Edward Lytton Bulwer
Eugen Aram
Edward Lytton Bulwer

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Siebentes Kapitel.

Walter besucht einen andern Freund seines Oheims. – Herrn Courtlands wunderliche Klagen. – Walter erfährt Nachrichten über seinen Vater, die ihn überraschen. – Abänderung seines Reiseplanes.

»Behüt mich Gott, habt Ihr je so was gehört; was das für ein wunderlicher Mann ist!« »Was Ihr mir übergeben habt, will ich vollständig ausliefern.«
Ben Jonson, Jedermann aus seiner Laune.

Das Haus des Herrn Courtland stand in der Vorstadt und war mit einer hohen Mauer umgeben. Ein in diese tief eingesenktes hölzernes Thürchen schien der einzige Eingang. Hier stand Walter still und nachdem er zweimal die Klingel gezogen, öffnete ein Bedienter von ungemein ernsthaftem, pietistischem Aussehen.

Auf Walters Anfrage benachrichtigte ihn derselbe, Herr Courtland sei sehr unwohl und nehme nie Besuch an. Walter jedoch zog das Empfehlungsschreiben seines Oheims aus der Brieftasche, ließ es nebst einer halben Krone in des Dieners Hand gleiten und bat, ihn als einen Fremden, der eine besondere Angelegenheit an seinen Herrn habe, zu melden.

»Gut, Herr, Sie können eintreten,« sagte nachgiebiger der Lakai, »aber mit meinem Herrn sieht es sehr übel aus, wahrhaftig sehr übel.«

»So? Das höre ich mit Bedauern.«

»Mag nun wohl zehn Jahre so sein, Herr,« erwiderte der Diener mit ungemeinem Ernst. Damit öffnete er die Thür des Hauses, welches einige Schritte von der Mauer zurück auf einem ganz flachen, dürren Grasplatz stand, wies ihn in ein Zimmer und ließ ihn allein.

Was Walter in diesem Gemach sogleich auffiel, war seine ausnehmende Helle. Obwohl nicht groß, hatte es nicht weniger als sieben Fenster. Zwei Wände schienen wirklich nichts als Scheiben zu sein! Auch waren diese Zugänge für den Strahl des Himmels weder mit irgend einer Blende noch einem Vorhang beschattet.

»Der helle, laute, unbarmherz'ge Tag«

hatte in dem luftigen Zimmer seinen eigentlichen Sitz aufgeschlagen. Bei all diesem Licht machte es gleichwohl auf Walter nichts weniger als einen heitern Eindruck. Die Sonne hatte die Farbe des Getäfels, ursprünglich ein blasses Meergrün, aufgerissen und verschossen; nur weniges Gerät stand da; ein Tisch in der Mitte, ein halbes Dutzend Stühle und ein sehr schmaler türkischer Teppich, welcher nicht den zehnten Teil des reinen, kalten, glatten eichenen Bodens bedeckte, machten die ganze fahrende Habe des Gemaches aus. Was aber die Öde des Ganzen noch besonders vermehrte, war die seltsame, mit Absicht hervorgebrachte Öde außerhalb des Hauses. Von jedem der sieben Fenster aus wurde man nichts als eine dürre grüne Fläche von einiger Ausdehnung gewahr: kein Baum, kein Busch, keine Blume auf dem ganzen Raum, obwohl Walter an einigen abgehauenen Stümpfen in der Gegend des Hauses abnahm, daß der Platz nicht immer so arm an vegetabilischem Leben gewesen sei.

Während er sich diese wunderliche Kahlheit noch betrachtete, kam der Diener mit Empfehlungen seines Gebieters und der Nachricht zurück, derselbe werde glücklich sein, einen Verwandten des Herrn Lester zu sehen.

Demgemäß folgte Walter dem Bedienten in ein anderes Zimmer, welches ganz dieselbe Eigentümlichkeit darbot wie das erstere, nämlich eine unverhältnismäßige Überzahl von Fenstern, eine Dürftigkeit im Gerät, die nur die allerunentbehrlichsten Bequemlichkeiten zuließ, und eine Aussicht ins Freie, die wirklich den Anschein gab, als stände das Haus mitten in der Ebene von Salisbury.

