Bruno Hans Bürgel
Die seltsamen Geschichten des Doktor Ulebuhle
Bruno Hans Bürgel

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Die fünf Maler

Mein Reich« – so sagte einst der König Miditrates von Illyrien– »ist doch das schönste von allen. Hoch ragen seine Berge in den Wolkenkranz, weit dehnen sich seine fruchtbaren Ebenen, von breiten Strömen durchzogen, und alles umschließt das blaue Meer. Ich will es in all seiner Schönheit von einem großen Künstler malen lassen, und wer es am herrlichsten darstellen kann, der soll meine Tochter zur Frau haben, der soll mein Eidam sein.« –

Da traten des Königs Räte zusammen und verkündeten aller Welt in wohlgesetzten Worten des hohen Herrn Entschluß.

Von allen Seiten kamen die großen Künstler daher und durchreisten das schöne Land, um all seine prächtigen Landschaften in Augenschein zu nehmen, damit sie die besten und malerischsten Punkte herausfänden, um sie auf die Leinwand zu zaubern, des Königs Beifall zu erringen, den hohen Preis zu gewinnen. Denn Eurykleia, des Fürsten einziges Kind, war jung und anmutig wie die Mondgöttin. Sie war der Absicht und dem Wunsche ihres Vaters auch nicht entgegen, denn aus den kriegerischen Prinzen der Nachbarländer und all den rauhen Heerführern und listigen Staatsmännern am Hofe von Illyrien machte sie sich wenig. Ein Mann der schönen Künste wäre ihr gerade recht gewesen. –

Ein ganzes Jahr hatte König Miditrates den Künstlern Zeit gegeben, sein Land zu bereisen und seine Schönheit im Bilde festzuhalten. Und hier und dort, in aller Heimlichkeit, um sich von den Mitbewerbern nicht ausspähen zu lassen, waren die großen Meister der Farbe und des Zeichenstiftes am Werk. Im nächsten Maien erst sollte der Tag der Entscheidung festgesetzt werden, den sie alle, der König und seine Tochter, die Künstler und die Räte, die Edlen und das Volk, mit Spannung erwarteten.

Als die Schwalben wieder ins Land kamen und die Büsche wieder grünten, da waren die Künstler mit ihren Werken fertig. Die letzte Entscheidung hatte sich der König selber vorbehalten, denn wie alle 82 Könige glaubte er, daß er am meisten von der Kunst verstände. Aber all die hundert Bilder, auch die vielen minder guten, zu beschauen, dazu hatte er keine Lust, und so traten denn die Preisrichter und Sachverständigen zusammen, um die Spreu vom Weizen zu sondern und erst einmal das Allerbeste herauszusuchen, über das der Herrscher dann selber das letzte Wort sprechen sollte.

Da zogen denn viele junge und alte Meister, die der gestrengen Prüfung ausgesetzt waren und deren Werke verworfen wurden, betrübt von dannen, und gar mancher zerschnitt in seinem Ärger das Bild, das er geschaffen, und zerbrach Pinsel und Palette.

Nur vier Werke blieben übrig, denn sie waren von überwältigender Schönheit, gleich herrlich in Zeichnung und Farbe, und doch ein jedes vom andern so verschieden, daß es sehr schwer war, zu entscheiden, welchem man den Siegespreis zuerkennen müßte. Noch ein fünftes Bild von hoher Eigenart stand vor den Richtern, und lange schwankten sie, ob man es nicht doch den andern vieren zugesellen sollte. Es stammte von einem Künstler, der Lunatius hieß, ein Name, der in der Sprache des Landes soviel bedeutete wie der »Mondmann«. – Es waren gleich viel Stimmen dafür, es abzulehnen wie anzunehmen. Schließlich ließ man das Los entscheiden, und es fiel glücklich für den Maler Lunatius aus. So waren es fünf Bilder, die in dem weiten, prunkvollen Festsaal des Schlosses aufgestellt wurden. Jedes von ihnen nahm fast eine ganze Wand ein, denn die Künstler wollten das Große auch groß darstellen, und die Augen der Beschauer sollten in einem Meer von leuchtenden Farben selig ertrinken.

