Edward Lytton Bulwer
Eugen Aram
Edward Lytton Bulwer

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Viertes Kapitel.

Arams Abreise. – Madeline. – Übertreibung der Empfindung ist der Liebe natürlich. – Madelines Brief. – Walters Brief. – Der Spaziergang. – Zwei sehr verschiedene Personen in demselben Dorfe. – Die komische Seite des Lebens und seine dunkeln Gewalten finden sich überall nebeneinander.

Ihr Sinn so rein wie Hauch des keuschen Morgens,
Wenn aus dem Arm der kalten Nacht er schleicht,
Nahm das Gewand von Worten.
Fluch bei Verleumdung, von Sir I. Suckling.

– Urticae proxima saepe rosa est. Ovid.

»So verlassen Sie uns denn heute wirklich, Eugen?« fragte der Sauire.

»Allerdings,« erwiderte Aram, »mein Gläubiger (dem, Dank Ihnen, dieser Name jetzt nicht mehr zukommt) sagt mir, meine Verwandte sei so gefährlich krank, daß, wenn ich irgend wünsche, sie noch lebend zu sehen, ich keine Stunde zu verlieren habe. Sie ist das letzte Glied meiner Familie in der Welt.«

»So kann ich denn nichts weiter sagen,« erwiderte der Squire achselzuckend. »Wann hoffen Sie zurück zu sein?«

»Mindestens vor dem für die Hochzeit angesetzten Tage,« antwortete Aram mit ernstem, schwermütigem Lächeln.

»Gut; glauben Sie Zeit finden zu können, in dem Hause anzufragen, worin mein Neffe sein Quartier nehmen wollte – ich selbst wohnte ehemals dort, ich will Ihnen die Adresse geben – und sich da erkundigen, ob man von Walter etwas gehört hat? Ich gestehe, daß ich seinetwegen ziemlich beunruhigt bin. Seit dem kurzen, eilig hingeworfenen Briefe, den ich Ihnen vorgelesen, habe ich nichts mehr von ihm vernommen.«

»Verlassen Sie sich darauf, daß, wenn er in London ist, ich ihn aufsuchen und Ihnen überhaupt alles getreulich mitteilen werde, was zur Entfernung Ihrer Besorgnisse beitragen kann.«

»Ich zweifle nicht daran, Eugen; übertrifft doch kein Herz das Ihrige an Güte. Sie werden nicht abreisen, ohne vorher die weitere Summe von mir zu erhalten, auf die Sie Anspruch haben, da Sie der Ansicht sind, dieselbe dürfte Ihnen in London nützlich werden, falls sich Gelegenheit darbieten sollte, Ihr Jahrgeld auf eine höhere Rente anzulegen. Und jetzt will ich Sie nicht länger abhalten, Abschied von Madeline zu nehmen.«

Der nicht unwahrscheinlichen Geschichte, die Aram von der Krankheit und dem herannahenden Tode seiner allein noch am Leben befindlichen Verwandten erfunden, wurde von den einfachen Menschen, denen er sie erzählte, aller Glauben beigemessen, und Madeline selbst hielt ihre Thränen zurück, um nicht um ihretwillen eine unvermeidlich scheinende Entfernung noch mehr zu trüben. Aram brach also noch an diesem Tage – dem Tage nach der Nacht, die Zeugin seines schlimmen Besuchs in der Teufelsklippe gewesen – nach London auf.

Gerade an diesem Punkte meiner Geschichte halte ich nicht ungern einen Augenblick an; – ein Moment der Stille zwischen dem immer dichter gewordenen Gewölk und dem bald ausbrechenden Sturm, beut sich uns, wie um frischen Atem zu schöpfen, dar. Auch ist diese Zwischenzeit nicht ohne einen vorübergehenden Schimmer von Ruhe und wohlthätigem Sonnenschein.

Es war Madelines erste Trennung von dem Geliebten seit ihrem gegenseitigen Angelöbnis; und diese erste Abwesenheit, wenn so viele Hoffnungen darauf lächeln wie hier, mag wohl einer der rührendsten Abschnitte in der Liebe eines Weibes sein. Wunderbar ist es, wie viele vorher unbeachtete Gegenstände ihr nun plötzlich teuer werden. Sie fühlt jetzt, welche heiligende Macht in der bloßen Gegenwart des Geliebten lag; der Ort, den er berührt, das Buch, in welchem er gelesen hat, sind ein Teil seines Selbst geworden – sind nicht länger unbeseelt – haben einen Geist, ein Sein, eine Stimme. Zudem weiß das Herz, das durch die Entdeckung so vieler neuen Schätze und die Eröffnung einer so holden Welt der Erinnerung angelächelt wird, noch nichts von dem Überfluß – dem Gefühl von Leerheit und Öde, jenen wahren Schmerzen der Trennung, aber nicht der hoffenden, sondern der zurückblickenden.

