Edward Lytton Bulwer
Eugen Aram
Edward Lytton Bulwer

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Siebentes Kapitel.

Madeline und ihre Hoffnungen, – Bild eines milden Herbstes. – Eine Landschaft. – Eine Wiederkehr.

's ist spät und kalt – das Feuer frisch!
Heran! und näher mit dem Tisch;
Sei fröhlich, trink von altem Wein,
Das wird vorm Frost dir Stärkung sein!
Willkomm, Willkommen geh's herum!
Beaumont und Fletcher.

Wie wenn der große Dichter

Auf seiner Flucht von des Kocytus Pfuhle,
Wo Finsternis ihn lang in Banden hielt,
Durch Dunkel und durch Dämmerung getragen
Vom Chaos sang und von der ew'gen Nacht –

wie wenn beim Wiederanblick des heiligen Lichts, »des erstgeborenen Kindes des Himmels«, das Gefühl der Frische und des Glanzes über ihn hereinbricht und aufflammt ins feierliche Entzücken eines beschwörenden Gesanges, so erhebt sich das Gemüt, wenn es die Nebel und Sünden des Lebens, »das Dunkel und die Dämmerung« betrachtet hat, zu einer reinen, lichten Versöhnung unserer Natur – zu einem Wesen »vor des Himmels Thor,« »vom milden Reich der stillen, heitern Luft.« – Nie gab es eine schönere, sanftere Natur als Madeline Lester, nie eine Natur, die mehr geneigt war, zu leben, »hoch überm Qualm und Lärm des trüben Fleckes, den Menschen Erde nennen« – zu verkehren mit den hohen, keuschen Schöpfungen ihrer eigenen Gedanken, – eine Welt aus Empfindungen zu machen, welche dieser niedern Welt unbekannt sind – ein Paradies, in das Sünde, Argwohn, Furcht noch nicht gedrungen sind, – wo Gott kein Übel wahrnehmen, die Engel keine Veränderung vorempfinden würden.

Arams Rückkehr wurde jetzt täglich, ja stündlich erwartet. Nichts störte die sanfte, wenn auch gedankenvolle Heiterkeit, womit seine Verlobte der Zukunft entgegensah. Tiefer noch als selbst seine mündlichen Bekenntnisse trugen seine schriftlichen Mitteilungen das Zeugnis der Liebe in sich. Diese Briefe hatten nicht sowohl eine stürmische Freude als ein volles, mildes Licht der Seligkeit über ihr Herz verbreitet. Alles, selbst die Natur, schien ihren Hoffnungen freundlich zuzulächeln. Seit Menschengedenken hatte der Herbst kein so liebliches Gewand getragen. Die würzige, erfrischende Wärme, welche diese Jahreszeit bisweilen auszeichnet, war immer noch nicht jenen fröstelnden Winden oder trüben Nebeln gewichen, die uns so traurig von dem Wechsel sprechen, der über die schöne Welt dahergeschlichen kommt. Die Sommergäste unter den Vögeln weilten noch in ganzen Scharen, und zeigten keine Neigung zur Abreise, ja ihr Gesang, vor allem der Gesang der Feldlerche – die den alten englischen Dichtern war, was die Nachtigall den morgenländischen – schien sogar munterer zu werden, je mehr die Sonne ihr Tagewerk abkürzte; – selbst der Maulbeerbaum und das reiche Geäste der Roßkastanie behielten etwas von ihrem Grün zurück, und die tausendfältige Pracht des Waldes um Grünthal her schimmerte fort und fort in dem goldenen Farbenspiel, welches das Verscheiden der Natur verkündet und verschönert. Immer noch hatte man keine Nachrichten von Walter, und dies war der einzige Quell der Besorgnis, welcher das häusliche Glück im Herrenhause einigermaßen trübte. Aber der Squire erinnerte immer wieder daran, daß er selbst in seiner Jugend ein nachlässiger Briefsteller gewesen, und die Sorge, die er empfand, sprach sich eher wie Ärger über Walters Leichtsinn als wie Befürchtung eines Unfalls aus, der jenem zugestoßen sein könnte. Es gab Augenblicke, wo Ellinor still trauerte und sich grämte, aber nicht weniger als selbst den Vetter liebte sie die Schwester, und die Aussicht auf das Glück Madelines entzog ihrem Blick gewissermaßen die eigene Zukunft.

