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Ohrenmakis ( Otolienns).

Zu den uns am besten bekannten Halbaffen überhaupt gehören die Ohrenmakis oder Galagos, über deren Leben und Treiben schon ältere Reisende uns Kunde gegeben haben. Während bei den Zwergmakis der Sinn des Gesichtes obenan steht, überwiegt bei ihnen das Gehör, entsprechend den sehr großen häutigen Ohren, welche an die einzelner Fledermäuse erinnern. Der Leib der Galago's darf eher schmächtig als gedrungen genannt werden, sieht aber infolge der reichen Behaarung stärker aus als er ist; der verhältnismäßig große Kopf zeichnet sich außer den ungewöhnlich entwickelten, nackten Ohren, durch die einander genäherten großen Augen aus; Vorder- und Hinterglieder sind mittellang, Hände und Füße noch wohlgebildet, Zeigefinger und zweite Zehe, bei einzelnen auch Mittelfinger und mittlere Zehe mit krallenartigen, alle übrigen mit Platten Nägeln versehen. Vier große, schlanke, meißelförmige, getrennt von einander stehende Schneidezähne in den oberen, 6 größere, breite und lange in den unteren Kiefern, ein langer glatter, außen gefurchter Eckzahn, 3 Lück- und 6 Backenzähne in den oberen und ein etwas kürzerer aber stärker gekrümmter Eckzahn, 2 Lück- und 3 Backenzähne in den unteren Kiefern bilden das Gebiß; 13 rippentragende, 6 rippenlose, 3 Kreuz- und 22 bis 27 Schwanzwirbel neben den Halswirbeln setzen die Wirbelsäule zusammen.

Alle Galagos, Bewohner Afrika's und seiner westlichen und östlichen Inseln, müssen, abweichend von den Makis, als Raubthiere angesehen werden, welche nur nebenbei Früchte genießen. Um sie zu schildern, will ich hier die Worte wiederholen, welche ich in Gemeinschaft mit Kersten nach dessen Angaben und eigenen Beobachtungen in dem von der Decken'schen Reisewerke gebraucht habe. »Die Galagos sind Nachtthiere im eigentlichen Sinne des Wortes, Wesen, für welche der Mond die Sonne ist, Geschöpfe, an denen die eine Hälfte des Tages spurlos vorübergeht, welche, schläferiger als die Schlafmäuse, während jeder Stunde in sich zusammengerollt in irgend einem geeigneten Schlupfwinkel liegen und, falls ihnen verwehrt, einen solchen aufzusuchen, durch das ängstliche Verbergen ihres Kopfes vor dem verhaßten Sonnenlichte sich zu schützen, ja durch Zusammenrollen ihrer Ohren sogar vor jedem Geräusche zu sichern sich bestreben. Werden sie durch irgend eine Ursache gewaltsam aus ihrem tiefen Schlafe erweckt, so starren sie anfangs wie träumend ins Weite, kommen allmählich aus ihrer Schlaftrunkenheit zu sich und bekunden sodann durch abwehrendes Wesen, wie unangenehm ihnen die Störung war. Ganz anders zeigen sich dieselben Thiere nach Sonnenuntergang. Sobald die Dämmerung über den Wald hereinbricht, erwacht der Ohrenmaki, vielleicht infolge der ihm fühlbar werdenden abendlichen Kühle, biegt den über dem Kopfe zusammengewickelten Schwanz zurück, öffnet die Augen und entknittert die häutigen, bisher zu einem wohlschließenden Deckel des Gehörganges eingerollten oder richtiger zusammengeschrumpften Ohren, putzt und leckt sich, verläßt die Schlupfhöhle und beginnt nunmehr sein gespenstiges Treiben, bei Lichte betrachtet, ein Räuberleben im vollsten Sinne des Wortes, in welchem unersättlicher Blutdurst mit einer bei so hochstehenden Handthieren ungewöhnlichen Mordlust sich paart. Begabt wie irgend ein anderes Raubthier, fernsichtig wie ein Luchs, feinhörig wie eine Fledermaus, scharfspürig wie ein Fuchs, zwar nicht eben verständig, wohl aber listig, die Gewandtheit des Affen mit der einer Schlafmaus vereinend, die Unfehlbarkeit des Angriffs durch Dreistigkeit noch vermehrend, wird der Galago in Wirklichkeit zu einem furchtbaren Feinde des Kleingethieres und unterscheidet sich hierdurch wesentlich von den meisten seiner Ordnungsverwandten.«