Herr Courtland, ein stämmiger Mann, der immer noch die rosigen Wangen und hübschen Züge, aber nicht mehr den heitern Ausdruck zeigte, welchen ihm Lester zuerteilt hatte, saß in einem großen Sessel, hart am offenen Mittelfenster. Er erhob sich und schüttelte Walter die Hand mit großer Herzlichkeit.

»Mein Herr, es freut mich, Sie zu sehen! Wie befindet sich Ihr würdiger Oheim? Ich wünschte nur, er wäre mitgekommen – natürlich speisen Sie mit mir. Thomas, sage der Köchin, daß sie noch eine Zunge und ein junges Huhn zum Rinderbraten nimmt. – Nein – junger Herr, ich nehme keine Entschuldigung an; sitzen Sie, sitzen Sie. Da, etwas näher ans Fenster; finden Sie nicht auch, daß es entsetzlich schwül ist? Kein Lüftchen regt sich. Das Haus ist so eingeengt; finden Sie es nicht auch? Ja, ja ich sehe, Sie können kaum Atem holen.«

»Verehrtester Herr, Sie irren; eher scheint es mir etwas kalt zu sein, und in meinem Leben habe ich keine so luftige Wohnung gesehen, wie die Ihrige.«

»Dazu möcht' ich sie gerne machen, aber ich komme nicht zum Ziel. Hätten Sie gesehen, was sie war, als ich sie kaufte! Hier ein Garten, lieber Herr; dort ein Buschholz; eine Wildnis, weiß Gott! nach hinten zu, und eine Reihe Kastanienbäume nach vorne! Sie können sich die Folgen denken, lieber Herr; nicht lange war ich hier gewesen, keine zwei Jahre so war meine Gesundheit weg, Herr, weg! Das verdammte vegetabilische Leben hatte sie mir ausgesogen. Die Bäume hielten mir die Luft ab, ich erstickte beinahe, ohne daß ich anfangs auf die wahre Ursache verfiel. Endlich aber, freilich erst nachdem ich fünf volle Jahre elendiglich hingesiecht war, entdeckte ich den Grund meines Übels. Ich war nicht faul, Herr; ich brach den verfluchten Garten um, hieb die Teufels-Kastanienbäume nieder, machte einen Rasenplatz aus der vertrackten Wildnis: aber ich fürchte, es ist zu spät. Zoll um Zoll starb ich ab – bin seit der Zeit fortwährend abgestorben. Die verdorbene Luft hat wirklich meine Konstitution ganz umgeändert.«

Hier stieß Herr Courtland einen tiefen Seufzer aus und schüttelte den Kopf mit einem höchst trübseligen Ausdruck.

»Wirklich, verehrter Herr,« sagte Walter, »wenn ich Sie so ansehe, sollt' ich nicht glauben, daß Sie von irgend einem Übel zu leiden hätten. Sie scheinen noch dasselbe Bild von Gesundheit, als welches Sie mir mein Oheim aus längst vergangener Zeit her schilderte, wo er mit Ihnen umging.«

»Ja, lieber Herr, ja; die Schwerenotsluft hat mir das Blut auf den Backen festgebannt; das Blut stagnirt, Herr. Wollte Gott, ich sah bleicher als ein Schatten aus! – das Blut fließt nicht; ich bin wie ein Teich in eines Bürgers Garten, mit einer Trauerweide in jeder Ecke. Doch Trotz geboten sei all meinen Beschwerden! Sie sehen, bester Herr, ich bin kein Hypochonder, wie mir mein Narr von Doktor weiß machen will: ein Hypochonder schaudert bei jedem kleinen Luftzug, zittert, wenn eine Thür aufgeht und sieht in einem Fenster den offenen Eingang für den Tod. Ich, Herr, kann im Gegenteil nicht Luft genug haben. Scharfer Zug oder Ostwind gilt mir gleich viel, wenn ich nur zu Atem komme. Sieht das wie Hypochondrie aus? Pah! Aber erzählen Sie mir was von Ihrem Oheim, junger Herr; ist er wohl, kräftig, gesund? – atmet er leicht? keine Beklemmungen?«