Noch standen die Bilder verhangen hinter dunklen Gardinen, die ihre Pracht verbargen, aber endlich kam im schönen Maien, da alles blühte, der Tag der Entscheidung. Weit öffneten sich die mächtigen Torflügel des Palastes; die Hallen, bedeckt mit Marmelstein, taten sich auf, und alle Räume füllten sich mit schönen Herren und Frauen in Samt und Seide, mit Fürsten und Edlen, Kriegern und Räten, und auch die ernsten Gesichter der Weisen, die in wallender Toga würdig daherschritten, fehlten nicht.

So drängte alles in den prunkenden Festsaal, durch dessen hohe Bogenfenster das Licht in breiten Fluten sich ergoß, wie es sein muß, wenn man das Farbenwunderwerk eines großen Künstlers recht betrachten will. 83

Und Gold und Gefunkel, Samt und Seide, Spitzenwerk und Flittertand wogten durcheinander und spiegelten sich in hohen Marmorwänden. Vom Altan aber, unter der goldgetäfelten Decke, fiedelten die Geigen, tönten die Harfen und jubilierten die Flöten.

Endlich hatte sich alles versammelt; die Räte standen schon links und rechts von den elfenbeinernen Thronsesseln, da öffneten sich die wuchtigen Türen, die zu den Gemächern des Königs führten, und auf breiten Teppichen schritt Miditrates, seine liebreizende Tochter am Arm führend, zu seinem Sitz. Die Musik rauschte huldigend auf, alles verneigte sich, der König dankte, mit großer Gebärde weithin mit der Hand über alle Köpfe winkend, und dann setzte er sich nieder auf den alten Thron seiner Väter, und die schöne Eurykleia nahm neben ihm Platz. Kein Wunder, daß sie ein wenig blaß erschien und die Augen ein wenig nachdenksam zu Boden blickten, denn der Augenblick war da, der über ihr Lebensglück entscheiden sollte, über den Gemahl, den man ihr antrauen würde.

Noch waren die fünf Bilder dicht verhangen, noch waren die Künstler nicht im Saal erschienen. In einem Nebengemach warteten sie auf ihren Ruf. Der König sprach noch mit den Richtern, die jene fünf Kunstwerke, die die Schönheit seines Landes in höchster Vollendung darstellen sollten, ausgewählt. Aber nun gebot, den 84 elfenbeinernen Stab erhebend, auf seines Herrn Wink des Königs Hofmeister Schweigen. Das interessante Schauspiel begann.

Es ging noch einmal ein Rauschen durch den hohen Saal, denn alle Köpfe wendeten sich dem ersten Bilde zu, von dem die Diener die verhüllenden Tücher zogen. Zugleich wurde sein Schöpfer in die prunkende Halle geführt. Er schritt langsam, doch erhobenen Hauptes dem Throne zu, verneigte sich tief und trat seitwärts auf die marmornen Stufen.

Lange ruhte des Königs Blick auf ihm, und die Prinzessin, der das Herz unruhig schlug, umfing mit einem langen Blick Gestalt und Gesicht des Meisters.

Die Menge wandte kein Auge von dem Mann, und wir begreifen es, daß vor allem die Frauen ihn vom Wirbel bis zur Zehe musterten, denn eine jede von ihnen versetzte sich einen Augenblick in die Lage der schönen Eurykleia und überlegte, ob sie ihn wohl gern zum Ehegemahl haben möchte. Gar mancher gefiel er gar wohl, aber es waren auch einige, die sich sagten, man könne nicht wissen, ob die vier hinter der Tür Verborgenen nicht noch stattlicher wären und ein fröhlicheres Gesicht hätten, denn gar lustig schien der Künstler nicht zu sein.