In diesen Worten ist fast alles enthalten, was über das Freileben der Ohrenmaki's bis jetzt bekannt wurde; es dürfte auch nicht leicht sein, Ausführlicheres zu erfahren, da die Beobachtung des Treibens und Gebarens dieser Thiere während der Nachtzeit große Schwierigkeiten hat. So mangelt uns genaue Kunde über die Zeit und die Art und Weise der Fortpflanzung; denn nur das eine können wir sagen, daß die Ohrenaffen wie fast alle übrigen Handthiere ein einziges Junge zur Welt bringen. Auf Sansibar wird nicht selten ein gefangenes Galagoweibchen mit diesem einen Jungen zum Verkaufe ausgeboten. Letzteres hängt, wie es bei Affen, Halbaffen und Fledermäusen die Regel, an der Brust und an dem Bauche der Mutter, mit seinen vier Händchen fest eingeklammert in das wollige Flies der Erzeugerin, so fest, daß diese mit ihm alle Bewegungen ausführen kann, und daß man es kaum von dem Leibe der Mutter zu trennen vermag.

 

Unter den wenigen bis jetzt entdeckten und unterschiedenen Arten der Ohrenmaki's, deren größter einem fast erwachsenen Kaninchen gleichkommt, während die kleinste Art eine mäßiggroße Maus kaum übertrifft, kennen wir seit Adansons Zeiten den Galago ( Otolicnus Galago, Lemur G., O. senegalensis, O. Teng, Galago senegalensis, G. Moholi, G. Cuvieri), ein zierliches Geschöpf von Eichhörnchengröße, nämlich 16 bis 20 Centim. Leibes- und 23 bis 25 Centim. Schwanzlänge. Sein kurzer, aber dichter und seidenweicher Pelz ist auf der Oberseite fahlgrau, am Kopfe und auf dem Rücken schwach röthlich, aber an der Innenseite der Gliedmaßen sowie am Bauche gelblichweiß gefärbt; eine ähnliche Färbung zeigen auch die Wangen und eine zwischen den Augen entspringende und bis an das Nasenende verlaufende Längsbinde. Die Ohren sind fleischfarben, die Augen braun.

Ein großer Theil Afrika's ist die Heimat des Galago. Adanson entdeckte ihn in den Waldungen des Königreichs Galam am Senegal; spätere Reisende beobachteten ihn in Südafrika und in Sudahn. Hier fand auch ich ihn mehrere Male, immer aber nur westlich von dem Weißen Nil und namentlich in Kordofân. Den Eingeborenen ist er unter dem Namen Tendj wohlbekannt; sie glauben, daß er ursprünglich ein Affe gewesen und nur wegen seiner Schlafsucht so herabgekommen sei. Wir trafen den Tendj bloß in Mimosenwäldern an. Gewöhnlich war ein Pärchen beisammen. Die Thiere schliefen, auf dichten Aesten ganz nahe am Stamme sitzend, wurden aber augenblicklich munter, sobald sie unsere Fußtritte vernahmen. Wenn wir sie aufscheuchten, kletterten sie – bei Tage – rasch und gewandt an dem Geäste umher, ergriffen aber niemals die Flucht, sondern blieben immer bald wieder ruhig und vertrauensvoll sitzen und lauschten und spähten durch das dichte Laubwerk nach uns hernieder. Durch die vielen scharfen Stacheln der Mimosen wußten sie sich sehr geschickt zu bewegen und verstanden es auch, weite Sätze von einem Baume zum anderen zu machen. Nachts sollen sie, wie man uns sagte, schnell aber lautlos ihrer Kerbthierjagd oder wenigstens ihrer Fruchternte obliegen, und ihre Augen sollen dann schimmern »wie das brennende Feuer«. Man sagte, daß die Thiere sehr leicht in Schlingen gefangen, ja, bei Tage von guten Kletterern sogar mit der Hand erhascht werden können; denn der Fänger brauche nur den Ast, auf welchem der Tendj sitzt, tüchtig zu schütteln, dann klammere sich dieser, aus Furcht herabzufallen, fest an und lasse sich ergreifen. Ich glaube, daß diese Fangart ergiebig ist, weil ich selbst sie öfters mit Erfolg auf junge Eichhörnchen angewendet habe.

