Bruno Hans Bürgel
Die seltsamen Geschichten des Doktor Ulebuhle
Bruno Hans Bürgel

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Die wilden Brüder

Das war ein böses Ungewitter! Der Sturmwind hatte sein ganzes Orchester aufgeboten; er sauste und brauste, heulte und winselte, pfiff und klirrte durch Stadt und Land und über die Bergwälder. Auf den Schornsteinröhren pfiff er wie auf Klarinetten, er harfte in den Telegrafendrähten, rasselte mit den blanken Barbierbecken wie mit Schellenbäumen, klirrte mit den Fensterflügeln, die er auf- und zuwarf, winselte an den Ritzen und Schlüssellöchern der Türen, raufte brausend den Bäumen den dichten Haarschopf des Blätterwerks und heulte um die Dachgiebel und kreischenden Wetterfahnen. Er balgte sich mit großen Papierfetzen, die er bald hoch emporwirbelte, bald am Boden dahinschleifte, er kollerte den runden Hut des alten dicken Gerichtsrates einen Kilometer weit fort, hielt ihn an und blies ihn hohnlachend weiter, sobald sich der Herr Rat schnaufend bückte, bis er ihn endlich mit einem kühnen Wuppdich ins Wasser warf. Er drehte Tante Juliens Regenschirm vollkommen um, so daß es aussah, als wollte die gute Tante zum Himmel hinauffliegen, und dem Registrator, der am 205 Fenster stand und darüber lachte, warf er plötzlich einen Blumentopf durch die Scheiben, und da lachte er nicht mehr.

Ja, so war es, und dazu kam der Regen, der den wilden Sausewind in allen seinen Schandtaten kräftig unterstützte, und die beiden hatten es fertiggebracht, daß die Straßen der Stadt wie ausgestorben waren und die Kinder die Nasen gegen die Fensterscheiben drückten, um zu sehen, ob denn der graue Himmel sich nicht endlich lichten wolle, denn mit dem Herumtollen draußen war es nichts. – Am Abend aber trippelten sie doch mit flatternden Mänteln und wehenden Halstüchern hinüber zum alten Hause des Doktor Ulebuhle, denn das war just das rechte Wetter, um eine gute Geschichte zu hören, besonders wenn man eine Tasse süßen Tee dazu trinken konnte.

Der alte Ulebuhle hockte in Schlafrock und Filzschuhen in seinem noch älteren Lehnstuhl, rauchte wie ein Postdampfer aus seiner langen Pfeife und knurrte dann und wann, denn das Zipperlein plagte ihn bei solchem Wetter und zwickte und zwackte in seinen alten Knochen.

»Kinder«, sagte er knurrig, »das ist ein Tausend-Teufel-Wetter, und der Sturm wirft mit Dachziegeln und Blumentöpfen nach anständigen Leuten. Da sitzt es sich gut in der warmen Stube bei einem gemütlichen Schnickschnack. Aber draußen in der weiten Welt geht es noch ganz anders her mit dem Unwetter, und was ein richtiger Seemann und Wandergesell ist, der ferne Länder und Meere gesehen hat, der lacht über die Mütze voll Wind, vor der wir Stadtmenschen uns in unsere Höhlen verkriechen, denn was so ein echter Sturm ist, das wissen wir gar nicht. Seht, Kinder, es geht den Menschen so ähnlich wie den Fischen in der Meerestiefe. Die haben um sich und über sich den Wasserozean, und wir haben über uns den Luftozean und leben auf seinem Grunde. Und wie der Fisch auf dem Trockenen ersticken muß, so wir, wenn man uns aus dem lufterfüllten Raum herausnehmen würde. Und wie im Meere gewaltige Strömungen sind, so im Luftmeer. Die Sonne aber ist es, die diese Luftströmungen macht. Sind sie gering, so nennen wir sie Wind, und sind sie stark, so heißen sie Sturm. Die Sonne erhitzt die Luft in heißen Ländern, und dann wird sie leicht und steigt empor, und von allen Seiten strömt dann die schwerere kalte Luft herbei, und so entstehen Wind und Sturm. Wenn man in einem ganz schnell fahrenden Eisenbahnzug sitzt, dann saust man in jeder Sekunde fünfundzwanzig Meter dahin, die Stürme aber 206 rasen mitunter fünf- und sechsmal schneller über die Erde, und dann zerstören sie alles, was Menschen geschaffen haben, und sind gefährliche Bösewichter. Davon aber will ich euch heute etwas erzählen. Rückt näher herzu und spannt eure Lauscher weit auf, denn jetzt kommt die Geschichte von den Stürmen!

Die wilden Brüder Sturm sahen sich das ganze Jahr nicht. In allen fünf Weltteilen wirbelten sie umher und plagten die Menschen, aber an einem ganz bestimmten Tage mußten sie kommen und dem Wettergott Bericht erstatten, und dann war es ruhig in der Luft, kein Blättchen regte sich, und die Matrosen auf den großen Segelschiffen, die weit hinüberfahren nach Westindien, brannten sich behaglich die Tonpfeifen an und freuten sich, daß sie nicht viel zu tun hatten. Immer an diesem Tag im Jahre kamen die Winde zusammen. Sie trafen sich auf dem Berge Demawend, tief unten in Persien, der über viertausend Meter hoch in den Himmel strebt. Da war eine gewaltige Höhle tief in den Felsen eingegraben, um den die Wolken zogen wie Vögel um den Kirchturm. Am frühen Morgen schon war der erste der Gebrüder Sturm erschienen. Es war der Samum oder Sandsturm. Der hatte es nicht weit. Er kam geradeswegs aus der heißen Wüste Afrikas, der Sahara, und war quer über das Mittelländische Meer geflogen. Die Perser, die da drunten umherwanderten mit ihren großen Lammfellmützen, wunderten sich, wie warm es plötzlich wurde, denn der Samum brachte einen ganzen Strom Sonnenglut aus seiner heißen Heimat mit und schüttelte gelben Wüstensand aus seinen mächtigen Schwingen, so daß die ganze Luft davon erfüllt war und die Perser ihn zwischen den Zähnen knirschen fühlten.