Von fern her schien er gekommen. Ein tiefdunkler Mantel von schwarzem Samt umhüllte seine Glieder, und ein silberner Gürtel spannte sich darum. Auf seiner Brust aber schimmerte wundervoll ein funkelnder Stern. Das Gesicht des Fremden war bleich, doch leuchteten aus ihm ein Paar tiefdunkle Augen, die ernst, ja melancholisch, ohne jemand näher zu betrachten, ins Weite blickten. Unbeweglich stand er da und schien von düsterer Natur.

»Wie nennt Ihr Euch?« fragte der König.

»Lunatius ist mein Name!« antwortete er, sich leicht verneigend.

Die Hülle war vom Bild des Meisters gefallen. Alles reckte die Hälse, es gut zu übersehen. Der König stützte das Haupt in die Hand und vertiefte sich in den Zauber des Gemäldes. Seine Tochter betrachtete es mit Bewunderung und Andacht.

»Wundervoll!« flüsterte es in allen Ecken.

In einem mächtigen schwarzen, breiten Rahmen zeigte das Kunstwerk die von hohen Bergwäldern eingefaßte Meeresbucht Illyriens zu nächtlicher Stunde. Ein perlmutterfarbenes Licht, vom aufgehenden Monde erzeugt, lag über der weiten Wasserfläche, aus der die dunklen 85 Inseln mit den Olivenhainen emporstiegen. Aber am schönsten war doch der Sternenhimmel, der sich darüber wölbte. Ihm hatte der Meister seine größte Liebe zugewandt. Man hatte nicht mehr das Gefühl, ein Gemälde vor sich zu haben, es war, als ob man selbst unter dem himmlischen Baldachin stände und als ob die tausend Lichter des Himmels leise flimmerten in dem warmen Hauch, der aus der stillen Bucht emporstieg in die kalte Höh' des Himmelsraumes.

Lange beschaute der König andächtig des Künstlers Werk. Endlich aber riß er sich aus seinem Betrachten und Sinnen los und winkte Lunatius zu sich heran.

»Ihr seid ein großer Meister, Lunatius! Beim Zeus, es ist wahr, und kein Wort des Lobes ist zu viel. Dennoch kann ich Euch den hohen Preis nicht zuerkennen, denn Ihr habt eigentlich nicht mein Reich gemalt, sondern das des großen Gottes. Die höchste Schönheit Eures Bildes liegt im Sternenhimmel und im Licht des Mondes, aber weder die Sterne noch der Mond gehören mir, sie gehören Gott, und er gibt sie uns allen. Die Sterne stehen auch über den Ländern meiner Nachbarn, auch über denen meiner Feinde. Und wenn Ihr das Heer der ewigen Lichter auch so wundervoll auf die Leinwand gezaubert habt, daß man meinen sollte, man könnte direkt bis in die Unendlichkeit hinausfliegen, zum Thron des Herrn der Welt, so habt Ihr dennoch nicht im eigentlichen Sinn ein Bild von meinem Reich geschaffen. So kann der Preis nicht Euer sein. Doch wollet Ihr, Meister Lunatius, an meinem Hofe bleiben, das Bild, das nicht mit Gold zu teuer aufgewogen wird, in meinen Schlafsaal hängen lassen, wo es in nächtiger Stunde oft mein Aug' entzücken soll, so bin ich Euch in Gnaden stets verbunden!«

Würdig verneigte sich der Meister. »Das Bild mag Euer sein, mein Fürst, doch bitte ich, in Gnaden frei mich ziehen zu lassen. Mein Wesen paßt für keinen Hof, und ich muß wandern wie die Sterne rings um die weite Welt.«

»Es sei so, wie Ihr wünscht, Lunatius. Mein Kämmerer wird alles Weitere tun. Nehmt meinen königlichen Dank und zieht in Frieden!«

König Miditrates reichte dem Künstler seine Rechte. Und wie sich dieser nun, Prinzessin Eurykleia mit einem langen, dunklen Blick umfassend, mit einer tiefen Verneigung zurückziehen will, löst sie den herrlichen Ring mit der großen Perle, die sanft schimmert wie des 86 Mondes Licht auf weitem Meer, von ihrem Finger und reicht ihn schweigend dem großen Meister.

