Bruno Hans Bürgel
Die seltsamen Geschichten des Doktor Ulebuhle
Bruno Hans Bürgel

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Der Diamant und seine Brüder

In unsrer kleinen Stadt gab es einen Mann, den man den »Lumpen-Friedel« nannte, denn sein Gewand war höchst unvollkommen, schäbig und zerrissen. Ein armer Teufel war es, der sich kümmerlich von kleinen Münzen nährte, die ihm gelegentliche Dienstleistungen eintrugen. Zuweilen neckten ihn die Kinder und riefen wohl »Lumpen-Friedel!« hinter ihm her. Und das verdroß den alten Doktor Ulebuhle. »Ihr seid allesamt Nichtsnutze«, sagte er. »Das Leben ist schwer, nicht immer geht es gerecht zu in der Welt, und man muß die Leute nicht nach ihrem Rock einwerten! Die Hauptsache ist, daß sich einer ehrlich durch das Dasein schlägt. Ich will euch eine Geschichte erzählen, die in euren harten Köpfen ein Licht anzündet.« Der Alte stopfte umständlich seine lange Pfeife, brummte noch unwirsch manches, und dann begann er:

»Auf dem Schreibtische eines sehr reichen Mannes, dem viele Bergwerke, Schiffe und Fabriken gehörten, lag ein wundervoller 233 Diamantring. Der Stein, so groß wie eine Bohne, funkelte in tausend Farben, und es war, als ob Feuer aus ihm hervorbräche. Er hatte viele Tausende gekostet, und sein Kleid war von Gold.

Neben ihm lag ein einfacher Bleistift in einem braunen Röcklein aus Zedernholz und ruhte von der Arbeit, denn sein Herr hatte den ganzen Vormittag Pläne und Zahlen mit ihm auf das Papier geworfen. Es war sehr still in dem Zimmer, nur die hohe Pendeluhr sagte in vornehmer Ruhe ganz langsam und gleichmäßig ›Tick . . . tack . . . tick . . . tack!‹

Plötzlich hörte der Bleistift, der ein wenig eingenickt war, neben sich eine feine Stimme. Es war der Diamant.

›Es ist höchst langweilig hier‹, sagte er, ›unsereiner, der an glänzende Gesellschaften und rauschende Feste gewöhnt ist, wo man so allerlei amüsante Histörchen hört, ist hier nicht in seinem Element.‹

Der einfache Mann im hölzernen Röckchen schwieg. Er war noch müde und hätte lieber weitergeschlafen, als sich zu unterhalten.

Der Diamant ärgerte sich. Ein unhöflicher Kerl, dachte er. Ich glaube, er weiß gar nicht, mit wem er es zu tun hat. Und dann strahlte er um so heller und sagte geziert:

›Gestatten Sie, daß ich mich Ihnen vorstelle. Mein Name ist Baron Diamant. Ich stamme aus Südafrika. Meine Frau ist eine geborene Gräfin Perle. Uralter Adel. Sie ist nahe verwandt mit dem Herrscher des Weltmeeres Neptun.‹

›Ich heiße Bleistift‹, sagte der andere, ›ich bin hier nur einfacher Angestellter im Hause, mache meine Arbeit und kümmere mich sonst nicht viel um die Leute.‹

›Das muß doch furchtbar langweilig sein, so nur immer arbeiten für andere Leute. Mein Fall wäre das nicht!‹

›Langweilig ist das gar nicht!‹ entgegnete der Bleistift. ›Meine Tätigkeit ist sehr interessant, denn alle neuen Pläne, die mein Herr hat, erfahre ich zuerst, und das sind Sachen, die nachher in der ganzen Welt besprochen werden. Die Geldleute und die Zeitungsmänner warten schon darauf, was wir wieder Neues vorhaben, und hundert Ingenieure und Tausende von Arbeitern werden zu tun bekommen, wenn das erst alles bekannt wird, was ich heute morgen geschrieben habe. – Sehen Sie, da drüben liegt mein ärgster Feind, der Herr Federhalter. Der wütet sich, daß er diese Arbeiten nicht machen 234 durfte, denn bei uns ist eben die Arbeit die Hauptsache und bei Ihnen das Vergnügen.‹

