Bruno Hans Bürgel
Die seltsamen Geschichten des Doktor Ulebuhle
Bruno Hans Bürgel

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Die Flasche

Nichts in dem alten, winkligen Hause des schnurrigen Doktor Ulebuhle war für uns Kinder so interessant wie der große Raritätenschrank in seinem Studierzimmer. Was stand nicht alles hinter den Glasscheiben und blinkerte aus der dunklen Tiefe hervor! Die sonderbarsten Gegenstände, altertümliche und neue, kostbare und ganz wertlose, und dazu allerlei, das aus fernen Ländern stammte. – Ein jedes Stück hatte seine Geschichte, und darum hielt der Alte auch das Unscheinbarste lieb und wert und hatte sein ganzes Leben hindurch seinen Ärger mit der vertrockneten und zerknitterten Christine, die immer wieder einmal mit dem Staubbesen über »das schrecklich alte Gerümpel«, wie sie sagte, herfallen wollte.

»Der Lumpenmatz gibt keine drei Groschen für den verstaubten Plunder!«

»Stecke Sie die Nase in Ihre Kochtöpfe! Davon versteht Sie nichts!« 223

»Mit Sand und Soda, mit Seife und Scheuerbürste muß man dazwischenfahren!«

»Das soll Sie sich einmal unterstehen! Sie würde einen Höllentanz erleben. Bekümmere Sie sich um Ihre alten Rumpelkommoden mit Ihren hundert Hauben und Röcken und Firlefanz, und nun bringe Sie endlich den Kaffee! Sie lernt ihn zwar nie richtig kochen, denn Sie ist nicht in der Türkei gewesen, aber . . .«

»Das fehlte noch, daß Ihr von mir verlangt, ich sollte mich gleich Euch bei den Heiden herumtreiben!«

»Also lasse Sie es in aller drei Teufel Namen bleiben und bringe Sie endlich Ihre Zichorienbrühe!«

Dann rauschte die alte Christine mit den weiten, bauschigen Röcken ärgerlich davon, warf die Tür hinter sich unsanft ins Schloß, und der Doktor stopfte sich brummend eine von seinen langen Pfeifen mit den grünen Troddeln.

Wir Kinder aber standen vor dem großen Schrank und spähten in seine dunklen Abgründe.

Da lag unter anderem eine große Weinflasche aus hellem Glase, und in der Flasche befand sich ein wunderschönes Segelschiff. Ein richtiger kleiner Dreimastschoner, voll getakelt. Das war ein Verwundern, wie wohl das Schiff in die Flasche hineingekommen sei, bis der alte Doktor uns erzählte, Teilchen um Teilchen sei von geschickter Hand durch den engen Flaschenhals hineinbugsiert und mit kleinen Zangen so lange hin und her geschoben, bis es endlich an der richtigen, mit Leim bestrichenen Stelle seinen Platz gefunden.

»Die Seeleute«, sagte der Alte, »machen derlei seit hundert Jahren in langweiligen Stunden, und es gibt wohl keine Hafenkneipe in der ganzen Welt, wo nicht solch eine Flasche aufgestellt ist, an der irgendein Jan Maat lange Zeit da draußen auf fernen Meeren herumgebastelt. Mit dieser Flasche hier aber hat es eine ganz besondere Bewandtnis. Was hat sie nicht alles erlebt, und wo ist sie nicht überall gewesen in der weiten Welt! Ja, es ist eine sehr sonderbare Geschichte, daß dieses zerbrechliche Ding ganz allein die Fahrt durch alle Meere überstanden hat und Nachricht brachte von einer traurigen Begebenheit. Damals freilich war das kleine Schiffchen noch nicht darin. Es stellt den Dreimastschoner ›Annemarie Klückers‹ dar. Seht, da steht es mit winzigen Buchstaben am Bug. Alles ist akkurat so, wie es auf dem 224 Schoner wirklich war. Oft bin ich auf seinen Planken einherspaziert und habe in seiner Kajüte gesessen. Nun liegt er seit langen Jahren in der finsteren Meerestiefe, die Flasche aber, die mit ihm zog, unbeachtet in einem verstaubten Winkel, sie ist immer noch heil und ganz. Ihr sollt ihre absonderliche Geschichte hören!