»Du bist heiter, liebe Madeline,« sagte Ellinor. »obwohl du dies während seiner Entfernung nicht für möglich hieltest.«

»Die Entdeckung, wie sehr ich ihn liebe,« erwiderte Madeline, »beschäftigt mich.«

Wir thun unrecht, wenn wir eine gewisse Übertreibung im Gefühl der Liebenden tadeln. Wahre Leidenschaft muß sich notwendig durch ihre eigene Glut zu einer Höhe erheben, die bloß demjenigen übertrieben scheint, der sie nicht zu fühlen vermag. Die erhabene Sprache eines Helden ist ein Teil seines Charakters; ohne diese Fülle der Ideen würde er kein Held geworden sein. Mit der Liebe verhält es sich wie mit dem Heldentum: was gewöhnliche Gemüter in den Empfindungen natürlich nennen, bloß weil es alltäglich ist, ist bloß für sehr zahme Herzen natürlich. Das ist eine sehr arme, ja eine sehr gemeine Liebe, bei welcher die Phantasie nicht zuvörderst in Anspruch genommen wird, und jener Franzose, der die Neigung seiner Geliebten deshalb tadelte, weil sie so sehr mit Bildern der Phantasie durchflochten sei, haderte mit dem Körper um der Seele willen, die ihn begeistert und hält. Indessen behaupten wir nicht, Madeline sei von der Zuversicht in ihre Liebe so durchdrungen gewesen, daß sie durchaus kein Zweifel, keine Besorgnis beschlichen hätte. Wenn sie der düstern, trüben Stimmung gedachte, die den Geliebten so oft befiel – seiner seltsamen, geheimnisvollen Selbstgespräche – des Kummers, der zuweilen, wie an jenem Sonntag Abend, als er an ihrer Brust weinte, plötzlich und ohne sichtbaren Grund über seine so leidenschaftslose, feste Natur zu kommen schien, wenn sie all' diese Zeichen eines noch jetzt nicht ruhig gewordenen Herzens sich zurückrief, so war es ihr nicht möglich, ein gewisses unbestimmtes, grauenvolles Vorgefühl von sich zu weisen. Auch schrieb sie diese umwölkte, eigentümliche Gemütsbeschaffenheit nicht, wie sie sich gegen Ellinor die Miene gab, bloß einem einsamen, an unbelauschtes Sinnen gewöhnten Leben zu, sondern leitete sie von einem frühern Schmerz, der vielleicht mit den Neigungen seines Herzens in Verbindung stehen mochte, ab, und zweifelte nicht, daß sie dereinst noch dieses Geheimnis erfahren werde. Den Gedanken an eine Schuld, an Reue über eine begangene Sünde, würde ein so höchst tadelloses Leben, eine so ausgesprochene Neigung zum Guten in allen praktischen Verhältnissen, und eine solche Begeisterung für die Schönheit des Guten – ein so gebildeter Geist, ein so sanftes Temperament und ein so leicht zu rührendes Herz: – all das würde, selbst bei mehr zum Argwohn geneigten Naturen als Madeline, eine solche Vermutung nicht haben aufkommen lassen. Und so ließ sie sich denn mit heiterer Ergebung, obwohl nicht ohne eine Beimischung von Besorgnis, einer Zukunft entgegentragen, die sie, komme Wolke, komme Sonnenschein, wenigstens mit dem Freund zu teilen die Hoffnung hatte.

Indem ich die verschiedenen Papiere überblicke, aus denen ich meine Erzählung entnommen habe, finde ich einen Brief Madelines an Aram aus dieser Zeit. Die Buchstaben, in der zarten, italienischen Handschrift gehalten, die man in jenen Tagen bevorzugte, sind verblichen und an einer Stelle ganz verwischt; indessen scheint mir dieser Erguß das Echte und Wahrhafte in der reizenden Poesie des Herzens so sehr in sich zu tragen, daß ich ihn, ohne ein Wort hinzufügen oder abzuändern, dem Leser vorlegen will.

»Dank dir, teuerster Eugen! – So habe ich denn den ersten Brief erhalten, den du mir je geschrieben hast. Ich kann dir nicht sagen, wie wunderbar er mir vorkam und wie sehr mich sein Anblick ergriff, mehr glaube ich, als wenn du selbst zurückgekommen wärest. Als jedoch die erste Wonne des Lesens vorüber war, fühlte ich, daß er mich nicht so glücklich gemacht habe, als er eigentlich hätte sollen – als ich's zu sein meiner ersten Empfindung nach wirklich glaubte. Du scheinst traurig und gedrückt; eine Wolke, für die ich keinen Namen habe, scheint mir über deinem ganzen Briefe zu hangen. Er greift mir ans Herz – ich weiß selbst nicht warum – und meine Thränen fließen sogar, während ich die Versicherung deiner unveränderten, unveränderbaren Liebe lese – so wenig auch deine Madeline – das thörichte Mädchen – nur einen Augenblick Zweifel in diese Versicherungen setzt. Oft habe ich von dem Mißtrauen und der Eifersucht, welche die Liebe begleiten sollen, gelesen und gehört, aber ich denke, eine solche Liebe müsse ein gemeines, niedriges Gefühl sein. Mir scheint eine Religion in der Liebe zu liegen, und der Glaube ist ihre wahre Grundlage. – Du sagst, mein Geliebter, das Gewühl und Geräusch der großen Stadt belästige und ermüde dich sogar noch mehr, als du erwartet. Du sagst, diese harten Gesichter, worein Geschäfte, Sorgen, Geiz und Ehrsucht ihre Züge graben, stießen dich zurück; – du wändest dich von ihnen ab – du hülltest dich in einen stillen Abscheu gegen die, welche du sähest, und riefest dir die Abwesenden – riefest dir deine Madeline vor die Seele! Könnte doch deine Madeline bei dir sein! Es scheint mir, – vielleicht daß du bei diesen Worten lächelst – ich allein könne dich verstehen – ich allein könne in deinem Herzen und deinen Gefühlen lesen – und ach! geliebter Eugen, könnte ich auch genug von deiner Vergangenheit lesen, um alles zu verstehen, was einen so anhaltenden Schatten auf ein so edles Herz, eine so ruhige, tiefe Natur wirft! Du lächelst wenn ich dich deswegen frage – aber zuweilen seufzest du auch – und dieses Seufzen ist mir lieber, macht mich ruhiger als das Lächeln ...

