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Unterfamilie Adler ( Aquilinae)

Die größten Raubvögel, welche selbst erworbene Beute genießen und nur ausnahmsweise Aas angehen, werden Adler genannt. Man begreift unter diesem Namen sehr verschiedenartige Vögel; doch läßt sich nicht verkennen, daß auch die am weitesten aus einander stehenden Formen durch Uebergangsglieder vermittelt werden, wodurch Zusammengehörigkeit der gedachten Raubvögel gewissermaßen erwiesen ist.

Die Adler ( Aquilinae) sind große oder sehr große Vögel von gedrungenem Leibesbau mit mittelgroßem, durchaus befiedertem Kopfe und starkem, an der Wurzel geradem, erst gegen die Spitze hin gekrümmtem Schnabel, dessen Oberkiefer keinen Zahn besitzt, dafür aber an der betreffenden Stelle ausgebuchtet ist, und dessen Wachshaut nicht vom Gefieder verdeckt wird. Die Fußwurzeln sind mittellang, stets kraftvoll, oft nur wenig, oft wiederum bis zu den Zehen herab befiedert, diese selbst stark, von mittelmäßiger oder bedeutender Länge und immer mit großen, sehr gekrümmten, spitzigen Nägeln bewehrt. Die Flügel, welche bei einigen das Ende des Schwanzes, bei anderen nur dessen Wurzeltheil erreichen, erscheinen stets abgerundet, weil die vierten oder fünften Schwingen fast ohne Ausnahme die längsten sind. Der Schwanz ist groß, lang und breit, entweder gerade abgeschnitten oder zugerundet. Das Gefieder besteht aus großen, gewöhnlich zugespitzten Federn, ist immer reich, zuweilen sehr weich, ausnahmsweise derb und hart. Bezeichnend für den Adler ist, daß die Federn des Hinterkopfes und Nackens sich entweder zuspitzen oder zu einer Holle verlängern. Das große feurige Auge erhält einen sehr kühnen Ausdruck dadurch, daß das Augenbrauenbein weit hervortritt.

Die Adler bewohnen die ganze Erde; gewisse Theile derselben beherbergen jedoch eigene Sippen der Unterfamilie, welche in anderen Gegenden nicht gefunden werden. Die Verschiedenheit der Gestalt läßt erwarten, daß nicht alle Arten dieselben Wohnorte wühlen. Auch die Mehrzahl der Adler lebt und jagt im Walde; einzelne Arten aber sind Gebirgs- und bezüglich Felsenbewohner, andere an das Wasser, entweder an die Küste des Meeres oder an Seen und Flüsse gebunden; einige finden selbst in freien Steppen ihre Heimat. In der Nähe des Menschen siedeln sich Adler selten an: ihr eigentlicher Wohnsitz muß möglichst unbehelligt sein. Von ihm aus unternehmen sie weite Ausflüge, und gelegentlich dieser kommen sie oft genug in unmittelbare Nähe der Dorfschaften und rauben hier, wenn sie sich nicht verfolgt sehen, zuweilen vor den Augen ihres gefährlichsten Gegners. Die nordischen Arten sind größtentheils Wandervögel, alle wenigstens Strichvögel, welche außer der Brutzeit im Lande umherschweifen und während ihrer langen Jugendzeit unter Umständen ganz andere Gegenden oder Länder bewohnen als die alten, gepaarten und horstenden Vögel ihrer Art.

Auch die Adler lieben Gesellschaften ihresgleichen nicht, dulden wenigstens während des Sommers in ihrem Gebiete kein zweites Paar. Vereinigungen kommen unter ihnen nur während ihrer Winterreise oder auf wenige Minuten gelegentlich einer für viele ausreichenden Mahlzeit vor: auf dem Leichname eines großen Thieres z. B. Der Verband, in welchem sie zusammenleben, ist selbst während der Winterreise ein lockerer. Sie kommen an beutereichen Orten zufällig zusammen, gehen hier denselben Geschäften nach und erscheinen deshalb oft als gesellig, während streng genommen jeder seinen eigenen Weg geht, selbstverständlich mit Ausnahme des Gatten eines Paares. Diese halten außerordentlich treu zusammen, und es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß eine unter Adlern geschlossene Ehe für die ganze Lebenszeit währt. Mit anderen Vögeln gehen sie ebensowenig Verbindungen ein. Sie vereinigen sich zuweilen mit Geiern, Milanen und Bussarden, aber durchaus nicht geselligkeitshalber. Der gleiche Nahrungserwerb führt sie zusammen; ist ihm genügt, so endigt die Vereinigung. Dagegen erlauben sie kleinen Schmarotzern, wie wir sie nennen wollen, Finkenarten z. B., in dem Unterbau ihres Horstes Wohnung zu suchen. Aber auch diese Erlaubnis wird nicht freiwillig gegeben; von eigentlicher Duldung ist keine Rede. Der Adler gestattet dem Sperlingsvögel in seiner unmittelbaren Nähe zu wohnen, weil er sich unfähig fühlt, seiner sich zu bemächtigen. Die Gewandtheit des Zudringlings ist dessen Schuhbrief vor der bedrohlichen Klaue des Gewalthabers. Doch wollen wir nicht in Abrede stellen, daß einzelne Adler zuweilen ähnliche Großmuth bekunden, wie sie der Löwe unter Umständen an den Tag legt. Die edelsten unter ihnen kennen die Mordsucht des Habichts nicht. Sie sind Räuber, aber stolze, edle Räuber: sie rauben, weil sie hungern. Ganz das Gegentheil erfahren wir von den unedleren. Einige von ihnen tragen nicht umsonst den Namen Habichtsadler; denn sie ähneln den Habichten nicht bloß in ihrer Gestalt, sondern auch in ihrem Wesen. Im allgemeinen machen die Adler ihrem Namen Ehre: sie sind wirklich edle Vögel. Unter den gefiederten Räubern gibt es wenige, welche höher begabt sind als sie; nur die Edelfalken dürfen ihnen vielleicht vorausgestellt werden. Leibliche und geistige Begabungen sind ihnen in gleicher Weise zu Theil geworden. An Bewegungsfähigkeit stehen sie allerdings den Edelfalken und Habichten nach, aber auch nur ihnen. Ihr Flug ist ausgezeichnet schön. Ihm fehlt das unruhige, welches der Flug des Edelfalken oder Habichts zeigt; die Flügel werden, wenn es sich darum handelt, vom Boden aufzusteigen, gewaltig, obschon verhältnismäßig langsam bewegt, sobald aber einmal eine gewisse Höhe gewonnen wurde, einfach ausgebreitet, und dennoch schweben die Adler ungemein rasch dahin. Man sieht von ihnen oft minutenlang nicht einen einzigen Flügelschlag, und doch entschwinden sie bald dem Auge. An dem kreisenden Adler bemerkt man, wie er durch Drehen und Wenden, durch Heben und Senken des Schwanzes steuert, wie er sich hebt, wenn er dem Winde entgegenschwebt, und wie er sich senkt, wenn das Gegentheil stattfindet. Beim Angriffe auf lebende Beute stürzt der gewaltige Räuber mit außerordentlicher Schnelle unter lautem, weit hörbarem Rauschen hernieder, allerdings nicht so schnell, daß er einen gewandt fliegenden Vogel zu ergreifen vermöchte, aber immer noch rasch genug, um eine fliegende Taube einzuholen. Der Gang auf dem Boden ist ungeschickt und besteht aus sonderbaren Sprungschritten, bei denen, unter Zuhülfenahme der Flügel, ein Bein um das andere bewegt wird. Der Adler erscheint in laufender Stellung am unedelsten. Viel schöner nimmt er sich aus, wenn er aufgebäumt hat. Dann hält er sich senkrecht wie ein sitzender Mann, und übt einen wirklich erhabenen Eindruck auf den Beschauer. Die stolze Ruhe seines ganzen Wesens prägt sich am deutlichsten im Sitzen aus.

Unter den Sinnen steht zweifelsohne das Gesicht obenan, wie schon das herrliche Auge bekundet. Nächstdem dürfte das Gehör am entwickeltsten sein. Der Adler vernimmt außerordentlich fein und gibt gegen grelle Töne entschiedenen Widerwillen zu erkennen. Ueber den Geruch ist viel gesprochen, aber, wie ich meine, auch viel gefabelt worden. Er ist gewiß nicht wegzuleugnen; doch glaube ich, daß er keineswegs so hoch ausgebildet ist, als man behauptet hat. Das Gefühl, Empfindungsvermögen sowohl wie Tastfähigkeit, steht auf hoher Stufe, und Geschmack beweist jeder gefangene Adler, welchem verschiedene Nahrung vorgeworfen wird, in nicht verkennbarer Weise. Ueber den Verstand ist schwer ein richtiges Urtheil zu fällen; soviel aber ergibt die Beobachtung bald genug, daß auch der Geist als wohlentwickelt bezeichnet werden darf. Im Freileben zeigt sich der Adler außerordentlich vorsichtig und scheu da, wo er Gefahr vermuthet, dreist und frech dort, wo er früher ungestraft raubte, richtet also sein Betragen nach den Umständen ein. Anderen Thieren gegenüber legt auch er zuweilen eine gewisse List an den Tag, und bei seinen Räubereien bekundet er beachtenswerthe Berechnung. In der Gefangenschaft schließt er sich nach kurzer Zeit dem Menschen an, welchen er früher ängstlich mied, und tritt mit ihm in ein Freundschaftsverhältnis, welches sehr innig werden kann. Wahrscheinlich würde man irren, wenn man annehmen wollte, daß dieses Verhältnis auf das Gefühl der Unterthänigkeit begründet sei; denn auch der gefesselte Adler ist sich seiner Kraft wohl bewußt und fürchtet sich durchaus nicht vor dem Menschen, falls dieser ihm feindlich entgegentreten sollte. Davon gaben mir die Adler, welche ich gepflegt habe, Beweise. Sie begrüßten mich mit freudigem Geschrei, wenn sie mich sahen; sie duldeten, daß ich mich in ihren Käfig begab, ertrugen aber durchaus keine Mißhandlung. Genau so benahmen sie sich ihrem Wärter gegenüber, während sie Fremde entweder nicht beachten, oder, wenn diese sich ihnen aufdrängen, ernst zurückweisen. Es ist festzuhalten, daß diejenigen Arten, welche wir Edeladler nennen, auch wirklich die edelsten sind. Der Name ist ihnen gegeben worden nach dem Eindrücke, welchen ihre äußere Erscheinung hervorrief; dieser Eindruck aber wird bestätigt und verstärkt durch Beobachtung ihres Wesens. Bei ihnen sind wirklich die edlen und großartigen Eigenschaften besonders ausgebildet.

Der freilebende Adler nährt sich, wie im Eingange bemerkt, vorzugsweise von selbst erbeuteten Thieren, namentlich von Wirbelthieren; keine einzige Art aber von denen, welche ich kenne, verschmäht Aas, und gänzlich unbegründet ist es, wenn man behauptet hat, daß nur der Hunger den Adler zu solcher Speise zwinge. Er bevorzugt das lebende Thier, findet es aber bequem, an einem bereits gedeckten Tische zu schmausen. Ein Kostverächter ist er überhaupt nicht und mit wenigen Ausnahmen jedes höhere Wirbelthier ihm genehm. Fische gehören, wie es scheint, zu einem beliebten Beigericht, wogegen Lurche nur in wenigen Arten Liebhaber finden dürften. Der Adler raubt im Sitzen wie im Laufen und selbst im Fliegen, erhebt die Beute, welche er ergriff, und trägt sie, falls er dies vermag, einem bestimmten Futterplatze zu, um dort sie zu verzehren. Bei dem Angriffe entfaltet er seine ganze Kraft und beweist dabei außerordentliche Erregung, welche in förmliche Wuth übergehen kann. Durch Widerstand läßt er sich selten oder nicht von dem einmal gefaßten Vorsatze abbringen: was er einmal ins Auge gefaßt hat, sucht er mit Hartnäckigkeit festzuhalten. Er greift muthig starke und große Thiere an und begnügt sich mit sehr kleinen und schwachen. Sein Erscheinen bedeutet, wie Naumann sehr richtig sagt, den Tod aller Thiere, welche ihm nicht zu schwer oder zu schnell sind. Die stärksten Arten erheben den bissigen Fuchs vom Boden oder nehmen den wehrhaften Marder vom Aste weg. Unter den Säugethieren sind blos die kräftigsten, größten und schwersten, unter den Vögeln die gewandtesten vor ihm gesichert. Ein abgerichteter Adler würde sich ohne Besinnen auf den Strauß stürzen und diesen unzweifelhaft umbringen: fällt doch selbst der freilebende Menschen an.

siehe Bildunterschrift

Steinadler.

Die Fortpflanzung unserer nordischen Adlerarten findet in den ersten Monaten des Jahres statt. Die Standvögel unter ihnen horsten selbstverständlich früher als die Zugvögel, welche erst gegen den Mai hin bei uns eintreffen. Der Horst ist im Verhältnisse zur Größe des Vogels ein gewaltiger Bau, von sehr übereinstimmendem Gepräge, regelmäßig niedrig, aber sehr breit und seine Nestmulde flach. Starke Reiser, bei den größten Arten armsdicke Knüppel, bilden den Unterbau, feinere Reiser den oberen, Reiser, welche zuweilen mit weichen Stoffen ausgekleidet werden, die Nestmulde. Ein und derselbe Horst dient dem einen Adlerpaare mehrere Jahre nach einander, wird aber alljährlich neu ausgebessert und dabei vergrößert, so daß er zuweilen auch zu bedeutender Höhe anwachsen kann. In den meisten Fällen steht er auf Bäumen, sonst auf einem möglichst unersteiglichen Felsvorsprunge, im Nothfalle auf dem flachen Boden. Das Gelege enthält ein einziges oder zwei, selten drei Eier, welche vom Weibchen allein bebrütet werden. Vor der Paarungszeit vergnügen sich auch die Adler durch prachtvolle Spiele in der Luft, und sie setzt das Männchen noch fort, während das Weibchen brütet. Die Jungen werden von beiden Eltern groß gefüttert. Sie leiden keinen Mangel; denn unter Umständen tragen ihnen die Alten von meilenweit her Futter zu. Nach dem Ausfliegen genießen sie eine Zeitlang sorgfältigen Unterricht; dann aber werden sie im eigentlichen Sinne des Wortes in die Welt hinausgestoßen und führen nun mehrere Jahre lang ein unstetes Wanderleben, bis auch sie sich einen Gatten und später einen Horstplatz erwerben.

Außer dem Menschen haben die Adler keinen Feind, welcher ihnen gefährlich werden könnte, wohl aber viele Gegner. Alle kleinen Falken, Würger, Raben, Schwalben, Bachstelzen hassen sie und bethätigen dieses Gefühl durch Angriffe, welche zwar machtlos sind, die stolzen Räuber aber doch so arg behelligen, daß sie gewöhnlich das weite suchen, um die lästige Rotte los zu werden. Der Mensch muß dem Adler feindselig entgegentreten, denn die meisten Arten fügen ihm nur Schaden zu; doch gibt es auch unter ihnen einzelne, welche sich nützlich erweisen und Schutz verdienen.


Zwei große, in Gestalt und Wesen nahe verwandte Adlerarten verdienen an erster Stelle aufgeführt zu werden, weil sie in unserem heimatlichen Erdtheile leben, sogar in unserem Vaterlande vorkommen und dem Begriffe, welchen wir mit dem Worte Adler verbinden, am besten entsprechen.

Die Sippe der Edeladler ( Aquila), welche sie mit einigen anderen bilden, kennzeichnet sich durch kräftigeren Leib, großen, wohlgeformten Kopf, breite und lange Flügel, unter deren Schwingen die vierte die längste ist, und welche bis zum Schwanzende herabreichen, durch einen gerade abgeschnittenen, mittellangen und breiten Schwanz und sehr starke, mittelhohe Ständer. Der Schnabel ist kräftig und lang, sein Oberkiefer schon auf der Wachshaut, besonders aber vor ihr stark gebogen, an der Schneide ziemlich ausgebuchtet. Das große Auge liegt tief unter dem weit hervorspringenden Augenbrauenbein. Die mittellangen Zehen sind kräftig, die Krallen groß, spitzig und stark gekrümmt. Die Federn sind zugespitzt, namentlich am Hinterkopfe und im Nacken verschmälert und verlängert; die Fußwurzeln bis zu den Zehen herab bekleidet.

Es ist nicht leicht, die Edeladler mit kurzen Worten so zu kennzeichnen, daß eine Verwechselung unmöglich ist: sind ja doch selbst die Forscher noch heutigen Tages verschiedener Ansicht. Wenn man die stolzen Thiere im Leben vor sich sieht, unterscheidet man sie allerdings ziemlich leicht; die Bälge aber sind durchaus nicht sofort mit Sicherheit zu erkennen.


Der Steinadler, gemeine, schwarze, braune, ringelschwänzige, der Stock-, Berg- und Hasen- oder Rauchfußadler (Aquila fulva und nobilis, Falco fulvus) ist der größte und stärkste, auch am gedrungensten gebaute unter den zunächst verwandten Arten, der »Adler« ohne weitere Nebenbezeichnung, der Baizvogel aller innerasiatischen Reitervölker, der Held der Fabel und das Urbild des Wappenthieres, das Sinnbild der Kraft und Stärke. Seine Länge beträgt achtzig bis fünfundneunzig Centimeter, die Breite zwei Meter und darüber, die Fittiglänge achtundfunfzig bis vierundsechzig, die Schwanzlänge einunddreißig bis sechsunddreißig Centimeter. Erstere Maße gelten für das Männchen, letztere für das größere Weibchen. Beim alten Vogel ist der Nacken, einschließlich des Hinterhalses, rostbraungelb, das übrige Gefieder in den ersten beiden Wurzeldrittheilen weiß, an der Spitze sehr gleichmäßig dunkelbraun, der Schwanz in seinem Wurzeldrittheil weiß, sodann schwarz gebändert oder gefleckt, in der Endhälfte schwarz. Die Hosen sind braun, die Unterschwanzdeckfedern weiß. Im Jugendkleide ist das Gefieder durchgehends lichter, das Lichtbraun des Nackens viel weiter, bis auf den Scheitel und die Halsseiten, verbreitert, der Flügel durch einen großen weißen Spiegel ausgezeichnet, der Schwanz nur im Enddrittheil schwarz, übrigens grauweiß, die Hose sehr licht, oft ebenfalls weiß.

Mit vorstehenden Worten ist nur die am häufigsten vorkommende Färbung beschrieben, demgemäß hinzuzufügen, daß das Kleid dieses Adlers außerordentlich abändert. Einzelne alte Vögel sind gleichmäßig dunkelbraun, andere goldbraun, andere in der Kropfgegend und am Bauche goldbraun, übrigens dunkelbraun gefärbt; einige behalten den Flügelspiegel bis ins höhere Alter, andere zeigen schön gebänderte Schwingen etc. Ob alle diese Färbungsverschiedenheiten wirklich nur einer Art zustehen oder mehreren zukommen, ist zur Zeit noch nicht entschieden.


Von dem Steinadler trennt Naumann, wie vor ihm Pallas und mit ihm mein Vater, den Goldadler, wogegen die neueren Forscher geneigt sind, beide als Altersverschiedenheiten oder Spielarten zu erklären. Nachdem ich vor kurzem, angeregt durch den Forschungseifer des Kronprinzen Rudolf von Oesterreich, in Gemeinschaft mit Eugen von Homeyer gegen achtzig der in Frage kommenden Adler untersucht und untereinander verglichen habe, muß ich den oben genannten Forschern beistimmen, will auch noch bemerken, daß ich vor Jahren unter mehreren Steinadlern einen Vogel gepflegt habe, welcher von meinem Vater auf den ersten Blick hin, wie vorher von mir, als Goldadler angesprochen wurde. Aus diesem Grunde halte ich es für richtig, beide Adler so lange als verschiedene Arten zu erklären, bis der unzweifelhafte Beweis ihrer Arteinheit erbracht sein wird. Beide Vögel sind gewißlich sehr nahe mit einander verwandt und die Unterscheidungsmerkmale um so weniger augenfällige, als nicht allein beider Jugendkleider einander zum Verwechseln ähneln, sondern auch beider Alterskleider nicht so scharf sich unterscheiden, als man nach Naumanns Angaben glauben möchte. Unsere gemeinschaftlichen Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen, und ich bin daher zur Zeit nur im Stande zu sagen, daß der Goldadler ( Aquila Chrysaëtos, Falco chrysaëtos) nach unserem Befund merklich kleiner und schlanker ist als der Steinadler und außerdem durch die viel breiteren Nackenfedern, den in der Mitte verlängerten, seitlich deutlich abgestumpften Schwanz und das im Wurzeltheile fast oder gänzlich dunkle Kleingefieder bestimmt abzuweichen scheint. Die Färbung des Gefieders ist durchgehends lichter, roströthlicher als bei dem Steinadler, was sich namentlich auf der Brust, an den Hosen und Unterschwanzdeckfedern zeigt. In der Achselgegend tritt ein weißer Fleck deutlich hervor, jedenfalls viel deutlicher als beim Steinadler, bei welchem vielleicht nur im höchsten Alter einige weiße Federn an der betreffenden Stelle gefunden werden. Der Schwanz ist auf bräunlich aschgrauem Grunde mit unregelmäßigen breiten, zackigen, schwarzen Querbinden gezeichnet, ohne sichtbares Weiß an der Wurzel, die Endbinde erheblich schmäler als bei dem Steinadler.

 

Im Norden Amerikas werden Stein- und Goldadler durch einen namentlich dem ersteren nahe stehenden Verwandten ( Aquila canadensis) vertreten.

Der Steinadler bewohnt die Hochgebirge und sehr ausgedehnte Waldungen Europas und Asiens, streift auch, laut Heuglin, gelegentlich, immer aber selten, nach Nordostafrika hinüber. In unserem Vaterlande horstet er, so viel mir bekannt, gegenwärtig regelmäßig einzig und allein im bayerischen Hochgebirge sowie in den ausgedehnten Staatswaldungen des südöstlichen Theiles der Provinz Ostpreußen und denen der Provinz Pommern; das übrige Deutschland besucht er wohl einzeln dann und wann als Strichvogel, siedelt sich jedoch nur äußerst selten bleibend an. Ausnahmsweise geschieht letzteres allerdings noch heutigen Tages; bei der scharfen Aufsicht aber, welche unsere Forstbeamten führen, büßt das Adlerpaar solches Beginnen regelmäßig mit seinem Leben, mindestens mit dem Verluste seiner Eier oder Jungen. Noch vor einigen Jahrzehnten war dies anders: in den dreißiger, selbst in den vierziger Jahren durfte man den Steinadler noch mit Bestimmtheit zu den Brutvögeln Ost-, Süd- und Mitteldeutschlands zählen. Weit häufiger als innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches lebt der stolze Vogel in Oesterreich-Ungarn, insbesondere in den Alpen Steiermarks, Tirols, Kärntens und Krains, woselbst ich ihn wiederholt beobachtet habe, ebenso und keineswegs selten in den Karpathen und Siebenbürger Alpen, außerdem im größten Theile Ungarns und im ganzen Süden des Kaiserstaates. Selbst im Böhmer Walde mag dann und wann ein Steinadlerpaar horsten, wie dies noch vor anderthalb Jahrzehnten im Riesengebirge geschehen sein soll. Außerdem verbreitet sich der Vogel über die Schweiz, Südeuropa, die Atlasländer, Skandinavien (?), ganz Rußland (?), soweit es bewaldet oder felsig ist, Kleinasien, Nordpersien und Mittelasien, vom Ural an bis nach China und vom Waldgürtel Sibiriens an bis zum Himalaya. In Westeuropa, zumal Frankreich und Belgien, tritt er viel seltener auf als im Osten und Süden; in Großbritannien erscheint er wohl nur noch als Strichvogel; in der Schweiz ist er zwar nicht gerade selten, aber doch auch nicht häufig, im Süden Rußlands eine regelmäßige, in den Gebirgen Mittelasiens eine alltägliche Erscheinung. Der Goldadler dagegen scheint unser Vaterland nur während der Zeit seines jugendlichen Umherschweifens zu berühren und in Skandinavien, Polen, Rußland und Ostsibirien heimisch zu sein. Unter den in Oesterreich-Ungarn erlegten Adlern vermochten wir keinen einzigen Goldadler zu erkennen, wogegen fast alle aus den vorstehend angegebenen Ländern stammenden, welche wir eingehend untersuchen konnten, von uns als Goldadler angesehen wurden.

Ohne größere Waldungen zu meiden, siedelt sich der Adler, wie ich der Kürze halber fortan sagen werde, doch mit entschiedener Vorliebe im Hochgebirge und an einer mehr oder minder schwer zu ersteigenden, am liebsten gänzlich unzugänglichen Felsenwand an. Das einmal erwählte Gebiet hält das vereinte Paar mit Zähigkeit fest, verläßt es, wenn der Wildreichthum der Gegend es gestattet, auch im Winter nicht, besucht um diese Zeit sogar regelmäßig die Horste, gleichsam als wolle es seine Anrechte auf dieselben wahren. Ungezwungen wandern oder streichen wohl nur junge Vögel, und sie sind es daher auch, welche bei uns zu Lande erlegt werden. Denn der Adler braucht viele, vielleicht sechs, möglicherweise zehn Jahre und darüber, bevor er im eigentlichen Sinne des Wortes erwachsen, das heißt fortpflanzungsfähig ist und durchstreift bis dahin die weite Welt, wahrscheinlich viel ausgedehntere Strecken als wir glauben. Seßhaft wird er erst, wenn er sich gepaart hat und an die Errichtung des eigenen Horstes denkt. Auch dann noch ist sein Gebiet ein sehr ausgedehntes, wie es der bedeutende Nahrungsbedarf des Vogels erfordert. Von dem Nistorte aus unternimmt das Paar tagtäglich Streifzüge, häufig in derselben Richtung. Es verläßt den Ort der Nachtruhe erst längere Zeit nach Sonnenaufgang und streicht nun in ziemlich bedeutender Höhe kreisend durch das Gebiet. Bergzüge werden in gewissem Sinne zur Straße, über welche der Adler meist verhältnismäßig niedrig dahinstreicht, wenn die Berge hoch sind, oft in kaum Flintenschußnähe über dem Boden. »Ich habe«, berichtet Girtanner, »den Steinadler und sein Weib oft ganze Alpengebiete so regelrecht absuchen sehen, daß ich in der That nicht begreifen könnte, wie diesen vier Adleraugen bei so überlegtem Vorgehen auch nur eine Feder hätte entgehen mögen. Von der Felsenkante in der Nähe des Horstes gleichzeitig abfliegend, senkt sich das Räuberpaar rasch in die Tiefe hinab, überfliegt die Thalmulde und zieht nun an dem unteren Theile der Gehänge des gegenüberliegenden Höhenzuges langsam in wagerechter Richtung dahin, der eine Gatte stets in einiger Entfernung vom anderen, doch in gleicher Höhe, so daß was dem ersten entgangen, dem nachfolgenden um so sicherer zu Gesicht, und was etwa von jenem aufgescheucht, diesem um so bestimmter in die Krallen kommen muß. Auf diese Weise am Ende des Gebietes angelangt, erheben sich beide, um hundert Meter und darüber aufsteigend, ziehen in dieser Höhe in entgegengesetzter Richtung zurück, erheben sich sodann wieder und suchen so in weiten Zickzacklinien den ganzen Gebirgsstock aufs sorgfältigste ab.« Wehe dem nicht allzu schnellen Wilde, welches eines der vier scharfen Augen erspäht: es ist verloren, wenn nicht ein Zufall es rettet. Ebenso wie beide Adler gemeinschaftlich jagen, verzehren sie auch gemeinsam die erlegte Beute; bei der Mahlzeit geht es jedoch keineswegs immer friedlich her: ein leckeres Gericht kann selbst unter den zärtlichsten Adlergatten Streit hervorrufen. Die Jagd währt bis gegen Mittag; dann kehrt der Räuber in die Nähe des Horstes zurück oder wählt sich einen anderen sicheren Punkt, um auszuruhen. Regelmäßig geschieht dies, wenn er im Fange glücklich war. Er sitzt dann mit gefülltem Kropfe und lässig getragenem Gefieder längere Zeit auf einer und derselben Stelle und gibt sich der Ruhe und der Verdauung hin, ohne jedoch auch jetzt seine Sicherheit aus den Augen zu verlieren. Nachdem diese Ruhe vorüber, fliegt der Adler regelmäßig zur Tränke. Es ist behauptet worden, daß ihm das Blut seiner Schlachtopfer genüge: jeder gefangene Adler beweist das Gegentheil. Er trinkt viel und bedarf des Wassers noch außerdem, um sich zu baden. Bei warmem Wetter geht selten ein Tag hin, an welchem er letzteres nicht thut. Nachdem er getrunken und sich gereinigt, tritt er einen nochmaligen Raubzug an; gegen Abend pflegt er sich in der Luft zu vergnügen; mit dem Einbruche der Dämmerung erscheint er vorsichtig und ohne jedes Geschrei auf dem Schlafplatze, welcher stets mit größter Vorsicht gewählt wird. Dies ist, mit kurzen Worten geschildert, das tägliche Leben des Vogels.«

Der Adler ist nur im Sitzen und im Fliegen schön und majestätisch, im Laufen dagegen so unbehülflich und ungeschickt, daß er zum Lachen reizt. Wenn er sich sehr langsam auf dem Boden fortbewegt, trägt er sich fast wagerecht und setzt dann gemächlich ein Bein um das andere vor; wenn er sich aber beeilt, sei es, daß er flugunfähig entrinnen will oder sonst in Erregung geräth, hüpft er, unter Zuhülfenahme seiner Flügel in großen, wundersamen Sprüngen dahin, keineswegs langsam zwar, im Gegentheile so rasch, daß man sich anstrengen muß, um ihn einzuholen, aber so unregelmäßig und täppisch, daß man den stolzen Vogel bedauern möchte. Um vom flachen Boden aufzufliegen, nimmt er, in ähnlicher Weise hüpfend, stets einen Anlauf und schlägt langsam und kräftig mit den Flügeln; hat er sich jedoch erst in eine gewisse Höhe aufgeschwungen, so schwebt er oft Viertelstunden lang, ohne einen einzigen Flügelschlag zu thun und nur wenig sich senkend, rasch dahin, steigt, indem er sich gegen den Wind dreht, wieder zu der etwa verlorenen Höhe empor und hilft nur ausnahmsweise durch einige langsame Flügelschläge nach. Wie von dem fliegenden Geier werden die Fittige so weit gebreitet, daß die Spitzen der einzelnen Schwungfedern sich nicht mehr berühren, wogegen die Schwanzfedern stets einander überdecken. Das Flugbild des Vogels erhält durch den gerade abgeschnittenen Schwanz etwas so bezeichnendes, daß man den Steinadler niemals mit einem Geier verwechseln kann; geübte Beobachter unterscheiden ihn sogar von dem Goldadler, dessen gestrecktere, schlankere Gestalt und längerer, minder gerade abgeschnittener Schwanz eben im Fluge besonders zur Geltung kommen soll. Beim Herabstürzen und Ergreifen des Raubes verfährt dieser wie jener Adler verschieden. Der in hoher Luft kreisende Räuber, welcher eine Beute erspäht, senkt sich gewöhnlich erst in Schraubenlinien hernieder, um den Gegenstand genauer ins Auge zu fassen, legt, wenn dies geschehen, plötzlich seine Flügel an, stürzt mit weit vorgestreckten, geöffneten Fängen, vernehmlich sausend, schief zum Boden herab, auf das betreffende Thier los und schlägt ihm beide Fänge in den Leib. Ist das Opfer wehrlos, so greift er ohne weiteres zu; ist es fähig, ihn zu gefährden, verfehlt er nie, einen Fang um den Kopf zu schlagen, um so gleichzeitig zu blenden und zu entwaffnen. Mein Vater hat an seinem gefangenen Goldadler die Art und Weise des Angriffes oft gesehen und ausgezeichnet beschrieben; seine Schilderung will ich daher, wenn auch nur im Auszuge, wiedergeben. »Beim Ergreifen der Beute«, sagt er, »schlägt er die Nägel so heftig ein, daß man es deutlich hört und die Zehen wie krampfhaft zusammengezogen aussehen. Katzen schlägt er den einen Fang um den Hals, benimmt ihnen so alle Luft und frißt sie an, noch ehe sie todt sind. Gewöhnlich greift er so, daß die Zehen des einen Fanges den Kopf einschließen. Bei einer Katze, welche ich ihm bot, hatte er mit einem Nagel das Auge durchbohrt, und die Vorderzehen lagen so um die untere Kinnlade, daß die Katze den Rachen keine Linie breit öffnen konnte. Die Nägel des anderen Fußes waren tief in die Brust eingedrückt. Um sich im Gleichgewichte zu halten, breitete der Adler die Flügel weit aus und gebrauchte sie und den Schwanz als Stützen; dabei waren seine Augen blutroth und größer als gewöhnlich, alle Federn am ganzen Körper glatt angelegt, der Rachen geöffnet und die Zunge vorgestreckt. Man bemerkte bei ihm aber nicht nur auffallende Wuth, sondern auch ungewöhnliche Kraftanstrengung, bei der Katze das ohnmächtige Streben, ihren überlegenen Feind loszuwerden. Sie wand sich wie ein Wurm, streckte aber alle vier Füße von sich und konnte weder die Nägel noch die Zähne gebrauchen. Wenn sie zu schreien anfing, faßte der Adler mit dem einen Fange weiter und schlug ihn an einer anderen Stelle der Brust ein, den zweiten Fang hielt er beinahe unbeweglich um den Rachen geschlagen. Den Schnabel gebrauchte er gar nicht, und so kam es, daß die Katze erst nach Verlauf von dreiviertel Stunden todt war. So lange hatte der Adler mit eingeschlagenen Nägeln und ausgebreiteten Flügeln auf ihr gestanden. Jetzt ließ er sie liegen und schwang sich auf die Sitzstange. Dieses lange Leiden der Katze machte auf mich einen solchen Eindruck, daß ich ihm nie wieder eine lebend gab.« Andere Opfer hauchen unter der gewaltigen Kralle des Räubers viel eher ihr Leben aus, weil sie weit weniger als die Katze fähig sind, Widerstand zu leisten. Aber der Adler wagt sich auch an noch stärkere Thiere; man hat beobachtet, daß er selbst den bissigen Fuchs nicht verschont. »Wehe dem armen Meister Reineke«, schildert Girtanner, wohl durchaus richtig, »welchem seine Nachtjagd schlecht ausgefallen, und der, noch auf Brodreisen begriffen, in Sicht eines über ihm kreisenden Adlerpaares ein unbesorgt spielendes Steinhühnervolk auf dem Bauche kriechend überfallen wollte und dabei seine Aufmerksamkeit zu sehr auf seine erhoffte Beute richtete, wenn plötzlich mit eingezogenen Schwingen, aber weit geöffneten Fängen der König der Lüfte pfeilschnell seitwärts heransaust. Den einen Fang schlägt er dem unvorsichtigen Schelme im nächsten Augenblicke in die fletschende Schnauze und macht so auch die schärfsten Zähne unschädlich, den anderen begräbt er im Leibe seines Opfers, drückt dasselbe, durch Flügelschläge im Gleichgewichte sich haltend, mit aller Gewalt nieder und beginnt nun, grausam genug, seinen Raub zu zerfleischen, noch ehe dieser sein Leben ausgehaucht.« Daß solcher Kampf nicht immer siegreich endet, haben wir oben (Bd. I, S. 672) gesehen; daß er überhaupt stattfindet, dürfte zweifellos sein und beweist schlagend den Muth, das Selbstbewußtsein des mächtigen Vogels. Man übertreibt nicht, wenn man behauptet, daß sich letzteres deutlich ausdrückt, wenn der Adler mit kühn blitzendem Auge, gesträubten Nackenfedern und halb gelüfteten Schwingen auf seiner Beute steht und, wie gewöhnlich, ein förmliches Siegesgeschrei ausstößt. Er ist in solcher Stellung ein überwältigendes Bild stolzer Schönheit und markiger Kraft, dessen Eindruck sich niemand entziehen kann. Vollbewußtsein seiner Stärke verleitet ihn zuweilen, sogar an dem Herrn der Erde sich zu vergreifen. Es ist keine Fabel, wenn erzählt wird, daß er auf kleine Kinder gestoßen und sie, falls er es vermochte, davon getragen hat; man kennt sogar verbürgte Fälle, daß er, ohne durch gerechtfertigte Abwehr oder Vertheidigung seines Horstes gezwungen zu sein, erwachsene Menschen anfiel. Nordmann erzählt hierfür ein ergötzliches Beispiel. »Ich erhielt«, sagt er, »einen Steinadler, dessen Gefangennahme mit folgenden ungewöhnlichen Umständen verknüpft war. Der hungrige und tollkühne Vogel stürzte mitten in einem Dorfe auf ein großes umhergehendes Schwein, dessen lautes Schreien die Dorfbewohner in Bewegung setzte. Ein herbeieilender Bauer verjagte den Adler, welcher seine schwere Beute nur ungern fahren ließ, von dem fetten Schweinerücken sich erhebend, sogleich auf einen Kater stieß und sich, mit demselben beladen, auf einen Zaun setzte. Das verwundete Schwein und der blutende Kater stimmten einen herzzerreißenden Zweisang an. Der Bauer wollte nun zwar auch die Katze retten, getraute sich aber nicht, dem grimmigen Vogel unbewaffnet nahe zu treten, und eilte in seine Wohnung nach einem geladenen Gewehre. Als aber der Adler seinen Mahlzeitstörer zum dritten Male wieder erblickte, ließ er die Katze fallen, packte und klammerte sich mit seinen Fängen an den Bauer, und nun schrieen alle drei, der überrumpelte Jäger, das fette Schwein und der alte Kater, um Hülfe. Andere Bauern eilten herbei, packten den Adler mit den Händen und brachten den Missethäter gebunden zu einem Freunde von mir.«

Es ist höchst wahrscheinlich, daß mindestens der größte Theil der Unthaten, welche man dem Geieradler aufgebürdet hat, auf Rechnung des kühnen Adlers zu setzen sind. In Spanien wußte man uns von seiner Frechheit viel zu erzählen, und ein Steinadler übernahm es, vor unseren Augen die Wahrheit der Erzählungen zu bestätigen. Er erhob dicht vor dem Hause, in welchem wir uns befanden, einen fetten Puter und trug denselben so eilig als möglich davon. Der Truthahn wurde ihm glücklich wieder abgejagt, war aber mehr todt als lebendig, und ich begriff nun wohl die Berechtigung des mir bisher auffallend gewesenen Gebarens der Hühner aller Gebirgsbewohner. Diese waren durch die Angriffe des Stein- und des Habichtsadlers so in Furcht gesetzt worden, daß sie beim Erscheinen des kleinsten Raubvogels, z. B. eines Thurmfalken, wie sinnlos in das Innere der spanischen Bauernhäuser gestürzt kamen und hier im Zimmer ihres Herrn ängstlich Zuflucht suchten. In allen Gebirgen, welche er bewohnt, ist das Kleinvieh stets im höchsten Grade gefährdet. Denn trotz der schärfsten Achtsamkeit der Hirten stürzt er sich, wenn der Hunger ihn treibt, auf Lämmer und Zicklein hernieder und trägt sie angesichts des viehhütenden Knaben in die Lüfte. In der Schweiz wie im Süden Europas ist den Viehbesitzern kein Vogel verhaßter, keiner auch schädigt den Bestand der Herden in empfindlicherer Weise als er. Daß er nicht nur die Lämmer unserer Hausschafe, sondern auch die weit größeren der riesigen Wildschafe schlägt, habe ich oben (Bd. III, S. 352) bereits berichtet; daß er unter dem Wildstande des Gebirges schlimmer haust als ein strenger Winter, dürfte kaum in Abrede gestellt werden können.