Galago (Otolicnus Galago).

Der Kaufmann Bacle, welcher zu Anfang unseres Jahrhunderts in Senegambien reiste, erhielt ein Pärchen von einem Neger, welcher es in den Gummiwäldern der südwestlichen Sahara gefangen hatte. Man nannte die Galagos »Gummithiere« und versicherte, daß sie Mimosenharze sehr gern fräßen. Das gefangene Paar bestätigte diese Angabe durch die That, zog aber doch Kerbthiere jeder anderen Nahrung vor. Während der Ueberfahrt geriethen beide augenblicklich in Bewegung, wenn ein Kerf an ihnen vorübersummte; sie lauerten auf Küchenschaben und schnappten sie schnell und sicher weg, sobald sie ihnen nahe genug kamen. Man ernährte sie mit Eiern, gekochten Speisen und Milch, und sie befanden sich ganz wohl dabei. In ihrem Betragen erinnerten sie ebenso sehr an die Makis wie an die Fledermäuse. Ihr Muthwille, ihre Lebhaftigkeit und namentlich ihre Kraft im Springen setzte alle Reisende in Erstaunen; das merkwürdigste blieb aber doch die Bewegung ihrer Ohren. Diese konnten sie, wenn sie schlafen wollten, gänzlich verschließen. Zuerst runzeln und verkürzen sich die Ohren am Grunde, dann schlägt sich die Spitze derselben um und ein, so daß man von dem ganzen Ohre kaum noch etwas sehen kann. Beim geringsten Geräusche aber rollt sich die Ohrspitze wieder auf, und die ganze Muschel spannt und glättet sich. Genau in derselben Weise verfahren einige Fledermäuse, um ihren so überaus feinen Gehörssinn abzustumpfen und in dem Gelärm des Tages ruhig zu schlafen.

Der auf Sansibar lebende Ohrenmaki, welcher sich von dem des nahe gelegenen Festlandes zu unterscheiden scheint, der Komba der Suaheli ( Otolienus [Otolemur] agisymbanus), übertrifft den Galago an Größe: seine Leibeslänge beträgt 20 bis 30, die Schwanzlänge 22 bis 25 Centim. Die vorherrschende Färbung des Felles ist gelblich- oder bräunlichgrau, da die Haare an der Wurzel aschgrau, an der Spitze braun aussehen. Auf der Schnauzen- und der Nasengegend sowie auf den Fingern und Zehen dunkelt die Farbe, auf Kinn und Wangen lichtet sie sich zu Grauweiß; auf Brust, Bauch und Innenseite der Glieder geht sie in ein helleres Grau über. Der an der Wurzel braunrothe Schwanz ist in der Hinteren Hälfte schwarzbraun. Die großen, beinahe kahlen Ohren sehen aschgrau aus.

