Bruno Hans Bürgel
Die seltsamen Geschichten des Doktor Ulebuhle
Bruno Hans Bürgel

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Die sonderbare Welt

Das war einmal ein wirklich schöner Abend. Die Linden blühten in Ulebuhles Garten, und es war warm und still.

»Seht, wie klar die Sterne leuchten!« sagte der Alte. »Laßt uns das große Fernrohr aufbauen und sie betrachten.«

Da bauten wir den Himmels-Operngucker unter den Bäumen auf, und der alte Ulebuhle zeigte uns den Mond und die Gestirne.

Oh, was gibt es doch so viele Welten draußen im Sternenraum! Sonnen und Erden und Kometen die Menge. Ja, wer hätte es gedacht, daß die Erde nur wie ein Apfel an einem mächtigen Baum ist und daß ringsum noch viele tausend Äpfel hängen. Aber mit dem Fernrohr sieht man es ganz genau, Berge und Täler, Wolken und Länder und Meere auf anderen Sternen.

»Da schaut einmal schnell hinein in das Glas!« rief der Alte. »Seht ihr die kleine mattschimmernde Kugel schweben? Das ist eine ganz, ganz ferne Erde. Uranus nennt man sie. Ach, sie ist so fern, man kann sie kaum noch sehen, und bitter kalt ist es da, denn die Sonne kann kaum noch mit ihren Strahlen hinlangen, so fern ist das alles. Ja, das ist eine sonderbare Welt, und es läßt sich eine schnurrige Geschichte von ihr erzählen. Kommt in die grünumwachsene Laube, wo das Mondlicht so eigen flimmert, da läßt es sich gut plaudern von der sonderbaren Welt des Uranus.

Seht, da saß ein alter Professor und Sterngucker an seinem mächtigen Fernrohr und schaute hinein in das Sterngewimmel. Sonnen sah er schweben und Kometen in weiter Ferne. Aber das Schönste waren doch die Erdensterne, die Planeten, denn da sah man Länder und Meere und Schnee und Wolken.

›Ach ja‹, seufzte der alte Professor, ›wenn man doch einmal wirklich da hinaufspazieren könnte, denn mit dem Fernrohr sieht man doch immer nicht genug. Eines weiß ich! Komme ich wirklich einmal in den Himmel, dann bitte ich den Herrn der Welt, zunächst einmal eine Reise nach den fernen Erden machen zu dürfen.‹ 267

Ja, so dachte der alte Sterngucker und grübelte so lange, bis er in seinem tiefen Lederstuhl einschlief, denn es war Mitternacht vorbei, und der Holunder blühte und duftete so stark, daß man ganz betäubt wurde.

Auf einmal ging die Tür des Sternwartenturmes auf, und der Tod trat herein. Er trug einen dunklen Mantel um sein bleiches Klappergebein, und auf seinem Schädel saß ein breiter schwarzer Schlapphut. Er trat auf den Sterngucker zu und sagte: ›Lieber Herr Professor, Ihre Uhr ist abgelaufen. Wenn es Ihnen weiter keine Unbequemlichkeiten macht, so verlassen wir jetzt diese Welt und beziehen eine andere. Sie haben sich die Sterne siebzig Jahre von unten angesehen, nun werden Sie die Geschichte droben viel besser betrachten können und die Erde dazu, denn die sieht man im Himmel auch als fernen Stern dahinschweben!‹

Der alte Christian, des Professors Diener, der schon dreißig Jahre bei ihm war, erwachte plötzlich, denn er war in seinem Sessel ein wenig eingenickt. Er rieb sich verwundert die Augen. Sapperment, da stand der Tod bei seinem Herrn und holte ihn ab zur letzten Reise.

›Christian‹, sagte der Professor, ›was willst du hier allein, ohne mich auf der Erde? Wir gehören zusammen. also komm mit!‹ 268

›Ja‹, meinte der alte Diener, ›das ist wohl das Beste, denn was wollen der Herr Professor ohne mich im Himmel anfangen? Herr Professor haben ein schlechtes Gedächtnis, verlegen fortwährend Brille und Schnupftabakdose und Taschentuch und Schirm, vergessen Hut und Mantel beim Spazierengehen, da ist es besser, ich komme mit. Und was tue ich auch allein auf der Welt!‹

›Mir ist es recht!‹ meinte der Tod. ›Die Lebensuhr des alten Christian tickt auch nur noch schwach. Da ist es ein Abmachen!‹

›Gut‹, sagte der Professor, erhob sich aus seinem tiefen Stuhle, nahm noch schnell eine Prise und schritt zur Tür.

›Halt!‹ rief Christian. ›Vergessen Sie Ihren Schirm nicht, denn nun kriegen wir keinen wieder.‹

Da schritten sie denn mit dem Tode davon, und in Sturmessausen ging es hinauf zum Himmel. Es dauerte gar nicht lange, so standen sie droben am Himmelstor, und Petrus kam, sie zu begrüßen. Der Tod aber machte seine Verbeugung und ging davon, denn er hatte alle Hände voll zu tun.

›Ah, Sie sind der berühmte Professor Quadratwurzel‹, sagte Petrus und strich seinen weißen Bart.