Viel zu weitläufig würde es sein, wenn ich alle die Thiere aufzählen wollte, auf welche der Adler jagt. Unter unseren deutschen Vögeln sind nur die Raubvögel, die Schwalben und die schnellen Singvögel vor ihm sicher, unter den Säugern, abgesehen von den großen Raubthieren, nur Wiederkäuer, Ein- und Vielhufer. Daß er die Jungen der ersteren und letzteren nicht verschont, haben wir eben gesehen; daß er kleine Thiere nicht verschmäht, ist durch hinlängliche Beobachtung festgestellt worden. Auch für unseren Adler gilt das, was ich im Eingange über die schmarotzenden Bewohner des Adlerhorstes sagte. In seinem Neste siedeln sich namentlich Sperlinge an, und sie wohnen dem Anscheine nach unbehelligt; an gutem Willen, sie abzuwürgen, fehlt es dem Adler aber nicht. Dies beweist eine Beobachtung Radde's, welcher den Steinadler Lerchen fangen sah. »Die Kalanderlerchen«, sagt er, »verfolgten ihn, sobald er aufflog. Ließ er sich nun auf der nächsten Erhöhung nieder, so setzten sich die kleinen Vögel auf den Boden und waren gar nicht scheu. Plötzlich aber sprang der Adler in die Menge von ihnen hinein, griff blitzschnell zu, und hielt gewöhnlich eine von ihnen als Beute fest.« Aus meines Vaters Beobachtungen geht hervor, daß der Adler sich auch nicht scheut, einen Igel anzugreifen, so unangenehm ihm das Stachelkleid desselben sein mag. Ebensowenig als letzteres den Igel, schützt die eisenharte Schale die Schildkröte vor seinen Angriffen. »Die von Plinius erwähnte Sage«, bemerkt von der Mühle, »daß Aeschylos durch eine von einem Adler auf seinen kahlen Kopf geworfene Schildkröte erschlagen worden sei, entbehrt durchaus nicht der Wahrscheinlichkeit. Denn häufig ergreift dieser Adler eine Landschildkröte, erhebt sich mit ihr in die Luft, läßt sie auf einen Felsen fallen und wiederholt dies so oft, bis sie zerschellt, worauf er sich daneben hinsetzt und sie verzehrt.« Viele Thiere, welche durch ihren Aufenthalt Schutz genießen, werden ihm dennoch zur Beute, weil er sie so lange jagt, bis sie ermattet sich ihm hingeben. So ängstigt er Schwimmvögel, welche sich bei seinem Erscheinen durch Tauchen zu retten suchen, bis sie nicht mehr tauchen können und nimmt sie dann ohne Umstände weg. Ungeachtet des nicht wegzuleugnenden Stolzes, welcher ihn bei allen seinen Handlungen beseelt, verschmäht er nicht, zu schmarotzen, läßt andere Räuber, beispielsweise den Wanderfalken, für sich arbeiten und zwingt sie, die eben gewonnene Beute ihm abzulassen. Zuweilen nimmt er selbst dem Jäger erlegtes Wild vor den Augen weg. In unzugänglichen Felsen in der Nähe von Astros in Griechenland hauste ein Steinadlerpaar, welches von der Mühle vier Jahre nach einander beobachtete. Unweit des genannten Ortes befindet sich ein großer Sumpf, in dessen Mitte ein See liegt, welch letzterer im Winter von unzähligen Scharen allerlei Wassergeflügels bewohnt wird. »Dorthin«, so erzählt der genannte, »begab ich mich im Winter oftmals auf die Jagd. Dabei ereignete es sich öfters, daß ein von mir erlegtes Stück weit im Teiche liegen blieb und von meinen Hunden nicht geholt wurde, daher diesen Adlern als Beute anheim fiel. Dies hatten sie sich gemerkt, und zwar so, daß sie jedesmal, wenn ein Schuß an diesem Sumpfe fiel, ihre Felsen verließen, über dem See kreisten und mit unglaublicher Kühnheit mir oft das erjagte Wild vor den Augen wegtrugen, ohne daß ich sie erlegen konnte.« Schon aus diesen Angaben geht hervor, daß der Adler keineswegs immer selbst erworbene Beute erhebt; ich will aber noch ausdrücklich hervorheben, daß er auch auf dem Aase regelmäßig sich einstellt. Allerdings bevorzugt er erst vor kurzem verendete Thiere solchen, welche bereits in Fäulnis übergegangen sind, darf jedoch in dieser Beziehung durchaus nicht als Kostverächter bezeichnet werden. Unter besonderen Umständen, vielleicht bei großem Hunger, verschlingt er sogar Pflanzenstoffe: Reichenow hat Kartoffeln in seinem Magen gefunden.

Die gefangene und getödtete oder wenigstens halb erwürgte Beute wird vor dem Verzehren von dem Adler erst oberflächlich gerupft; nachdem dies geschehen, fängt er beim Kopfe zu fressen an, zertrümmert die Knochen desselben und verspeist auch sie mit, falls ihm ersteres gelang. Bei größeren Vögeln läßt er nur den Schnabel liegen. Nach dem Kopfe wird der Hals verzehrt, sodann der übrige Körper. Die mit Unrath gefüllten Gedärme verschmäht, alles übrige, welches er zerbeißen kann, verschluckt und verdaut er. Da er wie Habichte und Edelfalken nur kleine Stücke verschlingt, bringt er mit dem Kröpfen einer halben Krähe etwa zwanzig Minuten zu. Er frißt mit größter Vorsicht, sieht sich von Zeit zu Zeit um und lauscht nach allen Seiten hin. Bei dem geringsten Geräusche hält er inne, blickt lange nach der Gegend, von welcher es herkam, und fängt erst dann wieder zu fressen an, wenn alles ruhig geworden ist. Nach der Mahlzeit putzt er sich den Schnabel sehr sorgfältig. Haare und Federn sind auch ihm dringendes Bedürfnis; sie scheinen zur Reinigung seines Magens unentbehrlich zu sein. Nach vollendeter Verdauung ballen sie sich zu einem Klumpen zusammen, und diesen, das Gewölle, speit er aus, gewöhnlich alle fünf bis acht Tage einmal. Entzieht man ihm Haare oder Federn, so würgt er Heu oder Stroh hinab. Knochen, welche er sehr gern mit verschlingt, werden vollständig verdaut.

Der Adler horstet frühzeitig im Jahre, gewöhnlich schon Mitte oder Ende März. Sein Horst steht im Gebirge, wenn auch nicht ausnahmslos so doch vorzugsweise in großen, oben gedeckten Nischen oder auf breiten Gesimsen an möglichst unersteiglichen Felswänden, in ausgedehnten Waldungen dagegen auf den Wipfelzweigen der höchsten Bäume, ist daher je nach dem Standorte verschieden. Wenn er auf einem Baume angelegt wurde, besteht er regelmäßig aus einem massigen Unterbaue von starken Knüppeln, welche der Adler entweder vom Boden aufhebt oder, indem er sich aus großer Höhe herab auf dürre Aeste stürzt und sie im rechten Augenblicke mit den Fängen packt, von den Bäumen abbricht. Dünnere Zweige bilden den Oberbau, feinere Reiser und Flechten die Ausfütterung der sehr flachen Mulde. Ein solcher Horst hat 1,30 bis 2 Meter, die Mulde 70 bis 80 Centimeter im Durchmesser, wächst aber, da er lange Zeit nach einander benutzt wird, von Jahr zu Jahr, wenn auch nicht an Umfang, so doch an Höhe, und stellt so bisweilen ein wahrhaft riesiges Bauwerk dar. Auf einer sicheren Unterlage, wie sie Felsnischen darbieten, macht der Adler weniger Umstände. Zwar trägt er auch hier in der Regel große Knüppel zusammen, um aus ihnen den Unterbau zu bilden, und stellt dann den Oberbau in ähnlicher Weise her; unter Umständen aber genügen ihm auch schwache Reiser. So untersuchte Girtanner in Graubünden einen Adlerhorst, welcher aus nichts anderem als einem ungeheueren Haufen dünner Föhren- und Lärchenreiser bestand und eine Höhe von einem, eine Länge von drei und eine Breite von zwei Meter zeigte. Die betreffende Felsnische, offenbar entstanden durch das Herausstürzen eines großen Blockes, war von oben und von den Seiten so geschützt, daß der Horst kaum einer Kugel, geschweige denn einem menschlichen Fuße nahbar gewesen wäre; denn vorn hatte der Adler nur zu beiden Seiten eine Stelle frei gelassen, auf welcher er fußen konnte; der vordere Rand des Horsthaufens überragte denjenigen des Bodens der Nische, und es blieb für das Gelege, den brütenden Adler und die Brut nur im hinteren Winkel der Horststätte eine sehr vertiefte Stelle frei. »Mit dem gewaltigen Reiserhaufen«, sagt unser Gewährsmann, »hat der junge Adler eigentlich nichts zu schaffen, wohl aber schützt derselbe in erster Linie das Gelege, welches hinter ihm liegt, einigermaßen vor Sturm und Wetter, gegen Kälte und vor Schaden durch Windstöße, erweist dieselbe Wohlthat auch dem brütenden Adler, welcher wohl trotzdem bei der frühen Brutzeit der Kälte, dem Schnee und allem Unwetter ausgesetzt sein mag, und bewahrt später die Jungen in Abwesenheit ihrer Eltern vor dem Sturze in die Tiefe, da sie den hohen, stacheligen Wall wohl nicht so bald zu überschreiten versuchen dürften.« Die Eier sind verhältnismäßig klein, sehr rundlich, rauhschalig und auf weißlichem oder grünlichgrauem Grunde unregelmäßig mit größeren und kleineren graulichen und bräunlichen Flecken und Punkten, welche oft zusammenlaufen, gezeichnet. Man findet ihrer zwei bis drei im Horste, selten aber mehr als zwei Junge, oft nur ein einziges. Das Weibchen brütet ungefähr fünf Wochen. Die aus dem Eie geschlüpften Jungen, welche bereits in den ersten Tagen des Mai das Licht der Welt erblicken, sind wie andere Raubvögel dicht mit graulichweißem Wollflaume bedeckt, wachsen ziemlich langsam heran und werden kaum vor der Mitte, meist erst zu Ende des Juli flugfähig. Anfänglich sitzen sie fast regungslos auf ihren Fußwurzeln, und nur der manchmal sich bewegende Kopf verräth, daß sie leben; später erheben sie sich dann und wann, nesteln sehr viel im Gefieder, welches beim Heranwachsen unbehagliches Jucken zu verursachen scheint, breiten von Zeit zu Zeit die noch stummelhaften Fittige, stellen, indem sie letztere bewegen, gewissermaßen Flugversuche an, erheben sich endlich auf die Zehen, trippeln ab und zu nach dem vorderen Rande und schauen neugierig in die ungeheure Tiefe hinab oder nach den ersehnten Eltern in die blaue Luft hinauf, bis sie endlich das Nest verlassen und sich selbst zu letzterer aufschwingen können. Beide Eltern widmen sich ihnen mit hingebender Zärtlichkeit, und namentlich die Mutter zeigt sich treu besorgt, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. So lange sie noch klein sind, verläßt sie kaum das Nest, hudert sie, um sie zu erwärmen, trägt, wie Girtanner selbst gesehen hat, tagtäglich frische Lärchenzweige in das Nest, um die vom Kothe der Jungen beschmutzten und benetzten, welche vorher weggeschafft wurden, zu ersetzen und so den Kleinen stets ein trockenes Lager zu bereiten, und schleppt endlich mit dem Männchen im Uebermaße Beute herbei, um sie vor jedem Mangel zu schützen. In der frühesten Jugend erhalten sie nur solche Atzung, welche bereits im Kropfe der Mutter vorverdaut ist; später zerlegt ihnen diese die gefangene Beute; endlich tragen beide Eltern unzerfleischten Raub in den Horst und überlassen es den Jungen, ihre Mahlzeit zu halten, so gut sie vermögen, um sie allgemach an Selbständigkeit zu gewöhnen. Damit hängt zusammen, daß beide Eltern eines Adlerpaares, mindestens das Weibchen, anfänglich sehr viel im Horste sich aufhalten, wogegen sie später, im Einklange mit der zunehmenden Entwickelung ihrer Jungen, länger und auf weiterhin sich entfernen und zuletzt, wenn sie die Brut mit Nahrung versorgt wissen, sich oft tagelang nicht mehr zu Hause sehen lassen. Gegen das Ende der Brutzeit hin ähnelt der Adlerhorst einer Schlachtbank oder einer förmlichen Luderstätte. Denn so sorgfältig die Alten auch auf Erneuerung der Niststoffe bedacht sind, so gleichgültig lassen sie die Nestvögel zwischen den faulenden, im Horste liegenden Fleischüberresten und dem in Masse herbeigezogenen und dort entstehenden Ungeziefer sitzen. Wie groß die Anzahl der Opfer ist, welche ihr Leben lassen müssen, um das zweier junger Adler zu erhalten, geht aus einer Angabe Bechsteinshervor, laut welcher man in der Nähe eines Horstes die Ueberbleibsel von vierzig Hasen und dreihundert Enten gefunden haben soll. Diese Schätzung ist vielleicht übertrieben: schlimm genug aber haust das Adlerpaar unter den Thieren der Umgegend, und zwar einer Umgegend im weiteren Sinne des Wortes; denn man hat beobachtet, daß es Reiher zwanzig bis dreißig Kilometer weit dem Horste zuschleppte. In einem Horste, zu welchem sich der Jäger Ragg am zweiten Juli 1877 hinabseilen ließ, lagen ein noch unberührtes und ein zu drei Viertheilen verzehrtes Gemskitz, die Reste eines Fuchses, eines Murmelthieres und von nicht weniger als fünf Alpenhasen. Dem kleineren Herdenvieh wird der Adler während der Brutzeit zu einer wahren Geisel, dem Hirten zur schlimmsten Plage; kein Wunder daher, daß der Herdenbesitzer alles aufbietet, des so furchtbaren Räubers sich zu erwehren.

Die Jagd des Steinadlers verlangt in den meisten Fällen einen guten Bergsteiger und sehr sicheren Büchsenschützen; denn der Vogel ist einzig und allein da, wo er noch niemals Nachstellungen erfuhr, so vertrauensselig, daß er unterlaufen und ohne sonderliche Anstrengungen beschlichen werden kann, weitaus in den meisten Fällen dagegen, und zwar schon in früher Jugend, ungemein vorsichtig und scheu. Mit zunehmendem Alter steigert sich sein Mißtrauen ebenso sehr, als sein Verständnis zunimmt. Auch er unterscheidet den ihm unschädlichen Menschen von dem Jäger, raubt beispielsweise ungescheut in der Nähe des Hirten und flieht schon aus weiter Ferne den bewaffneten Mann, nimmt jedoch in der Regel das gewisse für das ungewisse und entzieht sich weitaus in den meisten Fällen rechtzeitig jeder ihm drohenden Gefahr. Selbst am Horste setzt er die ihm eigene Vorsicht selten aus den Augen, und wenn er vollends erfahren mußte, daß sein Gatte dem mörderischen Blei erlag, ist ihm gar nicht mehr beizukommen. Am leichtesten gelingt es, auf ausgelegtem Luder seiner habhaft zu werden; doch darf man sich längeres Warten in der benachbarten, wohl verdeckten Hütte nicht verdrießen lassen. Gefallenes Wild bevorzugt er allem übrigen Aase, und wenn man in der Nähe eines solchen einen lebenden Uhu aufstellt und sich nebenbei in einen wohl verdeckten Hinterhalt legt, darf man mit ziemlicher Sicherheit auf günstige Jagd rechnen. So erzählte mir Kronprinz Rudolf von Oesterreich, einer der eifrigsten und glücklichsten Steinadlerjäger, dessen Erfahrung in dieser Beziehung die manches alten, ergrauten Waidmannes bei weitem übertrifft. Leichter als von dem Jäger läßt sich der Adler durch Fallen berücken; ein richtig geköderter Schwanenhals führt ziemlich sicher zum Ziele; auch ein Schlaggarn leistet gute Dienste. Die Chinesen zum Beispiel gebrauchen nur das letztere, um sich unseres Vogels zu bemächtigen.

Jung aufgezogene Adler werden bald zahm und menschenfreundlich, gewöhnen sich so an ihren Gebieter, daß sie ihn vermissen, wenn er längere Zeit nicht bei ihnen war, ihn mit fröhlichem Geschrei begrüßen, wenn er wieder zu ihnen kommt, und ihm nie gefährlich werden. Mit ihresgleichen, auch mit anderen großen Raubvögeln, vertragen sie sich in der Regel gut, aber doch wohl nur dann, wenn sie sich überzeugt haben, daß sie ihren Mitgefangenen nichts anhaben können. Zu trauen ist ihnen ebensowenig wie allen übrigen Raubvögeln. Mehrere Junge namentlich dürfen ohne strenge Beaufsichtigung nicht in einem engen Raume zusammengehalten werden, weil ihnen noch genügende Erkenntnis fehlt und einer aus reinem Unverstande über den anderen herfällt, denselben vielleicht erst nach längeren Kämpfen meistert und dann mit aller Gemüthsruhe verzehrt. Bei alten hat man solche Vorkommnisse weniger zu fürchten, und wenn der Raum groß genug ist, kann man ihnen auch kleinere Raubvögel gesellen, deren Gewandtheit sie vor etwa aufkeimenden räuberischen Gelüsten schützt. Die für sie geeignetsten Genossen sind offenbar die Geier, deren Tölpelhaftigkeit ihnen gestattet, sich stets rechtzeitig eines Futterbrockens zu bemächtigen, und deren achtunggebietende Stärke sie von Hause aus vor Uebergriffen bewahrt. Wind und Wetter fechten sie wenig an; doch verlangen auch sie, wenn sie sich auf die Dauer wohlbefinden sollen, einen geschützten Raum, nach welchem sie sich zurückziehen können, wenn es ihnen beliebt. Zwar sieht man sie selbst bei der strengsten Kälte oder im heftigsten Winde auf den höchsten Zweigen ihres Fluggebauers sitzen, bemerkt aber ebenso, daß sie zuweilen sich förmlich verkriechen, offenbar nur, um vor ungünstigen Witterungseinflüssen sich zu schützen. Wie unbehaglich ihnen naßkalte Witterung oder Regen ist, geht aus ihrem Betragen klar hervor. Während sie bei Sonnenschein sich bewegen, oft und viel schreien, sitzen sie bei Regenwetter lange Zeit auf einer und derselben Stelle, ohne sich zu rühren, und sehen dann ungemein verdrossen aus. An die Nahrung stellen sie geringe Ansprüche. Jede Fleischsorte ist ihnen recht, und Haare und Federn gehören wenigstens nicht zu ihren unabweislichen Bedürfnissen. Dagegen verlangen sie unter allen Umständen viel und reines Wasser, um nach Belieben trinken, und noch mehr, um sich baden zu können. Denn sie sind sehr reinlich, dulden ebensowenig an ihrem Gefieder wie an ihrem Schnabel irgend welchen Schmutz und putzen sich fortwährend. Bei einigermaßen genügender Pflege halten sie viele Jahre in der Gefangenschaft aus. »In der kaiserlichen Hofburg zu Wien«, erzählt Fitzinger, »wo nach einer alten Sitte der Regenten aus dem Hause Habsburg durch mehrere Jahrhunderte hindurch lebende Adler in der Gefangenschaft gehalten und sorgfältig gepflegt wurden, lebte ein Goldadler vom Jahre 1615 bis 1719, und in Schönbrunn starb im Jahre 1809 ein Adler derselben Art, welcher fast volle achtzig Jahre in der Gefangenschaft zugebracht hatte.«

Schon Pallas und nach ihm Eversmann haben uns berichtet, daß Stein- und Goldadler von den Baschkiren und anderen innerasiatischen Völkerschaften zur Jagd abgetragen werden. Auf unserer Reise nach Sibirien und Turkestan habe ich die riesigen Baizvögel selbst gesehen und von den Kirgisen, welche sich mit Vorliebe ihrer bedienen, das nachstehende über Abtragung und Verwendung erfahren. Alle kirgisischen Jäger, welche sich des Steinadlers als Baizvögel bedienen, entnehmen denselben so jung als möglich dem Horste und ziehen ihn mit größter Sorgfalt auf. Der junge Adler wird nur aus und auf der Hand des Falkners gekröpft, um sich von frühester Kindheit auf an seinen Pfleger zu gewöhnen, später, jedoch nicht bevor er vollständig ausgefiedert, nach dem Kröpfen auch jedesmal sorgfältig behäubt. Eine besondere Abtragung hält der Kirgise nicht für nothwendig, begnügt sich vielmehr, den Vogel auf die Faust und an den Anruf zu gewöhnen; vererbte Gewohnheit muß das fehlende ergänzen. Nachdem der Adler vollkommen flugbar geworden, zieht der Falkner mit ihm in die Steppe hinaus, um ihn zunächst auf schwaches Wild, namentlich Bobaks und Zisel, zu werfen. Da der schwere Vogel die durch einen starken Handschuh geschützte Faust bald ermüdet, hat der Reiter entweder vorn am Sattelknopfe oder im Steigbügel eine Stütze angebracht, auf welcher er seinen Vorderarm ruhen läßt. Dank der Fertigkeit aller Kirgisen, auch auf den schwierigsten Wegen zu reiten, erklimmt der berittene Falkner mit seinem Baizvögel stets eine Höhe, welche weitere Umschau gewährt, enthäubt den Vogel, wenn er für ihn geeignetes Wild erspäht hat, und wirft ihn in die Luft. Der Adler stellt sich im Anfange meist ziemlich ungeschickt an, erwirbt sich aber bald die nöthige Fertigkeit, um ein Steppenmurmelthier zu schlagen, bevor es seinen Bau erreicht. Versteht er solche Jagd, so wird er nunmehr auf den Fuchs verwendet. Letzteren scheuchen die Gehülfen des Jägers aus seinem Verstecke, verfolgen ihn zu Pferde und versuchen, ihn so zu treiben, daß er in der Nähe des Falkners vorüber kommen muß. Im geeigneten Augenblicke wirft letzterer seinen Baizvogel. Dieser erhebt sich, beschreibt ein oder zwei Kreise, stürzt sich dann in schiefer Richtung von oben auf den Fuchs herab und schlägt ihm die Fänge in den Hinterleib. Der Fuchs duckt sich augenblicklich nieder, um seinem Gegner einen tödtlichen Biß zu versetzen; dieser aber nimmt den Augenblick wahr und greift jenen im Gesichte an, seine Fänge womöglich in die Augen schlagend. Reineke versucht auch jetzt noch, seiner Haut sich zu wehren, und vereitelt, indem er sich mit dem Adler plötzlich zu Boden wirft und auf dem Rücken wälzt, auch wohl noch einen zweiten oder dritten Angriff; die Reiter aber sind ihm stets auf den Fersen und lähmen, wenn nicht seine Kraft so doch seinen Muth. Auch erkennt der Adler sehr bald, mit welchem gefährlichen Gegner er es zu thun hat, löst in demselben Augenblicke, in welchem der Fuchs sich auf den Rücken drehen will, seine Fänge, erhebt sich in die Luft und schwebt als drohende Gewitterwolke wiederum über dem armen Schelme, bereit, den furchtbaren Fang nochmals um sein Haupt zu schlagen. So wiederholt angegriffen und fortwährend bedroht, ermattet der Fuchs schneller als man annehmen möchte und läßt sich endlich ziemlich widerstandslos festhalten, bis die nacheilenden, durch jauchzenden Zuruf den Adler anfeuernden Jäger herbei kommen und jenen durch einen geschickten Schlag mit der Keule von seinen Leiden befreien. Wenn der Adler auch die Fuchsjagd genügend versteht, wirft ihn der Falkner auf den Wolf, welcher ebenso wie sein Verwandter aufgescheucht wurde. Nicht jeder Adler wagt es, dieses unverhältnismäßig stärkere Raubthier anzugreifen; ein in der Fuchsjagd wohl erfahrener Baizvogel aber thut dies unabänderlich, obwohl stets mit der größten Vorsicht, so genau auch die Art und Weise seines Angriffes der bisher geübten entspricht. Den Wolf ernstlich zu gefährden, wie es hinsichtlich des Fuchses sehr oft der Fall ist, würde für den Adler unmöglich sein; die nachjagenden Reiter aber beeifern sich jetzt mehr als je, rechtzeitig zu Hülfe zu kommen, und daher ist auch der von einem Adler angegriffene Wolf regelmäßig verloren. Ein Adler, welcher Isegrim, den verhaßten, schlägt, und dann ohne weiteres auch auf Antilopen und anderes Wild verwendet werden kann, ist den Kirgisen nicht feil; schon ein Baizvogel, welcher mäßigen Ansprüchen genügt, hat in seinen Augen den Werth von drei bis vier Stuten. Mit zwei Adlern zugleich kann man nicht jagen, weil die Eifersucht beide so erregt, daß sie sich gegen einander kehren und auf Leben und Tod bekämpfen.

Viel allgemeiner als der lebende, findet der todte Adler Verwendung. Schon unter unseren Tyrolern und den mit ihnen demselben Volksstamme angehörigen Oberbayern gelten einzelne Theile des Adlers als kostbarer Schmuck. Obenan stehen die »Adlerflaumen« oder Unterschwanzdeckfedern, welche gerne mit zwei bis fünf Gulden bezahlt werden; nächstdem werden die Krallen geschätzt. Man liebt es, an der meist aus Silber bestehenden Uhrkette die Haken des Edelhirsches, die Fangzähne des Fuchses, die Krallen des Habichtes und Uhus, als höchste Zierde aber die Klauen des Adlers zu tragen. Besonders begehrt ist die Hinterkralle, minder eine oder die andere der beiden größeren und stärkeren Vorderzehen, am wenigsten die schwache der kleinsten Zehe. Für die erstere zahlt der Gebirgsbewohner gern bis zwölf Mark unseres Geldes, und demgemäß steigert sich im Gebirge der Preis eines erlegten Steinadlers meist bis auf sechzig, ja selbst bis auf achtzig Mark. Unter den Chinesen dienen Kopf und Fänge als geschätzte Arzneimittel, die Schwingen zur Herstellung von Fächern und zur Befiederung der Pfeile. Auch bei den Burjäten stehen Schwingen und Steuerfedern hoch im Preise, und von den Mongolen werden sie als Opfergaben den Göttern dargebracht. Hiermit scheint ein Vorurtheil dieser Leute zusammenzuhängen. Man tödtet, wie Radde mittheilt, den Adler nicht gern; geschieht es aber, daß einer verletzt oder gefangen wird, so muß er so rasch wie möglich todt geschlagen werden, widrigenfalls man sich den Zorn der bösen Geister zuziehen würde.

Es ist beachtenswerth, daß unter den Indianern Amerikas ähnliche Anschauungen herrschen. »Sie nehmen«, so erzählt der Prinz von Wied, »den großen Adler gern aus dem Horste, um ihn aufzuziehen, und sammeln alsdann seine Schwanzfedern, welche bei ihnen einen hohen Werth haben: eine einzelne Feder wird für den Werth eines Dollars verkauft. Die Federn sind bei allen indianischen Völkerschaften von Nordamerika Zeichen ihrer Heldenthaten, und bei den meisten derselben steckt man eine solche Feder für die Erlegung eines Feindes auf. Mit Zinnober rothgefärbte Adlerfedern, an deren Spitze die Schwanzklapper einer Klapperschlange befestigt wird, haben eine Bedeutung, welche nur in indianischen Augen ehrenvoll ist: sie bezeichnen nämlich die höchst ausgezeichnete und verdienstvolle That eines Pferdediebstahles. Die Indianer verzieren ferner ihre großen Federhauben damit, indem die Federn aufrecht in einer langen Reihe auf einem rothen Tuchstreifen befestigt werden, an welchem oben eine Federmütze angebracht ist. Hat man diese Mütze aufgesetzt, so hängt der rothe Tuchstreifen mit den kammartig aufrecht stehenden Adlerfedern bis zur Erde über den Rücken hinab. Die Mandan-Indianer nennen diesen, bei den größten Festlichkeiten gebräuchlichen Putz ›Mahehsi-akub-haschkah‹, und bloß ausgezeichnete Krieger dürfen ihn tragen; auch ist er sehr kostbar, und nur gegen ein schönes Pferd würde der Besitzer einen solchen vertauschen. Ich muß hier nur bemerken, daß man in den meist idealisch zusammengesetzten Bildern des Malers Catlin bei der Bisamjagd der Indianer jene große Federhaube abgebildet sieht. Dies ist gänzlich unrichtig. Der Indianer geht ohne allen Putz zur Jagd wie zum Kriege; nur seinen Talisman wird er nie vergessen. Die große Federhaube wird auch wohl von einem berühmten Anführer in einer großen Schlacht oder einem vorherzusehenden Gefechte getragen, doch nur in seltenen Fällen, und nie auf der Jagd. Auch an ihren Waffen befestigen die Indianer öfters Adlerfedern, oder sie tragen sie in den Haaren, und der Flügel dient ihnen als Fächer.«

 

Zwei andere große Adler, von denen der eine wiederholt in Deutschland erlegt worden ist, hier sogar gehorstet haben soll, gehören dem Südosten, Süden und Südwesten Europas an.

 

Der bekanntere von beiden ist der Kaiser- oder Königsadler ( Aquila Mogilnik, imperialis, heliaca und riparia, Falco Mogilnik, melanaëtos und imperialis). Er ist bedeutend kleiner als der Stein- oder Goldadler: seine Länge beträgt nur 80 bis 86 Centimeter, die Breite 1,9 bis 2,2 Meter, die Fittiglänge 60 bis 63, die Schwanzlänge 27 bis 29 Centimeter: das Weibchen kommt also an Größe noch nicht ganz dem Männchen des Steinadlers gleich. Der Leib ist gedrungen, der Schwanz verhältnismäßig kurz, der Flügel aber so lang, daß er zusammengelegt über die Schwanzspitze hinausreicht. Ein sehr tiefes und gleichmäßiges Dunkelbraun ist die Grundfärbung der alten Vögel. Kopf und Nacken sind rostbraun oder hell fahlgelb, ein großer Fleck auf den Schultern oder hintersten Flügelfedern ist reinweiß, der Schwanz über der nicht sehr breiten Endbinde auf aschgrauem Grunde schmal und regelmäßig schwarz gebändert. Im Jugendkleide unterscheidet sich der Kaiseradler durch sein fahl bräunlichgelbes, mit dunkelbraunen, durch die Federkanten hervorgebrachten Längsflecken gezeichnetes Gefieder so auffallend von dem jungen Steinadler, daß er nur mit seinem nächsten Verwandten verwechselt werden kann.

 

Dieser, der Prinzenadler, wie wir ihn nennen dürfen, da er seinen Namen zu Ehren des Prinzen Adalbert von Bayern trägt ( Aquila Alberti und leucolena), erst im Jahre 1860 von meinem Bruder Reinhold in Spanien entdeckt, unterscheidet sich vom Kaiseradler, mit welchem er am meisten übereinstimmt, im Alter durch die weite Ausdehnung der weißen Färbung in der Schultergegend, welche sich von hier aus als ziemlich breites Band längs des Randes des Ober- und Unterarmes, einschließlich des Flügelbuges, erstreckt, sowie das im ganzen dunklere Gesammtgefieder, in der Jugend dagegen durch das minder deutlich gestreifte Gefieder der Untertheile.

siehe Bildunterschrift

Kaiseradler (Aquila Mogilnik). 1/6 natürl. Größe.

