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Unterfamilie Geierfalken ( Polyborinae)

In der letzten Unterfamilie vereinigen wir die Geierfalken ( Polyborinae), Raubvögel mit verhältnismäßig langem, an der Wurzel geradem, an der Spitze schwach gebogenem, zahnlosem und kurzhakigem Schnabel, hoch- und dünnläufigen Füßen, deren mittellange und schwache Fänge mit wenig gebogenen, an der Spitze aber schlank zugespitzten Nägeln bewehrt werden, kurzen Flügeln, langem und breitem Schwanze und hartem Gefieder, welches die Zügel, ausnahmsweise auch Kehle und Vorderstirn, frei läßt, und am Hinterkopfe sich zuspitzt.

Ueber Heimat, Aufenthalt, Lebensweise und Betragen dieser merkwürdigen Vögel liegen zahlreiche und ausführliche Beobachtungen vor. Wir verdanken namentlich dem Prinzen von Wied, d' Orbigny, Darwin, Schomburgk, Tschudi, Audubon und Burmeister eingehendere Schilderungen der Geierfalken, »welche«, wie Darwin sagt, »durch ihre Anzahl, geringe Scheu und widrige Lebensweise jedem auffallen müssen, der bloß an die Vögel des nördlichen Europa gewöhnt ist.« Sie ersetzen nicht allein die Geier, sondern auch die Raben, Krähen und Elstern. Wo man aber auch seinen Fuß hinsetzen mag in Südamerika, vom Meeresgestade an bis zu den Hochbergen der Andes hinauf, überall wird man ihnen begegnen. »Die Geierfalken«, sagt d' Orbigny, »sind die aufdringlichsten Schmarotzer des Menschen in den verschiedenen Stufen seiner Gesittung. Treue Gefährten des wilden Wanderers begleiten sie ihn von einem Saume des Waldes zu dem anderen, längs der Ufer der Flüsse oder durch die Ebene dahin und nehmen ihren zufälligen Aufenthalt da, wo jener sich niederläßt. Wo man auch einige Zeit verweilen mag, wo man eine Hütte aufschlägt, erscheint der Geierfalk, um auf ihr sich niederzulassen, gleichsam als wolle er zuerst Besitz nehmen, bereit, die weggeworfenen Nahrungsreste des vereinsamten Ansiedlers aufzuheben. Wenn der Mensch einen Weiler gründet, folgt ihm der Geierfalk auch dahin, nimmt in der Nachbarschaft seinen Stand und streift nun ohne Unterlaß zwischen den Häusern umher, welche ihm reichliche und leicht zu gewinnende Nahrung versprechen. Wenn endlich der Mensch sich anschickt, Ländereien urbar zu machen und sich mit einer großen Zahl von Hausthieren umgibt, scheint sich die nie ermattende Beschäftigung des Geierfalken noch zu vermehren. Sein Leben wird jetzt gesichert; denn er fürchtet sich nicht, selbst inmitten der Ortschaften sein Wesen zu treiben und hier aus der Nachlässigkeit der Bewohner Vortheil zu ziehen, sei es, indem er ein junges Hühnchen erhebt, oder sei es, indem er von den zum Trocknen aufgehängten Fleischstücken eines oder das andere wegstiehlt. Wie der Geier, muß auch er der Fahrlässigkeit der Dörfer- und Städtebewohner abhelfen, indem er die Thierleichen und den Unflat verschlingt.« Zwei Arten der Familie finden sich stets vor den Thüren der Wohnungen in der Tiefe oder nahe der Wälder, andere umschwärmen in derselben Absicht das Haus im Gebirge, wieder andere bewohnen die ausgedehnten Waldungen, und einige endlich finden sich längs der Seeküste; denn sie fressen alles genießbare, welches das Thierreich ihnen bietet, sogar Früchte des Waldes.

