Edward Lytton Bulwer
Eugen Aram
Edward Lytton Bulwer

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Achtes Kapitel.

Walters Betrachtungen. – Kummer und Ärger des Korporals. – Schilderung der näheren Persönlichkeit des Korporals. – Eine Auseinandersetzung mit seinem Herrn. – Der Korporal eröffnet sich dem jungen Reisenden. – Seine Ansichten über Liebe; – über die Welt; – über das Vergnügen und die Achtungswürdigkeit des Betrügens; – über Frauen; – über eine besondere Klasse von Frauen; – über Schriftsteller; – über den Wert von Worten; – über das Fechten; – nebst verschiedenen andern Dingen von gleicher Unterhaltsamkeit und Erbaulichkeit. – Ein unerwartetes Ereignis.

Quale per incertam Lunam sub luce maligna Est iter.
Virgil.

Der Weg, welchen die Reisenden wegen der Veränderung ihres Bestimmungsortes zu machen hatten, führte sie durch einen beträchtlichen Teil der bereits durchzogenen Gegend zurück, und da der Korporal Sorge getragen, daß man in dem Städtchen, wo man zu Mittag speiste, ein paar Stunden verweilte, überfiel sie die Nacht mitten auf dem öden, langen Wege, wo ihnen Sir Peter Hales und die zwei verdächtigen Räubergestalten begegnet waren.

Walters Seele war ganz mit seinem neuen Plan erfüllt. Der Leser wird vollkommen begreifen, welch lebhafte Aufregung der Zufall in ihm hervorrufen mußte, der auf eine mögliche Entwirrung des Geheimnisses deutete, das über dem Schicksal seines Vaters hing. Sanguinisch gab er sich jetzt den eifrigen Betrachtungen hin, mit welchen die Phantasie der Jugend einen Lieblingsgedanken hegt und pflegt, bis sich die Hoffnung zur Leidenschaft steigert. Was immer auf diesen wunderlichen umherschwärmenden Vater sich bezog, hatte des Sohnes Brust mit ängstlicher, ja, uns so auszudrücken, nachsichtiger Teilnahme erfüllt. Das Urteil eines jungen Mannes ist immer geneigt, kühnere, unternehmende Charaktere in Schutz zu nehmen, und so gebrach es Walter nicht an stillen Entschuldigungsgründen für das wilde, sorglose Leben seines Vaters. Mitten unter den sichtbaren, ja schreienden Beweisen eines gänzlichen Mangels an Grundsätzen bei letzterem klammerte sich der Sohn mit natürlicher Parteilichkeit und Selbsttäuschung an die wenigen Züge von Herzhaftigkeit und Edelmut, die auf jenen Charakter, wenn sie auch keineswegs völlig mit ihm versöhnten, mindestens einen gewissen Glanz warfen; Züge, welche sich in solchen Menschen als eine häufige, obwohl immer so nutzlose Nebengabe finden, und mit Beginn des höheren Alters in der Regel verschwinden. War es immer Walters Hoffnung gewesen, so war es jetzt zur begeisternden Überzeugung geworden, es sei ihm vorbehalten, den zu entdecken, den er noch stets am Leben vermutete und jetzt gebessert zu finden erwartete. Jener stille Glaube an Gottfried Lesters guten Stern, den alle, die ihn gekannt, zu nähren schienen, wurde vollends von seinem Sohn mit besonderer Bereitwilligkeit und Bestimmtheit angenommen. Er überließ sich den verschiedensten Vermutungen über die Gründe, die seinen Vater bewogen haben mochten, auch nach der Rückkehr nach England nichts über sein Schicksal laut werden zu lassen. Entschlossen und schnell verwarf er dabei jedesmal diejenigen, welche, wenn sie dem wahren Stand der Dinge am nächsten kamen, doch die niederschlagendsten für ihn waren. Bald stellte er sich vor, sein Vater sei bei der Nachricht vom Tode seiner verlassenen Frau vielleicht von innern Vorwürfen, die ihn abgeneigt gemacht, sich der übrigen Familie zu entdecken – sei vielleicht von dem Gefühl ergriffen worden, daß das stärkste Band, das ihn an die Heimat fesselte, zerbrochen sei; bald dachte er, der Wanderer möge in der Aussicht auf jenes Vermächtnis getäuscht worden sein und sofort aus Furcht vor Gläubigern oder weil er die Großmut des Bruders nicht zum zweitenmal in Anspruch nehmen wollte, England abermals schnell verlassen und sich auf irgend eine Unternehmung, ein Geschäft in der Fremde geworfen haben. Auch war es möglich, daß der Vorschlag irgend eines wilden Kameraden einen Mann von so leichtem, veränderunglustigen Blut, selbst nach Empfang des Vermächtnisses, bloß auf die Laune des Augenblicks hin – denn immer war die augenblickliche Laune Führerin seines Lebens gewesen – zu einem Unternehmen auf dem Festlande fortgetrieben hatte; einmal in der Fremde mochte er nach Indien zurückgekehrt und in neuen Verhältnissen die alten Bande an die Heimat vergessen haben. Zudem gehen Briefe aus dem Auslande leicht verloren und es war nicht unwahrscheinlich, daß der Umherschwärmer zu wiederholten Malen geschrieben hatte, sich, als er auf diese Mitteilungen sofort keine Antwort erhielt, einbildete, sein ausschweifendes Leben habe ihn der Zuneigung seiner Frau beraubt, und im Bewußtsein, daß Anerbietungen zu erneuerter Verständigung eine Abweisung verdienten, sich überredete, das verdiente Los sei denselben wirklich zu teil geworden. Diese und hundert ähnliche Mutmaßungen fanden Gunst in den Augen des jungen Reisenden. Die Möglichkeit eines Unglücks oder plötzlichen Todes dagegen schloß er für jetzt beharrlich von der Zahl dieser Wahrscheinlichkeiten aus. Wäre sein Vater unterwegs von einer tödlichen Krankheit ergriffen worden, war es da nicht wahrscheinlich, daß er in der Zerknirschung, welche der herannahende Tod auch in dem verhärtetsten Gemüt hervorruft, dem Bruder geschrieben, sein Kind dessen Fürsorge anempfohlen und ihn von dem Zuwachs seines Vermögens benachrichtigt haben würde? – So fiel es denn Walter nicht ein, seine gegenwärtige Reise durch Nachforschungen unter den Toten, welche ihm der würdige Courtland so wohlbedacht empfohlen hatte, aufzuhalten. Sollte gegen seine Hoffnung das Unternehmen ohne allen Erfolg bleiben, so war es immer noch Zeit, den Weg zurückzumachen und jenen Wink zu benutzen. Aber welcher Mensch von einundzwanzig Jahren nahm je viele Vorsichtsmaßregeln in Bezug auf die dunklere Seite einer Angelegenheit, bei welcher sein Herz interessiert ist?