Wie der leibhaftige Teufel fuhrwerkte er in die Höhle des Demawend hinein. ›Bei Allah!‹ schrie er. ›Welch eine Hundekälte ist hier oben. Nicht zum Aushalten. Da lob' ich mir meine Wüstensonne und den schönen heißen Sand, in dem sich Löwen und Schakale sonnen und die Schlangen ihre Eier ausbrüten. Welch ein elendes Loch das ist! Außerdem bin ich wieder der erste am Platze. Eh die anderen Kerle kommen, werde ich einen schönen Schnupfen weghaben.‹

Darauf schlug er seine breiten Schwingen wie einen Mantel um sich, kauerte verdrießlich in der äußersten Ecke nieder und träumte vor sich hin.

Gegen Mittag rauschte und brauste es in der Höhe, als seien tausend 207 Teufel losgelassen. Die Wolken jagten Sturmvögeln gleich von dannen, der Regen prasselte wie ein Trommelwirbel, der Donner rollte wie Geschützfeuer von hundert Kanonen durch die Berge, und der flammende Strahl des Blitzes zuckte blendend von den Wolken zur Erde. Inmitten eines grauslichen Hagelschauers kam der zweite der Brüder angefegt, der Orkan oder Gewittersturm.

Lachend, und Regen und Hagel wie einen Gießbach von seinen bleigrauen Flügeln schüttelnd, tobte er in die Höhle hinein. ›Pfui Teufel‹, schnauzte er, ›was für eine vermaledeite staubige Luft ist hier drinnen. Beim Vater aller Meere, da wird einem ja die Kehle trocken!‹

Da erkannte er endlich den Samum in seiner dunklen Ecke. Er stürmte auf ihn zu. ›Bruderherz‹, schrie er mit donnerndem Lachen, ›da bist du ja, altes Wüstensandfaß! Zum Millionen-Donnerwetter, daher die Stickluft! Aber es macht nichts, sei mir gegrüßt, Sohn der Sonne!‹

›Bei Allah und den Propheten, bleib mir vom Leibe‹, zischte der Samum, ›welch ein Betragen! Dieses Gepauke und Geblitze, diese Flut von Wasser. Es ist gräßlich. Du riechst nach Fischen und Teer! Bleib mir vom Leibe, du weißt, ich kann die Nässe nicht vertragen. Das nächstemal werden wir uns bei mir im Lande treffen, damit du erst einmal trocken wirst.‹

Der Orkan lachte gutmütig. ›Du bist noch immer der alte Ofenhocker, mein Junge‹, sagte er, ›die ganze Bude hier ist voll Wüstensand, und man sieht nachher wieder aus wie ein Mehlsack, wenn man ins Freie kommt!‹

So nörgelten sie noch eine ganze Weile miteinander, bis ein immer stärker werdendes Geräusch ihnen die Ankunft des dritten Bruders anzeigte. Der kam näher und näher, und erschreckt flohen die Menschen drunten in ihre Häuser. Es brüllte in der Luft und rauschte, als wälze sich ein ganzer Ozean heran, Der Himmel war nach Osten zu schwefelgelb, und von Westen her kam eine ungeheure schwarze Wand herangebraust, aus der ein Wolkentrichter bis auf die Erde reichte. Dieser Trichter drehte sich mit rasender Geschwindigkeit, und er saugte alles in sich hinein, über das er hinwegzog, Sand und Kräuter, Dachziegel und Wasserpfützen, und was nicht mitging, das brach er krachend ab, so daß die Bäume unter ihm zusammenknickten wie Zündhölzer. Der Tornado oder Wirbelsturm war es, der 208 verheerend daherkam. Nun aber hatte er die Höhle erreicht, und wie aus der Kanone geschossen fuhrwerkte er hinein.

Sein Ungestüm war derart, daß der Samum aus seiner Ecke fortgeweht wurde und heulend bis an die Decke der Höhle flog. Den Orkan aber drehte es wie einen Kreisel rundum und kollerte ihn in einen Winkel.

›Himmelhund!‹ fluchte er. ›Das sind wohl amerikanische Ringkämpfermanieren! Laß das, zum Teufel!‹

Der Samum heulte wie ein Schakal vor Wut und spie eine wahre Flut arabischer Schimpfworte gegen den groben Bruder. Der aber lachte in tiefem Baß wie ein Bär aus vollem Halse und schrie ein über das andere Mal:

›Good day, my dear brothers!‹Guten Tag meine teuren Brüder! Denn er war ein echter Amerikaner und kam eben aus Kalifornien herüber.

Seine Brüder aber schimpften noch lange mit ihm herum, und es war ein Höllenspektakel in der Höhle. Der Tornado aber machte sich nicht viel daraus, rauchte sich eine kurze Stummelpfeife an und schnitzte zum Zeitvertreib mit seinem Taschenmesser aus einem Eichenstamm, der sich zwischen seinen Flügeln festgeklemmt hatte, Zahnstocher.

