin mich Madelines Vater geladen. Aber umsonst suchte ich durch Wein, Gespräch, durch Menschenstimmen, durch Menschengüte dem Geist zu entfliehen, der aus seinem alten Grabe gestiegen war. Bald kehrte ich zu meinen Gedanken zurück. Ich beschloß, mich noch einmal in die Einsamkeit meines Herzens zu hüllen. Doch will ich nicht wiederholen, was ich in meiner Erzählung bereits, etwas vor der richtigen Zeit, gesagt habe. Ich beschloß – ich kämpfte umsonst. Das Schicksal halte bestimmt, daß Madelines süßes Leben unter dem Giftbaum des meinigen verwelken sollte. Noch einmal suchte Hausman mich auf und jetzt begann das, was bei einem Verbrechen so demütigend ist: seine niedrigen Berechnungen, seine armselige Rechtfertigung, seine elende List, seine gemeine Heuchelei. Diese machten meine grimmigste Pein aus! Den rohen, verächtlichen Schurken mußte ich beseitigen, überlisten, zum Schweigen bringen. Es ist hier nicht der Ort zu wiederholen, wie ich diese Aufgabe löste! ich überwies ihm beinahe meine ganze Habe unter der Bedingung, daß er England für immer verlasse. Erst wenn diese Bedingung erfüllt, wenn der Tag, an welchem er England verlassen haben mußte, vorüber wäre, konnte ich mich entschließen, Madelines Schicksal unwiderruflich mit dem meinigen zu verknüpfen. Thor, der ich war; als hätte das Gesetz uns noch fester verbinden können, als es die Liebe bereits gethan!

Wie oft werden, wenn eine Seele sündigt, ihre erhabensten Empfindungen durch ihre niedrigsten bestraft. Wie bitter und erniedrigend war es für mich Abgeschiedenen, auf ewig von den Schwingen überirdischer Betrachtung dahin Getragenen – so plötzlich von der Hoheit des Gedankens herabgerufen zu werden, um nach Pfunden und Hellern um das Dasein zu feilschen und das mit einem Menschen wie Hausman! Das ist der Fluch, welcher durch Zermalmung unseres Stolzes dem Trauerspiel des Lebens erst seine rechte Tiefe giebt! Doch ich kehre zu dem oben Gesagten zurück. Ich war daran Madeline zu heiraten: – noch einmal war ich arm geworden, – aber diesmal starrte mir der Mangel nicht so grimmig entgegen; ich hatte von jemand, den Sie kennen, das Versprechen eines Jahrgeldes erhalten. Um das, was ich einmal meinem Nebenmenschen mit Gewalt abgezwungen, bat ich jetzt; aber nicht im Geist des Bettlers, sondern des Berechtigten, und in diesem Sinn ward es mir auch zugestanden, Und nun war ich wirklich glücklich: Hausman glaubte ich auf ewig aus meinem Wege entfernt: Madeline sollte in wenigen Tagen die Meinige sein! Ich gab mich der Liebe hin; blind und getäuscht wandelte ich fort und erwachte am Rande des Abgrundes, in den ich jetzt stürzen soll. Sie wissen das Übrige. Aber oh! was glich meinem Grauen! es war kein ganz wertloses, vereinzeltes Wesen in der Schöpfung, das ich aus dem großen Lebensganzen ausgestrichen: den Bruder desjenigen hatte ich gemordet, dessen Kind meine Verlobte war. Geheimnisvolle Vehme! – dunkles, nie ruhendes Schicksal! Wo ich mich am fernsten von ihm glaubte, packte mich seine gewaltige Hand. Merke dir, junger Mann, darin spricht sich eine Idee des Sittengesetzes aus, wie sie dich wenige Prediger lehren können! Merk dir! weit seltener verletzt der Mensch das Gesetz in Bezug auf seine besondere Persönlichkeit, als in Bezug auf die Allgemeinheit. Hinsichtlich der letzteren täuschen wir uns mit Trugschlüssen, die Wahrheiten zu sein scheinen. Hinsichtlich meines eigenen Ichs ward mir die Annahme leicht, daß kein Verbrechen vor mir begangen worden. Ich hatte einen der Welt schädlichen Mann aus dem Wege geschafft: mit dem Geld, das er zum Schaden der Gesellschaft anwandte, gewann ich die Mittel vielen Gutes zu thun: nach ihren Folgen in Bezug auf mich allein konnte meine Thai wirklich als ein Gewinn der Menschheit gelten: – ihre Folgen in Bezug auf das ganze hatte ich bis jetzt übersehen und nun brachen sie plötzlich über mich herein. Die Schuppen fielen mir von den Augen und ich erkannte mich als das was ich war! All meine Berechnungen lagen mit einmal zu Boden geschmettert; – denn was war all das Gute, das ich mir vorgenommen zu thun, das Gute das ich gethan, – in Vergleich mit den Qualen, die ich jetzt über Ihr Haus ausschüttete? War Ihr Vater mein einziges Opfer? Madeline – Hab' ich nicht auch sie gemordet? Lester – Hab' ich nicht auch am Sand in seiner Urne gerüttelt? Selbst Sie – Hab' ich nicht die Blüte und Fülle ihrer Jugend geknickt? Wie unberechenbar – wie unermeßbar – wie unabsehbar sind die Folgen eines Verbrechens. selbst wenn wir, sie alle auf einer Wage abgewogen zu haben glauben!, auf welcher das Gewicht eines Haares merkbar zu sein scheint! Ja; vorher hatte ich keine Reue gefühlt. Nun fühlte ich sie. Ich hatte kein Verbrechen anerkannt und jetzt schien Verbrechen das innerste Wesen meiner Seele zu sein! Das Los des Ödipus, das den Alten das fürchterlichste aller Menschengeschicke dünkte. war das meinige. Verbrechen – Entdeckung – unheilbare Verzweiflung! – Höre in mir die Stimme eines Menschen, der am Rand einer Welt steht, in deren Schauer die Vernunft nicht einzudringen vermag – höre mich: wenn dein Herz dich zu einem Abweichen von der Bahn verführen will, die den übrigen Menschen vorgezeichnet ist und dir zuflüstert: »Das mag für andere ein Verbrechen sein, ist es aber nicht für dich« – so zittere; halte fest, fest am Pfad, den zu verlassen es dich anlockt. Gedenk' an mich!