›Nein, nein‹, entgegnete der Professor, ›so heiße ich nicht, ich habe nur ein dickes Buch über Quadratwurzeln geschrieben!‹

›So, so‹, meinte Petrus, ›das habe ich verwechselt! Aber nun kommen Sie, ich werde Ihnen einen guten Platz am Himmelsfenster aussuchen, da können Sie den ganzen Tag die Sterne sehen. Zu den anderen Professoren dürfen Sie nicht; jeder von ihnen sitzt allein, denn sonst streiten sie sich von früh bis spät, und Streit darf nicht sein im Himmel. Hier gleich links, Zimmer Nr. 3, gibt es die Flügel, denn Flügel müssen Sie haben im Himmel, sonst sind Sie nur ein halber Engel.‹

›Ach‹, seufzte der Professor, ›ich möchte noch gar nicht in den Himmel! Kann ich den lieben Gott nicht persönlich sprechen! Ich wollte ihm eine Bitte vortragen!‹

›Um Himmels willen‹, rief Petrus, ›das geht nicht! Erstens hat Gott Vater alle Hände voll zu tun, und dann ist er auf die Professoren nicht gut zu sprechen, weil sie beinahe alles besser wissen wollen als er selber! Aber tragen Sie mir nur Ihre Bitte vor; vielleicht kann ich sie erfüllen.‹

›Ja‹, sagte der Professor, ›mein ganzes Leben lang habe ich auf der Erde gesessen und habe mit dem Fernrohr nach anderen Erden 269 geschaut, nun möchte ich doch gar zu gern einmal so eine ferne Erde besuchen. Und darum wollte ich den Herrgott bitten!‹

›Und welche Erde soll das sein?‹

›Nun, da ich auf der Erde gelebt habe, die dicht bei der Sonne schwebt, so möchte ich mal auf einem von der Sonne fernen Erdenstern Umschau halten. Vielleicht auf dem Uranus!

›Na‹, meinte Petrus, ›eine schöne Gegend ist das nicht, und Sie werden schön frieren, aber mir soll es recht sein, denn des Menschen Wille ist sein Himmelreich! – Eins aber sage ich Ihnen: Länger als vier Wochen dürfen Sie nicht bleiben, denn Ihre Uhr ist nun mal abgelaufen, und Menschen mit abgelaufenen Uhren gehören in den Himmel oder in die Hölle. Das hat der liebe Gott so angeordnet, und es läßt sich nicht ändern! Und dieser Mann? Will er auch nach dem Uranus?‹

›Ich ginge viel lieber in den warmen Himmel und sähe mit den ganzen Krempel aus der Ferne an‹, sagte der alte Christian, ›aber mein Herr hat es anders bestimmt, und da kann der Christian nicht fortlaufen!‹

›Gut, so wartet draußen vor dem Tor. Gleich wird ein Sternenbote euch von hinnen tragen, nach jener Welt, die ihr erwählt. In vier Wochen holt er euch wieder ab! – Auf Wiedersehen! – Halt! – Vergessen Sie Ihren Schirm nicht!‹

Petrus verschwand.

Plötzlich fühlte sich der Professor von unsichtbaren Händen emporgehoben. Es rauschte wie schwerer Flügelschlag, und fort ging es wie Sturmessausen. Dem Professor vergingen die Sinne, er sah und hörte nichts, und als er wieder zu sich kam, fühlte er Boden unter den Füßen, und eine gewaltige, mit Posaunenton rufende Stimme sagte: ›Sie sind auf dem Uranus, wie es Ihr Wille war. Hier ist Ihr Schirm. Leben Sie wohl!‹

Da rauschte es wieder in der Luft, und der Unsichtbare enteilte.

 

Das erste, was der Professor spürte, war eine entsetzliche Kälte. Sie war so stark, daß im Augenblick der Hauch am Munde zu dicken Eiszapfen gefror und das Blut in den Adern zu erstarren drohte. Es blieb dem Sterngucker nichts anderes übrig, als schnell zu laufen, um sich warm zu machen. Aber er kam kaum vorwärts. Als ob er plötzlich aus Blei geworden wäre, so schwer war sein Körper, und trotz aller Anstrengung kam er nur ganz langsam weiter. 270

Der alte Christian trottete mühsam mit dem blaugrauen Riesenschirm hinterher.

›Ach du lieber Himmel, Herr Professor‹, seufzte er endlich und blieb stehen, ›das ist ja eine jammervolle Welt! Diese Kälte, diese Schwere in den Gliedern, da haben wir richtig den Himmel mit der Hölle vertauscht!‹

›Christian, maule nicht schon gleich zu Anfang! Der Uranus ist neunzehnmal weiter von der Sonne entfernt als die Erde, und da muß es natürlich viel kälter sein als in unserer Heimat. Das habe ich vorher gewußt. Außerdem ist diese Weltkugel auch noch vielmals größer als die Erde und zieht alle Gegenstände darum viel, viel kräftiger an. Das ist ganz ähnlich wie bei einem großen und einem kleinen Magneten. Darum sind wir hier so schwer. Das ist doch ganz in der Ordnung!‹

›Schöne Ordnung‹, brummte Christian, ›wenn einem die Nase abfriert und die Beine am Boden kleben!‹

Ringsum war pechschwarze Nacht, und die Sterne flimmerten droben am Himmel. Nirgends sah man Baum und Strauch, keine Spur einer menschlichen Niederlassung, auch keinen Lichtschimmer in der Ferne, der sie verraten hätte. Die Welt des Uranus schien ausgestorben, unbewohnt. Rings türmte sich in gewaltigen Massen blankes Eis. Der eigentliche Boden war gar nicht zu sehen. Bei der furchtbaren, immer auf dieser Welt herrschenden Kälte konnte ja Wasser überhaupt nicht in flüssiger Form existieren.

Plötzlich wurde es unten am Horizont heller, und es dauerte nicht lange, so sah man einen sehr bleichen, nur ganz schwach leuchtenden Mond emporsteigen.

›Du lieber Gott‹, schimpfte Christian, ›auf dieser elenden Erde taugt selbst der Mond nichts. Er ist so schwach wie eine Ölfunzel.‹

›Sieh‹, rief der Professor, ›da kommt noch ein zweiter Mond herauf.‹

›Ja, und da ein dritter, noch kleinerer. Hier scheinen die Monde im Dutzend billiger zu sein!‹

›Fünf Monde hat der Uranus. Man kann sie von der Erde aus in einem großen Fernrohr deutlich sehen.‹

›Aber sie taugen alle miteinander nichts‹, schimpfte der alte Diener.