Von Walter haben wir nichts mehr vernommen und der Vater ist zuweilen in ernsthaften Sorgen um ihn, wozu dem Bericht noch das seinige beiträgt. Es ist wirklich auffallend, daß er in London noch nicht angekommen und du auf keine Spur von ihm gelangen kannst. Offenbar sucht er noch immer seinen verlorenen Vater und folgt einer dunkeln, unsichern Fährte. Der arme Walter! Gott steh' ihm bei! Ich glaube, daß ihm das seltsame Schicksal des Vermißten und die mancherlei Vermutungen über denselben mehr zu schaffen machten, als er es Wort hatte. Ellinor fand in seinem Zimmer, wo wir neulich etwas für den Vater suchten, ein Papier, das mit all den verschiedenen Gerüchten oder Erkundigungen über den Oheim, die von Zeit zu Zeit zu uns gelangten, vollgekritzelt war. Dazwischen standen einige Bemerkungen von Walter selbst, die mich wunderbar ergriffen. Es scheint von früher Kindheit an der einzige Wunsch des Vetters gewesen zu sein, das Los, das seinen Vater traf, zu enthüllen. Vielleicht ist die Entdeckung bereits gemacht; – vielleicht ist mein lang' vermißter Oheim bei unserer Hochzeit zugegen.

Du fragst mich, Eugen, ob ich meine botanischen Wanderungen noch fortsetze. Zuweilen; aber die Blume hat jetzt keinen Duft – das Kraut kein Geheimnis, das mich anlockt; die Sternkunde, die du mich zu lehren eben angefangen hast, gefällt mir besser; – die Blumen entzücken mich in deiner Gegenwart, die Sterne aber erzählen mir von dir, wenn du abwesend bist. Vielleicht wäre es nicht so, wenn ich ein weniger erhabenes Wesen als dich liebte. Jedermann, selbst der Vater, selbst Ellinor lächeln, wenn sie sehen, wie unablässig ich an dich denke – wie du mir so ganz alles in allem geworden bist. Sagen könnte ich dir das nicht, schreiben aber wohl: ist es nicht seltsam, daß ein Brief aufrichtiger sein kann als die Zunge? Auch dein eigener Brief scheint mir bei allem Trübsinn liebevoller, inniger und mehr von dir selbst erfüllt, als es deine gesprochenen Worte bei allem Zauber deiner Sprache und dem ganzen milden Silberton deiner Stimme sind. Gestern machte ich einen Spaziergang zu deinem Hause; die Läden waren geschlossen – ein wunderlicher Anstrich von Erstorbenheit und Schwermut war darum her. Erinnerst du dich des Abends, an welchem ich dieses Haus zum erstenmal betrat? Denkst du daran – oder vielmehr, giebt es eine Stunde, in welcher diese Erinnerung dir nicht gegenwärtig wäre? Was mich betrifft, so lebe ich in der Vergangenheit – und die Gegenwart ist's, in welcher ich kein Leben habe, weil du nicht darin bist. Ich ging in das Gärtchen, das du mit eigenen Händen für mich angepflanzt und mit Blumen gefüllt hast. Ellinor war bei mir und sah, daß meine Lippen sich bewegten. Sie fragte mich, was ich mit mir selber spräche. Ich wollte es ihr nicht sagen – ich betete für dich, mein teurer, geliebter Eugen. Ich betete für das Glück deiner künftigen Jahre – betete, daß ich im stande sein möge, deine Liebe zu belohnen. Wenn ich irgend etwas recht stark fühle, bin ich am meisten geneigt zum Gebet. Kummer, Freude, Zärtlichkeit, jede Bewegung meines Innern hebt mein Herz zu Gott empor. Und was für ein köstlicher Erguß des Herzens ist das Gebet! Wenn ich bei dir bin und fühle, daß du mich liebst, würde meine Seligkeit zum Schmerz werden, wenn kein Gott wäre, dem ich für dieses Übermaß danken könnte. Können die, welche nicht an Gott glauben, lieben? – Haben sie tiefe Empfindungen? – Können sie wahrhaft – hingegeben fühlen? Warum antwortest du mir, wenn ich so zu dir spreche, immer mit jenem kalten, trüben Lächeln? Willst du die Religion zu einem bloßen Geschöpf unserer Denkkraft machen – ebenso gut könntest du auch die Liebe dazu machen! – Was ist die eine wie die andere, wenn du sie nicht aus dem Gefühl entspringen lässest?

