Bruno Hans Bürgel
Die seltsamen Geschichten des Doktor Ulebuhle
Bruno Hans Bürgel

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Gräfin Perle

Alle Dinge«, so sagte der alte Ulebuhle oft, »können uns lange und schöne Geschichten erzählen. Man muß nur ihre Sprache verstehen. Aber du lieber Gott, das ist bei den Menschen nicht anders, denn wenn mir ein Engländer eine Geschichte erzählen will, dann muß ich Englisch können, und wenn mir ein Chinese seine Erlebnisse berichtet, werde ich kein Wort davon erschnappen, wenn ich seine Sprache nicht verstehe. – So ist es auch mit den Dingen. Ich sage euch, ihr kleinen Taugenichtse, sie sind Persönlichkeiten wie wir selbst, und jedes hat ein eigenes Schicksal, und jedes hat etwas erlebt, hat eine andere Heimat und dies und jenes erfahren in der Welt. – Seht, wenn ich manchmal heraufsteige auf den Hausboden und in alten Kisten und Truhen und zwischen hunderterlei Schnickschnack herumstöbere, dann ist es da oben so interessant und kurzweilig, daß ich Raum und Zeit vergesse und die alte Christine zehnmal zum Mittagessen rufen muß, ehe ich seufzend aus der Rumpelkammer niedersteige. Bilder und krumme Türkensäbel, ausgestopfte Papageien und japanische Weihrauchfässer, Feuersteinmesser und Sackuhren aus dem sechzehnten Jahrhundert, vertrocknete indische Früchte und Lavabomben vom Vesuv, chinesische Holzschuhe und Renntiergeweihe, kurz, tausenderlei Tschingderah sagt: ›Hör zu, Ulebuhle! . . . Ich komme daher! . . . Ich sah dieses! . . . Ich jenes! . . . Und weißt du das noch? . . .‹

Ja, die Dinge können erzählen. Manche wispern nur ganz leise, aber wer die Kunst besitzt, sie zu hören, der erfährt mancherlei, das die Ohren anderer Menschen nicht vernehmen.

Da war eine vornehme junge Dame, die war so schön, daß sie nicht nötig hatte, klug zu sein, wie es so manchmal ist in der Welt. Darum konnte sie auch nicht hören, was all die feinen und zierlichen Dinge, die sie besaß, wisperten und zu sagen hatten. Zu allem Unglück war sie auch noch reich, und darum hüpfte sie durch die Welt und war manchmal ärmer als Johann, der muntere Seifensieder, der sich an Wolken 151 und Lerchen, Gänseblümchen und Tautropfen erfreute, sich allerlei Gedanken darüber machte und Lieder davon zu singen wußte.

In einem ihrer prächtigen Gemächer hatte die schöne reiche Dame einen herrlichen Schrank, der war aus Rosenholz gefertigt und mit schillernden Perlmuttplättchen ausgelegt. Das mußte auch so sein, denn dieser Schrank barg die zierlichsten und wertvollsten Kostbarkeiten. Es war der Schmuckschrank.

Oh, wie glänzte und schimmerte es darin, wenn man die Kästen aufzog und die liebe Sonne über Gold und Edelsteine, Perlen und Filigransilber strich. Da waren güldene Kettlein mit Rosen aus geschnittenen Korallen, Ringe mit Diamanten und Saphiren, Ohrhänger aus indischen Perlen, Agraffen aus Rubinen und Smaragden, Armbänder aus vierfach getöntem Gold, das Künstler zu zierlichsten Blätterzweigen gehämmert, zwischen denen wie Tautropfen niedliche Brillanten hingen. Ein richtiges Häubchen lag da, aus Filigransilber gezaubert und mit blauer Seide gefüttert. Gürtel und lange Ketten, für jedes Gewand passend, besetzt mit Amethysten und Lapislazuli, Granat- und Bernsteingehänge . . . kurz, nichts konnte man vermissen.

Aber am meisten liebte die reiche Schöne doch die mächtige Perle, die zwischen Diamanten schwebte wie der Mond zwischen den glitzernden Sternen. Sie war fast so groß wie eine Kirsche und von mildestem Glanz. Wie Mondenschimmer auf einsamen schimmernden Eisströmen, die aus Alpenhöhen zaubervoll durch die stille Nacht leuchten, war der Schein dieser Kostbarkeit.

Darum lag sie auch für sich allein in einem Kästchen aus mattem Elfenbein, auf schwarzem Samt. Es war sozusagen das Schloß der Gräfin Perle, darin sie, unnahbar geringerem Wert, thronte, auf jene Stunden wartend, da die Schöne sie mit sich nahm in den funkelnden Lichterglanz rauschender Feste.