›Jeder nach seinem Stande‹, meinte hochnäsig der Baron von Diamant. ›Ich habe auch einen Feind und Neider, das ist der Herr von Rubin. Manchmal steckt ihn mein Herr ebenfalls an den Finger, aber er ist lange nicht so elegant wie ich, und in die ganz vornehmen Kreise wird er nicht eingeführt, denn er funkelt nur wie ein Blutstropfen, ich aber brilliere in allen Farben des Regenbogenlichtes, und jeder sieht auf den ersten Blick meine hohe Herkunft und meinen enormen Wert!‹

›Ja, ja, das haben Sie schon einmal gesagt‹, meinte der Bleistift, ›aber eigentlich sind Sie doch zu nichts nütze, und unser Herr hätte Sie nicht kaufen können, wenn wir alle hier nicht tüchtig gearbeitet und viel Geld verdient hätten.‹

›Gott ja, es muß auch Arbeiter geben, und wir können nicht alle vornehme Herren sein‹, entgegnete der Diamant, ›aber Arbeit ist nun mal nichts für mich. Das ist eintönig. Sie machen hier nur immer dasselbe und erleben nichts. Ich aber bin in der großen Welt gewesen und habe das Leben kennengelernt und weiß, wie es zugeht!‹

›Erzählen Sie mal, wie es da draußen ist‹, sagte der Bleistift, ›so etwas höre ich ganz gern, denn ich bin vor lauter Arbeit nicht dazu gekommen, die Welt zu sehen!‹

›Es ist eine lange Geschichte‹, sagte der Baron von Diamant, ›aber wenn es Sie interessiert, dann will ich Ihnen davon berichten. Man muß auch mal etwas für die Armen tun, wenn man ein vornehmer Herr ist. Also passen Sie auf! – Ich und viele meiner Brüder wurden da drunten in Südafrika geboren. Wir lagen tief unten im Gestein verborgen, im dunklen Schoß der Erde. Sehen Sie, was die Menschen jeden Tag finden können, das schätzen sie nicht, aber wenn man sich rar macht, dann wird man eben als vornehmer Mann behandelt.

Eines Tages kamen lauter schwarze Arbeiter, die hackten und schaufelten und gruben unablässig, denn sie suchten uns. Es waren arme Neger, und sie wurden für das Suchen bezahlt, aber behalten durften sie uns nicht, und damit sie uns nicht heimlich in ihren Taschen verschwinden ließen, mußten sie nackend arbeiten. Auch in Indien und in Brasilien suchen die Menschen nach Diamanten, aber nirgends haben sie so große und prächtige gefunden wie da unten in 235 meiner Heimat Südafrika. Manche meiner Brüder sind noch viel vornehmer als ich. Den größten, der überhaupt aus der Erde herausgeholt wurde, besitzt der König von England. Er heißt ›Cullinan‹-Diamant, ist groß wie eine Kinderfaust und wiegt mehr als ein Pfund. Sechzehn Millionen kostet er, und ein ganzes Heer von Polizisten hat ihn nach London gebracht, damit er unterwegs nicht gestohlen werden konnte. Der arme Neger, der ihn fand, bekam tausend Mark und ein gesatteltes Pferd für den schönen Pfund. Auch der ›Exzelsior‹-Diamant ist aus dieser Gegend. Er ist halb so groß wie der Cullinan und hat einen Wert von zwölf Millionen Mark, aber der berühmte Koh-i-noor, was soviel heißt wie ›Berg des Lichts‹, mein in der ganzen Welt bekannter Verwandter, der ebenfalls dem König von England gehört, stammt aus Indien. Er kostet wohl acht Millionen Mark, aber die Engländer haben ihn den Indern, die sie besiegten, abgenommen und nichts dafür bezahlt. Früher war er als Auge in das Bildnis eines Götzen eingesetzt, der in einem berühmten indischen Tempel stand, und da wurde er geraubt, und viele Morde und Untaten sind begangen worden, um ihn in Besitz zu bekommen. Ja, so sind die Menschen in ihrer Habgier!‹