Und als die schwankenden Vermutungen endlich in ein festes Bild übergingen, als die Worte, in welchen Gottfried Lester Herrn Courtland seine künftige Besserung ziemlich unzweideutig angezeigt hatte, ihm stets von neuem vorschwebten – mit welchem Entzücken stellte er sich da das Wiederfinden eines durch Jahre weise, durch Unglück gemäßigt gewordenen Vaters vor, den er nun in eine neue Heimat stiller Tugend und friedlichen Genusses einführen wollte! Er malte sich eine Scene jenes häuslichen Glückes aus, das in unsern Träumen so vollkommen erscheint, weil in unsern Träumen jede Einförmigkeit aus dem Gemälde weggelassen ist. In diesem Phantasiegebilde trat die Gestalt Ellinors, seiner helläugigen zarten Cousine, nicht am wenigsten vor. Seit seinem Wortwechsel mit Madeline war die Liebe, die er einst für so unvertilgbar gehalten, in einen nebelhaften trüben Duft verflossen und in dem Maß, worin Madelines Bild undeutlicher wurde, erglänzte dasjenige ihrer Schwester heller. Oft drückte er, wie er jetzt durch die Stille der dunkelnden Nacht und das milde Sternenlicht dahinritt, das kleine Pfand von Ellinors Zuneigung an sein Herz und wunderte sich, erst in den paar letzten Tagen entdeckt zu haben, daß ihre Augen schöner als diejenigen Madelines und ihr Lächeln rührender sei. Mittlerweile trabte der heldenhafte Korporal, der mit dem veränderten Reiseplan seines Herrn keineswegs zufrieden war, hinterdrein und pfiff die trübseligste Melodie, welche im Bereich seines Gedächtnisses lag. Keine junge Dame hatte je im Vorgenuß der Bälle und Kränzchen größeres Vergnügen über eine Reise nach London empfunden, als die athletische Brust des alten Kriegsknechts, wie er sich nun nur noch eine geringe Tagreise von der Hauptstadt befand. Und keine junge Dame, die in der ersten Blüte ihres Auftretens durch einen unzeitigen Anfall von Gicht oder Sparsamkeit des Papas zurückgerufen wird, fühlte je einen so unheilbaren Kummer, als der niedergeschlagene Korporal. Sein Herr hatte ihn noch nicht einmal mit der Ursache des Rückmarsches bekannt gemacht, und in seinem eigenen Herzen schob er denselben lediglich dem flatterhaften Leichtsinn und der unverzeihlichen Unbeständigkeit zu, welche »all' diese Jungen haben, eh' sie in die Welt geguckt«. Unbedenklich sah er sich als einen höchlichst mißhandelten und mißbrauchten Mann an, richtete sich zu seiner ganzen Höhe auf, als ob der Himmel bei der nächsten Gelegenheit mit dieser Sache bekannt gemacht werden sollte und gab sich, besagtermaßen, dem schwermütigen Trost hin, ein Grablied zu pfeifen, das er dann und wann durch eine langgedehnte Zwischenmusik, halb Seufzer, halb das beliebte »Uff – Buff« im Nasenton, unterbrach.