›Sei still, Dummkopf!‹ schrie erbost der gelehrte Mann. ›Erstens sind sie viel kleiner als der Mond der Erde, und zweitens erleuchtet sie die ferne Sonne so wenig, daß sie nur ein schwaches Licht widerstrahlen. 271 Es kann doch nicht alles hier so sein wie auf der Erde, Nörgelpeter. Sei froh, daß du anschaun kannst, was vordem nie ein Mensch gesehen!‹

›Endlich ist es ein wenig heller geworden im Licht der drei Tranlampen da oben, aber man sieht nichts als Eis und keine Spur von Menschen. Es ist Zeit, daß wir ins Warme kommen.‹

Der Professor schwieg. Er war mit seinen Gedanken beschäftigt. Ja, der Uranus schien unbewohnt. – Sie wanderten noch ein gutes Stück, mühsam und ganz ermattet, da hielt der Gelehrte plötzlich inne. Nicht weit entfernt schimmerte aus dem Boden ein Lichtstrahl hervor. Sicher, da war eine Lampe unter der Erde, oder vielmehr unter dem Eise.

Auch der alte Diener sah es, und mit letzter Kraft humpelten die beiden Wanderer darauf zu. Richtig, da war eine Öffnung im Boden, so groß wie ein Brunnenschacht, und ein Gitterwerk verschloß sie. Man sah eine Treppe aus glänzendem Metall, die in die Tiefe führte, und Lampen beleuchteten den Weg hinunter in das Innere des Schachtes.

›Gott sei Dank!‹ rief Christian. ›Wo Lampen sind und eiserne Treppen, da sind auch vernünftige Leute; vielleicht vernünftiger als 272 auf Erden', fügte er mit einem Blick auf seinen Herrn hinzu, aber der untersuchte schon das Gitter, um hineinzugelangen.

›Es läßt sich nur von innen öffnen‹, sagte er, ›es muß hochgeklappt werden, denn es soll wohl das Hineinfallen von Steinen oder von Eis in den Schacht verhindern. Aber ich wette drei Jahre von deinem Leben, daß irgendein Signal vorhanden ist, das drunten in der Tiefe anzeigt, daß jemand hinein will, denn die Uranusmenschen werden doch wohl mal aus ihren unterirdischen Löchern hervorkriechen!‹

›Ganz meine Meinung‹, sagte Christian. ›Aber wenn wir nicht bald hineinkommen, sind wir erfroren. Ich kann kein Glied mehr rühren. Indessen schnuppert meine Nase warme Luft, die aus dem Schacht herausdringt. Himmel, was ist es kalt auf diesem vermaledeiten Urian!‹

›Halt!‹ schrie plötzlich der Professor. ›Ich hab's! Da, diese Metallplatte: ich glaube, man muß mit dem Fuß darauftreten. Das wird das Signal sein, die Gitter zu öffnen.‹

›Die Platte hat eine schnurrige Form. Wenn die Menschen hier solche Füße haben, dann müssen es Elefanten sein, mit Entenbeinen!‹

Aber schon hatte der Professor die Fußplatte mit großer Anstrengung niedergedrückt. Freilich, er mußte das ganze Gewicht seines Körpers wirken lassen, ehe sie sich bewegte. Da gab es drunten irgendwo in der Tiefe ein merkwürdiges Signal. Es klang wie ein Nebelhorn. Bald darauf ertönte dasselbe Signal nahe dem Schachteingang,

›Ich bin gespannt wie ein Trommelfell und wie der Hahn einer Reiterpistole‹, sagte Christian und kraute sich hinter den Ohren. ›Wenn es man gut abgeht! Wir haben keine Waffe als Ihren Regenschirm, Herr Professor, und damit kann man keine Schlacht gewinnen. Am besten ist es, wir rufen schleunigst den Flügel-Heinrich wieder, der uns hierhergebracht hat. Ich wollte, ich säße bei Herrn Abraham im Himmel oder wenigstens auf unserer Sternwarte. Eben fällt mir ein, daß ich vergessen habe, die Blumentöpfe vor dem Fenster zu begießen!‹

›Ruhig, alter Maulwurf!‹ wisperte der Professor. ›Da kommt einer heraufgekrochen!‹

Ja, man sah eine dunkle Gestalt aus der Tiefe aufsteigen, aber noch war nichts Näheres zu erkennen. Je weiter sie indessen nach oben kam, ins helle Licht, um so länger wurden die Gesichter der beiden Erdensöhne, und Christian zitterte wie ein Pappelzweig im Winde. 273

›Heiliger Chinchinchindra von Kalkutta‹, flüsterte er, und seine Haare standen wie Zündhölzer einzeln kerzengerade in die Höhe, ›welch ein Monstrum kommt da angekrochen. Es ist eine ganze Menagerie zu einem einzigen Schnedderengteng zusammengekocht. Ich wollte, ich läge zwölf Klafter tief unter der Erde!‹

›Ei, ei, ei‹, wisperte auch der Professor, ›ein erschröcklich Exemplar von Menschenbruder im Sternenraum!‹

Der Uranusbewohner war oben angelangt. Man sah ihn jetzt in voller Deutlichkeit.

Er war kleiner als ein Mensch. Kaum dreiviertel so groß. Sein Körper glich einer Kugel mit Armen und Beinen. Gewaltige Fettmassen polsterten das ganze Wesen aus. Die Beine waren dick wie Elefantenbeine, die Füße klumpig und unförmig, unten platt wie Teller oder Bleiplatten. Auf ihnen saß wie eine Kugel der ungegliederte Körper. Seitwärts ragten unförmig dick zwei Arme hervor. Die Hände hatten acht Finger, durch Schwimmhäute verbunden, und vorn hatten sie kleine Tellerchen, wie man sie bei manchen Fröschen findet.