Wann – wann – wann wirst du zurückkehren? Ich glaube, ich liebe dich jetzt mehr als jemals, ich glaube, ich hab' jetzt mehr Mut, dir das zu sagen. So vieles hab' ich dir zu sagen – so viel Ereignisse dir zu erzählen. Denn was wäre nicht ein Ereignis für uns? Der geringste Zufall, der dem einen von uns begegnet – das bloße Verblühen einer Blume, die du einmal in der Hand gehabt, ist eine ganze Geschichte für mich.

Adieu! Gott segne dich – Gott belohne dich – Gott ziehe dein Herz zu sich, teurer, teurer Eugen. Mögest du jeden Tag mehr und mehr erfahren, wie unsäglich du geliebt wirst von deiner

Madeline.«

Das Schreiben, dessen Lester als von Walter eingegangen oben erwähnte, war am Tage, wo letzterer aus den Händen des Herrn Pertinar Grabfüller errettet wurde, abgefaßt: eher nur ein kurzes Billet als ein Brief, folgenden Inhalts:

»Mein teurer Oheim!

Es hat mich ein Unfall getroffen, der mich zwang, das Bett zu hüten; – ein Zusammenstoß mit den Rittern der Heerstraße: – nichts von Bedeutung (seien Sie also ganz unbesorgt!), obwohl der Doktor es gern dazu gemacht hätte. Ich bin jetzt eben daran, meine Reise wieder fortzusetzen, aber nicht nach London – sondern gerade umgekehrt nach dem Norden.

Teils durch Nachweisungen Ihres alten Freundes, des Herrn Courtland, teils durch Zufall bin ich auf eine Spur geraten, die mich, wie ich hoffe, dem Schicksal meines Vaters näher bringen wird. Eben reise ich ab, um diese Hoffnung zu verwirklichen. Gern möchte ich mehr sagen, aber in der Besorgnis, meine Erwartungen könnten nicht in Erfüllung gehen, will ich mich nicht bei Umständen aufhalten, die in letzterem Falle Ihnen nur einen Verdruß erregen müßten, der so groß wäre als der meinige. Nur das mögen Sie für jetzt wissen, daß das sprichwörtliche Glück meines Vaters ihm auch noch nach der Zeit beigestanden zu haben scheint, in welche Ihre letzten Nachrichten von seinem Schicksal fallen: ein Vermächtnis, obwohl kein großes, erwartete ihn bei seiner Rückkehr aus Indien nach England. Aber da werde ich bereits geschwätzig – ich muß abbrechen, um Ihnen das Vergnügen (möge es ein solches werden!) einer vollen Überraschung zu verschaffen!

Gott segne Sie, mein teurer Oheim! Mit Mut und Hoffnung schreibe ich. Meine herzlichsten Grüße an alles zu Hause.

Walter Lester.

N.S. Sagen Sie Ellinor, daß das, was mir bei dem vorerwähnten Unfall den meisten Schmerz machte, ist, daß man mir ihre Börse geraubt hat. Will sie mir eine andere stricken? Unterwegs begegnete ich auch Sir Peter Hales. Der offene, gastfreundliche Kerl, wie Sie sagten! Es läßt sich eine lange Geschichte davon erzählen.«

Dieser Brief, der die ganze Neugier unsers kleinen Kreises in Anspruch nahm, machte, daß man jeden Posttag mit gespannter Erwartung weiterem Aufschluß entgegensah. Aber dieser Aufschluß kam nicht, und so mußte man sich denn mit der augenscheinlichen Heiterkeit, in welcher Walter geschrieben hatte, und mit der wahrscheinlichen Voraussetzung trösten, daß er weitere Nachweisungen so lange aufschiebe, bis er sie vollständig und befriedigend geben könne. – »Ritter der Heerstraße,« bemerkte eines Tages Lester; »soll mich doch wundern, ob sie zu derselben Bande gehörten, die uns neulich einen Besuch machte. Der arme Junge sagt aber nicht, ob sie ihm noch Geld gelassen: doch freilich, wenn es in seinem Beutel öde aussähe, müßte er seinem Vater wenig gleichen – (und auch seinem Oheim, was das betrifft) – falls er vergäße, sich über diesen Punkt des weiteren zu verbreiten, so kurz er sich auch über alles Übrige ausdrückt.«

»Wahrscheinlich,« sagte Ellinor, »hatte der Korporal die Hauptsumme in seinen wohlgefüllten Satteltaschen, und nur die Börse, die Walter selbst auf dem Leibe trug, wurde entwendet; und da er nichts über den Korporal erwähnt, so ist es wahrscheinlich, daß dieser vortreffliche Herr den Räubern glücklich entkam.«

»Eine scharfsinnige Vermutung, Lorchen; aber sag' mir doch, warum mochte wohl Walter die Börse so sorgfältig bei sich tragen? Na, du wirst rot; willst du ihm eine andere stricken?«

»Ach, Papa, adieu, ich geh' und pflücke Ihnen einen Blumenstrauß.«

Aber Ellinor wurde von einem plötzlichen Anfall von Fleiß ergriffen und das Stricken wurde ihr, aus was immer für einem Grunde, lieber als je.