Das Verbreitungsgebiet des Kaiseradlers ist sehr ausgedehnt, denn es reicht von Ungarn bis nach China. In Deutschland gehört der Vogel nach den bisherigen Beobachtungen zu den größten Seltenheiten, durchstreift jedoch das Land vielleicht öfter, als wir annehmen. Lühder glaubt, ihn als Brutvogel gefunden zu haben; seine Beobachtung ist jedoch so unsicher begründet, daß man jedenfalls wohl thun dürfte, auf diese Angabe kein Gewicht zu legen. So weit unsere bisherigen Erfahrungen reichen, horstet der Kaiseradler erst in Ungarn, Galizien, Siebenbürgen, Rußland, den Donautiefländern und der Balkanhalbinsel, einschließlich der zu ihr gehörigen Eilande, ebenso in dem ganzen Steppengebiete Mittelasiens vom Ural an bis an das Chinesische Meer, endlich in Transkaukasien und Kleinasien. Einzelne Pärchen haben auch in Niederösterreich gebrütet, und ebenso mag es geschehen, daß er auch in Asien dann und wann das Steppengebiet überschreitet; solche Vorkommnisse jedoch gehören zu den Ausnahmen. Man bezeichnet unseren Adler am richtigsten als Steppenvogel, obwohl er auch Waldungen der Ebenen und Mittelgebirge keineswegs meidet. In Asien wie in Europa verläßt er sein Wohngebiet mit der Regelmäßigkeit anderer Zugvögel, wenn der Winter in ihm einzieht und erscheint erst wieder, wenn das Land schneefrei geworden ist, selten wohl vor den letzten Tagen des März. Für den Süden Europas gilt diese Angabe nicht: Krüper fand bereits in den ersten Tagen des April seine Eier im Horste. Im Gegensatze zu anderen Adlern, welche regelmäßig ziehen, wandert er nicht weiter, als er unbedingt muß. Nach Alléon soll er bereits in der Umgegend von Konstantinopel Standvogel sein; nach meinen Beobachtungen besucht er allwinterlich Egypten und ist vom Oktober bis zum März hier eine durchaus regelmäßige, stellenweise sogar häufige Erscheinung. Vornehmlich sind es die großen Seen des Delta, welche ihn fesseln; einzeln wandert er auch weiter im Nilthale hinauf, macht sich am Mörissee seßhaft und wird auch wohl noch bis zur ersten Stromschnelle, äußerst selten aber im südlichen Nubien, in Habesch oder Kordofân beobachtet. Ebenso besucht er von Mittelasien aus Persien, Beludschistan, Südchina und Indien, dürfte also im Winter auch in Anam und Siam nicht fehlen. Nach Jerdon brütet er noch im Dekan, wobei freilich zu bemerken, daß der in Rede stehende Vogel auch wohl der Steppenadler sein kann.

Der Prinzenadler vertritt ihn auf der Iberischen Halbinsel, und er dürfte es sein, welcher auch in den Atlasländern und weiter südlich an der Westküste von Afrika gefunden wird.

Das Gebiet, welches der Kaiseradler während der Brutzeit bewohnt, kann viel mannigfaltiger sein als das, welches einem Steinadler behagt. In der Steppe wird sein Aufenthalt nach meinen Erfahrungen wesentlich bedingt durch das Auftreten des Zisels; wenigstens fand ich auf unserer letzten Reise nach Sibirien den stolzen Vogel immer nur da in größerer Anzahl, wo auch Zisel häufig waren. Mehr oder weniger dasselbe gilt für Ungarn und die Donautiefländer überhaupt. Gelegentlich des bereits erwähnten Jagdausfluges des Kronprinzen Rudolf von Oesterreich nach Ungarn trafen wir den Kaiseradler erst in Syrmien und Slavonien als Brutvogel an, und auch hier zählt der Zisel zu den gemeinen Thieren. Unser Adler war hier entschiedener Waldvogel, horstete aber häufiger in den Eichenwaldungen der Ebene als in den köstlichen Laubwäldern der Fruschkagora. Aus den bisher über seinen Aufenthalt bekannt gewordenen Beobachtungen erhellt, daß er sich in den verschiedenen Theilen seines Verbreitungsgebietes je nach den Umständen richtet und bald in einem Walde, bald auf einer Baumgruppe, sogar auf einem einzelnen Baume, endlich auch in Gebirgen auf Felsen seinen Stand nimmt. Gänzlich verschieden von dem gewöhnlichen Gebaren des Gold- oder Steinadlers ist, daß er da, wo er auf die Gleichgültigkeit der menschlichen Bewohner des Landes rechnen darf, sich vielleicht sogar beschützt sieht, in unmittelbarer Nähe der Ortschaften, sogar in diesen selbst sich horstet.

Einzelne Vogelkundige behaupten, daß der Kaiseradler an Adel, Muth und Raubfähigkeit hinter dem Stein- und Goldadler merklich zurückstehe; diese Auffassung dürfte jedoch nur theilweise richtig sein. Im Verhältnisse zu seiner geringeren Größe ist er mehr oder weniger dasselbe wie jener. Entsprechend seinem Aufenthalte neben oder in Dorfschaften zeigt er sich auch in der Fremde weniger scheu, läßt sich vom Jäger oft ohne weiteres unterlaufen und verleitet zu der falschen Auffassung, daß er geistig weniger begabt sei als der stolze Steinadler; sein Betragen aber richtet sich, wie ich meinestheils vielfach erfahren habe, immer nach den Umständen. In den gegenwärtig besiedelten, zum Krongute Altai gehörigen Steppen Südwestsibiriens, woselbst er stellenweise sehr häufig auftritt, war er allerdings so wenig scheu, daß er oft auf den Richtpfählen unmittelbar neben dem Wege sitzen blieb, wenn unser Dreigespann klingelnd vorüberfuhr; in den Dörfern ruhete er, unbesorgt um das Volksgetriebe unter ihm, auf einzelnen hohen Bäumen; da aber, wo er wenig mit den Menschen zusammenkam, zeigte er sich weit vorsichtiger, und in Ungarn, Egypten fand ich ihn hier und da sogar sehr scheu. Aehnliche Verhältnisse wie in Sibirien herrschen für ihn auch in den Donautiefländern, beispielsweise in der Dobrudscha, und daher bekundet er hier ebendieselbe, nach seinen bisher gemachten Erfahrungen auch durchaus berechtigte Vertrauensseligkeit. Hat er dagegen einmal Verfolgungen erleiden müssen, so handelt er dementsprechend. In seiner Haltung wie im Fluge habe ich zwischen ihm und seinem größeren Verwandten erhebliche Unterschiede nicht aufzufinden vermocht, und niemals bin ich durch ihn mehr an einen Schreiadler als an einen Steinadler erinnert worden. Ganz richtig ist, daß er mehr auf kleineres Wild jagt als der letztgenannte, und für wahrscheinlich halte ich, daß er in den Steppen, wo ihm der häufige Zisel so reichliche und bequeme Nahrung bietet, sich selten, vielleicht nie, an wehrhaften Thieren vergreift: vollkommen überzeugt aber bin ich, daß er, wenn der Hunger ihn bewegt, verhältnismäßig ebenso muthig verfahren wird wie irgend ein anderes Mitglied seiner Familie. Ihn, weil er am Horste den Menschen nicht immer angreift, sich gefallen läßt, daß die Krähen ihn verfolgen, er auch auf das Aas fällt, einen »unedlen Fresser« zu nennen und ihn als nicht viel mehr denn einen großen Milan hinzustellen, wie Hume es gethan, finde ich meinestheils in keiner Weise gerechtfertigt; denn dasselbe, was Hume hervorhebt, kann auch von dem Steinadler gesagt werden. Wie verschiedene Beobachtungen erweisen, jagt er auf alles seiner Größe angemessene Wild, welches er ereilen und bewältigen zu können glaubt, vom Hasen oder Steppenmurmelthiere an bis zur Maus und vom halb erwachsenen Pfau oder Trappen bis zum Sperling herab.

Der große, dem des Steinadlers im wesentlichen ähnelnde Horst des Kaiseradlers steht überall da, wo es Bäume gibt, auf solchen, gleichviel, welche Höhe sie haben mögen, in der Steppe dagegen regelmäßiger auf dem flachen Boden und im Gebirge hier und da auch wohl in der Nische oder auf dem Gesimse einer Felsenwand. In den Steppen südlich vom Ural wie in der Dobrudscha findet man den Horst oft in nächster Nähe der Ortschaften auf den sie umgebenden Bäumen, insbesondere auf Pappeln, Espen und Weiden, in Ungarn und Südrußland meist in kleinen Gehölzen, in Griechenland, Macedonien und Kleinasien ebenso in Waldungen wie im Gebirge auf Felsen. Ein Horst, welchen Hudlestone beschreibt, stand auf einem gekappten Baume nicht höher als drei Meter über dem Boden, hatte ungefähr 1,6 Meter Durchmesser, war aus verschiedenen dicken Knüppeln und Stecken zusammengetragen und zeigte eine äußerst flache, innen mit Wolle ausgekleidete Mulde; andere, welche Farman untersuchte, waren wenig mehr als ein großes flaches Bauwerk von 1,3 Meter im Durchmesser, 50 bis 70 Centimeter Höhe und darüber, bestanden aus grobem Reisig und waren innen und rings um die flache Mulde mit dünnen Zweigen, trockenem Grase, Wolle, Fetzen und dergleichen mehr oder minder sauber ausgelegt. Die fünf Horste, welche Kronprinz Rudolf von Oesterreich und Prinz Leopold von Bayern in Südungarn sahen, standen zumeist in den mittleren Wipfelzweigen von Eichen und unterschieden sich, soweit von unten aus wahrgenommen werden konnte, nicht wesentlich von denen der in Ungarn horstenden Seeadler, waren auch wie diese in ihren unteren Theilen sammt und sonders von Feldsperlingen in Besitz genommen worden und ziemlich stark bevölkert. Wahrscheinlich brütet auch jedes Kaiseradlerpaar, so lange es nicht gestört wird, alljährlich in einem und demselben Horste. Man bemerkt, daß es diesen sofort nach seiner Rückkehr im Frühjahre bezieht und gegen alle Vögel, welche sich desselben bemächtigen wollen oder nur in die Nähe kommen, muthvoll vertheidigt. Während der ganzen Brutzeit befindet sich, laut Farman, der männliche Kaiseradler beständig auf der Wacht, entweder anmuthige Kreise über dem Horste beschreibend, oder in dessen Nähe auf einem benachbarten Baume sitzend, fliegt beim geringsten Anscheine von Gefahr ab und warnt das Weibchen durch einen rauhen krächzenden Laut, auf welchen hin dieses den Horst verläßt und mit seinem Gatten zu kreisen beginnt. Naht sich ein anderer Kaiseradler oder Raubvogel überhaupt, so tritt ihm das Männchen augenblicklich entgegen und kämpft mit ihm auf Tod und Leben. Farmans Aufmerksamkeit wurde einmal durch das laute Krächzen und heisere Schreien auf zwei dieser Art gelenkt, welche eben einen ihrer ernsten Zweikämpfe in einer Höhe von etwa hundert Meter über dem Grunde ausfochten. Mindestens zwanzig Minuten währte das Kampfspiel. Es begann damit, daß beide Kämpen in einer gewissen Entfernung um einander kreisten; hierauf ging bald der eine, bald der andere zum Angriffe über, indem er mit aller Kraft auf den Gegner herabstieß. Dieser wich in der gewandtesten Weise dem Stoße aus und wurde nun seinerseits zum Angreifer. So währte der Kampf geraume Zeit fort. Beide trennten sich hierauf bis zu einer gewissen Entfernung; einer kehrte plötzlich zurück und stieß wiederum in vollster Wuth auf den verhaßten Feind, welcher jetzt unter lautem Geschrei auch seinerseits die Waffen gebrauchte. Schnabel, Fänge und Schwingen waren in gleicher Weise in Thätigkeit, und beide Adler bewegten sich so rasch und heftig, daß der Beobachter nichts weiter als eine durch die Luft rollende, verwirrte, jeder Beschreibung spottende Federmasse zu sehen vermochte. Zuletzt schlugen beide ihre Fänge gegenseitig so fest ineinander, daß sie die Flügel nicht mehr gebrauchen konnten und taumelnd um dreißig oder vierzig Meter tief herabstürzten, worauf sie die Waffen lösten und wiederum für kurze Zeit sich trennten. Damit hatte der erste Gang sein Ende erreicht. Der zweite begann in ähnlicher Weise wie jener, indem dann und wann einer der Vögel einen Scheinangriff auf den anderen versuchte. Bald aber änderten sie die Kampfweise, und jeder bestrebte sich, indem beide in engen Ringen um einander kreisten, den Gegner zu übersteigen, bis dies dem einen wirklich gelungen war, und er nun mit voller Wucht sich herabstürzen konnte. Der angegriffene warf sich augenblicklich auf den Rücken und empfing seinen Feind mit ausgestreckten Fängen. Beide verkrallten sich wiederum ineinander, taumelten über hundert Meter tief herab und trennten sich, nahe über dem Boden angekommen, von neuem. So wüthete der Kampf weiter, bis es endlich dem einen glückte, seinen tapferen Gegner nach einem mächtigen Stoße in einer Höhe von etwa hundert Meter über dem Boden zu packen. Dieser empfing seinen Feind mannhaft, schlug ihm seine Fänge ebenfalls in den Leib, und nunmehr stürzten beide in schwerem Falle, kaum zehn Meter von dem Beobachter entfernt, wirklich zum Boden herab. Farman sprang, dies gewahrend, vom Pferde, in der Absicht, die edlen Kämpen zu fangen; diese aber ließen, als jener bereits die Hand nach ihnen streckte, von einander ab und entflohen nach verschiedenen Seiten hin. Blutlachen auf dem Boden bewiesen zur Genüge, wie ernsthaft gekämpft worden war.

In den ersten Tagen des April, meist am siebenten oder achten, in Rußland und Sibirien um einen Monat später, pflegt das aus zwei, höchstens drei Eiern bestehende Gelege vollzählig zu sein. Die in Größe, Form und Färbung merklich abändernden Eier sind regelmäßig kleiner als die des Steinadlers, siebzig bis zweiundachtzig Millimeter lang, vierundfunfzig bis sechzig Millimeter dick und auf weißem Grunde mit ziemlich dicht stehenden, über das ganze Ei zerstreuten, violettgrünen, blaß purpurrothen oder blaß lichtbraunen Punkten und Flecken gezeichnet, auch wohl fleckenlos. Dem Weibchen fällt, wie üblich, der Haupttheil am Brutgeschäfte zu; doch betheiligt sich auch das Männchen hieran, um der Gattin Gelegenheit zu geben, nach eigener Wahl sich Raub zu holen. Zuweilen verlassen beide Eltern den Horst, obwohl er noch Eier enthält, gleichzeitig auf längere Zeit. Zurückkehrend nahen sie sich dem Horste stets mit Vorsicht, kreisen nicht erst über ihm, sondern fliegen rasch herbei und werfen sich ohne Aufenthalt rasch in das Nest. Scheucht man sie auf, so fliegen sie einem nicht allzuweit entfernten Baume zu, auf welchem der nicht brütende Gatte des Paares zu ruhen pflegt, verharren hier geraume Zeit und wenden sich dem Horste wieder zu, wenn sie glauben, daß die Störung vorübergegangen ist. Die Jungen, welche nach etwa monatlicher Brutzeit, in Ungarn in den ersten Tagen des Mai, dem Eie entschlüpfen, tragen wie die Verwandten ein dichtes, weißes Dunenkleid, werden von beiden Eltern in der beim Steinadler beschriebenen Weise aufgeatzt und sind etwa um die Mitte des Juli, im Norden des Verbreitungsgebietes verhältnismäßig später flugfähig.

Entsprechend seiner weit geringeren Scheu ist der Kaiseradler in der Regel weit leichter zu erlegen als der Stein- oder Goldadler. Sehr alte erfahrene Vögel pflegen jedoch immer vorsichtig zu sein und verursachen dem Jäger oft nicht geringere Schwierigkeiten als irgend ein anderer ihrer Verwandten. Sie verlangen wie alle Adler einen außerordentlich starken Schuß; denn nur ein solcher verletzt sie tödtlich, bethätigen auch eine Lebenszähigkeit, welche geradezu in Erstaunen setzt. Ein Kaiseradler, welchen mein verstorbener Freund Herklotz pflegte, war durch einen Jagdliebhaber mittels eines Schrotschusses erlegt worden und gelangte als vermeintliche Leiche in den Besitz eines Arztes, um ausgestopft zu werden. Länger als zwei Tage lag der durch den Kopf geschossene Vogel unter einem Kasten und erst, als hier ein Geräusch hörbar wurde, lenkte sich die Aufmerksamkeit des Arztes ihm wieder zu. Man bemerkte nun, daß der todt geglaubte sich aufgerafft hatte und die unzweideutigsten Beweise seiner Lust äußerte, noch länger im irdischen Jammerthale zu verweilen. Der thierfreundliche Arzt erbarmte sich als Gerechter seines Viehes, und der Vogel blieb leben. Infolge der Kopfverletzung war er auf beiden Augen erblindet und vollkommen gleichgültig gegen äußere Einflüsse, bewegte sich aus eigenem Antriebe nicht, nahm durchaus kein Futter zu sich, glich mit einem Worte in seinem ganzen Wesen auf ein Haar solchen Vögeln, denen auf künstliche Weise das Gehirn genommen wurde. Regungslos saß er auf einem Baumstocke, und weder Sonne, Licht, Regen noch Sturm schienen irgend welche Wirkung auf ihn zu äußern. Willenlos nur trat er mit den Füßen auf einen anderen Platz, wenn er durch äußere Gewalt hierzu gezwungen wurde. Um zu beobachten, wie lange der so schwer verwundete Vogel am Leben bleiben würde, gab sich mein Freund die Mühe, ihn mit Fleischstückchen zu stopfen. Ueber ein volles Jahr lang lebte der Vogel in dieser Weise fort; nach Ablauf angegebener Frist aber bemerkte Herklotz, daß er doch einigermaßen anfing, auf die Umgebung zu achten. Anscheinend begann der Sinn des Gehörs zuerst wieder sich zu entwickeln; denn er bemerkte an dem Geräusche der Schritte die Ankunft seines Pflegers und fing an, aus eigenem Antriebe sich zu bewegen, wenn jener sich nahete, spreizte die Flügel und schüttelte die Federn, kurz geberdete sich wie ein aus tiefem Schlafe erwachter. Nach und nach wurden seine Bewegungen freier und kräftiger; aber noch immer mußte er künstlich ernährt werden. Da endlich, nach Ablauf von vier Jahren, begann er selbst wieder zu fressen, und nunmehr ließ er auch zu nicht geringer Ueberraschung seines treuen Pflegers das diesem wohlbekannte »Kau, kau«, die gewöhnliche Stimme unseres Adlers, vernehmen. Nach Ablauf von sechs weiteren Monaten glich er bis auf die erblindeten Augen vollkommen einem anderen seines Geschlechtes.

Jung dem Neste entnommene Kaiseradler werden ebenso zahm, lassen sich auch abtragen, leisten jedoch, wie Kirgisen und Mongolen einstimmig versichern, bei weitem nicht dieselben Dienste wie die Steinadler. »In meinen Knabenjahren«, schreibt mir Graf Lázár, »hielt ich einen Kaiseradler längere Zeit lebend. Im Anfange vergriff er sich zuweilen an unseren Hühnern; nachdem er aber deshalb einige Gertenhiebe erhalten hatte, hütete er sich wohl, seine Streiche zu wiederholen. Er lief zuletzt frei im Hofe und Garten umher, ohne eines unserer Hausthiere zu gefährden. Mich kannte er sehr gut, kam mindestens sogleich, wenn ich ihn bei seinem Namen Pluto rief, zu mir heran. Fremde und Hunde dagegen mochte er nicht leiden; erstere griff er an, wenn sie sich ihm näherten, und die Hunde suchte er sich stets vom Leibe zu halten. Seine Angriffe auf Menschen waren nicht gefährlich, aber doch sehr fühlbar. Er gebrauchte nämlich seine Krallen nur in der unschädlichsten Weise, theilte dafür aber Flügelhiebe aus, welche stets blaue Flecke hervorriefen. Sein Ende fand er auf betrübende Weise. Er war in den Garten eines Bauers geflogen und mochte dort irgend einen Streich ausgeführt haben, wofür der Bauer ihn derb gezüchtigt hatte. Traurig kam er nach Hause, nahm von Stunde an keine Nahrung mehr an und verendete am zehnten Tage. Bei der Zergliederung zeigte sich keine leibliche Beschädigung, welche den Tod hätte herbeiführen können, und so erscheint mir die Annahme gerechtfertigt, daß er aus Kummer über die erlittene Mißhandlung gestorben sei.«

siehe Bildunterschrift

Schreiadler ( Aquila naovia). (Junger Vogel.) 1/5 natürl. Größe.

Häufiger als irgend einer der großen Adler, lebt in Deutschland der Schrei-, Rauchfuß -oder Entenadler ( Aquila naevia, pomarina, assimilis, subnaevia und rufonuchalis). Er ist bedeutend kleiner als Stein- und Kaiseradler: seine Länge beträgt fünfundsechzig bis siebzig, die Breite einhundertachtundsechzig bis einhundertfünfundachtzig, die Fittiglänge achtundvierzig bis zweiundfunfzig, die Schwanzlänge vierundzwanzig bis sechsundzwanzig Centimeter. Ein sehr gleichmäßiges, schwach glänzendes Kaffeebraun, welches im Frühjahre und Sommer bis zu glanzlosem Erdbraun verblaßt und im Nacken ein wenig sich lichtet, ist die vorherrschende Färbung; die kleinen und mittleren Oberflügeldeckfedern sind im Frühjahre merklich lichter als der Mantel, die Federn der Unterseite etwas heller als die des Rückens, die Handschwingen mattschwarz oder schwarzbraun, verloschen dunkler gebändert, die hintersten kaum dunkler als die Deckfedern, die Schwanzfedern etwas lichter als die Schwingen, auf der Innenfahne licht fahlgelb gebändert, die Unterschwanzdecken blaß erdbraun mit lichteren Spitzen, die Fußwurzeln ebenfalls licht erdbraun. Die Iris ist gelb mit einzelnen braunen, die des Weibchens goldgelb mit rothen Punkten an der Unterseite des Auges, die Wachshaut gelb, der Schnabel hornblau, an der Spitze schwarz, der Fuß, soweit er unbefiedert, gelb. Junge Vögel sind stets merklich dunkler als alte, die Federn des Nackens durch kleine roströthliche Spitzenflecke geziert, die Mantelfedern erdbraun mit Kupferglanz, die kleinen und mittleren Oberflügeldeckfedern merklich lichter, die großen oder Hand- und Unterarmschwingendecken durch schmale, nach unten sich verbreiternde hell rostfarbene Spitzenflecke, welche zwei Binden darstellen, schmuckvoll gezeichnet, die Federn der Kropfgegend ebenfalls durch rostfarbene Flecke geziert, die der übrigen Unterseite erdbraun und glanzlos, die Unterschwanzdecken endlich merklich lichter mit langen fahl rostfarbenen Schaft- und Spitzenflecken geschmückt.

So viel gegenwärtig mit Sicherheit bekannt, bewohnt der Schreiadler als Brutvogel außer Norddeutschland nur noch Polen, Westrußland, Ungarn, Galizien, die europäische Türkei und Griechenland, besucht auf dem Zuge einzeln wohl auch Westdeutschland, Frankreich, die Schweiz und Italien, vielleicht Nordostafrika, fliegt ebenso ein wie das andere Mal nach Holland und Großbritannien hinüber oder nach Schweden hinauf, fehlt aber schon in Spanien gänzlich und wird im Osten Europas durch zwei verwandte Arten, Schell- und Steppenadler, vertreten.

Der Schelladler ( Aquila clanga, fusca, vittata, fuscoater und unicolor, Falco naevius und maculatus) ist merklich größer und schlanker als der Schreiadler, der Fittig, welcher, zusammengelegt, das Schwanzende erreicht oder überragt, mindestens fünf, der Schwanz zwei bis drei Centimeter länger, die Fußwurzel erheblich höher, der Fang kräftiger als bei diesem, das Gefieder fast einfarbig, auf Nacken, Oberrücken und Oberbrust ohne Rostflecke, auf der Unterseite mit langen rostgelben Flecken gezeichnet, welche jedoch erst unterhalb des Kropfes beginnen, der untere Theil der Fußwurzel gewöhnlich weiß. Beim jungen Vogel zeigen die Oberflügeldeckfedern eine viel ausgedehntere Fleckung als die des Schreiadlers, da dieselbe an einzelnen Federn den ganzen Rand einnimmt; immer aber ist die Färbung der Flecke graulich, niemals rein rostfarben, der Unterrücken in der Regel auf rostfarbenem Grunde durch einzelne dunkle Schaftflecke, das Gefieder der Unterseite, mit Ausnahme der einfarbigen Hals- und Kropfgegend, schwärzlich, durch die sehr breite rostlich braungraue Federmitte und wenig hervortretende rostfarbene Schaftflecke gezeichnet; auch sind die Unterschwanzdeckfedern sehr licht, oft rein oder gelblich weiß, die Fußwurzeln endlich schwarzbraun, mit vielen großen Schaftflecken von der Färbung derer des Bauches geziert.

Das Verbreitungsgebiet des Schelladlers liegt im Osten des Wohnkreises seines deutschen Verwandten; doch dürften alle Steppengegenden auszuschließen sein. Als Brutvogel begegnet man ihm von den nördlichen Ufern des Kaspischen Meeres an durch ganz Südsibirien hindurch bis ins Amurland, ebenso in den Waldungen des südlichen Urals. Im Winter wandert er nach Indien und Südwestasien überhaupt und nach Egypten, woselbst er an den Strandseen und im Delta überhaupt als der häufigste aller Adler auftritt, und gelegentlich des Zuges besucht er auch, weit häufiger als der Schreiadler, Süddeutschland, die Schweiz, Frankreich und Italien, wogegen er in Norddeutschland zu den seltensten Erscheinungen zählt.

 

Der Steppenadler ( Aquila nipalensis, bifasciata, orientalis, naevicides, amurensis und Pallssii und Oullumi) endlich, die größte Art der Schreiadlergruppe, steht dem Kaiseradler in seinen Maßen nicht nach, unterscheidet sich durch seine länglichen, quer gestellten Nasenlöcher von allen Verwandten und besitzt auch in der Fleckenzeichnung ein leicht ersichtliches Merkmal. Die Herbstfärbung seines Gefieders ähnelt dem gleichzeitigen Kleide des Schelladlers sehr, ist aber lichter, ein rostfarbener Nackenfleck vorhanden oder fehlend, das Flügeldeckgefieder erster und zweiter Ordnung durch große, die ganze Spitze der Federn einnehmende Flecke besonders ausgezeichnet, so daß hier breite Binden entstehen, welche beim jungen Vogel noch mehr sich verbreitern, daher noch deutlicher hervortreten und infolge der ebenfalls rostfarbenen Spitzen der Oberarmfedern um eine sich vermehren, ebenso wie im Jugendkleide die Steuerfedern breite roströthliche Spitzen zeigen.

Der Steppenadler bewohnt einen großen Theil Osteuropas und Mittelasiens, als Brutvogel mit Bestimmtheit das Gebiet, welches sein Name ausdrückt, namentlich die Steppen an der Wolga, Akmolinsks, des südlichen Perms, Südturkestans, Dauriens, die Hohe Gobi etc., nach Osten hin bis China und Indien, scheint aber, wie ein in Ostpommern erlegter, vor kurzer Zeit erst dem Neste entflogener Vogel beweisen dürfte, zuweilen auch weit im Westen zu horsten. Doch hat er auf seinen Wanderungen das eigentliche Westeuropa gemieden, ist bisher hier wenigstens noch nicht erbeutet worden.

Der Schreiadler, auf welchen ich die nachfolgende Darstellung beschränke, liebt feuchte und bezüglich sumpfige Gegenden, siedelt sich deshalb vorzugsweise in Au- und Laubhölzern an. In der Mark, in Braunschweig, Hannover und Mecklenburg ist er nicht selten, in Pommern gemein, kommt aber keineswegs in allen Waldungen vor, sondern wählt sich seine Aufenthaltsorte, wie es scheinen will, ebenso oft nach Laune wie nach Bedürfnis. Doch steht für Deutschland so viel fest, daß er Buchenwaldungen allen übrigen bevorzugt, in reinen Kieferwäldern dagegen nur äußerst selten sich seßhaft macht. Das Gebiet eines Paares ist verhältnismäßig klein, wird aber um so treuer festgehalten. Ein Schreiadler, welcher sich einmal bleibend angesiedelt hat, läßt sich so leicht nicht vertreiben, kehrt sogar dann wieder zu seinem Horste zurück, wenn ihm seine Eier oder Brut geraubt wurden, obwohl er es in der Regel vorzieht, einen neuen zu beziehen, meist wenige hundert Schritte von dem Baume, auf welchem der erste stand. Er erscheint frühzeitig im Jahre, gewöhnlich im April, auch wohl schon zu Ende des März, und verweilt bis Ende September im Lande; seine Zugzeit beginnt jedoch bereits im August und währt bis zur angegebenen Zeit fort. Einzelne hat man freilich auch im Winter angetroffen.

Hinsichtlich seines Wesens steht er weit hinter seinen Verwandten zurück. Er ist der feigste und harmloseste Adler, welchen ich kenne. Sein Wesen ist sanft, viel mehr bussard- als adlerartig; schon sein Aussehen, sein Blick bekunden dies. Im Sitzen sieht er unedel aus, im Fluge hingegen zeigt er sich als echter Adler. Auch er erhebt sich hoch in die Lüfte und schwebt namentlich bei schönem Wetter in wundervollen Kreisen stundenlang umher. Die Stimme ist ein weit schallendes Geschrei, welches man durch die Silben »Jef jef« wiedergegeben hat. Sein Wohlbehagen drückt er durch angenehme Töne aus, welche Naumaun mit einem sanften Geklingel vergleicht. Einzelne gefangene schreien viel, ebensoviel wie die frei lebenden; andere schweigen gänzlich.

Seine Nahrung besteht aus kleinen Wirbelthieren. Bei uns zu Lande bilden Frösche und vielleicht noch andere Lurche, Kriechthiere und kleine Nager seine bevorzugte Beute. Frösche bleiben wohl unter allen Umständen die Hauptnahrung, und daraus erklärt sich sein häufigeres oder spärlicheres Auftreten, beziehentlich gänzliches Fehlen in dieser oder jener Gegend zur Genüge. Eugen von Homeyer hat auch die Reste eines Hechtes in seinem Magen gefunden, woraus wenigstens das eine hervorgeht, daß er Fische frißt, wenn er sich derselben, ob todt oder lebendig lasse ich dahingestellt, bemächtigen kann. Viel häufiger als auf letztere jagt er auf Kriechthiere: Eidechsen, Nattern und vielleicht auch Vipern. Zu einem höhere Thiere gefährdenden Vogel wird er wohl nur gegen das Ende der Brutzeit hin. Denn wenn seine Jungen heranwachsen und viel Nahrung verlangen, raubt er, was er erbeuten kann, und dann fallen ihm nicht allein junge Drosseln und Staare, sondern auch wohl junge Hasen zur Beute. Wahrscheinlich aber richtet er selbst dann noch nicht so vielen Schaden an wie der Bussard. Nach Art des letzteren sieht man ihn auf einzeln stehenden Bäumen, auf Steinen oder Pfählen sitzen und hier auf seine Beute lauern. Hat er etwas erzielt, so schwingt er sich behend zu Boden und sucht das betreffende Thier zu ergreifen, im Nothfalle auch durch schnelles Nachhüpfen oder rasches Gehen mit großen Schritten, nach Art einer Krähe, wie meines Wissens sonst kein anderer Edeladler verfährt. Ob er auf Wassergeflügel stößt, wie vielfach behauptet worden ist, vermag ich nicht zu sagen; wohl aber kann ich versichern, daß auch er dem Wanderfalken seine Beute abjagt. Auf das Aas fällt er ohne Umstände, fast wie ein echter Geier.

Unter allen deutschen Adlern ist der Schreiadler derjenige, welcher am treuesten am Walde hängt und, wie es scheint, nur gezwungen unbewaldete Gegenden besucht. Innerhalb des Waldes bevorzugt er bestimmte Stellen mit Entschiedenheit; zum Stande seines Horstes namentlich wählt er, wie Eugen von Homeyer mir mitzutheilen die Güte hatte, regelmäßig die Nähe einer kleinen Waldblöße, um vom Horste durch Aeste und dergleichen möglichst unbehindert abfliegen zu können. Ist der Wald hügelig, so steht der Horst gewöhnlich hier, jedoch immer wieder so, daß der Adler nach dem Abstiegen bald wieder ins Freie kommt und durch ein Gewirr von Aesten nicht behindert wird. In ganz kleinen Gehölzen horstet er selten, in Feldhölzern, welche rings mit Wiesen umgeben sind, dagegen recht gern, weil er da in bequemster Weise seiner Jagd obliegen kann. Zur Anlage Ves Horstes verlangt er alte, starke Bäume. Buchen und Eichen scheinen allen übrigen bevorzugt zu werden; mit einem Nadelbaume nimmt er nur in den seltensten Fällen vorlieb; viel häufiger als auf diesen kann man den Horst auf einer Birke oder Erle finden. Er selbst baut wohl nur im äußersten Nothfalle, sucht sich aber einen passenden Bussard- oder Habichthorst aus, wechselt auch gern mit einem zweiten, so daß er in dem einen Jahre auf diesem, in dem anderen auf jenem brütend gefunden wird. Vor dem Legen trägt er stets einige Reiser auf, und während des Brütens schmückt er, wie andere Adler auch, den Horst unwandelbar mit grünen Zweigen, sei es in der Absicht, sich oder die Jungen durch diese zu verdecken, sei es, um den Horst besser rein halten zu können. Durch dieses Auftragen wächst ein vom Schreiadler regelmäßig besetzter Horst im Laufe der Jahre zu bedeutender Höhe empor. In den ersten Tagen des Mai, ausnahmsweise vielleicht auch schon Ende April, legt das Weibchen im Laufe von etwa drei oder vier Tagen die beiden Eier, aus denen der Satz zu bestehen pflegt. Ein Ei findet man wohl nur dann im Horste, wenn das Paar vorher gestört worden ist; drei Eier zählen zu den größten Seltenheiten. Ihre Gestalt ändert ab: es gibt eiförmige, rundliche und längliche; auch Färbung und Zeichnung sind verschieden: die blaß bläulichgrauen Flecke, welche auf weißem Grunde stehen, sind bald mehr, bald weniger sichtbar oder spielen bei diesen in das Gelbe, bei jenen in das Braunröthliche; einzelne Eier zeigen einen schönen Fleckenkranz um die Mitte etc. Beide Gatten des Paares betheiligen sich am Brüten, sitzen außerordentlich fest auf den Eiern, lieben ihre Brut ungemein und zeigen sich daher angesichts eines Menschen selten scheu, vorausgesetzt, daß ihnen vorher nicht wiederholt nachgestellt worden ist. Vom Horste verscheucht, kehrt der brütende Schreiadler in der Regel sehr bald wieder zurück. Kommt man zur Brutstelle, so richtet er sich langsam im Horste auf und sieht einen oft geraume Zeit an, bevor er sich zum Fortfliegen entschließt. Zuweilen sitzt er so fest, daß er den Horst erst nach wiederholtem Klopfen verläßt. Thut er dies, so geschieht es stets in absonderlicher Weise. Er wirft sich nämlich anfänglich eigenthümlich schwankend von einer Seite zur anderen, bis er im Stande ist, seine Schwingen zu vollständiger Breite zu entfalten, wird daher auch beim Abstiegen selbst von tüchtigen Schützen oft gefehlt. Nach einigen Kreisen, welche er über den Wipfeln der Bäume beschreibt, kehrt er in die Nähe des Horstes zurück, setzt sich zuweilen auf den nächsten Baum und beginnt kläglich zu schreien. Raubt man ihm die Eier, so verläßt er den Horst zwar in der Regel, aber doch nicht in allen Fällen. Bei einem Horste wurde, wie Eugen von Homeyer mir mittheilte, das Weibchen geschossen und eine Hütte gebaut, um womöglich auch das Männchen zu erlegen. Dieses erschien, setzte sich auf den Horst, betrachtete längere Zeit die Eier und führte plötzlich zwei Hiebe nach denselben. Homeyer erlegte den Vogel, ließ die Eier herabholen und fand, daß sie durch den Schnabel zertrümmert waren. Unser Gewährsmann hatte, seitdem das Weibchen geschossen worden war, den Horst nicht verlassen; ein anderes Thier war nicht dagewesen; die verdächtigen Bewegungen waren gesehen worden: es unterlag also keinem Zweifel, daß der Adler, vielleicht im ersten Kummer über den Verlust der Gattin, die Brut selbst zerstört haben mußte. Solche Fälle, wie der geschilderte, müssen jedoch als Ausnahme betrachtet werden: in der Regel versucht der männliche Schreiadler, seine Brut groß zu ziehen, wenn dieser die Mutter geraubt wurde. Das Weibchen eines anderen Paares, welches Homeyer beobachtete, war vom Horste weggeschossen worden. Nach einigen Tagen kam der genannte zum Horste und bemerkte, daß von ihm ein Adler abflog. Es wurde auf denselben geschossen und ihm ein Bein durch den Schuß so schwer verletzt, daß es bewegungslos herabhing. Trotzdem zeigte sich der verwundete Vogel noch mehrere Male in der Nähe des Horstes, hütete sich jedoch wohl, wieder zum Schusse zu kommen. Am anderen Morgen brachte Homeyer den Uhu in die Nähe, der Adler stieß auf denselben hernieder und wurde erlegt. Es war der verwundete Vogel von gestern, ein Männchen. Der Fuß zeigte sich bereits in voller Heilung begriffen und würde binnen wenigen Tagen wieder brauchbar gewesen sein. Im Horste fanden sich bebrütete Eier, aber noch keine Jungen. Letzteren schleppen beide Eltern so viel Futter zu, als sie vermögen, aber auch jetzt noch bilden Lurche die Hauptnahrung der Eltern und Kinder. Nach Mechlenburgs Angabe sieht man die Alten oft große Schlangen dem Horste zutragen.