Und hier erinnern wir uns, daß wir den Lesern noch kein genügendes Bild des reisigen Korporals gegeben haben. Vielleicht dürfte sich dazu keine bessere Gelegenheit als die jetzige finden; vielleicht auch, daß sich Korporal Bunting, wie Melrose Abbey, am anziehendsten ausnimmt, wenn er im bleichen Mondlicht gesehen wird.

Auf dem Kopfe trug er einen kleinen aufgestülpten Hut, der früher dem Obersten des Zweiundvierzigsten angehörte – die Bilder von Freund Tristrams Onkel mögen der Vorstellung nachhelfen; – einmal hatte der Hauptschmuck mit einer Feder geprangt – die jetzt weg war, aber die goldene Tresse, obwohl abgerieben, und die Kokarde, obwohl zerknickt, hielten noch stand. Unter dieser Beschattung gewann das Profil des Korporals einen besondern Ausdruck von Schlachtentrotz. Denn obwohl er von vorn gut genug aussah, so waren es doch nur Haltung, Länge und Farbe, die ihm dies Aussehen gaben, und seine Seitenansicht war, umgekehrt wie bei Lucians einäugigem Prinzen, keineswegs der vorteilhafteste Standpunkt zur Betrachtung seiner Züge. Seine kleinen, schlauen Augen wurden halb versteckt durch ein Paar dichte, buschige Brauen, die er beim Pfeifen hin und her bewegte, wie ein Pferd die Ohren regt, wenn es scheu werden reichte nicht weit genug, denn obwohl sie von vorn als kein verächtlicher Ausläufer erschien, so sah sie sich doch – worin nun immer die Ursache gelegen haben mag – vom Profil ausnehmend kurz an. Zum Ersatz zeigte die Oberlippe eine Länge, die umsomehr ausfiel, als sie über die Maßen steif war – sie hatte so gut wie ihr Herr gelernt sich aufrecht zu halten und ihrer Ausdehnung keine Linie zu vergeben! Die Unterlippe, beim Pfeifen allein hervorgedrückt, diente noch mehr dazu, die Nase in den Hintergrund zu stellen; und was das Kinn betrifft – sprecht mir immer von einer langen Oberlippe – das Kinn hätte deren noch zwei abgegeben. Solch' ein Kinn, so lang, so breit, so vollwichtig würde, wenn man es auf eine Schüssel gelegt, ohne im mindesten Zweifel zu erregen, für einen Rinderbraten haben gelten können! Noch dicker, als es war, erschien es durch die ausnehmende Festigkeit der steifen, schwarzledernen Halsbinde darunter, welche alles ihr im Wege liegende Fleisch zu einem zweiten Kinn zusammendrängte – dem Abhub vom Braten! Der Hut, der für seinen Träger etwas zu klein und überdies geflissentlich in die Stirn gedrückt war, ließ den halben Hinterkopf unbedeckt. Das Haar, nach damaliger Mode in einen Knoten verschlungen, fiel in gräulich schwarzem Dickicht auf die stämmigen Schultern herab. Als Gewand trug der Veteran ein blaues Wams, ursprünglich ein Frack, aber weil die Schöße einmal, als der Besitzer sich an Peter Dahltrups Kamin wärmte, zur drohendsten Gefahr der Stelle, die sie schützen sollten, Feuer gefangen, waren sie soweit amputiert worden, daß sie bloß den Stumpf eines Schwanzes übrig ließen, der eben kärglich hinreichte, den Teil zu bedecken, welchen weder die Kunst bei zweibeinigen noch die Natur bei vierbeinigen Geschöpfen gern völlig hüllenlos läßt.

Und dieser Teil, ach, von welchem Umfang! Hätte ihn Liston gesehen, er würde sein verkleinertes dem Gesicht entgegengesetztes Teil für immer verborgen haben. – Kein Wunder, daß der Korporal durch das gestrige Paket so verdrießlich gemacht wurde, ein so kurzer Rock und ein – –. Doch gehen wir zum Rest des Mannes über! Nicht nur in seinen Schößen war der unselige Frack mangelhaft; der Korporal, der die letzten Jahre über in der heitern Unthätigkeit Grünthals lustig zugelegt hatte, war in Brust- und Bauchweite wunderbar aus dem Kleid hinausgewachsen, knöpfte es aber mit vieler Kunstfertigkeit dennoch ganz zu. So strotzten denn die muskelkräftigen Verhältnisse des Insassen nach allen Richtungen heraus und gaben ihm das komische Ansehen eines riesenhaften Schulknaben. Seine Armgelenke und breiten, sehnigen Hände, die er beide zur Zügelung seines hartmäuligen Tieres gebrauchte, traten besonders bemerkbar hervor, denn der Korporal hatte die Gewohnheit, sobald er auf einen abgelegenen Strich Wegs kam, ein Paar sorgfältig weiß gehaltene Lederhandschuhe – eine wundersame Aufstutzung seiner Erscheinung, wenn er durch eine Stadt ritt – mit Bedacht auszuziehen und klüglich in die Tasche zu stecken. Unsäglich straff lagen die gelben bockledernen Beinkleider an; die Strümpfe bestanden aus grauer Wolle und ein Paar Schnürstiefel, welche bis zum Anfang, einer bergmäßigen Wade gingen, jedes Weiterreichen aber verweigerten, vollendeten seinen Anzug.

