Bruno Hans Bürgel
Die seltsamen Geschichten des Doktor Ulebuhle
Bruno Hans Bürgel

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Vom Doktor Ulebuhle

Da unten im Harzgebirge mit seinen dunklen Tannenbergen liegt die alte Kaiserstadt Goslar mit ihren uralten spitzen Türmen, seltsamen Torbogen und engen Gassen mit wunderlichen, jahrhundertealten Häusern am Fuße des Rammelsberges, in dem tief, tief unter der Erde die Bergleute pochen. Vor vielen Jahren lebte da der Doktor Ulebuhle. Er bewohnte ganz allein eines jener etwas windschiefen, mittelalterlichen Häuser, die verwundert aus ihren vom Alter fast erblindeten winzigen Fensterchen in die neue Zeit hineinblinzeln. Oben auf dem Hause war ein Turm, gedeckt mit lauter Schiefertafeln, fast so wie die, mit denen wir Buben zur Schule zogen, und da oben hatte Ulebuhle ein großes Fernrohr stehn, mit dem man den Mond und die Kometen betrachten konnte. Und dann waren da im Hause ein paar ganz einfache Zimmerchen mit alten Möbeln und seltsamen Uhren und allerlei Schnickschnack, und eines davon war ganz mit Büchern vollgestopft, daß man nicht wußte, wohin man treten und wohin man sich setzen könnte. Nebenan sah es noch viel 8 toller aus! Das wahre Museum. Ausgestopfte Tiere, versteinerte Fische und Schnecken, Tiergerippe und Totenbein und Schmetterlingssammlungen und seltene Käfer, Erdglobus und Himmelsglobus, Elektrisiermaschinen und Mikroskope, hundert Instrumente und weiß der Teufel was noch für Krimskrams.

Und da hauste der alte Ulebuhle ein Leben lang wie ein Maulwurf in seinem Bau. Er hatte keine Frau und keine Kinder; ein ganz altes Weiblein mit einer großen schwarzen Haube besorgte alles und war der einzige Mensch, mit dem sich Ulebuhle vertrug, denn er war ein rechter alter Knurrhahn.

Und wenn ihr nun fragt, wie er ausgesehen hat, der Doktor Ulebuhle, so muß ich sagen, höchst schnurrig! Er war so groß, daß er kaum durch die niederen Türen des alten Hauses ging, und dürr wie ein Pfeifenrohr. Das Alter hatte sein Gesicht in tausend Runzeln zerrissen, es war bartlos und von vielem Tabakrauch gebräunt wie eine alte Meerschaumpfeife, und eisengraues Haar bedeckte das Haupt. Zudem trug er auch noch eine mächtige Hornbrille mit großen runden Gläsern, und wenn er dann so bedächtig mit den Augendeckeln klappte, dann sah das in Verbindung mit der Brille und der scharfen Hakennase aus wie bei einer Eule oder »Ule«, wie die Leute da unten sagen. So aber war auch sein seltsamer Name entstanden. Eigentlich hieß er nur Doktor Buhle, für uns aber war er nur der Ule-Buhle, und dabei blieb es!

In einem langen grauen zugeknöpften Rock, Sommer und Winter mit buntkarierten Filzschuhen an den Füßen, saß der Doktor Ulebuhle so, aus der langen Pfeife blaue Rauchwolken von sich stoßend, über seinen Büchern, seinen Instrumenten und kümmerte sich um keinen Menschen in der weiten Welt.

Aber wenn er auch wunderlich aussah und wenn die Leute auch verstohlen über ihn lachten, sie zogen doch tief den Hut vor ihm, wenn er mal aus dem Fenster schaute oder in seinem Garten die Bäume beschnitt, denn er war ein Mann, der so viel wußte wie keiner in weiter Runde, die Lehrer und den Pfarrer, die Ärzte und den Bürgermeister mit eingeschlossen, und das will was heißen, denn von denen wollte doch auch einer immer mehr wissen als der andere. Er hatte viele gelehrte Bücher geschrieben, und aus fernen Ländern schickten berühmte Professoren, die so weise waren, daß sie sich Tonnenbänder 9 um den Kopf legen lassen mußten, damit er nicht vor lauter Wissen auseinandersprang, Briefe an unseren Ulebuhle und baten um seinen Rat.

Mitunter ärgerte er sich über uns, wenn wir um den großen Brunnen vor seinem Haus herumtollten und ihn bei seinem gelehrten Kram störten, und er gewann uns zu Freunden, weil er uns versprach, uns andere Unterhaltung zu schaffen. Wir wären zwar allesamt Taugenichtse, die noch einmal ein übles Ende nehmen würden, sagte er in einem seltsam knurrigen Ton, aber er wolle uns alle Sonntagabend bei Kuchen und Tee schöne Geschichten erzählen, durch sein Fernrohr den Mond und die Sterne zeigen und andere Dinge, wenn wir versprächen, künftig nicht mehr um den Brunnen zu tollen und Bälle in den Garten zu werfen.

Und so geschah's! Erst kamen nur wenige, dann mehr, und schließlich alle. Und die Geschichten waren sehr interessant, der Kuchen voller Rosinen, und um den Brunnen war es still geworden, denn keiner wollte es mit Ulebuhle verderben. Dieser aber war ein kluger Mann! Das waren keine gewöhnlichen Märchen, die er da erzählte, keine von Hexen und Menschenfressern, von Prinzessinnen und verwunschenen Froschkönigen und all solchen Dingen, die es gar nicht 10 gibt, sondern es waren Geschichten, aus denen wir Kinder viel lernen konnten und viel gelernt haben, und nur scheinbar waren es Märchen.

Zuweilen freilich hat der alte Ulebuhle auch mal geflinkert und geflunkert, und wenn wir Buben ihn dann von der Seite ansahen und ihm sagten, daß wir es nicht glaubten, dann verzog sich sein faltiges Gesicht zu einem verschmitzten Lächeln. »Ihr Taugenichtse!« sagte er, nahm eine Prise und nieste dröhnend. »Wenn ihr mir nicht glaubt, dann lüge ich euch zur Strafe nie wieder etwas vor!«

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