Bruno Hans Bürgel
Die seltsamen Geschichten des Doktor Ulebuhle
Bruno Hans Bürgel

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Ein Tag auf dem Monde

Kinder« – sagte der Doktor Ulebuhle an einem schönen Sommerabend, als der Mond wie ein Wächterhorn über den hohen Tannen stand – »ihr seid allesamt große Rüpel und Taugenichtse und werdet eines Tages ein übles Ende nehmen, aber ich habe es euch versprochen, und was man verspricht, das muß man halten, und so will ich euch denn den Mond durch mein großes Fernrohr zeigen!«

»Au fein, Ulebuhle! Wenn Ihr das tut, dann sammeln wir auch wieder Kräuter für Euch im Bergwald, und Moos für Eure Käfer!«

»Nun gut, das läßt sich hören!« brummte der Alte, löste einen mächtigen Schlüssel von seinem Bund und trat mit uns hinaus auf den Vorflur, wo die Treppe hinaufführte zum schiefergedeckten Turm, in dem das große Fernrohr stand.

Es war gruselig und dunkel auf der Stiege, aber dann zündete Ulebuhle sein Öllämpchen an, der Schlüssel drehte sich kreischend im Schloß, und knarrend öffnete sich die Turmtür, um uns einzulassen in den geheimnisvollen Raum. – Da stand in der Mitte auf einer Säule ein großes Ding, wie eine Kanone, und so dick, daß die dünnsten von uns wohl hätten durch das Rohr hindurchkriechen können. Es blinkte daran von allerlei Schrauben und Griffen, von Stahl und Messing. Oben war ein großes Glas im Rohr, wohl größer noch als ein Suppenteller, und unten ein ganz winziges, durch das man hindurchschauen mußte. Und dann tickte da noch eine große Uhr in einem Glasgehäuse, mit einem langen Perpendikel, der mächtig vornehm und langsam hin und her schwang und unablässig ganz bedächtig sein »Ticktack . . . Ticktack« sagte. – Da waren auch noch allerlei Apparate in den Ecken und an den Wänden, und Bilder hingen da von Mond und Sternen, und dicke Bücher lagen in den Fächern. Aber wenn wir Ulebuhle nach all dem fragten, dann sagte er nur in seiner knurrigen Weise: »Schnickschnack und Finger davon! Das versteht ihr nicht!«

Im Dach des Turmes waren große Klappen, die konnte man öffnen, und dann schauten die Sterne hinein, so daß man sie im Fernrohr 42 betrachten konnte. Ganz dunkel war es im Turm, nicht einmal die Lampen auf den Straßen drangen mit ihrem Licht hinein, aber dann schob Ulebuhle die Riegel von den Klappen zurück, öffnete sie, und das bleiche Licht des Mondes blinkerte auf den Instrumenten und warf unsere Schatten lang über den Boden.

Jetzt aber richtete der alte Gelehrte das große Rohr auf das silbern glänzende Gestirn der Nacht. Er drehte viele Schrauben und Hebel, schaute selbst hinein in die Himmelskanone, und dann durften wir eins nach dem anderen herzutreten und sahen vor uns vielhundertmal vergrößert die stille, ferne Welt des Mondes, mit allen ihren merkwürdigen Ländern und Bergen.

Wie war das seltsam, als man hindurchschaute! Man sah nur einen Teil des Mondes, ganz riesenhaft groß. Wie eine mächtige Gipsplatte erschien zunächst, was man bemerkte; eine Gipsplatte, die ganz grell beleuchtet ist. Da sah man große graue Flecke, von denen Ulebuhle sagte, daß es große Ebenen auf dem Monde wären, ungeheure Wüsten, begrenzt von zerklüfteten Höhenzügen. Was aber besonders interessant war, das waren die Berge. Man sah da allerlei blinkende Berggipfel, und Ulebuhle erklärte uns, daß sie so hell im Sonnenlicht strahlten, denn der Mond wird genau so von der Sonne erleuchtet wie die Erde und ist eigentlich genau so dunkel wie sie. Die Berge warfen lange, spitze Schatten weithin über die Ebenen, und in den Tälern, wohin das Sonnenlicht nicht dringen konnte, lag tiefschwarze Nacht. Viel tausend kreisrunde Krater waren da zu sehen, und dann wieder lange Gebirgszüge, und alles war so wild zerrissen und zerklüftet, daß es im Glase aussah, als sei es ein großer Kuchen, in den die Mäuse Loch an Loch geknabbert.

So standen wir und schauten, und der alte Ulebuhle erzählte uns mancherlei über das, was wir sahen. Als wir aber immer wieder fragten, da wurde er wieder grimmig, schnaufte in sein großes buntes Taschentuch, rückte die Hornbrille zurecht und knurrte in seiner alten Weise:

»Still jetzt, ihr Racker! Und nicht alle durcheinandergeschrien! Ihr habt den Mond gesehen und erfahren, daß er eine Weltkugel ist wie die Erde, aber eine erstorbene, auf der kein Mensch leben kann. Wollt ihr aber noch mehr wissen, dann will ich euch die Geschichte von dem kleinen Jungen erzählen, der einen Tag auf dem Monde zubrachte. Setzt euch hier ringsum und öffnet weit eure Lauscher!« 43

Und dann nahm Ulebuhle eine mächtige Prise aus der buntbemalten Dose, nieste und begann:

»Seht, da war ein kleiner Junge, der lag des Abends spät in seinem Bett und konnte nicht einschlafen. Der Mond schien ihm voll ins Gesicht; er stand, ein einsamer Nachtwandler, drüben hinter den Bergen, und seine Strahlen spielten mit all den kristallenen Sternchen der hartgefrorenen Schneedecke, die auf der Erde ruhte. Und der kleine Junge schaute hinauf zu der silbern glänzenden Scheibe, die mit ihren grauen Flecken wie ein gutmütig lächelndes Gesicht aussah, und überdachte, was er an diesem Abend alles gehört hatte. Seine Eltern hatten Besuch bekommen; ein Freund des Vaters, ein sehr gelehrter Professor, der sein ganzes Leben nichts getan als Sonne, Mond und Sterne zu erforschen, war angekommen, und beim Abendbrot hatte er allerlei vom Himmel erzählt. Da hatte der kleine Franz auch nach dem Monde gefragt, der eben aufgegangen war und durch das Fenster schaute. Und der alte Professor mit der goldenen Brille hatte ihm gesagt, daß es alles ganz anders wäre, als die Kinder sich das immer erzählten, vom ›Mann im Monde‹, der dort ewig sein Reisigbündel tragen muß, und was sonst für Märchen. Der Mond sei eine ferne Weltkugel, sagte er, voll von Bergen und Tälern, weiten Ebenen und tiefen Kratern, aber still und tot, und kein lebendes Wesen sei darauf anzutreffen, ebensowenig wie je eines Menschen Fuß diese seltsame Welt betreten hätte.

›Wenn man doch da einmal hinauf könnte‹, hatte die Mutter gesagt, und der Vater meinte, die Menschen hätten schon viel schnurrige Dinge erfunden, sie würden es auch noch einmal fertig bekommen, nach dem Monde zu fliegen. Da hatte der alte Professor seltsam durch die goldene Brille gelächelt und zum kleinen Franz gesagt: ›Nun, mein Junge, dann machen wir die erste Reise nach dem Monde miteinander!‹

Dann aber war die Mutter gekommen und hatte den kleinen Jungen ins Bett gebracht, denn es war spät, und Kinder müssen viel schlafen, wenn sie gesund bleiben wollen. – Aber des Professors Erzählen von der Weltkugel, die da oben so ruhig in weiter Ferne ihre Bahn zog, hatte den Buben gewaltig erregt. Nun lag er da und grübelte darüber nach, wie es sein müßte, da hinaufzufliegen und zu wandern auf einem fernen Gestirn. Langsam aber fielen ihm die Augen zu, über die 44 des Mondes Strahl, durch die weißen Gardinen gedämpft, wie streichelnd hinwegglitt. Er wurde müder und müder und glitt hinüber ins Land der Träume.

Und plötzlich sah unser Franz die Tür aufklinken. Des Professors Kopf wurde sichtbar. Er nickte dem Schläfer freundlich zu, aber er sah viel älter aus, und sein Haar war schneeweiß. Viele Jahre mußten vergangen sein. ›Junge‹, rief er, ›kennst du mich noch? Ich bin doch dein Freund, der Sterngucker! Weißt du noch, was ich dir damals versprochen, als du zum Monde hinauf wolltest? Nun, inzwischen habe ich lange gearbeitet an der großen Himmelsflugmaschine, und nun ist sie fertig. Ich habe versprochen, dich mitzunehmen auf die Mondreise. Was man verspricht, muß man halten! Jetzt komm! Der Vater steht schon draußen und wartet.‹

Da fuhr unser kleiner Freund wie ein Wiesel aus dem Bett und hinein in die Kleider. Die Mutter kam und hüllte ihn noch warm ein in Tücher und Pelze, und dann traten sie vor das Haus.

Da stand auf dem großen Platz eine gar wunderliche Maschine, eine riesige stählerne Granate oder Rakete, bereit, emporgeschossen zu werden zum bleichen Gestirn der Nacht. Drinnen wimmelte es von Rädern und Hebeln, Manometern und Zylindern, und aus dick verglasten Luken konnte man ins Freie schauen. Und viele Leute standen drum herum und staunten, und Nachbars Philipp, der immer alles besser wußte als andere Leute, schrie weit über den Platz: ›Die fahren nach dem Nordpol. Da streiken die Schneeschipper, und der Professor will ihn' jut zureden!‹ Polizeisergeant Lemke aber hatte einen ganz roten Kopf und rannte mit gesträubtem Schnauzbart umher und schrie: ›Jehn Sie weiter, jehn Sie weiter, meine Herrschaften!‹

Jetzt aber kam der Vater mit dem Professor durch die Menge hindurch. Sie waren beide in dicke Pelze gehüllt und winkten ihm zu. Auch die Mutter war da, reichte allen noch einmal die Hand, umarmte den kleinen Jungen und blickte recht bekümmert und mit rotgeweinten Augen auf die Himmelsflugmaschine, denn Mütter halten nun mal nicht viel von Reisen nach dem Monde! Dem Franz wurde zwar auch etwas bänglich zumute, aber der Professor war kreuzvergnügt und sagte, es wäre gar nichts dabei. So stieg man denn hurtig ein, der Professor drehte an allerlei Hebeln und Schrauben, und donnernd erhob sich der große Vogel vom Boden und stieg kerzengerade in die Luft. 45

Unten schrien die Leute: ›Hoch!‹ und ›Hurra!‹ und winkten mit den Taschentüchern und Hüten, so daß man sehen konnte, wer keine Haare mehr auf dem Kopfe hatte, und die Mutter stand abseits und weinte. –