Gegen Mittag, wo es sonst schön warm war im Perserlande, kühlte es sich plötzlich stark ab. Es wurde kälter und kälter, die Sonne verschwand, und hoch droben bildeten sich niedliche Federwölkchen, die aus lauter Eisnadeln bestehen. Dann aber fing es in der Höhe an zu schneien, erst langsam, dann immer stärker, und endlich kam mit einem eisigen Winde, der das Blut in den Adern gefrieren machte, ein undurchdringliches Schneetreiben, so daß man keine fünf Schritte weit sehen konnte. Aus weiter Ferne kam der vierte Bruder daher, der Blizzard oder Schneesturm.

Er war der älteste der Gebrüder Sturm. Weiß waren Haar und Bart, lange Eiszapfen hingen daran herunter, flimmernde Schneemassen bedeckten seine Flügel, und Eisklumpen hingen an den Füßen. Wo sein Atem hinkam, erstarrte alles Leben. Gemächlich trat er schnaufend in die Höhle.

›Seid mir gegrüßt, Brüder, in der Höhle des Demawend!‹ sagte er und schüttelte den Schnee von seinem Körper. 209

Die Höhle war urplötzlich mit eisiger Kälte gefüllt, und sofort jammerte der Samum wieder los: ›Beim Barte des Propheten, du hast hier noch gefehlt! Welch eine entsetzliche Kälte. Ich komme um!‹ Damit kroch er in eine Felsspalte, um sich nach Möglichkeit vor dem erstarrenden Hauch seines Bruders zu schützen. Auch der Orkan brummte über den Eisbären, denn sofort gefror das Regenwasser, das noch von seinen Flügeln tropfte.

Aber ehe der Blizzard noch antworten konnte, wurde es plötzlich seltsam still; alle Bäume und Büsche weit und breit verneigten sich, eine erhabene Gestalt wurde im Höhleneingang sichtbar, der Herr aller Winde erschien, der Wettergott höchstpersönlich. Da erhoben sich die vier Brüder und grüßten in Demut. Der Gott des Wetters hob die Hand, sein Auge flammte auf, er ließ sich auf einer Steinplatte nieder und hub also an:

›Ein hohes Amt ist mir vom Herrn der Welt verliehen! Es wird Segen oder Unsegen, je nachdem, wie ich's verwalte, denn alles, was da kreucht und fleucht, grünt und blüht auf dem Erdenrund, auch das Wohl der Menschen und ihre Gesundheit wie ihre Ernten hängen vom Wetter ab. Ihr, die ihr meine Diener seid, seid mir Rechenschaft schuldig über euer Tun! Viel Klage und Anklage wird vorgebracht über die Brüder Sturm! Die Menschen beschweren sich beim Herrn der Welt, Neptun, der Gott des Meeres, ist voll Zorn, weil ihr sein Reich aufrührt, Flora und Fauna klagen euch an. So laßt hören, was ihr zu sagen habt!‹

›Den Menschen kann man es nie recht machen‹, brummte der Orkan. ›Schläft man oder bläst man zu wenig, so klagen sie, daß das Korn nicht wächst und die Bäume keine Früchte tragen und die Segelschiffe nicht vorwärts kommen und die Windmühlen stillstehen. Tut man mal einen ordentlichen Schnaufer, so ist es ihnen auch nicht recht. Da sollen sie sich halt das Wetter selber machen!‹

›Ja, so ist es‹, sagte der Tornado. ›Die Menschen sind undankbar, und Flora ist eine zimperliche Jungfer, die über jedes abgeknickte Bäumchen anfängt zu greinen!‹

›Macht euch nicht besser, als ihr seid, ihr wilden Burschen‹, entgegnete der Wettergott. ›Mir macht ihr nichts vor! Aber nun wollen wir nicht unnötig Zeit verlieren! Berichtet eure Schandtaten!‹

Da hockten die vier Winde in der Mitte der Höhle des Demawend nieder, und der Jüngste von ihnen, der Samum, hub an zu erzählen: 210

›Eines Tages ging nicht alles, wie es sollte, und die Menschen hatten da wohl recht, über mich zu klagen, aber es geschah nicht mit Absicht. Ich lag auf dem Berge Mogodom, in der Oase Kauar, und schlief. Unter mir dehnte sich weit in die Ferne das mächtige Sandmeer der Wüste Sahara. Die Sonne brannte unbarmherzig nieder. Die Steine waren so heiß, daß sie die Gräser versengten. Schlangen und Krokodile lagen träge und mit offenen Mäulern da, und ein alter Löwe, den die Hitze aus dem heißen Sande vertrieben, träumte neben mir im Schatten eines dürren Dattelbaumes. Der stinkende grüne Tümpel der Oase, in dem die Krokodile faulenzten, dampfte vor Hitze. Es war totenstill ringsum.

Am Nachmittag, als die Sonne sich senkte, wachte ich auf. Der Löwe neben mir, die Schlangen im Sande, die Krokodile im Tümpel schliefen noch immer, und es war furchtbar langweilig. Da sah ich weit in der Ferne eine Kette dunkler Punkte ganz langsam im heißen Wüstensande dahinschleichen, und die Neugierde trieb mich, zu sehen, was es sei. Zudem war es auch Zeit, an die Arbeit zu gehen. Es war seit Wochen glühheiß und trocken, alles verdorrte. Ich mußte ein wenig mit dem großen Quirl im Luftmeer herumwühlen, vom Meere her Feuchtigkeit herzutragen, vielleicht, daß es mir gelang, einen Regen zusammenzubrauen. Da erhob ich mich denn gegen Abend, breitete die Flügel aus und schwirrte davon, der Kette von Punkten zu, die noch immer in der Ferne langsam dahinkroch.