›Meinetwegen begeht man keine Bluttaten‹, sagte der Bleistift. ›Ich bin doch froh, daß ich nur ein einfacher Mann bin, der seine Arbeit tut und in Frieden leben kann. – Aber bitte, erzählen Sie weiter!‹

›Ja, es geht schnurrig zu in der großen Welt! Passen Sie auf, wie es mir nun erging. Also eines Tages hackte neben mir eine Picke in den Boden, und dann kam eine Schaufel, und ich wurde mit allen möglichen Gesteinsbrocken auf eine Schiebkarre geworfen. In einer großen Halle wurde dann das Gestein genau untersucht, und da ich zufällig in einem Eckchen der Schiebkarre liegengeblieben war, ganz unansehnlich und mit einer dicken Schmutzkruste bedeckt, so fand man mich nicht. Ganz nebenher bemerkte mich dann der Neger, der die Karre wieder hinausschob. Er verbarg mich in der Achselhöhle und wollte mich behalten. Aber ein Kamerad von ihm hatte es doch gesehen. Er sagte es jenem, und die beiden beschlossen, zusammen zu fliehen und mich später in Kapstadt oder in Europa zu verkaufen.

Wirklich entflohen sie bei Nacht und Nebel durch den öden südafrikanischen Busch und durch dichte Wälder. Aber die Habgier 236 brachte beide ins Verderben. Als der eine schlief, erstach ihn der andere, nahm mich an sich und floh weiter. – Die Polizei der Diamantengruben war aber schon hinter den beiden her, denn jedermann konnte sich denken, daß sie nur entwichen waren, weil sie einen Diamanten von großem Wert gestohlen hatten. So mußte denn der Mörder und Dieb auf einsamen Waldwegen weiterziehen, um nicht gefangen zu werden und am nächsten Baum zu enden. Schließlich verlief er sich in der wilden Einöde. Er hatte nichts mehr zu essen, brach zusammen und verhungerte elend. Erst nach Wochen fand man seine von der Sonne verdörrte Leiche, und in seiner schwarzen Hand hielt er noch immer mich, seinen Raub.‹

›Da können Sie aber sehen, wie wenig man doch am Ende mit Ihrer Vornehmheit anfangen kann‹, so unterbrach hier der Bleistift den Erzähler. ›Ich glaube, der Verhungernde hätte Sie in seinen letzten Stunden gern für ein Stückchen trockenen Brotes fortgegeben!‹

›Das mag wohl sein, mein Lieber!‹ entgegnete etwas von oben herunter der Diamant. ›Etwas so Vornehmes, wie ich es bin, ist eben nichts für einen schmutzigen Nigger. Er hätte seine Hände davon lassen sollen. – Aber hören Sie weiter! Ich kam nun zu meinen rechtmäßigen Besitzern zurück und dann nach Amsterdam, der Hauptstadt von Holland, wo die größten und berühmtesten Diamantenhändler und Diamantenschleifer wohnen, und da erst wurde ich richtig zum Licht erweckt, denn jeder Diamant ist, wenn er aus der Erde kommt, unansehnlich wie ein gewöhnlicher Stein. Erst wenn er geschliffen wird, kann das Licht in ihn hineindringen, und er kann es dann tausendfach funkelnd zurückwerfen. – Ich kam dann zu einem Goldarbeiter, der mich mit einem goldenen Gürtel umgab, und dann lag ich in Paris im Schaufenster des berühmtesten Juweliers im Strahl der elektrischen Lampen auf einem Kissen von blauem Samt, und alle Vorübergehenden blieben stehen und riefen aus: 'Oh, was für ein wundervoller Edelstein!' Die Damen aber blieben lange stehen und schauten mich mit ihren dunklen Augen sehnsüchtig an, und dann gingen sie schließlich seufzend weiter.