Das Flugbild macht die Geierfalken von weitem kenntlich; denn ihr Flügel sieht viereckig zugestutzt aus, weil die ausgebreiteten Schwingen an Länge gleich zu sein scheinen. Der Flug selbst kann schnell sein, ist aber meist langsam und führt niedrig über dem Boden dahin; der Gang geschieht ohne Beschwerde, würdevoll und mit gemessenen Schritten. Eine Art ist so sehr auf dem Boden zu Hause, daß sie niemals Bäume, sondern immer Felsblöcke zu ihren Ruheplätzen erwählt. Unter den Sinnen steht das Auge obenan; das Gehör ist gut entwickelt; aber auch der Geruch scheint wohl ausgebildet zu sein. Ihr geistiges Wesen ist ein Gemisch von Harmlosigkeit und Frechheit, Geselligkeit und Unverträglichkeit. Verstand kann man ihnen keineswegs absprechen; liebenswürdig aber sind sie nicht. Besonders unangenehm ist auch ihr oft wiederholter, durchdringender Schrei, welcher unter lebhaften Bewegungen des Kopfes ausgestoßen und namentlich dann vernommen wird, wenn sie etwas genießbares erspäht haben.

Der Horst wird oft auf dem Boden oder auf Bäumen angelegt. Die zwei bis sechs Eier sind rundlich und fleckig, nach Art anderer Falkeneier. Beide Eltern scheinen zu brüten.


Als Vertreter der Sippe der Geierbussarde ( Milvago) mag der Chimango ( Milvago Chimachima und ochrocephalus, Polyborus und Haliaëtus Chimachima, Falco degener und crotophagus, Gymnops strigilatus gelten. Ihn und seine Sippschaftsverwandten kennzeichnen folgende Merkmale. Der Schnabel ist gestreckt, schwach, kurzhakig, am Rande des Oberkiefers ohne Zahn, die Wachshaut ziemlich breit, vor dem runden, mit erhabenem Rande umgebenen Nasenloche ausgebuchtet, der Fuß mittelhoch und schlank, im Lauftheile nur wenig befiedert, der mäßig lange Fang mit ziemlich starken und gekrümmten Krallen bewehrt, der Flügel, in welchem die vierte Schwinge die längste, zugespitzt, der Schwanz mäßig lang und etwas zugerundet, das Gefieder auch in der Kehlgegend dürftig entwickelt.

Beim alten Chimango ist die allgemeine Färbung schmutzigweiß; ein Streifen vom Auge nach dem Hinterkopfe, Rücken, Flügel und Schwanz sind dunkelbraun, die vier vordersten Schwingen in ihrer Mitte an beiden Fahnen weiß und dunkel punktirt, wodurch ein lichtes Querband entsteht, die übrigen Schwingen an der Wurzel gelblichweiß, schwärzlich in die Quere gestreift, in der Spitzenhälfte schwarzbrann, die Schwanzfedern mit Ausnahme der breiten schwarzbraunen Spitze, auf weißlichem Grunde schmal schwarzbraun gebändert. Das große Auge ist graubraun, der Schnabel an der Wurzel blaß bläulichweiß, an der Spitze lichter, der Fuß blaßbläulich, die Wachshaut, der Zügel, das Augenlid, eine schmale Einfassung des Auges und die Kinnhaut sind orangegelb. Männchen und Weibchen unterscheiden sich wenig in der Färbung. Das letztere ist schmutziger, und die Binden im Schwanze sind breiter; auch haben die hinteren Schwungfedern weiße Spitzenränder. Bei jungen Vögeln sind Oberkopf und Wangen dunkelbraun, die Seiten und der Hintertheil des Halses gelblichweiß und dunkelbraun gefleckt, die Mantelfedern dunkelbraun, einzelne röthlich gerandet, die Deckfedern der Flügel roth- und schwarzbraun in die Quere gebändert, die Kehlfedern schmutzigweißlich, die der Brust schwärzlichbraun, alle in der Mitte gelblich längs gestreift, Bauchfedern gilblich. Die Länge beträgt achtunddreißig, beim Weibchen vierzig, die Breite einundachtzig, beziehentlich dreiundachtzig, die Fittiglänge fünfundzwanzig bis sechsundzwanzig, die Schwanzlänge sechzehn bis siebzehn Centimeter.

siehe Bildunterschrift

Geierbussard (Ibycter australis) und Chimango (Mivago Chimachima). ¼ natürl. Größe.