Auf Sansibar hat man, laut Kersten, ein sehr einfaches Mittel, sich des Komba zu bemächtigen; man fängt ihn, ohne eigentlich Jagd auf ihn zu machen: seine Leckerhaftigkeit wird ihm zum Verderben. Ungeachtet der Gier nach dem warmen Blute höherer Wirbelthiere nämlich, ist der Komba süßen Genüssen nicht abhold, ja im Gegentheile denselben in einer Weise zugethan, für welche es nur noch in der Lebensweise der Affen und einzelner Nagethiere anderweitige Belege gibt. »Wenn der Palmenwein abgeschöpft wird, stellt gar nicht selten unser Ohrenmaki als ungebetener Gast zu dem ihm in hohem Grade behagenden Schmause sich ein, schlürft von dem süßen Labetrunke und erprobt auch an sich die Wahrheit, daß zu viel des Geistes den Geist umnebelt. Denn nicht allein süß ist die wundersame Flüssigkeit, welche dem Palmenhaupte entströmt, sondern auch berauschend, und zwar um so mehr, je länger sie mit der Luft in Berührung war. Der durstige Zecher in Lemurgestalt verliert die Besinnung, stürzt von der für ihn sicheren Höhe des Baumes herab auf den Boden und bleibt liegen, vom schweren Rausche bemeistert. Hier findet ihn am Morgen der Neger, welcher ausgesandt wurde, den ausgeflossenen Palmenwein zu sammeln, hebt den regungslosen Träumer vom Boden auf, birgt ihn zunächst in einem einfachen Käfige oder fesselt ihn mit einem um die Weichen geschlungenen Stricke, bringt ihn nach der Stadt und bietet ihn hier einem der auf solcherlei Thiere erpichten Europäer zum Kaufe an, nöthigenfalls ihn von einem Hause zum anderen oder selbst auf eines der im Hafen liegenden Schiffe tragend.

»Mit nicht geringer Verwunderung und entschiedenem Misbehagen sieht sich das Kind des Waldes beim Erwachen im Käfige oder doch gefesselt, mindestens eingeschlossen im beengenden Raume. Für die Freundlichkeit, mit welcher der Pfleger ihm entgegenkommt, zeigt es nicht das geringste Verständnis, vielmehr nur Widerwillen, Unlust und Bosheit. Sein schwaches Gehirn vermag sich in die veränderten Umstände nicht so bald zu fügen; es vergilt die ihm gewährte Liebe mit Haß, thut, als ob es willentlich geschähe, regelmäßig das Gegentheil von dem, was sein Gebieter beabsichtigte, verschmäht Speise und Trank und regt sich nur, wenn es gilt, die Zähne zu zeigen.

»Mismuthig entschließt sich zuletzt der mit den Sitten und Gewohnheiten des Komba nicht vertraute Europäer, das widerhaarige Geschöpf sich selbst zu überlassen, nachdem er ihm vorher im Käfige noch ein behagliches Lager zurecht gemacht, vielleicht hoffend, daß Schlaf und Ruhe den Gefangenen milder stimmen, ihn seinen Groll vergessen lassen werde. Beim Morgenbesuche, welchen der Gebieter seinem Pfleglinge macht, sieht er zu seiner nicht geringen Ueberraschung die Thüre des behaglich eingerichteten Käfigs offen, das Lager leer, den Flüchtling aber im Innern des bisher zwei Feuerwebern zum Aufenthalte dienenden Gebauers in sich selbst zusammengerollt liegen. Im ersten Augenblicke vermag er nicht zu begreifen, was den Komba bewogen haben kann, aus seinem geräumigen, wohnlich eingerichteten Hause zu entrinnen, an der glatten Wand mit Mühe sich emporzuschwingen, in den engen, unbehaglichen Käfig einzuzwängen und zum Befreier der früheren Bewohner aufzuwerfen. Nachdem er sich aber vergeblich nach diesen umgeschaut, alle Winkel und Ecken des Raumes durchmustert und doch keines der rothen, lebendigen Flämmchen wahrgenommen hat, dämmert in ihm eine Ahnung der Wahrheit auf. Hastig nimmt er den Käfig mit dem Komba von der Wand herab, und auf dem Boden desselben liegen einige Ueberreste der prächtigen Vögel. Ergrimmt greift er nach dem Raubmörder, um ihn zu züchtigen; der Komba aber, welchem jegliches Schuldbewußtsein fehlt, rächt mit einem wohlangebrachten Bisse die ihm zugedachte Unbill und enthüllt somit seinem Pfleger eine diesem noch unbekannte Seite seines Wesens.