Eines Nachts geschah etwas Schreckliches. Über die einsame Straße kam ein Mann daher, der blitzschnell mit einem Hammer die Scheibe einhieb und mich ergriff. Dann eilte er durch viele Gassen und Straßen, immer kreuz und quer mit mir dahin, aber es half ihm alles nichts, 237 die Wächter hatten das Klirren des Glases gehört und waren ihm nachgeeilt. In einer dunklen Hausnische wurde er ertappt und verhaftet. Ich wurde zu einer Berühmtheit, die ganze Sache kam in die Zeitungen und kam vor die Richter, und der Dieb wurde viele Jahre eingesperrt. Ich aber war aus seinen schmutzigen Händen befreit und lag wieder auf meinem Samtkissen, und die Leute, die vorbeigingen, sagten: 'Das ist der große Diamant, den jener Dieb entwendet hatte.'

Dann aber kam ein vornehmer Mann zu dem Juwelier, und an seinem Arm ging eine reizende junge Dame von großer Schönheit. Das war die berühmte Tänzerin der Großen Oper in Paris, und jener bleiche, ernste Mann liebte sie mehr als sein Leben und seine Ehre. Sie hatte sich in mich verliebt und ihren Freund immer und immer wieder gebeten, daß er mich erwerben möchte, als Halsschmuck für sie. – Der ernste Mann hatte lange gezögert, aber dann gab er nach, und so kam ich in den Besitz jener gefeierten Künstlerin. Welch ein 238 Tag des Triumphes für mich, als ich zum erstenmal abends an ihrem blütenweißen Halse an einem feinen Goldkettchen hing und im Licht von tausend Lampen funkelnd mit ihr die Bühne betrat! Welch eine wundervolle Musik, welch eine Farbenpracht ringsumher! Tausende von Menschen schauten mit ihren Opernguckern zu mir hin. Die Herren schmunzelten, und die Damen wurden grün vor Neid, am meisten aber die alten und häßlichen, und sie sagten, es sei ein Skandal. Aber das verstand ich nicht!

Aber dann kam etwas Trauriges. Während hier die Musik rauschend den weiten Saal mit seinen goldschimmernden Säulen und rotsamtnen Logen füllte und um mich herum die zierlichsten Damen in Gewändern, zart wie Engelwölkchen, tanzten, saß der ernste bleiche Mann daheim an seinem Schreibtisch und rechnete. Und dann schrieb er mehrere Briefe an das große Bankhaus, dessen Direktor er war, und sagte darin, daß er Geld, das ihm nicht gehörte, verwendet hätte und darum sterben müsse, und dann zog er ein glänzendes Ding aus seiner Schublade hervor, es gab einen Knall, und dann war er tot.‹

Dem Bleistift war es ordentlich unheimlich geworden neben dem ›vornehmen‹ Kerl da in seiner Nähe, und er wäre gern etwas seitwärts gerückt, wenn ihm das möglich gewesen wäre. ›Mein Gott‹, sagte er, ›Sie haben aber doch nichts weiter als Unglück angerichtet mit Ihrer Schönheit und Vornehmheit. Ich bin jedenfalls froh, daß ich nicht so vornehm bin wie Sie!‹

›Je nun‹, entgegnete mit feinem Lächeln der Baron von Diamant, ›was kann ich für die Torheit der Menschen! Es gab einen Mordskandal, die ganze Geschichte kam wieder in die Zeitungen, und ich wurde noch berühmter als vorher. Die schöne Tänzerin aber kam auch ins Unglück durch den Tod ihres Freundes; sie mußte fort von dem herrlichen Theater, mußte mich verkaufen, kam in Not und ging außer Landes, wo sie ganz verarmt gestorben ist. – Schließlich aber kam ich zu meinem jetzigen Herrn, der mich in einen Ring fassen ließ, und da hat denn meine Geschichte ein Ende. Aber Sie sehen, die Welt hat mich geliebt und bewundert, und ich bin eine berühmte Person geworden und gehöre zu dem Vornehmsten, was es gibt.‹