Sie stand da ganz friedlich viele Wochen im Schaufenster des kleinen Krämers in der Hafengasse und spiegelte das Licht der Sonne wider. Ein buntes Papierschild war auf ihren runden Bauch geklebt, darauf stand zu lesen, daß die dunkelrote Flüssigkeit in ihrem Innern ›Echter Jamaika-Rum‹ sei. Zitronen, Rosinen, braune Zimtstengel und Näpfe mit Reis und Zucker waren ringsum aufgebaut, und ein paar tote Fliegen lagen da auf dem Rücken und streckten ihre Beine in die Luft.

Aber Hinrich Priel, der da vorbeiging, sah nur die Flasche mit dem Jamaika-Rum. Er hatte noch einen Taler in der Tasche seiner weiten Seemannshose, und da die ›Annemarie Klückers‹ morgen bei Sonnenaufgang unter Segel gehen sollte, Hinrich Priel aber mit seinem Taler unmöglich etwas auf dem Ozean anfangen konnte, so blieb ihm gar nichts anderes übrig, als die Flasche zu erwerben. – So kam sie an Bord des Schoners und segelte mit nach Amerika.

Aber der alte Käpt'n Klückers hatte diesmal kein Glück auf seiner Fahrt. Alles ging verquer. Sturm und See richteten das alte Schiff übel zu; die Masten gingen über Deck, es blieb nichts anderes übrig, als bei den Bermudas in die Boote zu gehen, um wenigstens das Leben zu retten.

›Jungens‹, sagte der alte Seemann, ›es riecht verdammt nach Tran! Wer weiß, was aus uns werden wird bei diesem Wetter! Schafft eine Flasche herbei. Wir wollen wenigstens ein Lebenszeichen hinterlassen. Möglich, daß es die Unseren erreicht. Mein Vater hat bei den Balearen eine Flaschenpost aufgefischt, die war drei Jahre unterwegs. Man muß tun, was man kann!‹

Da langte Hinrich Priel die alte verstaubte Flasche hervor, die einst den guten Jamaika-Rum in ihrem Bauche verwahrte, wie das bunte Schildchen noch immer bezeugte. Käpt'n Klückers aber schrieb mit seiner ungelenken Hand und der dick gewordenen Tinte, die nur widerwillig aus der sperrigen Feder floß, ein paar Zeilen auf ein Blatt Papier: 225

Unser gutes Schiff ›Annemarie Klückers‹ hat bei den Bermudas schwere Havarie erlitten und ist im Sinken. Wir müssen es verlassen und vertrauen uns den Booten an. Der Finder dieser Flaschenpost übergebe sie dem Seemannsamt in Hamburg.

Wir befehlen unsere Seelen dem Herrn.

Christian Klückers.

1883, den 20. Oktober.

›Es ist die allerhöchste Zeit, Käpt'n!‹ sagte der Schiffszimmermann. Da rollte der Alte den Zettel zusammen, schob ihn die in Flasche hinein, preßte den Korken tief in den Hals und stülpte noch einen Patzen Pech darüber. Dann warf er die Flasche weit hinaus in die See.

Sie tauchte tief unter, kam wieder empor, und die Wellen rollten sie von Kamm zu Kamm.

Nie wieder hat man etwas von dem alten Klückers und seinem Schiff gehört, und Hinrich Priel hatte doch recht daran getan, den letzten Taler noch in einen guten Tropfen umzuwandeln, denn sonst läge der runde Silberling nun auch auf dem Grunde der See, wo irgendwelches schreckliche Krakelbein über ihn hinwegstelzte. – Die zerbrechliche Flasche allein blieb übrig und machte ohne Steuer und Segel, Log und Kompaß ihre weite Reise. – – 226

Wenn man die unendliche weite Fläche des Meeres vor sich liegen sieht, dann denkt man: Wasser ist Wasser, und es ist alles eins. Aber es ist nicht so! Im Meer fließen genau so mächtige Ströme in immer gleichen Bahnen wie auf dem Lande, und nicht ein einziger Tropfen in allen Meeren der Welt ist in Ruhe.

