Edward Lytton Bulwer
Eugen Aram
Edward Lytton Bulwer

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Sechstes Kapitel.

Die Themse bei Nacht. – Ein Gedanke. – Der Gelehrte sucht den Räuber wieder auf. – Ein menschliches Gefühl selbst in der verdorbensten Seele.

Klem. Unsre letzte Zusammenkunft!
Stat. Sei's des Himmels Wille!
Klemanthes.

Nachdem sich Aram von dem Lord verabschiedet, wandte er sich mit leichterem und rascherem Schritt nach einem minder glänzenden Teile der Hauptstadt.

Nach seiner Ankunft in London hatte er gefunden, daß er, um Hausman das zugesagte Jahrgeld zu sichern, selbst auf die kleine Summe verzichten müsse, die er gehofft hatte, zurückzubehalten. Daher sein Besuch und seine Bitte bei Lord ****+. Jetzt nahm er seinen Weg nach dem Ort, den ihm Hausman zur Zusammenkunft bestimmt hatte. Dem peinlichen Leser mögen diese an sich so unbedeutenden Einzelheiten einer Geldangelegenheit einige Ungeduld erregen und nicht ganz würdig erscheinen; allein wir schreiben einen Roman aus dem wirklichen Leben, und unser Publikum muß daher neben dem mehr Dichterischen auch das Alltägliche hinnehmen – die Enge der gewöhnlichen Welt neben ihren erhabenern Schmerzen und größern Freveln. Wer kennt sonst die ganze furchtbare Wahrheit eines moralischen Gemäldes, das uns eine ursprünglich hohe Natur, eine Seele, die einst nur der Durst nach Wahrheit beseelte, durch eine Reihe Zwischenereignisse zu den Kunstgriffen und Lügen eines gemeinen Heuchlers herabgewürdigt zeigt?

Es war jetzt ganz Nacht geworden, und die Dunkelheit ward nur durch die düstern Lampen, die eine lange Perspektive in den Straßen zogen und durch ein paar dämmernde Sterne erhellt, welche aus dem Schleier des Rauchnebels über der großen Stadt hervorbrachen. Aram hatte nunmehr eine der Themsebrücken erreicht und, nie unempfindlich für malerische Reize, stand er dort einen Augenblick still und sah dem dunkeln Strom entlang, der unter ihm brauste.

O Gott! wie viele wilde, stürmische Herzen sind an diesem Ort ebenfalls zur Ruhe gekommen, in einem furchtbaren Moment des Gedankens – der Berechnung – des Entschlusses – im letzten Moment ihres Lebens! Schaut nachts dem Laufe des prächtigen Stromes zu, wie hoheitsvoll er das Getreibe derer, die an seinen Ufern wohnen, zu verspotten scheint; – unverändert – unveränderlich; – alles um ihn her schneller Tod oder unruhiges Leben: er aber lächelt zu den bleichen Sternen auf und rollt dahin unter tiefen Melodien. Neben ihm der Senat, stolz auf seine feierlichen Wortkünstler, und dort die Abtei voll Leichensteinen, wo einige Handvoll von den hitzigsten Kämpfern als höchste Ehre – Vergessenheit und ein Grab finden mögen! Nichts ruft einer Großstadt die Lehre des Erdenlebens gewaltiger zu, als der Fluß, der ihre Mauern bespült.

In dem Anblick, der den Gelehrten noch festhielt, lag etwas, was seiner unerforschlichen, geheimnisvollen Brust ähnliche Betrachtungen wie die eben ausgesprochenen einflößte. Eine wie von höherem Willen eingegebene Niedergeschlagenheit beschlich ihn; eine warnende Stimme tönte an sein Ohr; erwacht war in ihm der furchtbare Genius und gerade im Augenblick, wo sein Sieg vollständig, seine Sicherheit verbürgt zu sein schien, empfand er dieselbe nur als

Des Stromes Glätte, eh' er niederstürzt.

Der Nebel dunkelte und trübte die wenigen Lichter, die an beiden Seiten hin zerstreut waren. Eine tiefe, düstere Ruhe lag brütend umher –

Die Häuser selber schienen leis zu schlafen
Und still lag jetzt des Reiches mächtig Herz.

Aus seinem kurzen, finstern Traum auffahrend, setzte Aram seinen Weg endlich fort und gelangte, indem er einige der schmäleren Straßen auf dem jenseitigen Ufer verfolgte, zuletzt in diejenige, worin er Hausman zu suchen hatte.