Der Chimango verbreitet sich über einen großen Theil Südamerikas. In Brasilien ist er überall häufig, in Guayana vorzugsweise auf die Steppe, namentlich ausgetrocknete Sümpfe beschränkt, in Chile gemein, auf Chiloe ein unsäglich häufiger Vogel, an der Küste von Patagonien und auf dem Feuerlande immer noch eine regelmäßige Erscheinung. Am liebsten hält er sich in offenen, ebenen Gegenden, zumal Viehtriften auf. Auf Chiloe sieht man ihn auf allen Dächern sitzen oder jedem Pfluge folgen. Auch an der Meeresküste findet er sich regelmäßig ein; im Gebirge hingegen kommt er nur bis zu einem gewissen Höhengürtel vor. Sein Gang auf dem Boden ist sicher, der Flug nicht sehr schnell, weil das Schweben durch ziemlich viele Flügelschläge unterbrochen wird. Man sieht ihn geradeaus von einer Stelle zur anderen fliegen, öfters paarweise, oft allein, aber nie in Flügen oder Gesellschaften. Zänkisch im hohen Grade, liegt er mit seinesgleichen und Verwandten fortwährend im Streite, lebt aber mit anderen, nicht zu seiner Ordnung gehörigen Vögeln in leidlich gutem Einvernehmen. Er frißt, wie Darwin behauptet, alles, selbst das Brod, welches mit dem Kehrichte aus dem Hause geworfen worden ist, oder rohe Kartoffeln, welche er nicht bloß bei den Häusern wegstiehlt, sondern sogar ausscharrt, kurz nachdem sie gepflanzt worden sind. Er ist der letzte Vogel, welcher das Gerippe eines Aases verläßt: man sieht ihn oft innerhalb der Bauchhöhle einer Kuh oder eines Pferdes, wie einen Vogel in einem Käfige. Würmer und Kerbthierlarven bilden zeitweilig ein leckeres Gericht für ihn, und auf den Hausthieren findet er sich regelmäßig ein, um Läuse und andere Kerbthiere oder deren Maden von ihnen abzulesen. In den Sümpfen sucht er Schnecken und Lurche zusammen; an der Meeresküste klaubt er Seethiere aller Art auf, welche die Flut an den Strand warf. Vögel und Säugethiere scheint er nicht zu jagen. Alle Forscher fanden in dem Magen der von ihnen getödteten nur weiße Maden und Würmer, Schnecken und Fische, niemals aber Spuren von gefressenen Vögeln. Er wird lästig durch seine diebische Frechheit, noch viel lästiger aber durch seinen feinen, hell schreienden, oft wiederholten Pfiff, welcher zuweilen geradezu betäubend wirken kann.

Im September und Oktober entfernt er sich ein wenig von den Wohnungen, um auf einem passenden Baume seinen Horst, einen großen, aber niedrigen und oben platten Bau aus Reisern und Wurzeln zu errichten. Das Gelege besteht, nach d'Orbigny, aus fünf bis sechs sehr rundlichen Eiern, welche auf röthlichem oder lichtgraulichem Grunde mit rothen und dunkelbraunen Flecken und Tupfen, am dicken Ende gewöhnlich etwas dichter als an der Spitze, im ganzen aber sehr unregelmäßig bedeckt sind. Während der Brutzeit ist der Chimango geselliger und verträglicher als sonst und zeigt sich seinen Jungen gegenüber sehr zärtlich. Sobald dieselben sich selbst erhalten können, kehrt er alle Rauhigkeiten seines Wesens wieder heraus.