Der Bleistift antwortete nicht, er wußte nicht recht, was er sagen sollte, aber so recht ehrenhaft und wirklich vornehm kam ihm der Baron von Diamant, dessen Frau eine geborene Gräfin Perle war, 239 nicht vor. Plötzlich aber wurde er aus seinem Sinnen aufgeschreckt, und auch der Herr von Diamant horchte erschrocken auf. Eine ziemlich grobe und harte Stimme sagte plötzlich aus der einen Ecke des Zimmers heraus:

›Lieber Herr, blasen Sie sich nicht auf, sonst zerspringen Sie noch! Das wäre zwar kein Unglück nach all dem Unheil, das Sie angerichtet haben, aber unser guter Herr würde sich vielleicht drüber ärgern!‹

In der Ecke des Zimmers stand ein schöner Kamin mit blanken grünen Kacheln und vernickelten Türen, hinter denen man durch Marienglasscheiben die Kohlen glühen sah. Neben dem Kamin aber stand ein schönes Gefäß, in dem Steinkohlen lagen, und eine kleine Schaufel mit vernickeltem Griff lag dabei. Da merkten der Diamant und der Bleistift, daß es eine große, spiegelblanke Steinkohle war, die da gesprochen hatte. Und die fuhr fort:

›Drei Menschen sind Ihretwegen ums Leben gekommen, zwei andere ins Gefängnis und Unglück, und das alles wegen eines Nichtstuers und Tagediebes, denn das sind Sie, und wenn Sie noch so schön funkeln!‹

›Mein Lieber, aus Ihnen spricht der Neid, daß ich einer vornehmen Familie entstamme und Sie ein Arbeiter sind, der Stuben heizen muß und einen schmierigen Rock anhat, so daß ihn selbst der Diener nur mit der Schaufel anfaßt!‹

Die Steinkohle lachte im tiefsten Baß: ›Hahaha! Sie eitler Wicht! Ich stamme aus derselben Familie wie Sie und wie mein Freund da, der Bleistift, und wir drei sind leibliche Brüder. Aber wir beide sind ehrliche Arbeiter geworden und Sie ein Müßiggänger, der die Eitelkeit der Menschen ausnützt!‹

Brüder? Wieso Brüder?‹ sagte unwillig der Diamant. ›Wie kann ein Diamant der Bruder einer Kohle und eines Bleistiftes sein?

›Ja, das ist aber so‹, meinte der Brummbaß der Steinkohle, ›wenn's Ihnen auch unangenehm ist. Wir alle drei stammen aus derselben Familie, unser aller Vater ist der Kohlenstoff. Sie sind nichts weiter als kristallisierter Kohlenstoff, und der Bleistift, der ja eigentlich Graphit heißt, ist ebenfalls Kohlenstoff, genau so wie ich, nur daß in meinem Körper noch mancherlei andere Stoffe enthalten sind.‹

›Das verstehe ich nicht‹, sagte der Diamant, 240

›Das ist aber ganz einfach‹, antwortete die Kohle. ›Sehen Sie, da vor Ihnen auf dem Tisch stehen Blumen im Wasser, und da an der Fensterscheibe sitzt Eis, und da draußen fährt eben eine Lokomotive vorbei, aus der weiße Wasserdampfwolken aufsteigen. Nun, das sind auch drei Brüder wie wir. Da im Glase ist flüssiges Wasser, am Fenster ist zu Eis kristallisiertes Wasser, und die weiße Lokomotivwolke ist verdampftes Wasser. Aber aus Wasser bestehen sie alle drei, und genau so bestehen wir drei hier aus Kohlenstoff und sind also Brüder!‹

›So, so‹, meinte der vornehme Mann, schon recht kleinlaut, aber doch noch immer von oben herab, ›dann müßte ich doch aber genau so im Feuer verbrennen wie Sie, und dann müßte man doch aus Kohlen Diamanten herstellen können!