Es war ein enges dunkles Gäßchen, das in jeder Beziehung das Aussehen einer verdächtigen, in üblem Rufe stehenden Örtlichkeit darbot. Ein paar Bierschenken vom niedrigsten Range unterbrachen die dunkle Stille; – aus ihnen allein kam ein Schein von Lichtern, der neben der einzigen, am Eingang in dem Winkel brennenden Straßenlaterne einige Helle verbreitete. Ausbrüche von trunkenem Gelächter und sittenlosem Jubel erschallten jeden Augenblick aus diesen niedrigen Tummelplätzen des Vergnügens. Indem Aram an einem derselben vorüberging, strömte ein Schwarm der gemeinsten Auswürflinge und Dirnen lärmend aus der Thür und versperrte ihm plötzlich den Weg. Durch dieses ekelhafte Gedränge, dem Aussehen und Geruch der abstoßendsten Art des Lasters qualmend anhing, mußte der hochgesinnte ruhige Gelehrte seinen Weg bahnen! Die Dunkelheit, der eilige Schritt, das gebeugte Haupt erleichterte ihm das Entkommen von diesem heillosen Gesindel, und er stand jetzt vor der Thür eines kleinen, schmalen Häuschens. Ein gewaltiger Klopfer zierte die Pforte, die von ungewöhnlicher Stärke zu sein schien und dick mit großen Nägeln beschlagen war. Zweimal klopfte er, bevor er eine Antwort auf seine Aufforderung erhielt; nunmehr aber rief eine Stimme von innen: »Wer ist da? was wollt Ihr?«

»Ich suche einen Namens Hausman.«

Keine Antwort – es verstrichen mehrere Sekunden. Auf's neue klopfte der Gelehrte, und gleich darauf vernahm er die Stimme Hausmans selbst, der ausrief:

»Wer ist da? – Seph, der Eisenfresser?«

»Richard Hausman, ich bin es,« erwiderte Aram mit gedämpftem Ton, indem er eine natürliche Anwandlung von Abscheu und Grauen unterdrückte.

Hausman stieß einen schnellen Schrei aus, und sogleich wurde die Thür aufgeriegelt. Inwendig war alles ganz finster, und Aram fühlte mit einer schaudernden Empfindung, wie die Hand des ihm auf so seltsame Weise verbundenen Gefährten die seinige ergriff.

»Ha! bist du's! – Komm herein, komm herein! – Ich will dich führen. Nimm dich in acht – halt dich an die Wand rechts – jetzt steh still. So – so« – (die Thür eines Zimmers öffnend, worin ein einziges Licht, beinahe auf die Tülle herabgebrannt, die bisher durch nichts unterbrochene Finsternis erhellte). »Da sind wir! Da sind wir! Nun, wie geht's?«

Damit suchte Hausman geschäftig und mit einer Art wohlwollender Gastfreundlichkeit die Honneurs des Hauses zu machen. Er zog zwei rauhe hölzerne Stühle, die bei einer kurz vorher stattgefundenen Belustigung umgeworfen worden zu sein schienen und mitten auf dem ungewaschenen, teppichlosen Fußboden in einer Stellung lagen, welche derjenigen, wozu sie ihr Verfertiger bestimmt hatte, geradezu entgegengesetzt war; – er zog diese Stühle an einen mit Trinkhörnern, halbgeleerten Flaschen und einem Pack Karten durcheinander bedeckten Tisch. Zotenhafte Zerrbilder von der großen derben Art, die damals im Schwange war, schmückten die Wände, und auf einem andern Tische lagen nachlässig hingeworfen ein Paar gewaltige Reiterpistolen, ein ungeheurer Klapphut, ein falscher Schnurrbart, ein Schminktopf und eine Reitgerte. All das überschaute der Gelehrte schnell – seine Lippe bebte einen Augenblick – aus Scham oder Ekel über sich selbst – dann warf er sich auf den Stuhl, den Hausman für ihn hingesetzt und sagte:

»Ich bin gekommen, um meinen Anteil an der Übereinkunft zu erfüllen.«

»Du bist sehr willkommen,« erwiderte Hausman im Tone jener rauhen, aber doch leichtfertigen Scherzhaftigkeit, welche noch stärker als die unversteckte Brutalität seines früheren Wesens gegen Arams Haltung und Benehmen abstach.

»Hier,« sagte Aram, indem er ihm ein Papier gab, »hier wirst du finden, daß dir die erwähnte Summe in der Minute deiner Abreise aus England zugesichert ist. Wann wird das geschehen? laß mich um Eile bitten,«

»Deiner Bitte soll willfahrt werden. Ehe der morgende Tag anbricht, bin ich unterwegs,«

Arams Gesicht leuchtete.

»Da ist meine Hand darauf,« sagte Hausman ernsthaft. »Du kannst jetzt versichert sein, daß du dein Lebenlang frei von mir bleiben wirst. Geh' heim – heirate – freue dich deines Daseins, wie ich's gethan habe. In vier Tagen, wenn der Wind gut ist, bin ich in Frankreich.«

»Mein Geschäft ist zu Ende, ich will dir glauben,« sprach Aram mit Offenheit und stand auf.