Auf dem Rumpf saß – ohne Hals – ein merkwürdiger Kopf. Er war fast so groß wie der Leib. Seine Farbe war schwärzlichgrau, wie die eines Seehundes. Vor allem fielen die riesenhaften Augen auf. Sie waren so groß wie Obsttellerchen und tiefdunkel. Ohren waren nicht zu sehen am Kopf, wohl aber ein rüsselartiger Mund. Kein Haar sproßte auf dem Kopfe oder im Gesicht. Die Haut glänzte wie die eines Sechundes.

Entsetzt traten die beiden Erdmenschen zurück, aber auch der Uranusbewohner schien erschreckt, und seltsame Laute, wie dumpfe Klarinettentöne, kamen aus seinem Rüsselmunde.

So blickten sich die Bewohner zweier verschiedener Erden lange erstaunt und furchtsam an. Dem Uranusmann erschienen die Fremden genau so häßlich und mißgestaltet wie er ihnen. Er trat fortwährend kräftig auf die Signalplatte, und hastig kamen von unten immer neue Gestalten gleicher Art herauf, bis der ganze Gitterraum von ihnen erfüllt war. Alle standen starr und aufs höchste verwundert.

Da trat aus dem Kreise einer hervor. Auf seiner Stirn glänzte ein blanker Stein wie ein Diamant. Er beleuchtete die Fremdlinge mit einer hellen Lampe und sprach mit eigenartiger, melodischer Stimme auf sie ein. Natürlich verstanden sie nicht, was er sagte. 274

Aber der Professor griff mit den Händen das Eis an, schüttelte sich vor Kälte und zeigte abwärts, in die Tiefe des warmen Schachtes. Und die Uranusmänner, die selbst unter der Kälte hier oben litten, verstanden sein Begehren. Ihr Führer öffnete das Gitter, und die ganze Gesellschaft, die Erdbewohner mit sich führend, stieg abwärts, hinein in die Eingeweide der Uranuswelt. Und je mehr man in die Tiefe kam, um so wärmer wurde es. Mit Staunen sahen die Reisenden, daß sich hier eine ungeheure unterirdische Welt auftat. Es sah aus wie in einem großen Dachsbau, in dessen einzelnen Gängen Bienenwaben stehen. In mehreren Etagen übereinander zog sich ein Netz von unterirdischen Straßen hin durch das Gestein, und die Häuser oder vielmehr die Wohnungen waren zu beiden Seiten in die Felswände eingegraben. Es wimmelte überall von Uranusmenschen wie in einem Bienenstock von Bienen, und die in die Felswände gehauenen Wohnungen glichen wirklich Bienenstöcken mit Hunderttausenden von Zellen.

Ein merkwürdiges künstliches Licht beleuchtete die Straßen, die freilich nur eng und niedrig waren. Es gab aber auch solche, in denen unablässig kleine flinke Bahnen fast geräuschlos dahinglitten. Die Luft war gut hier unten und alles äußerst reinlich gehalten.

All diese Beobachtungen konnten die beiden Fremden freilich erst nach und nach machen. Zunächst brachte man sie durch den nur engen und selten benutzten Schacht bis zur nächsten Straßenetage und schob sie sofort in einen der flinken Bahnwagen. Freilich, sie mußten sich an die Erde setzen, denn für so große Wesen war die Uranuswelt nicht eingerichtet: keinen sah der Professor, der größer war als auf Erden ein sechsjähriges Kind, aber ihre Kraft übertraf ganz sicher die des kräftigsten Menschen.

Der Wagen glitt schnell durch die lange Gasse, blieb an ihrem Ende stehen und senkte sich langsam, wie ein Fahrstuhl, in die Tiefe. Man fuhr an verschiedenen Straßenetagen vorbei, und in einigen hundert Meter Tiefe bog die Bahn auf Befehl des Mannes mit dem glänzenden Stein auf der Stirn in eine Straße ein. Sie war breiter als die anderen und die Felswände reich verziert und mit seltsamen Zeichen bedeckt. Vor einem besonders prächtig geschmückten, hell beleuchteten Teil der Felsstraße hielt der Wagen. Viele Uranusmenschen liefen herbei, und als der Professor und sein Diener dem Gefährt entstiegen, erhob sich ein allgemeines Staunen und ein seltsames 275 Durcheinanderschnattern von Klarinettentönen. Da sahen die Reisenden auch die ersten Frauen. Sie waren noch kleiner als die Männer, noch runder und in seltsam glitzernde Gewänder gehüllt, die den Eindruck machten, als seinen sie aus bunten Glasfäden gewebt. Sie fuhren entsetzt und schnurrige Laute aus ihren Rüsseln hervorstoßend zurück, als sie die schrecklichen Mißgestalten der Menschen sahen.

›Ach du lieber Gott‹, sagte Christian, ›hübsch sind sie wirklich nicht, nicht um alles Gold in der Welt möchte ich eine von ihnen heiraten!‹

Die Menge machte gehorsam sofort Platz, als der Mann mit dem Stein dazu aufforderte, und dann betrat man den Eingang des Regierungsgebäudes. Man schritt durch beleuchtete, schön verzierte Felsengänge, und endlich wurden unsere beiden Freunde in ein Zimmer geführt, in dem auf weichen Matten reich gekleidete Uranusmenschen saßen. Alle hatten mehrere glänzende Steine auf der Stirn, es waren hohe Beamte. Der in der Mitte aber trug ein funkelndes Diadem auf dem Kopfe, er war der Präsident dieses Teiles des Uranus-Reiches.

Staunen und Kopfschütteln auch hier. Erregtes Schnattern der Rüssel. – Dann hielt der Gitterwächter, der die Fremden zuerst gesehen, einen Vortrag über alles Geschehene. Der Präsident winkte 276 näher zu treten, und nun kam endlich der Professor dazu, eine Verständigung zu versuchen.