Die Umgegend war jetzt ruhig und in Frieden. Man vernahm nichts mehr von den nächtlichen Plünderern, welche die grünen Thäler des Dörfchens gefährdet hatten; das Ganze erschien wie eine plötzliche Seuche von Trug und Frevel, die zu sehr von der Natur des befallenen Ortes abwich, um etwas mehr thun zu können als zu schrecken und – zu verschwinden. Das traditur dies die, der heitere Lauf des Tages, der ruhig, in die Fußtapfen des vorhergegangenen eintritt, kehrte wieder zurück, und der erlebte Aufruhr diente nur noch in der Erinnerung als verlockender Gegenstand für die Unterhaltung der Gevatterinnen im Dorfe, und im Herrenhause als ein Stoff, um Eugen Arams Mut zu preisen.

»Es ist heut ein lieblicher Tag,« sagte Lester zu seinen Töchtern, als sie eines Tages am Fenster saßen, »kommt, Mädchen, holt eure Hüte und laßt uns einen Spaziergang durchs Dorf machen.«

»Und dem Postboten entgegengehen,« sagte Ellinor schäkernd. »Freilich,« erwiderte Madeline in derselben Weise, aber leise, damit es Lester nicht höre: »denn wer weiß, ob wir nicht einen Brief von Walter bekommen.«

Wie lieblich lautet eine solche Neckerei auf jungfräulichen Lippen. Nein, nein, nichts auf Erden ist so hold, wie die Vertraulichkeit zweier glücklichen Schwestern, die keine Geheimnisse zu enthüllen haben als die einer schuldlosen Liebe!

Auf ihrem Wege durchs Dorf begegneten sie Peter Dahltrup, der langsam auf einem großen Esel nach Hause ritt; denn dieser trug ihn und seine Körbe in einer ruhigern und behaglichern Gangart auf den benachbarten Markt, als solches durch die härteren Bewegungen des Pferdegeschlechts erzielt worden wäre.

»Ein hübscher Tag, Peter; was Neues auf dem Markt?« fragte Lester.

»Korn hoch – Heu teuer, Euer Edeln,« entgegnete der Kirchenschreiber.

»Ja, ich denk' wohl, rechte Zeit, um das unsrige zu verkaufen, Peter; – müssen das nächsten Sonnabend besorgen. – Sagt mir doch, habt Ihr was von dem Korporal gehört seit seiner Abreise?«

»Ich nicht, Euer Edeln; obwohl ich meine, er hätt' uns ›ne Zeil‹ zukommen lassen können, wär's auch nur, um mir für meine Sorge für seine Katze zu danken, aber

Wenn einer da zieht in die Fremde hinaus,
Gedenkt er an die nicht, die blieben zu Haus.«

»Ein verständiger Vers, Peter; Euer eigenes Werk, ich wette.«

»Meines? Gott segne Euer Edeln. Hab' kein Schönie nicht, aber hab' 'n Gedächtnis, und wenn schöne Verse aus so 'ner Dichtung mir in Kopf kommen, so bleiben sie dort, und bleiben, bis sie von meiner Zunge losfahren wie der Stöpsel von 'ner Flasche Ingwerbier. Ich liebe die Poesie, Herr, absonderlich die heilige.«

»Das wissen wir – das wissen wir.«

»Denn in der liegt so was,« fuhr der Kirchenschreiber fort, »das eines Menschen Herz wie 'ne Kleiderbürste fegt, und den Staub und Schmutz wegkehrt und alles ins rechte G'leis bringt; und ich meine, das sei's eben, was ein Kirchenschreiber zu erlernen hat, Euer Edeln.«

»Nichts eher als das; Ihr sprecht wie ein Orakel.«

»Ja, da ist der Korp'ral, gnädiger Herr, ein honetter Mann, der sich für mächtig klug hält – hat aber keine Seele für Verse. Behüt' uns der Herr, was er für 'n Gesicht macht, wenn ich ihm 'n geistlich Lied oder so was vorsage. Das ist sehr unrecht, Euer Edeln – ist, was die Heiden thaten, Wie Sie wohl wissen, gnädiger Herr:

Und ich sprech' von dem Heiligsten
Zu ihrer argen Rotte; Was thun sie? –
Meine Harfe wird
Vor ihnen nur zum Spotte.

Das ist nicht, was ich hübsch nenne, Miß Ellinorr.«

»Gewiß nicht, Peter; ich wundere mich, daß Ihr bei Euerm Talent zu Versen Euch nie das Vergnügen einer kleinen Satire gegen einen so verkehrten Geschmack macht.«

»Satire! Was ist das? Ach. weiß schon, was sie bei den Wahlen schreiben. Nun, Miß, könnte sein« – hier hielt Peter mit einem bedeutsamen Wink an – »freilich ist der Korp'ral 'n leidenschaftlicher Mensch, wie Sie wissen; aber ich könnt' ihm auch 'n solchen Stachel einjagen ... na! wollen sehen, wollen sehen. – Wissen Euer Edeln« – hier änderte Peter seine Miene zu einer imponierenden Wichtigkeit um, als habe er eine höchst scharfsinnige Vermutung mitzuteilen – »ich denk', 's ist vornehmlich aus einer Räson, weshalb mir der Korp'ral nicht geschrieben hat.«