»Du darfst es,« antwortete Hausman. »Halt – ich will dir zum Thore leuchten. Tod und Teufel, wie die verdammte Kerze flackert.«

Nach diesem kurzen Gespräch führte Hausman den Gelehrten mit dem in schnellem Wechsel bald aufleuchtenden, bald fast verlöschenden Licht durch den dunkeln Gang zurück. Als sich Aram von der Pforte abwandte, breitete er die Arme heftig aus und rief mit der Stimme eines, von dessen Herzen eine Last gewälzt ist: »Jetzt, jetzt zu Madeline. Endlich atme ich frei.«

Hausman kehrte inzwischen nachdenklich zurück und trat murmelnd in sein Zimmer:

»Ja, ja, auch mein Geschäft ist hier zu Ende! Geld und Sicherheit in der Fremde. – Was dieses Gewissen doch für 'n Popanz ist! – vierzehn Jahre sind vorüber – und sieh'! nichts entdeckt, nichts bekannt! Und nun wartet meiner ein bequemes Auskommen für den Rest meiner Tage – eben als Folge der That; – auch mein Kind – mein Hannchen – soll nicht Mangel leiden – soll keine Bettlerin oder Hure werden.« In solchen Gedanken warf sich Hausman behaglich auf den Stuhl, und der letzte Flackerschein der erlöschenden Kerze auf seinen gefurchten Zügen umspielte jenes wohlbehagliche Lächeln, womit sanguinische Menschen einer befriedigenden Zukunft entgegenblicken.

Noch war er nicht lange allein gewesen, als sich die Thür öffnete und ein Weib mit einem Licht in der Hand hereintrat. Sie war augenscheinlich betrunken und näherte sich Hausman mit wankendem, unsicherem Schritt.

»Was giebt's, Liese? Einen Rausch wie gewöhnlich; mach' dich ins Bett, du Heufisch, fort!«

»Still, Kerl, still; sprich nicht so zu Leuten, die besser sind als du,« sagte das Weib und sank auf einen Stuhl. So ekelerregend diese Lage war, konnte sie doch die seltene, wenn auch etwas gemeine Schönheit des Gesichts und der Gestalt der Berauschten nicht verbergen.

Selbst Hausman, dem das Herz durch die lachende Aussicht, der er sich in seinem Selbstgespräch hingegeben hatte, aufgegangen war, blieb nicht unempfindlich gegen den körperlichen Reiz, und sagte, indem er den Stuhl näher heranrückte, in einem weniger barschen Tone als gewöhnlich:

»Geh, Liese, geh, du mußt dich von dieser verdammten Gewohnheit kurieren; vielleicht daß ich am Ende noch gar eine Dame aus dir mache. Wie, wenn ich dich einen Abstecher mit mir nach Frankreich thun ließe, alte Dirne? Und ließ dich dein hübsches Gesicht – denn teufelmäßig hübsch bist du, so wahr ich lebe – in so eine französische Flitterware stecken, wie ihr Weibsvolk es gern habt? Wie, wenn ich das thät'? Wolltest du ein gutes Mädel sein?«

»Ich glaub' wohl, Richard, ich glaub' wohl,« erwiderte das Weib, indem sie, halb von der Schmeichelei, halb von dem Vorschlag gekitzelt, eine Reihe Zähne, so weiß wie Elfenbein, sehen ließ. »Du bist ein guter Kerl, Richard, das bist du!«

»Pah!« sagte Hausman, dessen hartes, schlaues Gemüt nicht leicht durch eine Liebkosung zu fangen war, »aber was für ein Papier hast du da im Busen, Liesel? Wette, einen Liebesbrief?«

»Ach, etwas an dich; kam diesen Morgen an und ich hab' bis jetzt vergessen, es dir zu geben!«

»Ha! 'n Brief an mich?« fragte Hausman, indem er, das Papier faßte, »Hm! das Postzeichen von Knaresborough – und gar das Gekritzel meiner Schwiegermutter! Was mag der alte Drache wollen?«

Er erbrach den Brief, überlief hastig den Inhalt und fuhr zusammen:

»Barmherzigkeit, Barmherzigkeit,« schrie er, »mein Kind ist krank, es stirbt. Ich werd's nicht mehr sehen – das einzige in der Welt, was mich liebt, das mich nicht als einen Schurken zurückstößt!«

»Nun, nun, Richard,« sagte das Weib und klammerte sich an ihn, »nimm das nicht so schwer. Wer hat dich so lieb wie ich? – Was ist's um so einen kleinen Balg?«

»Fluch über dich, du Hexe!« rief Hausman aus, indem er sie in rohem Zorn zu Boden schleuderte, »du mich lieben! Pah! mein Kind – mein kleines Hannchen – mein hübsches Hannchen – mein munteres Hannchen – mein unschuldiges Hannchen – gleich will ich zu ihr – gleich – was Geld, was Auskommen? – wenn – wenn –«

Und der Vater, bei aller Verworfenheit von diesem letzten erlösenden Gefühl seiner zügellosen Natur ins Innerste getroffen, schlug mit geballter Faust an die Brust und stürzte aus dem Zimmer – aus dem Hause.


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