Immer kleiner wurde die Stadt. Die Häuser sahen wie Spielzeug aus und die Gärten wie Moosstückchen, und schließlich war sie nur noch ein bunter Farbenfleck. Dann sah man das weite Land. Aber wie verändert war es! Die Wälder waren große, dunkelgrüne Tücher geworden, die Berge waren kaum noch von der Ebene unterschieden, und die Flüsse glichen dünnen, glänzenden Stanniolstreifen. Auf einmal aber war alles wie weggeblasen! Eine undurchdringliche weiße Masse wogte ringsum, wie ein Ozean von Milch, und an den Scheiben lief das Wasser nieder, als würden sie mit einer Gießkanne besprengt. Der kleine Junge lief ängstlich zu den beiden Männern, aber sie beruhigten ihn lachend.

›Nur Mut, mein Sohn‹, sagte der Professor, ›was dich schreckt, ist nichts anderes als eine Wolke, durch die wir hindurchfliegen, eine Wolke, die etwa siebentausend Meter über der Erde schwebt. Paß auf, gleich werden wir hindurch sein!‹

Und so war es. Da war wieder der blaue Himmel mit der Sonne, und unten zog wie ein mächtiges Gebirge aus Schlagsahne die Wolke, die wohl mehr als tausend Meter lang war, schnell seitwärts hinweg, vom Winde getrieben. Durch Löcher in ihrer fortwährend die Gestalt ändernden Masse sah man dann und wann die Erde tief unten hindurch schimmern.

›Wie aber kommt es, daß alles so naß geworden ist?‹ fragte der schon wieder beruhigte Franz.

›Ei, das ist ganz einfach‹, antwortete der Professor. ›Eine Wolke ist ja nichts anderes als Wasserdampf, genau so wie die weiße Wolke, die aus der Lokomotive steigt. Das ist wie in einer Waschküche! Wenn der Wasserdampf gegen die kalten Scheiben schlägt, dann fließt er zu lauter Wassertröpfchen zusammen, und die Scheiben beschlagen, und das Wasser rinnt an ihnen hernieder.‹

›Es ist doch schnurrig, so durch eine Wolke hindurchzureisen, das haben meine Kameraden drunten noch nie erlebt wie ich nun!‹

›Da bist du in einem Irrtum, mein Junge! Auch sie waren, genau so wie du, schon oft mitten in einer Wolke, nämlich im Nebel, und das 46 ist ja nichts anderes als eine Wolke, die sich tief unten auf der Erdoberfläche befindet.‹

Aber schon gab es wieder etwas Interessantes zu sehen! Die Erde lag jetzt als eine ungeheure Scheibe tief unter den Reisenden. Man sah auf ihr nur noch helle und dunkle, leicht gefärbte Flächen von Ländern und Meeren. Selbst die Wolken lagen jetzt so tief unten, daß es aussah, als wären es Schneeflächen auf der Erde selbst. Mit riesiger Geschwindigkeit sauste die Flugmaschine aufwärts. Europa sah so ähnlich aus wie auf der Landkarte. Man bemerkte den Stiefel von Italien, der sich in einen langgestreckten dunklen Fleck, das Mittelländische Meer, hineinschob, man sah im Norden wie einen springenden Löwen die große Halbinsel der Schweden und Norweger und noch weiter nördlich eine blendend helle weiße Fläche, die Eis- und Schneegefilde rings um den Nordpol. Nach Westen zu aber wuchs eine tief dunkelgraue Ebene ins Endlose, und das war .der Atlantische Ozean. Von Menschen und Menschenwerk war auch nicht die Spur mehr zu entdecken, und man erkannte hier so recht, wie winzig doch in Wahrheit die menschliche Welt ist und wie töricht die Bewohner der Erde, wenn sie sich gegenseitig in schrecklichen Kriegen zerfleischen, um einen Landzipfel mehr zu haben als die anderen.

Nun aber geschah etwas ganz Eigenartiges! Bisher war das Flugschiff immer senkrecht von der Erde emporgeflogen, der Sonne zu. Da die Reise aber zum Monde gehen sollte, der der Sonne fast gegenüberstand, denn es war gerade Vollmond, so mußte man jetzt seitwärts steuern, hinüber zur anderen Hälfte der Erdkugel, wo es Nacht war und der Mond am Himmel stand. Der alte Professor lenkte seine wunderbare Maschine nach dort hinüber, und da sah denn der kleine Franz etwas ganz Merkwürdiges. Die Erde, die bis dahin als mächtige hell beleuchtete, kreisrunde Scheibe unter den Reisenden gelegen hatte, wurde plötzlich an dem einen Rande immer mehr und mehr abgefressen, und schließlich sah sie nur noch wie der Halbmond aus; die andere Hälfte war verschwunden. Auch der Vater stand ganz erstaunt und betrachtete das sonderbare Schauspiel. Ihre erstaunten Ausrufe weckten den gelehrten Professor aus seinem Grübeln. ›Ja‹, sagte er, ›das nimmt euch wunder, aber es ist ganz einfach zu erklären. Die Erde ist ja nichts als eine große dunkle Kugel, die auf der einen Seite von der Sonne erleuchtet wird, genau so wie ein Tennisball, den man in ein 47 dunkles Zimmer bringt und von einer Seite mit einer Kerze beleuchtet. Die andere Seite ist ganz dunkel, da ist es Nacht. Bisher waren wir über der beleuchteten Tagseite der Erde, und jetzt fliegen wir zur Nachtseite hinüber. Wir stehen jetzt gerade in der Mitte. Links ist noch die Hälfte der Tagseite zu sehen, und rechts ist es eben Nacht. Die Sonnenstrahlen kommen da nicht hin, und so sehen wir diesen Teil der Erde nicht. Das ist doch ganz einfach, nicht wahr, und selbst der kleine Franz wird das begreifen!‹