Stellt euch diese Gestalt mit mühevoller, unveränderlicher Perpendikularität auf einem halbgebauschten Sattel vor, der mit einem gewaltigen Paar vollgestopfter Taschen und mit Halftern geschmückt ist, worin die Läufe von zwei ungeheuern Pistolen sich bergen; das Pferd sein eigensinniges Gebiß vorwärts streckend und den Zügel so straff wie eine Bogensehne anziehend, die Ohren dämisch zurückgelegt, als ob es gleich dem Korporal über die Reise nach Yorkshire trauerte, und den langen, dicken Schweif nicht in einer hübschen, wohlgezogenen Schwingung tragend, sondern schafmäßig baumeln lassend, als wollte es seine hintern Teile mindestens besser bedecken, als sein Herr.

Und nunmehr, Leser, ist es nicht unser Fehler, wenn du dir keine Vorstellung von den körperlichen Vollkommenheiten des Korporals und seines Rosses machen kannst!

Die Träumereien des sinnenden Bunting wurden durch die Stimme seines Herrn unterbrochen, der ihn näher rief.

»Na, na!« murmelte er, »der Junker kann nicht erwarten, daß ich ihm so dicht auf 'n Fersen sein soll, als ob wir nach Lonnon 'nein trabten, was freilich jetzunder wohl sein könnt', wenn er kein so verdammter Windbeutel gewesen wär' – uff!«

»Bunting, sag' ich, hört Ihr mich?«

»Ja. Euer Edeln, ja; habe des Teufels Not mit der Faulheit dieser verdammten Mähre.«

»Faulheit! dacht' ich doch, das Pferd sei eher das Gegenteil, Bunting; ich glaubte, es brauche mehr den Zaum als den Sporn.«

»Uff! Euer Edeln, 's ist langsam, wenn's nicht sollte und schnell wenn's nicht sollte; wechselt seine Laune aus bloßem Eigensinn oder bloßem Trotz; 'n Guck-in-die-Welt, Euer Edeln, da steckt's! Was ganz anderes, wenn's gut zugeritten wär'. Giebt viele gleich ihm!«

»Ihr macht wohl gar Anspielungen, Herr Bunting,« sagte Walter, über die augenscheinliche Übellaune seines Dieners lachend.

»Uff! Ne, wahrlich! – Darf mir's nicht – 'n armer Kerl wie ich – 'raus nehmen, Anzielungen zu machen – wenn ich nicht wen vor mir hab', der noch ärmer ist.«

»Wie, Bunting. Ihr wollt doch nicht sagen, daß Ihr ungroßmütig genug wäret, einem Mann etwas Unangenehmes zu sagen, weil er ärmer als Ihr ist? – Pfui!«

»Wuff, Euer Edeln, ist nicht das eben der Grund, warum ich 'm was zu verschnupfen geben möcht'? 'nem Bessern als ich werd' ich nichts zu verschnupfen geben; das wär' 'ne schlechte Erziehung, Euer Edeln – keine Manneszucht.«

»Aber unserem großen Kommandanten sind wir schuldig, alle Menschen zu lieben,« sagte Walter.

»Uff! Herr, 'ne gar gute Lehr' – giebt keine bessre – zeigt aber, daß man die Welt nicht kennt, Herr, die Welt nicht!«

»Bunting, Eure Grundsätze liegen ganz außer dem Wege des Seelenheils. Wißt Ihr, guter Freund, daß es die Bibel ist, über welche Ihr eben diese Worte gesprochen habt.«

»Uff, Herr, aber die Bibel war so halt an jüdische Kreaturen gerichtet! Immerhin ist's 'n gar herrlich Buch für 'n Armen; hält 'n in Ordnung, befördert Mannszucht – keines besser.«

»Schweigt! Ich rief Euch her, Bunting, weil ich Euch, mein' ich, einmal sagen gehört, Ihr wäret in York gewesen. Wißt Ihr, durch welche Städte wir auf unserem Wege dahin kommen?«

»Ich nicht, Euer Edeln; 's ist 'n meineidig langer Weg. – Was wird der Squire denken – vor 'm Thor von Lonnon vollends! Hätte den ganzen Weg erfahren können mit allen Wirtshäusern, wären's nur zuerst nach Lonnon gangen. Aber junge Herren find immer oben 'naus – kein Vertrauen nicht auf die Alten, die 'ne Erfahrung von der Welt haben. Weiß, was ich weiß.« Und von neuem fing der Korporal an zu pfeifen.