Gewaltige Massen glühendheißen Staubes und Sandes rissen meine Schwingen mit. Die ganze Luft war davon erfüllt, so daß der Himmel tiefgelb erschien und die Sonne einen rostroten Schein annahm. Alle Tiere krochen in ihre Höhlen, und als ich nun jener Punktreihe näher kam, sah ich, daß es eine Karawane von Kaufleuten war; zehn Kamele führten sie mit sich, und nebenher ritten Beduinen in weißen Mänteln. Als sie mich in der Ferne in meinem rotgelben Staubschleier dahinstürmen sahen, warfen sie sich nieder in den Wüstensand, der unabsehbar in lauter Wellen sich türmte, bis fern am Horizont. Die Kamele drängten aneinander und ließen sich nieder auf die Knie, und zwischen ihnen lagen die Menschen, das Gesicht zum Erdboden gewendet. Ich aber brauste über sie dahin wohl drei Stunden lang, dem Meere zu, und achtete ihrer nicht. Hätte ich gewußt, daß der glühendheiße Atem sie ausdörrte, daß der unaufhörlich auf sie niederrieselnde feine Sand 211 sie begrub, ich hätte einen anderen Weg genommen. Wer kann wissen, daß die Menschen so empfindlich sind, und weshalb wagen sie sich in das Sandmeer, wenn sie so leicht darin zugrunde gehen!

Ich aber schwirrte weiter und weiter, über die tripolitanischen Berge, über Tunis und die immergrüne Oase Biskra, über die weißen Häuserreihen der Stadt Constantine, und überall, wo die Menschen mich kommen sahen, wo mein Staubmantel die Sonne rostbraun färbte, das Klingen und Singen der Milliarden wirbelnder Sandkörnchen in der Luft Botschaft brachte vom Wüstensohne Samum, da eilten sie erschreckt in die Hütten und Häuser.

Bei Sonnenuntergang stand ich am Ufer des Mittelländischen Meeres. Der Staub war meinen Flügeln entglitten, und ich war müde. 212 Ich war an der Grenze meines Reiches und meiner Macht. Ich verschnaufte ein wenig und kehrte um. Der Mond stand schon am Himmel, und bleich lag das Sandmeer der Wüste vor mir, als ich wieder jene Stelle kreuzte, an der ich der Karawane begegnet war. Ein verwehter Hügel nur war erkennbar, aus dem die Gebeine der schwerbeladenen Kamele herausschauten und da und dort das Gesicht eines Menschen starr und grünlich im Mondenschimmer leuchtete.‹

Der Samum schwieg. Der Wettergott schüttelte bedenklich sein würdiges Haupt. ›Man hört selten etwas Gutes von dir‹, sagte er, ›überall in der Wüste bleichen die Gebeine von Menschen und Tieren, die dein heißer Atem erstickte und die du im Sande begrubst. Geh mir aus den Augen jetzt! Wir rechnen noch miteinander ab!‹

Da zog sich der Samum gekränkt in eine Felsenspalte zurück und murmelte unverständliche arabische Flüche vor sich hin. Dann aber nahm sein Bruder, der Orkan, das Wort.

›Ich‹, sagte er, ›habe das ganze Jahr hindurch meine Plage. Bruder Samum haust in wenig bewohnten Gegenden, und bei ihm geht es das ganze Jahr gleichmäßig zu. Er ist ein Faulenzer. Ich aber habe alle Hände voll zu tun, und in meinem Reich sind große Wälder und Felder und Städte und Meere mit vielen Schiffen. Blas' ich zu wenig, laß ich's nicht genug regnen, dann ist die Ernte schlecht. Dreh' ich den Wasserhahn mal ordentlich auf und schnaufe mal so recht aus voller Brust und blitze und donnere, dann geht wieder alles zum Teufel auf den Feldern, und die Bauern laufen gleich in die Kirche und beschweren sich beim Himmelsvater. Am schlimmsten aber sind die Schiffer! Da fahren sie mit ihren Nußschalen auf dem großen Weltenmeer herum, und wenn man sie mal mit dem Frackschoß streift, gleich ist das Unglück fertig!

Einst, als ich so über Deutschland dahinschwebte, sah ich, daß die Frau Sonne mal wieder eine Seite im Kalender überblättert und viel zu stark eingeheizt hatte für die Jahreszeit. Die jungen Bäumchen ließen in ihrem Durst die Ohren hängen, und die Blumen sahen blaß und kränklich aus, die Saaten auf den Feldern standen schlecht. Da trieb ich mir dann den Wasserdunst, der reichlich aus Meeren, Seen und Flüssen aufstieg, zusammen, trieb ihn empor, kühlte ihn ab und schuf die schönste, graublau und weiß gemusterte Wolkendecke, so daß die Sonne ihre Strahlenpfeile nicht mehr herniedersenden konnte auf die 213 verschmachtende Erde. Und dann ließ ich es so ganz langsam und bedächtig trippeln und tröpfeln.

Unten, in den Dörfern, standen Bauer Jochen und Krischan Päsel, nahmen die Piepe aus dem Munde, nickten bedächtig mit dem Kopfe und sagten: 'Man tau! Dat is höchste Tid!' In der Stadt schimpften natürlich wieder ein paar vornehme Damen, daß ich die Spitzenkleider und die neuen Sommerhüte ruiniere. Auch eine Schar Kinder, die mit Lehrer Meier einen Schulausflug machte, erhob ein zorniges Geschrei. Sie streckten die Zungen heraus, zu den Wolken empor, und sagten: 'Sechs Wochen war Sonnenschein; heut natürlich gießt es Feuereimer!'