Aber wer hoch steht, Kinder, der muß doppelt achtgeben, daß er nicht fällt, denn es gibt viel Neid in der Welt. Neider hatte auch die Gräfin Perle, denn da sie der Liebling ihrer Gebieterin war und zu den wichtigsten Gelegenheiten hinzugezogen wurde, was nur sehr wenigen Auserlesenen in der bunten, funkelnden und gleißenden Gesellschaft des Schmuckschrankes geschah, hatte sie Gegner und Feinde. Nur wer sich mit allen gemein macht und mit jedem aus einer Flasche trinken mag, ist ein rechtes ›Bruder-Herz‹ für jeden am Straßenrand. 152

Ja, es war in diesem Schmuckschrein der schönen Frau ganz wie unter den Menschen. Auch da wollte der eine mehr und fürnehmer sein denn der andere, und es war viel Geklatsch und Getratsch, und ein jedes versuchte sich ins rechte Licht zu rücken. Wer feine Ohren hatte und die Sprache der Dinge verstand, der hörte es wispern und vernahm allerlei Geschichten.

›Ich‹, sagte die dicke goldne Kette, die unter Brüdern ihre hundert Taler wert war, ›entstamme der alten Familie Dukatus. Zehn alte schwerreiche Dukaten, die noch unter dem großen König Ludwig gedient hatten und samt und sonders mit seinem Porträt ausgezeichnet wurden, taten sich eines Tages zusammen und vereinigten ihren gesamten Wohlstand, um ein Familien-Schmuckstück zu schaffen, und das bin ich. Die Leute sagen, ich sei aus der Mode und darum lege mich unsere junge Herrin nur selten um, aber das macht mir gar nichts, denn mein Wert steckt in mir selbst. Hier liege ich, rund und schwer, und pfeife auf den ganzen modernen Firlefanz. Wir aus der Familie Dukatus bleiben, was wir sind, und beherrschen im Grunde dennoch die Welt. Einer der größten Dichter hat es uns bestätigt: 'Am Golde hängt, zum Golde drängt doch alles' sagte er.

Tief im finstern Felsenschacht der Mutter Erde ist unser Geschlecht geboren, dort, wohin kein Mensch zu dringen vermag. Mutter Erde wendete eines Tages die Falten ihres steinernen Gewandes um, und da kam die Stätte unserer Geburt zutage. So erblickten auch wir das Licht der Sonne und gleißten und glänzten, bis uns die Menschen im Sande eines Flußtales fanden und mit räuberischer Glut in den begehrlichen Augen von dannen trugen. Der König verlieh uns höchstes Ansehen; er gab uns den erblichen Adel, schuf die Familie Dukatus. Eine Welt verneigte sich vor uns, und es öffnete sich uns die verschlossenste Tür. Wir schufen Krieg und bezahlten ihn, und auch den Frieden bezahlten wir abermals. Wir bezahlen den Bauer, der das Feld bestellt, den Schiffer, der nach fremden Meeren fährt, den Mann, der den Hammer schwingt, und die Hand, die die Nadel führt. Wieviel Dukaten bekomme ich? fragt der Künstler, der die herrlichen Gemälde schafft, und ebenso fragt der Dichter, der seine Liebe, den Mond und die Nachtigall andichtet und den ganzen Krempel in ein dickes Buch hineinschreibt, das die verliebten Leute kaufen.

Ich will mich ja nicht großtun, beileibe nicht, aber Recht muß 153 Recht bleiben, und jeder wird mir zugeben, daß unsereiner eben doch sozusagen etwas ist. Wir aus der Familie Dukatus scheinen nicht nur etwas, wie gewisse andere Leute, wir sind etwas, wenn wir auch nicht mit einem zarten Rühr-mich-nicht-an-Mondscheingesicht in die Welt blicken. Wer etwas ist, bemüht sich nicht zu scheinen, wer scheinen will, wird niemals etwas sein!‹