»Er erfreut sich einer trefflichen Gesundheit, mein Herr! Er schmeichelte sich mit der Hoffnung, ich würde ihm gleich gute Nachrichten von Ihnen und einem andern seiner alten Freunde bringen, den ich zufälligerweise gestern sah – Sir Peter Hales.«

»Hales, Peter Hales! ein findiges Bürschchen, der! Was sich der gute Lester freuen wird, wenn er hört, das Peterchen sei so zu Verstande gekommen; – nicht länger ein verschwenderischer Landläufer, der sein Geld wegwirft und immer in Schulden steckt, nein, ein respektabler, mannhafter Charakter, ein trefflicher Haushalter, ein thätiges Parlamentsglied, häuslich in seinem Privatleben. – O! ein sehr würdiger Mann, lieber Herr, ein sehr würdiger Mann.«

»In der That scheint er sich sehr geändert zu haben, mein Herr,« sagte Walter, der Neuling genug in der Welt war, um über einen solchen Lobspruch in Erstaunen zu geraten, »aber stets noch ein angenehmer Gesellschafter, der gern und gut erzählt. Er sprach mir von seiner Wette um tausend Guineen mit Ihnen.«

»Ach, sagen Sie mir nichts von jenen Tagen,« erwiderte Courtland mit gedankenvollem Kopfschütteln, »sie machen mir angst und bange. Ja, Peter darf wohl dran denken, denn er hat mich bis heute nicht bezahlt; that, als ob er das Ganze wie einen Scherz nehme und fluchte darauf, er hätte mir's abgewinnen können, wenn er gewollt. Aber es war wirklich mein Fehler, lieber Herr; Peter hatte damals keine tausend Heller im Vermögen, und als er reich wurde, ward er gesetzt und ich wollte ihn an unsere früheren Tollheiten nicht erinnern. Darf ich Ihnen eine Prise anbieten? – Sie sehen erhitzt aus, Herr, gewiß setzt Ihnen das Zimmer zu, und Sie sind nur zu höflich, um es einzugestehen. Ich bitte, machen Sie die Thür und dann das Fenster auf und stellen Ihren Stuhl mitten zwischen beide hinein. Sie haben keinen Begriff, wie erfrischend der Zug ist.«

Walter lehnte das angebotene Abkühlungsmittel höflich ab. Übrigens meinte er nunmehr hinlängliche Fortschritte in der Bekanntschaft mit diesem wunderlichen Nicht-Hypochonder gemacht zu haben, um die Angelegenheit, die ihm am meisten am Herzen lag, vorzubringen, und beeilte sich daher, die Rede auf seinen Vater zu leiten.

»Da bin ich, verehrter Herr,« hub er an, »unerwartet auf ein ehemaliges Eigentum meines armen Vaters gestoßen;« damit zeigte er die Peitsche vor. »Ich höre von dem Sattler, von welchem ich diese Gerte gekauft, der Herr, dem sie gehört, sei einmal, vor etwa zwölf oder vierzehn Jahren, bei Ihnen gewesen. Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß meine Familie schon bedeutend länger nichts mehr über das Schicksal meines Vaters gehört hat, als seit der Zeit, in welcher Sie ihn gesehen zu haben scheinen, wenn ich anders wirklich hoffen darf, daß er bei Ihnen zu Besuch und der Eigentümer dieser Peitsche gewesen. Jede Nachricht, die Sie mir über ihn mitteilen können, jede Spur, auf welcher wir ihm näher kommen können, würde für uns alle – insbesondere aber für mich – von unschätzbarem Wert sein.«

»Ihr Vater?« sagte Courtland. »ach ja! Ihres Oheims Bruder. Was war doch sein Taufname? – Heinrich?«