»Und welche ist das, Peter?«

»Euer Edeln, weil er sich über sein Schreibwesen schämt; schätz' wohl, er hat's im Buchstabieren nicht weit gebracht – (weil's doch hier niemand sonst hört!). Euer Edeln wissen, der Korp'ral hat's Parlieren weg – schwatzt dem Satan 'n Ohr weg! aber vor der Feder scheut er – nicht hinter jedwedem, der 'ne lange Zung' hat, steckt derhalben auch 'ne gute Schul'! Heißt da eben in der Zeitung, die ich auf 'm Markt las (denn reg'lär einmal in der Woch' les' ich die Zeitung), gar viele von den großen Sprechern im Parlamentshaus seien arme Tröpfe, wenn sie an die Feder kommen, und das ist meiner Konjunktur nach auch der Fall beim Korp'ral. Mein' wohl, können nicht alle die langen Worte buchstabieren, die sie veranwenden. Für mein Teil glaub' ich, es läuft viel menschlich Blendwerk bei so 'ner Parlamentsred' mit unter, denn ich weiß, was 'ne laute Stimm' und 'n frech Gesicht ausrichten kann, selbst beim Kuhkaufen, Euer Edeln, und ich sorg', 's Land wird in dieser Materi schlimm angeschmiert; denn wenn einer nicht deutlich schreiben kann, was er zu sagen vorhat, so glaub' ich, er weiß auch nicht, was er will, wenn er sich ans Sprechen macht!«

Diese Rede – eine vollständige moralische Vorlesung, ohne Zweifel durch den eben gemachten Besuch auf dem Markt eingegeben – denn welche Art von Weisheit fände ihren Quell nicht in dem Umgang mit andern Menschen? – ließ unser guter Gastgeber mit besonderer Feierlichkeit von Stapel und stieß zum Schluß seinem Esel tüchtig in die Rippen. »Auf mein Wort, Peter,« erwiderte Lester mit Lachen. »Ihr seid ein ganzer Salomon geworden, und statt Kirchenschreiber solltet Ihr mindestens Friedensrichter sein. Jedenfalls scheint Ihr mir mehr die Art eines Lehrers als eines Kriegers zu haben.«

»Es ziemt sich nicht für 'nen Kirchenschreiber, zu viel Verständnis von den Waffen des Fleisches zu haben,« entgegnete Peter mit gottseligem Ton und wandte das Gesicht ab, um eine kleine Schamröte über die unglückliche Erinnerung an seine Waffenthaten zu verbergen. »Aber schauen's, Herr, selbst was das anlangt, haben wir all die Räuber fortgescheucht. Was hätten wir mehr thun können?«

»Ja, da habt Ihr recht, Peter: und für jetzt guten Tag. »Eure Frau ist hoffentlich wohl? und Jakobine – heißt die Katze nicht so? – gesund und in Gnaden bei jedermann?«

»Hm – hm! – ja, ja! die Katz' ist 'ne gute Katz'; aber sie stiehlt Sabine Trumans Rahm, denn reg'lär jede Nacht geht sie auf Butter aus.«

»Ah. davon müßt Ihr sie heilen,« sagte Lester lächelnd; »hoffentlich ist das ihr schlimmster Fehler.«

»Na! Ihr Gärtner sagt,« bemerkte Peter mit einigem Zaudern, »sie ging den Fasanen im Unterholz nach.«

»Was Henker!« rief der Squire, »daraus wird nichts; da wird sie aufs Fell geschossen. Peter, aufs Fell geschossen! Meine Fasanen! unsere langgesparten Bissen! und der armen Sabine Truman ihren Rahm dazu! Das ist ja der leibhafte Teufel. Richtet Euch danach, Peter; hör' ich je wieder eine Klage der Art, so ist's um Jakobine geschehen. – Was lachst du, Lorchen?«

»Was Peter doch für ein pfiffiger Mann ist; nicht jeder hätte meines Vaters Mitleid für Sabine Trumans Rahm so schnell rege machen können!«

»Pah!« rief der Squire, »ein Fasan ist eine ernste Sache, Kleine: aber Ihr Weiber versteht so was nicht.« Sie waren jetzt allmählich durchs Dorf ins Feld hinausgekommen und schlenderten langsam

Durch Ulmenreihn auf Hügelgrün,

als sie plötzlich unter einem verkrüppelten Baumstumpf die unheimliche Gestalt der Grete Dunkelmann erblickten. Sie saß, die Ellbogen auf die Kniee, das Kinn auf die Hände gestützt da und sah zum klaren Herbsthimmel hinauf. Bei Annäherung der Gesellschaft rührte sie sich nicht und gab weder durch Zeichen noch Blick zu erkennen, daß sie dieselbe irgend bemerkt habe.

Man trifft bei Landedelleuten, besonders wenn sie nicht eben vom höchsten Range sind, häufig eine gutmütige Gesprächigkeit. Da sie jedermann in ihrer unmittelbaren Umgebung kennen und jedermann auf sie sieht, so nehmen sie leicht die Gewohnheit an, jeden, der ihnen in den Weg kommt, anzureden – eine Gewohnheit, deren Verletzung ihnen ebenso unangenehm ist, als es umgekehrt dem armen Rousseau unangenehm war, wenn ihn die Äpfelfrau nach seinen Befinden fragte. So konnte denn der gute alte Squire bei einem so unerwarteten Zusammentreffen selbst an Grete nicht vorbei, ohne sie zu grüßen.