Das Gold klimperte noch einmal mit seinen blanken Gliedern, dann lag es still. – Der funkelnde Diamant, der nicht weit davon auf einem weißen Samtpolster ruhte, hatte die Geschichte nicht ohne einigen Ärger mitangehört. ›Immerhin‹, sagte er, ›müssen Sie bedenken, daß man um so mehr in der Welt gesucht ist, je rarer man sich macht. Warum liebt mich diese schöne Frau, der wir alle dienen, mehr als Sie? Weil ich aus einer Familie stamme, deren Mitglieder weit in der Welt verstreut sind. Es müssen schon viele Dukaten kommen, um einen Diamanten aufzuwiegen. Wir sind die Meisterwerke der Mutter Erde, uns hat sie in den geheimsten Kammern der Erdentiefe geschaffen, an ihrem heißesten Herzen. Gold findet man reichlich, aber die Menschen können ganze Berge abtragen, ohne auch nur einen einzigen aus unserem Geschlecht zu entdecken. Ich glaube, wir sind die klaren Tränen, die Mutter Erde in ihrem Herzen weint, verborgen und unbelauscht, sind das Kostbarste und Edelste, das sie zu schenken weiß. Liegt es nicht wie ein Geheimnis um uns? In der dunkelsten Tiefe liegt unsere Wiege, und doch spiegelt sich in uns, zu Tag gebracht, das Licht der Welt in allen Regenbogenstrahlen.

Was Wunder, daß die Menschen Mord und Tod nicht scheuen, uns in ihren Besitz zu bringen, daß sie Berge Goldes geben, uns zu erwerben. Des Königs Krone ist von Gold, doch an ihrer Spitze funkelt der Diamant, gleich wie die Sterne an Gottes Thron.‹

›Dennoch seid Ihr eigentlich zu nichts nütze‹, meinte etwas pikiert das Gold.

›Kommt es darauf an‹, entgegnete der Diamant, ›so ist das Eisen, das gleich uns im Schoß der Erde wuchs und dem Schmied wie dem Bauer dient, uns allen über. Ich fühle mich unserer Herrin verwandt! Mein Wert liegt in meiner Schönheit. Aber der Menschen Sinn ist wandelbar. Die Gunst der schönen Frau hat sich der Gräfin Perle zugewandt. Früher war ich ihr Liebling, nun hat sie ihr Herz dieser blassen Dame Mondschein geschenkt, über deren Herkunft Dunkel liegt. Aber die 154 Welt dreht sich, sagt der lustige Kavalier mit dem schwarzen Schnurrbart, der um unsere Schöne streicht, man muß nur warten können!‹ –

Es war, als ob durch die goldgelben Glieder der Bernsteinkette ein feines Knirschen ging. Sie lag neben der zarten Korallen-Rose und sagte ärgerlich: ›Wenn man die Vornehmen reden hört, sollte man meinen, wir seien nicht mehr wert als der Stein auf der Straße. Aber ich bin an Kummer gewöhnt und habe ein tränenreiches Dasein. Wir hundert Geschwister, die wir nun zur Kette vereint diesen Elfenbeinfächer festhalten, der sich ewig wie ein Pfau spreizen will und schwer zu bändigen ist, sind wirklich und wahrhaftig allesamt Tränen, die vor grauen Zeiten hochstämmige Fichten am Ostseestrande weinten, als ein wilder Sturm sie zerknickt. Da rannen ihre gelben Tränen aus den Wunden nieder, aber es half alles nichts, sie mußten sterben, denn das wilde Meer konnte den Wald an seinen Ufern nicht leiden. Es drang immer weiter vor, seine Wellen gruben das Wurzelwerk aus, und der Sturmwind warf die sterbenden Bäume in langen Reihen nieder.

Da lagen sie wie die Soldaten nach der Schlacht. Ihr Holz vermoderte, aber die dicken gelben Tränen verhärteten zu Bernstein und sanken in den Meeressand. – Menschen kamen und sammelten sie auf, und ein Künstler machte Perlen aus den Tränen und aus Perlen eine Kette. So kamen wir hierher. Sie sehen, daß es eine tränenreiche Geschichte ist und daß die alte Trauer noch immer in uns nachzittert, wenn es auch mitunter den Eindruck hat, als ob wir innerlich durchleuchtet sind. Nur einmal war es wirklich schön. Da lagen wir um den Hals der schönen Frau, die damals noch ein ganz junges Mädchen war. Sie saß an einem heißen Sommertage unter den grünen Bäumen und wippte mit dem Fächer, der ein breites Rad schlug wie ein weißer Pfau. Da schien die alte Sonne, dieselbe, die damals am Himmel stand, als am Rande der See die Fichten rauschten, golden in unser kleines Herz hinein, und über uns nickten Geschwister jener Fichten, die vor grauen Zeiten auf ihrem Posten starben wie brave Soldaten. Ja, das war ein schöner Tag, aber nun ist es langweilig geworden, man ist zum alten Eisen geworfen.‹