»Gottfried.«

»Ach richtig, Gottfried! Was? nichts von ihm gehört? Seine Familie weiß nicht, wo er sich aufhält? Schlimm das, lieber Herr! war freilich immer ein wilder Bursche, bald hier, bald dort, wie der Blitz. Aber es ist richtig, ganz richtig, er war vor mehreren Jahren einen Tag lang hier, als ich dieses Haus noch nicht lange gekauft hatte. Kann Ihnen alles noch aufs Haar erzählen; – aber Sie scheinen angegriffen, – kommen Sie näher ans Fenster – hierher; so ist's recht! Ja, Herr, es ist nun, wie ich sagte, eine gute Zahl Jahre her – vielleicht ihrer vierzehn – so sprech' ich einmal mit dem Wirt »zum grauen Hund« über ein Quantum Heu, das er verkaufen wollte, als ein Herr spornstreichs, wie Ihr Vater immer ritt, in den Hof sprengt, und wie ich ihm aus dem Wege trete, erkenn' ich Gottfried Lester. Ich war zwar nicht näher mit ihm bekannt – ganz und gar nicht; aber ich hatt' ihn ein paarmal bei Ihrem Oheim gesehen, und obwohl er ein wunderlicher Kauz, so sang er doch angenehm und war gar ein unterhaltender Kerl. So redete ich ihn denn an, und bat ihn aus Rücksicht für Ihren Oheim, bei mir zu essen und in meinem neuen Hause zu übernachten. – Ach, ich dachte damals wenig, wie teuer mich dieser verfluchte Kauf zu stehen kommen würde! – Er nahm die Einladung an; denn ich glaube – nichts für ungut, lieber Herr – Herr Gottfried Lester hat überhaupt nicht leicht eine Einladung ausgeschlagen. Wir speisten tête-à-tête – bin ein alter Junggesell, lieber Herr – und er erwies sich als ein recht guter Gesellschafter, obwohl seine Denkart mir lockerer vorkam als je. Gar herrlich war's besonders, ihn die Streiche erzählen zu hören, die er seinen Gläubigern gespielt – was das Schliche waren – was für ein Entwischen! Nach Tische fragte er mich, ob ich je zuweilen mit seinem Bruder Briefe wechselte? Ich sagte ihm: nein, wir wären herzlich gute Freunde, aber hörten nie etwas voneinander; worauf er bemerkte: ›Na! ich werd' ihn in kurzem mit einem Besuch überraschen; sollten Sie indessen unerwartet mit ihm in Berührung kommen, so sagen Sie ihm nicht, daß Sie mich gesehen haben; denn, es Ihnen offen zu gestehen, ich komm' gerade von Ostindien zurück, wo ich mir etwas Vermögen hätte zusammenscharren können, wär' es nicht jedesmal so schnell zerronnen wie gewonnen gewesen. Übrigens wissen Sie, daß ich immer sprichwörtlich für den glücklichsten Kerl in der Welt gegolten.‹ (Und wirklich, lieber Herr, dafür galt Ihr Vater!) – ›So rettete ich denn auch während meines Aufenthalts in Indien einem alten Oberst auf einer Tigerjagd das Leben. Derselbe kehrte bald darauf nach Europa zurück und ließ sich in Yorkshire nieder; und kaum bin ich einen Tag in England angekommen, wohin mich meine schlechte Gesundheit trieb, so hör' ich, mein alter Oberst sei eben gestorben und habe mir ein hübsches Legat nebst seinem Hause in Yorkshire hinterlassen. Ich geh' jetzt dahin, das Anwesen in Gold umzusetzen und mein Geld in Empfang zu nehmen, will dann meinen guten Bruder und meine Hausgötter aufsuchen, und vielleicht, obwohl wenig Wahrscheinlichkeit dazu da ist, für meine übrige Lebenszeit ein gesetzter Mann werden.‹ Ich behaupte nicht, junger Herr, daß dies genau die Worte Ihres Vaters gewesen – man kann so was so viele Jahre lang nicht wörtlich behalten – aber der That nach waren sie's. Am folgenden Tage schied er von mir, und seit dieser Zeit hab' ich nichts mehr von ihm vernommen. Die Wahrheit zu sagen, sah er über die Maßen gelb und sehr herabgekommen aus, und ich stellte mir gleich vor, es könne nicht mehr lange mit ihm dauern. Er schien über seine Jahre alt, und so lebhaft sein Geist, so verfallen war sein Körper, so daß, als mir nie wieder etwas über ihn zu Ohren kam, ich mir nicht anders dachte, als er habe das Zeitliche gesegnet. – Aber guter Himmel, haben Sie denn nie etwas von diesem Legat gehört?«