»Doch unser Halbaffe ist ein viel zu anziehendes Geschöpf, als daß der Zorn eines Thierfreundes lange andauern könnte. Der Verlust der Feuerweber wird verschmerzt, der Komba dafür gewonnen. Allgemach befreundet sich der Störrische mit seinem Wohlthäter. Als entschiedener Freund berauschender Getränke meidet er das Wasser, auch wenn man ihn in der Absicht, seinen Trotz zu brechen, längere Zeit dürsten ließe. Das ihm endlich vorgesetzte Schälchen Sorbet ist aber doch gar zu verlockend, als daß er es unberührt stehen lassen sollte. Bis auf die Neige schlürft er es, sein Behagen durch Laute bekundend, welche an das Schnurren der Katze erinnern, und dankbar gleichsam leckt er auch noch den mit der süßen Flüssigkeit befeuchteten Finger ab. Nachdem einmal das Eis gebrochen, hält es nicht schwer, ihn weiter zu zähmen. Bald nimmt er in Milch geweichtes Weißbrod zu sich; nach kurzer Zeit findet er bereits an gezuckertem Thee und Kaffee Gefallen; schließlich gewöhnt er sich so an diese Getränke, daß er nie verabsäumt, zur Theestunde freiwillig sich einzustellen. Bezüglich der festen Nahrung beharrt er treuer bei seinen alten Gewohnheiten; Fleisch bleibt unter allen Umständen seine Lieblingskost, obschon er sich herbeiläßt, an einer Banane zu knabbern, eine Mango auszusaugen, eine ähnliche Frucht zu genießen. Doch geschieht dies vielleicht nur deshalb, weil die süße Frucht ihm so zu sagen mehr als geronnenes Getränk, denn als Nahrung Vorkommen mag. Fleisch der verschiedensten Wirbelthiere, vor allem aber Kerfe bleiben seine Hauptnahrung, und erst nach längerer Gefangenschaft entschließt er sich, auch gekochtes Fleisch als genießbar zu betrachten.

»Im Verlaufe der Zeit vergilt er die ihm gewidmete Sorgfalt durch gute Dienste. In dem Raume, welcher einen Komba beherbergt, endet alle Gemüthlichkeit des Lebens einer Maus, in dem Zimmer oder auf dem Schiffe, welches er bewohnt, stellt er den so lästigen großen Schaben mit unermüdlichem Eifer nach. Unhörbar dahinschreitend naht er sich der von ihm erspähten Schabe, die spinnengleichen Finger weit gespreizt, greift plötzlich zu, zerdrückt in demselben Augenblicke die erpackte Beute und führt sie unmittelbar darauf, behaglich schmatzend, zum Munde. Mit Vergnügen erinnern wir uns einer Beobachtung, welche wir während der langweiligen Seefahrt anstellten. Die Menge der unser Schiff bevölkernden Schaben machte es nothwendig, von Zeit zu Zeit unsere Kleiderkisten zu untersuchen. Der von den Schmarotzern herrührende Gestank, welcher uns beim Oeffnen der Kiste entgegendrang, lockte unseren zahmen Ohrenmaki herbei. Trotz der ihm ungelegenen Tageszeit musterte er mit großer Aufmerksamkeit den Inhalt der Kiste, bewies uns auch sehr bald, daß er sehr wohl wußte, warum er gekommen; denn er hatte jetzt vollauf zu thun, um das von uns aufgerührte, wimmelnde Heer zu Paaren zu treiben. Mit überraschender Geschicklichkeit fuhr er blitzschnell bald nach dieser bald nach jener Stelle, hier eine ausgebildete Schabe, dort eine Puppe ergreifend, und während er mit der einen Hand die eben gepackte am kauenden Munde festhielt, war die andere beschäftigt, neues Wild zu erjagen. So spähte, lauschte, schaffte und schmauste er, bis wir unsere Arbeit beendigt hatten.