Da klapperte es in dem elfenbeinernen Fächer, als ob Zähne aufeinanderschlugen. ›Ih, du meine Güte‹, sagte das weiße Ding, ›was ist Sie doch für eine alte Tränenliese! Hin ist hin, und weg ist weg! Schluß und Punktum! Da sehe Sie mal mich an! Was war ich früher 155 für ein forscher Kerl, als ich mit Jumbo, dem großen Elefanten, der wie ein mächtiger grauer Luftballon aussah, durch den dicksten afrikanischen Dschungel trabte. Ja, ihr mögt es glauben oder nicht, ich war das einzig Wertvolle an dem ganzen großen Jumbo, der gut und gern seine hundert Zentner wog. Was haben wir beide für Raufereien ausgefochten! Einmal sprang ein ausgewachsener Leopard dem guten Jumbo auf den breiten Buckel. Er rannte mit ihm gegen einen Baum, daß es rappelte und krachte und die alte Katze, die sicher längst schon irgendwo als Bettvorleger unter die Pantoffeln gekommen ist, zu Boden kollerte. Da kam ich Jumbo zu Hilfe. Wir nahmen den Burschen auf unsere langen weißen Stoßzähne und verhalfen ihm zu einer kleinen Luftreise, die über mehrere Affenbrotbäume hinwegging, so daß sie Schimpansen, die da oben gerade ihr Frühstück einnahmen, vor Schreck ihre Morgensemmeln fallen ließen.

Herrschaften, was war das für ein Leben! Ich könnte Bände darüber schreiben. Gewiß, auch das nahm ein trauriges Ende, denn eines Tages waren die Elfenbeinjäger hinter uns her. Von Jumbo wollten sie eigentlich gar nichts, nur von mir, aber da wir auf Tod und Leben verbunden waren und ich nicht von Jumbo zu trennen war, solange er noch traben konnte, so schossen sie dem armen Dicken mit einem mörderlich krachenden Pusterohr ein infames kleines Metallding hinter die Ohren, und er tat seinen letzten Schnaufer.

Sie trennten mich von Jumbo, ich machte noch ohne ihn weite Reisen 156 zu Schiff, aber der rechte Spaß war doch vorbei. Schließlich kam ich zu einem vermaledeiten Zahnarzt, der mich zu diesem Fächerding umformte. Denken Sie, es ist ein Vergnügen, alte Bernstein-Tränen-Liese, von dem winzigen Händchen einer jungen Dame in der parfümierten Luft eines Ballsaales herumgefuchtelt zu werden, wenn man als junger Kerl mit einem hundert Zentner schweren Jumbo durch die Wälder Afrikas trabte und sich mit wilden Katzen raufte?!

Aber was nutzt das ewige Greinen? Hin ist hin, und weg ist weg! Schluß und Punktum! Die Zeit der Abenteuer ist vorüber! Vor Jahren durfte ich noch einmal einem alten Major, der unserer Gnädigen allzu heftig die Kur schnitt, auf die Hand schlagen, seitdem aber liege ich hier in diesem Schrein und bekomme steife Gelenke wie ein pensionierter General. Ist das ein Leben? He? Aber wenn man seinen Ärger jeden Tag breitwalzt, wird er immer größer. Lustig muß die Welt zugrunde gehn, Madame!‹

›Der weiß Geschichten zu erzählen, wie alle Mannsleute‹, meinte die zarte Korallen-Rose. ›Von der Enttäuschung eines Frauenherzens aber versteht er nichts, denn er ist eine Abenteurernatur. Aber auch ich, mein Fräulein von Bernstein, kenne ferne Länder, die unter einer heißeren Sonne liegen, und auch ich habe mit dem Meere Bekanntschaft gemacht, ja es ist meine Heimat. Oh, wie ist sie schön! Sie sind ein Kind des Nordens und können es sich gar nicht vorstellen, wie herrlich die Welt da unten ist in der Inselwelt der Südsee. Tief blau ist der Himmel, grünlich das weite, weite Meer, aus dem die tausend Inseln, jede eine kleine Welt für sich, emporsteigen im Schmuck ihrer Kokospalmenwälder, ihrer leuchtend bunten, fremdartigen Blumen, über die Schmetterlinge gaukeln, schillerndgrün wie der Ozean.

Da leben schöne braune Menschen unter einer heißeren Sonne; sie bauen sich merkwürdig schmale Boote, aus denen seitwärts ein Treibbaum weit ins Wasser hängt, hissen spitze Segel aus bunten Matten und fahren singend hinaus auf das Meer, um zu fischen.