Da kam ein leuchtend dankbarer Blick aus seinem dunklen Auge, und noch einmal sich verneigend, schritt er langsam aus dem Saal.

Es ging ein Rauschen und Murmeln durch den weiten Raum. – –

Der König wandte sich zu seiner Tochter. Zart streichelte er ihre weiße Hand. »Des Menschen Seele liegt in seinem Werk, mein Kind. Das Bild des Malers ist seiner eigenen Seele Spiegel. Lunatius war zu still für dich, zu düster und zu ernst, gleich wie die Nacht, der seine Meisterschaft mit allen Fasern zugewandt.«

Die Tochter nickte. Der Vater hatte in ihrem Herzen gelesen.

Der König winkte. Sein Hofmeister hob den Elfenbeinstab.

»Das zweite Bild!« scholl es durch den Saal.

Die Diener nestelten an den Tüchern, die es bedeckten. Die Tür des Nebengemaches öffnete sich; der zweite Meister erschien.

Ein Raunen der Überraschung durchsummte das Haus. Eine hohe, schwere Gestalt, breitschultrig und bärtig, schritt kräftig und bestimmt den Stufen des Thrones zu. Das frische Gesicht dieses kraftvollen Meisters mit den blitzenden grauen Augen war rötlich angehaucht, aber ein Kranz fast weißer Locken umrahmte es. Ein Greis fast, und doch auch wieder nicht ein Greis, denn eine unbändige Energie und Frische strahlte von ihm aus. Ein Riese, hätte er neben jenem Lunatius gestanden, der freilich längst den Augen entschwunden war. Unter seinen buschigen grauen Brauen warf er einen leuchtenden, fast scharfen Blick auf Eurykleia, dann machte er dem König seine Reverenz.

Der König blickte ihn voll an, doch seine Tochter schlug die Augen nieder.

Dann hörte man des Miditrates Stimme: »Wie nennt Ihr Euch, Meister, und wo ist Eure Heimat? Die fremde Tracht, die reich mit Pelzwerk überhangen, der Bart, der nicht des Landes Brauch, läßt mich auf einen weitgereisten Fremdling schließen.«

»Winter heißt man mich, mein Fürst. Ich komme über Berg und Steppe, zwei Meere überquerend, hoch von Norden, und viele Reiche liegen zwischen diesem schönen Land und meiner Väter nebeligen Wäldern. Ich sehe Euer Reich und seine Pracht auf meine Art. Bei Euch liegt die Entscheidung, ob ich's recht gesehen!« 87

»Laßt sehen, würdiger Meister! Ein Kunstwerk höchsten Ranges ist es sicher, sonst wäre es nicht bis in den Saal des Thrones gelangt.«

Und wirklich, es war eine herrliche Schöpfung, die da aus den dunklen Hüllen stieg. Eines der wundervollsten Bergtäler des Landes, zur Winterzeit in tiefem Schnee. Die Bäume reckten sich zum klarblauen Himmel auf, sie waren schwer mit Schnee und Rauhreif behangen, und die Frühsonne warf einen feinen, rosigen Schimmer über die weiten weißen Flächen der Ebene. Vor den Bäumen des Vordergrundes schien ein Windstoß feinen Pulverschnee aufzustieben, er glitzerte in der Luft wie allerfeinste Diamantsplitterchen. In den tiefen Schatten schimmerte alles in zartem Blau.

Es ging fast so etwas wie ein Frösteln durch die Beschauer des Bildes, ja es war, als ob eine eisige Kälte aus dem Gemälde strahlte, so unerhört naturwahr hatte sein Schöpfer den Wintertag wiedergegeben.

»Es ist unvergleichlich schön«, sagten die Leute, und vor allem die Jäger, die jene Landschaft schon an Wintertagen durchstreift hatten.

Und es war auch unvergleichlich schön. Das empfand der König, und das empfand sein Töchterchen. Aber ich glaube, wenn man sie gefragt hätte, ob sie den bärtigen, breitschultrigen Fremden, dessen Haar trotz all seiner Kraft und Frische längst erbleicht war, zum Ehegemahl haben wolle, so hätte sie das trotz seiner hohen Kunst abgelehnt.