Mächtige Ströme ziehen viele tausend Meilen weit in immer gleichen Bahnen, genau so wie der Rhein, der Mississippi und die Wolga. Die Sonne erhitzt Luft und Wasser am Äquator der Erde, an den Polen aber ist es kalt. So bilden sich in der Luft mächtige Ströme, mächtige Winde, die vom Äquator nach den Polen ziehen und von den Polen zum Äquator. Diese mächtigen Ströme der Luft aber, die über die Meere dahinstreichen, reißen auch das Wasser mit sich, und es entstehen so die großen Meeresströmungen. So kommt warmes Wasser von den heißen Gegenden in unsere nördlichen Meere, und von dort fließt kaltes nach dem Süden. Der Golfstrom im Atlantischen Ozean, das ist die richtige Warmwasserheizung für Nordeuropas Küsten. Von den Gestaden Südamerikas kommt das laue Wasser herauf und heizt den Engländern ihr weites Inselreich. Noch viel wärmer würde es werden, wenn nicht von Norden her der eisige Labradorstrom dazwischenflösse und kaltes Selterwasser in den warmen Tee gösse.

So reinigt sich das Meer selbst, es fließt und strömt und schwemmt gestorbenes Seegetier, Pflanzen, Schiffstrümmer und alles, was da auf der Oberfläche der riesigen Fluten sich sammelt, davon. – – –

Aber gerade dort, wo das gute Schiff ›Annemarie Klückers‹ zugrunde ging, bei den Bermudasinseln, ist eine der wenigen Stellen im Meer, wo die Strömung nicht wirksam ist. Das ist mitten im Atlantischen Ozean. Da kreiselt der Golfstrom ringsherum, und in der Mitte bleibt ein stilles, fast unberührtes Gebiet. ›Sargasso-See‹ nennt man diese Gegend des Weltmeeres. Es ist eine Müllgrube des Ozeans! Gewaltige Mengen Tang, totes Seegetier, Schiffstrümmer kreisen da, und nur wenn all das treibende Zeug an den Rand des Gebietes kommt, ergreift es der Golfstrom und trägt es fort. Christoph Kolumbus kam auf seiner Entdeckungsfahrt durch das Gebiet hindurch, und als seine Matrosen die grünen schwimmenden Inseln rings um sich sahen, fürchteten sie, ihre kleinen Schiffe könnten sich darin verstricken und nie wieder frei werden, – 227

Um ein Haar wäre die Flasche, die der alte Klückers ins Meer geworfen, in das Sargassogewirr hineingeraten. Nicht weit von ihr steckte inmitten der weiten schwimmenden Tangwiesen ein schon ganz grün überzogenes Wrack. Seine zerbrochenen Mastenstümpfe reckten sich schräg zum Himmel, allerlei Schanzzeugplunder hing an den Seiten herab. Wer weiß, wie lange der jämmerliche Hulk hier schon kreiselte und kreiselte! Aus weiter Ferne mochte ihn der Meeresstrom hier hineingetrieben haben.

Aber glücklich kam das Fläschlein frei von dem Plunder. Es trieb an dem Kadaver eines riesigen Haies vorbei. Der Golfstrom erfaßte es und trug es wieder ostwärts, nach Europa zu. In seinem wunderbar tiefblauen Wasser, das in der Sonne schimmert wie die herrlichen Flügel tropischer Schmetterlinge, tanzte der blanke Punkt, ein kleiner Sonnenspiegel, auf und ab, und Welle um Welle hob und senkte ihn. –

Die Fahrt ging viel, viel schneller, als mancher denkt, denn der Golfstrom wandert so schnell durch das Meer wie ein rüstig daherschreitender Mann, ja an manchen Stellen doppelt so schnellDer Golfstrom bewegt sich an manchen Stellen acht Kilometer in der Stunde.. Aber das Meer ist weit, und so dauerte es fast zehn Monate, ehe die Flasche mit dem letzten Brief des alten Klückers, an den Azoren vorbeitreibend, in die Nähe der spanischen Küste kam.

Wie oft segelten Schiffe nahe vorbei, doch niemand sah im Wellengekräusel, im Geglitzer des Sonnenstrahles auf weißschäumenden 228 Wogenköpfen den auf und nieder hüpfenden Punkt, der den Menschen daheim im alten Hamburg Nachricht bringen sollte vom Schicksal eines Schiffes und seiner Mannschaft.

So nahe dem Festlande Europas, eine Tagereise von der Hafenstadt Lissabon entfernt, führte das Geschick die Rumflasche des Hinrich Priel wieder in die weite Ferne hinaus. Denn dort hat der Golfstrom seine Kraft verloren, ein anderer Meeresstrom beginnt, der nach Süden führt, entlang an Afrikas Küste. ›Kanarienstrom‹ nennen ihn die Seeleute, weil er bei den Kanarischen Inseln vorbeistreicht.