Eine anderweitige Sippe oder Untersippe der Unterfamilie führt den Namen Schreibussarde (Ibycter). Der Schnabel der hierher zu zählenden Arten ist gestreckt, schmal, vorn sanft nach der Spitze hinabgewölbt, der Haken schwach, ein Zahn nicht vorhanden, der Fuß mäßig hoch und schlank, ein wenig unter die Ferse hinab befiedert, der Fang langzehig, der Flügel, unter dessen Schwingen die dritte bis fünfte die längsten, lang und zugespitzt, der lange Schwanz aus starken und breiten Federn zusammengesetzt.


Der Geierbussard (Ibycter australis, Falco australis und Novae-Zealandiae, Morphnus und Polyborus Novae-Zealandiae, Circaëtus Novae-Zealandiae, und antarcticus Milvago australis und leucurus, Senex australis, Aetriorchis Novae-Zealandiae, und australis, Vultur plaucus, Bild S. 731), bewohnt zwar einzelne Oertlichkeiten gemeinschaftlich mit dem Chimango, im allgemeinen aber doch mehr die Südspitze des Festlandes. Besonders häufig ist er auf den Falklandsinseln, welche der Mittelpunkt seines Verbreitungskreises zu sein scheinen. In der Größe gleicht dieser Geierfalk unserem Schreiadler. Das Gefieder des alten Vogels ist tiefschwarz, nur auf den Federn des Halses, des Rückens und der Brust weißlich in die Länge gestreift; die Hosen sind lebhaft rostroth, die Wurzeln der Schwungfedern und die Spitzen der Schwanzfedern weiß. Der Schnabel ist licht hornfarben, die Wachshaut wie der Fuß orangegelb. Die Jungen unterscheiden sich von den Alten durch den Mangel der lichten Streifen an Hals und Brust; die Federn sind hier rostroth und röthlichweiß gefleckt, die Wurzel der Schwungfedern rostfarben, die Schwanzfedern schwärzlichbraun, ohne weiße Spitzen. Der Schnabel ist dunkler, der Fuß braungelb. Ueber die Lebensweise des Geierbussards haben Darwin und Abbott berichtet. »Diese Raubvögel«, sagt Darwin, »kommen mit anderen Arten ihrer Familie in vieler Hinsicht überein. Sie leben von dem Fleische todter Thiere und von Seegeschöpfen. Auf einzelnen Inseln muß das Meer ausschließlich ihre Nahrung liefern. Sie sind nichts weniger als scheu, vielmehr furchtlos in hohem Grade und durchsuchen die nächste Nachbarschaft der Häuser nach Auswurf aller Art. Wenn eine Jagdgesellschaft ein Thier tödtet, versammelt sich bald eine Anzahl von ihnen über der Leiche und wartet, auf der Erde sitzend, geduldig, ob nicht etwas für sie abfällt. Sie greifen aber gern auch verwundete Thiere an: eine Scharbe, welche sich in diesem Zustande nach dem Ufer geflüchtet hatte, wurde augenblicklich von mehreren gepackt und getödtet oder der Tod wenigstens durch Schnabelhiebe der Räuber beschleunigt. Die Officiere eines