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Mausohren ( Myotus).

Die Gruppe der Nachtschwirrer ( Vespertilio), welche neuerdings ebenfalls in mehrere Sippen zerfällt wurde, hat freie, d. h. von einander getrennte, länglichrunde Ohren, mit länglichem, lanzettförmigem Deckel, verhältnismäßig breite und kurze Fittige ohne Sporenlappen, höchstens körperlangen, meist kürzeren Schwanz und ziemlich dichten, oben graubraunen, unten weißlichen, ausnahmsweise dunkleren Pelz. Das Gebiß besteht aus 38 Zähnen, und zwar zwei Vorderzähnen in jedem Oberkiefer, sechs geschlossenen Schneidezähnen im Unterkiefer und oben wie unten jederseits drei einspitzigen und hinter denselben drei vielspitzigen Backenzähnen, unter denen die beiden ersteren als Lückzähne angesehen werden dürfen.

Bei der Untersippe der Mausohren ( Myotus ) haben die mehr als kopflangen Ohren neun oder zehn Querfalten, sind gegen die Mitte des Außenrandes nicht eingebuchtet und ragen angedrückt über die Schnauzenspitze hinaus. Die Schwanzspitze steht frei aus der Schwanzflughaut vor; die Schwanzflughaut ist am Hinterrande kahl.

Ganz Mitteleuropa von England, Dänemark und dem mittleren Rußland an, den Süden unseres Erdtheils, das nördliche Afrika und den größten Theil Asiens bis zum Himalaya bewohnt das Mäuseohr, die gemeine Fledermaus oder der große Nachtschwirrer ( Myotus murinus, Vespertilio myotus, V. und Scotophilus murinus, V. submurinus), die größte unserer einheimischen Fledermäuse, 12 bis 13 Centim. lang, wovon 5,3 Centim. auf den Schwanz zu rechnen und 37 Centim. Klafterweite, oberseits lichtrauchbraun mit roströthlichem Anfluge, unterseits schmutzigweißlich, die einzelnen Haare zweifarbig, an der Wurzel bräunlichschwarz, an der Spitze heller, die verhältnismäßig dünnhäutigen, durchscheinenden Ohren und Flughäute lichtgraubraun, junge Thiere mehr aschgrau gefärbt.

Vom Anfänge des März bis in den Oktober wird man das Mäuseohr an geeigneten Orten kaum vermissen und an seinem unbeholfenen, flatternden, meist geradeaus gehenden oder doch nicht in raschen Zickzacklinien sich bewegenden Fluge auch leicht erkennen. Es bewohnt ebenso wohl das Gebirge, in welchem es bis zu 1200 Meter über dem Meere emporsteigt, hält sich über Tags gern unter den Dächern alter, großer und stiller Gebäude, in Schlössern, Kirchen, Rathhäusern, bisweilen auch in altem Mauerwerke oder in ausgedehnten Gewölben, seltener in Gruben und Höhlen auf, hier in zahlreichen Gesellschaften mit Seinesgleichen oft dicht gedrängt in förmlichen Klumpen neben einander hängend, andere Fledermausarten dagegen nicht neben sich duldend, beziehentlich mit räuberischen Gelüsten bedrohend. Auf dem Speicher der Spitalkirche in Wetzlar sind diese Thiere, laut Koch, im Sommer so massenhaft beisammen, daß der Koth fußhoch sich anhäuft, ja daß dieser schon in Wagenladungen als Dünger abgefahren werden konnte. Im Herbste findet man sie nicht mehr vor, und sie kehren erst nachdem die Jungen mit den Alten fliegen dahin zurück. Im Winter suchen die Mäuseohren Gewölbe, Höhlen und Bergwerke zu ihrem Aufenthalte aus. Wo es viele Bergwerke gibt, wie bei Dillenburg, Herborn an der Lahn, in Westfalen etc., trifft man sie im Winter über das ganze Gebiet verbreitet und daher vereinzelt an, selten daß man ihrer zwei oder drei in einem Klumpen findet, während sie in Gegenden, wo zum Winterschlafe geeignete Stellen seltener sind, sie sich mehr zusammenziehen und Klumpen von dreißig bis fünfzig Stücken und mehr sich gesellen. Während des Winterschlafes ziehen sie sich ziemlich weit in die hinteren Räume der Bergwerke, Höhlen und Gewölbe zurück und hängen sich hier in der Regel frei an, obwohl es ebenfalls vorkommt, daß sich einzelne, gewöhnlich Weibchen, in Ritzen und Spalten einzwängen. Ihre Bissigkeit und Zanksucht vertreibt meist alle kleineren Fledermäuse, mit Ausnahme der Blutsauger; die Schwächlinge haben aber auch allen Grund, sie zu meiden, da sie wie Koch an Gefangenen beobachtete, kleinere Arten durch Beißen tödten und Theile von ihnen auffressen, namentlich besonderen Geschmack an den Flughäuten ihrer Opfer zu finden scheinen.

