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Zweite Reihe.
Die Krallenthiere

Vierte Ordnung.
Raubthiere (Carnivora)

Allgemeines

Kaum eine andere Abtheilung des Thierreiches umfaßt bei verhältnismäßig gleicher Artenzahl einen größeren Gestaltenreichthum als die Ordnung der Raubthiere, welche wir als die höchststehenden der zweiten Reihe ansehen dürfen. Fast alle Leibesgrößen von der mittleren an bis zu der kleinsten herab, welche die ganze Klasse aufweist, sind in dieser Ordnung vertreten, die verschiedenartigsten Gestalten in ihr vereinigt. Von dem gewaltigen Löwen an bis zum kleinen Wiesel herab – welche Zwischenstufen, welche Mannigfaltigkeit der Ausbildung einer und derselben Grundform! Kaum mag der Laie glauben, daß wirklich nur eine einzige Gestalt allen Raubthieren gemein ist; kaum ist er fähig, den einen Gedanken überall herauszufinden, welcher, falls man so sagen darf, sich in jedem Raubthiere ausspricht: die Unterschiede in der Leibesbildung der Raubsäuger sind allzu groß. Hier die einhellig gebaute, anmuthige Katze, dort die plumpe Hiäne; hier die schlanke, zierliche Schleichkatze mit dem feinen, glatten Felle, dort der kräftige, derbe Hund; hier der tölpisch langsame, schwere Bär und dort der behende, schnelle, leichte Marder: wie können sie alle einem Ganzen angehören? Und wie können sie alle sich vereinigen lassen, sie, von denen diese auf dem Boden, jene auf Bäumen, die anderen im Wasser wohnen und leben? Und doch sind sie alle nicht bloß geistig, sondern auch leiblich innig verwandt.

Sämmtliche Raubthiere zeigen in ihrer leiblichen Ausrüstung und in ihrer geistigen Befähigung eine Einhelligkeit, wie kaum eine andere Ordnung, und diese Gleichmäßigkeit gerade stempelt sie zu ebenso hochstehenden als innig sich verwandten Thieren. Schon die allen mehr oder weniger gemeinsamen Sitten, die gleiche Lebensweise und Nahrung deuten darauf hin, daß Wesen und Sein der betreffenden Thiere, der Bau der Gliedmaßen ebenso wohl wie der des Gebisses und der Verdauungswerkzeuge oder die geistigen Fähigkeiten wesentlich gleichartig sein müssen. Verzerrungen und Absonderlichkeiten, fratzenhafte und widerliche Gestalten fehlen fast gänzlich unter den Raubthieren, und deshalb eben zeigen sie eine viel größere Einhelligkeit im Baue als die Affen, Halbaffen oder Flatterthiere.

Ihre Gliedmaßen stehen mit dem Leibe und unter sich in einhelligem Verhältnisse, haben sehr gleichartig fünf oder vier Zehen und sind ebenso übereinstimmend mit mehr oder minder kräftigen, scharfen oder abgestumpften, in Scheiden zurückziehbaren oder freiliegenden Krallen bewehrt. Alle Sinneswerkzeuge bekunden eine hohe Entwickelung, so verschiedenartig sie auch ausgeprägt zu sein scheinen. Das Gebiß, welches noch aus allen Zahnarten besteht, enthält kräftige, aber doch scharfe, oft schlanke, spitzige und scharfzackige, in und zwischen einander greifende Zähne, welche tief eingekeilt in mächtigen, von gewaltigen Muskeln bewegten Kiefern sitzen.

Der Magen ist stets einfach, der Darm gewöhnlich kurz oder mäßig lang, der Blinddarm immer kurz. Eigenthümlich sind die Afterdrüsen, welche hier und da vorkommen, stark riechende Flüssigkeiten absondern und ebenso wohl zur Vertheidigung gegen stärkere wie zum Herbeilocken schwächerer Geschöpfe dienen können oder endlich eine Fettmasse zum Einreiben des Felles liefern müssen.