»Na, na! Bunting, Ihr scheint sehr mißvergnügt mit der Umänderung meines Reiseplanes. Setzt Euch das Reiten zu, oder verlangtet Ihr so sehr nach der Stadt?«

»Uff, Herr, dacht' nur, was 's beste für Euer Edeln wär' – schickt sich nicht für mich, daß mir was gefalle oder nicht gefalle. Aber die Pferde, die armen Kreaturen, brauchen für 'n paar Tage Ruh'. So 'n stumm Tier kann nicht immer fortgehen, tripp trapp, tripp trapp, wie Euer Edlen und ich – wuff!«

»Das ist sehr richtig, Bunting, und ich habe deswegen schon daran gedacht. Euch mit den Pferden wieder nach Hause zu schicken und Post zu nehmen.«

»Eh,« brummte der Korporal und machte die Augen weit auf, »hoff, Euer Edeln sprechen nicht im Ernst?«

»Nun, wenn Ihr fortfahrt, so ernst drein zu sehen, so muß ich auch ernst werden: Ihr versteht mich, Bunting?«

»Uff, und ist das alles, Euer Edeln?« schrie der Korporal, indem sein Gesicht sich aufhellte, »werde morgen lustig genug drein schauen, wenn man sich erst mal an den Wechsel der Straße gewöhnt hat. Aber Sie sehen, Herr, 's nahm mich wunder. Sagt' ich zu mir selbst, sag' ich, 's ist kurios für dich, Jakob Bunting, meiner Seel! dahin zu trotten, dorthin zu trotten, ohne zu wissen warum, oder weswegen, als ob du noch Gemeiner im Zweiundvierzigsten warst und nicht 'n verabschiedeter Korp'ral. Sehen wohl, Euer Edlen, war an der Ambitiong gegriffen; ist aber jetzt alles vorbei – sperr mich nur gegen solche, die geringer sind als ich – bin alt genug, um die Welt zu kennen.«

»Nun, Bunting, wenn Ihr den Grund erfahrt, weshalb ich meinen Reiseplan abgeändert habe, so werdet Ihr vollkommen einverstanden sein, daß ich recht daran that. Mit einem Wort, es ist Euch bekannt, daß mein Vater seit langer Zeit vermißt wird; ich hab' eine Spur gefunden, durch welche ich ihn aufzufinden hoffe. Dies der Grund meiner Reise nach Yorkshire.«

»Uff,« sagte der Korporal, »und 'n sehr guter Grund. Sind 'n vortrefflicher Sohn, Herr; – und so vor 'm Thor von Lonnon.«

»Das London muß Euch ganz behext haben; glaubt Ihr, die Straßen seien dort, seit Ihr zum letztenmal dagewesen, von Gold geworden?«

»Ach ja, Herr; hör', sollen sich mächtig verbessert haben.«

»Pah! Ihr sagt immer, Ihr kenntet die Welt, Bunting, und doch begehrt Ihr mit der ganzen Unerfahrenheit eines Knaben sie kennen zu lernen. Seht, sogar ich könnte Euch zum Beispiel dienen.«

»Gerade weil ich die Welt kenn',« erwiderte der Korporal höchst ärgerlich, »möcht' ich wieder in sie zurück. Hab' wohl von Narren gehört, die nie 'n Mädel geküßt hatten, hab' aber nie von einem gehört, der mal 'n Mädel geküßt hatte und sich nicht noch mal dran gewünscht hätte.«

»Ah, Bruder Liederlich, ist's dieser Wunsch, der Euch so hitzig nach London treibt?«

»Hat schon schlimmere Wünsche gegeben, als diesen,« bemerkte der Korporal gravitätisch.

»Vielleicht denkt Ihr eine von den Londoner Schönheiten zu heiraten! so eine reiche Erbin etwa?«

»Muß sagen,« erwiderte der Korporal sehr pathetisch, »daß mich so eine von 'n paar tausend Pfund dran kriegen könnt', heißt das, wenn sie jung, hübsch, gutmütig war', und sich desperat in mich verliebte – 's nötigste von allem!«

»Nun, Ihr macht da bescheidene Forderungen.«

»Hm, je älter einer wird, desto mehr lernt er seinen Wert schätzen; gab mich jetzt nicht um 'n Preis wie mit einundzwanzig Jahren!«

»Nach diesem Anschlag würdet Ihr mit Siebzigen unbezahlbar sein,« sagte Walter. »Aber sprecht, Bunting, seid Ihr je verliebt gewesen – wirklich und ehrlich verliebt?«

»G'wiß, Euer Edeln, bis über d' Ohren: war aber, eh' ich's Schwimmen gelernt hatte. Mit der Lieb' ist's gerade wie mit 'm Baden. Anfangs sinken wir rasch auf 'n Grund; aber wenn wir da nicht versaufen, so fassen wir Mut, werden ruhig, rudern langsam 'raus und machen ein viel pläsierlicher Ding draus, als vorher. Will Ihnen sagen, Herr, was ich von der Lieb' halte; unter uns gesagt, Herr, ist's kein so fürnehm Ding im Leben, als Jungen und Mädels draus machen wollen. Wenn's noch fürs Mittagessen wär', so lieh ich's gelten, denn ohne das kann man nicht leben; aber schauen's, Herr, Lieb' ist 'ne pure Einbildung. Kann sie nicht essen, kann sie nicht trinken, und was das übrige angeht – hol's der Henker!«

»Bunting. Ihr seid ein Vieh!« sagte Walter entflammt, denn wenn der Korporal vorhin für seinen Seitenhieb auf die Religion nur mit leichtem Tadel weggekommen, so müssen wir zu unserem Bedauern melden, daß ein Angriff auf die Heiligkeit der Liebe dem einundzwanzigjährigen Theologen ein durchaus nicht zu duldender Frevel erschien.