Bei dieser Gemütsstimmung war ich jedoch noch genötigt, den Heuchler zu machen. Hätte ich allein in der Welt gestanden – wären Madeline und Lester mir nicht gewesen, was sie mir waren – so hatte ich meine That und deren Beweggründe bekennen – hätte zu den Herzen der Menschen sprechen – hatte die düstere Geschichte der Folgerungen und Lockungen, durch welche wir das klare Bewußtsein verlieren und zu Werkzeugen des Erzfeindes werden, erzählen mögen! Aber so lange ihre Augen auf mich gerichtet waren, so lange ihr Leben, ihre Herzen an meiner Lossprechung hingen, kämpfte ich weniger um meinet- als um ihretwillen gegen die Wahrheit. Um ihretwillen waffnete ich meine Seele; ich war ein Bösewicht und um ihretwillen ward ich zum kühnen, schlauen, gewandten Bösewicht! Meine Verteidigung erreichte ihren Zweck: Madeline starb, ohne ein Mißtrauen in die Schuldlosigkeit dessen zu setzen, den sie liebte. Lester wird, falls Sie mir die Wahrheit sagen, im gleichen Glauben sterben. Und wirklich, da die Künste der Heuchelei nun einmal ihren Anfang genommen, würde es um der Konsequenz willen meinem Stolz geschmeichelt haben, die Welt in gleichem Irrtum, oder wenigstens im Zweifel zu lassen. Um Ihretwillen verwinde ich diesen Wunsch, die letzte Schwäche des stolzen Mannes. Und damit ist meine Erzählung zu Ende. Über das, was in diesem Augenblick in meinem Herzen vorgeht, hebe ich den Schleier nicht auf. Ob unter demselben Verzweiflung, oder Hoffnung, oder grimmiger Sturm, oder stille, verhängnisvolle Ruhe sei, ist gleichgiltig. Meine letzten Stunden sollen mein Leben nicht Lügen strafen, am Rande des Todes will ich nicht den Feigling spielen und beben vor dem unbekannten Jenseits. Der Durst, der Traum, die Leidenschaft meiner Jugend lebt noch und glüht, die erhabenen, mit Nacht bedeckten Geheimnisse kennen zu lernen, die dem Erdenleben versagt sind. Vielleicht darf ich hoffen, der große unsichtbare Geist, dessen Ausfluß in mir ich, wenn auch irrend und fruchtlos, genährt und verehrt habe, werde in seinem gefallenen Geschöpf mehr einen durch Abwege der Vernunft Mißleiteten als einen Sklaven der Sünde sehen. Die Führerin, die mir der Himmel gab, betrog mich und ich war verloren; aber nicht wissentlich bin ich von Frevel in Frevel gestürzt. Gegen eine Schuld kann ich einiges Gute und viele Leiden in die Wagschale legen. Dunkel und fern von dem mir bestimmt gewesenen Ziele darf ich vielleicht das strahlende Antlitz derjenigen in ihrer glorreichen Heimat sehen, die mich lieben lehrte und die selbst in jener Heimat nicht ganz selig sein würde, wenn sie nicht das Licht ihrer göttlichen Verzeihung auf mich ausströmte. Genug! ehe Sie dieses Siegel erbrechen, gehört mein Los den Menschen und der Erde nicht mehr. Die heiße Sehnsucht, die ich in mir empfunden – die glänzenden Traumbilder, die ich genährt – das erhabene Streben, das mich so oft über Sinne und Staub emportrug, sagen mir, daß ich, sei's zum Guten oder Bösen, Bestandteil von etwas Unsterblichem und Geschöpf eines Gottes bin! Wie die alten Weisen das Gesicht in ihr Gewand hüllten und sich gelassen zum Sterben niedersetzten, so hülle ich mich gefaßt und ergeben in eine bis zum letzten Augenblick feste Seele und lasse mir selbst die Art, diese Seele hinüberzusenden, von keiner Menschenrache aufdrängen. Die Bahn meines Lebens ward von meiner eigenen Hand vorgezeichnet, von meiner eigenen Hand soll die Art und der Augenblick meines Todes kommen! August 1759.