Bauer Jochen und Krischan Päsel aber standen noch immer da unten, pafften ihren Kanaster, spuckten links und spuckten rechts und sagten: 'Dat is vör de Katz! Man en beten döller!' 214

Kann man's den Menschen recht machen? Da wurde ich ärgerlich, drehte alle Schleusen auf und ließ es gießen wie am Sintfluttage. Und dann kramte ich die alte Donnerbüchse raus und die Hageltrommel und musizierte ein Gewitter, daß es eine Lust war. Die Menschen in den Städten rannten wie besessen, als ich so daherpfiff. Tante Jules falscher Zopf, Lehrer Meiers neuer Hut und die zum Fenster herausgeflogenen Gardinen der Frau Wirklichen Geheimen Staatsrätin wirbelten mitten auf dem Schillerplatz einen steirischen Dreher, und alle Regenschirme schnappten über vor Vergnügen. Der Volksgartenwirt, der so dick war wie ein Weinfaß, war puterrot vor Zorn. 'Herr des Himmels', schrie er, 'wer wird nun heut abend kommen, mein schon etwas saures Bier trinken und den schon nicht mehr frischen Hammelbraten essen? Ich bin ein geschlagener Mann.' Die Droschkenkutscher und Schirmflicker aber jubelten: 'Immer feste! Das gibt Geld in den Beutel!'

Wem kann man's recht machen?

Während ich so über das Festland dahinzog, über Oder und Elbe, über Weser und Rhein und die Wälder erfrischte, die Saaten tränkte, die heiße Stickluft aus den Städten verjagte, hatte ich aber nicht genug acht auf die See. Kann man seine Augen überall haben, gleichzeitig Obacht geben auf den falschen Zopf der Tante Jule, die Birnbäume in Jochens Garten und den Frachtdampfer 'Nordstern', der da von Schweden nach England unterwegs ist und sich den Klippen nähert? – Ich brauste dahin mit Blitz und Donner, die Sonne war schon untergegangen, die blaugrauen Wolkenmassen hingen tief hernieder, man sah keine tausend Meter weit. Zu spät erst entdeckte ich plötzlich in der Ferne die roten und grünen Signallaternen des 'Nordstern'. Der arbeitete mit aller Macht seiner Maschinen gegen mich an. Aus seinen Schornsteinen quoll wie Schafwolle der dicke, schwarzbraune Qualm. Zuweilen hob eine Riesenwelle das Hinterteil des Schiffes weit aus dem Wasser, und die Flügel der blanken Schiffsschrauben rasselten dann in der Luft, daß man glauben konnte, das ganze niedliche Spielzeug würde zerbersten wie die Spieluhr eines Knaben, die von hoher Felsenwand in eine wilde Felsschlucht stürzt.

Die kleinen Menschlein waren wacker und mutig und arbeiteten aus Leibeskräften, und man mußte alle Hochachtung vor ihnen haben. Gern wäre ich ihnen zu Hilfe gekommen, aber es war zu spät! Das 215 Schiff wurde mit voller Wucht gegen eine Felsenklippe geworfen, nahe der englischen Küste. Es zersplitterte, lief voll Wasser, kippte auf die Seite. Die Menschlein wurden fortgespült wie Zündhölzchen. Einige wurden auf die Klippen geworfen und kamen wohl mit dem Leben davon, die meisten aber versanken lautlos im tiefen Meer. – Ich bemitleidete sie, aber ich konnte ihnen nicht helfen. Es ist das Unglück der kleinen, schwachen Geschöpfe, daß sie sich mit ihren niedlichen Spielsachen mitten hineinwagen in den Kampf der Elemente!‹

Der Orkan schwieg, und der Wettergott krauste mißbilligend seinen grauen, wehenden Bart. ›Ich zweifle nicht‹, sagte er, ›daß du etwas Gutes tun wolltest, aber dein Ungestüm hat dich dazu verleitet, Unheil anzurichten. Ich habe meine Plage mit euch, ihr wilden Brüder, wie werde ich euch am besten in Ordnung halten!‹

Der Orkan maulte; ›wenn die Ameisen sich just da ansiedeln, wo die Elefanten spazierengehen‹, entgegnete er, ›dürfen sie sich nicht wundern, wenn sie eines Tages ums Leben kommen! Wo gehauen wird, fallen Späne. Wie soll ich den Pelz waschen, wenn ich ihn nicht naß machen darf!‹

Die hellen grauen Augen des Wettergottes blitzten auf. ›Schweig!‹ rief er zornig. ›Alles muß man mit Maß und Ziel machen! Wo kämen wir hin, wenn jeder in der Welt wie ein Boxer um sich schlagen wollte!‹

Nun sprang der dritte der Brüder auf, der Amerikaner, der Tornado, der Wirbelsturm. ›Gerechtigkeit, hoher Herr!‹ brüllte er. ›Die Menschen sind ein widerspenstiges und freches Gezücht, besonders da drüben bei mir in den Staaten! Da rühmen sie sich, die Naturkräfte besiegt zu haben, Meister der Welt zu sein, diese Knirpse mit ihren Kartenhäusern, ihren blinkeblanken Spielsachen, die auf dem Meere fahren, auf eisernen dünnen Bändern bis hoch in die Berge hineinklettern mit ihren piepsenden und fauchenden Wasserkochern. Da spannen sie ihre kupfernen Spinnfäden hinaus in alle Lande, und in letzter Zeit werden sie immer dreister und fahren hoch oben in den Wolken mit mächtigen aufgeblasenen Würsten und schnurrenden Spindeln umher. Zudem schießen sie mit künstlichem Blitz und Donner Eisenstücke in die Luft. Sollen wir uns all das von diesen Ameisen gefallen lassen und gar noch Rücksicht darauf nehmen?