Schärfer gefaßt, sind ihre äußerlichen Merkmale folgende. Der Leib, welcher von der plumpen, kurzen Gestalt des Bären an bis zur zierlichen, langen Schleichkatzenform alle Zwischenstufen des Baues aufweist, ruht auf mittelhohen Beinen, deren vier- oder fünfzehige Füße immer scharfe Krallen tragen; der Kopf ist rundlich, die Nasenspitze nackt, die Augen sind groß und scharfblickend, die Ohren aufrecht gestellt, die Lippen stark beschnurrt. Im Gebiß finden sich überall, oben wie unten, sechs Schneidezähne, zwei sehr starke, kegelförmige Eck- oder Fangzähne, hinter ihnen einige scharfgezackte Lückzähne, hierauf die unseren Thieren eigenthümlichen Fleischzähne, deren Kronen scharfe Zacken und stumpfhöckerige Ansätze zeigen, und endlich ein oder mehrere stumpfhöckerige Mahlzähne.

Zergliedern wir die Thiere genauer, so finden wir noch folgende mehr oder weniger allgemeine Eigenthümlichkeiten im Baue der Raubsäuger. Das Geripp erscheint bei aller Leichtigkeit und Zierlichkeit der Formen verhältnismäßig kräftig. Der Schädel ist gestreckt; sein Hirntheil steht mit dem Schnauzentheile ziemlich in gleichem Verhältnisse, d. h. keiner überwiegt den anderen besonders auffällig. Die starken Kämme und Leisten sowie die gewölbten und ziemlich weit vom Schädel abstehenden Jochbögen geben kräftigen Muskeln die erforderlichen Ansatzflächen; die Augenhöhlen sind groß, die Gehörblasen aufgetrieben und die Nasenknochen und Knorpel ausgedehnt: die betreffenden Sinneswerkzeuge haben also Raum zu vollkommener Entwickelung. An den Wirbeln finden sich starke Dornen und lange Fortsätze; die Lendenwirbel verwachsen oft fast vollständig; die Anzahl der Schwanzwirbel schwankt ziemlich bedeutend. Die Glieder ändern im Einklange mit der verschiedenartigen Lebensweise mannigfaltig ab; immer aber ermöglicht ihr Bau zugleich Kraft und Beweglichkeit.

Bei vielen Raubthieren verlängert sich die Nase rüsselförmig und ist oft noch mit besonderen Knorpeln und Knöchelchen versehen: dann dient der Rüssel zum Wühlen. Die Gliedmaßen verkürzen und verdicken sich, und die betreffenden Arten werden hierdurch geschickt, zu graben und eine unterirdische Lebensweise zu führen; sie verlängern sich und gestatten einen eiligen Lauf; sie verbreitern sich durch Schwimmhäute und befähigen zum Aufenthalte im Wasser. Die Krallen sind entweder einziehbar, hierdurch beim Gehen vor dem Abnutzen geschützt und können, wenn sie vorgestreckt werden, als vortreffliche Waffen und Greifwerkzeuge dienen, oder aber stumpf und unbeweglich, können deshalb auch bloß zum Schutze des Fußes, zum Scharren oder Graben und höchstens zum Anklammern gebraucht werden. Das Gebiß ist durch die sehr starken Eck- oder Reißzähne ebenso ausgezeichnet wie durch die zackigen oder mehrspitzigen Kauzähne, ermöglicht daher einen wirksamen Gebrauch zum Kämpfen wie zum Festhalten und Zerfleischen der Beute. Kräftige Muskeln und Sehnen verleihen Stärke und Ausdauer, während ihre Anlage umfassende und gewandte Bewegungen zuläßt.

Hierzu kommen nun noch die ausgezeichneten Sinne. Ausnahmsweise nur zeigt sich einer von ihnen verkümmert; dann aber wird er gewiß durch die übrigen genügend ersetzt. Im allgemeinen kann nicht behauptet werden, daß ein Sinn besonders und überall bevorzugt sei; denn bei den einen ist der Geruch, bei den anderen das Gesicht, bei einzelnen das Gehör bewunderungswürdig ausgebildet, bei einigen spielt auch der Tastsinn eine große Rolle. Zwei Sinne sind regelmäßig sehr scharf, und zwar in den meisten Fällen Geruch und Gehör, in selteneren Gehör und Gesicht. Jedenfalls gibt es nur unter den Fledermäusen scharfsinnigere Thiere, als unsere Räuber es sind.