Kriegsschiffes, welche im Winter auf den Falklandsinseln waren, erwähnen mehrere Beispiele von der ungewöhnlichen Kühnheit und Raubsucht der Vögel. So fielen diese über einen Hund her, welcher fest schlafend nahe bei einem aus der Gesellschaft lag, und bei ihren Jagden konnten die Schützen nur mit Mühe verhindern, daß die Geierfalken die von ihnen verwundeten Gänse vor ihren Augen ergriffen. Vor der Mündung eines Kaninchenbaues sollen oft mehrere von ihnen warten und dann gemeinschaftlich das Thier ergreifen, sobald es herauskommt. Um den Bord des Schiffes flogen sie, so lange dasselbe im Hafen lag, fortwährend herum, und man mußte gute Wache halten, um zu verhüten, daß sie das Leder vom Tauwerk rissen und das Fleisch und Wildpret Vom Hintertheile des Schiffes stahlen.« Daß sie Verwundete ihrer eigenen Art nicht verschonen, sondern im Gegentheile wüthend anfallen, tödten und fressen, erfuhr Abbott. »Sie sind äußerst lebhaft, auch ungemein neugierig, und ergreifen fast alles, was auf dem Boden liegt: ein großer, schwarzer, lackirter Hut wurde von ihnen beinahe eine englische Meile weit weggeschleppt, und ein paar schwarze Bälle, wie man sie zum Fange des Rindviehes braucht, ebenso. Herr Usborne erlitt während der Küstenaufnahme einen bedeutenderen Verlust, weil ihm die Geierfalken einen kleinen Kompaß mitsammt der Büchse, in welcher er stak, wegstahlen und soweit forttrugen, daß er niemals wieder aufgefunden werden konnte. Außerdem sind die Vögel überaus streitsüchtig und so leidenschaftlich, daß sie zuweilen aus Wuth mit ihrem Schnabel das Gras ausreißen.« Trotzdem zeigen sie sich feig, wenn ein muthiges Thier ihnen gegenübertritt: Abbott sah, daß ein Austernfischer den Geierbussard Vertrieb, als dieser die Eier des Strandvogels wegstehlen wollte. Auf dem Boden laufen sie mit auffallender Schnelligkeit, so gewandt fast wie Fasane, dahin; ihr Flug dagegen ist schwerfällig und plump; sie bewegen sich daher mehr laufend als fliegend. Auch sie lärmen und stoßen häufig mehrere harsche Töne aus, welche so an das Krächzen der Krähen erinnern, daß die Robbenfänger die Geierbussarde geradezu Krähen nennen. Beim Schreien werfen sie wie andere Arten der Familie ihren Kopf nach oben und hinten. Der Horst wird auf den felsigen Klippen der Seeküste angelegt, besteht gewöhnlich aus abgestorbenen Grashalmen und ist innerlich oft mit Wolle ausgekleidet. Die zwei, ausnahmsweise auch drei rundlichen, auf braunem Grunde mit dunkleren Flecken, Strichen und Schwitzen gezeichneten Eier des Geleges findet man in der ersten Woche des November. Die Jungen erhalten erst im zweiten Lebensjahre das ausgefärbte Kleid.