Der Korporal verbeugte sich und schwieg.

Es trat eine Stille von mehreren Minuten ein.

»Und was,« begann Walter von neuem, denn, aufgeregt wie er einmal war, kehrte er zu der eigentümlichen Weltklugheit des Korporals immerhin nicht ungern zurück; »und was, zieht Euch denn so sehr in der großen Welt an, die Ihr so gern abermals betreten möchtet?«

»Uff!« entgegnete der Korporal, »'s ist was Lustiges, mit offenen Augen um sich zu sehen. Hier 'n Spitzbub', dort 'n Spitzbub' – hält einen hübsch wach! – 's Leben in Lonnon und 's Leben in 'nem Dorf: just der Unterschied wie zwischen nem gesunden Spaziergang und 'nem Hindämmern in 'nem Armstuhl, meiner Seel'!«

»Wie! ist es ein Vergnügen, Spitzbuben um sich zu haben?«

»Ganz gewiß,« gab ihm der Korporal trocken zurück; »was thut so wohl, als wenn man all' seine Findigkeit und Schlauheit aufgeboten fühlt – daß sie die Spitzen 'rausstreckt wie 'n Stachelschwein? Nichts macht, daß 'n Mann so leicht auftritt, sich so stolz fühlt, ihm so frei um die Brust wird, als wenn er weiß, daß er seinen ganzen Witz bei der Hand hat, daß er jedem gewachsen ist, und der Teufel selbst ihm nichts abgewinnen kann. Uff! Das nenn' ich den rechten Gebrauch von einer unsterblichen Seele – Schwernot!«

Walter lachte.

»Und zu wissen, daß man wahrscheinlich betrogen wird, ist also die angenehmste Art, seine Zeit in der Stadt zuzubringen, Bunting?«

»Uff! und dazu auch selbst zu betrügen!« erwiderte der Korporal, »denn sehen Sie, Herr, 's giebt zwei Wege im Leben: betrügen und betrogen werden, 's ist anfangs 'n Pläsier, für 'ne kurze Zeit betrogen zu werden, wie's den Junkern geht, und wie's Ihnen auch gehen wird, Euer Edeln; aber solch' 'n Pläsier dauert nicht lang; – das andere dauert 's ganze Leben fort. Darf sagen, Euer Edeln haben wohl oft gehört, wie reiche Herren zu ihren Söhnen sagen: ›Du mußt, deines eigenen Bestens halber, was zu thun kriegen, mein Junge, 'nen Stand wählen, magst du auch noch so reich sein.‹ – Sehr wohl, Euer Edeln, und was ist damit gemeint? 's ist gemeint, der Junge muß statt nichts zu thun und betrogen zu werden, thätig sein und betrügen – uff!«

»Muß denn ein Mann, der einen Stand erwählt, notwendig betrügen?«

»Buff! können Euer Edeln noch fragen? Betrügt nicht der Avkat? betrügt nicht der Doktor? betrügt nicht der Pfarr mehr als einer und das ist der Grund, weshalb sie sich soviel für ihren Beruf intressieren – Schwernot!«

»Aber der Soldat? Ihr sagt nichts von dem.«

»Ach, der Soldat,« entgegnete mit Würde der Korporal, »der gemeine Soldat, der arme Teufel, wird bloß betrogen; bringt er's aber bis zum Korp'ral oder zum Feldwebel, so kriegt er auch andre dran und betrügt. Uff! ist nichts für 'n Gemeinen, zu betrügen – war' gegen die Subord'nazion, behüte!«

»So betrügt denn wohl der General am allermeisten?«

»Will's meinen. Euer Edeln: spricht zur Welt von Ruhm und Ehr' und Liebe zum Vaterland und dergleichen – uff! eben die rechte Art!«

»Ihr seid ein scharfer Kritikus, Freund Bunting. Und was haltet Ihr denn von den Frauen – sind die so schlimm wie die Männer?«

»Frauen – uff! wenn sie verheiratet sind – ja! aber von all den Kreaturen stell' ich die unterhaltensten am höchsten – mein' Seel! Die kennen die Welt! – Man wird ordentlich schaloux auf die Spitzbübinnen, sie schlagen die verheirateten Weiber weit aus 'm Feld! Uff! und Euer Edeln sollten mal sehen, wie sie um einen Mann herumwedeln und schmeicheln, und thun, als ob sie von Butter wären und machen ihm weiß, sie liebten ihn wie ihren Augapfel und ruinieren ihn bei all' dem doch. Sei einer noch so geizig, sie küssen Geld von ihm raus und sitzen in ihrem Atlas da, wenn die Frau, das dumme Tier, in baumwollenem Zeug daherbrummt. O, 's sind Weiterdinger, und machen mit dem Teufel selbst, was sie wollen, wenn sie mal zu ihm kommen, denn gerade die alten Herren werden von ihnen am besten dran gekriegt. Und dann« – fuhr der Korporal fort, der immer wortreicher wurde, denn seine Lust am Sprechen wuchs während ihrer Befriedigung – »dann giebt 's noch 'nen andern Schlag von wunderlichem Volk, den Sie in Lonnon sehen werden, Herr, heißt das, wenn Sie mit ihm zu thun kriegen – hangen alle zusammen wie 'ne Reih' Dachziegel. Sah ganze Rotten davon, als ich beim Oberst war – Oberst Dysart, kennen ihn ja, uff?«