Die geistigen Fähigkeiten widersprechen den leiblichen Anlagen nicht. Wir finden unter den Raubthieren bewunderungswürdig kluge Geschöpfe und dürfen uns somit nicht wundern, daß sie sich bald alle List und Verstellungskunst aneignen, welche ihr Räuber- und Diebeshandwerk erfordert. Dazu verleiht ihnen das Gefühl ihrer Stärke Muth und Selbstbewußtsein, wie beides andere Thiere niemals erlangen können. Aber eben diese Eigenschaften haben auch wieder solche im Gefolge, welche nicht sehr für die sonst so herrlichen Geschöpfe einnehmen. Die Raubthiere werden gewohnt zu siegen und eignen sich deshalb bald mit der immer stärker werdenden Herrschsucht Grausamkeit und häufig zuletzt unüberwindliche Mordlust, ja förmliche Blutgier an, in einem Grade, daß sie sogar als Sinnbilder für Menschen angesehen werden können.

Anlagen und Eigenschaften des Leibes und Geistes bedingen Aufenthalt und Lebensweise. Die Raubthiere wohnen und herrschen überall: auf dem Boden oder im Wasser wie in den Kronen der Bäume, auf den Gebirgen wie in der Ebene, im Walde wie auf dem Felde, im Norden wie im Süden. Sie sind ebenso wohl vollendete Nacht- wie Tagthiere; sie gehen ebenso gut in der Dämmerung wie im Lichte der Sonne oder im Dunkel der Nacht ihrer Nahrung nach.

Die klügsten leben gewöhnlich gesellig, die weniger verständigen einsam; die flinken greifen offen an, die minder behenden stürzen aus einem Hinterhalte vor – sie mögen so stark sein, wie sie wollen. Diese gehen gerade, jene auf Schleichwegen auf ihr Ziel los; alle aber verbergen sich so lange als möglich, einzig in der Absicht, durch ihr Erscheinen nicht vorzeitig zu schrecken, und nur wenige suchen, im Bewußtsein ihrer Schwäche, eilig Schutz und Zuflucht, sobald sie irgend etwas verdächtiges bemerken. Je höher sie leiblich begabt sind, und je mehr sie den Tag lieben, um so heiterer, lebendiger, fröhlicher und geselliger zeigen sie sich; je niedriger sie stehen, je mehr sie Nachtthiere sind, um so stumpfer, mürrischer, mistrauischer, scheuer und ungeselliger werden sie. Der Erwerb der Nahrung trägt hierzu wesentlich mit bei; denn er vereinigt oder trennt, bildet den Geist oder stumpft dessen Fähigkeiten.