Die Sippe der Geierfalken im engsten Sinne ( Polyborus), welche die verbreitetste Art der Familie vertritt, kennzeichnet sich durch schlanken Leib, großen, gestreckten, aber hohen, ander Wurzel geraden, schwachhakigen Schnabel, hohen, schlanken Fuß und kurzzehigen, mit starken und zugespitzten, aber wenig gekrümmten Krallen bewehrten Fang, lange und kräftige Flügel, welche, zusammengelegt, beinahe das Ende des Schwanzes erreichen, und in denen die dritte Feder die längste ist, ziemlich langen, am Ende abgeschlisienen Schwanz und derbes und glanzloses Gefieder, welches auf Kopf, Hals und Brust aus schmalen, auf dem Rücken aus breiten, gerundeten Federn besteht und auf den Zügeln zu borstenartigen Gebilden sich umwandelt.

siehe Bildunterschrift

Carancho ( Polyborus Tharus). 1/6 natürl. Größe.

Der Carancho, Caracara oder Traro ( Polyborus Tharus, vulgaris, brasiliensis, Cheriway und Auduboni, Falco Tharus, brasiliensis, planctus und Cheriway, Caracara vulgaris) erreicht, nach Prinz von Wieds Messungen, eine Länge von siebzig bei einer Breite von einhundertfünfundzwanzig, die Fittiglänge beträgt achtunddreißig, die Schwanzlänge zwanzig Centimeter. Die Federn des Ober- und Hinterkopfes, welche zu einer Haube anfgerichtet werden können, sind dunkel bräunlichschwarz, die des Rückens schwarzbraun und weiß in die Quere gestreift, der Flügel dunkelbraun, die der hinteren großen Deck- und Schwungfedern blaß quer gestreift, Wangen, Kinn, Kehle und Unterhals weiß oder gelblichweiß, Brust- und Halsseiten in derselben Weise wie der Rücken gestreift, Bauch, Schenkel und Steiß gleichmäßig schwarzbraun, Wurzel und Spitze der Schwingen schwarzbraun, die Mitte aber weiß, mit feinen dunklen Ouerbinden, Punkten und dreieckigen Randflecken an der Außenfahne, die Steuerfedern endlich weiß mit sehr schmalen blaßbräunlichen Querbinden und einer breiten schwarzbraunen Spitzenbinde. Das Auge ist grau oder röthlichbraun, der Schnabel hellbläulich, der Fuß orangegelb, die Wachshaut wie der Zügel und die nackte Umgebung des Auges bräunlichgelb. Das etwas größere Weibchen unterscheidet sich von dem Männchen unerheblich durch blässere Färbung. Bei dem jungen Vogel sind die Federn der oberen Theile hell gerandet und zugespitzt, die Scheitelfedern fahl bräunlichschwarz und alle übrigen Farben blaß und verloschen.

Durch Azara, den Prinzen von Wied, Darwin, d'Orbigny, Audubon, Schomburgk, Tschndi, Boeck, Owen, Herrmann und andere Forscher haben wir ausführliche Beschreibungen über Aufenthalt, Lebensweise und Betragen des Carancho erhalten. Unser Raubvogel bewohnt paarweise nicht selten alle ebenen Gegenden Südamerikas, am häufigsten die Steppen und dünn bestandene Waldungen. In den Urwaldungen fehlt er ebenso gut wie im Gebirge. Besonders zahlreich tritt er in sumpfigen Gegenden auf. »Man erblickt hier«, sagt der Prinz, »viele dieser schönen Raubvögel, wie sie auf den Triften umherschreiten oder mit niedrigem Fluge, stark mit den Flügeln schlagend, von einem Gebüsche zu dem anderen eilen. Auf der Erde nehmen sich die bunten und stolzen Thiere besonders schön aus. Sie gehen aufgerichtet und schreiten geschickt, da ihre hohen Fersen, ziemlich kurzen Zehen und wenig gekrümmten Klauen zum Gange ganz vorzüglich geeignet sind«. Der Federbusch gibt ihnen, nach Boeck, ein majestätisches Aussehen, und ihre Dreistigkeit entspricht der Meinung, welche man sich von ihnen bildet, wenn man sie zuerst erblickt.