Jung aufgezogene Schreiadler werden ebenso zahm als irgend ein anderer Raubvogel; selbst alt erbeutete gewöhnen sich bald an die Gefangenschaft. Eugen von Homeyer pflegte einen von ihnen fünf Jahre und hatte denselben so gezähmt, daß er ihn aus dem Gebauer befreien und nach Belieben umherfliegen lassen konnte. Wenn ihm Futter gereicht werden sollte, wurde sein Käfig geöffnet und Homeyer zeigte sich auf dem Hofe, trat an ein für den Adler bereitetes Sitzgestelle und ließ den Vogel zu sich heranfliegen, damit er sein Futter aus des Pflegers eigener Hand empfange. Einmal hatte der Adler sich bis auf das Scheunendach erhoben und mußte mit Hülfe einer Leiter herabgeholt werden, versuchte aber auch jetzt noch nicht zu entfliehen. Er unterschied seinen Pfleger genau von anderen Leuten, zeigte sich diesen gegenüber mißtrauisch und wich solchen, welche er noch nicht gesehen hatte, förmlich aus. Nach fünfjähriger Gefangenschaft hatten sich die Flecke des Jugendkleides noch kaum verändert, Beweis genug, daß auch der Schreiadler mehrere Jahre braucht, bevor er erwachsen und fortpflanzungsfähig ist.

Abgesehen von stärkeren Raubvögeln, welche den Horst in Beschlag nehmen, Schmarotzern, welche Haut und Eingeweide bewohnen, und Raben und Krähen, welche ihn schreiend verfolgen, hat unser Adler keine Feinde unter den Thieren, leider aber noch viele unter den Schießjägern und Eiersammlern, unter letzteren die schlimmsten, weil unbarmherzigsten. Der Nutzen einer wissenschaftlich angelegten reichhaltigen Eiersammlung wird von mir niemals in Abrede gestellt werden, der Schaden aber, welchen ein rücksichtsloser Eiersammler unter der Vogelwelt einer von ihm heimgesuchten Gegend anrichtet, ist noch bei weitem größer als der Gewinn, welchen sein Sammeleifer für die Vogelkunde haben kann. Unter der Maske der Wissenschaft durchstreift der Eiersammler gewöhnlichen Schlages die ganze Gegend, und jedes Nest, welches er auffindet, verfällt seiner Habgier. Kein Raubthier haust ärger als ein solcher Sammler, dem es nicht um Wissenschaft, sondern um schnöden Geldgewinn, um den Erlös aus den geraubten Eiern zu thun ist. Der Schreiadler nun ist, weil sein Horst leicht aufgefunden werden kann, solchen Raubgesellen aufs ärgste ausgesetzt und durch sie buchstäblich schon aus vielen Waldungen vertrieben worden, zum Kummer aller, denen der große, harmlose und fast unschädliche Raubvogel Freude und Genuß bereitete.

Die Jagd ist nicht besonders schwierig; denn der Schreiadler wird nur dann vorsichtig und scheu, wenn er wiederholt Verfolgungen erfahren hat. Mit der Büchse erlegt man ihn ohne Mühe; gewöhnlich läßt er sich bei einiger Achtsamkeit auch mit dem Schrotgewehre unterlaufen. Ich glaube, daß man wohl thut, ihn möglichst wenig zu behelligen; denn aus allem, was ich erfahren habe, dürfte hervorgehen, daß er weit mehr Nutzen bringt, als er Schaden anrichtet. Es mag sein, daß er ab und zu auch einen älteren Hasen oder ein Rebhuhn wegnimmt; diesen geringen Schaden vergütet er aber durch seine Mäuse- und Schlangenjagd mehr als reichlich.

 

Am siebenten Oktober 1810 wurde im östlichen Thüringen, ungefähr zwei Meilen von Renthendorf, meinem Geburtsorte, ein kleiner Adler geschossen, welcher sich von dem einzigen bis dahin bekannten Verwandten in der Färbung so wesentlich unterschied, daß mein Vater sich veranlaßt sah, ihn unter dem Namen Zwergadler ( Aquila minuta) als noch unbekannte Art zu beschreiben. Bis in die neuere Zeit glaubte auch ich, den Unterschied festhalten zu dürfen, um so mehr, als es mir gelungen war, wahrend meines Aufenthaltes in Egypten mehrere gleich gefärbte Adler zu erlegen, an denen festgestellt werden konnte, daß die sie auszeichnende dunkle Färbung weder auf einen Alterszustand, noch auf das Geschlecht sich beziehe, vielmehr den Männchen wie den Weibchen und den alten wie den jungen gemeinschaftlich sei. Nachdem jedoch in den letzten Jahren durch übereinstimmende Beobachtungen festgestellt werden konnte, daß unser dunkelbrauner Zwergadler mit dem längst bekannten Stiefeladler ( Aquila pennata) sich paart, ja daß man unter den Jungen eines Horstes bereits dunkel und hell gefärbte findet, mußte die Arteinheit beider Adler ausgesprochen werden.

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Zwergadler (Aquila pennata) ¼ natürl. Größe.

Der Zwergadler ( Aquila pennata, minuta, paradoxa, nudipes, maculatirostris und albipectus, Falco, Hieraëtus, Butaëtus und Nisaëtus pennatus, Spizaëtus milvoides, Butaquila strophiata, Morphnus dubius), wie ich ihn nennen will, seiner niederen Fußwurzeln halber von Kaup zum Vertreter einer besonderen Untersippe ( Hieraëtus) erhoben, ist vielleicht das anmuthigste Glied der ganzen Gruppe. Die Länge des Männchens beträgt siebenundvierzig, die Breite einhundertunddreizehn, die Fittiglänge sechsunddreißig, die Schwanzlänge neunzehn Centimeter. Das Weibchen ist um vier Centimeter länger und um acht Centimeter breiter als das Männchen. Bei der einen Spielart (Aquila pennata) sind Stirn und Zügel gelblichweiß, Scheitel, Backen und Ohrgegend dunkelbraun, alle Federn an der Wurzel weiß und durch schwarze Schaftstriche dunkel in der Länge gefleckt, Genick und Nacken röthlichbraun, Mantel und Flügel schwarzbraun, kupferpurpurbraun glänzend; mit lichterer Schattirung, welche durch die helleren Federränder entsteht und, da sie auch an den großen Flügeldeckfedern sich zeigt, zwei undeutliche Binden über die Flügel bildet, die Handschwingen schwarz-, die Armschwingen dunkelbraun mit drei verloschenen Querbinden auf der Innenfahne, letztere auch mit braunem Erdrande, die an der Spitze licht gesäumten Steuerfedern oben dunkelbraun, unten lichtgrau, die Untertheile auf lichtgelblichem Grunde mit braunen Schaftflecken gezeichnet, welche an der Kehle und Brust am dichtesten, am Unterleibe aber am spärlichsten stehen und auf den Hosen theilweise fehlen und bei sehr alten Vögeln sich auf einen kleinen Theil der Brust beschränken. Ein weißer Fleck ziert die Schulter. Das Auge ist hell erzfarben, der Schnabel am Grunde hellblau, an der Spitze schwarz, der Fuß citron-, die Wachshaut strohgelb. Der junge Vogel unterscheidet sich durch licht roströthlichere Unterseite, gleicht aber sonst ganz dem alten; die Nestjungen sind auf der Oberseite braun, unten rostrothgelb ohne Schaftstriche, und zeigen weiße Schulterflecke noch nicht.

Bei der zweiten Spielart (Aquila minuta) hingegen sind Kopf und Nacken matt rothbraun, mit schwärzlichen, auf dem Vorderscheitel besonders hervortretenden Längsflecken, die Mantelfedern dunkel-, die längeren Schulterfedern schwarzbraun, die übrigen Mantelfedern erdbraun, die Schwanzfedern mattbraun mit drei bis vier deutlich schwärzlichen Binden und hellerer Spitze, die Untertheile endlich gleichförmig tief dunkelbraun mit kaum bemerkbaren schwärzlichen Schaftstrichen. Ein Ring um das Auge ist dunkler, die Hosen, Fußwurzeln und Unterschwanzdeckfedern sind etwas heller braun als der übrige Unterkörper. Die weißen Schulterflecke sind ebenfalls vorhanden. Das Auge ist braun, der Schnabel an der Wurzel bläulich, an der Spitze schwarz, die Wachshaut und die Zehen sind citrongelb. Das Jugendkleid ist lichter, auf dem Kopfe heller rostfarben mit stärker hervortretendem Schwarz auf dem Vorderkopfe und lichteren Oberflügeldeck-, hinteren Schwung- und mittleren Schulterfedern und mit hellerem Unterkörper, welcher auf kaffeebraunem Grunde mit deutlichen, ziemlich breiten Schaftstrichen gezeichnet ist. Die Schwanzbinden sind wenig bemerklich.

Der Zwergadler verbreitet sich über einen großen Theil Südwest- wie Südosteuropas und Asiens. Sein Wohngebiet beginnt, von Deutschland aus gerechnet, nach Osten hin bereits in Niederösterreich und im südlichen Polen und erstreckt sich von hier aus einestheils über Galizien, Siebenbürgen, Ungarn, die Donautiefländer, die europäische Türkei und Griechenland, anderentheils über den ganzen Süden von Rußland. Ebenso tritt der Vogel auch im Westen auf, horstet bereits in mehreren Departements Frankreichs und bevölkert in erheblicher Anzahl die ganze Iberische Halbinsel. Dagegen zählt er in Italien zu den größten Seltenheiten, ohne daß man hierfür einen durchschlagenden Grund ausfindig machen könnte. In den Waldungen des südlichen Ural ist er nicht selten, im Tian-Schan Gebirge und dem südöstlichen Turkestan überhaupt einer der häufigeren Raubvögel, in Indien wie auf Ceylon noch Brutvogel. Nach Westen hin bewohnt er die Waldungen Kleinasiens und Persiens, macht sich geeigneten Ortes auch längs der ganzen Nordküste von Afrika seßhaft. Mit Ausnahme Indiens und, wie es scheint, auch Algeriens, ist er überall Sommervogel, welcher in den ersten bis letzten Tagen des April am Horste erscheint und Ende September das Land wieder verläßt. Gelegentlich dieser Reise durchstreift er buchstäblich ganz Afrika, bis endlich das Meer seinem Wanderdrange Halt gebietet. Nach Art anderer Wandervögel schart er sich auf den eigentlichen Heerstraßen, beispielsweise längs des Bosporus und im Nilthale, zu förmlichen Flügen, wogegen er, in der Winterherberge angelangt, wiederum einigermaßen sich vereinzelt. So wenigstens habe ich in Egypten und im Inneren Afrikas beobachtet. Hier wie da bin ich ihm oft begegnet. Zu Ende März des Jahres 1852 traf ich so zahlreiche Zuggesellschaften an, daß ich binnen drei Tagen einige zwanzig Stück erlegen konnte. In Sennâr fand ich ihn nur während des Winters.

Der Zwergadler ist ein echter Edeladler in Geist und Wesen. Er unterscheidet sich von seinen größeren Verwandten nach meinem Dafürhalten nur durch zwei Eigenthümlichkeiten: durch größere Gewandtheit und geringere Vorsicht. Sein Flug ist schnell, kräftig und leicht, auf lange Zeit hin schwebend, beim Angriffe auf die Beute pfeilschnell. Dresser vergleicht ihn auffallenderweise mit dem Bussard: ich behaupte, daß er diesen in jeder Beziehung übertrifft und ebensowenig in seinem Auftreten wie in seinen Bewegungen, in seinem Wesen wie in seinem Gebaren mit ihm verglichen werden darf. Andere Berichterstatter, so neuerdings Goebel, welcher vielfache Gelegenheit hat ihn zu beobachten, stimmen mit mir vollkommen überein. »Der Zwergadler«, sagt der letztgenannte, »jagt spielend nur kurze Zeit am Tage, beunruhigt jeden vorüberziehenden größeren Raubvogel, wie den Seeadler, Schreiadler und andere, und liegt mit dem Würgfalken in ewiger Fehde, welche dann auch allaugenblicklich in hoher Luft ausgefochten wird, wobei die beiden gewandten Vögel in Flugkünsten das mögliche leisten und einen köstlichen Genuß gewähren.« Diese Worte lasse ich gelten; denn auch ich bin durch das Auftreten des Zwergadlers stets entzückt worden. Zu eigener Belustigung kreist der Zwergadler in höchst anmuthiger Weise lange Zeit über einer und derselben Stelle umher, liebt es auch, in bedeutende Höhen emporzusteigen; bei seiner Jagd hingegen schwebt er ziemlich niedrig über dem Boden dahin, und nach Lázárs Beobachtungen rüttelt er nicht selten nach Art des Thurmfalken. Zum Aufbäumen wählt er seltener die höchsten Spitzen der Bäume, vielmehr niedere Aeste derselben. Hier sitzt er aufrecht, oft lange Zeit, ohne ein Glied zu bewegen, achtet jedoch auf alles, was um ihn vorgeht, und am allermeisten auf ein sich ihm etwa bietendes Wild. Männchen und Weibchen halten sich stets zusammen, auch auf dem Zuge. Niemals habe ich in Afrika einen einzelnen Zwergadler gesehen; immer waren es Paare oder Gesellschaften, welche sich zusammenhielten. Dieser treuen Anhänglichkeit der Gatten entspricht das Betragen am Horste in allen Stücken.

Die Stimme ist verschieden, Wodzicki gibt sie durch die Silben »Koch koch kei kei«, Lázár durch »Wüd wüd« wieder und vergleicht diese Laute mit einem helltönenden Pfeifen. Krüper und Goebel stimmen mit Lázár überein. »Vernimmt«, sagt der erstgenannte, »ein mit den Stimmen der europäischen Vögel ziemlich vertrauter Forscher im Frühlinge den Paarungsruf des Zwergadlers und bemerkt den Vogel nicht, so kann er der Meinung sein, daß dieser Ton von einer in der Nähe befindlichen Wasserläuferart herrührt. Denn er hört ein zweimaliges, mitunter ein dreimaliges helles ›Tü, tü, tü‹ ganz deutlich. An eine Adlerstimme wird er nicht denken, wenn er die des Zwergadlers mit dem heiseren Laute eines Kaiser-, Stein-, See-, Fisch- oder Schreiadlers vergleicht, ebensowenig an die Stimme eines anderen Raubvogels. Während der Paarungs- und Brutzeit besteht die Stimme stets aus dem hell tönenden Rufe, welcher je nach den Umständen bei Angst und Freude mehrmals wiederholt wird. Sobald aber das Brutgeschäft beendet ist und die jungen Adler von den Eltern umhergeführt und zum Fange abgerichtet werden, verändern sich die Schreie des Adlers, und besonders die der Jungen sind so dumpf, daß man kaum den reinen Frühlingston wiederzuerkennen vermag.«

Der Zwergadler ist ein sehr tüchtiger Räuber; denn kleine Vögel bilden das bevorzugte Wild, welchem er nachstellt. Lázár giebt als Nahrung Ammer, Lerchen, Pieper, Finken, Wachteln und Rebhühner, Wodzicki außerdem noch Staare und Meisen an; ich habe Turteltauben in seinem Kropfe gefunden. Neben seinem Lieblingswilde jagt der Zwergadler auch auf kleine Säugethiere, namentlich Mäuse, mit denen Goebel die Kröpfe der von ihm untersuchten angefüllt fand, und ebenso verschmäht er Kriechthiere nicht; in Spanien bildet nach den Beobachtungen meines Bruders die Perleidechse geradezu einen wesentlichen Bestandtheil seiner Mahlzeiten. Dresser bezweifelt nach seinen Beobachtungen, daß unser Adler eine erwachsene Taube im Fluge zu fangen im Stande sei: ich kann ihm, gestützt auf eigenen Befund, auf das allerbestimmteste widersprechen. Wahrscheinlich steht er dem Habicht nicht im geringsten nach und fängt im Fluge und im Sitzen mit gleicher Geschicklichkeit. »Auf einem Moraste«, erzählt Wodzicki, »beschäftigten sich große Scharen von Staaren mit Aufsuchung ihrer Nahrung und lockten, wie es schien, einen Zwergadler aus dem benachbarten Walde herbei. Er kreiste in schönen Schwenkungen über den Staaren, welche alle Augenblicke einmal aufflogen und sich wieder setzten. Dieses Spiel war dem Zwergadler zu langweilig, er wollte sie also zum Aufstehen bringen, um schneller sein Frühstück zu bekommen. Mit Blitzesschnelligkeit flog er in gerader Linie auf die Staare zur Erde herab. Die Schar erschrak und wollte in den Bäumen, unter denen ich ruhete, Zuflucht suchen. Trotz der geringen Entfernung, und obwohl die Vögel den Weiden zuflogen, wurde es dem Adler möglich, einen von ihnen zu fangen. Als er herabstieß, verursachte sein unbegreiflich schneller Flug lautes Brausen. Nach glücklichem Fange flog der Räuber auf eine nahe stehende Bude, setzte sich hier auf das Dach, ohne auf die Jäger und Hunde zu achten, besah die Umgegend mit großer Vorsicht längere Zeit und fing dann an, den Staar zu rupfen. Diese Zubereitung der Mahlzeit dauerte über eine Viertelstunde, und als ich dann den Adler schoß, war der Staar so schön gerupft, als wenn er vom besten Koche zubereitet gewesen wäre.« Am liebsten jagt der Zwergadler im Walde und hier fast nach Art des Habichts. In Egypten gewähren ihm die Palmenwälder reiche Beute, und zwar sind es gerade hier hauptsächlich die Turteltauben, denen er eifrig nachjagt; sie haben vielleicht nur in dem südlichen Wanderfalken noch einen schlimmeren Feind, als den gewandten Adler. Die Raubfähigkeit desselben wird von dem schmarotzenden Bettlergesindel wohl anerkannt; denn wie der Wanderfalk wird auch der Zwergadler von den Milanen eifrig verfolgt, sobald er Beute erworben hat, und, wie jener, wirft er solche den frechen Bettlern zu.

Ueber die Fortpflanzungen liegen gegenwärtig verschiedene, unter sich im wesentlichen übereinstimmende Beobachtungen vor; insbesondere haben Holtz und Goebel in dieser Beziehung unsere Kunde wesentlich erweitert. Am liebsten horstet der Zwergadler in Laubwäldern, wenn es möglich, in der Nähe größerer Flüsse, ohne jedoch Nadelwaldungen gänzlich zu verschmähen. Im kaiserlichen Thiergarten unweit Schönbrunn horsten alljährlich ein oder zwei Paare. Lázár fand in Siebenbürgen niemals einen Horst in den Bergen und bezweifelt daher, daß der Zwergadler während der Brutzeit bis zu erheblichen Höhen emporsteigt; Sewertzow dagegen berichtet daß dieser Adler im Tian-Schan Gebirge noch in einer Höhe von zweitausend Meter über dem Meere brütet. Da auch er nur im Nothfalle einen eigenen Horst erbaut, ist der Standort des letzteren ziemlich verschieden, je nachdem der eine oder der andere Nesterbauer für ihn arbeitete, und demgemäß kann es geschehen, daß man auf einem geringen Umkreise mehrere Pärchen horstend findet. Wie der Schreiadler benutzt er alle passenden Horste seines Gebietes, nach den Beobachtungen von Holtz solche des Seeadlers, des Bussards, Milans und Kolkrabens, nach Goebels Erfahrungen unter Umständen sogar den Horst eines Reihers, und begnügt sich, höchstens ein wenig nachzubessern. In Spanien steht, nach Beobachtungen meines Bruders, der Horst vorzugsweise auf Ulmen und Kiefern und zwar regelmäßig auf den Spitzenzweigen eines weit hinausragenden Astes, welcher von einem darüber liegenden bedeckt wird; im südlichen Rußland fanden Holtz und Goebel die Horste auf verschiedenen Laubbäumen, Linden, Eichen, Weißbuchen und dergleichen, in einer durchschnittlichen Höhe von zwölf Meter über dem Boden, häufiger in Stammgabeln als auf Nebenzweigen. Die äußere Weite des Horstes betrug siebzig, die innere vierzig, die äußere Tiefe sechzig, die innere achtzehn Centimeter. Trockene Aeste und Zweige bildeten den Unterbau, Lindenbast, Gras, Mistelzweige, Laub und Wolle die innere Auskleidung. Die von meinem Bruder und Lázár untersuchten Horste waren regelmäßig mit grünen Blättern ausgeputzt. Im Anfange des Mai pflegt das aus zwei Eiern bestehende Gelege vollzählig zu sein. Die Eier haben einen Längsdurchmesser von durchschnittlich sechsundfunfzig, höchstens neunundfunfzig, mindestens zweiundfunfzig, und einen Querdurchmesser von durchschnittlich fünfundvierzig, höchstens siebenundvierzig, mindestens dreiundvierzig Millimeter; ihre Gestalt schwankt von der reinen Ei- bis zur spitzbirnenförmigen und sehr rundlichen Form; die Schale ist bald stärker, bald schwächer, das Korn gröber oder feiner, die Zeichnung ebenfalls verschieden. Gewöhnlich sind sie auf gelblichem oder weißgrünlichem Grunde mit kleinen rostgelben oder rostrothen Punkten und Flecken unregelmäßig gezeichnet. Alle Beobachter, welche den Zwergadler während seines Brutgeschäftes kennen lernten, sind seines Lobes voll. Das Paar ist außerordentlich zärtlich: Wodzicki sah eines auf dem Horste stehen und sich nach Taubenart schnäbeln. Während das Weibchen brütet, sitzt das Männchen stundenlang auf demselben Baume, ja es löst die Gattin auch einigemal des Tages, das heißt nicht bloß in den Mittagsstunden, im Brüten ab. Nach Wodzicki ist es bezeichnend für den Zwergadler, wie er seinen Horst besteigt. Er setzt sich weit von demselben auf den Ast, bückt den Kopf hernieder, bläst den Kropf auf und schreitet langsam wie eine Taube gegen den Horst zu, bis er endlich auf dessen Rand kommt. Dabei läßt er ein wohltönendes, flötenartiges »Kei kei kei« hören. Angesichts des den Horst bedrohenden Menschen benimmt er sich verschieden. In der Regel sitzt er sehr fest und läßt sich erst durch längeres Klopfen aufscheuchen, kommt auch, wenn er endlich abgeflogen war, während der Wegnahme der Eier öfters besorgt heran, setzt sich hin und wieder in die Wipfel benachbarter Bäume und vergißt dann oft seine Sicherheit; manchmal bricht er auch in klägliches Geschrei aus: niemals aber wagt er, so viel bis jetzt beobachtet worden, einen Angriff auf den Menschen. Anders beträgt er sich, sobald ein fremdartiger Raubvogel in Sicht kommt, gleichviel ob es sich um einen Adler oder um einen Falken handelt. Seinen Verwandten gegenüber ist er immer kühn; während der Brutzeit aber greift er mit bewunderungswürdigem Muthe und ersichtlichem Ingrimm alle größeren Raubvögel an, welche in der Nähe seines Horstes vorüberfliegen. »Ein Paar Zwergadler«, erzählt Wodzicki, »hatte unweit des Horstes eines Seeadlers den seinigen gegründet und wußte sich den großen Räubern gegenüber eine so hohe Achtung zu verschaffen, daß die Seeadler schließlich sich nie nach der Seite hin wagten, wo die Zwergadler hausten. Die sich täglich vor meinen Augen wiederholenden Kämpfe waren sehr anziehend. Ich sah ihnen oft stundenlang zu, weil ich die Erziehung des im Horste der Seeadler sitzenden Jungen beobachten wollte. Sobald sich der große Verwandte in die Nähe der Zwergadler wagte, ertönte sogleich der wehmüthige Ruf ›Koch koch‹ des einen Gatten; der andere kam herbei, und mit Wuth verfolgten nun beide den Seeadler, stießen auf ihn nach Art der Krähen, gingen mit Schnabel und Klauen ihm zu Leibe und zeigten sich dabei so gewandt, daß der Seeadler sich gar nicht vertheidigen konnte. Später, als das Weibchen brütete, versah das Männchen allein diesen Wachdienst. Milane und Habichte wurden in gleicher Weise verjagt.« Ebenso wie beide Zwergadler sich in das Brutgeschäft theilen, tragen sie auch den Jungen gemeinschaftlich Nahrung zu. Letztere entschlüpfen nach etwa vierwöchentlicher Brutzeit, gewöhnlich in der zweiten Hälfte des Juni, dem Eie und zwar in einem aus langem, seidenweichem Flaume von lichter, auf dem Kopfe gilblicher Färbung bestehenden Kleide, erhalten aber bald das beschriebene Nestgefieder. Doch geht auch ihre Entwickelung verhältnismäßig langsam vor sich, so daß sie kaum vor Ende August den Horst verlassen können. Da, wo dem Vogel nicht nachgestellt wird, treiben sich die Alten mit den Jungen ungescheut vor dem Menschen in der Nähe ihres Horstes umher; sobald aber die Eltern Nachstellung merken, ändern sie ihr Betragen vollständig. »Bei meinen Ausflügen am Olymp, Ende August«, sagt Krüper, »bemerkteich einen Zwergadler, welchem nach einigen Tagen ein junger Vogel folgte. Oft stellte ich beiden nach, um den Jungen zu erlegen. Er aber wurde von der Mutter mit solcher Vorsicht geleitet, daß eine Annäherung unmöglich war. Ende September verschwanden beide; sie hatten ihre Wanderung nach südlichen Gegenden begonnen.«

Gegen den Uhu zeigt der Zwergadler tödtlichen Haß. »Ich wollte«, schreibt mir Lázár, »Schreiadler schießen, stellte meinen Uhu deshalb auf einer abgemäheten Wiese auf und zog mich wartend hinter einen Heuhaufen zurück. Da sah ich einen kleinen braunen Raubvogel heranziehen mit solcher Eile, daß ich kaum Zeit hatte, mein Gewehr zu ergreifen. Der Zwergadler, als welchen ich den Raubvogel bald erkannte, stieß mit voller Gewalt auf den Uhu. Das Gewehr knallte, aber mein Vogel flog unbeschädigt davon. Doch entfernte er sich nicht, sondern erhob sich nur in eine Höhe von etwa anderthalbhundert Meter und kreiste hier wohl über eine halbe Stunde über dem Uhu. Endlich stieß er abermals herunter und kam in vollkommen gerechte Schußnähe; mich aber hatte das Jagdfieber ergriffen; ich feuerte und – schoß zum zweiten Male vorbei. Als sich jetzt der Adler entfernte, hatte ich alle Hoffnung verloren; allein nach zehn Minuten kam er nochmals zurück, kreiste wiederum und stieß zum dritten Male hernieder. Jetzt streckte ich ihn zu Boden.«

Die Jagd des Zwergadlers bietet, wie aus dem vorhergehenden zu ersehen, wenig Schwierigkeiten, so lange er noch keine Verfolgung erfahren hat. Die treue Anhänglichkeit des Paares wird oft beiden Gatten verderblich: ich habe die gepaarten Paare fast regelmäßig erlegen können. Ob man ihn ebenso wie andere seiner Verwandten fangen kann, vermag ich nicht zu sagen.

Jung dem Neste entnommene Zwergadler werden bei geeigneter Pflege ebenso zahm wie andere Adler auch. Ich habe nur ein einziges Mal eine Gesellschaft dieser anmuthigen Vögel in der Gefangenschaft gesehen, aber nicht länger beobachten können, und will daher nur erwähnen, daß mein Bruder und Lázár, welche sich länger mit derartigen Pfleglingen beschäftigen konnten, sie übereinstimmend als höchst anmuthige, zierliche Vögel bezeichnen und ihre Klugheit wie leichte Zähmbarkeit rühmend hervorheben.

In Spanien wird der Zwergadler zuweilen in eigenthümlicher Weise abgerichtet. Ein geistreicher Kopf ist auf den Gedanken verfallen, die Vögel als Glücksbringer zu benutzen. Zu diesem Zwecke stellt er sich mit einem durch Raubvögel herausgeputzten Kasten auf einem belebten Platze auf und ladet die Vorübergehenden ein, sich durch die Vögel Glücksnummern zum Lottospiel offenbaren zu lassen. Die Raubvögel, und unter ihnen auch unsere Zwergadler, sind abgerichtet, aus einem Haufen Nummern, welche der betreffende Glücksritter ihnen vorhält, einzelne mit dem Schnabel herauszulesen und diese somit zu wählen. Man scheint der Ansicht zu sein, daß durch solches Verfahren das Glück im eigentlichen Sinne des Wortes vom Himmel herniedergebracht werde.

 

Ein unserem Stein- oder Goldadler ebenbürtiger Raubvogel Australiens steht den eigentlichen Edeladlern in Gestalt und Färbung sehr nahe, unterscheidet sich aber durch seinen gestreckten, aber doch kräftigen Schnabel, langen, stark abgestuften Schwanz und die langen Federn am Hinterhalse von ihnen und ist deshalb zum Vertreter einer Untersippe erhoben worden, welche Kaup, deren Schöpfer, Bussardfalkenadler ( Uroaëtus) genannt hat.

Der Keilschwanzadler ( Aquila audax, fucosa, albirostris und cuneicauda, Vultur und Uroaëtus audax, Falco fucosus) ist 98 bis 100 Centimeter lang und etwa 2,3 Meter breit. Kopf, die Gurgelgegend, die Ober- und Unterseite sind schwärzlichbraun, fast alle Federn, namentlich die des Flügels und der Oberschwanzdecke, an den Rändern und an der Spitze blaßbraun, Rücken und Halsseiten rostfarbig. Die Iris ist nußbraun, die Wachshaut und ein nackter Streifen um das Auge sind gelblichweiß, der Schnabel an der Wurzel ist gelblichhornfarben, an der Spitze gelb, der Fuß hellgelb.

Bisher hat man nur diese eine Art der Keilschwanzadler gekannt; es scheint jedoch, als ob Australien deren mindestens zwei beherberge, eine, welche gedrungener gebaut und dunkler gefärbt ist als die andere, welche sich durch Schlankheit und lichte Färbung auszeichnet. Nach den Beobachtungen des »alten Buschmann« ist die dunkle Art oder Abart seltener als die andere, jedoch ebenso weit verbreitet.

Beide Arten, Ab- oder Spielarten bewohnen ganz Australien und sind nirgends selten. Man findet sie ebensowohl im tiefen Walde, wie in den Ebenen, paarweise und in Gesellschaften. Am häufigsten sind sie in den Kängurugründen: hier konnte der »alte Buschmann« im Laufe eines Winters über ein Dutzend Stück erlegen. »Alles, was die Schriftsteller von dem Muthe, der Kraft und der Raubsucht des Steinadlers erzählen«, sagt Gould, »paßt auch auf den Keilschwanzadler. Er raubt alle kleinen Arten von Kängurus, welche er auf den Ebenen und offenen Hügeln vorfindet, bewältigt den edlen Trappen und ist der größte Feind der Schafherden, welche schreckliche Niederlagen von ihnen erleiden.« Die großen Kängurus vermag er nicht zu bewältigen, wohl aber deren Jungen; er weiß sich sogar solcher zu bemächtigen, welche noch im Beutel der Mutter sich befinden. »Einst«, erzählt der »alte Buschmann«, »beobachtete ich einen Keilschwanzadler, wie er ein Mutterkänguru mit dem Jungen im Beutel durch den Wald jagte. Der schlaue Vogel verfolgte sein Wild auf Schritt und Tritt. Er wagte es nicht, das Mutterthier anzugreifen, wußte aber sehr wohl, daß, sobald es erschöpft, sein Junges von sich werfen und ihm zur Beute überliefern würde.«

Auf das Aas fällt der Keilschwanzadler mit der Gier der in Australien fehlenden Geier. Gould sah ihrer dreißig bis vierzig auf dem Leichname eines großen Ochsen versammelt. Einige bereits vollgefressene saßen auf den benachbarten Bäumen; die übrigen feierten noch ihr Mahl. Kängurujägern folgt der Keilschwanzadler meilenweit und tagelang nach, nachdem er in Erfahrung gebracht, daß bei ihren Jagden für ihn immer etwas abfällt. Er ist der Schrecken des Waldes wie der Ebene, in den Augen der Viehzüchter eine entsetzliche Landplage.

Der Horst wird auf den unzugänglichsten Bäumen angelegt, nicht immer hoch über dem Boden, aber regelmäßig so, daß er fast unersteiglich ist. Seine Größe schwankt beträchtlich; denn ein Paar benutzt den alten Horst wiederholt und vergrößert ihn durch jährliche Ausbesserungen. Die Unterlage besteht aus starken Aststücken, der Mittelbau aus schwächeren; die Nestmulde ist mit feinen Zweigen und Gras belegt. Nach Ramsay fällt die Brutzeit in unsere letzten Sommermonate; man findet gewöhnlich im August die zwei runden, rauhschaligen Eier, welche acht Centimeter lang und an der dicksten Stelle sechs Centimeter breit und auf weißem Grunde mehr oder minder mit roströthlichen, hell gelblichbraunen und röthlichblauen Punkten und Flecken bedeckt sind. In manchen Waldungen sieht man viele unbewohnte Horste als zurückgebliebene Wahrzeichen aus jenen Tagen, in welchen diese Wälder der Fuß des weißen Mannes noch nicht betreten hatte.

Der Keilschwanzadler ist namentlich bei dem Aase leicht zu erlegen und noch leichter in Fallen aller Art zu fangen, wird auch von den Eingeborenen oft jung aus dem Neste gehoben, in den Küstenstädten aufgezogen und dann nach Europa gesendet. In unseren Thiergärten ist er eine nicht ungewöhnliche Erscheinung. Sein Preis ist so gering, daß man wirklich nicht recht begreift, wie es möglich war, mit der Summe, welche der Adler kostet, das Futter zu bestreiten, welches er auf der Herreise gebrauchte. Der Vogel trägt die Gefangenschaft in unserem Lande ohne alle Beschwerde. Von einem Paare berichtet Gurney, daß das Weibchen nicht nur im Käfige Eier gelegt, sondern dieselben auch bebrütet habe.


Schlanker Leib, verhältnismäßig kurze Flügel, deren Spitzen das Ende des sehr langen Schwanzes nicht erreichen, lange, bis zu den Zehen befiederte Füße, hohe Fußwurzeln und große, kräftige Fänge mit langen, flach gebogenen Nägeln, sowie endlich der langgestreckte, aber doch starke Schnabel kennzeichnen die Sippe der Habichtsadler ( Nisaëtus), welche im Süden Europas durch ein würdiges Mitglied vertreten wird.