»Meine höchste Anerkennung, Meister«, sagte der König, »indessen will mir scheinen, als ob Ihr mein Land wirklich mit den Augen des Fremdlings gesehen habt, der hoch droben im kalten Norden in den nebligen Wäldern wohnt, wo Schnee und Eis daheim sind. In unserem Lande ist das nur in strengen Jahren und nur ganz wenige Tage so. Es ist ein Ausnahmefall, und wir selbst erkennen dann unser Land, das unter südlicherer Sonne liegt, kaum wieder. Es ist uns fast fremd zu solcher Zeit.

Einen solchen Tag justament habt Ihr Euch ausgewählt, eben weil Ihr von Eurer Heimat her in der besonderen Kunst geübt seid, die Welt in Eis und Schnee darzustellen. Gewiß, Ihr habt's mit unvergleichlicher Meisterschaft getan, doch ist es eigentlich dennoch nicht recht mein Reich oder doch nur in seltener Vermummung. Den höchsten Preis kann ich Euch nicht zuerkennen, doch bitte ich Euch, das 88 Bild mir zu belassen. Nennt jede Summe, sie wird mir nicht zu hoch gegriffen sein!«

Meister Winter runzelte ein wenig die Stirn. Er verneigte sich und schien enttäuscht. Sein scharfes graues Auge ruht noch einen Augenblick auf dem schönen Königskind. Das gab ihm unbefangen und ohne daß sein Herz schlug, die Hand zum Abschied und fühlte, daß die breite Rechte des Winters rauh war und eisern und daß es kalt von ihr ausging.

Ihr Vater neigte sich, als der Künstler mit starken Schritten den Raum verlassen, zu ihr: »Er war zu alt für dich, mein Kind. Er ist ein Künstler, doch ein Bär auch, der dich zerbrochen hätte. Er sah von unserm schönen Land nicht die blumigen Auen und die fruchtreichen Gärten, er sah es nur im erstarrenden Frost. Er paßt nicht mehr zur Jugend!«

Der König hatte weise gesprochen. Sein Kind dankte es ihm, und es dankten ihm die Herren und Frauen ringsum.

Aber nun kam das dritte Bild. – Schon stand es da im vollen Licht, schon schritt sein Schöpfer auf den König zu.

Ah, wie ganz anders hatte dieser Künstler der Farbe die Landschaften Illyriens gesehen! Man schaute in die Weingärten am Fuße einer blauen Bucht, die golden in der Herbstsonne lag. Mit fröhlichen Gesichtern bargen frische Burschen und Mädel die köstliche Last der Früchte. Es war Jubel, es war Leben, es war Reichtum, Erfüllung, es war Sonne und Farbe in allem, und hinten in der weiten Ebene schwankten zwischen den Feldern die hohen Erntewagen, die den Segen heimwärts brachten. Viel Sonne leuchtete in buntem Laub, und ein feines Farbenspiel entzückte aller Augen.

Dem König gefiel das Bild gar wohl, denn es zeigte die Schönheit seines Landes, den Reichtum und die Früchte wackerer Arbeit seiner Bewohner. Aber auch der Malersmann war stattlich anzusehen, und alle Fräulein reckten die weißen Hälse nach ihm. Verstohlen musterte ihn auch Prinzessin Eurykleia und gestand sich, daß er wohl einen Ehegemahl abgäbe, mit dem man sich sehen lassen könnte. Ganz jung war er nicht mehr, aber er war von kräftigem Wuchs, und der goldbraune Mantel, der ihn reich und weit umflatterte, stand ihm gut.