Ihr wißt, ich mache es nicht wie ihr, ich blase nicht, sondern da, wo ich am stärksten wirken will, da sauge ich! Wie ein ungeheurer 216 Elefantenrüssel hängt mein saugender, ständig wirbelnder Wolkentrichter aus der Höhe nieder, und alles, was ihm in den Weg kommt, das saugt er schlürfend ein, reißt er hoch empor, um es irgendwo wieder krachend niederzuwerfen. Was aber nicht gutwillig mitgeht, das zerbricht meine eiserne Gewalt. Nur schmal ist das Gebiet meiner Macht, aber dort bin ich auch ein unerbittlicher Herrscher, der Menschenwerk nicht schont. Die Spur meines Weges ist sichtbar wie die einer Sense, die eine tiefe, kahle Furche durch das Kornfeld zog.

Von den Höhen des Felsengebirges im gesegneten Lande Kolorado brach ich auf. Von Gipfeln, die im ewigen Schnee wie Silber glänzen, stieg ich an einem heißen Maitage nieder. Langsam zunächst schraubte ich mich durch die Felsentäler. Hinter mir war der Himmel wie eine Mauer, blauschwarz und drohend. Die wilden Bergmassen des Felsengebirges boten mir trotzig die Stirne, suchten meine Wucht zu brechen. Aber meine Kraft wuchs von Minute zu Minute. Mit der vierfachen Geschwindigkeit eines Schnellzuges rannte ich gegen die steinernen Wände. Jahrhundertealte Bäume, dick wie Tempelsäulen, zersplitterte mein Zorn. Ein Eisenbahnzug, aus der Kansasebene emporkeuchend zu den Felsen, kam mir in den Weg. Er fauchte an steiler Wand mit seinen zwei Riesenlokomotiven immer weiter bergan, unter sich Abgründe mit rauschenden Bergwassern, die über gefallene Riesenbäume hinwegtobten, die schon zu Zeiten hier lagen, als die Menschen noch keine Eisenbahnen kannten. Ich rannte gegen das rollende Spielzeug an, so daß es zu stürzen drohte. Es kreischte wild auf. Die Bergmassen warfen seinen Schrei tausendfach wider, aber er ging unter in dem Dröhnen und Brausen der Luftmassen, die ich durch die Felsenschluchten schleuderte. Ich duckte mich nieder zu neuem Sprunge, rannte aufs neue gegen die rollende Schlange. Die Fenster der Wagen zersplitterten. Da und dort flog ein Wagendach ab und segelte wie ein Fetzen Papier zur Tiefe. Dann trat der Zug in einen Tunnel ein. Er hielt! Er gab den Kampf mit mir auf. Nur die letzten Wagen der Schlange schauten noch aus dem dunklen Felsenloch hervor.

Ich hatte nicht Zeit, ich mußte weiter, aber noch einmal sprang ich ihn an. Fünfmal schneller als ein Schnellzug warf ich meine breiten Flügel gegen das Menschenspielwerk. Meine Kraft war so stark, daß ich auf jeden Quadratmeter mit einer Wucht von fünfzehn Zentnern 217 drückte. – Rasselnd wankten die beiden letzten Wagen des Zuges, vollgefüllt mit Gepäck und Post. Sie stürzten, die eisernen Verbindungen rissen, sie kollerten von dem glänzenden Schienenstrang herunter, über die Felsenwand hinweg in die finstere Schlucht. Wie Zündholzschachteln sah ich sie tief unten verschwinden.

Felsblöcke schleuderte ich hinterher und haushohe Tannen. Dann hatte ich den Rand des Gebirges erreicht und stieg nieder in die Ebene. Düster und drohend stand mein blauschwarzes Wolkenheer ringsum und machte den Tag zur Nacht. Wie einen Elefantenrüssel steckte ich meinen dunklen, alles zerbrechenden, alles aufsaugenden, sich ständig in wildem Wirbel drehenden Lufttrichter nieder zur Erde. Vor mir lagen die großen Viehweiden von Texas. Büffelherden flohen vor meinem alles ergreifenden Arm, verwegene Reiter auf schnellen Pferden jagten über die Grassteppen, um mir zu entkommen. Hier aber konnte ich mit voller Kraft, ungehindert durch Felsenwände, dahinschwirren. Ein Wäldchen stellte sich mir entgegen, ich knickte es wie ein Elefant die Gräser, die seinen Lauf hemmen wollen. Ich schraubte mit meinem Rüssel hundertjährige Bäume hoch in die Luft, trug sie mit mir, warf sie wie Besen mitten in die enteilenden Viehherden hinein. Ein Rancho stand da drunten, ein hölzernes, einstöckiges Landhaus mit Garten darum. In ihm wohnten die Besitzer der Viehherden und ihre Leute. Ich nahm eine Tanne, warf sie wie einen Speer durch die Bretterwand. Die kleinen Menschlein, die sich immer rühmen, daß sie die Naturkräfte beherrschen, lagen blaß und zitternd am Boden. Da wandelte mich die Lust an, ihnen zu zeigen, daß die Naturkräfte noch immer Selbstherrscher sind auf Erden. Ich rüttelte und schüttelte ihr Wohnkästchen wie eine Maikäferschachtel, riß es mit einem ganzen Stück Gartenboden ab, mein saugender Rüssel faßte es, hob es empor und setzte es einige hundert Meter weiter in einem Wäldchen wieder nieder, wobei allerdings die ganze Sache ein wenig durcheinanderkamDiese sowie andere hier erzählte Sturmwirkungen sind in der Tat so geschehen.. Ich tat es so sanft wie möglich, denn es lag mir nicht daran, die Menschlein in der Holzkiste zu töten, sondern ihnen eine Lehre zu geben. Ich glaube, sie haben sich doch etwas gewundert, die klugen Ameisen!‹