Ihre Nahrung besteht aus thierischen Stoffen aller Art. In den Steppen jagen sie nach Art unserer Bussarde auf Mäuse, kleine Vögel, Lurche, Schnecken und Kerbthiere; am Meeresgestade lesen sie das auf, was die Flut an den Strand warf. Der Prinz fand die Ueberreste von Kerbthieren und besonders Heuschrecken, deren es in den brasilischen Triften sehr viele gibt, in ihrem Magen; Boeck sah sie häufig in Gesellschaft der den Boden aufwühlenden Schweine, mit denen sie gemeinschaftlich Maden und Würmer verzehrten; Azara lernte sie als Verfolger des amerikanischen Straußes, der Lämmer und Hirschkälber kennen. »Ist eine Schafherde«, berichtet er, »nicht von einem guten Hunde bewacht, so kann es Vorkommen, daß der Carancho über die neugeborenen Lämmer herfällt, sie bei lebendigem Leibe anfrißt und ihnen die Därme aus der Leibeshöhle herausreißt. Traut sich einer nicht, über einen Raub Meister zu werden, so ruft er vier oder fünf andere herbei, und dann wird er zu einem gefährlichen Räuber.« Auf dem Aase ist er ein regelmäßiger Gast. »Wenn ein Thier«, sagt Darwin, »auf der Ebene stirbt, so beginnt der Gallinazo das Fest, und der Carancho pickt die Knochen rein. Längs der Straßen in den Wüstenebenen Patagoniens sieht man oft eine erhebliche Anzahl der Vögel, um die Leichen von Thieren zu verzehren, welche aus Hunger oder Durst gestorben waren.« Dem Landvolke ist der Caracara sehr verhaßt, weil er das zum Trocknen bestimmte Fleisch mit der größten Frechheit wegstiehlt, zur Abwechselung aber auch sehr gern junge Hühner raubt oder andere schwache, ja selbst stärkere Hausthiere belästigt. Nach Darwin soll er ebenso Eier stehlen. Oft sieht man ihn auf dem Rücken der Pferde und Maulthiere stehen und hier die Schmarotzer zusammenlesen oder den Grind von den Wunden aufhacken, wobei das arme Thier mit gesenktem Ohr und gewölbtem Rücken ruhig dasteht, weil es sich des Vogels doch nicht erwehren kann. Daß sich der Carancho, falls er kann, ohne Umstände an menschlichen Leichnamen sättigt, unterliegt kaum einen Zweifel; man kann dies aus dem Betragen der Vögel schließen, wenn man sich auf einer jener öden Ebenen zum Schlafe hinlegt. »Beim Munterwerden«, sagt Darwin, »bemerkt man auf jedem benachbarten Hügel einen oder mehrere dieser Vögel und sieht sich von ihnen geduldig mit üblem Auge bewacht.« Jagdgesellschaften, welche mit Hunden und Pferden ausziehen, werden während des Tages immer von einigen Caranchos begleitet, und oft nehmen diese dem Schützen den erlegten Vogel vor dem Auge weg. Auch anderen Räubern fliegen sie nach, in der Absicht, ihnen eine eben gefangene Beute abzujagen. Sie verfolgen die großen Störche, welche ein Stück Fleisch verschlungen haben, und quälen sie so lange, bis jene dasselbe wieder von sich und ihnen zur Beute geben. Dagegen werden sie wieder von allerlei Vögeln geneckt, geärgert und gequält. Selbst seine nächsten Verwandten zanken sich beständig mit ihm herum. »Wenn der Carancho«, erzählt Darwin, »ruhig auf einem Baumaste oder auf der Erde sitzt, so fliegt der Chimango oft lange um ihn herum, auf- und niederstoßend, und versucht, so oft er seinem Verwandten nahe gekommen ist, diesem einen Schnabelhieb zu versetzen, welchen letzterer seinerseits nach Kräften abzuwehren versucht.« Läuse bevölkern sein Gefieder in solcher Menge, daß man kaum im Stande ist, einen getödteten Vogel abzuziehen.

Beim Schreien legt der Carancho den Kopf ganz auf den Rücken und schnarrt »Traaa«, erhebt ihn wieder und ruft »Rooo« mit einer krächzenden, heiseren Stimme, ähnlich dem Geknarr, welches entsteht, wenn Holz an Holz heftig angeschlagen oder gerieben wird. Dieser Schrei ist auf weithin hörbar, aber höchst unangenehm.

Der Carancho ist vom frühen Morgen bis gegen Sonnenuntergang ununterbrochen thätig und viel in Bewegung. Gegen Abend vereinigt er sich mit anderen seiner Art und seinen treuen Genossen, den Aasgeiern, auf gewissen Schlafplätzen, am liebsten auf einzeln stehenden, alten Bäumen in der Steppe, wo er die untersten Aeste in Besitz nimmt. Zu solchen Bäumen kommt er aus einer Entfernung von fünf bis sechs englischen Meilen herbei. In Ermangelung derselben bäumt er auf niederen Büschen auf oder setzt sich endlich auf passende Felsen und bezüglich Termitenhügel nieder.