 

Der Habichtsadler ( Nisaëtus fasciatus, grandis, niveus und strenuus, Aquila fasciata, Bonelli, intermedia und rubriventer, Falco Bonelli und ducalis, Spizaëtus grandis, Pseudaëtus, Eutolmaëtus und Tolmaëtus Bonelli, Aquilastur Bonelli) erreicht etwa die Größe des Schelladlers: seine Länge beträgt siebzig, die Breite einhundertfünfundvierzig, die Fittiglänge fünfundvierzig, die Schwanzlänge sechsundzwanzig Centimeter. Das Weibchen ist um acht Centimeter länger und um reichlich zehn Centimeter breiter. Im ausgefärbten Kleide sind Stirn und ein Streifen über dem Auge weiß, Scheitel und Nacken auf braunem Grunde dunkler gestreift, Unterhals und Oberrücken weiß, mit schwarzbraunen Flecken an den Federkanten, die Mantelfedern einfarbig dunkelbraun, die des Unterrückens schwarzbraun, die Oberschwanzdecken weißlich und braun gemarmelt, Kehle, Brust und Bauchmitte auf weißem Grunde durch schwarze Schaftflecke, die Hosen aber durch breite, dunkle, zackige Bandflecke gezeichnet, die inneren Schenkel wie die Laufbefiederung rostbräunlich und grau gewellt, mit schwarzen Längsflecken, die Schwingen schwarzbraun, leicht purpurn scheinend, die Handschwingen innen an der Wurzel weiß, dunkelbraun gebändert und gemarmelt, die Armschwingen innen unregelmäßig grau gefleckt und gewässert, die Steuerfedern, abgesehen von den mittleren, fast einfarbig braunen, auf der Oberseite graubraun, mit weißgesäumter Endbinde und sieben schmalen, zackigen, dunklen Querbinden, auf der Unterseite weißgelblich überlaufen und braungrau getüpfelt. Im Jugendkleid ist der Scheitel lichtröthlich, der Nacken fahlroth, der Mantel lichtbraun, jede Feder fahlgelb gesäumt, der Schwanz auf der Oberseite aschgraubraun und neun- bis zehnmal quer gebändert und weiß gesäumt, die ganze Unterseite auf blaßgelblich rostbraunem Grunde durch feine dunkle Schaftstriche gezeichnet, der Bauch schmutzig röthlichweiß und ungefleckt. Das Auge ist erzgelb, der Schnabel hornblau, die Wachshaut schmutzig-, der Fuß graugelb.

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Habichtsadler ( Nisaëtus fasciatus). 1/5 natürl. Größe.

Der Habichtsadler, welcher ebenfalls schon in Deutschland erlegt worden ist, bewohnt ziemlich häufig Südfrankreich, Spanien, Portugal, Süditalien, Griechenland und die Türkei, Nordwestafrika, ebenso wahrscheinlich Turkestan und ganz Indien, vom Himalaya an bis zum äußersten Süden. In Griechenland und Süditalien ist er nicht selten, in Spanien und Algier der häufigste Adler. Waldlose Gebirge mit steilen Felsenwänden bilden hier seine Wohnsitze; in Indien haust er vorzugsweise in hügeligen, mit Dschungeln bewachsenen Gegenden. Er wandert nicht, streicht aber während der Brutzeit im Lande umher und vereinigt sich dabei oft in Gesellschaften von ziemlich bedeutender Anzahl: mein Bruder sah einmal ihrer zwanzig über dem königlichen Lustgarten Pardo bei Madrid dahinziehen. Am Horstplatze duldet auch dieses Adlerpaar selbstverständlich kein anderes oder überhaupt keine anderen Raubvögel.

Der Habichtsadler ist ein außerordentlich gewandter, muthiger, kühner, ja ein dreister, frecher Vogel, welcher geistig dem Habicht vollkommen ähnelt, ihn aber durch leibliche Begabungen vielfach übertrifft. Sein Flug ähnelt mehr dem eines Edelfalken als dem eines Adlers, und die schlanke Gestalt des Vogels trägt noch wesentlich dazu bei, eine derartige Meinung aufkommen zu lassen. Er kreist zwar auch nach Adlerart, fliegt aber mit viel rascherem Flügelschlag und deshalb auch weit schneller als alle übrigen mir bekannten Mitglieder seiner Familie. Im Stoßen saust er wie ein Pfeil vom Bogen durch die Luft. Nur im Sitzen trägt er sich weniger edel als andere Adler, nämlich mehr wagerecht, vorn niedergebeugt; doch nimmt auch er oft eine sehr aufrechte Stellung an. Sein Blick ist nicht bloß lebhaft, sondern brennend. Wuth und Wildheit leuchten aus seinem Auge heraus, und sein Gebaren widerspricht diesem Eindrucke nicht. Er vereinigt die Schnelligkeit des Falken mit der Gewandtheit des Sperbers, den Muth des Adlers mit der Mordsucht des Habichts, fürchtet sich vor keinem anderen Vogel und greift jeden an, welcher in seine Nähe kommt, sei es, um ihn zu vertreiben, oder sei es, um sich seiner zu bemächtigen. Mein Bruder sah ihn sich wüthend mit dem Geieradler balgen, Krüper ihn auf Seeadler, höchst gefährliche Gegner, mit demselben Eifer stoßen wie auf langhälsige Geier; ich lernte ihn als Verfolger des Kuttengeiers und des Steinadlers kennen. Wahrscheinlich streitet er sich mit jedem Raubvogel überhaupt.

Seine Jagd gilt, wie ich glaube, ebenso vielen Thieren wie die Jagd des Steinadlers. Temminck, sein erster Beschreiber, läßt ihn einfach auf Wassergeflügel stoßen; der Habichtsadler begnügt sich jedoch keineswegs mit einem so beschränkten Wildstande. In Spanien ist er der gefürchtetste Feind der Haushühner, erhebt sie unmittelbar vor den Augen des Menschen, und verfolgt sie mit einer Hartnäckigkeit, daß er den Hühnerbestand mancher einsam gelegenen Bauernhöfe buchstäblich vernichtet. Den Tauben stellt er nicht minder eifrig nach. Säugethiere bis zur Größe eines Hasen werden von ihm ohne Unterlaß bedroht. »Einmal«, so erzählt Taczanowski, »in der Nähe des Wüstenwaldes Sada in der Provinz Konstantine, sahen wir, wie ein Weibchen auf einen Wüstenhasen losschoß, ihn mit einem Griffe tödtete und dem hinzueilenden Männchen nicht erlaubte, an dieser Beute theilzunehmen. Ein anderes Mal, während der Jagd mit Falken auf Kragentrappen, bemerkten wir, daß die Falken nicht auf die Beute losschießen wollten: der Grund davon war, daß plötzlich ein Habichtsadler aus der Höhe heranflog und sofort den Kragentrappen tödtete.« In Indien jagt er, laut Jerdon, Hasen, Dschungelhühner, Reiher, Enten und andere Wasservögel, nach der Behauptung der Schikaris auch Nimmersatts, nach der Versicherung der eingebornen Falkner sogar deren zahme oder abgerichtete Falken. Jerdon selbst sah ihn in den Nilgerris nach einander, weil die Dichtigkeit des Dschungels seine Angriffe vereitelte, jedoch vergeblich auf einen Hasen, ein Dschungelhuhn und einen Pfau stoßen. Ein Paar besuchte dort regelmäßig ein Dorf, um daselbst Hühner zu fangen. Elliot versichert, gesehen zu haben, daß zwei Habichtsadler einen Pfau fast überwältigten, wenigstens zu Boden warfen. »Großen Schaden«, sagt Jerdon, »richtete ein Paar in den Taubenhäusern in den Nilgerris an. Ich erfuhr, daß eins oder zwei dieser Häuser vollständig durch sie entvölkert worden waren. Der Taubenfang der Habichtsadler geschieht nach dem Bericht von Augenzeugen in folgender Weise. Wenn die Tauben die Flucht ergreifen, stürzt sich einer dieser Adler aus einer bedeutenden Höhe herab, nimmt aber seine Richtung mehr unter den Tauben, als geradezu in den Schwarm hinein. Sein Gefährte verwerthet den Augenblick, wenn die Tauben durch den ersten Stoß in Verwirrung gerathen sind, und stößt mit untrüglicher Sicherheit auf eine von ihnen herab. Der andere hat sich inzwischen von neuem erhoben und thut nun einen zweiten, ebenso verhängnisvollen Stoß.«

Alle Thiere, denen der Habichtsadler nachstellt, kennen seine Furchtbarkeit wohl und suchen dem Räuber deshalb so schleunig als möglich zu entgehen. »Wenn ich«, erzählt Powys, »gut im Riede verborgen an den Seen Albaniens auf Enten und Wasserhühner lauerte, habe ich oft bemerkt, welchen Eindruck das Erscheinen eines Habichtsadlers hervorbrachte. Alle Wasservögel bekümmerten sich kaum um die Rohrweihen, welche über ihnen dahinschwebten, und erhoben kaum ihr Haupt, wenn sich ein Schreiadler zeigte; sobald aber ein Habichtsadler sichtbar wurde, rannten die Wasserhühner in der bekannten Weise dem Riede zu; die Enten drückten sich mit wagerecht niedergebeugtem Halse platt auf das Wasser, und Warnungs- und Angstrufe wurden laut von allen Seiten, bis der Tyrann vorüber war. Ich habe zweimal gesehen, daß diese Raubvögel sich auf Vögel stürzten, welche ich verwundet hatte, bin aber niemals im Stande gewesen, einen Schuß auf sie anzubringen.«

Der Horst steht, wie es scheint, stets in Höhlungen steiler Felsenwände, an möglichst gesicherten Stellen. Krüper untersuchte einen, welcher in der Felsenhöhle eines griechischen Gebirges stand und zwei Eier enthielt. Das Bauwerk war aus kleinen Zweigen des wilden Oelbaumes, aus einigen Blättern der Stecheiche zusammengetragen und die Nestmulde mit den Dunen des Vogels belegt. Die beiden Eier waren in Färbung und Korn verschieden, denn das eine war fleckenlos und schmutzigweiß, das andere reinweiß mit kleinen deutlichen Flecken. Als auffallend hebt Krüper hervor, daß der betreffende Horst den Strahlen der Mittagssonne ausgesetzt und die Höhle deshalb ungemein erwärmt war. Oberst Irby beobachtete mehrere Jahre nach einander das einzige Pärchen, welches an den Felsen Gibraltars brütet, und erfuhr, daß auch die Habichtsadler mit den Horsten zu wechseln lieben. In den Jahren 1869 und 1871 benutzten sie einen Horst, welcher ungefähr hundert Meter über dem Fuße der Felsen stand, in den Jahren 1870 und 1872 dagegen einen zweiten höher gelegenen. Im Jahre 1873 war der Oberst von Gibraltar abwesend; nach seiner Rückkehr, im Jahre 1874, fand er, daß das Paar sich einen ganz neuen Horst gegründet hatte. Mit dem Baue des Horstes geben sich die Habichtsadler wenig Mühe, versäumen aber nie, den oberen Theil wiederholt mit frischen, grünen Olivenzweigen zu belegen. In welcher Weise sie dieselben abbrechen, scheint Irby nicht klar geworden zu sein. Einzelne, welche er am Fuße der Felsen auflas, waren durchnagt, als ob eine Ratte sie abgebissen hätte. Mit der Ausbesserung beschäftigen sie sich in der Regel schon von Weihnachten an, obgleich das Weibchen erst frühestens Anfang Februar zu legen beginnt. Im Jahre 1871 wurde das erste der beiden Eier am fünften Februar gelegt, und die Jungen entschlüpften am sechzehnten März, also nach vierzigtägiger Bebrütung. Beide Gatten des Paares brüten abwechselnd, sitzen auch oft gleichzeitig auf dem Horste. Die Eier drehen sie mit dem Schnabel um, und daher rühren eingekratzte Striche, welche man an länger bebrüteten Eiern sehen kann. Eier, welche unser Beobachter in den Jahren 1873 und 1874 den Horsten entnehmen ließ, waren wundervoll mit rothen Strichen und Punkten gezeichnet und unter sich so ähnlich, daß man sie sofort als die eines und desselben Weibchens erkennen mußte. Nicht alle Horste, welche Irby untersuchte, standen in bedeutender Höhe oder auf unzugänglichen Stellen, mehrere konnten im Gegentheile ohne sonderliche Anstrengungen erstiegen werden. Auch in Indien brütet der Habichtsadler regelmäßig auf Felsen.

Es läßt sich erwarten, daß die Habichtsadler ihre Jungen mit demselben Muthe vertheidigen, welchen sie sonst offenbaren; einen Menschen aber, welcher die Brut bedroht, scheinen sie doch nicht anzugreifen.

Während meines Aufenthaltes in Spanien erhielten wir zweimal lebende Habichtsadler. Der eine, ein alter Vogel, war auf einem mit Leimruthen zum Sperlingsfange hergerichteten Baume gefangen worden, nachdem er sich sein ganzes Gefieder mit dem Leime zusammengekleistert hatte; sein Fänger hatte ihn jedoch so mißhandelt, daß er nach wenigen Stunden, welche er in unserer Pflege verlebt hatte, seinen Geist aufgab. Der andere, ein junger Vogel, welchen der Fänger, wie er sagte, ausgehoben hatte, war bereits vollständig befiedert und schien schon alle Eigenschaften alter Vögel zu besitzen. Wir brachten ihn in einen Käfig, welcher bisher einen Steinadler, einen schmutzigen Aasgeier, einen Bartgeieradler und eine Dohle beherbergt hatte. Unter dieser eigenthümlichen Genossenschaft hatte bisher die größte Einigkeit geherrscht, sie wurde aber durch den Habichtsadler augenblicklich gestört. Dieser geberdete sich wie rasend, tobte im Käfig umher, versuchte mit allen Genossen anzubinden, warf sich, wenn diese ihm auf den Leib rückten, auf den Rücken und hieb mit den Klauen nach jedem seiner Kameraden. Die kecke, muntere Dohle wurde das erste Opfer des Wütherichs: eine Stunde nach seiner Ankunft hatte er sie bereits im Magen. Gegen uns benahm er sich ebenso ungestüm wie gegen seine Gefährten und griff uns ebenfalls ohne Besinnen an. Auch sein Betragen im Käfige erinnerte an das des Habichts.

Jerdon meint, daß dieser Adler wahrscheinlich leicht zur Jagd von Antilopen, Hasen, Trappen und ähnlichem großen Wild abgerichtet werden könne, und hat wahrscheinlich Recht; denn derselbe gefangene, von dem ich oben sprach, zeigte sich später im Frankfurter Thiergarten als liebenswürdiges und zutrauliches Geschöpf.


Die nächsten Verwandten des Habichtsadlers sind die Haubenadler ( Spizaëtus), ebenfalls schlank gebaute Adler mit verhältnismäßig kurzen Flügeln, langem Schwänze und hohen, kräftigen Füßen, besonders ausgezeichnet noch durch einen mehr oder weniger deutlichen Schopf am Hinterkopfe.

 

In Afrika lebt das größte und stärkste Mitglied dieser Gruppe, der Kampfadler ( Spizaëtus bellicosus, Falco bellicosus und armiger, Aquila bellicosa und armigera, Pseudaëtus bellicosus), ein mächtiger Vogel von achtzig bis sechsundachtzig Centimeter Länge und entsprechender, mir nicht näher bekannter Breite, dessen Fittiglänge sechzig bis fünfundsechzig und dessen Schwanzlänge einunddreißig bis vierunddreißig Centimeter beträgt. Auf der Oberseite ist Aschgraubraun die herrschende Färbung, auf dem Kopfe mischt sich Schwarzbraun, die Schaftzeichnung der einzelnen Federn, ein, auf dem Mantel zeigen fast alle Federn lichtere Ränder, wodurch auch eine Flügelbinde entsteht, gebildet durch die Spitzenränder der größeren, schieferaschgrauen, schwarz in die Quere gebänderten Flügeldeckfedern. Ein weißliches Band verläuft über den Augen nach dem Hinterkopfe zu und verliert sich in der kurzen, breiten Holle. Die ganze Unterseite ist weiß, bläulich überzogen, fast fleckenlos. Die großen Schwingen sind an der Außenfahne schwarz, an der Innenfahne heller und dunkler gebändert, die unteren Flügeldeckfedern reinweiß, die Steuerfedern oben dunkel-, unten lichtbräunlich aschgrau, sechsmal dunkler in die Quere gebändert. Der jüngere Vogel ist oberseits schwärzlichbraun, unterseits weiß gefärbt und hier mit zahlreichen braunen Flecken gezeichnet, welche bis zum vierten Jahre allmählich in demselben Maße verschwinden, als das Schwarzbraun der Oberseite sich lichtet. Das Auge ist graubraun, die Wachshaut grünlichblau, der Schnabel schwarz, der Fang bleigrau.

Die erste Beschreibung des Kampfadlers erschien zu Ende des vorigen Jahrhunderts in dem berühmten Werke Levaillants über die Vögel Südafrikas. Der genannte Naturforscher erbeutete unseren Adler im Lande der Namaken vom achtundzwanzigsten Grad südlicher Breite an nach der Mitte des Erdtheiles zu. Später wurde er in West- und in Ostafrika aufgefunden, und jetzt weiß ich freilich, daß der gewaltige Raubvogel, welchen ich auf einem die Gegend weithin überragenden hohen Baum des abessinischen Gebirges sitzen sah, der Kampfadler war.

Ueber Lebensweise und Betragen dieses stattlichen Geschöpfes liegen ausführlichere Beobachtungen, als die, welche Levaillant uns gegeben hat, noch immer nicht vor und deshalb muß ich sie dem nachfolgenden zu Grunde legen.

Der Kampfadler wählt sich einen vereinzelt stehenden Baum zu seinem Standorte; denn er ist sehr vorsichtig und liebt zu sehen, was um ihn vorgeht. Von hier aus durchstreift das Paar ein weites Gebiet, stets in getreuer Gemeinschaft; duldet auch in ihm kein anderes derselben Art oder keinen anderen Raubvogel überhaupt. Jeder andere Räuber, welcher sich ihm aufdrängt, wird erbarmungslos angegriffen, mit voller Macht befehdet und zur Flucht gezwungen. »Es geschieht«, wie Levaillant sagt, »nicht selten, daß Scharen von Geiern und Raben sich vereinigen, in der Absicht, dem Kampfadler seine Beute abzunehmen; doch genügt der einfache Blick des Räubers, dieses Bettlergesindel sich vom Halse zu halten.

Wahrscheinlich jagt der Kampfadler hauptsächlich in den Morgen- und Abendstunden und selten Wohl vergeblich. Seine gewöhnliche Beute besteht aus kleinen Antilopen und Hasen; er wird aber jedenfalls die vielen Wildhühnerarten auch nicht verschonen. Sein ganzes Wesen bekundet, daß er den afrikanischen Thieren ein ebenso gefährlicher Feind ist wie unser Steinadler den europäischen. Es gibt in ganz Südafrika keinen Raubvogel, welcher dem Kampfadler an Kraft und Raubfähigkeit gliche. Er ist unumschränkter Herrscher in seinem Bereiche; Kraft und Kühnheit vereinigen sich in ihm, um ihn zu einem furchtbaren Feinde aller wehrlosen Geschöpfe zu machen.

siehe Bildunterschrift

Kampfadler ( Spizaëtus bellicosus). 1/6 natürl. Größe.

Der Flug ist durchaus adlerartig, aber leichter und rascher. Die Stimme soll bald scharf und durchdringend, bald rauh und dumpf sein.

Der Horst wird auf der Krone der höchsten Bäume und nur in Ermangelung derselben auf Felsvorsprüngen an unersteiglichen Wänden gegründet, ähnelt im ganzen dem anderer Adler, soll sich aber dadurch auszeichnen, daß er bestimmt aus drei verschiedenen Lagen aufgebaut wird: aus einer, welche aus Knüppeln, einer zweiten, welche aus feineren Zweigen, Moos, dürren Blättern, Heide- und anderen weichen Pflanzentheilen der Umgegend, sowie endlich einer dritten, aus feinen Reisern bestehenden, welche letztere die Nestmulde bildet. Das ganze Bauwerk hat einen Durchmesser von anderthalb bis zwei Meter und ist so fest, daß ein Mann mit aller Sicherheit darauf sich niederlassen kann. Wenn der Horst auf Felsgestein errichtet wird, fehlt selbstverständlich der Unterbau. Levaillant glaubt, daß ein und derselbe Horst von dem Paare benutzt wird, so lange es lebt. Die zwei Eier sind etwa acht Centimeter lang, fast rund und reinweiß von Farbe. Während das Weibchen brütet, versorgt es das Männchen mit dem nothwendigen, und später jagt es für die ganze Familie, jedoch nur so lange, als die Jungen noch sehr klein sind; denn so bald sie größer werden, brauchen sie so viel zu ihrer Unterhaltung, daß die Alten kaum genug für sie erjagen können. Hottentotten versicherten Levaillant, daß sie zwei Monate von dem gelebt hätten, was sie zwei jungen Kampfadlern weggenommen. Bis die Jungen ausfliegen, sammeln sich auf und um den Horst Haufen von Knochen der verschiedensten Thiere.

Levaillant hielt einen Kampfadler längere Zeit in Gefangenschaft und beobachtete, daß derselbe sich mit Gier auf das ihm vorgeworfene Fleisch herabstürzte, dasselbe pfundweise verschlang und auch, wenn sein Kropf schon gefüllt war, niemals Nahrung zu nehmen verweigerte; unser Forscher erwähnt ferner, daß alles lebende nach dem Geschmacke des Räubers gewesen, daß dieser nicht einmal die Ueberreste eines anderen Kampfadlers, welche ihm vorgeworfen wurden, verschmäht habe. Ich halte diese Angabe nach eigenen Beobachtungen an gefangenen Vögeln dieser Art für übertrieben. Mein Bruder hat einen meiner Pfleglinge geschildert, und ich kann das von ihm gesagte nur bestätigen. »Der gefangene Kampfadler«, schreibt er, »versteht es, jedermann zu fesseln; denn er ist wirklich ein höchst anziehendes Thier. Seine Wildheit scheint er ganz abgelegt zu haben. Er zeigt sich merkwürdig zahm und zutraulich, förmlich befreundet mit den Menschen, antwortet wenigstens auf jeden Anruf. Seine Stimme ist überraschend klangvoll und wohltönend, jedoch leise und weich, ganz im Gegensatze zu den anderen Adlern, deren Geschrei bekanntermaßen nicht eben wohllautend ist; so weit man sie wiedergeben kann, läßt sie sich durch die Silben ›Gliuk, gliuk‹ bezeichnen.

»In der Regel sitzt der Vogel schlank und aufgerichtet wie andere Adler, pflegt aber seine Holle emporzusträuben. Sein Auge blitzt wohl kühn, doch nicht wild um sich; bekannte Personen schaut er sogar mit einem sanften Ausdrucke an. Mit der Hand vorgehaltene Nahrung erfaßt er mit dem Schnabel, ohne dabei seinen Wohlthäter zu verletzen. Betritt man seinen Käfig selbst und geht ihm rasch zu Leibe, so nimmt er eine Vertheidigungsstellung an, breitet die langen Flügel aus, erhebt einen seiner gefährlichen, starken Fänge und legt die Holle nieder, so daß sein Kopf ganz glatt erscheint. Auf der Erde steht er zwar auch, wie die Adler, in etwas wagerechter Stellung, doch immer noch aufgerichteter als diese. Da sein Behälter so groß ist, daß er nicht nur bequem seine Schwingen ausbreiten, sondern auch kleine Flugversuche machen kann, so sieht man ihn häufig die sitzende Stellung aufgeben, aus dem geschützten Raume des Käfigs hervorfliegen und die ziemlich hoch angebrachte Sitzstange aufsuchen. Für seine Nachbarn scheint er wenig Theilnahme zu zeigen, wogegen er alle vorübergehenden Leute sowie die in seiner Nähe befindlichen Hirsche mit großer Aufmerksamkeit betrachtet.«

Diesen Worten will ich noch hinzufügen, daß mein Pflegling bedeutende Kältegrade ertragen hat, wenn auch nicht ganz ohne Beschwerde. Während des strengen Winters saß er oft recht still auf seiner Stange, und zuweilen zitterte er vor Frost. Demungeachtet befand er sich im Freien entschieden wohler als in dem Warmhause, in welches er vorsichtshalber schließlich gebracht wurde.

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Schopfadler ( Spizaëtus occipitalis). ⅓ natürl. Größe.

Ungefähr dieselben Gegenden bewohnt ein verwandter, aber viel kleinerer Adler, welchen wir seiner langen Haube wegen Schopfadler nennen wollen ( Spizaëtus occipitalis, Falco occipitalis und senegalensis, Morphnus, Harpyia und Lophoaëtus occipitalis). Er ist gedrungen gebaut, langflügelig, kurzschwänzig und hochläufig, das Gefieder ziemlich einfarbig. Ein sehr dunkles Braun bildet die Grundfärbung, der Bauch ist dunkler, die Brust lichter, die Innenseite des Schenkels weißlich, die Fußwurzel schmutzigweiß, die Oberseite mit kupferpurpurbraunem Schimmer überhaucht. Die Schwingen erster Ordnung sind in der Wurzelhälfte innen weiß, außen schmutzig bräunlichweiß, in der dunkelbraunen Endhälfte innen, die an der Wurzel weißen Armschwingen über beide Fahnen, mit zwei dunklen Querbinden gezeichnet, die Schwanzfedern auf der Anßenfahne braun, auf der Innenfahne fast weiß mit drei breiten schwarzbraunen Querbinden und breiter, ebenso gefärbter Endbinde geziert, die kleinen Flügeldecken längs dem Handrande weiß, die übrigen unteren Flügeldecken schwarzbraun. Das Auge ist hochgelb, der Schnabel hornblau, an der Spitze dunkler, an der Wurzel heller, die Wachshaut hellgelb, der Fuß strohgelb. Die Länge beträgt funfzig bis zweiundfunfzig, die Breite einhundertundzwanzig bis einhundertunddreißig, die Fittiglänge dreiunddreißig bis fünfunddreißig, die Schwanzlänge achtzehn bis zwanzig Centimeter.

Unter den afrikanischen Haubenadlern ist der Schopfadler einer der verbreitetsten, wenn nicht der am weitesten verbreitete von allen. Er findet sich vom siebzehnten Grade nördlicher Breite an bis zum Vorgebirge der Guten Hoffnung und vom Senegal bis zur Küste des Rothen Meeres, nicht minder auf Madagaskar, und zwar in der Ebene wie im Gebirge, vorausgesetzt, daß die Gegend bewaldet sei. In die freie Steppe hinaus wagt er sich nur dann, wenn auch hier dichterer Baumschlag nicht gänzlich fehlt, beispielsweise ein von Schlingpflanzen durchflochtenes Mimosendickicht die Ufer eines zeitweilig wasserhaltigen Regenstromes begrünt. In den Waldungen des oberen Nilgebietes ist er eine ziemlich häufige Erscheinung. Hier sieht man ihn in den Wipfeln der Mimosen nahe am Stamme ruhig sitzen und höchst ernsthaft mit seiner Holle spielen. Bald kraust er die Stirne, schließt die Augen halb und richtet nun seine Haube auf, daß sie senkrecht steht, breitet wohl auch die einzelnen Federn seitlich aus und sträubt dabei das übrige Gefieder; bald legt er die Holle wieder glatt auf den Nacken nieder. Diese wichtige Beschäftigung treibt er halbe Stunden lang, ohne sich zu regen. Er ist dann ein Bild vollendeter Trägheit, ein sehr wenig versprechender Raubvogel. Doch lernt man den Träumer bald auch von einer anderen Seite kennen, so bald er etwas jagdbares bemerkt: ein Mäuschen, eine Feldratte, ein Erdeichhörnchen, ein girrendes Täubchen, ein Flug Webervögel etwa. Blitzschnell streicht er mit kurzen, raschen Flügelschlägen ab, wendet sich, unserem Habicht vergleichbar, gewandt durch das dichteste Gestrüpp, jagt der erspähten Beute eifrig nach und ergreift sie fast unfehlbar. In Betragen und Wesen läßt er sich mit unserem Habichte vergleichen. Er ist ebenso frech und raublustig wie dieser und im Verhältnisse zu seiner Stärke unbedingt der beste Räuber des Waldes. Nur den geordneten Waldstaat der innerafrikanischen Affen beunruhigt er ebensowenig wie alle übrigen Adler der Osthälfte unserer Erde: bei einer Gesellschaft, welche unter sich das ausgeprägteste Schutz- und Trutzbündnis geschlossen hat, würde er auch schlechte Geschäfte machen. Doch ich habe bereits (Bd. I, S. 118) beschrieben, wie es dem Adler ergeht, welcher sich an Affen wagt. Laut Heuglin jagt er auch auf Kriechthiere und Fische, vielleicht ebenso auf Lurche, und im Nothfalle fällt er, wie schon Levaillant hervorhebt, auf das Aas: in der Nähe von Schlachtbänken sah ihn Heuglin wie die Raben auf Hochbäumen sitzen und auf die Abfälle lauern oder umherliegende Knochen abfleischen.

Ueber die Fortpflanzung des Schopfadlers habe ich selbständige Beobachtungen nicht gemacht. Levaillant sagt, daß er den Horst auf Bäumen gründe und die Nestmulde mit Federn oder Wolle ausfüttere. Das Weibchen soll zwei fast runde Eier legen, welche auf bleichem Grunde rothbraun gefleckt sind.

Der Schopfadler, welcher nicht allzuselten lebend nach Europa gelangt, hält sich bei geeigneter Pflege jahrelang im Käfige; denn er ist hart und gegen Einflüsse des Klimas wenig empfindlich. Ich habe ihn wiederholt gepflegt und anderswo beobachtet. Man darf wohl behaupten, daß er zu den auffallendsten Gliedern seiner Familie gehört und, obgleich er wenig thut, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, von jedermann beachtet wird. Die lange flatternde Federholle, welche er bei ruhigem Sitzen fast immer aufgerichtet hat, das dunkle Gefieder, von welchem die ungemein lebhaften, feurigen Augen grell abstechen, erscheinen auch dem Laien als ungewöhnlich und deshalb beachtenswerth. In den Morgen- und Abendstunden ist er oft recht lebhaft und dann auch schreilustig, ganz gegen die Art seiner Verwandten. Die Stimme ist wechselreich und die Art und Weise seines Vortrags eigenthümlich. Gewöhnlich beginnt das Geschrei mit mehreren kurz abgebrochenen dumpferen Lauten; auf sie folgen dann regelmäßig länger gehaltene; das Ende ist langgezogen und gellend. Ich glaube, das ganze durch die Silben: »Wewwe, wewwe, we, we, we, wie, wieh, wiiiiiii« ziemlich richtig wiedergeben zu können. Den Wärter begrüßt er zwar, weicht aber allen Versuchen, ein Freundschaftsverhältnis herbeizuführen, mit ersichtlicher Abneigung aus. Wie er sich verwandten Vögeln gegenüber benimmt, weiß ich nicht; viel gutes traue ich ihm jedoch nicht zu. Schwache Säugethiere, welche in seinen Käfig gebracht werden, betrachtet er lange Zeit aufmerksam, glättet dabei sein Gefieder, legt die Holle nieder, trippelt auf der Sitzstange unruhig hin und her und dreht und wendet den Kopf fast wie eine Eule unter ähnlichen Umständen. Nachdem er schließlich seiner Neugier Genüge gethan, geht er zum Angriffe über, läßt sich auf den Boden herab, schreitet auf das zur Beute erkorene Thier zu, greift rasch mit dem einen Fange nach ihm, prallt aber anfangs erschreckt zurück, wenn dieses sich regt. Nach und nach wird er dreister; die rücksichtslose Raublust der Edeladler bekundet er jedoch nicht; er ist auch weit ungeschickter als diese, besinnt sich lange, ehe er einen neuen Angriff beginnt, und führt denselben auffallend schwerfällig aus. Doch mag es sein, daß ihm die Enge des Käfigs als unbesiegliches Hindernis erscheint und er sich da, wo er in altgewohnter Weise fliegend angreifen kann, ganz anders zeigen würde. Es scheint mir, als fehle ihm die Klugheit der Edeladler, welche ähnliche Hemmnisse sehr wohl zu überwinden wissen.


Neben den Würgadlern, welche im Süden Amerikas die Haubenadler würdig vertreten, beherbergen die brasilianischen Wälder noch andere eigenthümliche Raubvögel ( Morphnus), welche von den meisten Naturforschern ebenfalls der Adlerfamilie, von anderen aber auch den Habichten zugezählt werden. Wir wollen sie, um ihnen einen Namen zu geben, Sperberadler nennen. Sie haben die Größe, die Stärke und den stolzen Anstand der Adler, aber die Gestalt der Habichte. Ihr Leib ist dick, der Kopf groß, der Schnabel etwas gestreckt, niedrig, aber verhältnismäßig schwach, sein Obertheil scharfhakig übergebogen, der Kieferrand wenig ausgebuchtet, der Lauf mindestens doppelt so lang, als die Mittelzehe und nur wenig unter der Ferse herab befiedert, im übrigen mit Gürteltafeln bekleidet, der Fang kurz, jedoch nicht schwach und mit kräftigen, starken und spitzigen Krallen bewehrt, der Flügel kurz, der Schwanz breit und lang.

 

Die bekannteste Art dieser Gruppe ist der Sperberadler ( Morphnus guianensis, Falco guianensis). Seine Länge beträgt siebzig, die Breite einhundertfunfzig bis einhundertvierundfunfzig, die Fittiglänge vierzig bis zweiundvierzig, die Schwanzlänge dreißig Centimeter. Das auffallend lockere, eulenartige Gefieder, welches sich am Hinterkopfe zu einem fünfzehn Centimeter langen Federschopfe verlängert, verändert sich mit dem Alter des Vogels. Nach Prinz von Wied sind Kopf, Hals, Brust, Bauch, Steiß und Schenkel weiß, ungefleckt, nur hier und da ein wenig gelblich beschmutzt, Rücken-, Schulter- und Flügeldeckfedern, weil die einzelnen Federn hier sehr fein grauröthlich quer gefleckt, punktirt und marmelirt, blaß grauröthlich, die Schwingen schwarzbraun mit schmalen grauröthlichen Querbinden, die Schwanzfedern ihnen ähnlich gezeichnet. Pelzeln dagegen meint, daß dieses Kleid das Jugendkleid sei, der Vogel im Alter aber dunkler werde. Dann sollen Kopf und Kehle dunkelbraun, Nacken, Rücken, Oberseite, Flügel, Unterhals und Brust grünlichschwarz und die oberen Schwanzdecken mit unregelmäßigen, weißen Querbinden und Endsäumen gezeichnet sein.

Der Prinz, Schomburgk und Burmeister theilen uns einiges über Aufenthalt und Lebensweise des noch immer wenig bekannten Vogels mit. Daraus geht hervor, daß der Sperberadler über den größten Theil Südamerikas verbreitet ist und sich ebensowohl in den Küstenwaldungen wie in den Oasen der Steppen, am liebsten aber an Flußufern aufhält. Man sieht ihn in den Lüften kreisen und erkennt ihn leicht an dem blendend weißen Gefieder, welches von dem dunkelblauen Himmel lebhaft absticht. Nach Schomburgk zeichnet er sich auch noch durch sein lautes Geschrei aus. Er wählt sich die dürren Wipfel hoher Bäume zu seinen Ruhesitzen, verweilt hier stundenlang, ohne sich zu rühren, und richtet dann zuweilen seinen herrlichen Federschopf empor. Seine Jagd gilt Säugethieren und Vögeln. Prinz von Wied fand in dem Magen eines von ihm untersuchten Ueberreste von Beutelthieren und erfuhr von den Jägern, daß der Vogel besonders den Affen nachstelle. Der Horst wird nach Schomburgk auf nicht allzuhohen Bäumen errichtet.

siehe Bildunterschrift

Sperberadler( Morphnus guianensis). 1/5 natürl. Grösse.

Die Jagd des Sperberadlers verursacht der hohen Bäume wegen Schwierigkeiten und gelingt fast nur den Büchsenschützen und den Indianern. »Zwei kräftige Männer der Camacanindianer«, erzählt der Prinz, »erlegten nicht weit vom Ufer des Flusses einen Sperberadler durch einen Pfeilschuß, als er eben auf seinem großen, von Reisern erbauten Horste in den höchsten Zweigen eines gewaltigen Baumes saß. Der lange, kräftige Pfeil war ihm unten in die Kehle gedrungen, demungeachtet wurde er noch völlig lebend in meine Hände abgeliefert. Er muß ein kühner, starker Vogel sein; denn der verwundete wehrte sich heftig mit Klauen und Schnabel. Den

Horst ersteigen zu lassen, war leider unmöglich; denn zu diesem schweren Unternehmen wollte sich niemand finden.«


Eine gewisse Verwandtschaft mit dem eben beschriebenen Raubvogel zeigt der gewaltigste aller Adler, welche im Süden Amerikas leben, die Harpyie ( Harpyia destructor, ferox und maxima, Falco destructor und cristatus, Vultur, Morphnus, Asturina und Thrasaëtus

siehe Bildunterschrift

Harpyie ( Harpyia destructor). 1/6 natürl. Größe.