»Und was sind das für Leute?«

»Kuriose, Euer Edeln; was man so Autors nennt,«

»Autoren! Was, alle Welt, hattet Ihr oder der Oberst mit Autoren zu thun?«

»Uff! Der Oberst war 'n gar feiner Herr, was die Gelehrten 'nen Mä-zähn-er nennen, schrieb selbst kleine Verse, Scharraden, kennen's ja, Euer Edeln. Einmal macht er 'ne Komedi – halt, weil er mit 'ner Komediantin lebte.«

»Ein trefflicher Grund wahrhaftig, um mit Shakespeare in die Schranken zu treten! und fand das Stück Beifall?«

»Denk wohl, Euer Edeln, denn der Oberst war 'n Meister mit der Schere.«

»Schere! Feder, wollt Ihr sagen?«

»Nein! Das ist's, womit geschickte Autors Komedi machen: 'n 'Lord und 'n Oberst, Mä-zähn-er, nehmen allzeit die Schere.«

»Wie das?«

»Nun, des Obersten Liebste – hatte 'nen Haufen Komedien und sie strich da 'nen Auftritt – dort 'nen Spaß – hier 'ne Zeile, dort was Empfindsames an – und der Oberst saß daneben mit 'nem großen Buch weiß Papier – schnitt's heraus und klebt's ins Buch. Uff, der Oberst machte der Stadt großes Pläsier.«

»So; und er sah also viele Autoren bei sich; gefielen die Euch nicht?«

»Hm, sind so verdammt hinter 'nander her, zanken, zucken, zerren, schnappen, schreien, kratzen. Kein Brauch für 'nen Mann von Welt: 'n Mann von Welt hadert nie. Dann bilden sich auch diese Kreaturen ein, man vergesse, daß ihr Vater 'n Pfarr gewesen, denken immer mehr an ihre Familie als an ihr Geschreibsel und kriegen sie in der Not kein Geld, so blähen sie 's Fell auf und schreien: nicht behandelt wie 'n Mann von Stand, bei Gott! Bei all' dem haben sie was Freundliches an sich, wenn man sie zu nehmen versteht – uff, ist aber Katzenfreundschaft, heut die Pfote, morgen die Klaue. Und dann heiraten sie immer jung, die armen Teufel, und haben 'n Haus voll Kinder und leben vom Ruhm und Vermögen, die sie einst bekommen werden. Bei meinem Augapfel! unter allen lebendigen Seelen verlassen die sich am meisten auf Hoffnung!«

»Was Ihr doch für ein Beobachter seid, Bunting! Wer hätte je geglaubt, daß Ihr so verschiedene Arten von Menschen durchschaut hättet!«

»Uff. Euer Edeln, als ich in Diensten beim Obersten stand, hatt' ich nichts zu thun, als den Damen Billetchens zu bringen und die Augen offen z' halten. War immer 'n bedachtsamer Mann.«

»Sonderbar, daß Ihr bei all' Euren Fähigkeiten nicht besser für Euch selbst gesorgt habt.«

»War nicht mein Fehler,« erwiderte hastig der Korporal; »doch so geht's; thu' einer, was er will – 's ist doch nicht immer der Gescheiteste, der sein Glück macht. Bin aber noch jung, Euer Edeln.«

Walter sah den Korporal an und lachte laut auf; der Korporal war darüber ausnehmend gekränkt.

»Uff, vielleicht denken's, Herr, daß, weil ich nicht so jung wie Sie bin, ich gar nicht mehr jung wär'; aber was wollen 'n Vierzig, oder 'n Fünfzig, oder 'n Fünfundfünfzig im öffentlichen Leben sagen? Vor diesem Alter hört man von wenig Männern sprechen. Der Herbst zeitigt; der Frühling keimt, uff! – Schwernot!«

»Sehr wahr und sehr poetisch; ich sehe, Ihr habt nicht umsonst unter Autoren gelebt.«

»Ich weiß 'n wenig zu sprechen, Euer Edeln,« sagte der Korporal steif, als ständ' er vor dem Oberst.