Ja, es ist eine fröhliche, sonnige Welt voll balsamischer Düfte. Aber was das Sonderbarste ist und was Sie mir kaum glauben werden, viele von diesen Inseln wurden von meinem Geschlecht, von den Korallen, erbaut. Viele hunderttausend Jahre haben meine Vorfahren daran geschaffen, bis so große Inseln entstanden, daß Wälder darauf wachsen können und die Menschen da ihre Häuser bauen. 157

Als zierliche, lebende Sternchen, Blumen eines Märchenlandes gleich, leben da unzählige Korallen-Tierchen dicht unter dem Wasserspiegel auf dem felsigen Untergrund der See, wo die Flut lau ist und klar wie ein Kristall. Vom grünlichen Grunde des Ozeans heben sich die leuchtend roten Stöcke der Korallen wie verzweigte Bäume empor, und auf diesen roten Ästen von Kalk, den die Tierchen selbst erzeugen, prangen die weißen, strahligen Sterne der lebenden Geschlechter, Blumen gleich. – Generationen um Generationen bauen, wenn die alten abgestorben sind, weiter und weiter. Korallenfelsen entstehen, ganze Inseln, die sich übergrünen mit smaragdenem Putz von mancherlei Gesträuch, und dann kommen die hohen Bäume, die ihre breiten Palmenfächer im lauen Wind wehen lassen.

Da ist meine Heimat. Wie fern liegt sie! Wo sind die silbrigen Fischlein geblieben, die zwischen den Korallenästen spielten, wo die schönen braunen Menschen, die so fröhliche Lieder sangen, wenn der frische Hauch des sonnigen Morgens ihre Segelmatten blähte?!

Meine Schwestern und ich, wir waren die schönsten eines zartrötlichen Korallenkalk-Astes, darum brach man uns und entführte uns 158 aus dem lauen Meer mit seinen flinken Fischen. Nun liege ich hier in dem engen, dunklen Schrein, von einem Künstler umgestaltet zu einer zarten Rose, und träume von Polynesiens warmen Küsten.‹ – –

So erzählten sich die glänzenden, strahlenden, bunten Dinge, die da beieinander im Schmuckschrein der schönen, verwöhnten Dame lagen, ihre Lebensschicksale. Nur die große, wunderbare Mondscheinperle schwieg, denn sie kam sich vornehmer vor als alle anderen zusammen und sonnte sich in der Gunst der schönen Frau.

›Ich glaube, die Lebensgeschichte der Gräfin Perle ist dunkel‹, sagte der Diamant. ›Es gibt Leute, die nicht gern von ihrer Vergangenheit sprechen, weil sie etwas zu verbergen haben. Ich gäbe etwas darum, wenn ich hinter ihr Geheimnis kommen könnte.‹

›Ja, sie hat ein Geheimnis‹, meinten auch die anderen, ›aber sie versteht es zu bewahren!‹

Sicher hätten sie es niemals herausbekommen, wenn nicht durch einen Zufall die Familienverhältnisse der Gräfin Perle bekanntgeworden wären.

Eines Tages trat die schöne Frau mit einem freundlichen alten Herrn in das Gemach und schloß den Schmuckschrank auf. ›Hier‹, sagte sie, ›liegt alles beieinander. Manches ist schon alt, und ich trage es nicht mehr, denn es ist aus der Mode, und manches müßte man umarbeiten oder verkaufen. Wir wollen den ganzen Kram betrachten, und dann können Sie mir raten, wie wir es am besten machen!‹

Der alte Herr setzte sich einen Klemmer auf die Nase und prüfte jedes Stück genau, denn er war der Juwelier der schönen Frau und verstand sich auf sein Geschäft. Auf Heller und Pfennig wußte er den Wert und die Herkunft all dieser glänzenden Kleinodien anzugeben. Seine geschickten Finger drehten und wendeten die zarten Sächelchen, und oft lobte er Feuer und Schliff eines Steines und die Arbeit, die der Künstler aufgewendet, um alles ins rechte Licht zu setzen.

Schließlich kam er auch zu dem Kästchen, das die große Perle enthielt. Da lag sie auf ihrem schwarzen Samtbrett, von Brillanten umgeben wie der Mond von den glitzernden Sternen, und ihr mildes Licht erfreute des Kenners Herz, denn es schien aus einer anderen Welt zu kommen, so zart und unirdisch war es.