Harpyiae). Er ist der Habichtsadler in seiner Vollendung. Der Leib ist sehr kräftig, der Kopf groß, die Bewaffnung auffallend stark, der Schnabel ungemein hoch und kräftig, mit stark gerundeter Kuppe und geschärftem Rande, welcher unter dem Nasenloche eine Ausbiegung und davor einen stumpfen Zahn bildet, der Fuß stärker als bei jedem anderen Raubvogel, der Fang sehr lang und jede der langen Zehen noch mit einer außerordentlich großen, dicken und stark gebogenen Kralle bewehrt, der Lauf hinten bis zur Ferse nackt, vorn bis zur Mitte herab befiedert, an den nackten Stellen mit großen Tafelschuppen bekleidet, der Flügel, welcher, zusammengelegt, noch nicht bis zur Mitte des Schwanzes reicht, kurz, der Fittig, in welchem die fünfte Schwinge alle anderen überragt, wie der Schwanz zugerundet, das Gefieder reich und weich, fast wie bei den Eulen, im Nacken zu einer langen und breiten, aufrichtbaren Holle verlängert. Kopf und Hals sind grau, die verlängerten Nackenfedern, der ganze Rücken, die Flügel, der Schwanz, die Oberbrust und die Rumpfseiten schieferschwarz, die Steuerfedern dreimal weißlich gebändert, Unterbrust und Steiß weiß, die übrigen Untertheile auf weißem Grunde schwarz getüpfelt, die Schenkel auf gleichfarbigem Grunde schwarz gewellt. Der Schnabel und die Krallen sind schwarz, die Beine gelb; das Auge ist rothgelb. In der Jugend ist die allgemeine Färbung trüber: die Rückenfedern sind grau gebändert, die Brust- und Bauchfedern schwarz gefleckt. Je reiner die Farben, um so älter sind die Vögel. Nach Tschudi beträgt die Länge der Harpyie einen Meter, die Fittiglänge fünfundfunfzig, die Schwanzlänge vierunddreißig Centimeter. Burmeister hat noch größere Maße verzeichnet. Die Mittelzehe ist acht, die Hinterzehe vier Centimeter lang; diese aber trägt noch eine Kralle, welche der Krümmung nach acht, und jene eine solche, welche, in gleicher Weise gemessen, vier Centimeter ergibt.

Von Mejiko an bis zur Mitte Brasiliens und vom Atlantischen bis zum Stillen Weltmeere scheint die Harpyie in keinem größeren Walde Südamerikas zu fehlen. Im Gebirge bewohnt sie jedoch nur die tieferen, heißeren Thäler; in die Höhe hinauf versteigt sie sich nicht. Sie ist, wo sie vorkommt, ein wohl bekannter, seit altersgrauer Zeit in hoher Achtung stehender Raubvogel, über dessen Leben und Treiben von jeher allerlei Fabeln in Umlauf gesetzt worden sind. Bereits die ersten Beschreiber amerikanischer Erzeugnisse oder Thiere insbesondere erwähnen dieses Vogels, und jeder weiß schier unglaubliches zu berichten. So erzählt Fernandez, daß die Harpyie, welche fast so groß »wie ein Schaf« wäre, auch gezähmt den Menschen um der geringsten Ursache willen anfalle, beständig wild und verdrießlich sei, demungeachtet aber wohl gebraucht werden könne, weil sie sich leicht zur Jagd abrichten lasse. Mauduyt vervollständigt diese Angabe insofern, als er versichert, daß ein einziger Schnabelhieb der Harpyie hinreiche, den Schädel eines Menschen zu zertrümmern, und läßt durchblicken, daß der Raubvogel recht häufig Gebrauch von seiner Kraft mache. Erst die neueren Beobachter, und namentlich D'Orbigny, Tschudi und Pourlamaque, welche ausführliche Berichte über das Leben der Harpyie geben, führen die Uebertreibungen auf ihr rechtes Maß zurück. Von ihnen erfahren wir, kurz zusammengestellt, folgendes:

Die Harpyie bewohnt die feuchten, wasserreichen Waldungen Südamerikas innerhalb der angegebenen Grenzen und hier vorzugsweise die Flußufer, welche, wie überall, das Leben vereinigen. D'Orbigny versichert, im Inneren der Wälder, das heißt fernab von den Flüssen, niemals eine Harpyie gesehen zu haben. Sie kommt überall vor, ist jedoch nirgends häufig, wahrscheinlich nur deshalb, weil ihre Federn seit uralter Zeit einen überaus geschätzten Schmuck der Indianer bilden und sie deswegen hart verfolgt wird. Außer der Paarungszeit beobachtet man sie stets einzeln, gleichsam als fürchte sie, selbst durch den Gatten in ihrem Gewerbe beeinträchtigt zu werden. Nach Art des Habichts sieht man sie selten auf hohen Bäumen, vielmehr regelmäßig auf den unteren Aesten sitzen. Von hier aus erhebt sie sich mit kurzem, stoßweisem, aber pfeilschnellem Fluge zunächst senkrecht in die Höhe, kreist wenige Minuten und stürzt sich, wenn sie so glücklich war, Beute zu erspähen, mit Gewalt aus diese herab. Sie soll durchaus nicht scheu sein und den Menschen sehr nahe an sich herankommen lassen; doch gilt dies wahrscheinlich nur für diejenigen Waldungen, in denen sie wenig Gelegenheit hat, die Bekanntschaft ihres furchtbarsten, wenn nicht alleinigen Feindes zu machen.

So viel aus den verschiedenen Angaben hervorgeht, verschmäht die Harpyie kein höheres Wirbelthier, vorausgesetzt, daß dasselbe durch seine Größe oder Wehrhaftigkeit nicht vor ihr geschützt ist. Einige Beobachter sind geneigt zu glauben, daß sie nur Säugethiere und zwar vorzugsweise Affen und Faulthiere angreift; Tschudi aber beobachtete, daß sie auch Vögeln eifrig nachjagt. »Kein Raubvogel«, sagt er, »wird von den Indianern so sehr gefürchtet wie die Harpyie. Ihre Größe, ihr Muth und ihre Verwegenheit machen sie in der That zu einem der gefährlichsten Feinde der Pflanzungen Perus, und sie wird deshalb, wo sie sich nur blicken läßt, mit der größten Wuth verfolgt. In vielen Waldgegenden ist es den Indianern ganz unmöglich, Federvieh oder kleine Hunde zu halten, da dieser unersättliche Raubvogel dieselben mit bewunderungswürdiger Kühnheit entführt. Wir haben gesehen, daß eine Harpyie neben einem Indianer, welcher kaum drei Schritte von seinen Hennen entfernt stand, auf eine derselben herunterstürzte und sie mit sich forttrug. In den Wäldern findet sie reichliche Nahrung an den zahlreichen Penelope- und Steißhühnern, richtet aber auch unter den Eichhörnchen, Beutelratten und Affen bedeutende Verwüstungen an. Wenn eine Schar dieser letzteren, besonders die Kapuziner, die Nähe einer Harpyie wittern, erheben sie ein klägliches Geschrei, flüchten sich alle womöglich auf einen Baum und suchen sich in dem dichtesten Laubwerke zu verstecken. Die hülflosen Thiere haben ihren Feinden gegenüber nur jämmerliche Klagetöne.« Die Makusis versicherten Schomburgk, daß die Harpyie der größte Feind der Brüllaffen sei, Rehe und selbst Kinder fortschleppe, auch auf die Faulthiere jage und diese in Stücken von dem Aste reiße, an welchen sie sich angeklammert haben. Daß letztere Angabe sehr der Bestätigung bedarf, brauche ich wohl kaum zu erwähnen.

Der Horst steht, nach Schomburgk, auf den höchsten Bäumen, hat die Größe eines Riesenstorchnestes, und wird, nach Aussage der Indianer, jahrelang benutzt. Eine verläßliche Beschreibung der Eier kenne ich nicht.

D'Orbigny erzählt, daß die Harpyie von den Indianern sehr häufig aus dem Neste genommen, aufgezogen und gefangen gehalten werde, einzig und allein, um die geschätzten Federn auf leichtere Weise zu gewinnen, als dies durch Erlegung des alten Vogels möglich. Derjenige Indianer, welcher eine lebende Harpyie besitzt, ist ein angesehener Mann in den Augen der anderen und deshalb sehr glücklich. Den Frauen fällt die Last zu, die Vögel zu füttern und bei den Wanderungen durch die Wälder zu tragen. Sobald die gefangenen Harpyien ausgefärbt sind, beginnt ihre Qual; denn der Eigentümer reißt zweimal im Jahre jeder die Federn des Schwanzes und der Flügel aus, um seine Pfeile damit zu verzieren oder sich einen Kopfputz zu bereiten. Die Federn sind einer der wichtigsten Tauschgegenstände der Indianer, und gewisse Stämme, welche als geschickte Jäger der Harpyie bekannt sind, gewinnen damit alles, auf was ein Indianer überhaupt Werth legt. In Peru wird dem glücklichen Jäger noch eine besondere Belohnung zuertheilt. »Gelingt es einem Indianer«, sagt Tschudi, »eine Harpyie zu erlegen, so geht er mit derselben von Hütte zu Hütte und sammelt seinen Zoll an Eiern, Hühnern, Mais und dergleichen Dingen ein.« Bei den Wilden und den Europäern am Amazonenstrome gelten nach Pourlamaque Fleisch, Fett und Koth des Vogels als geschätztes Heilmittel.

Gefangene Harpyien sind schon wiederholt nach Europa, namentlich London, Amsterdam und Berlin, gekommen. Sie sind, wie ich aus eigener Anschauung versichern darf, wirklich stolze, majestätische Vögel. Ueber ihr Betragen im Käfige liegen uns einige Berichte vor. Pöppig sagt, wohl englische Schriftsteller benutzend, folgendes: »Die leichtsinnigen Besucher des Londoner Thiergartens fühlten eine gewisse Bangigkeit bei Ansicht einer erwachsenen Harpyie und vergaßen die Neckereien, welche sie sich, durch Eisengitter geschützt, wohl selbst mit Tigern erlaubten. Der aufrecht sitzende und wie eine Bildsäule unbewegliche Vogel schreckte durch das starrende und drohende, von Kühnheit und stillem Grimme glänzende Auge selbst den muthigsten. Er schien jeder Anwandlung von Furcht unzugänglich und gegen alles umher mit gleicher Verachtung erfüllt zu sein, bot aber ein fürchterliches Schauspiel dar, wenn er, durch den Anblick eines ihm überlassenen Thieres aufgestachelt, aus der regungslosen Ruhe auf einmal in die heftigste Bewegung überging. Mit Wuth stürzte er sich auf sein Opfer, und niemals dauerte der Kampf länger als einige Augenblicke; denn ein zuerst dem Hinterkopfe ertheilter Schlag der langen Fänge betäubte selbst die stärkste Katze, und ein zweiter, die Seiten zerreißender, das Herz verletzender Hieb war gemeiniglich tödtlich. Nie ward bei dieser Hinrichtung der Schnabel gebraucht, und gerade die Schnelligkeit und Sicherheit derselben und die Ueberzeugung, daß einem solchen Angriffe selbst der Mensch erliegen müsse, brachte unter den Zuschauern die größten Schrecken hervor.« Von einem Naturforscher dürfte diese Schilderung wohl kaum herrühren; denn ein solcher würde bedacht haben, daß alle großen Raubvögel mehr oder weniger genau in derselben Weise verfahren. Daß die Beschreibung jedoch gewissen Schriftstellern, welche sich auf das Gebiet der Naturbeschreibung begeben haben, noch immer nicht schauerlich genug ist, beweist Masius, welcher sie verbessert, wie folgt: »Auf dieses Raubthier häufte die Natur in der That alle Schrecken des Blutdurstes und der Gewalt. Seine Größe übertrifft die des Kondors und des Bartgeiers (!); die Knochen, seine Läufe sind um das doppelte dicker, die Krallen fast doppelt so lang als am Steinadler; das ganze Knochengebäude ist gleichsam massiv und die Kraft und Schärfe seines schwarzen Schnabels so groß, daß er mit wenigen Schlägen den Schädel eines Rehes zerschmettert. Ein eulenartiger schwarzer Zopf, den er im Zorn aufrichtet, erhöht seine Furchtbarkeit. Schon der aufrecht sitzende und in steinerner Ruhe verharrende Vogel flößt Bangen ein, und niemand begegnet ohne Grausen dem starr-drohenden, weitgeöffneten Blick des großen Auges. Nichts aber kommt dem Schauspiele gleich, wenn nun beim Anblicke einer Beute diese Statue sich plötzlich belebt und mit triumphirender Wuth herabwirft. Ein Schlag auf den Hinterkopf, ein zweiter tief ins Herz hinein, und das Opfer athmet nicht mehr. Und diese Waffen werden mit einer so entsetzlichen Schnelle geschwungen, treffen mit einer so unfehlbaren Sicherheit, daß Jeder, wer es sah, überzeugt ward, einem solchen Angriffe müsse auch der Mensch erliegen. In der That soll er auch öfter den einsamen Wanderer jener sonst unbewohnten Wildnisse überfallen; doch nährt er sich meistens von Säugethieren, Rehen, Meerschweinen etc.« Ein Glück, daß die Auenwälder in Leipzigs Umgebung solche Scheusale nicht beherbergen, und der empfindsame Schreiber vorstehender Worte gegen »alle Schrecken des Blutdurstes und der Gewalt« gesichert ist!

Wir unsererseits werden wohl thun, wenn wir auch nachstehenden Bericht Pourlamaque's berücksichtigen. »Das Museum in Rio de Janeiro erhielt eine junge Harpyie vom Amazonenstrome, welche kaum fliegen konnte, nunmehr aber acht Jahre alt ist und einem Truthahn an Größe gleichkommt. Sie verharrt in ihrem Käfige zuweilen in der größten Ruhe, den Kopf in die Höhe geworfen, mit den Augen starr in dem Raume umhersehend und erscheint dann wirklich majestätisch; meistens aber läuft sie unruhig auf den Stäben hin und her. Wenn irgend ein Vogel vorbeifliegt, wird ihr Gesichtsausdruck augenblicklich wild; sie bewegt sich lebhaft und schreit dabei heftig. In Wuth versetzt, ist sie stark genug, die Eisenstäbe ihres Käfigs zu biegen. Ungeachtet ihrer langen Gefangenschaft ist sie nicht zahm geworden, hat nicht einmal ihrem Wärter Zuneigung geschenkt, ja denselben sogar einmal nicht unbedeutend an der Schulter verwundet. Gegen fremde Zuschauer ist sie wild, und wer sich unvorsichtig naht, setzt sich ihren Angriffen aus. Neckereien mit Stöcken und Schirmen rächt sie sofort, indem sie das vorgehaltene mit den Krallen packt und wüthend zerbricht. Gegen Thiere legt sie unbändige Wuth an den Tag. So zog sie eine trächtige Hündin, welche sich einst ihrem Käfige unvorsichtig näherte, sofort in denselben hinein und zerriß sie in Stücke; dasselbe that sie mit einem jungen Stachelschweine. Auch ihre Artgenossen überfällt sie. Als man ihr eine zweite lebendige Harpyie in den Käfig brachte, setzten sich beide sogleich in kampfgerechte Stellung. Die ältere stieg auf den oberen Stab und öffnete die Flügel, der kleine Neuling lehnte sich in derselben Stellung an. Der Wärter warf jetzt ein Huhn in den Käfig, auf welches der kleine Vogel im wilden Hunger losstürzte. Sogleich überfiel ihn der große, entriß ihm das Huhn und flog damit auf seine Stange. Der neue Ankömmling stieß einen Schrei aus, wankte, gab blutigen Schleim aus dem Schnabel und fiel todt nieder. Bei der Untersuchung ergab sich, daß sein Herz durchstoßen war.

»Der Hunger dieses Vogels ist unverwüstlich und seine Raubgier so groß, daß er alles Gethier, Vierfüßler wie Geflügel, dessen er habhaft werden kann, überfällt und mit Fleisch und Knochen verschlingt. Er bedarf eine beispiellos große Masse von Nahrung: als er noch klein war, fraß er an einem Tage ein Ferkel, einen Truthahn, ein Huhn und ein Stück Rindfleisch. Er weist nichts von sich; bloß besondere Leckerbissen legt er zuweilen einige Stunden bei Seite. Lebende Thiere zieht er den todten vor. Ist das Schlachtopfer schmutzig oder faulig, so wirft er es erst in seinen Trinkbehälter, um es zu reinigen. Trotz seiner Stärke ist er beim Angriffe vorsichtig. Kräftige Vögel packt er mit seinen Krallen so am Schnabel, daß sie sich nicht widersetzen können. Beim Fressen schreit er übrigens laut und schlägt dabei mit den Flügeln. Dieses Geschrei ist durchdringend, ja fast betäubend, während er, wenn er nicht erregt ist, nur wie ein Hühnchen piept. Bei starkem Hunger zischt er. Nach geschehener Mahlzeit putzt er sich Schnabel und Füße, seinen Koth schleudert er weit von sich, ohne sich dabei im geringsten zu beschmutzen.

»Als auffallend ist noch hervorzuheben, daß er das ganze Jahr hindurch mausert.«


Eine weit verbreitete, in sich scharf abgeschlossene Gruppe der Unterfamilie umfaßt die Seeadler ( Haliaëtus). Die hierher zu zählenden Adler sind große, meist sogar sehr große Raubvögel mit sehr starkem und langem, auf und vor der Wachshaut wenig aufgeschwungenem, vor ihr nach der scharf gekrümmten Spitze abwärts gebogenem Schnabel und kräftigen, nur zur Hälfte befiederten Fußwurzeln, gewaltigen Fängen, getrennten Zehen, langen, spitzigen und sehr gekrümmten Nägeln, großen Schwebeflügeln, in denen die dritte Schwungfeder die anderen überragt, und welche, zusammengelegt, beinahe das Ende des gewöhnlich mittellangen, breiten, mehr oder weniger abgerundeten Schwanzes erreichen sowie endlich ziemlich reichem Gefieder. Die Federn des Kopfes und Nackens sind nicht sehr verlängert, aber scharf zugespitzt. Ein mehr oder minder dunkles, lebhaftes oder düsteres Grau bildet die Grundfärbung; der Schwanz ist gewöhnlich, der Kopf oft weiß.


An allen Seeküsten Europas lebt häufig der See- oder Meeradler, Hasen- und Gänseadler, Fisch- und Steingeier, Bein- und Steinbrecher, »Oere« der Dänen, »Assa« der Isländer, »Hafsöre« der Schweden, »Orel« der Russen, »Merikotka« der Finnen, »Schometa« der Araber ( Haliaëtus albicilla, nisus, orientalis, borealis, islandicus, groenlandicus, cinereus, funereus und Brooki, Vultur und Aquila albicilla, Falco albicilla, albicaudus, ossifragus, pygargus und hinnularis), ein gewaltiger, je nach der Gegend in der Größe, weniger in der Färbung erheblich abändernder Adler von fünfundachtzig bis fünfundneunzig Centimeter Länge, fast zwei und einem halben Meter Breite, fünfundsechzig bis siebzig Centimeter Fittig- und dreißig bis zweiunddreißig Centimeter Schwanzlänge. Der ausgefärbte Vogel ist auf Kopf, Nacken, Kehle und Oberhals licht fahlgraugelb, durch die düster braune Färbung der Federwurzeln und die dunklen Schaftstriche undeutlich in die Länge gezeichnet; Oberrücken und Mantel sind düster erdbraun, alle Federn licht fahlgelblichgrau umrandet und durch dunkelbraune Schaftstriche geziert, Unterrücken und Unterseite einfarbig düster erdbraun, nach dem Schwanze zu etwas dunkler, die Schwingen schwarzbraun, die Schäfte der Federn weißlich, die Armschwingen lichter braun als die Handschwingen, die Federn des etwas zugerundeten Schwanzes endlich rein weiß. Vor der Mauser pflegt das Gefieder bis zu Gelblichfahlgrau verschossen zu sein. Augenring, Schnabel, Wachshaut und Füße sind erbsengelb. Junge Vögel unterscheiden sich von den alten durch dunklen Kopf und Schwanz, sowie das vorherrschend licht graubraune, infolge der dunkelbraunen Federenden überall streifig gefleckte Kleingefieder. Ihr Augenstern ist braungelb, der Schnabel hornbläulich, der Fuß grünlichgelb.

siehe Bildunterschrift

Seeadler.

Das Verbreitungsgebiet des Seeadlers fällt mit dem des Steinadlers fast zusammen. Der mächtige Vogel bewohnt ganz Europa, als Brutvogel erwiesenermaßen Deutschland, insbesondere Ost- und Westpreußen, Pommern, vielleicht auch einzelne Theile der Mark sowie Mecklenburg, außerdem Schottland, Skandinavien, Nord- und Südrußland, Ungarn, Siebenbürgen, die Donautiefländer, die Türkei und Griechenland, Italien, Kleinasien, Palästina und Egypten, nach Osten hin endlich ganz Nord- und Mittelsibirien. Am Ob erstreckt sich sein Brutgebiet anscheinend nicht weiter südlich als bis zum Norden des Altaigebirges: denn schon am oberen Irtisch wird er durch den Bandseeadler vertreten; nach Norden hin beobachtete ich ihn, soweit die Ufer des Ob bewaldet waren, wiederholt aber auch noch in der Tundra der Samojedenhalbinsel nördlich vom Ural, und es läßt sich wohl annehmen, daß er ebenso an den nördlichen Küsten der genannten Halbinsel gefunden wird, da er erwiesenermaßen auf Island, Spitzbergen, Nowaja Semlja und anderseits in Grönland vorkommt, und von Middendorf noch unter dem fünfundsiebzigsten Grade nördlicher Breite am Taimyr beobachtet wurde. Am Amur und im Norden Chinas ist er häufig, da sein Wohngebiet selbst die japanischen Inseln in sich schließt. Ob er im Norden des festländischen Amerika vorkommt, ist fraglich; eingesammelt hat man ihn hier, so viel mir bekannt, noch nicht.


Der bereits erwähnte Verwandte, welchen ich seiner Schwanzzeichnung halber Bandseeadler nennen will ( Haliaëtus leucoryphus, fulviventer, unicolor, albipes, lanceolatus und Macei, Falco leucoryphus und Macei, Aquila leucorypha, deserticola und Macei, Cuncuma albipes und Macei, Ichtyaëtus leucoryphus, Pontoaëtus leucoryphus und Macei) vertritt unseren deutschen Seeadler im aralokaspischen Steppengebiete, am oberen Irtisch und wahrscheinlich im ganzen südlichen Turkestan, da ihm Eversmann auf seiner Reise nach Bochara begegnete. Da der Vogel auch in Europa, namentlich an der unteren Wolga, in der Krim und Bulgarien gefunden wird, will ich erwähnen, daß er sich von unserem Seeadler durch geringere Größe, dunkelbraunen Ober- und lichtbraunen Unterkörper, fahlrostbraunen Kopf und Nacken, röthlich isabellfarbene Kehle und Oberhals und weißen, am Ende breit schwarz gebänderten Schwanz unterscheidet.

 

Ebenso darf der nordamerikanische Weißkopfseeadler ( Haliaëtus leucocephalus und Washingtoni, Falco leucocephalus, leucogaster und Washingtoni, Aquila leucocephala) unserem Werke nicht fehlen, nicht allein deshalb, weil er die europäische Art im Westen vertritt, sondern vornehmlich aus dem Grunde, als er sich wiederholt nach Europa verflogen haben und sogar im Innern Deutschlands, in Thüringen, erlegt worden sein soll. Er ist etwas kleiner als der Seeadler: seine Länge beträgt, je nach dem Geschlechte, zweiundsiebzig bis fünfundachtzig, die Breite einhundertundneunzig bis zweihundertundelf, die Fittiglänge zweiundfunfzig bis siebenundfunfzig, die Schwanzlänge siebenundzwanzig bis dreißig Centimeter. Bei dem alten Vogel ist das Rumpfgefieder sehr gleichmäßig dunkelbraun, jede einzelne Feder lichter gerandet; Kopf, Oberhals und Schwanz aber sind blendend weiß, die Schwingen schwarz, Auge, Wachshaut, Schnabel und Füße etwas lichter gefärbt als bei dem europäischen Verwandten. Das Jugendkleid ist fast überall schwarzbraun, am Kopfe, Halse und Nacken dunkler, beinahe ganz schwarz, auf Rücken, Flügeln und Brust der helleren Federränder wegen lichter, der Schnabel dunkelhornfarbig, die Wachshaut grüngelb, das Auge braun, der Fang gelb.

Hinsichtlich ihrer Lebensweise und ihres Betragens ähneln sich alle mir bekannten großen Seeadler. Sie sind träge, aber kräftige, ausdauernde und beharrliche Raubvögel, dabei Räuber der gefährlichsten Art. Ich halte es für angemessen, eine Beschreibung der Gruppe mit Audubons dichterischer Schilderung der weißköpfigen Art zu beginnen.

siehe Bildunterschrift

Weißkopfseeadler ( Haliaëtus leucocephalus). 1/5 natürl. Größe.

»Um Euch einen Begriff von dem Wesen des Vogels zu geben, erlaubt mir, daß ich Euch nach den Ufern des Mississippi versetze, wenn der nahende Winter Millionen von Wasservögeln, welche im Süden einen milderen Himmel suchen wollen, aus nördlicheren Gegenden herbeiführt. Ihr seht den Adler in erhabener Stellung aufgebäumt auf dem höchsten Wipfel des größten Baumes am Ufer des breiten Stromes sitzen. Sein glühendes Auge überschaut das weite Gebiet, und er lauscht aufmerksam auf jeden Laut, welcher von fern her zu seinem scharfen Ohre dringt. Ab und zu fällt einer seiner Blicke auf den Boden herab, und nicht einmal ein unhörbar dahinschleichendes Hirschkalb würde ihm entgehen. Sein Gatte hat auf dem gegenüberliegenden Ufer des Stromes gebäumt und ruft, wenn alles still und ruhig ist, zuweilen nach seinem harrenden Gefährten hinüber. Auf solchen Ruf hin öffnet dieser seine breiten Schwingen, neigt seinen Leib niederwärts und antwortet in Tönen, welche an das Gelächter eines Wahnsinnigen erinnern. Im nächsten Augenblicke nimmt er seine frühere Stellung an, und die Stille ist wieder eingetreten.

»Verschiedene Entenarten, die Spießente, die Pfeifente, die Stockente, ziehen eilig vorüber, dem Laufe des Stromes folgend; aber der Adler behelligt sie nicht. Im nächsten Augenblicke jedoch wird der wilde, trompetenartige Ton des von fern her sich nahenden Schwanes gehört. Ein Ruf des Adlerweibchens schallt über den Strom, um das Männchen aufmerksam zu machen. Dieses schüttelt plötzlich seinen Leib und bringt mit dem Schnabel das Gefieder in Ordnung. Der schneeige Vogel kommt jetzt in Sicht: sein langer Hals ist vorgestreckt; das Auge schaut in die Runde zur Wacht gegen die Feinde. Die langen Schwingen tragen, wie es scheint, mit Schwierigkeit das Gewicht des Leibes und werden deshalb unablässig bewegt; die beiden Ruderfüße müssen steuern helfen. Die vom Adler auserkorene Beute nähert sich. In dem Augenblicke, in welchem der Schwan an dem gefürchteten Paare vorüberzieht, erhebt sich der männliche Adler von seinem Sitze mit Furcht erregendem Geschrei, welches dem Ohre des Schwanes schrecklicher dünkt als selbst das Krachen des Gewehres. Jetzt ist der Augenblick erschienen, in welchem der Adler seine volle Kraft entfaltet. Er gleitet durch die Luft wie ein fallender Stern und stürzt sich wie ein Blitz auf das zitternde Wild, welches in Todesschrecken und Verzweiflung durch die verschiedensten Künste des Fluges dem toddrohenden Angriffe seines grausamen Gegners zu entrinnen sucht. Es steigt, wendet sich und würde sich in den Strom stürzen, wäre der Adler nicht bekannt mit allen Listen des Schwanes, und zwänge er ihn nicht, in der Luft zu verweilen. Der Schwan gibt die Hoffnung auf Entkommen auf, die Furcht übermannt ihn, und seine Kraft verläßt ihn, angesichts der Kühnheit und Schnelle seines Gegners. Noch einen verzweifelten Versuch zum Entrinnen, und der Adler schlägt ihm seinen Fang unter den Flügeln ein und zwingt ihn, mit unwiderstehlicher Kraft, sich gegen das nächste Ufer hin mit ihm niederzusenken.

»Jetzt könnt ihr alle Grausamkeiten des fürchterlichsten Feindes der befiederten sehen. Aufgerichtet über dem Opfer, welches unter ihm verhaucht, preßt er die gewaltigen Fänge zusammen und treibt die scharfen Klauen tief in das Herz des sterbenden Vogels. Er jauchzt vor Vergnügen in dem Augenblicke, während seine Beute unter ihm krampfhaft zusammenzuckt. Das Weibchen hat bis dahin jede Bewegung ihres Gatten beobachtet, und wenn es ihm nicht zu Hülfe kam, so geschah das nur, weil es fühlte, daß die Kraft und Kühnheit des Gemahls vollständig genügend waren. Jetzt aber schwebt es zu diesem herüber, und beide drehen nun die Brust des unglücklichen Schwanes nach oben und beginnen die Mahlzeit.«

Ein Dichter, wie Audubon es war, wird zur Schilderung des Angriffes eines Seeadlers auf wehrlose Beute die angegebenen Worte verwenden dürfen. Er hat das wirklich gesehene wiedergegeben: die lebendigen Farben seines Gemäldes sind wahrheitsgetreu. Leider kann ich, beengt durch den mir zugemessenen Raum, Audubon nicht weiter folgen; ich muß versuchen, das übrige, was ich über unseren Seeadler noch zu sagen habe, in möglichster Kürze zusammenzufassen.

Alle Seeadler verdienen ihren Namen. Sie sind vorzugsweise Küstenvögel, verlassen wenigstens bloß ausnahmsweise die Nähe des Wassers. Im Inneren des Landes kommen alte Seeadler fast nur an großen Strömen oder großen Seen vor; die jüngeren hingegen werden oft fern vom Meere gesehen: sie wandern in der Zeit, welche zwischen ihrem Ausfliegen und der Paarung liegt, das heißt mehrere Jahre, ziel- und regellos durch die weite Welt, und gelegentlich solcher Reisen erscheinen sie auch tief im Binnenlande, großen Strömen oder wenigstens Flüssen folgend. Solche Reisen geschehen größtentheils unbeachtet, weil die wandernden Seeadler gewöhnlich in sehr hoher Luft dahinziehen und sich nur da, wo Waldungen ihre Heerstraßen begrenzen, in die Tiefe hinabsenken mögen. Namentlich im Spätherbste und Frühjahre müssen viele durch Deutschland wandern, weil sich sonst ihr massenhaftes Auftreten an Beute versprechenden Plätzen nicht erklären ließe. »Während der sechzehn Jahre von 1843 bis 1859, in denen ich die Leitung der großen Hofjagden in der Letzlinger Heide hatte«, schreibt mir von Meyerinck, »erschienen jedes Jahr fast einen oder zwei Tage nach der Jagd sechs, acht bis zwölf Seeadler, welche den vielen Aufbruch der vier- bis fünfhundert erlegten Stücke Roth- und Schwarzwildes oder auch krankes und Fallwild, welches bei der Jagd angeschossen worden war, aufsuchten und dann längere Zeit im Reviere verweilten. Die Letzlinger Heide liegt von der Ostsee über sechshundert Kilometer weit entfernt, und doch konnten die Adler nur von dorther gezogen kommen, um sich in der Heide satt zu kröpfen. Die Hofjagden fielen damals stets zwischen den achtundzwanzigsten Oktober und zwanzigsten November; vorher aber habe ich niemals einen Adler in der Heide gesehen, trotzdem ich täglich zu allen Tageszeiten im Reviere war. Ich wage natürlich nicht auszusprechen, was die Adler so schnell herbeiführte; bloßer Zufall aber konnte es nicht sein, da diese Erscheinung sich fast alle Jahre wiederholte. Unter der Gesellschaft, welche sich rasch zusammenfand, sah man stets auch mehrere alte mit fast weißen Köpfen, sehr hellem Halse und weißen Schwanzfedern.« Ich glaube nicht, daß Meyerincks Annahme, die Adler seien nur deswegen von der Ostsee her zugewandert, um sich in der Letzlinger Heide satt zu kröpfen, zutreffend ist, bin vielmehr der Meinung, daß sie um die angegebene Zeit auf dem Zuge sich befanden, von der Höhe, in welcher sie dahinflogen, die ihnen winkende Beute bemerkten und sich allmählich scharten, ganz wie Geier unter ähnlichen Umständen zu thun pflegen. Von unseren deutschen Küsten werden die Seeadler allerdings nicht in jedem Winter vertrieben; diejenigen aber, welche östlich vom Warangerfjord am Eismeere, in Lappland oder Nordrußland horsten, müssen nothgedrungen auswandern, wenn ihr Jagdgebiet sich mit Eis oder ungewöhnlich hoch mit Schnee bedeckt, und sie sind es dann auch, welche einestheils längs der offenen Küsten, anderentheils mitten durch das Land längs der Flüsse nach Süden hin fliegen und sich in Südeuropa oder Nordafrika während des Winters denjenigen gesellen, welche hier wie da jahraus, jahrein an den Küsten leben. Aufmerksame Beobachtung ergibt wenigstens für Griechenland und Nordegypten, daß während des Winters die Seeadler weit häufiger sind als im Sommer. Alte Seeadler entschließen sich ungleich seltener als junge zum Wandern, einmal, weil sie ihren Stand ungern verlassen, und ebenso, weil sie sich in ihrem Räubergewerbe besser ausgebildet haben als jene. Sie wandern selbst nicht immer in Rußland oder anderen nordischen Binnenländern aus, sondern nähern sich im Winter einfach den Ortschaften, lungern und hungern in deren Nähe, bis ihnen Beute wird, sei es das Aas eines Hausthieres oder ein Hund oder eine Katze, ein Ferkel, Böcklein oder Zicklein, Huhn oder Truthuhn, eine Gans oder Ente. Bei uns zu Lande verweilen sie, wenn sie die Küstenwälder wirklich verlassen, an großen Landseen und beschäftigen sich fleißig mit Fisch- und Wassergeflügeljagd, bis die Seen zufrieren, kehren hierauf vielleicht nochmals an die See zurück und treten erst dann eine weitere Reise an, wenn keines ihrer gewohnten Jagdgebiete mehr Beute gewähren will. Wie übrigens ein Seeadler auch wandern möge: eine Wasserstraße verläßt er wohl nur im ärgsten Nothfalle. So viel mir bekannt, wird der alte wie der junge Vogel bloß ausnahmsweise einmal auch in wasserärmeren Gegenden, namentlich in Gebirgen, erlegt, obgleich es keinem Zweifel unterliegen kann, daß er solche überfliegt. Noch viel seltener dürfte es vorkommen, daß im Binnenlande, fern von Gewässern, ein Seeadlerpaar wohnen bleibt, das heißt seinen Horst auf einem der höchsten Bäume des Waldes gründet. Er meidet die Steppe nicht, entschließt sich im südlichen Rußland sogar, in ihr zu horsten, siedelt sich aber nur in der Nähe eines Stromes an.

Außer der Brutzeit lebt der Seeadler ziemlich gesellig, mehr nach Geier- als nach Adlerart. Ein günstig gelegener Wald oder Felsen wird zum Vereinigungs- oder Schlafplatze. Im Hochsommer übernachtet er gern auf kleinen Inseln, namentlich auf den Scheren, im Küsten- oder Binnenwalde auch auf hohen Bäumen und dann regelmäßig auf den unteren Wipfelästen, so daß er in dichteren Baumkronen fast verdeckt sitzt. Fesselt ihn reichliche Beute in der Nähe, so hält er an solchen Schlafplätzen beinahe mit derselben Zähigkeit fest wie am Horste, findet sich allabendlich ein und läßt sich auch durch wiederholte Störungen nicht vertreiben. Er geht sehr spät zur Ruhe und fliegt früh am Morgen, meist schon vor Aufgang der Sonne, davon, um sein Jagdgebiet zu durchstreifen. Findet er bald Beute, so kröpft er in den Vormittagsstunden und ruht, nachdem er den Schnabel geputzt und getrunken, über Mittag einige Stunden aus, nestelt im Gefieder, schläft auch wohl ein wenig und tritt des Nachmittags einen zweiten Jagdzug an, bis die Zeit zum Schlafen herangekommen ist.