So wanderte denn die Flaschenpost südwärts. Im Osten brandete die See an die eintönigen, flachen Gestade des dunklen Erdteils. Mächtige rötliche Staubsturmwolken standen über der endlosen Sandwüste der Sahara, Reiter mit weißen, wehenden Mänteln wurden am Ufer sichtbar, die bald wieder hinter Sandhügelketten verschwanden. Einsam war hier die See, und immer heißer brannte die Sonne. Der Zettel mit den krakeligen Buchstaben des alten Christian Klückers, im Innern der Flasche, vergilbte mehr und mehr. – Die seltsame Post trieb und trieb. Nun schwamm sie die Guinea-Küste entlang. Sie war in den ›Guinea-Strom‹ geraten, der bis an den Kongo heranführt. Weite, dunkle Wälder tauchten auf, schwarze Menschen hatten seltsame Laubhütten am Ufer errichtet, glühend brannte vom Zenit die Feuerkugel hernieder. –

Ein paarmal war es mit der Flasche um ein Haar vorbei, und sie wäre tief abgesoffen auf den dunklen Meeresgrund, denn an Felseneilanden kam sie vorüber, und zweimal kamen ihr riesige Baumstämme in den Weg, aber immer ging es noch glücklich ab. Ja man hat zuweilen Flaschenposten aufgefunden, die Weltreisen machten! Sie brachten Nachrichten von Menschen, die längst tot waren. Selbst Kolumbus hat, als er auf der Entdeckungsfahrt nach Amerika war, eine solche Post dem Meer anvertraut, das war im Februar 1493, als er meinte, sein Schiff ginge im Sturm unter, man werde in der Heimat nie vom neuentdeckten Land erfahren. Da steckte er einen Bericht in eine kleine verpichte Tonne und warf sie ins Meer. Auf der Deutschen Seewarte in Hamburg wird eine Flasche aufbewahrt, die fast genau drei Jahre umhertrieb. Anfang Mai des Jahres 1886 hatte sie unweit New York, nahe der amerikanischen Küste, der Kapitän des deutschen 229 Dampfers ›Prinz Friedrich Karl‹ der See anvertraut, und im April 1889 fischte sie ein brauner Mann in Marokko in Afrika, an der Küste bei Safi, endlich auf. Fünftausend Kilometer hatte sie durchschwommen! Aber es gibt eine, die sie noch übertrifft. Fünfzehn Jahre trieb sie durch die Wellen, neunzehntausend Kilometer durchreiste sie, vom Indischen Ozean, um Australien herum, bis nach Kap Hoorn in Südamerika.

Auch unsere Flasche hier war schließlich anderthalb Jahre unterwegs. Im April des Jahres nach dem Untergang der ›Annemarie Klückers‹ schwamm sie bei absoluter Windstille und spiegelglatter See über den Äquator hinweg.

Das war zeitlebens der Traum Hinrich Priels gewesen, einmal über die dicke schwarze Linie hinwegzufahren, die auf den Seekarten und auf dem Erdglobus aufgemalt war. Etwas – so meinte er – müßte man doch davon wahrnehmen, wenn man von der nördlichen auf die südliche Halbkugel der Erde hinüberzieht. Ein Tau . . . einen Draht oder so dergleichen! – Ach, der gute Hinrich hatte es nie erreicht! Nun schwamm er wohl da oben, nahe den Bermudas, im Tanggestrüpp der Sargasso-See, aber die kleine Flasche, die er einst für einen Taler bei dem Krämer in der Hafenstraße gekauft, die schaukelte blinkend hinweg über die Äquatorlinie, und der Zettel in ihrem Innern wurde von Tag zu Tag brauner. Der Pechpatzen, den Käpt'n Klückers noch zum Schluß schnell um den Flaschenmund geknetet, schmolz ab. Und wo mochte der bunte Klebzettel geblieben sein? Längst hatte er sich losgelöst. Die Wellen, die kein ›Echter Jamaika-Rum‹ waren, hatten ihn wohl in Atome zerschwemmt.