»Ich bin der Maler Herbst«, sagte er mit wohltönender Stimme, als der König nach Nam' und Art fragte. »Ich liebe die bunten Farben, 89 die dem Leben Glanz geben in all der Arbeit und dem Kampf des Daseins. Mich reizt es, die Erfüllung darzustellen, des Lebens goldene Frucht, die spät kommt, wenn das Jahr sich senkt, die Blüten abgefallen sind. Der Erfolg! Das ist das Leben!«

»Weise gesprochen, mein Freund«, sagte Miditrates. »So sehen wir gereiften Männer die Welt. Die Jugend sieht sie meist anders. Sie ist fröhlicher, wir sind ernster. Euer Bild von meinem Reich tut meinem Auge und meinem Herzen wohl. Es ist schwer, sich zu entscheiden! Tretet einstweilen an meine Seite, wir wollen sehen, was die anderen Meister uns zu zeigen haben, um uns nicht zu übereilen.«

Der Maler Herbst verneigte sich zustimmend; guten Mutes trat er neben den Thron und strich sich schmunzelnd den kecken braunen Schnurrbart.

Und es fiel die Hülle vom vierten Bild, und der vierte Meister trat in den Saal. Das war der Herr Sommer, aus der Lombardei, ein schöner Mann mit einem sonnigen Gesicht, das alle Herzen schlagen ließ. Er war noch jung; reich wallte ihm das Haar im Nacken, in seinem Blick lagen Temperament und Wärme, und purpurfarben war sein Wams. Einen Strauß voller, duftender Rosen legte er, die eine Hand aufs Herz gepreßt, zu Eurykleias Füßen. Errötend hob sie ihn empor und vergrub das Gesicht in den verwirrend süßen Duft. Der Meister nahm es sieghaft lächelnd wahr, dann wies er auf sein Bild.

Es stellte die königlichen Gärten dar zur Zeit, da alle Blumen sich entfalten. In Rosenbüschen und in Lilienfeldern ertrank der Sonne heiße Glut. Des Springbronnens hohe silberne Säule zerstäubte ein leiser Sommerwind zu einem zarten Regenbogen, durch den in der Ferne die weißen Marmorwände des Palastes schimmerten. In tiefem, klarem Blau überdeckte das alles der weite Dom des Himmels.

Ein Bild von unerhörter Pracht. Flüstern und Rauschen lief durch den Saal. Jedem war, als ging von diesem Bilde ein betäubender Blütenduft aus. »Er muß seine Farben parfümiert haben!« sagte leise eine der Hofdamen zu dem Schatzmeister. »Vielleicht ist es der Rosenstrauß, der seine Düfte bis zu uns sendet«, meinte jener und schaute nach dem Thron.

Da saßen Miditrates und Eurykleia und sprachen leise miteinander. Herr Sommer fühlte wohl, daß er den Vogel abgeschossen, und strahlender noch wurde sein Blick. Wie Sonne lag es über ihm. »Welch 90 ein schöner Mann«, seufzten leise die Frauen, so daß ihre Eheherren, wenn sie es hörten, ein wenig ärgerlich die Stirne krausten.

Da hub der König an zu sprechen: »Ich glaube nicht, Meister, daß Euer Werk zu übertreffen ist. Von allem, was wir sahen – der Maler Herbst wolle meinen Freimut entschuldigen – ist es das schönste. Nur eines noch haben wir uns anzuschauen. Schnell wird es sich entscheiden, ob Euch, wie ich fast glaube, der hohe Preis so hoher Kunst beschieden. – Man zeige uns das letzte Bild. Tretet meiner Tochter zur Seite, Meister. Möglich, daß Ihr dort bleiben werdet, solange Zeus Euch Odem schenkt!«

Der Herrscher winkte, die letzten Hüllen fielen, und voll Erwartung schauten Fürst und Volk, was sie entschleierten. Weit vorgebeugt, mit flatterndem Herzen – wie konnte es anders sein, denn die Entscheidung kam – saß des Königs junge Tochter auf ihrem elfenbeinernen Thron, und nun erhob sie sich langsam, ohne es selber zu wissen, die Augen auf das letzte Meisterwerk gerichtet. –

Es ging ein Raunen und ein Rauschen durch den weiten Saal; erregte Stimmen eiferten gegeneinander, und hätte nicht des Königs Majestät, des Hofmarschalls beschwichtigendes Winken den streitenden Parteien Zügel angelegt, zu einem lauten Kampf der Meinungen wäre es gekommen.