Ja, das begriff denn auch der kleine Mondreisende. Er hatte schon in der Schule etwas davon gehört, aber jetzt sah er es mit eigenen Augen, und es sah doch recht sonderbar aus. Es kam aber noch viel schnurriger! Plötzlich, mit einem Schlage, waren sie in ihrem Fahrzeug in tiefste Dunkelheit gehüllt. Die Sonne war wie auf Zauberwort verschwunden, verschwunden hinter der Erdkugel. Hoch über ihnen standen die blinkenden Sterne und etwas seitwärts der volle Mond, an dessen schwaches Licht sich die Augen erst langsam gewöhnen mußten.

›Seht‹, sagte der alte Sterngucker, ›jetzt steht die Erde zwischen uns und der Sonne, und ihre Strahlen können uns daher nicht treffen. Wir stehen im Schatten, den die Erde, von der Sonne beschienen, hinter sich wirft. Es geht uns jetzt genau so wie dem Monde bei einer Mondfinsternis. Da steht er auch im Schatten der Erde und wird also verdunkelt. Das ist alles ganz einfach, und es ist keine Hexerei dabei!‹

›Was man doch bei so einer Reise alles lernt‹, meinte der Vater, ›langsam werden wir selber noch zu Sternguckern, zu Astronomen, mein Junge!‹

Die Erde war jetzt kaum noch zu sehen. Man war ganz über ihrer unbeleuchteten Nachtseite, die nur vom Monde sanft erhellt wurde. Als eine mattgraue Scheibe verschwand sie mehr und mehr in der Ferne, rings umgeben von den noch viel ferneren Sternen. Vor allem aber war es außerordentlich kalt geworden, so daß die Reisenden trotz der elektrischen Heizung in der Kammer erbärmlich froren in ihren dicken Pelzen. Der Vater erkundigte sich nach dem Grunde dieser Kälte, und der Professor gab bereitwillig Auskunft. ›Im Weltenraum‹, erklärte er, ›herrscht eine Temperatur von etwa zweihundert Grad Kälte. Genau kann man sie natürlich nicht angeben, aber man weiß bestimmt, daß es annähernd so ist. Näheres darüber kann ich hier 48 nicht sagen, denn der kleine Franz würde es nicht verstehen, aber wenn er bedenkt, daß überall auf Erden, wo die Sonne monatelang nicht scheint, also am Nordpol und am Südpol, alles in Eis erstarrt und von den Polarforschern schon fünfundsechzig Grad Kälte gemessen worden sind, obgleich das doch noch auf der Erde ist, wo durch Luftströmungen, die aus wärmeren Ländern kommen, immer noch Wärme zugeführt wird, so wird er mir wohl glauben. Wie sollte es auch im Weltenraum warm sein? Warm ist es nur da, wo irgend etwas ist, das die Sonne oder ein anderer heißer Körper erwärmen kann. Der Weltenraum aber ist leer. Nicht einmal Luft ist in ihm, und . . .‹

Der gelehrte Mann wurde plötzlich unterbrochen. Alle schrien ängstlich auf. Ein gewaltiges Rauschen war vernehmbar, und dann knatterte und polterte es gegen die Wände der Flugmaschine, daß man fürchten mußte, sie gingen in Splitter. Der kleine Franz wich entsetzt zurück vom Fenster. Faustgroße Steine kamen vorbeigeflogen und prallten da und dort an, und einige zerbarsten funkensprühend.

›Die Mondmenschen, die Mondmenschen‹, schrie der kleine Junge auf, ›sie haben uns entdeckt, sie schießen auf uns!‹

Auch der Vater war entsetzt zurückgewichen, und der Astronom stand bleich im Hintergrunde und trippelte ratlos hin und her.

Es dauerte nur einen Augenblick, dann war die gefährliche Erscheinung vorüber, aber der Professor war sehr erregt, antwortete nicht auf die stürmischen Fragen seiner Begleiter. Er untersuchte sorgfältig jeden Teil der Maschine, und erst als er sich überzeugt, daß sie keinen Schaden gelitten, atmete er erleichtert auf.

›Alle Teufel‹, sagte er, sich die weißen Haare krauend, ›das war eine schlimme Geschichte! Eigentlich hätte ich darauf vorbereitet sein müssen, aber etwas vergißt man halt immer!‹

›Und was war es?‹ fragte der Vater.

Es waren Meteorsteine, wie sie zu Millionen durch den Weltenraum ziehen. Die kleineren von ihnen sieht man häufig am Himmel der Erde als schnelle Fünkchen dahinfliegen. Wir nennen sie 'Sternschnuppen', die großen aber sehen wir selten, sie leuchten wie Raketen auf, und sprühend fallen sie als Stein- und Eisenmassen zur Erde. In jedem Museum kann man solche Meteorsteine liegen sehen. Hätten sie die Fenster zerschlagen, so wäre es um uns geschehen gewesen, denn wir wären erstickt.‹ 49

›Erstickt? Weshalb das?‹

›Ja nun, der Weltenraum ist vollkommen luftleer. In großen Stahlflaschen, die hier im Boden liegen, habe ich den Sauerstoff, die Lebensluft, von der Erde für unsere Reise mitgenommen, und sie strömt langsam hier aus und erhält uns am Leben. Wäre aber das Fahrzeug zerschmettert worden von den Meteoren, so wären wir im luftleeren Sternenraum erstickt!‹'

Da merkten die beiden Mitreisenden erst, daß es doch gar keine so ungefährliche Vergnügungsreise war, die sie unternommen, und ein bißchen bänglich wurde ihnen nun doch, wenn auch die Gefahr glücklich vorüber war.