Der Alte zog eine Lupe aus der Tasche und trat mit der Perle dicht an das Fenster. Lange betrachtete er sie genau und ließ auch das Sonnenlicht in scharfem Strahl hindurchfallen. 159

›Ein seltenes Stück‹, sagte er, ›eine der größten Perlen, die ich gesehen. Leider ist es eine Japan-Perle!

›Nein‹, entgegnete die schöne Frau, ›sie ist aus Paris!‹ Der alte Mann lächelte freundlich. ›Da mag sie gekauft sein, Madame, aber dennoch stammt sie aus Japan, und es ist, wenn man es genau nimmt, keine echte Perle, eben eine Japan-Perle!‹

Die schöne Frau bekam einen Schreck. ›Oh‹, sagte sie, ›nicht echt? Das kann kaum sein, denn sie hat ein kleines Vermögen gekostet und stammt vom berühmtesten Juwelier Frankreichs. Kaiser und Könige kaufen dort!‹

Der alte Mann hob begütigend die Hand. ›Das alles glaube ich gern, und Sie müssen meine Worte nicht falsch verstehen, Madame. Die Perle ist trotz allem von hohem Wert, und dennoch ist sie sozusagen nicht echt. Aber das kann nur jemand erkennen, der ein Leben lang mit Perlen zu tun hatte, wie ich. Sie ist eine echte Perle und doch auch wieder eine unechte, so sonderbar es klingt.

›Das verstehe ich nicht‹, meinte, ein wenig ärgerlich und noch immer beunruhigt, die schöne Frau. ›Echt und dennoch unecht?‹ Der alte Meister legte die mondscheinschimmernde Kostbarkeit vorsichtig in ihr Bett zurück. ›Ja, es erscheint zunächst unsinnig, wenn man es so hört‹, meinte er lächelnd und strich seinen weißen Bart. ›Ich will Ihnen die Lebensgeschichte dieser Perle erzählen, und Sie werden dann begreifen, Madame, was gemeint ist.

Eine jede Perle ist im Grunde genommen nichts anderes als ein Sarg.‹

›Waaas?! . . . Ein Sarg?! . . .‹

›So ist es, Madame, ein wirklicher Sarg. Und wissen Sie, wer in einem solchen schimmernden, kostbaren Sarg bestattet liegt? Das klingt noch viel sonderbarer: ein Eingeweide-Wurm! Ein Bandwurm sozusagen und mit Respekt zu vermelden. Freilich nur ein ganz winziger.‹ 160

Die Dame ließ sich langsam und ganz ernüchtert auf einem der seideüberspannten Sessel nieder. Das war ja schrecklich, was man da hörte! Sarg! Bandwurm! Oh, wie häßlich! Und das in Verbindung mit dieser Kostbarkeit, dieser Perle, die an rauschenden Festen, von jedermann bewundert, an ihrem weißen Halse hing!

›Die Natur hat viele sonderbare Werkstätten‹, sagte der Alte. ›Tief unten im Schoß der Erde hat sie Gold und Silber bereitet, aus Kohlenstoff kristallisierte sie die Diamanten, aus dem Harz der Bernsteinfichte gestaltete sie uns Bernstein, aus den Kalkabsonderungen der Blumentierchen des Meeresgrundes entstehen die Korallen, und auch die Perlen schafft ein Geschöpf des Meeres! Da unten, bei den Perlmuschelbänken an den Küsten Asiens, liegen auf dem Grunde der See die Muscheltiere. Sie sind es, die uns die Edelsteine des Meeres, die Perlen, liefern. Ist durch irgendeinen Zufall ein Fremdling in den Körper des weichen Muscheltieres gelangt, etwa ein winziges, spitzes Sandkörnchen, das da ärgert und zwickt, so hat der empfindliche Meeresbewohner die Kunst und Fähigkeit erlernt, diesen Fremdling unschädlich zu machen. Das Muscheltier sondert einen zarten, kalkhaltigen Schleim ab, umhüllt damit den Fremdling, sargt ihn darin ein. Dieser Schleim erhärtet nach und nach, er wird zur Perle, die also eigentlich nichts anderes ist als ein wundervolles kleines Kalkgehäuse von allerzartestem Perlmutterglanz.

Zumeist sind es kleine Eingeweidewürmer, die das Muscheltier auf diese Weise mit List und Kunst beseitigt, liebe Dame. Wirklich schafft es ihnen einen Sarg, so schön, wie wir sonst keinen kennen, und solange es Menschen und Muscheltiere gibt, wird man nach diesen wundervollen Särgen, die wie Mondeslicht auf Meereswogen leuchten, Jagd machen, werden die Perlentaucher Ceylons und die vom Persischen Golf, allen Haifischen zum Trotz, ihr Leben wagen, niedertauchen zum klaren Grund und die Muscheltiere zusammenraffen, um zu sehen, ob sie nicht Perlen in ihrem Innern bergen.