»Nie, kein Wort!« sagte Walter, der mit großem Erstaunen diese Umstände angehört hatte. »Und nach welchem Teil von Yorkshire sagte er, daß seine Reise gehe?«

»Davon hat er nichts erwähnt.«

»Auch nicht des Obersten Namen?«

»Nicht soviel ich mich erinnere; er mag's gethan haben, doch glaub' ich schwerlich. Des aber bin ich sicher, daß die Grafschaft Yorkshire, und daß der Herr, wie er auch geheißen haben mag, ein Oberst war. Halt! da fällt mir noch ein Umstand ein, der mir zur guten Stunde kommt. Indem Ihr Vater, wie ich vorhin sagte, in seiner lustigen Art die Geschichte seiner Abenteuer, die Hetzjagden mit seinen Gläubigern, die verschiedenen Verkappungen und die Menge falscher Namen, die er nach und nach angenommen, erzählte, erwähnte er auch, der Name, den er in Indien geführt und durch welchen er sich, wie er versicherte, einen sehr guten Ruf erworben – sei Clarke gewesen. Er fügte hinzu, daß er auch jetzt noch diesen Namen führe, und sehr erfreut über die Vorteile sei, die ihm eine solche Allerweltsbenennung einbringe, durch die er, wie er im Spaß sagte, ›die Vaterschaft aller seinen eigenen Sünden einem andern Herrn Clarke zuschieben und dagegen sämtliche Verdienste all seiner Namensbrüder sich selbst zueignen könne.‹ Ja, nichts für ungut, aber er war ein listiger Fuchs, Ihr Vater! So sehen Sie denn, daß, wenn er überhaupt nach Yorkshire gekommen ist, er aller Wahrscheinlichkeit nach unter dem Namen Clarke jenes Vermächtnis forderte und in Empfang nahm.«

»Sie haben mir mehr gesagt,« rief Walter freudig aus, »als wir seit seinem Verschwinden gehört haben, und gleich morgen mit dem frühesten soll mich mein Pferd rückwärts nach dem Norden zu tragen. Aber Sie bemerkten, ›wenn er überhaupt nach Yorkshire gekommen ist,‹ – was sollte ihn daran gehindert haben?«

»Seine Gesundheit,« sagte der Nicht-Hypochonder. »Es sollte mich nicht sehr wundern, wenn – wenn – kurz, Sie werden vielleicht am besten thun, unterwegs auf den Grabsteinen nach dem Namen Clarke zu forschen.«

»Sie können mir vielleicht Jahr und Tag näher bezeichnen, mein Herr,« sagte Walter, von seiner Freude ziemlich herabgestimmt.

»Hm! will sehen, will sehen, nach Tisch. Da haben wir's, daß ein Allerweltsname auch seine Nachteile hat. Armer Gottfried! – ich darf Wohl sagen, daß es zwischen hier und York fünfzig Grabsteine zum Andenken an fünfzig Clarke giebt. Aber kommen Sie, junger Herr, da läutet man uns zum Essen.«

Was immer die Übel sein mochten, die Herrn Curtlands markigen Gliedern durch das vegetabilische Leben der hingeschiedenen Bäume mitgeteilt worden, Mangel an Appetit war nicht darunter begriffen. Sobald ein Mann nicht aus Grundsatz oder aus früherer Gewohnheit , wie dies beides der Fall bei Aram war, enthaltsam ist, macht ihn die Einsamkeit immer zu einem großen Verehrer seines Mittagsessens. Er hat keine anderen Merkzeichen zur Tageseinteilung, und so brütet er denn darüber, genießt es zum voraus in Gedanken, hegt und pflegt die angenehme Vorstellung in seiner Phantasie, und wenn er noch an etwas über den Mittagstisch hinausdenkt, so ist's der – Abendtisch.