›Christian‹, hatte er schon unterwegs gesagt, ›Leute, die solche Bahnen und Straßen, Kleider und Lampen haben, wissen sicher auch etwas von den Sternen, und sicher gibt es auch hier Sterngucker, und mit denen werde ich mich schon verständigen!‹

Der Professor griff in die Tasche, zog Papier und Bleifeder hervor und malte Sterne hin, und schließlich eine ganze Anzahl Sternbilder, den Großen Bären, den Orion und andere, die man am Himmel des Uranus genau so sieht wie am Himmel der Erde. Die Uranusmenschen sahen mit ihren großen Telleraugen andächtig zu, und plötzlich tuteten sie mit ihren Rüsseln erstaunte Töne. Ja, sie hatten begriffen. Sie zeigten nach oben, zur Decke, zum Himmel, und schleunigst sandte der Mann mit dem Diadem auf der Stirne einen Diener mit einem Auftrage fort.

›Ich wette, Christian, daß man einen Sternkundigen herbeiholen läßt‹, sagte der Professor, ›und daß in den Leuten der Gedanke aufgeblitzt ist, daß wir Menschen von anderen Sternen sind!‹

›Es ist das reine Klarinettenkonzert‹, meinte Christian, der alte Diener. ›Wie wäre es, wenn ich dem Gevatter Urian mit den Kompott-Teller-Augen mal ein Stücklein vorpfiffe: 'Ach du lieber Augustin' oder dergleichen? Sie würden es für unsere Sprache halten.‹

Aber schon öffnete sich der Vorhang des Raumes wieder, und der Diener trat mit dem Manne ein, der hierherbefohlen war. Es war ein ganz alter Uranusbewohner, das sah man auf den ersten Blick. Sein Seehundskopf zeigte tausend Falten, und vor seinen trüben Augen saß ein Ding, das sicher eine Art Brille war. Er ging gebeugt und stützte sich auf einen dicken Metallstock.

›Himmel‹, sagte der alte Christian, ›das ist sicher ein Urian-Professor und Sterngucker. Ja, ich glaube, die sind auf allen Sternen gleich. Nun, seine Brille kann er so leicht nicht verlegen wie mein Herr, der sie bald in die Zuckerdose hineinlegt und bald in den Briefkasten steckt und dafür die Briefe in der Rocktasche herumträgt, denn diese Brille ist so groß, daß man darüber stolpern kann!‹

Der Ankömmling hatte inzwischen mit Ehrerbietung den Präsidenten begrüßt. Sicher hatte er schon die neue Nachricht von dem Eintreffen seltsam fremdartiger Wesen vernommen und betrachtete 277 sie jetzt durch seine Brille wie wir einen seltenen Käfer. Dabei schwippte sein Rüssel, schnurrige Grunztöne ausstoßend, auf und nieder.

Der Professor jedoch hielt ihm plötzlich das Blatt mit den Sternen vor die Augen, und der gelehrte Uranussterngucker, denn ein solcher war er wirklich, erkannte sie sofort und sprach erstaunt auf seine Landsleute ein. Der Professor deutete auf die Sterne und auf sich und machte durch allerlei Zeichen klar, daß er und sein Begleiter aus dem Sternenraum zum Planeten Uranus heruntergekommen wären.

Da verschwand der Uranussterngucker und kam nach kurzer Zeit mit einem großen Metallkasten wieder. Er enthielt feine Metallblätter, die mit rotgefärbten Zeichnungen bedeckt waren. Es war so etwas Ähnliches wie ein Himmelsatlas. Da nahm er ein Blatt hervor, auf dem war die Sonne abgebildet und alle Erdkugeln, die sie umkreisen. Der Professor deutete mit dem Finger auf den Uranus und dann auf die Leute ringsum. Sie machten Zeichen der Zustimmung. Ja, man befand sich auf dem fernen Erdenstern Uranus. Dann aber deutete der Professor auf sich und Christian und legte den Finger auf den Punkt der Karte, wo nahe der Sonne die Erde abgebildet war. 278

Der fremde Astronom hatte ihn begriffen. Es gab Laute höchsten Erstaunens von sich und erklärte seinen Gefährten, daß jene seltsamen Geschöpfe aus den warmen, sonnennahen Räumen stammten, von jenem fernen Sternlein, das man nur schwer selbst in den besten Fernrohren auf dem Uranus zu sehen vermochte.

Lange versuchte man noch, sich zu verständigen, bis endlich Christian, der es vor Hunger nicht mehr aushalten konnte, mehrfach sehr deutlich gegen seinen Bauch klopfte und mit den Fingern in den weit geöffneten Mund fuhr. Er hatte die Freude, daß man ihn begriff.

›Mein Herr, der Professor, ist so zerstreut, daß er seelenruhig verhungert, ohne es zu bemerken‹, sagte er knurrig.

Alle erhoben sich. Offenbar war es auch Ruhezeit geworden, denn in den Straßen wurde es still. Man führte die Erdensöhne in ein schön durchwärmtes Gemach mit eigenartigen Möbeln und Lagerstätten, die aus gepolsterten Säcken oder Häuten bestanden. Auf warmen Metallschalen brachte man Speisen verschiedenster Art. Sie schmeckten nicht schlecht, aber es schien nichts dabei zu sein, das aus dem Pflanzenreich stammte, und vor allem waren sie unseren Freunden zu fett.

Endlich waren sie allein, und auf ihren Lagern ausgestreckt, besprachen sie noch lange die seltsamen Erlebnisse.