Inzwischen waren sie dem Monde bedeutend näher gekommen. Als mächtige Scheibe, auf der man schon allerlei Einzelheiten sah, schwebte das bleiche Nachtgestirn über ihnen, und sie flogen mit märchenhafter Geschwindigkeit darauf zu.

›Wie weit ist denn eigentlich der Mond von der Erde entfernt, und wie lange haben wir zu reisen?‹ fragte der Vater.

›Von der Erde bis zum Mond sind es dreihundertvierundachtzigtausend Kilometer, meine Freunde‹, antwortete der Astronom. ›Das ist so schlimm nicht, denn es ist nur dreißigmal so weit wie eine Reise von Berlin nach New York und wieder zurück, und viele Kapitäne haben schon längere Reisen unternommen. Eine Kanonenkugel würde in zehn Tagen von der Erde zum Monde fliegen können, wenn ihr unterwegs nicht die Kraft ausginge, und ein Schnellzug müßte ununterbrochen sechs Monate fahren, wenn es einen Schienenweg zum Monde gäbe. Wir aber fliegen so rasend schnell mit meiner Erfindung, daß wir bald da sein werden. Seht, wie nahe uns der gute alte Freund schon gerückt ist; es ist die höchste Zeit, daß wir die Vorbereitungen zur Landung treffen. Das Wichtigste ist, daß jeder zunächst seinen Lufthelm und Lufttornister aufsetzt, denn es ist auf dem Monde keine Spur von Luft anzutreffen, weshalb ja auch keine Menschen dort leben können. – Dann aber muß ich vor allem meine großartige Bremsmaschine in Bewegung setzen, denn sonst fliegen wir mit solcher Gewalt auf die Mondoberfläche nieder, daß wir mitsamt unsrer Himmelsdroschke zerpulvert werden!‹

Und nun begannen alle drei sich lebhaft zu tummeln. Bald sahen sie aus wie Meerestaucher mit ihren kupfernen Helmen, die den ganzen 50 Kopf von der Außenwelt absperrten und durch Gummiringe am Halse luftdicht schlossen. Auf dem Rücken waren Luftzylinder befestigt, und durch Schläuche kam von dort die Atemluft zu den Helmen. Durch vergitterte Fenster in den Helmkugeln konnte man draußen alles bequem überblicken. Aber ob man durch sie auch würde hören können, was draußen zu hören war und was die anderen sagten, das war dem kleinen Franz doch etwas fraglich.

Eine gewaltige Helligkeit war nun wieder ringsum, sie kam von der schon ganz nahe über ihnen liegenden, blendend erleuchteten Mondoberfläche. Der Professor arbeitete an allerlei Hebeln und Schrauben, drehte an vielen Hähnen und Rädern, und der Vater half ihm dabei. Der Alte war so eifrig, daß seine weißen Haare und seine Frackflügel hin und her flatterten, aber endlich war alles bereit.

›So‹, sagte er, ›jetzt ist der feierliche Augenblick da! Nun werden sofort die ersten Menschen den Mond betreten, infolge meiner großartigen Erfindung. Nun aber Achtung, denn wenn auch die Bremsmaschinen tadellos funktionieren, einen gehörigen Stoß wird es doch geben und vielleicht auch ein paar blaue Flecke. Darum schleunigst in die Schaukeln, die an der Decke hängen, sie sind aus Gummi und Federn und wohl auswattiert, damit die Knochen ganz bleiben.‹

Da schlug denn doch den Reisenden das Herz, und der kleine Junge bibberte nicht schlecht bei dem Gedanken, all seine Knöchelchen wie in einem Würfelbecher auf dem Monde herumzustreuen, aber es war keine lange Zeit mehr zum Überlegen. Kaum saßen sie in den Gummischaukeln, da ging es auch schon los. ›Festhalten! Festhalten!!‹ schrie der Professor. Dann gab es einen enormen Krach, es splitterte alles mögliche ringsum, und dann brauste es dem kleinen Franz jämmerlich in den Ohren, er fühlte nur noch, wie ihm fast jedes Knöchlein im Leibe weh tat, und dann war es mit einemmal Nacht und alles aus.«

Hier unterbrach der alte Ulebuhle seine Erzählung und nahm eine neue mächtige Prise, während wir Kinder ganz gespannt und mäuschenstill mit offenem Munde über das weitere Schicksal der Mondreisenden nachdachten. »Jungens«, sagte Ulebuhle, »macht um Gottes willen den Mund zu, sonst fliegen euch die Fledermäuse hinein! Ihr müßt mich erst einmal ausschnaufen lassen, ich bin ein alter Mann, und die Zungenmühle geht bei mir nicht mehr so wie bei euch unklugen 51 Schreihälsen!« Hierauf nieste er wieder zweimal, daß der Turm dröhnte und die Hörer entsetzt in die Höhe fuhren, und dann fuhr er also fort:

»Die Reisenden lagen mit arg zugerichtetem Flugschiff auf dem Monde, und wenn sie jemand gesehen hätte, er hätte angenommen, sie seien tot. Aber sie hatten von dem Sturz nur die Besinnung verloren, und der Vater, als der kräftigste von den dreien, war zuerst wieder auf den Beinen. Gott sei Dank, er hatte nichts gebrochen und erkannte auch schnell, daß die anderen noch lebten. So richtete er sie auf, und einer nach dem anderen kam zu sich. Außer einigen Beulen und Schrammen war nichts vorgefallen, und die Reiseapotheke des Professors kurierte diese kleinen Schäden schnell. Ein ganz klein wenig heulte unser Franz zwar dennoch, aber im ganzen hatte er sich doch recht tapfer benommen.

›Sind wir nun auf dem Monde?‹ fragte er, noch immer etwas verängstigt. ›Aber das sind ja hier genau solche Steine wie bei uns auf der Erde und ebensolcher Sand. Und was ist denn das? Nein, das ist aber ganz schnurrig, da steht die Sonne am Himmel, und zugleich sind auch alle Sterne zu sehen wie mitten in der Nacht, und der Himmel ist auch ganz schwarz, trotzdem es doch heller Tag ist.‹

So fragte der kleine Junge unablässig, aber niemand antwortete ihm; es war, als hörte ihn keiner, und nun merkte er erst, daß er selbst nur ganz undeutlich seine eigene Stimme vernahm. Ei, sagte er zu sich selbst, das liegt sicher an dem dicken Kupferhelm, der unsere Köpfe umschließt, daß wir uns nicht hören. Da berührte der Professor seinen Arm und bedeutete auch dem Vater, aufzupassen. Dann zog er eine Pistole hervor und feuerte sie zwei-, dreimal ab. Man sah zwar den Feuerschein und den Pulverdampf, aber man hörte kein bißchen von dem Krachen des Schusses. Man sah, wie der gelehrte Herr über die Verwunderung seiner Mitreisenden lächelte, dann zog er einen Notizblock hervor und schrieb darauf:

Da es auf dem Monde keine Luft gibt, die den Schall zum Ohr trägt, so kann man hier auch nichts hören. Wenn wir auf Erden eine elektrische Klingel in einen Glaskasten bringen, aus dem wir mit einer Luftpumpe die Luft heraussaugen, dann hören wir sie auch nicht mehr klingeln. Hier auf dem Monde könnte jemand neben uns eine Kanone abschießen, wir hörten es nicht. Alles, was ihr wissen 52 wollt, müßt ihr jetzt aufschreiben, und ich kann es euch auch nur schriftlich beantworten.‹

Sie gaben durch Nicken zu verstehen, daß sie das begriffen hätten, und dann zeigte auch der Vater auf den seltsam aussehenden Himmel. Da stand wirklich als hellstrahlende Feuerkugel die Sonne, genau so wie am Himmel der Erde, aber dieser Himmel war tiefschwarz wie bei uns in der Nacht, und alle Sterne waren sichtbar.

Der Professor nickte, setzte sich auf einen Felsblock und schrieb: ›Auch das kommt daher, daß der Mond ohne Lufthülle ist! Der blaue Himmel auf Erden entsteht nur, weil das Sonnenlicht die Luftschichten erhellt, und so werden die Sterne unsichtbar. Hier, wo die Luft fehlt, sind sie auch am Tage zu beobachten.‹

Das ist doch eine schnurrige Welt, dachte Franz. Hier kann niemand Lärm machen, keine Musik und kein Gesang ertönt, und wenn ein ganzes Heer von Soldaten und Wagen entlangzöge, man hörte nichts davon. In der Schule würde es hier nur schriftliche Arbeiten geben, und die Leute könnten sich nur brieflich zanken.

Der Professor stand auf und bedeutete seinen Gefährten, ihm zu folgen. Ein hoher Berggipfel lag vor ihnen; er stand am Rand einer weiten Ebene, und der Astronom hatte die Absicht, ihn zu besteigen, um einen Blick weit ins Land zu tun. Alles ringsum war kahl und öde. Nicht ein grünes Fleckchen weit und breit, kein Baum, kein Strauch, kein Vogel, kein Insekt war zu sehen. Nichts als zerrissene Felsen ringsum, so weit das Auge reichte, tiefe dunkle Schluchten und breite Risse im Gestein. Dann wieder noch trostlosere Ebenen, gefüllt mit ausgedörrtem, glühend heißem Sand. Dazu die Grabesstille und der schwarze Himmel, es war wirklich schauerlich und beängstigend. Wie schön war doch dagegen die Erde mit ihrem blauen Himmel, ihren Wiesen und Wäldern, ihren Flüssen und Meeren, dem tausendfachen Getier, den ziehenden Wolken, dem Flüstern des Windes, dem Sang und Klang und munteren Leben allüberall!

Sie standen nun nach kurzer Wanderung auf dem Gipfel des Berges, und jetzt erst konnte man die Formen der Berge so recht erkennen. Vor ihnen lag eine mächtige Ebene. Der Professor sagte, mit den großen Fernrohren sehe man das alles auch deutlich von der Erde aus, und die Mondforscher hätten vom Monde selber sehr genaue Fotografien und Karten hergestellt und alle Berge und Ebenen auf dem 53 Monde genau so mit Namen bezeichnet, wie es die Geographen mit den irdischen Landschaften gemacht haben.