Ich sehe es Ihnen an, liebes Fräulein, Sie sind enttäuscht, daß die herrliche schimmernde Kugel, die, einem Riesenopal gleich, so manches Mal an Ihrem Hals hing und mit dem Schlage Ihres Herzens leis sich wiegte, so sonderbarer Herkunft ist! Ach, wir Menschen sind töricht, daß wir das Schöne nicht lieben, ohne zu forschen, weshalb es schön ist! Warum fragen wir nach Name und Art? Es ist wie in dem 161 Märchen vom Prinzen und dem Gänseliesel, das sich in der Hofdame Kleider gesteckt hatte. Wie schön und anmutig, wie reizend und liebenswert fand der Prinz die zierliche Kleine! Er hätte sie vom Fleck weg heiraten und auf seinen Thron setzen können. Aber da er nun hörte, daß es in Wahrheit nur ein Gänseliesel sei, war aller Zauber gewichen.‹

Der alte Juwelenmeister lächelte weise in seinen langen Bart. ›Ich wette zehn Dukaten, Madame, es geht Ihnen wie dem Prinzen. Die schöne Perle ist zu einem Gänseliesel geworden. Und doch lieben Kaiser und König, Sultan und Maharadscha die Perlen und heißen sie Tränen, die ein Gott geweint! Chinesische Weise meinen, man könne den Trank des ewigen Lebens daraus brauen, und indische Prinzessinnen tranken zerstampfte Perlen in Tee, um schön zu werden. Sie wissen, Madame, daß die berühmte Königin Kleopatra eine Perle im Werte von anderthalb Millionen Mark in Essig auflöste und vor den Augen des Antonius trank, um ihm ihren Reichtum zu zeigen. Karl der Große und der Schah von Persien, Karl der Fünfte und der Kaiser von China, sie alle hatten als wertvollsten Kronschatz mächtige Perlen von unschätzbarem Wert. Noch heute sucht man nach der Königin unter den Perlen, die der finstere Philipp von Spanien sein eigen nannte und die fast einem Hühnerei an Größe gleichkam. Wer fragte danach, wie die Natur in ihren seltsamen Schatzkammern diese Wunder zusammenfügte?‹

Die Schöne hatte ihren Schmerz schon halb überwunden. Nachdenklich sah sie vor sich hin. Nun hob sie den Kopf.

›Aber sagtet Ihr nicht, Meister, daß die Perle echt und unecht zu gleicher Zeit sei?!‹

›So ist es wirklich, und ich will versuchen, es zu erklären. Die Menschen sind listig und habgierig. Als sie erkannt hatten, daß das Muscheltier alle eindringenden Fremdkörper mit einem Mantel umhüllt, der später verhärtet und zu einer Perle wird, da kam ihnen der Plan, das Tier zu zwingen, Perlen zu erzeugen. Sie fischten es aus der See, brachten kleine spitzige Körperchen ins Innere seines Leibes und ließen es wieder hinab zu den Muschelbänken, dort, wo sie es immer wieder finden konnten. – So mußte das Muscheltier auf des Menschen Befehl seine Perle formen.

Und dann kam ein kleiner, kluger Japaner, der war noch listiger als alle anderen. Er beschloß, aus kleinen Perlen große zu schaffen. Richtige 162 kleine Perlen brachte er wieder in den empfindlichen Körper des Muscheltieres hinein, und dieses umhüllte die kleine Perle mit immer neuen, dickeren Schichten ihres Perlmutterstoffes, so daß sie wuchs und wuchs. – Auf diese Weise, Madame, ist die mächtige Perle entstanden, die hier vor uns liegt. Nur das geschärfteste Auge vermag es zu erkennen, daß sie echt und dennoch künstlich ist, daß der listige Mensch seine Hände im Spiel hatte, als die Natur diesen kleinen schimmernden Mond in den Kammern eines Tierchens auf dem Grunde des Meeres schuf!‹

›Es ist interessant‹, meinte die Dame, ›aber . . . ich weiß nicht . . . ein wenig von dem Zauber hat die schöne Perle nun doch für mich verloren!‹