›Allah ist groß und seine Werke rühmen Himmel und Erde!‹ sagte der Samum. ›Der Bruder aus Amerika kann Märchen erzählen wie ein 218 Derwisch! Ein ganzes Haus durch die Luft tragen, das ist mehr, als die Propheten verkünden!‹

Der Wettergott hob die Hand. ›Leider ist das wirklich so geschehen! Wie ein Wilder hat er sich aufgeführt, Entsetzen ging durch die Welt, in Galveston kamen damals gegen fünftausend Menschen um, anklagend und um seinen Schutz flehend wandten sich die Geängstigten an den hohen Herrn der Welt, dem ich nun Rede und Antwort bringen soll. – Und was hast du zu berichten, Ältester der wilden Brüder? Ich hoffe, daß es weniger anklagend ist!‹

Der Blizzard strich seinen langen, vereisten Bart, räusperte sich und begann: ›Ich bin alt und grämlich geworden. Mir fehlt die Glut des Samums, die Frische des Orkans, die Kraft des Tornados. Ich trage ein Totenkleid und breite es, wo ich wandle, über die Erde. In blendendes Weiß hülle ich die Welt, und über Nacht verwandle ich die bunten Bilder, die der Maler Herbst mit vieler Mühe hinzaubert, in Schwarz-Weiß-Kunst. Ich bin friedlich, und doch muß auch ich Menschen und Tieren und Pflanzen weh tun! 'Der weiße Tod' nennen sie mich.

An einem Novembertage zog ich, als es mir auf den Höhen zu kalt wurde, schwer bepackt mit ungeheuren Schneewuchten durch Britisch-Kolumbien nieder zur Ebene. Als ich meine Schwingen ausbreitete, war der Himmel den Menschen verfinstert in eintönigem Grau, und am hellen Tage konnte man keine hundert Schritte weit sehen. Überall brannten die Menschen ihre Lichter an. Ich schüttelte meinen grauen Wolkenmantel, und ein Flockengestiebe begann, wie seiner die ältesten Leute der Gegend sich nicht zu erinnern wußten. In wenigen Minuten war die weite Welt in meine glitzernden Schleier von kristallenen Sternen eingehüllt. Der Schnee fiel so dicht, so schnell und schwer, daß niemand mehr Weg und Steg fand, meterhoch alles verweht war. Er fiel so dicht, daß es schien, als hüllte sich die Erde in eine weiße Dampfwolke. Niemand sah mehr etwas! Er sah den Baum nicht, der dicht vor seinen Augen stand, das Haus nicht, gegen das er im nächsten Augenblick anrannte.

Ein Viertelstündchen nur, und die Welt war nicht mehr wiederzuerkennen; kein Mensch konnte mehr laufen, kein Wagen mehr fahren. Unübersteigbare Schneemauern wehte ich zusammen. In den Straßen der Städte stockte alles Leben. Eiskalt pfiff ich daher und 219 warf meine spitzen Eisnadelgeschosse zu Millionen dem Wanderer ins Gesicht. Die Straßen verödeten. Die Häuser schneiten ein. Die schwere Last der Schneewuchten zerriß das Spinnennetz, mit dem die Menschen von Haus zu Haus sprechen; Dächer brachen ein, und von den schiefen Flächen und Gesimsen stürzten Schneeberge gewuchtig in die Tiefe.

Die Dörfer waren eingeschneit; bis zu den Dachsparren lagen die niederen Hütten im weißen Pulverschnee. Die Menschen versuchten sich herauszuschaufeln, aber mein eisiger Atem, der Anprall meiner spitzen Nadeln trieb sie zurück.

Eisenbahnzüge tobten mit heißer Wut, mit wildem Kreischen und Rädergerassel gegen mich an. Sie keuchten und schossen heiße Dampfstrahlen gegen mich. Ruhig drückte meine Hand die Spielwerke fest im glitzernden, weißen Meer. Da kreischten sie ihre Hilferufe in die Ferne, und andere Spielzeuge kamen, sie zu befreien! Es waren schnurrige Dinger. Sie sausten auf den Schienen dahin, stürzten sich mutig vorwärts. Ihr Dampf trieb große Flügelräder, die den Schnee in weitem Bogen seitwärts warfen. Sie pusteten und stöhnten, erlahmten, fuhren aufs neue wütend an. Ich ließ sie gewähren, bis sie ermattet und keuchend stillstanden und im weichen Schnee eingegraben waren, den sie vom Schienenweg räumen wollten, um den langen Zügen da draußen den Weg zu ebnen.