›Diese große Ebene‹, so bedeutete er seinen Freunden, ›nennen die Astronomen ›Mare Imbrium‹, aber in Wahrheit ist es kein ›Mare‹, kein Meer, denn wie es keine Luft gibt, so gibt es auch kein Wasser auf dieser toten Welt. Der große Gebirgszug mit seinen wie Silber glänzenden Spitzen, den ihr da in weiter Ferne am Rande der Ebene erkennt, das ist eine Kette von großen Berggipfeln, und die Astronomen haben sie ›Mond-Apenninen‹ getauft. Hier mittendrin in der Ebene seht ihr aber nun die ganz sonderbaren Mondkrater, von denen es auf dieser seltsamen Welt Zehntausende gibt. Seht, es sind alles mächtige, kreisrunde Gesteinsringe, und manchmal steht noch ein kleiner Bergkegel im Mittelpunkt des Ringes.‹

Der kleine Franz nahm den Notizblock und schrieb darauf: ›Diese Kraterberge des Mondes sehen alle aus wie hohle Backenzähne!‹ Da lachte der Professor und schrieb darunter: ›Ja, da hast du recht, mein Junge, nur daß diese Backenzähne oft fünfzig Kilometer breit sind.‹

Die Reisenden schritten nun weiter, nach der anderen Seite zu, wo das Land in Dunkelheit gehüllt war, denn dort schien die Sonne nicht 54 mehr hin, und es begann an dieser Stelle die von der Sonne abgewendete Nachtseite des Mondes. Franz hatte sich schon lange gewundert, wie merkwürdig schnell und leicht er auf dem Monde laufen konnte. Als er nun zum Spiel einen Stein aufnahm und ihn in die Luft warf, da blieb er überrascht stehen! Der Stein flog so hoch, daß er ihn kaum noch sehen konnte, und kam erst in großer Entfernung zu Boden.

Der alte Professor aber hatte seinem Spiel und seinem Erstaunen zugesehen und bedeutete ihm, einmal aufzupassen. Der alte Herr nahm einen kleinen Anlauf, und dann sprang er vor einem kleinen Hügel vom Boden ab, hoch in die Luft, über den haushohen Hügel hinweg, und schwebte sanft jenseits wieder herunter. Es sah so komisch aus, wie der gute alte Professor da plötzlich mit schlenkernden Armen und seltsam herumrudernden Beinen in der Höhe hinsauste, daß Vater und Sohn zunächst nicht aus dem Lachen herauskamen. Aber dann faßte sie doch das Erstaunen über das Gesehene, und so probierten sie denn auch diese Luftsprünge (wenn man so sagen kann, da es auf dem Monde keine Luft gibt!). Die des Vaters fielen noch viel höher aus als die des Gelehrten. Der Vater schleuderte auch Steine, die so weit fort flogen, daß man sie aus dem Auge verlor. Dann aber traten sie zu dem Professor, um sich erklären zu lassen, weshalb ihre Kraft hier auf dem Monde zu Leistungen hinreichte, die auf Erden der stärkste Mann nicht zu vollbringen vermöchte. Hob der kleine Junge doch Felsblöcke empor, die auf der Erde sein starker Vater nicht hätte heben können. Aber der Astronom wußte auch dafür eine einfache Erklärung.

Er setzte sich nieder und schrieb: ›Der Mond ist viel kleiner als die Erde. Man könnte aus der Erde neunundvierzig Monde machen. Der viel kleinere Mond zieht auch alle Gegenstände, die sich auf ihm befinden, nicht so stark an wie die große Erde, daher kommen uns also alle Steine und so weiter auch auf dem Monde viel leichter vor, wir brauchen viel weniger Kraft, um sie zu heben, oder können mit unserer Kraft viel schwerere Steine hier aufheben und viel weiter werfen als auf Erden. Da wir selbst auf dem Monde etwa sechsmal weniger wiegen als auf der Erde, so können wir uns mit unserer Kraft auch sechsmal leichter bewegen und über sechsmal höhere Hügel hinwegspringen als auf der Erde! Seht, das ist alles ganz einfach, und nirgends in der Welt gibt es Hexerei. Alles geht natürlich zu, und wenn man viel gelernt hat, kann man auch viel erklären!‹ 55 Es ist wirklich eine schnurrige Welt hier, dachte der kleine Junge. Wenn ich mir von der Erde ein Pfund Schokolade mitgebracht hätte und würde es hier nachwiegen, so wäre es nur noch ein Sechstelpfund, selbst wenn ich gar nichts davon genascht hätte!