Gegen Ende des Frühjahres wirft das Weibchen in der Regel ein einziges Junge, in seltenen Fällen deren zwei, schleppt dasselbe anfangs mit großer Zärtlichkeit umher, macht sich aber bald von ihm frei, um so mehr, als die Entwickelung des Jungen außerordentlich rasch vor sich geht und es schon vor Beginn des Winterschlafes nicht mehr von den Alten unterschieden werden kann. Bei anhaltend mildem Wetter erwachen auch die winterschlafenden Mäuseohren und rühren sich, wagen sich jedoch niemals ins Freie, ebenso wenig als man sie im Sommer bei kaltem, unfreundlichem Wetter fliegen sieht. Selbst bei günstiger Witterung erscheinen sie erst nach eingetretener Dämmerung im Freien.

»Der Breite der Flügelfittige entsprechend«, sagt Altum, »ist ihr Flug gemächlich, man kann fast sagen matt, unbeholfen, krähenartig. Mit weitansholendem Schlage rudert sie in gerader Richtung ohne auffallend geschickte scharfwinkelige Wendungen zu machen, über breite, beiderseits von starken Wallhecken begrenzte Fahrwege, in nicht zu schmalen Alleen, auf freien Plätzen in der Stadt, über breite Straßen auf und ab, fünf, sechs bis acht Meter über dem Boden. Sie scheint nie Eile zu haben, während andere ihres Geschlechtes sich vor geschäftiger Hast kaum zu lassen wissen. Das Jagdgebiet, welches sie so abstreicht, scheint etwa fünf Minuten lang zu sein. Draußen habe ich sie nie anders als in der Nähe der Stadt oder unweit ausgedehnter Hofgebäude großer Güter angetroffen. Sogar den Waldrand scheint sie durchaus zu vermeiden, wie ihr ebenso alle kleinlichen Berhältnisse, enge Gäßchen, kleine Winkel, niedriges Gebüsch und Gesträuch zuwider sind. Sie liebt es überhaupt nicht, an Gebäuden, Baumreihen etc. ganz nahe vorbei zu streichen, sondern hält sich fast stets etwas entfernt von ihnen im Freien, schwingt sich demnach auch nicht niedrig über Dächer, schwenkt nicht um eine Ecke, sondern folgt mehr der Mitte der breiten Straßen. Trotz ihres ruhigen, einförmigen Flügelschlages fördert ihr Flug doch ebenso rasch wie der der Zwergfledermaus. Sie scheint von allen das zarteste Gefühl beziehentlich Gehör zu haben und deshalb im Stande zu sein, schon in einer bedeutenderen Entfernung auf ihre Beute geraden Weges loszusteuern, sodaß sie nicht in Verlegenheit kommt, unvermuthet, fast unmittelbar in deren Nähe gelangend, durch plötzliche, jähe Seitenwendungen sie erhaschen zu müssen. Ich habe gesehen, wie sie auf wenigstens drei Meter Entfernung fast unvermerkt nach einem Maikäfer sanft zur Seite abbog; es würde auch sonst unerklärlich sein, wie sie im Stande wäre, eine Menge viel schneller als Maikäfer fliegende Kerbthiere, namentlich Nachtschmetterlinge, welche sie erwiesenermaßen häufig verzehrt, bei ihrem eintönigen Fluge zu erbeuten.«

Gefangene Mäuseohren dauern, laut Koch, sehr gut aus, gewöhnen sich sogar an Fleischnahrung, sind aber unangenehme Zimmergenossen und scheinen wohl vertraut, aber nicht leicht zahm werden zu wollen.

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