»Ganz allein, Mutter! Laßt Euch das schöne Wetter behagen; das ist recht. Wie geht's Euch?«

Die Alte wandte ihre dunkeln, wässerigen Augen, ohne ein Glied zu rühren oder ihre Stellung zu verändern.

»Geht jetzt auf 'n Winter los, nichts Leichtes für 'nen Armen, daß es ihm wohl geh' in so 'ner Jahreszeit. Woher sollen wir's Brennholz kriegen und Kleider und nur 'n trocken Brot, verflucht sei's! und 'n Tropfen Gutes, die Kälte abzuhalten? Ach, gar schön von Euch, zu fragen, wie's uns geht, wenn die Tage kürzer werden und die Luft schärfer.«

»Nun, Mutter, soll ich Euch von **** einen warmen Mantel kommen lassen?« fragte Madeline.

»Oho, dank Euch, Fräuleinchen – dank Euch recht, will's an Euerm Hochzeitstag tragen; heißt ja, Ihr heirat' den gelahrten Mann da drüben. Wünsch' Glück, Fräulein, wünsch' Glück.«

Die Alte grinste bei diesem Segenswunsch, der sich auf ihren Lippen wie das Gebet des Herrn im Munde einer Zauberin ausnahm, welche die Andacht zum Frevel, das Heilige zum Fluch umwandelt.

»Seid recht gefallsam, Fräuleinchen,« fuhr sie fort, indem. sie Madelines hohe blühende Gestalt von Kopf bis zu Fuß betrachtete, »recht gefallsam – aber ich war mal ebenso hübsch, wie Ihr, und bleibt Ihr am Leben – merkt's Euch – so schön und sauber Ihr jetzt dasteht, so verrunzelt und garstig und armselig werdet Ihr werden! Ha! ha! Hab' meine Freude an solchen Gedanken, wenn ich junges Volk seh'. Aber vielleicht mögt Ihr nicht alt werden – denn 's ist zum Erbarmen, könntet 'ne Witib und kinderlos und 'n verlassen Weib sein wie ich, wenn Ihr's bis in die Sechzig bringt; wär' das nicht hübsch? ha! ha! hättet dann wohl 'ne Freud' am schönen Wetter und an den schönen Worten der Leute, he?«

»Geht, Frau,« sagte Lester mit einer Wolke auf seinem gütigen Gesicht, »das heißt undankbar gegen mich und unschicklich gegen Miß Lester sprechen; das ist nicht der Weg –«

»Oho!« fuhr die Alte dazwischen, »um Vergebung, Herr, wenn ich angestoßen hab' – um Vergebung, Fräuleinchen, 's ist so die Art von mir armen alten Seele. Ihr meint's gut mit mir, und ich möcht' nicht unrespektierlich sein, da Ihr mir 'n hübschen Mantel schaffen wollt: von was für 'ner Farb' soll er sein?«

»Nun, welche Farbe würd' Euch am besten gefallen, Grete – rot?«

»Rot! – Nein! – Wär' wie 'ne Zigeunervettel! Zudem haben sie alle rote Mäntel im Dorf drüben. Nein; 'n hübsches Dunkelgrau – oder 'n freudiges, lustiges Schwarz, dann will ich an Eurer Hochzeit in der Trauerfarb' tanzen, Fräuleinchen: das wird Euch gefallen. Aber was habt Ihr mit 'm lustigen Bräutigam angefangen, Fräulein? Der ist fort, hör' ich. Werdet 'n glücklich Leben mit 'nem Herrn, wie er, führen. Hab' ihn noch nicht 'n einzig Mal lachen sehen. Warum dingt Ihr mich nicht als Eure Magd – wär' ich nicht recht am Platz bei Euch? Wollt' auf der Schwelle stehen und Euch jeden Tag 'n guten Morgen geben. O! 's thut mir gar wohl, denen, die jünger und froher als ich sind, 'nen Glückwunsch zu sagen – 'n Segen von Margret Dunkelmann – hui! – was kann man sich Schönres wünschen! –«

»Nun guten Tag, Mutter,« sagte Lester weggehend.

»Haltet 'n wenig, haltet 'n wenig, Herr – habt Ihr was nach Herrn Arams Haus sagen zu lassen, Fräulein? Seine alte Haushälterin ist meine Gevatterin. – Waren jung zusammen – und die Bursche wußten nicht, welche die Hübschere war. Da kommen wir nun oft zu einander und sprechen von 'n alten Zeiten. Geh' jetzt eben 'nüber. Och! Hoff, werd' zur Hochzeit geladen werden. Was für 'n hübscher Monat zur Hochzeit, der November – November ist mein Leibmonat, ist so kalt – bitter kalt dann. Na! guten Tag – guten Tag. – Ja,« fuhr die Alte fort, als Lester und die Schwestern sich nicht aufhalten ließen, »Ihr geht da alle hin und wirft keines 'nen Blick zurück. Ihr verachtet 'n Armen in Euerm Herzen. Aber der Tag für die Armen wird auch kommen. Och, ich wollt', Ihr wär't tot – tot – tot, und ich tanzte in meinem hübschen schwarzen Mantel auf Euren Gräbern; – denn sind nicht all die Meinigen tot – kalt – kalt – verfault? und ein einziger guter reicher Mensch hätt' alle retten können.«

So murmelnd sah das jammervolle Geschöpf dem Vater und den Töchtern auf ihrem Wege nach, bis ihr dämmerndes Gesicht sie nicht länger festzuhalten vermochte. Dann stand sie, sich fester in ihre Lumpen hüllend, auf, und schlug die entgegengesetzte Richtung, nach Arams Hause ein.