Die Reisenden schritten rüstig weiter, immer weiter nach dorthin, wo es Nacht auf dem Monde war, und die geringe Schwere ihres Körpers bewirkte, daß sie äußerst schnell vorwärts kamen und nicht müde wurden. Die Sonne sank tiefer und tiefer zum Horizont herunter, und ganz plötzlich waren sie mitten in der tiefsten Finsternis, denn so eine allmähliche Lichtabnahme zwischen Tag und Nacht wie auf der Erde gibt es auf dem Monde nicht, weil eben keine Luft vorhanden ist, die noch lange nach Sonnenuntergang von den Sonnenstrahlen erhellt wird. Nur einige Berggipfel, zu denen die Sonnenstrahlen noch hinaufdrangen, glänzten wie aus blankem Eise geformt, als aber auch diese durch andere Berge verdeckt wurden, war es rabendunkel ringsum, und man sah nicht die Hand vor Augen. Der Vater wollte ein Zündhölzchen entflammen, aber es blitzte nur auf und verlosch wieder; er hatte vergessen, daß in einem luftleeren Raum ja nichts brennen kann. Aber auch dafür hatte der Professor gesorgt, denn an seinem Gürtel hing eine große elektrische Handlampe, die genügend Licht auf den Weg warf. Sie gingen noch ein gutes Stück, da zeigte sich plötzlich tief unten am Horizont ein heller 56 Schein. Eine runde, leuchtende Kuppe wurde sichtbar, die immer mehr wuchs, je weiter sie wanderten. Es war genau so, als wenn auf Erden der Mond aufgeht. Immer mehr rundete sich diese Lichtscheibe, die da am Horizont des Mondes emporstieg, und endlich stand sie leuchtend unter all den Sternen schon ziemlich hoch droben über den Berggipfeln, und zwar so hell, daß man ringsum alles klar erkennen konnte und der Professor seine Lampe löschte.

Die Mondreisenden standen und blickten voll Staunen zu dem seltsamen Monde empor, der da am Himmel des Mondes aufging, aber diese leuchtende Scheibe war wohl zwölfmal größer, als auf Erden der Mond erscheint. Und auf ihrer Oberfläche sahen der Vater und Franz helle und dunkle Flecke, die ihnen merkwürdig bekannt vorkamen, gerade so, als hätten sie sie schon früher wo gesehen. Da zog der Astronom seine Notiztafel hervor und schrieb ein paar Worte, die unsere Freunde in großes Erstaunen versetzten:

Jene Scheibe dort droben am Mondhimmel ist die Erde!‹ Und wirklich, es war so. Deutlich sah Franz die ihm vom Schulglobus bekannten Umrisse der Länder und Meere auf der Erde, das große Dreieck von Südamerika, den Atlantischen Ozean und am Südpol die weiße Kuppe der Eis- und Schneefelder. So war den Reisenden nun der Mond zur Erde geworden und die Erde zum Monde, und der gelehrte Professor erklärte ihnen, daß das alles ganz selbstverständlich sei, denn genau so, wie von der Erde aus gesehen der Mond als ein Gestirn am Himmel schwebt, muß vom Monde aus gesehen die Erde als Gestirn erscheinen, nur daß sie größer ist.

Da wandelten denn die Reisenden im Licht der Erde auf dem Monde spazieren, wie die guten Leute da auf Erden im Mondenschein promenieren. Aber der Anblick der so fernen Erde, die doch so schön war mit ihren Wäldern und Feldern, ihren Blumen und Vögeln, ihren Meeren und Flüssen und geschäftigen Menschen, hatte dem Vater und dem kleinen Franz plötzlich die Sehnsucht ins Herz gesenkt, wieder dahin zurückzukehren, zu ihrem kleinen Hause mit dem Gärtchen und zu der Mutter, die gewiß schon in tausend Ängsten sehnsüchtig nach dem Himmelsschiff ausschaute. Der kleine Junge trat an den Vater heran, ergriff seine Hand und deutete nach der Erde hinüber. Und der Vater verstand ihn. Er ging auf den gelehrten Mann zu, legte seine Hand auf seine Schulter und machte 57 ihm begreiflich, daß man nun umkehren müßte, zurück zu dem Luftschiff, um die Rückreise anzutreten.

Aber der schüttelte den Kopf. ›Das Flugschiff ist zerschellt‹, so schrieb er nieder, ›wir müssen hierbleiben!‹

›So werden wir es ausbessern‹, entgegnete der Vater.

›Nein! Hierbleiben, hier ist es interessant, und ich muß noch viel untersuchen hier oben, denn ich werde ein ganz dickes Buch über den Mond schreiben.‹ Das war die Antwort des Astronomen.

Der Vater redete heftig auf ihn ein und machte dem eigensinnigen Professor schwere Vorwürfe, daß er sie hierher gelockt, ohne ihnen die Rückreise zu ermöglichen, und der Alte stampfte mit dem Fuße auf und entgegnete nur immer das eine: ›Wir bleiben hier!‹

Es war plötzlich, als ob der alte Gelehrte zu einem teuflischen Dämon geworden wäre. Seine Augen blitzten höhnisch hinter den Brillengläsern hervor, und er fuchtelte wild und drohend mit den Händen in der Luft herum, so daß der kleine Junge in Angst und Schrecken geriet.

Und da mit einem Male waren die beiden Männer zusammengeraten. Sie rangen miteinander und suchten sich zu umfassen. Immer weiter schoben und zerrten sie sich, und nun standen sie ganz nahe an einer tiefen Felsenspalte, die rabenschwarz ins Unbekannte ging. Da lief der weinende kleine Junge hinzu, packte den Vater am Rock, um ihn hinwegzuzerren von dem dunklen Abgrund, aber schon war es zu spät. Sie stürzten, sie fielen immer tiefer, immer weiter ins bodenlose, undurchdringliche Dunkel . . .

Und plötzlich fühlte der kleine Junge, wie eine Hand ihn erfaßte, es wurde Licht . . . da stand die Mutter vor seinem Bett und sagte lächelnd:

›Ei, guten Morgen, Herr Langschläfer! Wach auf! Die Sonne steht schon hoch droben. Ich hörte dich schreien im Schlaf, du hast geträumt, ja ja, das kommt davon, wenn man noch spät abends in den Mond sieht!‹ 58



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