Wie der Steinadler jagt auch der Seeadler auf alles Wild, welches er überwältigen kann, und macht außerdem von seinen unbefiederten, das Fischen erleichternden Fängen umfassenden Gebrauch. Den Igel schützt sein Stachelkleid ebensowenig wie den Fuchs sein Gebiß, der Wildgans ihre Vorsicht nicht mehr als dem Tauchvogel seine Fertigkeit, unter den Wellen zu verschwinden. An der Seeküste stellt er verschiedenen Meeresvögeln, namentlich Enten und Alken sowie Fischen oder Meersäugethieren, nach. Die Taucher sind, nach Wallengrens Bericht, mehr gefährdet als die nicht tauchenden Vögel. Diese erheben sich beim Anblicke des allgefürchteten Räubers so schnell sie können und entweichen, jene vertrauen oft zu viel auf die Wassertiefe, warten den Adler ruhig ab, tauchen und glauben sich gesichert, während der böse Feind doch nur darauf lauert, daß sie wieder zum Vorscheine kommen müssen. Sie entrinnen vielleicht zwei-, dreimal der verderbenden Klaue – beim vierten Auftauchen, wenn sie dem Ersticken nahe einen Augenblick länger verweilen als sonst, sind sie gefaßt und wenige Sekunden später erwürgt. Am Mensalehsee in Egypten, in Ungarn und in Norwegen habe ich den Seeadler oft beobachtet und immer gesehen, daß groß und klein, selbst andere Raubvögel, seine Nähe fürchtete; ich zweifle auch nicht daran, daß er den Fluß- oder Fischadler, seinen nächsten Verwandten, welchem er oft seine Beute abjagt, ebenso ruhig verzehren würde wie jedes andere Wild. Mit der Kühnheit und dem Bewußtsein der Kraft dieses Vogels vereinigt sich die größte Hartnäckigkeit. Alexander von Homeyer beobachtete, daß ein Seeadler sich wiederholt auf Meister Reineke stürzte, welcher, wie bekannt, seiner Haut sich wohl zu wehren weiß, und derselbe Forscher erfuhr von glaubwürdigen Augenzeugen, daß ein Adler bei einer derartigen Jagd den von ihm erspähten Fuchs beinahe umbrachte, indem er fortwährend auf ihn stieß, den Bissen des Vierfüßlers geschickt auszuweichen und alle Versuche des letztem, den nahen, deckenden Wald zu erreichen, zu vereiteln wußte. Daß die kleineren Herdenthiere aufs höchste durch diesen Adler gefährdet sind, ist eine bekannte Thatsache, daß er Kinder angreift, keinem Zweifel unterworfen: erzählt doch Nordmann, daß einer in Lappland sogar auf einen kahlköpfigen Fischer herabstieß und ihm den Skalp vom Schädel nahm, ebenso wie ein anderer aus einem Fischerboote einen eben gefangenen Hecht erhob, während der daneben sitzende Fischer beschäftigt war, das Netz in Ordnung zu bringen. An den Vogelbergen des Nordens findet auch er regelmäßig sich ein und zieht sich mit aller Gelassenheit die Bergvögel aus ihren Nestern hervor. Die Eidergänse fängt er wie oben beschrieben, die jungen Seehunde nimmt er dicht neben ihren Müttern weg, die Fische verfolgt er bis in die Tiefe des Wassers. Zuweilen mißglücken solche Versuche. Kittlitz hörte von den Bewohnern Kamtschatka's erzählen, daß der Seeadler manchmal von Delfinen, auf welche er gestoßen, in die Wassertiefe hinabgezogen und ertränkt werde, und Lenz erzählt folgendes: »Ein Seeadler schwebte Beute suchend über der Havel und entdeckte einen Stör; auf welchen er sogleich herabschoß; allein der kühne Adler hatte seiner Kraft zu viel zugetraut: der Stör war ihm zu schwer, und es war ihm unmöglich, denselben aus dem Wasser emporzuheben; jedoch war auch der Fisch nicht stark genug, den Adler in die Tiefe hinabzuziehen. Er schoß wie ein Pfeil an der Oberfläche des Wassers dahin; auf ihm saß der Adler mit ausgebreiteten Flügeln, so daß beide wie ein Schiff mit Segeln anzusehen waren. Einige Leute bemerkten dies seltene Schauspiel, bestiegen einen Nachen und fingen sowohl den Stör als den Adler, welcher sich so fest in den Fisch eingekrallt hatte, daß er seine Klauen nicht befreien konnte.« Derartige Fälle mögen wohl noch öfters vorkommen, als man annimmt. In den Steppen Südrußlands muß sich der Seeadler oft mit erbärmlichem Wilde begnügen. Hier bilden, laut Nordmann, wenn er seine Jagd fern von den Flüssen betreibt, kleine Steppensäugethiere und Vögel die hauptsächlichste Beute. Auf den Werstpfählen oder den zur Bezeichnung der Wege errichteten Erdhügeln, im Winter oft in unmittelbarer Nähe menschlicher Wohnungen, sitzend, lauert er auf Zisel und Eidechsen, und ebenso weiß er sich des unterirdisch wühlenden Blindmolls zu bemächtigen, indem er diesen mit größter Gewandtheit in dem Augenblick ergreift, in welchem derselbe seine Haufen aufstößt. In den Magen von mehr als einem Dutzend Seeadlern, welche Nordmann in den Steppen erlegt und untersucht hat, fanden sich niemals die Ueberreste von Fischen, sondern unabänderlich solche von Säugethieren, Vögeln und, obschon seltener, auch Eidechsen. Als Aasfresser steht der Seeadler den Geiern kaum nach. Selbst an der Küste nährt er sich nicht zum geringsten Theile von todten, an das Ufer gespülten Fischen; im Binnenlande verfehlt er nie, an einem gefundenen Aase sich einzustellen. In einem Walde in der Nähe der Stadt Jalutaroffsk am Tobol traf ich nicht weniger als acht Seeadler an, welche sich von dem Aase mehrerer Pferde kröpften und wahrscheinlich schon seit Wochen hier ihren Standort genommen hatten. Um diese Zeit war der Tobol freilich noch mit Eis bedeckt und an Fischen Mangel. Die Fertigkeit, mit welcher er auch verdeckt liegendes Aas aufzufinden weiß, ist staunenerregend; Meyerinck glaubt sich deshalb auch berechtigt, ihm besonders scharfe Witterung zuzusprechen. »Wenn man«, schreibt er mir, »in einer Dickung ein todtes Pferd auslegt, um Sauen und Füchse damit anzukirren, das Luder aber mit Erde und Reisigholz bedeckt, damit es nicht so schnell verzehrt werde, muß man doch bald bemerken, daß die Adler die Beute erspäht haben und das Pferd annehmen, trotzdem sie es aus der Luft nicht sehen konnten.« Ich glaube nicht, daß die Folgerung richtig ist, meine vielmehr, daß auch der Seeadler ebenso wie die Geier durch das um ein Aas sich sammelnde Gewimmel der Raben auf den verborgenen Fraß aufmerksam gemacht wird. Ungeachtet aller Uebergriffe und Verirrungen, welche der stattliche Raubvogel sich zu Schulden kommen läßt, sind und bleiben Fische seine Hauptnahrung; sie bilden daher das Wild, welchem er in erster Reihe nachstellt. An der Seeküste sowohl wie an Süßgewässern verweilt und horstet er nur der Fische halber. Niemals verfehlt er in der Nähe von Fischereistellen, welche liederlich bewirtschaftet werden, sich einzufinden, wird hier auch, wenn er keine Nachstellung erfährt, zuletzt so dreist, daß er wenige Schritte von den Fischerhütten entfernt aufbäumt und lungernd späht, ob etwas für ihn abfalle.

In ihren Begabungen stehen alle Seeadler hinter den Edeladlern zurück. Sie bewegen sich auf dem Boden vielleicht geschickter als diese und beherrschen, wie bemerkt, in gewissem Grade das Wasser; ihr Flug aber ermangelt der Gewandtheit und Zierlichkeit, welche den aller Edeladler in so hohem Grade auszeichnet. Ihr Flugbild ist ein von dem letztgenannter Adler verschiedenes: der kurze Hals und der kurze, stark zugerundete Schwanz im Verhältnisse zu den sehr langen aber wenig und fast gleichmäßig breiten Schwingen sind so bezeichnend, daß man sie kaum mit ihren edleren Verwandten verwechseln kann. Auch fliegen sie mit viel schwerfälligeren Schwingenschlägen und weit langsamer als diese, obwohl noch immer sehr rasch, auch wenn sie ohne Flügelschlag gleitend oder kreisend dahinschweben. Dagegen übertreffen sie die Edeladler in einer Fertigkeit, welche nur wenigen Raubvögeln eigen ist, in der Gewandtheit nämlich, mit welcher sie das Wasser beherrschen. Auch der Seeadler ist ein Stoßtaucher wie der Fischadler und der Fischgeier und wetteifert in dieser Beziehung mit jeder Möve oder Seeschwalbe. Nach einer dem schwedischen Naturforscher Nilsson gewordenen Mittheilung eines trefflichen Beobachters legt er sich zuweilen, um auszuruhen, geradezu auf die Meeresfläche, als ob er ein Schwimmvogel wäre, bleibt, so lange es ihm gefällt, auf den Wellen liegen, richtet, wenn er auffliegen will, die Schwingen fast senkrecht empor und erhebt sich mit einem einzigen Flügelschlage vom Wasser. Die Sinne stehen mit denen der Edeladler ungefähr auf gleicher Höhe. In geistiger Hinsicht unterscheiden sie sich zu ihrem Nachtheile. Das adlige Wesen, welches wir dem Steinadler zusprechen, fehlt ihnen: sie sind nicht blos muthig, sondern auch grausam. Ich habe gesehen, daß zwei Bussarde, welche ich zu dem Steinadler in den Käfig brachte, auf diesem sich niederließen und von ihm geduldet wurden, sowie der Löwe ein Hündchen duldet: dieselben Bussarde waren, als ich sie in den Käfig der Seeadler brachte, nach wenigen Minuten bereits erdrosselt. Dehne erfuhr etwas ganz ähnliches: sein zahmer Seeadler erwürgte sofort den verwandten Flußadler, welchen man zu ihm gesperrt hatte. Gefangene der Thiergärten liegen mit den Geiern im beständigen Streite, und wenn diese sich nicht ihrer Haut zu wehren wüßten, würden selbst sie wahrscheinlich von jener Krallen zu leiden haben.

Im März schreitet der Seeadler zur Fortpflanzung. Es ist wahrscheinlich, daß auch er mit seinem Weibchen in treuer Ehe auf Lebenszeit lebt, demungeachtet hat er mit jedem vorüberziehenden Männchen schwere Kämpfe zu bestehen, und ein ungünstiger Ausgang desselben kann ihm möglicherweise die Gattin kosten. »Zwei männliche Seeadler«, erzählt Graf Wodzicki, »welche ich längere Zeit beobachten konnte, kämpften fortwährend mit einander. Sie stießen mit Schnabel und Krallen gegen einander, geriethen dabei öfters bis auf den Boden herunter und setzten hier ihren Kampf fort, nach Art der Hähne, nur mit dem Unterschiede, daß sie keinen Anlauf nahmen. Jeder Kampf hinterließ viele Federn, auch wohl Blut auf dem Boden. Das Weibchen, welches entweder um die Kämpfer kreiste oder sich in deren Nähe niedergelassen hatte, liebkoste den Sieger jedesmal, so oft er zu ihm kam, und dabei konnte man die merkwürdige Beobachtung machen, daß beide Männchen von dem Weibchen gleich gut aufgenommen wurden, sobald sich eines im Kampfe ausgezeichnet hatte. Da der eine männliche Adler jünger als der andere war, konnte man die Kämpfer nicht verwechseln. Das mörderische Spiel währte etwa zwei Wochen lang, und die Adler schienen dabei so aufgeregt zu sein, daß sie während des Tages gar nicht nach Nahrung suchten. Nachts schliefen sie unweit des Gewässers auf zwei hohen Eichen, ein Paar, wie es schien, der Sieger mit dem Weibchen, auf der einen, der Besiegte auf der andern. Nach einem vollen Monat wurde in Erfahrung gebracht, daß man einen Seeadlerhorst in den benachbarten Waldungen entdeckt hatte. Das Junge wurde einige Wochen später ausgehoben, und die Alten kamen nun auf den Frühlingsplatz zurück. Da gesellte sich wiederum ein dritter zu ihnen, und der Kampf fing von neuem an. Eines Tages rauften sich die Adler wieder in der Luft lange Zeit und stürzten hierauf zur Erde. Der eine überrumpelte den anderen, hieb denselben tüchtig mit dem Schnabel, sprang endlich auf seinen Todfeind, ergriff mit der einen Kralle den Hals desselben und stemmte sich mit der anderen auf den Bauch. In dieser Stellung überraschte sie ein Heger mit einem tüchtigen Knittel. Der besiegte Adler klammerte sich krampfhaft an den Lauf des Siegers und an dessen einen Flügel. Beide kollerten sich einigemal auf dem Boden herum und richteten sich wieder empor. Der Heger näherte sich indeß bis auf wenige Schritte; die Adler aber rauften sich weiter und so konnte der Mann den einen dermaßen auf den Kopf schlagen, daß er zusammenstürzte. Der andere, obgleich ganz blutig, ließ aber den todten dennoch nicht los, sondern richtete sich empor und sah den Heger so starr an, daß dieser erschrak und ein paar Schritte zurücksprang. Erst nach einiger Zeit schien der Adler seine gefährliche Lage begriffen zu haben, ließ seinen Feind los und erhob sich langsam in die Luft. Wäre der Heger nicht so erschrocken gewesen, so hätte er unbedingt beide Adler mit dem Stocke erschlagen können. Es ist wohl mit Sicherheit anzunehmen, daß der dritte Adler den Frühling einsam verlebt und gleich dem Korsikaner seine Rache genährt hatte, welche er nunmehr auch bei der ersten Gelegenheit so grausam bethätigte.« Auch in Ungarn wurde mir erzählt, daß man die dort häufigen Seeadler nicht selten in hoher Luft kämpfen sieht. Zwei in einander verkrallte Männchen stürzten einmal, angesichts meines Gewährsmannes, des Försters Ruzsovitz in die Donau und trieben, ein wirrer Federknäuel, geraume Zeit mit dem Strome dahin.

Der Stand des Horstes richtet sich nach den Umständen. Ueberall da, wo steile Klippen unmittelbar an das Meer herantreten, sucht sich der Seeadler hier eine geeignete Niststelle; da, wo Waldungen die Küste oder die Ufer breiter Flüsse besäumen, wählt er hierzu in ihnen einen hohen Baum; da, wo an einem fischreichen Gewässer höhere Bäume fehlen, begnügt er sich oft mit erbärmlichen Büschen, welche den schweren Bau kaum zu tragen vermögen, oder sogar mit Röhricht, indem er in den hohen, dichtesten und undurchdringlichsten Beständen auf einer weiten Fläche die Rohrstengel zusammenknickt, bis sie eine genügend feste Unterlage für den kaum meterhoch über der Wasserfläche stehenden Horst bilden; in der Steppe endlich hilft er sich, so gut als er kann, an den Steppenseen wahrscheinlich ebenfalls mit Röhricht, und im Nothfalle kommt es ihm auch nicht darauf an, sein Genist auf dem Boden zu ordnen. Längs der ganzen Küste der Ostsee, wo er noch regelmäßig horstet, wählt er, laut Holtz, stets hohe Bäume, welche ihm freie Aussicht auf die angrenzenden Waldstrecken, Wiesen und Gewässer gestatten, insbesondere Kiefern, außerdem Buchen und Eichen. Der Horst selbst ist unter allen Umständen ein gewaltiger Bau von anderthalb bis zwei Meter Durchmesser und dreißig Centimeter bis ein Meter Höhe und darüber; denn auch er wird von einem Paare wiederholt benutzt und durch jährliche Aufbesserung im Verlaufe der Zeit bedeutend erhöht. Armsdicke Knüppel bilden den Unter-, dünnere Aeste den Oberbau; die sehr flache Nestmulde ist mit zarten Zweigen bedeckt und mit trockenen Gräsern, Flechten, Moosen und dergleichen ausgekleidet. Gelegentlich des wiederholt erwähnten Jagdausfluges des Kronprinzen Rudolf von Oesterreich wurden von uns neunzehn Horste besucht. Von ihnen standen sechs auf Eichen, ebensoviele auf Schwarz-, fünf auf Silberpappeln und zwei auf Buchen, die meisten in Beständen der Donauinseln, einige in den herrlichen Waldungen der Fruschkagora, in der Luftlinie vier bis fünf Kilometer vom Strome entfernt. Zwei von allen waren in den höchsten Wipfelzweigen, drei auf Nebenästen, alle übrigen auf Gabelästen nahe am Hauptstamme angelegt. Zu sechs Horsten waren starke Knüppel, zu sämmtlichen anderen Zweige von kaum mehr als Daumenstärke verwendet worden. Obwohl einzelne seit sechzehn Jahren regelmäßig benutzt wurden, fanden sich auffallend große Horste doch in der Minderzahl; die Mehrzahl war fast unverhältnismäßig klein. Die größten Horste hatten die ältesten Adler inne. Mit Ausnahme von zwei Horsten waren alle von Feldsperlingen zahlreich bevölkert.

Gegen Ende des März, selten früher, meist noch etwas später, findet man das vollständige Gelege, welches aus zwei, höchstens drei, verhältnismäßig kleinen, nur siebenundsechzig bis dreiundsiebenzig Millimeter langen, dreiundfunfzig bis siebenundfunfzig Millimeter dicken, vielfach abändernden Eiern besteht. Die Schale ist dick, rauh und großkörnig, die Färbung verschieden; es gibt kalkweiße Eier ohne alle Flecke und solche, welche auf ähnlichem Grunde mehr oder weniger mit röthlichen, braunen und dunkelbraunen Flecken bedeckt sind. Wie lange die Brutzeit währt, ist zur Zeit noch nicht mit Sicherheit bestimmt; wohl aber weiß ich, daß der männliche Adler dem Weibchen beim Brüten hilft, zur Ruhe stets in einer gewissen Entfernung vom Horste auf einem bestimmten, weite Umschau gestattenden Felsen oder dürren Zacken bäumt, und bei dem geringsten Anscheine von Gefahr sofort herbeieilt, um die Gattin zu unterstützen. Ein Vorfall, welchen ich beobachtete, läßt mich glauben, daß er der letzteren auch thätliche Hülfe leistet oder doch zu leisten sucht. Ich hatte in der Fruschkagora einen weiblichen Seeadler schwer angeschossen und gab dem mich begleitenden Jäger des Kronprinzen Rudolf den Auftrag, in der Tiefe des Thales, zu welcher er hinabgeflattert war, nach ihm zu suchen. Da vernehme ich ein gewaltiges Brausen über, neben und unter mir, als ob eine rasende Windsbraut im Anzuge sei, sehe einen mächtigen Vogel an meiner Hütte vorbeisausen und erfahre später von dem Jäger, daß ein Seeadler auf ihn gestoßen und sich ihm mit weit vorgestreckten Fängen bis auf halbe Flintenschußweite genähert, er aber für das Beste erachtet habe, hinter einem Baumstamme Schutz gegen den Raubvogel zu suchen. Da sich nur ein Seeadlerpaar in der Nähe befand, dürfte der Schluß gestattet sein, daß es das Männchen gewesen war, welches an dem Menschen, dessen Tücke sein Weibchen zum Opfer gefallen, Rache zu nehmen versuchte. Am Horste selbst sind ähnliche Angriffe meines Wissens nicht beobachtet worden; der Seeadler zeigt sich hier im Gegentheile stets vorsichtig, scheu und ängstlich. Das brütende Weibchen sitzt nicht besonders fest auf den Eiern, verläßt diese meist nach dem ersten Anklopfen, kehrt nicht immer bald zurück und kreist gewöhnlich erst lange über dem Nistbaume, bevor es wieder zu Horste geht. Für die ausgeschlüpften Jungen schleppen beide Eltern, nach anderer Adler Art, Nahrung in Hülle und Fülle herbei, zeigen sich um so dreister, je mehr die Sprößlinge heranwachsen und wandeln den Horst nach und nach zu einer wahren Schlachtbank um, auf welcher man die Reste der allerverschiedensten Thiere, namentlich aber von Fischen und Wassergeflügel, findet. Sobald sie Beute erhoben haben, eilen sie schnurstracks dem Horste zu und durchfliegen dabei, wie vom Grafen Bombelles, einem Mitgliede unserer Jagdgesellschaft in Ungarn, festgestellt wurde, Strecken von vier bis fünf Kilometer so rasch, daß sie mit noch zappelnden Fischen bei ihren hungernden Kindern anlangen. Wenn sie mit Beute beladen sind, vergessen sie auch alle sonst üblichen Vorsichtsmaßregeln, kreisen nicht über dem Horste, sondern stürzen sich wie ein fallender Stein so schnell in schiefer Richtung in denselben, daß selbst ein fertiger Jäger nicht zu Schusse gelangt. Fällt, was nicht allzuselten geschieht, ein Junges aus dem Horste, ohne dem Sturze zu erliegen, so atzen sie es unten weiter, als ob es noch im Horste säße. Wird das Weibchen getödtet, so füttert das Männchen allein die Jungen auf. Unter günstigen Umständen brauchen letztere zehn bis vierzehn Wochen, bevor sie den Horst verlassen, kehren aber nach dem Ausfliegen noch oft zu ihm zurück. Erst gegen den Herbst hin trennen sie sich von ihren Eltern.

Raubt man einem Seeadlerpaare das erste Gelege, so entschließt es sich zuweilen, jedoch nicht immer, zu einer zweiten Brut. Das Weibchen legt dann aber selten mehr als ein Ei, gewöhnlich in demselben Horst. An letzterem hängt das Paar überhaupt mit der den Adlern insgemein eigenen Zähigkeit fest. Selbst nach wiederholten Störungen verläßt es die Gegend nicht, und wenn der Winter einigermaßen günstig ist, verweilt es auch in der kalten Jahreszeit in der Nähe des Horstes, welcher so recht eigentlich zum Mittelpunkte seines Gebietes wird.

Der Seeadler erweist sich nur aus dem Grunde minder schädlich als der Steinadler, als er einen großen Theil seiner Nahrung aus der See erhebt. In Ungarn wissen die Jäger von seiner Schädlichkeit nicht viel zu berichten. Man gönnt ihm die Fische, welche er aus der reichen Donau und ihren Altwässern erhebt, und rechnet ihm Uebergriffe nicht eben hoch an. Nicht anders ist es in Rußland und Sibirien. Ueberall aber, wo er in der Nähe der Ortschaften horstet und die Felder ringsum, zuweilen sogar die Gehöfte selbst, auf seinen Raubzügen heimsucht, steht er dem Steinadler nicht nur nicht nach, sondern übertrifft ihn womöglich noch hinsichtlich seiner Eingriffe in menschliches Besitzthum. Von unserem Hausgeflügel ist höchstens die fluggewandte Taube vor ihm gesichert; unter kleineren oder jungen Haussäugethieren erwählt er sich gar nicht selten ein Opfer; in der Wildbahn endlich richtet er erheblichen Schaden an. Kein Wunder daher, daß jedermanns Hand über ihm ist. Doch weiß er die meisten Nachstellungen geschickt zu vereiteln. Er ist immer scheu, läßt sich weder unterlaufen, noch leicht beschleichen, erhebt sich, gleichviel ob er gebäumt hat oder auf dem Boden sitzt, schon in mehr als Büchsenschußweite, und wird, wenn er mehrfach Nachstellungen erfahren hat, so vorsichtig, daß ihm in der That kaum beizukommen ist. Am leichtesten erlegt man ihn vor der Krähenhütte, da auch er den Haß der übrigen Tagraubvögel gegen den Uhu bethätigt, und ebenso, wenn man sich das Warten nicht verdrießen läßt, mit Sicherheit vor der Luderhütte. Leichter als mit dem Gewehre erbeutet man ihn in Fanganstalten der verschiedensten Art, ohne sonderlichen Zeitverlust namentlich in Tellereisen, welche man rings um ein frei ausgelegtes, weithin sichtbares Aas aufstellt. In den für Füchse geköderten Schwanenhälsen fangen sich alljährlich einige, deren scharfem Auge der schmale Abzugsbissen doch nicht entging. Ausnahmsweise bringt ihn seine Raubgier noch in anderweitige Gefahren: so wurde am achtundzwanzigsten December 1853 in der Forchheimer Gegend ein junger Seeadler, welcher sich längere Zeit hindurch in der Nähe umhergetrieben hatte, im Hofe eines Bauernhauses lebendig gefangen und erschlagen. In Norwegen führt man aus Steinen kleine Hütten auf, legt in einiger Entfernung von denselben ein Fleischstück auf den Boden und befestigt dasselbe an einem langen Stricke, dessen anderes Ende der in der Hütte sitzende Fänger in der Hand hält. Sobald der Raubvogel auf die Beute niederstürzt, zieht jener das Fleischstück zu der Hütte heran, der Vogel will das einmal gefaßte nicht loslassen und wird schließlich von dem Manne entweder ergriffen oder erschlagen. Daß ersteres mit einiger Vorsicht zu geschehen hat, ist selbstverständlich; denn ein Seeadler ist sich seiner Kraft wohl bewußt und weiß sich im Nothfalle seiner Fänge in gefährlicher Weise zu bedienen. Er weicht dem Menschen aus, so lange als möglich, vertheidigt sich aber, wenn er gepackt wird, mit mehr und mehr sich steigernder Wuth und ist dann gewiß ebenso gefährlich wie die »Bangen und Grausen einflößende« Harpyie. Der getödtete Seeadler findet bei uns zu Lande höchstens durch den Ausstopfer Verwendung, wird aber in Süditalien, wenigstens auf Sicilien, noch anderweitig benutzt, nämlich – gegessen.

Im Käfige benimmt sich der Seeadler anfänglich ungestüm, geht selbst seinem Wärter zu Leibe, wird aber bald zahm und tritt dann mit dem Menschen in ein wahres Freundschaftsverhältnis. Den Vorstehern aller Thiergärten sind Seeadler aus diesem Grunde lieb und werth. Sie begrüßen ihren Gebieter, so oft sie ihn sehen, mit hellem, frohem Geschrei und erfreuen ihn besonders dadurch, daß sie ihn genau von allen übrigen Menschen zu unterscheiden wissen. Mit der Zeit gewöhnen sie sich so an die Gefangenschaft, daß sie die glücklich wieder erlangte Freiheit kaum mehr zu schätzen wissen. Ein von mir gepflegter Seeadler trieb sich tagelang in der Umgegend umher, kehrte täglich, wahrscheinlich wohl angelockt durch den Ruf seiner Genossen, zurück und wurde schließlich auf deren Gebauer wieder gefangen. Bei einigermaßen ausreichender Pflege halten sie sich in Gefangenschaft ebenso lange wie irgend eine andere Art ihrer Verwandtschaft. Fälle, daß Seeadler bis vierzig Jahre im Käfige gelebt haben, sind mehrfach vermerkt worden. Bei denen, welche so lange in Gefangenschaft waren, beobachtete man, daß sie erst nach dem zehnten oder zwölften Jahre ihr Alterskleid erhielten oder, was auch vorgekommen, Eier legten. Ein Weibchen, welches Panier gefangen hielt, legte alljährlich ein Ei und vertheidigte es mit seinen gewaltigen Waffen gegen jedermann, Beweis genug, daß in einem großen Flugkäfige eingebauerte, vor jeder Störung bewahrte Seeadler in der Gefangenschaft offenbar auch zur Fortpflanzung schreiten würden.

 

Ostasien beherbergt den größten aller Seeadler ( Haliaëtus pelagicus), Afrika den prachtvollsten ( Haliaëtus vocifer und clamans, Falco und Pontoaëtus vocifer, Aquila und Cuncuma vocifera). Er ist einer der schönsten aller Raubvögel überhaupt, eine wahre Zierde der Gegenden, welche er bewohnt. Beim alten Vogel sind Kopf, Hals, Nacken und Oberbrust sowie der Schwanz blendend weiß, Mantel und Schwingen bläulichschwarz, der Flügelrand, das heißt alle Oberflügeldeckfedern vom Elnbogengelenke an bis zum Handgelenke, und die Unterseite prächtig braunroth, Augenring, Wachshaut und Füße lichtgelb, Ober- und Unterschnabel bläuschwarz. Bei dem jungen Vogel sind die Federn des Oberkopfes schwarzgraubraun, mit Weiß gemischt, Nacken und Hinterhals weiß, mit Braungrau gemischt, die Mantelfedern schwarzbraun, der Obertheil der Schultern und der Unterrücken weiß, die Federn mit braunschwarzen Spitzenflecken gezeichnet, Vorderhals und Oberbrust auf weißem Grunde braun in die Länge gefleckt, die übrigen Untertheile weiß, auf der Oberbrust hier und da durch bräunliche Schaftstreifen oder durch braune Spitzenflecken gezeichnet, die Schwungfedern braun, an der Wurzel weiß, die Steuerfedern endlich weißlich, braun besprenkelt und braun zugespitzt. Erst nach mehrfacher Mauser und wahrscheinlich nach theilweiser Verfärbung, wie solche bei dem nordamerikanischen Seeadler stattfindet, geht das Jugendkleid in das des ausgefärbten Vogels über. Die Länge beträgt achtundsechzig bis zweiundsiebzig, die Fittiglänge funfzig, die Schwanzlänge funfzehn Centimeter.

siehe Bildunterschrift

Schreiseeadler ( Haliaëtus vocifer). 1/5 natürl. Größe.

Der Schreiseeadler, wie wir den Vogel nennen können, wurde zuerst von Levaillant in Südafrika, von anderen später in Westafrika aufgefunden und von mir und früheren Reisenden häufig im Inneren Afrikas beobachtet. Sein Verbreitungsgebiet erstreckt sich über den größten Theil der Gleicherländer Afrikas oder ungefähr vom achtzehnten Grade nördlicher Breite an bis zum Kaplande hinüber. Er bewohnt letzteres, ganz Ostafrika bis zum Einflusse des Atbara in den Nil, von hier aus nach Westen hin alle Ströme, Flüsse und Seen des Inneren und im Westen vom Senegal an bis zum Vorgebirge der Guten Hoffnung wiederum die für ihn geeigneten Oertlichkeiten. Levaillant behauptet, daß er in Südafrika regelmäßig an der Seeküste und nur ausnahmsweise an großen Flüssen lebe; ich aber fand ihn ausschließlich am Blauen und Weißen Nile auf und sah ihn niemals an der Küste des Rothen Meeres oder des Meerbusens von Aden. Heuglin stimmt mit mir vollständig überein, ergänzt meine Beobachtungen aber insofern, als er bemerkt, daß unser Adler zuweilen auch an kleinen, oft halbausgetrockneten Regenbetten gefunden werde, vorausgesetzt, daß sie mit Hochwald eingesäumt sind. Vom Zusammenflusse der beiden gedachten Ströme an nach Süden hin ist er nirgends selten; weiter nördlich begegnet man ihm nur ausnahmsweise. Sein eigentliches Wohngebiet bilden im Sudan die Urwaldungen, und hier muß man ihn sehen, um seine volle Schönheit zu würdigen. Ein Paar Schreiseeadler auf einem mit Schlingpflanzen überwebten, über den Stromspiegel gebeugten Baume gewährt ein herrliches Bild, und so verwöhnt auch das Auge des Forschers wird in jenen Gegenden, wo es an farbenprächtigen Vögeln wahrhaftig nicht mangelt: dieser Raubvogel reißt stets zur Bewunderung hin.

In seiner Lebensweise und im Betragen gleicht der Schreiseeadler seinen Verwandten. Er lebt nach der Brutzeit dann und wann vielleicht auch einmal gesellschaftlich wie seine großen Verwandten, in der Regel aber stets paarweise. Jedes einzelne Paar beherrscht ein Gebiet von etwa drei Kilometer Durchmesser. In diesem streift es in den Morgenstunden auf und nieder, erhebt sich mittags, um zu spielen, hoch in die Luft, kreist hier halbe Stunden lang und stößt dabei einen gellenden Ruf aus, welchen man auf weithin vernimmt. »Die Stimmmittel dieses Vogels«, sagt Schweinfurth, den er besonders begeistert zu haben scheint, »sind ohne gleichen in der gefiederten Welt. Stets unerwartet ertönt sein Geschrei, welches die Wasserfläche des Stromes weit hinträgt. Bald glaubt man die Stimmen in Furcht und Schrecken gesetzter Weiber zu vernehmen, bald einen Haufen übermüthiger Knaben, welche sich unter Jauchzen und Schreien aus ihrem Verstecke hervorstürzen. Die Täuschung ist so vollständig, daß ich mich stets überrascht nach dem Urheber des Geschreies umwenden mußte, so oft ich auch im Verlaufe der Jahre diesem Vogel zu begegnen Gelegenheit fand. Da das Geschrei an ihm die Hauptsache zu sein scheint, so führt er bei den Sudanesen den bezeichnenden Namen Fakië, das heißt der Priester.« Wenn er fliegend schreit, werden seine Bewegungen so heftig, daß man zuweilen glaubt, er werde sich in der Luft überschlagen. Nachmittags und gegen Abend ruht das Pärchen, auf Baumwipfeln oder auf angeschwemmten Bäumen sitzend, mehrere Stunden lang aus, einer der Gatten dicht neben dem anderen. Eine neue Erscheinung wird von dem einen oder dem anderen gewöhnlich mit Geschrei begrüßt; dabei beugt der Vogel wie andere Seeadler den Kopf weit nach hinten, schlägt den Schwanz, fächerartig ausgebreitet, nach oben über die Flügel hinaus und stößt nun die lauten, gellenden Töne mit aller Kraft aus der Brust hervor. Jedes Paar wählt sich seine Lieblingssitze, und wenn man diese ausgekundschaftet hat, kann man es mit aller Bestimmtheit zu der angegebenen Tageszeit erwarten. Zur Nachtruhe erwählt der Schreiseeadler jedoch wieder dichtere Waldtheile, wo er sich dann von den kreischenden Papageien, welche ebenfalls hier wohnen, in den Schlaf singen läßt. Levaillant fand den Vogel scheu und vorsichtig; ich habe das Gegentheil beobachtet. Im Sudan werden auch diese Seeadler niemals verfolgt, und so betrachten sie den Menschen höchstens mit Verwunderung, niemals jedoch mit Furcht. Erst wiederholte Verfolgung macht sie scheu; ich habe aber erfahren, daß ein aufgebäumter Schreiseeadler eine Büchsenkugel an sich vorbeipfeifen ließ, ohne aufzufliegen, und diese Unvorsichtigkeit mit dem Tode büßen mußte, welchen ihm die zweite Kugel beibrachte.