»Ich hoffe, die Hexe wird nicht zu oft in deine neue Wohnung kommen, Madeline,« sagte die jüngere Schwester; »das wär' wie ein kalter Nebel in der Luft.«

»Könnten wir sie aus der Gemeinde wegschaffen,« rief Lester, »so wär' das ein glücklicher Tag fürs Dorf. Aber so seltsam es scheint, sie übt eine solche Macht über alle aus, daß keine Hochzeit oder Taufe im Dorfe gefeiert wird, wobei sie nicht zugegen ist, – Man fürchtet ihren Haß und ihre böse Zunge so sehr, daß man sie noch demütig um ihre Teilnahme bei solchen Festen bittet.«

»Auch scheint die Hexe zu wissen,« erwiderte Ellinor, »daß ihre schlimmen Eigenschaften eine gute Schutzwehr sind und ihr mehr Ehrerbietung schaffen, als dies selbst ein liebenswürdiges Benehmen vermöchte. Ich glaube, sie sagt nicht leicht etwas ohne Absicht.«

»Ich weiß nicht, wie es kommt,« bemerkte Madeline nachdenklich, »aber die Worte und der Anblick dieses Weibes haben sich wie ein Schleier um mein Herz geworfen.«

»Es wäre wunderbar, Kind, wenn sie es nicht gethan hätten,« sagte Lester tröstend und leitete das Gespräch auf andere Gegenstände.

Als sie am Schluß ihres Spazierganges wieder ins Dorf eintraten, begegneten sie dem willkommensten Besuch in einem abgelegenen Orte, dem Postboten – einem langen, dünnen, wegen der Schnelligkeit seines Laufes berühmten Fußwanderer, der mit freundlichem Gesicht, watschelndem Gang und mit Lesters Posttasche über der Schulter auf sie zukam. Unsere kleine Gesellschaft beeilte ihre Schritte. – Ein Brief – an Madeline – Arams Handschrift! seliges Erröten – wonnevolles Lächeln! Ach! um keine sichtbare Zusammenkunft weht das Entzücken, das ein Brief wahrend der kurzen Trennungen einer ersten Liebe einzuhauchen vermag.

»Und keinen für mich,« sagte Lester mißmutig, und Ellinors Hand hing schwerer an seinem Arm und ihr Schritt bewegte sich langsamer. »Das ist sehr seltsam von Walter; doch macht es mich eher ärgerlich als besorgt.«

»Gewiß,« bemerkte Ellinor nach einer Pause, »ist das nicht seine Schuld. Vielleicht ist ihm etwas begegnet. Guter Gott! wenn er aufs neue angefallen worden wäre! – diese entsetzlichen Straßenräuber!«

»Nun,« sagte Lester, »die wahrscheinlichste Voraussetzung, bleibt zuletzt immer, daß er nicht schreiben will, bis seine Erwartungen in Erfüllung gegangen sind, oder sich als nichtig erwiesen haben. Es ist dies in der That ganz natürlich und ich selbst würde an seiner Stelle so handeln.«

»Natürlich!« rief Ellinor, die jetzt angriff, wo sie vorhin verteidigt hatte – »natürlich? uns keine Zeile zukommen zu lassen, die uns nur sagte, daß er wohl und gesund! – natürlich? ich könnte nicht so zurückhaltend sein.«

»Ja, Kind, Ihr Weibsleute seid immer gewaltige Schreiberinnen; mit uns ist es nicht so, besonders wenn wir auf Reisen sind. Da heißt's immer: ›Aber morgen muß ich schreiben – aber ich muß schreiben, wenn dies und das in Ordnung ist – ich muß schreiben, wenn ich dort und dort ankommen;‹ – und einstweilen geht die Zeit vorüber, bis wir uns endlich schämen, die Feder noch in die Hand zu nehmen. Ich hörte einmal einen großen Mann behaupten, Männer müßten, um gute Briefsteller zu sein, etwas Weibliches an sich haben; und wirklich, ich glaube, die Behauptung ist im allgemeinen ziemlich richtig.«

»Es sollte mich wundern, wenn Madeline ebenso dächte?« sagte Ellinor mit einem eifersüchtigen Blick auf die in Wonne verlorene Schwester, die, den Inhalt ihres Briefes verschlingend, langsam hinterdrein ging.

»Er kommt in kürzester Zeit, lieber Vater, vielleicht ist er schon morgen hier!« rief plötzlich Madeline; »denk einmal, Ellinor! Ach und er schreibt in ganz froher Stimmung!« Damit klatschte das gute Mädchen vor Entzücken in die Hände, und die Röte wogte ihr heiter über Wangen und Nacken. »Willkommene Nachricht!« erwiderte Lester, »wird er doch am Ende gar noch lustiger werden als Ellinor.«

»Das könnte leicht sein,« seufzte Ellinor im stillen, schlich hinter den beiden ins Haus und suchte ihr eigenes Zimmer auf.


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