Der Alte lächelte fein. ›Manches‹, so sagte er, ›muß man nicht wissen, wenn man glücklich sein will, denn nicht alles Wissen macht froh. Ich weiß nicht, ob Sie die Geschichte vom König Claudius kennen, mein Fräulein, und von seinem Sommerschloß? – König Claudius war alt geworden und still, und die laute Welt und der Waffenlärm und der Prunk seiner vielen Paläste sagten ihm nicht mehr zu. Da zog er sich zurück auf das entlegenste seiner Schlösser, das still und schmucklos in einem ernsten Hain lag, der hoch über dem Meer den Blick freigab auf den ewigen Wogenschlag. Still und glücklich lebte er da. Ganze Tage saß er an seinem Lieblingsplatz unter einer mächtigen Eiche auf einer uralten Bank und blickte weit hinaus über die See und sah die Sonne allabendlich, in rote Fahnen gehüllt, ein sterbender Held, in den Fluten ertrinken.

König Claudius hatte sich nie so glücklich gefühlt wie hier, wo die Schar der Höflinge ihn nicht umschmeichelte, niemand um seine Gunst buhlte und der Hader der Welt nicht hörbar war.

'Unter diesem Baum', sagte der König, 'will ich begraben sein. Zwischen seinen jahrhundertealten Wurzeln will ich schlafen bis in die Ewigkeit. Ich will nicht in die kalten steinernen Grüfte des finsteren Domes, der nach Weihrauch riecht.'

Das ärgerte des Königs Beichtvater, der ein strenger und finsterer Priester war. 'Du sollst doch in den Dom und in seinen Weihrauch', sprach er heimlich zu sich, und er wußte auch, daß es nicht schwer sei, dem König diesen seinen Lieblingsplatz unter der hohen Eiche beim Schloß am Meer zu verleiden, denn er wußte von den alten Geschichten dieses Landes mehr als der König selber. 163 Gar listig fing er es an: 'Dieses Schloß und dieser Hain, mein König, wo Ihr so gern die letzte Ruhstatt finden möchtet, gehören noch nicht lange zu unserm Reich. Euer Vater erst erwarb beides in heftiger Fehde. Doch ist es nicht gut, an die alten düsteren Geschichten zu erinnern, die voll Trauer sind.'

,Erzählt, was gewesen ist, Kardinal. Ihr habt schon unter meinem Vater am Hofe gelebt und seid in der Historie wohlbewandert!'

'Es sind blutige Schatten, mein König', entgegnete der greise Priester mit einem schrägen Blick und schien mit seiner weißen Hand andrängende Gespenster, die längst vergessen waren, abzuwehren.

Der König blickte versonnen aufs Meer hinaus. Er spielte, ohne es zu wissen, mit Eichelpfeifchen, die ihm vom hohen Blätterbaldachin in den Schoß gefallen waren. 'Ich will es wissen, Priester', sagte er, und eine Falte grub sich in seine Stirn.

Der Kardinal verbeugte sich, und es war, als ob ein listiges Lächeln einen Augenblick die würdige Ruhe seines Gesichtes verdrängte. Er machte keinerlei Umschweife, kühl und trocken sagte er: 'Diese Grafschaft gehörte in den Jugendtagen Eures Vaters dem König Harold. Euer Vater, mein König, wollte sie um jeden Preis besitzen, und ein Grund zur Fehde war bald gefunden. König Harold wurde besiegt und hier in diesem Schloß, seinem Lieblingssitz, gefangengesetzt. Er war ein Greis gleich Euch, doch Euer Vater war damals noch jung und hitzig. Hier auf dieser Bank, unter der alten Eiche, trafen die beiden Fürsten zusammen, denn auch König Harold liebte es gleich Euch, von hier aus ins weite Meer zu schauen, ihm seine Klage anvertrauend.

Er nannte, wollen es zu Gnaden halten, Euren Vater einen Räuber. Da ließ ihn Euer Vater im höchsten Zorn in gleicher Stunde an diesen Baum hängen. Seine Gebeine ruhen unter Euren Füßen im alten Wurzelwerk.'

Da erhob sich der König mit einem tiefen Seufzer. Er warf noch einen schmerzlichen Blick auf Schloß und Hain, auf Meer und Baum, und ohne ein Wort zu sprechen, verließ er zur selben Stunde die Stätte, die er über alles geliebt, bis ihn das Wissen daraus vertrieben.

Nun schläft er längst im finsteren, kühlen Dom, und Orgelschall und Weihrauch dringen durch die steinernen Grüfte.

Habe ich nicht recht, schöne Frau? Man muß das Schöne genießen und nicht nach seiner Herkunft fragen, denn nicht immer macht Wissen glücklich!‹« – – – 164



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