»Es ist unerhört«, sagte die Oberhofmundschenkin und wurde rot wie ein gesottener Krebs.

»Das nenne ich kühn!« meinte der Reichssiegelbewahrer und wendete sein listiges Gesicht der ersten Hofdame zu, die ärgerlich ihr faltenreiches Antlitz hinter dem wippenden Fächer verbarg. »Ein Jüngling . . . und . . . sozusagen . . . mit Erlaubnis zu vermelden . . . ganz unbekleidet, ja . . . gewissermaßen nackt!«

Und »Ach!« und »Oooh!« – »Wie darf man . . . und wie kann man nur!« »Welch ein verwegener Mut!« – »Ja, welche Dreistigkeit!« – »Wie unanständig und wie tugendlos!« . . . So raunt es rund im Kreis bei all den alten, so ehrbar zierlich-zimperlich, so furchtsam auf Wohlanständigkeit, auf äußerlichen Schein gedrillten, verklatschten und vertratschten, mit Titeln, Würden, Jahren hochbepackten Hofschranzen dieser Residenz.

Doch zwischendurch, da, wo die Jugend, wo die frische Zukunft dieses Hofes sich gesammelt, ist man auch anderer Meinung. 91

»Bei allen Göttern dieser schönen Erde«, so ruft Astur, der junge Held, der Sieg und Ruhm vom Kriegsfeld heimgebracht, »das ist der Meister aller Meister! Er paßt zu uns, er ist von unserm Schlag. Er ist die neue Zeit, die Jugend, die Natürlichkeit, ist Kraft und Anmut gleichermaßen, ein Mann, mit einem runden, vollen Wort gesagt, der neue Wege geht, zu neuem Ziel!«

»Astur hat recht!« So jubelt's um ihn her.

»Astur hat unrecht!« schallt der Chor der Alten.

Die Stimmen heben sich, der Meinung Wogen branden. – Da hebt der König seine Hand, sein scharfer Blick fliegt durch die Menge. Man neigt sich, und man schweigt. Man tut dem König nach und läßt in aller Ruhe noch einmal des Meisters Werk auf Herz und Auge wirken.

Über eine Bergwiese hinweg, aufwärts, der Sonne entgegen, schreitet ein Jüngling. Vom Frühlicht überstrahlt, steht sein Körper kraftvoll und einfach in der erwachenden Natur. Klar ist die Luft, Reinheit und Kühle weht aus den Farben, ein Frühlingstag, der da und dort schon erste grüne Spitzen aus Sträuchern trieb, die aus Geröll sich recken.

Das alles steht so selbstverständlich da, in schlichtester Natürlichkeit. Nichts ist gelogen und gebogen, nichts ist verbrämt und nichts verziert. – – –

Und wie sein Bild, so ist der junge Meister. Ein frischer Kerl in einem schlichten Wams. Ein gerader Wuchs, ein helles, klares Auge, bescheiden und doch seines Wertes bewußt.

Miditrates betrachtete ihn und sein Werk in langem, tiefem Sinnen. Er strich sein Kinn und war nicht mit sich einig. Den Alten schien das Kunstwerk wenig zuzusagen, die Jugend schien es freudig zu begrüßen. Es ging ihm durch den Sinn, wie alles fließt und wandelt, wie Alter starr wird und sich überlebt, wie Jugend aufsprießt, in den Himmel greift und neue Tempel baut für neue Götter. – Und heimlich schaut er nach der jungen Tochter. Ihr Auge leuchtet. . . . Ja, es ist kein Zweifel, sie steht im Lager all der frischen Jugend, die dieses Künstlers, dieses Bildes Sinn im gleichen Takt des Bluts erfühlet und erlebt.

Der König winkt.