Alles stockte, alles erlahmte, nichts kam mehr vorwärts in dem wimmelnden Ameisengetriebe der Städte, und die Menschen waren verzweifelt über ihre Ohnmacht. Niemand kam in die Dörfer hinein, niemand heraus. Unablässig warf ich meine Schneewuchten nieder. Die Eisenbahnzüge staken ringsum fest in dem weißen Meer. Die Postwagen mit den Reisenden, die mitten in den stillen Bergtälern von mir überrascht wurden, versanken bis über die Achsen in den alles hemmenden Massen, und in ihnen saßen die Leute frosterstarrt als meine Gefangenen. Draußen auf der See verwandelte ich die Schiffe in abenteuerliche Gestalten. Ich bedeckte alle ihre Segel, ihre Masten und Rahen, ihre Geschütze und Winden, ihre Kommandobrücken, ihr Seilwerk mit ungeheuren Schneemassen, die langsam vereisten. Hilflos trieben sie einher, wie Schmetterlinge, die in ein Honigglas gefallen sind.

Die Hochwälder ächzten unter der Last der Schneewuchten, die die Wipfel trugen. Die Äste waren im scharfen Frost glasiert mit dicken Schneekrusten. Sie verloren ihre Biegsamkeit, und wenn ich durch 220 die Forsten sauste, zerbrachen Riesenbäume, gebeugt von der Last, wie Glasstangen. Ganze Bergwälder zerstörte der Schnee- und Windbruch, und es ging ein Klagen und Wimmern durch Tann und Eichforst.

Aber ich bin ein alter Mann! Nicht lange währt meine Kraft. Nach wenigen Stunden lag ich selbst ermattet am Rande der Hudsonbai. Die Welt hatte ich in blendendes Weiß verwandelt, mein Leichentuch deckte die Erde, doch die Sonne brach durch das Gewölk, und schon zerfraß sie die kunstvollen Eis- und Schneebauten, löste das Leben aus der Erstarrung.‹

Der Alte schwieg.

Der Wettergott strich mit finsterem Gesicht seinen langen Graubart. ›Es ist schwer‹, sagte er, ›euch gerecht zu werden! Gewiß, Gott der Herr schuf euch, wie ihr seid, die Taube kann nichts für ihre Sanftmut, der Tiger nichts für seine Wildheit, aber ihr seid das Böse und das Gute zugleich, nützlich und schädlich in Feld und Flur und im großen Garten alles Lebendigen auf der weiten Erde. Aber was ihr Gutes schafft, das notieren sich die Menschen nicht, und nur das Schlimme prangern sie an. Wenn der Wirbelsturm in Galveston fünftausend Menschen tötet, wenn er in Japan zwölfhundert Häuser niederreißt, in einer einzigen Stadt über tausend Einwohner vernichtet, mit solcher Wut daherrast, daß er selbst einen Ochsenwagen mitsamt den Tieren durch die Lüfte dahinträgt und ein ganzes Landhaus, Kirchtürme und hohe Fabrikschornsteine umlegt, so wird er zum leibhaftigen TeufelBezieht sich auf den Wirbelsturm zu Galveston vom Jahre 1900 und auf den Orkan der 1908 Japan überzog..

Ich werde dem Herrn der Welt Bericht erstatten! Wundert euch nicht, wenn er euch in die Verbannung schickt, wo ihr Buße tun müßt, bis ihr euch gebessert habt. Nun aber kehrt zurück in eure Heimat, denn ganz ohne Wind kann die Welt nicht sein!‹

Der Wettergott erhob sich, winkte mit seiner mächtigen Hand und verschwand hoch droben im Blauen. Betreten schwiegen die vier wilden Brüder, es war ihnen nicht wohl zumut. Dann aber machten sie sich reisefertig und breiteten ihre Schwingen.

›Allah sei Preis, daß ich aus eurer kalten Gegenwart erlöst werde!‹ sagte der Samum. Er kroch hinaus ins Freie und verschwand. Wärme um sich breitend, gen Süden. 221

›Lebe wohl, Wüstensandfaß!‹ schrie ihm der Orkan nach und brauste mit rollendem Donner und Regengüssen nach Westen zu, dem Lande Europa entgegen.

›Wir haben ein gutes Stück Weges gemeinsam, Eisbart‹, brüllte der Tornado. ›Auf zum Dollarlande!‹

›Du gehst mir zu schnell‹, winkte der Blizzard ab, ›und außerdem ginge es den Menschen übel, wenn wir beide gleichzeitig über ihr Reich hinwegzögen. Geh nur voran, wilder Bursche!‹

Da heulte der Amerikaner mit Getöse davon, und noch von weitem hörte man ihn brüllen: ›Lebe wohl, alter Griesgram und Nußknacker!‹

Dieser jedoch zögerte noch ein Weilchen, dann aber flog er in großen Höhen bedächtig seiner fernen Heimat zu, und Schneesternchen rieselten nieder auf die wilden Felsengipfel des Kaukasus.

Die Menschen drunten hörten stundenlang ein wunderliches Brausen hoch droben, wo die Adler kreisen: das Wanderlied der Stürme.

Seht, Kinder«, sagte der alte Ulebuhle, »das war die Geschichte von den Stürmen! Hört ihr, wie der Orkan auf den Schornsteinorgeln spielt? Zieht die Mützen über die Ohren und knöpft die Mäntel zu, und dann trabt heim. Liegt ihr dann im warmen Federbett und hört den Wind an den Fensterladen winseln, so gedenkt im Herzen jener, die da draußen in der weiten Welt, im Ozean, in Felsenbergen, im Sandmeer der Wüste ankämpfen gegen die wilden Burschen aus der Höhle von Demawend.« 222



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