Alle Raubsäuger nähren sich von anderen Thieren, und ausnahmsweise nur verzehren einige auch Früchte, Körner und anderweitige Pflanzenstoffe. Man hat nach der verschiedenen Nahrung zwei größere Gruppen benannt, Alles- und Fleischfresser nämlich; diese Namen sind aber nicht stichhaltig: denn die Allesfresser bevorzugen ebenso gut ein gediegenes Stück Fleisch wie die größten und wildesten Raubthiere. Sämmtliche Mitglieder unserer Ordnung sind vom Hause aus geborene Räuber und Mörder, gleichviel, ob sie große oder kleine Thiere umbringen, und selbst die, welche Pflanzenkost lieben, zeigen bei Gelegenheit, daß sie von der übrigen Gesellschaft keine Ausnahme machen wollen, soweit es sich um Raub und Mord handelt. Hinsichtlich der Auswahl ihrer Nahrungsstoffe oder, bestimmter gesagt, ihrer Beute unterscheiden sich die Raubsäuger erklärlicherweise in demselben Grade wie hinsichtlich ihres Leibesbaues, ihrer Heimat, ihres Aufenthaltsortes und ihrer Lebensweise. Kaum eine einzige aller Klassen des Thierreiches bleibt vor den Angriffen und Brandschatzungen unserer Raubritter gesichert. Die größten und stärksten Glieder der Ordnung halten sich zumeist an die ihnen zunächststehende erste Klasse, ohne jedoch deshalb tieferstehende Thiere zu verschmähen. Nicht einmal der Löwe nährt sich ausschließlich von Säugethieren, und die übrigen Katzen zeigen sich noch weit weniger wählerisch als er. Die Hunde, eigentlich echte Fleischfresser, dehnen ihre Jagd schon weiter aus; unter den Schleichkatzen und Mardern finden wir bereits einige, welche sich ausschließlich von Fischen oder gern von Lurchen nähren; die Bären sind eben die »Allesfresser« und lassen sich auch in der That Pflanzenkost so gut wie Thierfleisch munden. Somit finden also die Wirbelthiere ebenso gut ihre Liebhaber oder richtiger ihre Feinde wie die niederen Thiere. Und mögen die einen wie die anderen auf dem festen Boden oder im Wasser oder im Gezweige der Bäume sich aufhalten, im Norden wie im Süden, in der Höhe wie in der Tiefe leben: den Tod verbreiten sie überall um sich her, Rauben und Morden enden niemals.

Einige Raubsäugethiere führen, wie man annimmt, ein wirkliches Eheleben, kein einziges aber ein solches auf Lebenszeit. Bei einigen Katzen und Mardern leben während und nach der Paarungszeit beide Geschlechter enger zusammen als im Verlaufe des übrigen Jahres, stehen sich auch wohl gegenseitig bei, um die Kinder zu ernähren oder zu beschützen und zu vertheidigen: bei anderen und zwar bei der größeren Anzahl pflegt der Vater seine eigenen Sprößlinge als gute Beute zu betrachten und muß von der Mutter zurückgetrieben werden, wenn er das Lager seiner Nachkommenschaft zufällig aufgefunden hat. Unter derartigen Umständen ist die Mutter natürlich die einzige Pflegerin. Die Anzahl der Jungen eines Wurfes schwankt erheblich, sinkt aber niemals, mindestens bloß ausnahmsweise, bis auf Eins herab. Alle Jungen werden blind geboren und sind längere Zeit sehr hülflos, entwickeln sich dann aber verhältnismäßig rasch. Ihre Mutter unterrichtet sie ziemlich ausführlich in ihrem Gewerbe und begleitet und schützt sie jedenfalls so lange, als sie noch unfähig sind, selbständig für sich zu sorgen. Bei Gefahr tragen einige, aber sehr wenige Mütter ihre Brut in den Armen oder auf dem Rücken fort; die übrigen schleppen sie mit dem Maule weg.

Der Mensch lebt mit fast allen Raubthieren in offener Fehde. Höchst wenige von ihnen hat er durch Zähmung sich nutzbar zu machen gesucht, eines von ihnen freilich in einem Grade wie kein anderes Thier überhaupt. Die größere Anzahl wird mit mehr oder weniger Recht als schädlich angesehen und leidenschaftlich gehaßt, deshalb auch unerbittlich verfolgt, ein unverhältnismäßig kleiner Theil geschont. Das Fleisch oder Fett der einen wird gegessen, das kostbare Fell der anderen zu werthvollen Kleiderstoffen verwendet: und hier läßt sich gegen ihre Tödtung nicht wohl etwas einwenden; sehr unrecht aber ist es, daß auch die nicht bloß unschuldigen, sondern sogar nützlichen Raubsäuger verkannt werden und der blinden Zerstörungswuth unterliegen müssen. Schon aus diesem Grunde verdient unsere Ordnung von allen Menschen sorgfältiger studirt zu werden als bisher; denn es ist doch wahrhaftig wichtig genug, seine Freunde von seinen Feinden unterscheiden zu lernen.

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