Eugen Aram.«

Als man am Tage nach dem Abend, an welchem Aram vorstehendes Geständnis an Walter Lester gegeben hatte, – am Tage der Hinrichtung, in den Kerker des Verurteilten kam, fand man ihn auf seinem Bette liegen. Man trat hinzu, ihm die Ketten abzunehmen, aber er rührte sich nicht und antwortete ebensowenig dem an ihn ergangenen Rufe. Auf den Versuch, ihn emporzurichten, stammelte er endlich ein paar Worte mit schwacher Stimme. Man bemerkte, daß er mit Blut bedeckt war. Er hatte sich die Adern an zwei Stellen des Armes mit einem scharfen, schon seit einiger Zeit von ihm hierzu bereit gehaltenen Wertzeug geöffnet. Ein Wundarzt wurde sogleich herbeigerufen und der Gefangene durch die gewöhnlichen Mittel wieder einigermaßen zu sich selbst gebracht. Entschlossen, dem Gesetz sein Opfer nicht zu entziehen, trug man ihn, obwohl er gegen alles um ihn her bewußtlos schien, nach der verhängnisvollen Stätte. Als er an diesem furchtbaren Orte ankam, schien ihm die Besinnung plötzlich zurückzukehren. Hastig schaute er in der Menge umher, die murmelnd unten durcheinander wogte und ein schwaches Rot überflog seine Wange. Er sah ungeduldig nach oben und atmete schwer und krampfhaft. Jetzt waren die grauenhaften Vorbereitungen getroffen, aber der Gefangene wich einen Augenblick zurück – war es menschliche Angst? Er winkte dem Geistlichen. als wollte er ihm eine letzte Bitte ins Ohr flüstern. Der Geistliche neigte sein Haupt zu ihm; – eine schauderhafte Pause von einer Minute. – Aram schien nach Worten zu ringen; auf einmal zog er den Kopf weg und ein strahlendes Lächeln des Triumphs zuckte über sein ganzes Gesicht. Mit diesem Lächeln entfloh der stolze Geist und des Gesetzes letzte Unwürdigkeit ward an einem leblosen Leichnam vollzogen.Ich kann von der Hauptperson dieser Erzählung nicht scheiden, ohne dem Leser – falls er nicht meiner Empfehlung bereits zuvorgekommen ist – Hoods schönes, ergreifendes Gedicht »Eugen Aram« zur Anschaffung zu empfehlen. Vielleicht hätte Herr Hood (wenigstens ist dies – wie zu bemerken mir vergönnt sein möge – der Eindruck, welchen das Werk auf mich selbst hervorbrachte) ein der Wirklichkeit getreueres Bild entworfen, wenn er bei dem stoisch düstern Charakter dieses Mannes bald mehr das Bemühen dargestellt hätte, seine Schuld wegzuklügeln, bald derselben kühn ins Auge zu schauen, statt sich so gänzlich der Reue hinzugeben; aber keinerlei Auffassung hätte kräftiger, edler ausgeführt werden können: die mens divinior atmet in jeder Zeile.


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