Wohlbedacht befestigte Herr Courtland die Serviette an seine Weste, ließ alle Fenster öffnen und machte sich an die Arbeit, wie der gute Kanonikus im Gil Blas. Noch immer hatte er genug von seinem früheren Vermögen übrig, um über eine treffliche Küche gebieten zu können, wenigstens so hoch die Trefflichkeit eines weiblichen Küchenvorstandes sich zu erheben vermag. Gehörten auch die meisten seiner Gerichte zu den ganz gewöhnlichen, so ist doch allbekannt, welche Kunst zur Bereitung eines über jede Ausstellung erhabenen Rostbratens eines tadellosen Kochfleisches gehört. Sprecht mir nicht von Köchinnen, die in den höheren Sphären ihres Berufs sich auszeichnen, deren giebt's so viel wie Brombeeren: die gute einfache Köchin ist's, was selten gefunden wird!

Eine halbe Schüssel stark gewürzter Suppe, mindestens drei Pfund geschmorter Karpfen, das ganze Unterteil eines Lendenstückes, drei Viertel einer Zunge, die Hälfte eines Huhns, sechs Pfannkuchen und ein Törtchen waren nacheinander hinter dem Gebiß des kranken Mannes verschwunden,

»Et cuncta terrarum subacta
Praeter atrocem animum Catonis«

und noch rief er nach zwei Pfefferbroten und einer Sardelle. Als auch diese verzehrt waren, ließ er den Wein auf ein Tischlein neben das Fenster setzen, erklärend, die Luft dünke ihm schwüler als je. Walter wunderte sich nicht länger über die wunderlichen Beschwerden des Nicht-Hypochonders. – Er lehnte das Nachtlager bei Herrn Courtland, so zuvorkommend sein Wirt auch versicherte, daß keine Vorhänge am Bett und kein Fensterladen im ganzen Hause sei, unter dem Vormund ab, seine Absicht gehe dahin, am nächsten Morgen mit Tagesanbruch abzureisen, daher er keine Störung in die Hausordnung des Kranken bringen wolle. Nur mit Bedauern ließ Courtland, immer noch ein trefflicher, gastfreier, gutmütiger Mann, des Freundes Neffen abziehen. Vorher jedoch verhalf er ihm noch, indem er ein altes Notizbuch nachschlug, zum Datum des Jahres, ja selbst des Monats, in welchem er mit einem Besuch des Herrn Clarke beehrt worden, der, wie sich jetzt ergab, auch seinen Taufnamen Gottfried in einen andern mit D anfangenden, umgetauscht hatte: ob dieser Name jedoch David oder Daniel gewesen, erinnerte sich sein Wirt nicht mehr. Beim Scheiden schüttelte Courtland Walter die Hand und bemerkte:

»Unter uns gesagt, lieber Herr, fürcht' ich, Sie machen einen Fleischergang. Ihr Vater liebte zu sehr seinen Spaß, als daß er gern bei der Wahrheit geblieben wäre – entschuldigen Sie, Bester – und so möchten denn auch wohl der Oberst und das Legat bloße Erfindungen gewesen sein – pour passer les temps – Nur ein Grund bestimmte mich damals, der Geschichte wirklichen Glauben beizumessen.«

»Welcher Grund?« fragte Walter, hoch errötend über den Ruf, in dem sein Vater so allgemein gekommen. »Entschuldigen Sie, mein junger Freund!«

»Nein, mein Herr, ich muß darauf dringen.«

»Nun denn, Gottfried Lester sprach mich nicht um Geld an.«

Statt den Herrlichkeiten der Hauptstadt zuzueilen, hatte Walter auf diese unbedeutende, zweifelhafte Spur hin den Weg, am nächsten Morgen wirklich nach Norden genommen: und mit unruhigem, aber hoffnungsvollem Gemüt begann der thatendurstige Sohn die Forschungen nach dem Schicksal eines Vaters, welcher der ängstlichen Sorge, die er erregte, so unwürdig erschien.


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