»Tretet näher, junger Meister! Ihr merket wohl, daß Euer Werk die Geister meines Hofes scheidet, denn Euer Bild ist kühn und . . . anders als gewohnt. – Um alles Neue rankt sich Zweifel. Zudem, der 92 Auftrag war, von meinem Land ein Abbild uns zu schaffen voll höchster Kunst. Ich sehe einen Jüngling vorwärts schreiten, jedoch von meinem Lande seh' ich wenig. Ich merke wohl, Ihr faßt es anders auf, nun, so entdeckt uns Euch und Eure Meinung!«

Da machte der Jüngling eine Verbeugung und sprach mit heller Stimme, frisch und keck:

»Ich bin der Frühling, bin ein Werdender. Der Zukunft hab' ich mich verschrieben, und eben dies soll auch mein Bild besagen. Leicht ist's, mein Fürst, dies schöne Land, das Eurem Zepter untertan, mit seinen Wäldern, seinen Bergen, mit seinen blauen Buchten, reichen Gärten in tausend Farben festzuhalten. Doch alles das ist Gegenwart, die Eure weise Staatskunst, Eurer Räte Klugheit, der Krieger Heldenmut, des Volkes Emsigkeit und Rechtlichkeit geschaffen. Die Ernte ist's von vielen Kräften, die die Vergangenheit geboren. – Doch wer mag in die Zukunft schaun? Es sanken Reiche hin, nicht minder mächtig, nicht minder segenschwer im Lauf der Zeiten. Leicht kann die Fülle zur Versuchung werden, sich auf den Lorbeer wohlig hinzustrecken. Nur wer der Zukunft lebt und seine Saaten ins Land der Zukunft streut, sich ernstlich müht, dem Kommenden gerecht zu werden, darf ruhig auch der Gegenwart sich freun. –

Dies sagt mein Bild, das Bild des Frühlings, der hell und rein und ohne Überschwang die ersten zarten Keime hegt, die einst zu goldnen Früchten werden. Frühling und Jugend: das ist eins. Die Zukunft ist's, das Kommende! Ist neue Kraft, ist Fortschritt! Was wäre dieses Land mit allen seinen Schätzen, mit allem, was der Geschlechter lange Kette in heißem Mühen schuf, wenn nicht ein jeder drauf vertraute, daß eine neue Jugend kommt, die treu bewahrt, die reich vermehrt, was Ihr geschaffen. Das Beste Eures Landes, Fürst, das Schönste, es ist die Jugend, die aufrecht vorwärts geht auf Höhenwegen hinein ins Frühlicht einer neuen Zeit. –

Das ist der Sinn des Bildes! Doch will ich offen kühn gestehen: So wie der Jüngling hier ins Land der Zukunft schreitet, erträum ich mir, mit Eurykleia zu wandern bis ans Ende aller Tage, wenn nicht nur ihres Vaters Wille, wenn auch ihr Herz mir gnädig ist.!«

Der Meister schwieg. Die Alten blickten unschlüssig und ratlos einander an, aber auf den Gesichtern der Jungen lag ein frohes Grüßen, hinüber zu dem Künstler und dem Künder froher Zukunft. 93

Miditrates sah seine Tochter an. Er fühlte wohl, wie sie gewählt, und war weise genug, es gutzuheißen. Unter dem Jubel der Jungen schritt er auf den Jüngling zu und schloß ihn in seine Arme. »Du sollst mein Eidam sein«, sagte er, »denn du bist nicht nur ein großer Künstler, du bist auch ein Weiser trotz deiner Jugend. Was du von Vergangenheit, von Gegenwart und Zukunft uns gesagt, das zeugt von scharfer Überlegung, gibt mir die Gewißheit, daß auch mein Reich in guten Händen ist, wenn ich einmal aus diesem Leben scheide. Du und Eurykleia, ihr seid selbst die Zukunft! Willkommen drum, Herr Frühling, als mein Schwiegersohn und Erbe meines Thrones!«

Da jubelten die Geigen und Harfen und Flöten auf, und es war eitel Freude auf allen Gesichtern, und während der König den jungen Frühling seiner Tochter zuführte, die ihn mit seligem Erröten erwartete, verbeugten sich Sommer und Herbst und schritten schweigend von dannen, dem Winter nach. 94



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