›Wollen mir der Herr Professor nur mal erklären, weshalb unsere Urianbrüder so gräßliche Kerle sind?‹ sagte endlich Christian und machte sich aus seinem Sacktuch eine Nachtmütze zurecht, denn ohne diese konnte er nicht schlafen. ›Ich werde die ganze Nacht von ihnen träumen, wie damals, als Herr Professor mit mir in Afrika waren, wo wir den vermaledeiten Riesen-See-Spinnerich sahen!‹

›Ach, Christian!‹ rief kopfschüttelnd der Professor. ›Du bleibst doch immer der alte Holzkopf, trotzdem du nun schon dreißig Jahre bei einem gelehrten Herrn Dienste tust! Wir erscheinen ihnen ebenso häßlich wie sie uns. Du mußt doch bedenken, daß jedes Geschöpf von der Natur so ausgestattet wird, wie es für seine Welt zweckmäßig ist. Darum hat der Fisch Flossen und atmet durch Kiemen, und darum hat der Vogel Flügel und haben die Raubtiere eine feine Nase zum Wittern ihrer Beute. – Nun sieh mal, mein guter Christian: Der Uranus ist eine kalte und dunkle Welt, die ganz wenig Wärme und Licht von der Sonne erhält. So haben die Leute hier möglichst große Augen, um recht viel Licht damit einfangen zu können. Die Luft ist 279 sehr dicht und leitet den Schall sehr kräftig. Du merktest selbst, wie mächtig unsere Stimmen droben erklangen. Die Uranusleute brauchen also keine Ohrmuscheln am Kopfe wie wir zur Verstärkung des Schalls, und darum hat ihnen die Natur auch keine gegeben!‹

›Und wie ist es mit ihren Rüsselnasen, Herr Professor? Sie könnten beinahe einen Fünfer mit vom Boden aufheben, wie der Elefant Jumbo in der Menagerie, der Herrn Professor damals die Regenschirmkrücke abriß!‹

›Nun, Geschöpfen, die nicht gut sehen können, gibt die Natur dafür meist eine gute Nase. Alle Rüsseltiere sind Nasentiere, können dafür aber schlecht sehen. Wegen der Dunkelheit auf dem Uranus können die Leute hier trotz ihrer großen Augen nicht besonders viel sehen, daher brauchen sie die große Rüsselnase.

Du siehst außerdem, daß sie dick und rund sind, eine dicke Fettschicht ihren Körper bedeckt. Bedenkst du aber, daß magere Leute, wie wir beide, leicht frieren und daß die Eskimos, die am Nordpol der Erde leben, ebenfalls fett sind und auch viel Fett essen, weil es die Kälte besser ertragen läßt, so siehst du wohl, daß alles seine Ursache hat. Die Leute sind hier ferner sehr kräftig und plump gebaut. Es hängt damit zusammen, daß auf dieser mächtigen Weltkugel alle Dinge schwerer sind und die Menschen mehr Kraft brauchen, um Steine zu heben, sich fortzubewegen und dergleichen. Da hat ihnen die Mutter Natur eben kräftigere Muskeln und Knochen gegeben!

Du siehst, alles läßt sich erklären, und wenn wir länger hier sind, werden wir alles verstehen. Eins ist wohl sicher. Auf der Oberfläche dieser Welt leben keine Menschen, denn sie ist dunkel und vereist. Sie bauten sich ihre Städte tief unten, wo es warm ist. Auch die Erdkugel ist ja im Innern noch heiß, und je tiefer man hinabsteigt in die Bergwerke, je wärmer wird es. Ebenso scheint es hier zu sein. Morgen will ich versuchen, mehr darüber zu erfahren!‹

›Vielleicht steigen wir morgen hinauf, wenn es Tag ist, die Sonne scheint und wärmt, Herr Professor!‹

›Da kannst du lange warten, Christian, einige zwanzig Jahre vergehen, bis es hier wieder Tag wird, wenn man dieses trübe Sonnenlicht hier Tag nennen kann. Diese Gegend auf dem Uranus hat ungefähr vierzig Jahre Tag und Sommer und dann wieder vierzig Jahre Nacht und Winter!‹ 280

›Um des Himmels willen, was für ein verrückter Stern ist das!‹ rief Christian. ›Vierzig Jahre lang sieht man die Sonne nicht und lebt wie ein Schlamm-Molch in tiefster Finsternis, und dann wird es wieder vierzig Jahre nicht dunkel? Nein, das ist keine Welt für mich! Wenn nun hier jemand während der langen Nacht geboren wird, da kann er, wenn er mit vierzig Jahren stirbt, niemals in seinem Leben die Sonne sehen. Und die lange Nacht, das ist etwas für Riesenfaulpelze!‹

›Nun, Christian die Leute wohnen ja hier unterirdisch, bei künstlichem Licht, und werden schon durch eine ihnen angenehme Einteilung des Tages Arbeit und Schlaf trennen. Aber hier, nahe dem Südpol des Uranus, ist es tatsächlich so, wie ich dir sagte. Der Uranus braucht vierundachtzig Jahre, um einmal die Sonne zu umwandern. Zweiundvierzig Jahre lang ist der Südpol dieses Erdenballes der Sonne zugekehrt, und dann kommt wieder zweiundvierzig Jahre lang der Nordpol an die Reihe. Wir sind hier, wie mir mein Uranuskollege klarmachte, nahe dem Südpol und befinden uns in der zweiundvierzigjährigen Nacht. Wollen wir also die Sonne sehen und die dicht bei ihr dahinziehende Erde, so müssen wir zur anderen Halbkugel hinüberreisen. Und das wollen wir morgen in Begleitung des Astronomen und eines hohen Staatsbeamten auch tun. – Jetzt aber wollen wir schlafen, mein Freund, denn ich bin todmüde.‹

Sie drehten sich jeder auf die andere Seite, und als sie die Köpfe auf die Polster legten, erlosch auch das Licht an der Decke.