Die Nahrung besteht aus Fischen und Aas. Auf erstere stößt er, wie der Flußadler, aus hoher Luft hernieder, taucht ihnen bis tief in das Wasser nach und hebt sich dann mit gewaltigen Flügelschlägen schwerfällig wieder empor. Letzteres besucht er, wenn er es am Lande entdeckt, oder erhebt es aus dem Wasser, falls es im Strome hinabschwimmt. Hartmann erfuhr durch die Sudanesen, daß er auch große Muscheln aus dem Wasser hole und auf Felsen zerschelle. Die glücklich gewonnene Beute trägt er nach Inseln hin, und hier, hart am Rande des Wassers, verzehrt er sie. Ich sah ihn einen Reiher eifrig verfolgen und beobachtete, daß er einen von uns angeschossenen Milan verzehrte, glaube jedoch nicht, daß er ein großer Jäger auf höhere Wirbelthiere ist, wie Levaillant dies angibt, weil er Gazellenknochen unter den Resten seiner Mahlzeit fand. Gegen andere Raubvögel zeigt sich der Schreiseeadler keineswegs gutmüthig, greift namentlich die Geier mit Heftigkeit an, und bleibt, Dank seiner größeren Gewandtheit, regelmäßig Sieger. Beeinträchtiger seines Gewerbes duldet er nicht. Heuglin sah, wie er am Kofangaflusse sich schreiend auf einen anderen Raubvogel warf und ihm einen Fisch abjagte; Livingstone beobachtete mehrfach, wie er Pelekane so lange quälte, bis sie die gefangenen Fische aus dem Schlunde hervorwürgten und ihm überlieferten. Dagegen muß auch er seinerseits sich brandschatzen lassen. Ein Weibchen des Schreiseeadlers hatte einen großen Fisch erhoben und verzehrte ihn auf einer uns gegenüber liegenden Sandbank im Blauen Strome. Mit Hülfe eines trefflichen Fernrohres konnte ich jede seiner Bewegungen wahrnehmen. Der Fisch wurde zuerst abgehäutet und dann höchst sorgsam entfleischt. Während dieser Beschäftigung erschien ein Krokodilwächter (Hyas aegyptiacus), nahete sich dem Adler und begann die Mahlzeit mit ihm zu theilen. Es war höchst anziehend, das Benehmen des kleinen, muthigen Schmarotzers zu beobachten. Blitzschnell kam er an die Tafel gelaufen, nahm sich rasch ein paar Brocken und verzehrte sie in einiger Entfernung. Der Adler drehte dann und wann, scheinbar mit einer gewissen Gutmüthigkeit, den Kopf nach ihm, machte aber keine Miene ihn anzugreifen. Demungeachtet zweifle ich nicht, daß der Krokodilwächter seine Sicherheit nur seiner Schnelligkeit und Gewandtheit zu danken hatte. Sein Amt beim Krokodile mochte ihm wohl gelehrt haben, wie er sich an großer Herren Tafel zu verhalten habe.

Wahrscheinlich horstet unser Vogel im Sudân zu Anfange der großen Regenzeit, während welcher wir die Urwaldungen nicht besuchen konnten. Später, in den letzten Monaten unseres Jahres, fanden wir keines der Paare horstend, und deshalb weiß ich aus eigener Erfahrung nichts über das Brutgeschäft mitzutheilen. Nach Levaillant erbaut sich das Paar auf den Wipfeln hoher Bäume oder auf Felsen einen großen Horst, welcher mit weichen Stoffen ausgefüttert wird, und das Weibchen legt zwei oder drei reinweiße Eier. Heuglin nimmt, abweichend von mir, an, daß die Paarung in die Monate Februar und März fallen dürfte, weil man zu jener Zeit am häufigsten den lauten Ruf der Männchen durch den Urwald hallen hört. Nach Antinori sollen sich die Schreiseeadler im Fluge begatten, und auch Heuglin hat gesehen, daß sie raufend und spielend ebensowohl durch dichtes Astwerk der Bäume, als hoch in der Luft sich verfolgen, plötzlich fast auf die Wasserfläche herabstürzen, eine Zeitlang niedrig über einander hinkollern und daun wiederum sich erheben, um aufs neue ihre Raufereien zu beginnen. Weitere Angaben über die Fortpflanzungsgeschichte sind mir nicht bekannt.

In der Gefangenschaft benimmt sich der Schreiseeadler wie seine übrigen Verwandten. Er wird bald zahm und begrüßt seinen Gebieter durch sein laut gellendes Geschrei. Nach den bisherigen Beobachtungen scheint er unser rauhes Klima ohne Beschwerde zu ertragen. Die gefangenen der Thiergärten werden jahraus, jahrein im Freien gehalten.


Nicht ohne Widerstreben schalte ich an dieser Stelle einen Raubvogel ein, welcher zwar von den neueren Forschern allgemein zu den Adlern gezählt wird, in seiner Gestalt aber soviel mit den Geiern gemein hat, daß man auf den ersten Blick hin eher geneigt sein wird, ihm unter letztgenannten seine Stelle anzuweisen.

siehe Bildunterschrift

Geierseeadler ( Gypohierax angolensis). 1/5 natürl. Größe.

Der Geierseeadler ( Gypohierax angolensis, Falco, Gypaëtus, Haliaëtus und Racama angolensis, Vultur hypoleucus), welchen ich meine, ähnelt in Gestalt und Haltung mehr dem Schmutzgeier, als irgend einem Adler, gibt sich als solcher auch nur durch den Fußbau und seine Lebensweise zu erkennen. Der Schnabel ist kräftig, aber lang gestreckt und sehr schmal, der Oberschnabel in sanftem Bogen gekrümmt, kurz und stumpfhakig, an der Schneide zahnlos, der Unterschnabel stark, etwa zwei Drittel so hoch wie der obere, die Wachshaut bis zur Hälfte vorgezogen, das Nasenloch breit schlitzförmig, etwas schief von vorn nach hinten gestellt; der Zügel nackt, der Fuß schwach, am Lauftheile mit kleinen sechsseitigen Hornschildern bekleidet, der Fang kurz und mit mäßig großen, gekrümmten Krallen bewehrt, der Flügel, in welchem die dritte bis fünfte Schwinge die anderen überragen, lang und spitzig, der aus zwölf Federn bestehende Schwanz ziemlich kurz und schwach gerundet. Das Gefieder des alten Vogels, mit Ausnahme der schwarzen Handschwingenspitzen, Armschwingen, Schülterfedern und einer breiten schwarzen Binde, rein weiß, das Auge hellorange, der Schnabel blaugrau, die Wachshaut schmutziggelb, der Zügel orange bis rothgelb, der Fuß fleischfarbig. Der junge Vogel hat ein einfarbig dunkelbraunes Gefieder und braunes Auge. Zur Umfärbung des Jugendkleides in das des alten Vogels sind mindestens drei bis vier Jahre erforderlich, und zwar geht die Umänderung des Kleides, nach Reichenows Befund, durch Mauser und Verfärbung allmählich vor sich, so daß man vielfach braun und weiß gescheckte Geieradler findet, bei denen je nach dem Alter bald die eine, bald die andere der beiden Farben vorherrscht. Im letzten Zustande des Jugendkleides sind die Federn weiß mit gelbbraunen Säumen, und das Aussehen des Vogels ist so schmutzig, daß es scheint, als habe er sich in Lehm gewälzt. Die Länge beträgt sechzig, die Fittiglänge vierzig, die Schwanzlänge zwanzig Centimeter.

Bis in die neueste Zeit waren uns über das Freileben des schon seit hundert Jahren bekannten Vogels nur dürftige Mittheilungen zugekommen. Erst Reichenow gebührt das Verdienst, uns hierüber belehrt zu haben, und ihm danken insbesondere meine Leser das nachstehende, welches er für das »Thierleben« niederzuschreiben die Güte gehabt hat.

»Der Geierseeadler bewohnt häufig die Gleicherländer Westafrikas, wogegen er im Osten bis jetzt nur ein einziges Mal auf der Insel Pemba, nördlich von Sansibar, erlegt wurde. In den Küstenländern Westafrikas ist er innerhalb der angegebenen Grenzen einer der häufigsten Raubvögel. Von der Goldküste bis zu Gabun habe ich ihn allerorts angetroffen, wo sein Vorkommen überhaupt vorausgesetzt werden konnte. Vorzugsweise Fischfresser, ist er an das Wasser, an die Meeresküste und an Flüsse gebunden; im trockenen Hochlande wie im Gebirge bleibt er ebenso eine außerordentlich seltene Erscheinung wie unser Seeadler im Binnenlande Europas. Ihm zusagende Wohnplätze findet er namentlich in den sumpfigen Vorländern der Ströme, insbesondere da, wo die unabsehbaren Schlammmassen, welche von den Flüssen Westafrikas mitgeführt werden und meilenweit von der Küste das Meer trüben, Deltas von oft bedeutender Ausdehnung bilden. Dieses Sumpfland, welches hauptsächlich von Mangrovebeständen begrünt wird, hier und da aber auch der Weinpalme und dem stacheligen Pandanus zum Boden dient, ist von schmalen Wasserarmen durchzogen, und letztere, welche selten besucht werden, sind es, woselbst der Geierseeadler regelmäßig seine Wohnung aufschlägt. Hier ist er eine so gewöhnliche Erscheinung, daß er neben dem Schattenvogel als Charaktervogel des öden Sumpflandes bezeichnet werden darf. Einzeln oder paarweise sieht man ihn, bald auf einer Baumspitze sitzen und der Ruhe und Verdauung Pflegen, bald spielend in hoher Luft feine Kreise ziehen oder dicht über der Wasserfläche dahinstreichen, um Beute zu suchen. Sitzend erscheint er ganz als Geier, obgleich er sich ziemlich aufrecht hält; denn der lange Schnabel und das nackte Gesicht stimmen so wesentlich mit dem Geier überein, daß man den Adler erst erkennt, wenn er sich erhebt. In Einzelheiten seines Wesens erinnert er an unseren Seeadler; nur ist er in allen Bewegungen träger als dieser. Das Flugbild des Vogels stimmt mit dem des Seeadlers am meisten überein. Wie letzteren sieht man ihn oft spielend aus hoher Luft eine Strecke sich herabstürzen und dann, ruhig schwebend, wieder zur Höhe sich emporschrauben. Seine Jagdweise ist übrigens von der des Seeadlers verschieden und gleicht mehr dem Treiben der Milane. In geringer Höhe schwebt er über der Wasserfläche, und in ziemlich träger Weise streicht er in Bogen herab, sobald er einen Fisch erspähet, um ihn von der Oberfläche aufzunehmen. Jähen Stoßes sah ich ihn niemals auf Beute sich ins Wasser stürzen. Neben Fischen scheinen auch die in sumpfigen Mündungsländern überaus häufigen Muscheln ihm zur Nahrung zu dienen. Aber nicht unmöglich ist, daß er ebenso hin und wieder Säugethiere und Vögel überrascht. Mehrmals sah ich ihn graue Papageien verfolgen, welche sichtbar ängstlich unter lautem Krächzen vor ihm flohen. Früher geneigt, solche Verfolgungen mehr als Spiel anzusehen, ist es mir jetzt nach der bemerkenswertsten Beobachtung Usshers, welcher den Geierseeadler auf eine junge Ziege stoßen sah, doch wahrscheinlich, daß er den Jakos in der That nachstellt. Dagegen halte ich für unwahrscheinlich, daß er auch Palmkerne frißt, wie Pel behauptet. Auffallend ist die Schweigsamkeit dieses Vogels. Trotzdem ich ihn in den Kamerunniederungen ein halbes Jahr hindurch beinahe täglich beobachtete, habe ich niemals einen Laut von ihm vernommen.

»Den Horst sah ich immer auf den höchsten Bäumen des von einem Paare bewohnten Gebietes. Zur Brutzeit verlassen die Geierseeadler häufig die Mündungsländer und ziehen längs der Flüsse aufwärts, wo die riesigen Woll- und Affenbrodbäume ihnen geeignetere Standorte für den Horst bieten als die niedrige Mangrove. Der auf der Spitze oder den Astgabeln gedachter Baumarten errichtete Bau wird mehrere Jahre hindurch benutzt und erreicht daher bedeutenden Umfang. Zwei Eier scheinen das Gelege auszumachen. Leider konnte ich mich hierüber nicht vergewissern, ebensowenig als es mir gelang, Eier aus dem zwar sehr häufig aufgefundenen, aber stets unzugänglichen Horste zu erbeuten. Daß die Neger es aber doch ermöglichen, die Horste auszunehmen, beweisen die nicht selten lebend zu uns nach Europa kommenden jungen Geierseeadler.«

Ich habe diese Vögel in verschiedenen Thiergärten gesehen und einzelne von ihnen auch geraume Zeit beobachten können. In der Regel sieht man nur Junge, und es scheint somit, daß die gefangenen Geierseeadler meist in den ersten Jahren ihres Lebens zu Grunde gehen. Doch lebte im Londoner Thiergarten einer von ihnen so lange, daß er das vollständige Alterskleid anlegen konnte, befindet sich möglicherweise noch gegenwärtig in der reichen Thiersammlung dieses vorzüglichsten aller Thiergärten. Ich habe mich vergeblich bemüht, an den von mir beobachteten gefangenen Geierseeadlern etwas zu ersehen, welches ihre Zusammengehörigkeit mit den Adlern unterstützen könnte. Der Eindruck, welchen sie auf mich übten, war stets der eines kleinen Geiers. Anziehend oder fesselnd sind sie wohl nur für den Fachmann; selbst einen thierfreundlichen Laien lassen sie gleichgültig. Regungslos sitzen sie auf einer und derselben Stelle, meist auf dem Boden des Käfigs, ohne sich um die Außenwelt zu kümmern, obwohl sie diese anscheinend aufmerksam beobachten. Nicht einmal, wenn ihnen Futter vorgeworfen wird, gerathen sie in ersichtliche Erregung, nähern sich vielmehr langsam und gemächlich dem ihnen gereichten Fleischstücke, fassen es mit einem Fange und benagen es dann, mehr als sie es zerreißen, ganz nach Geierart. Ihre einzige Beschäftigung, in welcher sie unermüdlich zu sein pflegen, besteht darin, ihr Gefieder zu ordnen. Gleichwohl sehen sie fast immer schmutzig und unordentlich aus. Mit einem Worte: sie zählen zu den langweiligsten Raubvögeln, welche man gefangen halten kann.


Das letzte Mitglied der Adlergruppe, welches wir hier erwähnen wollen, ist der durch Gestalt und Lebensweise gleich auffallende Fluß- oder Fischadler, Weißfuß oder Weißbauch, Moos- oder Fischweih, Fischraal, »Balbusard« der Franzosen, »Osprey« der Engländer, »Flodörn« der Dänen, »Fiskljese« der Schweden, »Skopa« der Russen, »Tschiftscha« der Lappen etc. ( Pandion haliaëtus, fluvialis, americanus, carolinensis, indicus, ichtyaëtus, alticeps, planiceps, albigularis, minor, fasciatus, leucocephalus und Gouldii, Falco haliaëtus, arundinaceus, carolinensis und cayanensis, Aquila haliaëtus, marina, piscatrix, balbusardus, Accipiter haliaëtus, Triorches fluvialis, Balbusardus haliaëtus). Er wird noch allgemein zu den Adlern gezählt, unterscheidet sich aber doch in vieler Hinsicht wesentlich von ihnen, und darf vielleicht, wie vorgeschlagen, als Vertreter einer besonderen Unterfamilie ( Pandioninae), im gewissen Sinne auch als Verbindungsglied der Adler und Weihen betrachtet werden. Seine Kennzeichen bestehen in folgendem: der Leib ist verhältnismäßig klein, aber kräftig gebaut, der Kopf mittelgroß, der ziemlich kurze Schnabel schon auf der Wachshaut gekrümmt, mit sehr langen Haken übergebogen, das Bein stark, kaum über die Ferse herab befiedert, der Fuß äußerst kräftig, mit dicken, aber kleinen Netzschuppen bekleidet; die verhältnismäßig kurzen Zehen tragen scharfe, runde, stark gekrümmte Nägel, und die äußerste Zehe kann vor- und rückwärts gewendet werden; die Flügel, unter deren Schwingen die dritte die längste, sind so lang, daß sie den keineswegs kurzen Schwanz weit überragen. Bezeichnend für den Flußadler ist außerdem sein glatt anliegendes fettiges Gefieder. Kopf und Nacken sind auf gelblichweißem Grunde schwarzbraun in die Länge gestreift und alle Federn hier scharf zugespitzt, die übrigen Obertheile braun, alle Federn lichter gerandet, die Schwanzfedern braun und schwarz gebändert, die Untertheile dagegen weiß oder gilblichweiß. Auf der Brust bilden braune Federn ein Schild oder Halsband, welches zuweilen sehr deutlich hervortritt, zuweilen auch wiederum kaum merklich ist; vom Auge zur Halsmitte herab läuft ein dunkles Band. Das Auge ist hochgelb, die Wachs- und Fußhaut sind bleigrau, der Schnabel und die Krallen glänzend schwarz. Die Länge beträgt dreiundfunfzig bis sechsundfunfzig, die Breite einhundertsechsundfunfzig bis einhundertvierundsechzig, die Fittiglänge fünfzig bis zweiundfunfzig, die Schwanzlänge achtzehn bis neunzehn Centimeter.

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Fischadler.

Der Fischadler ist einer der wenigen Vögel, welche buchstäblich auf der ganzen Erde gefunden werden. Allerdings hat man versucht, die amerikanischen, asiatischen Und australischen Flußadler von dem unserigen zu trennen; bei Vergleichung einer zahlreichen Reihe von Bälgen ergibt sich jedoch, daß eine solche Trennung nach unserer heutigen Auffassung als ungerechtfertigt erscheinen muß. Die den verschiedenen Ländern entstammenden Fischadler zeigen alle Uebergänge, und die Arteinheit wird nicht minder bestätigt durch ihre unter allen Verhältnissen gleiche Lebensweise. In Europa bewohnt der Fischadler als Brutvogel während des Sommers alle Länder von Lappland, Finnland und Nordrußland an bis zum äußersten Süden, einzeln auch Inseln und selbst kleine Eilande des Meeres. In Asien lebt er an allen größeren Strömen und Seen des Nordens wie des Südens, hier wie in einzelnen Theilen Afrikas jahraus, jahrein. Im letzteren Erdtheile zeigt er sich mindestens zeitweise an geeigneten Orten überall, so Weit das Land bis jetzt durchforscht wurde. In Amerika hat man ihn so weit nördlich beobachtet, als die süßen Gewässer genügend lange Zeit offen bleiben, und von hier aus bis Südbrasilien nirgends vermißt. In Australien endlich findet er sich geeigneten Ortes ebenfalls im ganzen Lande. Im Norden ist unser Fischadler Sommervogel, im Süden, wie es scheint, Strichvogel. Seine einseitige Jagdweise bestimmt sein Leben. Er nährt sich fast ausschließlich von Fischen, nur im äußersten Nothfalle von Lurchen, und verschmäht jede andere Beute.

In unserem Vaterlande siedelt sich der mit Recht gehaßte und eifrig verfolgte Raubvogel selbstverständlich nur in wasserreichen Gegenden bleibend an, erscheint während seines Zuges aber überall und findet selbst den kleinsten Teich noch immer seiner Beachtung werth. Unmittelbar nach seiner Ankunft, welche erst ziemlich spät im Frühjahre, das heißt nicht vor Ende März, erfolgt, beginnt er sein Sommerleben und gleichzeitig die Ausbesserung seines alten, beziehentlich den Aufbau eines neuen Horstes, welcher fortan förmlich zu seiner Behausung wird. Zur Anlage desselben wählt er regelmäßig Bäume, welche ihre Umgebung überragen, womöglich solche, welche freie Umschau auf ein Gewässer, mindestens auf freies Feld, nahe gelegene Waldblößen und Wiesen gestatten. Dem entsprechend steht der Horst fast immer in bedeutender Höhe, fünfzehn bis zwanzig Meter über dem Boden, und ebenso regelmäßig in den obersten Wipfelzweigen, nicht auf einem Seitenaste. Da er selbst baut und den größten Theil der Baustoffe aus dem Wasser fischt, unterscheidet sich der Horst schon durch letztere von denen aller übrigen Adler. Zum Unterbaue nämlich verwendet er stets dicke, morsche Prügel von drei bis vier Centimeter Durchmesser, zum Oberbaue schwächere Zweige, zur Ausfütterung der flachen Mulde Riedgras, Stroh, Moos und Baumflechten. Die Prügel pflegt er im Wasser aufzufischen; das Moos reißt er in großen Klumpen von Baumästen ab. Durch die Stellung auf den höchsten Baumspitzen sowie durch die sanft zugerundete Unterfläche läßt sich der Horst von weitem als der eines Flußadlers erkennen. Der Durchmesser der Nestmulde beträgt annähernd einen Meter, wogegen die Höhe desselben, je nach seinem Alter, zwischen einem und dritthalb Meter schwankt. In jedem Jahre nämlich trägt das Fischadlerpaar neue Baustoffe herbei und thürmt so im Laufe der Jahre einen derartigen Riesenbau auf. »Nur in dem Falle«, schreibt mir Grunack, welcher zwanzig Jahre nach einander acht bis zehn, in der Dubrow bei Berlin stehende Fischadlerhorste besuchte, um die Eier oder Jungen auszuheben, »daß Stürme gewaltsame Beschädigungen des Horstes verursachen oder das vorjährige Brutgeschäft durch wiederholte Störungen belästigt wurde, unternimmt das Paar in fast unmittelbarer Nähe des alten die Herrichtung eines neuen Horstes; ungestört kehrt es sofort nach seiner Ankunft zum alten zurück und besetzt ihn fortan, meist bereits vier Wochen vor Beginn des Legens so regelmäßig, daß ihn abwechselnd einer und der andere Gatte des Paares zum Ruhesitze benutzt.« Wahrscheinlich infolge des scharfen, ätzenden Geschmeißes, welches über den ganzen oberen Theil des Horstbaumes geschleudert wird, stirbt dieser, wenigstens in den Wipfelzweigen, früher oder später ab. Zwei Fischadlerhorste auf einem Baume wurden bei uns zu Lande zwar nur in äußerst seltenen Fällen, aber doch dann und wann beobachtet. Je nach der Witterung beginnt das Weibchen früher oder später, in der Regel zwischen dem vierundzwanzigsten und dreißigsten April zu legen, und fährt damit, an jedem zweiten Tage ein Ei zur Welt bringend, fort, bis das Gelege vollzählig ist. Letzteres besteht aus drei, selten vier, zuweilen auch nur zwei, länglichen, festschaligen, fast glanzlosen Eiern von neunundfunfzig bis siebzig Millimeter Länge und vierundvierzig bis zweiundfunfzig Millimeter Querdurchmesser an der dicksten Stelle, und ebenso veränderlicher Färbung und Zeichnung. Die Grundfärbung ist, nach Päßler, ein klares Weiß; die Zeichnung besteht aus matt schieferblaugrauen und rostfarbenen Flecken. Die schönsten Eier sind diejenigen, welche blutrothe, entweder am stumpfen oder am spitzigen Ende zusammenfließende, oft noch von schwarzen Adern durchzogene Flecke zeichnen. Andere schmücken Flecke von schönstem Kastanienbraun, andere solche, welche chokoladenbraun oder gelbrostfarben oder beinahe nur grau aussehen; manche sind großgefleckt, manche über und über mit kleinen Pünktchen besäet; endlich kommt auch zuweilen eine Art von Fleckenkranz vor. In den meisten Fällen sind sogar, wie Grunack nach Untersuchung von mehr als hundert Stück erfahren zu haben versichert, die Eier eines und desselben Geleges, ebenso wie die in mehreren Jahren nach einander aus demselben Horste entnommenen Gelege unter sich verschieden. Nach zweiundzwanzig- bis sechsundzwanzigtägiger Brutzeit, welche nach dem Legen des ersten Eies beginnt, und an welcher beide Eltern sich zu betheiligen scheinen, entschlüpfen die Jungen, in seltenen Fällen jedoch mehr als ihrer zwei. Sie sind, wie alle Adler, an Gefräßigkeit wahrhafte Ungeheuer, welche jedoch so überreichlich mit Nahrung versorgt werden, daß der Horst mit kaum zur Hälfte aufgezehrten und immer nur in der Vorderhälfte angefressenen frischen und der Boden unter ihm mit verfaulenden Fischen förmlich bedeckt ist, falls nicht ein Milanpaar die günstige Gelegenheit wahrnimmt, in der Nähe des Fischadlerhorstes den seinigen aufbaut und seine Jungen größtentheils mit den Ueberresten von der Tafel des Reichen auffüttert. Mindestens acht, vielleicht zehn Wochen bedürfen die Jungen, bevor sie flugfähig geworden sind; dann verlassen sie unter Führung der Eltern den Horst, lernen unter ihrer Anleitung fischen und treten endlich im September, Oktober, spätestens im November, ihre Reise nach südlichen Gegenden an.

Wird der Horst durch Stürme oder Fällen des Baumes zerstört, so verläßt der Fischadler nicht selten den Wald, in welchem er gestanden, gänzlich; raubt man ihm nur die Eier, so kehrt er trotzdem alljährlich zu demselben Brutplatze zurück. Findet sich in der Nähe eines hochstämmigen Waldes ein größeres fischreiches Gewässer, so siedelt sich zuweilen ein Fischadler unweit des anderen an; in der Regel aber beherrscht jedes einzelne Paar ein weit ausgedehntes Gebiet, wo möglich ein solches, welches nicht unmittelbar an der Seeküste liegt.

So wie geschildert sind die Wohnungs- und Brutverhältnisse des Fischadlers bei uns zu Lande, anders in verschiedenen Gegenden des Erdballes. Schon in Norwegen und Lappland wird es dem Vogel nicht immer leicht, einen passenden Nistbaum zu finden, und er muß sich dann wohl oder übel entschließen, auf Felsen seinen Horst anzulegen. In der Nähe größerer Steppenflüsse bleibt ihm keine andere Wahl, als auf dem Boden zu horsten, und im Rothen Meere, wo nur im Süden bewaldete oder doch bebuschte Inseln gefunden werden, sieht er sich, wie in den Steppen, genöthigt, auf den kleinen Eilanden, oft auf Koralleninseln, welche höchstens zwei Meter über den Meeresspiegel sich erheben, seinen Horst zusammenzutragen. Da hier auch noch die sonst von ihm verwandten Baustoffe fehlen, behilft er sich, so gut er kann, mit dem, was das Meer bietet, fischt Tange aller Art aus dem Wasser, trägt Muschelschalen, vielleicht selbst Korallentrümmer herbei, benutzt nicht minder die Reste anderer Weichthiere und schichtet aus allen diesen Stoffen ein kegelförmiges Bauwerk von etwa sechzig Centimeter Höhe auf, in dessen oberer flachen Mulde die Eier liegen. Gestattet es die Oertlichkeit, so wählt er auch hier einen Baum, mindestens einen Mimosenbusch oder Schorastrauch, zur Anlage des Horstes, baut diesen, wie üblich, hauptsächlich aus Knüppeln auf und benutzt den Seetang nur nebenbei, nimmt aber auch keinen Anstand, den Horst auf einer alten Cisterne, dem platten Dache einer verlassenen Fischerhütte oder anderen Ruinen zu errichten. In Nordamerika, wo er, wie bei uns, vorzugsweise auf Bäumen horstet, unterscheidet sich sein Brutgeschäft, laut Ridgway, insofern von dem uns bekannten, als er an einzelnen Oertlichkeiten förmliche Siedelungen, wenn man dem Berichte Glauben schenken darf, auf einer einzigen kleinen Insel solche von dreihundert Paaren bildet. Zwar horstet er auch bei uns zu Lande gern in Gesellschaft, aber doch nur in sehr seltenen Fällen in unmittelbarer Nähe eines zweiten Paares oder mit diesem auf einem und demselben Baume, und Siedelungen, wie die in Rede stehenden, werden, so viel bekannt, auf der Erde nicht weiter gefunden. Nach dem genannten amerikanischen Forscher soll der allerdings sehr gutmüthige Fischadler unter Raubvögeln gänzlich unerhörte Tugenden bethätigen, nämlich anderen seiner Art beim Aufbaue eines neuen Horstes behülflich sein. Um Mißverständnissen vorzubeugen, bemerke ich ausdrücklich, daß ich letztere Angabe nicht vertrete.

Das tägliche Leben des Fischadlers verläuft in sehr geregelter Weise. Ziemlich spät am Tage verläßt das Paar, einer der Gatten nach dem anderen, seinen Horst und fliegt nun, eine bestimmte Straße mit großer Genauigkeit innehaltend, dem oft entfernten Gewässer zu, um hier Fischfang zu treiben. Die langen Schwingen setzen unseren Flußadler in den Stand, weite Strecken mit Leichtigkeit zu durchfliegen. Er schwebt zuerst in beträchtlicher Höhe dahin, senkt sich dann über den Wasserspiegel tiefer herab und beginnt nun seine Fischjagd. So lange die Gewässer dampfen, erscheint er nicht über ihnen, weil er durch den aufsteigenden Dunst im Sehen behindert wird; daher sieht man ihn erst in den Vormittagsstunden mit seiner Jagd beschäftigt. Er kommt kreisend an, versichert sich durch sorgfältiges Spähen von der Gefahrlosigkeit, senkt sich hernieder und streicht nun in einer Höhe von ungefähr zwanzig Meter über dem Wasser auf und nieder, hält auch wohl zeitweilig still, rüttelt wie ein Thurmfalk über einer Stelle, um einen etwa erspähten Fisch fester ins Auge zu fassen, und stürzt dann mit weit vorgestreckten Fängen in etwas schiefer Richtung mit großer Schnelligkeit und Gewandtheit auf das Wasser nieder, verschwindet unter den Wellen, arbeitet sich aber rasch wieder empor, erhebt sich durch einige federnde Flügelschläge auf die Oberfläche des Wassers, schüttelt die Tropfen durch zuckende Bewegungen bestmöglichst ab und verläßt hierauf ein kleineres Gewässer, gleichviel ob er glücklich oder unglücklich war. Seine eigenthümliche Jagd erklärt, daß er in vielen Fällen fehlstößt; deshalb leidet er aber durchaus keinen Mangel; denn er läßt sich durch wiederholtes Mißgeschick keineswegs abschrecken. Im glücklichsten Fälle schlägt er beide Fänge mit solcher Gewalt in den Rücken eines Fisches, daß er nicht im Stande ist, die Klauen augenblicklich wieder auszulösen: die Baschkiren nennen ihn deshalb bezeichnend »eiserne Kralle«. Nicht allzuselten geräth er in Lebensgefahr oder findet wirklich seinen Untergang, indem ihn ein zu schwerer Fisch mit sich in die Tiefe zieht und ertränkt. An den ihm abgejagten Fischen hat man beobachtet, daß er stets zwei Zehen auf der einen, zwei Zehen auf der anderen Seite des Rückens einschlägt. Die gefangene Beute erhebt er, falls er sie mit Leichtigkeit tragen kann, und schleppt sie weit mit sich fort, am liebsten dem Walde zu, um sie hier mit aller Sicherheit zu verspeisen. Schwerere Fische schleift er wenigstens bis an das Ufer, oft mit solcher Mühe, daß er ab und zu den Wasserspiegel mit dem Opfer und seinen Fängen berührt. Von der glücklich gefangenen Beute verzehrt er nur die besten Stücken, alles übrige läßt er liegen; von den Schuppen verschlingt er einige, niemals aber auch die Eingeweide. Nur im größten Nothfalle entschließt er sich, auf anderes Wild zu jagen. So theilt mir Freund Liebe mit, daß er Teichfrösche fängt, wenn er, durch wiederholte Verfolgungen scheu geworden, sich nicht mehr getraut, ein fischreiches Gewässer abzusuchen.

Mit anderen seiner Art lebt der Fischadler höchst verträglich. Um fremdartige Vögel bekümmert er sich seinerseits niemals und ist sicherlich herzlich froh, wenn diese nur ihn in Ruhe lassen. Kleinen Vögeln gestattet er ohne Mißgunst, in seinem großen Horste sich anzusiedeln, und diese Mietleute sind ihrerseits seiner Gutmüthigkeit so vollkommen sicher, daß sie auch Nester zu bauen wagen, welche durch einen so starken Raubvogel entschieden gefährdet werden könnten, wenn letzterer daran dächte, seine Gastfreunde zu belästigen. Bei uns zu Lande siedeln sich nur ausnahmsweise kleinere Vögel in dem Horste eines Fischadlers an; schon auf dem Rothen Meere aber werden die großen Gebäude von solchen, insbesondere einer Würgerart, gern zur Anlage des Nestes benutzt, und in Amerika flechten und weben die Hängenestler, vornehmlich die Purpurgrakeln ( Quiscalus purpureus), ihre luftigen und schwankenden Nestbeutel so regelmäßig an den Unterbau eines Fischadlerhorstes, daß dieser gerade dadurch schon von weitem kenntlich wird. Wilson fand nicht weniger als vier solcher Beutelnester an einem einzigen Fischadlerhorste befestigt. Wenn schon dies für die Gutmüthigkeit des Fischadlers oder, richtiger ausgedrückt, dafür spricht, daß er sich niemals an Geflügel vergreift, so wird der Beweis für letztere Annahme überzeugend doch erst durch die Schwimmvögel geliefert. Sie alle kennen den Fischadler so genau, daß sie sich nicht im geringsten vor ihm fürchten, betrachten ihn gewissermaßen als ihresgleichen und dulden ihn deshalb ohne Bedenken in ihrer Nähe. Am Mensalehsee in Egypten, wo jeden Winter Hunderte von Fischadlern Herberge nehmen und ein sehr bequemes Leben führen, habe ich wiederholt gesehen, daß sie mitten unter den Enten saßen, ohne von ihnen auch nur beachtet zu werden. Dagegen hat der Fischadler von anderen Raubvögeln viel auszustehen. Bei uns verfolgen ihn Schwalben und Bachstelzen wohl mehr in der Absicht, um ihn zu necken, als ihm zu schaden; da aber, wo Seeadler leben, muß er oft für diese arbeiten, und namentlich der Weißkopfseeadler soll in beständigem Kriege mit ihm liegen, sich auf ihn stürzen, sobald er eine Beute erhoben hat, und ihn so lange peinigen, bis er diese ihm zuwirft. Auch schmarotzende Milane, Kolkraben, Nebel- und Rabenkrähen jagen ihm oft den glücklich gefangenen Fisch wieder ab. Die größten und ältesten Horste endlich geben mitunter dem Baummarder Herberge, und er mag es wohl sein, welcher sich dann der Eier bemächtigt hat, deren geleerte Schalen man zuweilen am Fuße der Horstbäume findet.

Nächst dem Fischotter ist der Fischadler der größte Feind einer geordneten Teichwirtschaft und allen Fischereibesitzern aus diesem Grunde verhaßter als jeder andere Raubvogel. In der nächsten Umgebung von Peitz, wo auf zweiundsiebzig Teichen von über tausend Hektar eine großartige Karpfenzucht betrieben wird, horsten, laut Schalow, alljährlich wohl fünfundzwanzig bis dreißig Fischadlerpaare, und sie fügen dem Pächter genannter Teiche so bedeutenden Schaden zu, daß derselbe ein Schußgeld von nicht weniger als sechs Mark für jeden erlegten Flußadler bezahlt. In Nordamerika hat man noch nicht an allen Orten die richtige Erkenntnis von der außerordentlichen Schädlichkeit unseres Raubvogels gewonnen, hält vielmehr hier und da noch an einem alten Aberglauben fest, nach welchem der Landwirt, in dessen Gebiet ein Fischadlerpaar haust, besonders glücklich sein wird. Infolge der unablässigen Nachstellungen, welche der Vogel bei uns zu erleiden hat, ist er hier zu Lande vorsichtig und scheu, und setzt nur am Horste ausnahmsweise einmal seine Sicherheit muthwillig aufs Spiel, bewahrt sich daher schon hierdurch, noch mehr aber durch seine Jagd über weite Wasserflächen vor mancher ihm zugedachten Büchsenkugel und erschwert unter allen Umständen die Jagd; in südlichen Ländern dagegen, wo seine Räubereien keineswegs mit schelem Auge betrachtet werden, hält es nicht schwer, ihn, wenn er aufgebäumt hat, zu unterlaufen oder bei seinen regelmäßigen Hin- und Herflügen aus der Luft herabzuschießen. Leichter erbeutet man ihn mit Hülfe eines Tellereisens, welches mit einem Fische geködert und unter Wasser ausgestellt wurde. In dieser Weise werden in Norddeutschland alljährlich mehrere Fischadler gefangen, und einer oder der andere gelangt dann wohl auch lebend in unsere Käfige. Doch gehört der Vogel hier, die größten Thiergärten nicht ausgenommen, immer zu den Seltenheiten. Ich habe alte wie jung aus dem Neste gehobene gepflegt, mich aber nicht mit ihnen befreunden können. Die alt eingefangenen gewöhnen sich im Käfige niemals ein, sitzen tagelang auf einer und derselben Stelle, geberden sich, wenn jemand ihren Käfig betritt, geradezu sinnlos, Furcht und Schrecken in jeder Weise an den Tag legend, treten mit ihrem Wärter niemals in ein erträgliches Verhältnis, welken sichtlich dahin, magern mehr und mehr ab und liegen eines Morgens todt im Käfige, ohne daß man den Grund ihres Hinscheidens zu erkennen vermag. Auch jung eingefangene, aus dem Neste gehobene Vögel halten sich schlecht, gewöhnen sich schwer daran, selbst zu fressen und verkümmern früher oder später selbst bei dem besten Futter.


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