Die zusammengehörigen Paare leben während des ganzen Jahres im engsten Verbande. Man erkennt sie auch dann, wenn Gesellschaften von ihnen sich vereinigt haben, an ihrem treuen Zusammenhalten. Die Brutzeit ist verschieden, je nach den Gegenden, welche der Carancho bewohnt. In Paraguay horstet er im Herbste, in Mittelamerika während der Frühlingsmonate. Der Horst, ein großer flacher Bau aus Reisig, dessen Nestmulde mit feinen Wurzeln, Gras und Moos ausgelegt ist, wurde ebensowohl auf sehr hohen, als auf niederen Bäumen gefunden. Die Eier, drei, höchstens vier, oft nur zwei an der Zahl, sind birnförmig, jedoch auffallend gestreckt, ungefähr fünfundvierzig Millimeter lang und an der dicksten Stelle fünfunddreißig Millimeter breit, sehr verschiedenartig gefärbt und gezeichnet, meist aber auf gilblichem Grunde braun und blutroth gefleckt. Die Jungen kommen in einem weißen Dunenkleide zur Welt, werden von ihren Eltern mit größter Sorgfalt erzogen und so lange sie der Hülfe bedürftig sind, in jeder Hinsicht unterstützt, bald aber verstoßen oder wenigstens mit Gleichgültigkeit behandelt.

Audubon berichtet von dem Gefangenleben eines dem Neste entnommen Caranchopaares. Das Männchen zeigte sich oft herrschsüchtig gegen seine Schwester und ließ selten eine Gelegenheit vorübergehen, sie durch wiederholte und heftige Schläge zu quälen, wobei dann laute Schreie ausgestoßen wurden. Zuweilen wurde die Mißhandlung so arg, daß sich das beklagenswerthe Weibchen minutenlang auf den Rücken legte und zu ihrer Verteidigung die Fänge vorstreckte. Auch das Weibchen schrie laut und unangenehm, aber nur das Männchen warf beim Schreien den Kopf zurück. Ihrem Pfleger gegenüber zeigten sich die Caranchos keineswegs freundlich gesinnt. Wenn man sie mit der Hand ergriff, wehrten sie sich mit Schnabel und Klauen so ernsthaft, daß man sie freigeben mußte. Sie fraßen todte wie lebende Thiere, Ratten, Mäuse, Hühner verschiedener Arten und zeigten sich ebenso geschickt, wie Falken und Adler, wenn es galt, eine Beute mit den Klauen wegzutragen. Beim Kröpfen hielten sie ihre Nahrung mit den Klauen fest und würgten die abgerissenen Stücke sammt Muskeln, Haaren und Federn ohne weiteres hinab. Sie fraßen viel auf einmal, konnten aber auch bequem tagelang hungern. Wasser war ihnen Bedürfnis; sie tranken sehr frühzeitig. Im zweiten Frühjahre ging ihr Kleid in das der Alten über, die volle Schönheit der letzteren erhielten sie aber erst später. Nach meinen Beobachtungen fällt der Vogel durch seine hoch aufgerichtete Stellung auf, im übrigen besitzt er durchaus nichts anziehendes. Stundenlang sitzt er regungslos auf einer und derselben Stelle, ohne eines seiner Glieder zu rühren; höchstens die Haube bewegt er langsam auf und nieder. Im Käfige wählt er sich den höchsten Ast zum Sitzpunkte, meidet aber auch den ebenen Boden durchaus nicht, sondern ergeht sich zuweilen gern, indem er längere Zeit auf- und abwandelt. Fleisch ist seine gewöhnliche und anscheinend auch seine liebste Speise; indeß verschmäht er auch Pflanzenstoffe keineswegs: so scheinen ihm namentlich Kartoffeln sehr wohl zu behagen. Seine laut schallende, absonderliche, jedoch keineswegs angenehme Stimme läßt er unter Umständen bis zum Ueberdrusse erschallen.



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