Die beiden Erdensöhne erwachten durch ein wohl drei Minuten währendes, melodisches Summen, das die ganze Uranuswelt durchtönte. Es war das Signal, das den Beginn des neuen Tages verkündete. Sie erhoben sich von ihren Lagern, und alsbald flammte auch das Licht wieder auf. Christian machte nun erst eine ›Entdeckungsreise‹ durch die Räumlichkeiten, wie er sagte. Und man war hocherfreut, alles vorzufinden, was man brauchte. Da floß in einem Nebenzimmer unablässig warmes Wasser in eine in den Felsen gehauene Wanne, und in einem Nachbarraum war auf Matten am Boden die Tafel gedeckt. Da die Uranusbewohner sehr klein waren, zudem die Anlegung der Gänge, Wohnungen, Straßen in den Felsen eine gewaltige Arbeit machte, weshalb man sie so niedrig wie möglich baute, konnten unsere Freunde nur gebückt gehen, was recht unbequem war. Die Uranier pflegten auf Matten am Boden zu sitzen. und die Erdensöhne 281 mußten es ihnen schon des Raummangels wegen nachtun. Da saßen sie nun vor ihrem Frühstück und fanden, daß es sich hier ganz gut leben ließ. In Heißwasserbädern standen Krüge mit einer nach Fleischbrühe schmeckenden Flüssigkeit. Kleine warme Pasteten lagen in einem ebenfalls im heißen Wasser stehenden Metallkasten, und Christian fand, daß sie recht wohlschmeckend waren.

›Das heiße Wasser scheint in dieser Welt eine große Rolle zu spielen‹, sagte der Professor und nahm eine Prise. ›Hätte ich nur meine Tabakspfeife bei mir‹, klagte der alte Diener, ›dann wollte ich mit Herrn Professors Erlaubnis ein paar Züge tun, denn das Rauchen ist nun mal meine Leidenschaft.‹

›Es scheint‹, sagte sein Herr, ›als rauche man hier nicht. Wahrscheinlich, um die Luft reiner zu erhalten, denn natürlich ist es keine Kleinigkeit, in diesen unterirdischen Städten gute Luft zu schaffen. Sieh, das Ding, das da oben in der großen Deckenöffnung schnurrt, ist sicher ein Ventilator. Der Schacht, durch den wir hinabsteigen in diese Unterwelt, scheint ein Luftkanal gewesen zu sein.‹

Über der Tür leuchtete plötzlich eine rote Lampe auf. Gleich darauf betrat der Uranus-Astronom mit einem anderen Manne, der drei Steine an der Stirn trug, die Hoheitszeichen der Uranier, den Raum. Sie begrüßten ihre Gäste, indem sie sich mehrmals mit den Fingern auf den glänzenden Kopf klopften und einen hellen Ton ausstießen, der wie ein kurzes Trompetensignal klang. Unsere Freunde versuchten das, so gut es ging, zu erwidern, wobei der Professor mit seinem ebenfalls glänzend-kahlen Schädel im Vorteil war. Nach einigen Andeutungen, ob die Fremden gut geschlafen und gespeist hätten, machte man ihnen klar, daß die Reise zur Nordhalbkugel beginnen könne. Erst suchte der Professor noch seine Brille, die Christian im Schlafsack fand . . . ›Wahrscheinlich hat er sie nachts auf den Hühneraugen gehabt!‹ brummte der alte Diener . . . Und dann ging es fort.

Man bestieg einen kleinen, besonders bereitgestellten Bahnwagen, der für eine längere Reise eingerichtet war, und in schneller Fahrt sauste man dahin, bald geradeaus, bald senkrecht tiefer hinein in die unterirdische Welt, auf schnellstem Wege dem Ziele zu. Durch Zeichen und durch Zeichnungen auf Metallplatten gaben die Uranier nun alle möglichen Erklärungen und Schilderungen ihrer seltsamen Welt. Da erfuhr der Professor dann folgendes: 282

Zur Zeit lebten keine Menschen mehr auf der Oberfläche des Sternes; die Kälte war zu stark, und die langen Zeiten der Finsternis verhinderten höheres Leben. Aus Spuren, die man am Äquator, da, wo es noch am wärmsten und hellsten war, gefunden hatte, ging hervor, daß vor grauen Zeiten wilde Menschen da gehaust, als die Oberfläche dieser Welt noch wärmer war, weil das innere Feuermeer noch bis dicht unter die Gesteinskruste flammte, sie wie eine Ofenplatte erwärmte. – Jetzt hausten am Äquator nur noch wenige Tiere mit mächtigen Zottelpelzen, die sich von Flechten und Moosen ernährten, die da spärlich wuchsen.

Seit vielen Jahrtausenden lebten die Uranier unterirdisch. Die Städte lagen in Etagen übereinander. Je tiefer sie lagen, je wärmer waren sie. Luft wurde durch große Pumpwerke in Schächten herabgeführt, die verbrauchte Luft oben abgesaugt.

Es führten Schächte aus den tiefen Städten hinunter bis zu Stellen, wo es siedeheiß war. Dahin leitete man auch das Wasser unterirdischer Quellen und Seen und verdampfte es. So erhielt man die Kraft zum Treiben von Maschinen. Im Gestein fand man überall Metalle, aus denen alle möglichen Gebrauchsgegenstände hergestellt wurden. In mächtigen unterirdischen Höhlen wuchsen filzige Flechten, aus denen man Stoff für Kleider webte. Auch Tiere seltsamer Art, zumeist mit dichtem Haarkleid, hausten da und wurden gezüchtet. In warmen Seen gab es Fische und Muscheltiere, große eßbare Würmer und dergleichen. So ließ es sich ganz gut da unten leben, und niemand kam auf den Gedanken, daß es anders sein könnte, denn die Gewohnheit schafft des Menschen Glück.

Der Professor notierte sich das alles sorgfältig. ›Wenn ich im Himmel bin, werde ich ein großes Buch darüber schreiben. Vielleicht kann es zur Erde gebracht werden, und dann ärgert sich mein Kollege Sauerbrot, daß er es nicht schreiben konnte!‹ sagte er fröhlich.