Immer näher der Kongoküste trieb die Flasche. Die Guinea-Strömung des Meeres verlor hier ihre Kraft, sie kreiselte langsam dem Strande zu, denn der Kongofluß, der hier, weit aus dem Innern Afrikas kommend, seine Wassermassen in den Ozean treibt, arbeitet der Meeresströmung entgegen. – So glitt denn das gläserne Ding, das von fernen Gestaden kam, gemächlich durch die ruhige See. Das Kongowasser bekam die Flasche in seine Gewalt, schob sie wieder nordwärts, zurück über den Äquator, und immer ganz nahe der Küste in den grünen Wellen gleitend erreichte sie an einem hellen Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, den Strand.

Um ein Haar wäre sie hier nach so langer Reise in Scherben gegangen, und der Abschiedsbrief des alten Käpt'n Klückers hätte sich im 230 Meer aufgelöst, denn ein paar schwarze Kerle waren mit ungeheurem Geschrei an der Arbeit, zwei starke Baumstämme, die die Wellen angetrieben, auf den Strand zu ziehen. – Unsere Flasche kam mitten in den Trubel hinein. Fast wäre sie zwischen den mächtigen Holzkloben zerdrückt worden. Aber da sah sie einer der schwarzen Gesellen und hob sie heraus aus dem nassen Element. Zum ersten Male seit zwei Jahren berührte eine menschliche Hand das gläserne Ding. Zwei Paar Augen blickten hinein, und Duhamba und Wahamba stellten kreischend enttäuscht fest, daß die Flasche leer sei. Hinrich Priel hatte nicht ahnen können, daß schwarze Brüder am Strande von Kamerun, im fernen Afrika, einst seine Rumbuddel in die Hände bekommen sollten, sonst hätte er sicherlich wenigstens einen kräftigen Schluck binnen gelassen, denn er war eine gutmütige Seele.

Aber für einen Kamerunneger ist auch eine leere Flasche noch ein Ding, das man nicht am Wege liegen läßt, und so nahm denn der langbeinige Duhamba Hinrichs Buddel vorsichtig in beide Hände und lief damit seiner Palmrindenhütte zu.

Aber plötzlich kam ein Mann dahergestiefelt, der nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem Kamerunneger hatte, sondern in einem schneeweißen Anzug steckte und ein Paar solide benagelte Langschäfter an seinen Beinen hatte. Ein Paar blaue Augen rollten in seinem Kopf, und ein gewaltiger rotblonder Schnauzbart war ihm unter der Nase gewachsen. – Duhamba grinste über sein breites schwarzes Gesicht, daß seine Ohren wackelten, und dann zeigte er seinen Fund. Aber schnell erspähte der Weiße mit seinen scharfen Augen, daß es mit der alten Weinpulle seine Besonderheit haben müsse. Es steckte ein Zettel darin, Von der Sonne braungebrannt, und noch immer saß über dem Korken ein Klümpchen Pech.

So mußte denn der schwarze Menschenbruder seinen Fund hergeben und hat später, als man den Zettel las, ein weit schöneres Geschenk dafür bekommen.

Da war nun die weitgereiste Flasche endlich in sicheren Händen. Mit dem nächsten Schiff ging sie in die Heimat, und fast zweieinhalb Jahre nach dem Tage, da sie der alte Klückers bei den Bermudas dem Meere anvertraut, stand sie auf dem Tisch im Seemannsheim zu Hamburg.

So wußten wir denn, wo unser alter Freund mit seinem Dreimastschoner ›Annemarie Klückers‹ geendet. Hundert solcher 231 Flaschenposten gehen verloren, werden von den Meeresströmungen in entlegene Einsamkeiten getrieben, zerschellen an unbekannten Küsten. Wenige spülen glückliche Wogen des Zufalls an bewohnten Strand. Die Rumbuddel Hinrich Priels hatte wie durch ein Wunder die Heimat erreicht, und der alte Ulebuhle hat sie als Erinnerung an seinen alten Freund aufbewahrt bis auf den heutigen Tag.

Zuweilen, wenn draußen die Herbststürme sausen, wenn es still und einsam um den alten Ulebuhle ist, stellt er die Flasche, die durch das weite, weite Meer trieb, vor sich auf den Tisch. Dann ist es, als ob sie im Dämmerlicht des sinkenden Tages umgeistert wird von Wellenschaum und Wogenspritzern, als schwämme in treibenden Tanginseln ein Wrack mit zerspellten Masten und baumelndem Schanzwerk und als wisperte die Stimme des alten Käpt'n Klückers: ›Jungens! Et riecht verdammt nach Tran!‹« – – – 232



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