›Ei freilich, Sie vornehmer Bruder, das kann man auch, und die Menschen haben es auch schon getan! In einer sehr heißen Flamme verbrennen Sie genau so wie ich, mein Lieber, und man hat auch schon aus Kohle kleine künstliche Diamanten hergestellt, wenn das auch sehr schwierig ist, denn die Menschen haben das Küchenkochbuch der Natur, die uns alle drei gebraut hat, noch nicht gefunden. – Ja sehn Sie, so ist es mit Ihrer Vornehmheit. Wenn man genau hinsieht, ist sie eine windige Sache, und auf alle Fälle sind Sie höchst unnütz. Nur einer aus Ihrer Sippe ist ein braver und fleißiger Mann, das ist der Diamant, mit dem der Glaser seine Scheiben zuschneidet, und der ist eine ganz biedere, gemütliche Seele. Er riecht zwar immer ein bißchen nach Fensterkitt, und Sie würden ihn sicher nicht als Ihren Bruder anerkennen, aber mir ist er lieber als Sie!‹

›Nun‹, entgegnete der schwerbeleidigte Baron von Diamant, ›Sie mögen ja über die Verwandtschaftsverhältnisse in meiner Familie besser unterrichtet sein als ich, aber wenn wir selbst so ganz weitläufig miteinander eine Stammesgenossenschaft bilden sollten, eins können Sie doch nicht bestreiten, nämlich, daß ich eben der Vornehmste unserer Familie bin und bleibe!‹

›Bester Herr‹, meinte gutmütig brummend der schwarze Arbeiter da vom Kamin her, ›glauben Sie ja nicht, daß es ein Vergnügen ist, mit Ihnen verwandt zu sein. Schöner sind Sie gewiß als ich und mein Bruder, der Bleistift, aber Sie sind eine höchst anrüchige Person, die in üble Mord- und Raubtaten verwickelt worden ist, und ich lege 241 keinen Wert darauf, mit Ihnen verwandt zu sein. Ob ich aber trotz meines schwarzen Rockes nicht in Wahrheit doch vornehmer bin als Sie, das ist noch sehr die Frage, denn ohne uns Steinkohlen ginge bei den Menschen alles zum Teufel, und wenn wir auch nur einen Tag streiken würden, verlöre unser Herr zehnmal mehr, als Sie samt Ihrer Frau, der geborenen Gräfin Perle, wert sind. Wir treiben mit unserer Kraft die tausend Fabriken, beleuchten und heizen die Riesenstädte der Menschen, wir ziehen die unablässig ein- und ausfahrenden Eisenbahnzüge von Land zu Land, wir sind es, die die Schiffe durch die Wasserwüste des Ozeans treiben. Kaiser und Könige, Herren und Knechte, Millionäre und Bettler sind auf unsere Kraft angewiesen, alles stände still, wenn wir feiern würden. – Wenn man aber heute alle Diamanten der Welt ins Wasser werfen würde, nun, dann wäre auch weiter nichts, und kein Rädchen in der Welt drehte sich deshalb schneller oder langsamer. – Aber still jetzt, ich höre unsern Herrn kommen, und der liebt das Schwätzen nicht. Leben Sie wohl, Sie eitler Fratz, und grüßen Sie Ihre Frau von mir, die geborene Gräfin Perle!‹ Die Steinkohle lachte im tiefen Baß ›Hahaha‹, der spitzige Bleistift kicherte schadenfroh ›Hihihi‹, und der Baron von Diamant konnte vor Wut kein Wort herausbringen. Dann war es mäuschenstill. Die Gebrüder Kohlenstoff schwiegen.

Da ging plötzlich die Tür auf, und der Herr trat ins Zimmer. Er rief seinen Diener. ›Legen Sie noch Kohlen auf‹, sagte er, ›es ist kalt, und ich habe noch lange zu arbeiten!‹ Und dann setzte er sich an den Schreibtisch, nahm den Bleistift und fing an, emsig zu schreiben.

Den Diamantring aber schob er achtlos beiseite. Den brauchte er nicht!

Seht, Kinder«, meinte der alte Ulebuhle, »so ist es in der Welt, und darum merkt euch den Spruch: ›Es kommt nicht auf das Röcklein an, man frage stets: Was kann der Mann?‹« 242



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