»Das ist augenscheinlich.«

»Denn, um 'n Mann von Welt zu sein, muß man alle In und alle Aus des Sprechens los haben; 's sind Worte, Herr. was 'nes andern Mannes Gaul auf Ihren Weg bringt. Uff! muß 'n gescheiter Mann gewesen sein, der die Sprache erfand. Soll mich wundern, wer's gewesen ist – vielleicht Moses, Euer Edeln.«

»Kümmert Euch nicht darum, wer's gewesen ist,« sagte Walter gravitätisch, »sondern braucht die Gabe mit Verstand.«

»Hm,« brummte der Korporal –; »ja, Euer Edeln,« setzte er nach einer Pause hinzu, »'s ist 'n Wunder, was 'n Mann die andern hinter's Licht führen kann, wenn er 'n gutes Mundwerk hat. Braucht er 'ne Liebste, so überredet er sie; – braucht er Ihren Beutel, so redet er 'n Ihnen aus der Tasche; – braucht er 'n Amt, so redet er sich 'nein. – Was macht der Pfarr? Worte – der Avkat? Worte – der Parlamentsmann? Worte! – Worte – können 'n Land ruinieren, im Unterhaus; – Worte retten Seelen, auf der Kanzel; – Worte bringen sogar die Autors, die armen Teufel, in jedermanns Mund – uff! Herr, sorgen Sie gut für Worte, so werden die Dinge für sich selber sorgen – Schwernot!«

»Eure Betrachtungen setzen mich in Erstaunen, Bunting.« sagte Walter mit Lächeln. »Aber es wird immer dunkler, hoffentlich wird uns kein Unfall begegnen.«

»'s ist da 'n garstig Stück Weg!« sagte der Korporal umherblickend.

»Die Pistolen?«

»Geladen und Pulver auf der Pfanne, Euer Edeln.«

»Schließlich, Bunting, wär' ein kleines Scharmützel so übel nicht, he? – Besonders für einen alten Soldaten wie Ihr.«

»Uff. buff! ist kein lustig Ding ums Fechten, wenigstens ohne Löhnung; ist hier nicht wie bei der Lieb' und dem Essen, Euer Edeln, die um so besser schmecken, wenn sie, wie man's nennt, gratis gegeben werden.«

»Doch erinnere ich mich, Bunting, daß Ihr von dem Vergnügen spracht, nicht um Löhnung, sondern für König und Vaterland zu fechten!«

»Uff, war, als ich den armen Teufeln in Grünthal was vormachen wollte, Euer Edeln; nehm' mir aber nicht die Freiheit, meinem Herrn 'nen Bären aufbinden zu wollen!«

So fuhren sie fort, sich den Weg zu verkürzen, bis Walter wieder in seine Träume versank, während welcher der Korporal, dem, der Anblick der Gegend, wo sie sich nunmehr befanden, immer stärker zu mißfallen begann, noch hart an der Seite seines Herrn verblieb.

Der Weg war holperig und wandte sich jetzt die lange Anhöhe hinab, deren Anblick zu Ende des Städtchens dem mannhaften Herzen des Korporals vorgestern so große Besorgnisse eingejagt hatte, wo man nur seinetwegen das Mittagessen versäumt hätte. Das Paar war jetzt kaum noch eine kleine halbe Stunde von dem Städtchen entfernt, die ganze Straße von besagtem Hügel eingenommen, und diese selbst schien im Gegensatz zu den sanften Abhängen heutiger Zeit gerade am steilsten Teil durchgeführt zu sein. Lose Steine und tiefe Einschnitte vermehrten die Schwierigkeit des Hinabkommens, und in langsamem Schritt und mit angezogenem Zügel setzten unsere beiden Reisenden ihren Weg fort. Links von der Straße zog sich eine dichte, hohe Hecke hin: rechts senkte sich eine wilde, dürre, unfruchtbare Hecke hinab, über welche man die Turmspitzen und Schornsteine der Stadt, wo der Korporal schon in Gedanken beim Abendessen saß, undeutlich heraufschimmern sah. Plötzlich jedoch wurde dieser edle Ritter durch ein sehr unsanftes Straucheln seines hartmäuligen ramsnasigen Pferdes wieder an seine nächste Umgebung erinnert. Um ein Haar wäre das Tier gestürzt und der Korporal um ein Haar unten gelegen.

»Verdammt,« sagte er, indem er langsam seine senkrechte Haltung wiedergewann. »Und der Weg nach Lonnon war so eben wie 'ne Kegelbahn!«

Ehe dieser Schmerzensruf ganz aus seinem Munde, fuhr von der Hecke her eine Kugel pfeifend an ihm vorüber. Sie war seinem Ohr so nahe gekommen, daß ohne das glückliche Straucheln Jakob Bunting dem Gras des Feldes geglichen haben würde, das sich einen Augenblick prangend erhebt und im nächsten gemäht daliegt!

Scheu geworden durch den Knall, setzte der Gaul in gewaltigen Sprüngen die Anhöhe hinab und brachte den Korporal eine Strecke vor seinem Herrn voraus, ehe es ihm möglich war, den hitzigen Renner zum Stillstand zu bringen. Walter dagegen, sein besser geschultes Pferd zusammennehmend, sah sich nach dem Feinde um, und sein Umblicken war nicht vergebens.

Mit gleichzeitigem Gebrüll stürzten drei Männer von der Hecke hervor. Walter schoß, aber fehlte: ehe er die zweite Pistole fassen konnte, war sein Zügel ergriffen und ein gewaltiger Streich mit dem Bleibeschlag eines aus beiden Händen geführten Knittels warf ihn zu Boden.


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