Dann erzählte der Professor, ebenfalls durch Zeichen und Zeichnungen, von der Erde, und so verging die Zeit. Der Bahnwagen rollte durch Orte und kam an Bergwerken vorbei, er fuhr durch mächtige Höhlen, in denen Seen lagen, und kam einmal so tief hinein in die Unterwelt, daß der Professor und sein Diener sich vor Hitze nicht zu lassen wußten. ›Um Gottes willen‹, sagte der, ›hier kommt man auf seine alten Tage noch an den Bratspieß wie eine Ente!‹ 283

Endlich aber, nach vielen Tagen, hatte die Fahrt ein Ende, und man entstieg dem Gefährt. Jetzt, deutete der Uranusbeamte an, geht es wieder zur Oberwelt. Wir sind auf der südlichen Halbkugel und werden die Sonne sehen. Alle hüllten sich in mächtige Pelze, und man stieg durch einen Luftschacht hinauf. Es wurde kälter und kälter, und schließlich war man am Gitter angelangt, trat hinaus.

Ja, da war es Tag und Sommer! Aber was für ein ›Tag‹ und was für ein ›Sommer‹! Ein trübes Dämmerlicht, gegen das eine mondhelle Nacht auf Erden blendende Lichtfülle gewesen wäre, lag über der vollkommen vereisten Landschaft. Am Himmel standen die Sterne, und nahe dem Horizont glänzte ein blendend heller Stern von mächtigem Glanze: die Sonne!

›Da ist die Sonne, die liebe Sonne!‹ rief der Professor und deutete mit dem Regenschirm auf den wundervollen Stern. ›Dicht dabei muß auch unsere Erde, unsre Heimat schweben!‹

›Was, dieser Stern ist unsere mächtige Sonne? Oh, wie hat sie sich verändert!‹ rief Christian. ›Und wo ist die Erde?‹

›Sie steht von hier aus gesehen ganz dicht bei der Sonne, verschwindet in ihren Strahlenflügeln. Nur ein großes Fernrohr kann sie uns sichtbar machen!‹

Der Uranus-Astronom winkte. Man begab sich etwas abseits, wo schon für die Erdengäste ein Fernrohr aufgebaut war, das freilich ganz anders aussah als irdische Ferngläser und aus großen Metallspiegeln bestand. Es wurde auf die Sonne gerichtet, und dann wurde das Erdensternlein gesucht.

Der Alte zog den Professor näher. Er schaute hinein in den Spiegel. Ja, da schwebte ein zitterndes Lichtpünktchen: die Erde!

›Ach, du lieber Gott!‹ rief der enttäuschte Christian. ›Dieses Fünkchen, das aussieht, als sei es aus meiner Tabakspfeife geflogen, ist unsere Erde? Nun, ich glaubte wenigstens, unser Haus mit der Sternwarte zu sehen und die Blumenstöcke vor dem Fenster, die nun wohl schon ganz vertrocknet sind! Himmlische Güte, das ist die Erde!‹

›Ja, das ist sie‹, sagte der Professor.

›Nun, ich wollte, wir wären wieder dort, ich könnte Herrn Professor wieder die Pantoffeln hinter dem Ofen wärmen, meine Pfeife im Garten rauchen und aufpassen, daß die jungen Studenten nicht der Katze eine alte Bratpfanne an den Schwanz binden!‹ 284

Auf einmal rauschte und brauste es in der Höhle, und eine Posaunenstimme rief nieder aus den Wolken. Die beiden Uranier bekamen einen Todesschreck. Ihre Augen rollten wie Kegelkugeln, und ihre Rüssel schnoberten entsetzt in der Luft herum. Dann aber liefen sie schleunigst zum Schacht und verschwanden in der Tiefe.

Die Stimme aus der Höhe rief abermals:

›Wo seid ihr, Erdensöhne? Eure Zeit ist abgelaufen!‹

›Heiliger Chinchinchindra von Kalkutta‹, raunte Christian dem Professor zu, ›es ist der Flügel-Heinrich, der uns in den Himmel zurückbringen will.‹

›Ich will aber nicht in den Himmel!‹ schrie wütend der Professor.

Da legte eine schwere Hand sich auf seine Schulter, er ließ vor Schreck den Schirm fallen, denn blendende Helligkeit war mit einem Male um ihn. Dann riß er weit und erstaunt die Augen auf.

›Ich will nicht in den Himmel!‹ schrie er noch einmal.

›Ja, wollen Herr Professor denn in die Hölle, um Gottes willen?‹ sagte die Stimme seines alten Dieners neben ihm.

›Ich will auf dem Uranus bleiben, zum Geier!‹

›Auf dem Uranus??? – Wie kommen Herr Professor denn auf den Uranus?‹

›Christian, du schrecklicher Holzkopf, bist du denn ganz und gar übergeschnappt? Wir sind doch auf dem Uranus.‹

›Erlauben der Herr Professor, ich bin auf der Erde.‹

›Ja, wie kommst du denn auf die Erde?‹

›Genau so wie der Herr Professor! Ich wurde eines Tages da geboren, ohne meine Einwilligung! Aber Herr Professor machen mich ganz ängstlich! Herr Professor sind doch nicht krank und fiebern? Ich lag auf meinem Ruhebett, auf einmal höre ich Herrn Professor schreien. Ich eile herbei, da finde ich Herrn Professor am Fernrohr im Stuhl eingeschlafen. Es ist ja schon gegen Morgen, und die Sonne muß bald aufgehen. Herr Professor scheinen lebhaft geträumt zu haben.‹

›Geträumt? Nur geträumt? Ja, ist denn nicht mein Regenschirm auf dem Uranus liegengeblieben?‹

›Er steht noch immer da bei der Tür in der Ecke, Herr Professor!‹

›Ja‹, sagte der alte gelehrte Herr und erhob sich mühsam und mit steifen Gliedern aus seinem Stuhl, ›ja, dann war das alles ein Traum!‹

Er rieb sich die Augen und schlurfte kopfschüttelnd hinweg.« 285



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