Eines Abends saßen die Schwestern bei ihrer Arbeit am Fenster des kleinen Wohnzimmers und plauderten über verschiedene Dinge, an welchen die große Welt, so seltsam es scheinen mag, durchaus keinen Teil hatte.

Sie sprachen in leisem Ton, denn Lester schien neben dem Kamin, in welchem eben ein Holzfeuer angezündet worden, in einen Nachmittagsschlummer geraten zu sein. Die Sonne neigte sich zum Untergang und die ganze Landschaft lag in Licht gebadet vor ihnen, bis eine oben vorüberziehende Wolke den Himmel gerade über ihnen trübte und sofort einer von jenen schönen Sonnenregen, die eher ein Merkmal des Lenzes als des Herbstes sind, zu fallen begann. Der Schauer war ziemlich stark und strömte mit angenehmem, erfrischendem Geräusch durch die im vollen Abendlicht stehenden Zweige herab, indessen hielt er nicht lange an; ein herrlicher Regenbogen erschien und die Stimmen der Vögel, die noch eine Minute vorher stumm gewesen waren, brachen in einen allgemeinen Chor, das Abschiedslied des scheidenden Tages, aus. Schnell und anmutig fielen die glänzenden Tropfen von den Bäumen und über dem ganzen Schauplatz atmete ein unaussprechlicher Ausdruck der Heiterkeit, –

»Des Abends Duft und Wohllaut.« –

»Wie schön!« sagte Ellinor und ließ von der Arbeit nach. »Ach, sieh' das Eichhörnchen! ist's das, welches wir im Hause aufzogen? Es kommt ganz nahe ans Fenster, das arme Närrchen! Halt, ich will ihm ein wenig Brot holen.«

»Still!« rief Madeline, plötzlich erblassend, und erhob sich halb vom Stuhl. »Hörst du nicht Schritte draußen?«

»Nur das Träufeln von den Zweigen,« erwiderte Ellinor.

»Nein, nein – er ist's – er ist's!« rief Madeline, indem das Blut mit Macht in ihre Wangen zurückschoß. »Ich kenne seinen Schritt.«

Und so war's! – Ums Haus biegend, bis er dem Fenster gegenüberstand, erblickten die Schwestern Eugen Aram. Regendiamanten glänzten in den Locken seines langen Haares; seine Wangen waren von der körperlichen Bewegung oder wahrscheinlicher durch die Freude der Wiederkehr gerötet; ein Lächeln, hinter dem kein Schatten, keine Trübung lag, spielte über den Zügen, welche durch die darauffallenden Strahlen der untergehenden Sonne noch einen unechten Schein von Heiterkeit erhielten.

»Meine Madeline, meine Geliebte, meine Madeline!« brach es von seinen Lippen.

»Du bist zurück – Dank Gott! – Dank Gott! gesund – wohl?«

»Und glücklich!« fügte Aram mit tiefer Bedeutung in der Stimme hinzu.

»Heda! Heda!« rief der Squire auffahrend, »was giebt's? Gott, behüt', Eugen! – und ganz naß wie's scheint! Lorchen, lauf und mach' die Thür auf; – mehr Holz ans Feuer! – die Fasanen zum Nachtessen! – und halt, Mädchen, halt – da ist der Kellerschlüssel – den Einundzwanziger Portowein – du kennst ihn. Ah! ah! will's Gott, soll sich Eugen Aram über seinen Willkommen in Grünthal nicht beklagen!«


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