»Ein wirklich gezähmter Komba ist weit liebenswürdiger und anmuthiger als ein Affe, Störung seines Tagesschlafes berührt natürlich auch den frömmsten höchst unangenehm; abends hingegen, nachdem er sich vollständig ermuntert, beweist er seinem Gebieter eine große Anhänglichkeit und warme Zuneigung, obschon er hierin hinter seinen Ordnungsverwandten, den Makis, noch zurücksteht. Aber er gestattet, daß man ihn angreift, gibt sich mit Vergnügen den ihm erwiesenen Schmeicheleien hin und denkt gar nicht mehr daran, von seinem scharfen Gebiß Gebrauch zu machen. Mit Seinesgleichen verträgt er sich von Anfang an vortrefflich, auch an andere Hausthiere gewöhnt er sich. Wenn er erst gelernt hat, verschiedenerlei Nahrung zu sich zu nehmen, hält es nicht schwer, ihn nach Europa zu bringen.«

Der größte bis jetzt bekannte Ohrenmaki, welchen wir Riesengalago nennen wollen ( Otolienus [Otolemur] crassicaudatus), kommt einem Kaninchen an Leibesumfang beinahe gleich: seine Leibeslänge beträgt 30 bis 32, die Schwanzlänge 40 bis 42 Centimeter. Das dichte, wollige Fell, welches namentlich den Schwanz buschig bekleidet und nur auf dem Rücken der Hände und Füße sich verkürzt und anlegt, ist auf dem Oberkopfe rothbraun, auf dem Rücken graulichrostfarben, auf der Unterseite grau oder gelblichweiß, auf dem Schwanze rostbräunlichroth, auf den Fingern und Zehen schwarzbraun, jedes einzelne Haar an der Wurzel blau- oder schwarzgrau, an der Spitze silbergrau, schwarz und braun geringelt oder auch ganz schwarz.

Stellungen des Riesengalago.

Das Verbreitungsgebiet erstreckt sich über einen ziemlich großen Theil Ostafrikas, von Mosambik an bis zum Djuba herab; über das Freileben des Thieres aber wissen wir noch so gut als gar nichts. Dagegen gelangen neuerdings gerade Galagos nicht allzu selten lebend in unsere Käfige und haben hier auch mir zu Beobachtungen Gelegenheit gegeben, aus denen hervorgeht, daß der Riesengalago im wesentlichen sich von den Verwandten nicht unterscheidet. Wie diese ist er ein vollkommenes Nachtthier, welches den ganzen Tag verschläft, die ganze Nacht aber munter und lebhaft sich umhertreibt und erst morgens, nachdem es vollkommen licht geworden, sein Lager sucht, Ueber Tags ruht er in sehr zusammengerollter Haltung, halb liegend, halb kauernd in der dunkelsten Ecke seines Käfigs. Er legt dabei seinen Kopf zwischen die Vorderhände, umhüllt ihn dicht mit seinem buschigen Schwänze und packt diesen mit den beiden Hinterhänden, welche er vorschiebt, so weit die langen Beine es gestatten. Auf diese Weise versteckt er den Kopf so vollständig, daß man außer den Ohren, welche niemals bedeckt werden, nicht das geringste sieht. Eine Schwanzbiegung schließt gewöhnlich das eine Ohr ein und verdeckt dabei zugleich die Augen. Die Ohren werden in der Regel eingerollt und erscheinen dabei schlaff und zerknittert. Ungefähr um fünf Uhr abends erwacht er, dehnt und reckt sich und schaut spähend in die Runde, wobei er den Kopf abwechselnd vorschiebt und wieder zurückzieht. Dann putzt er sich, und nun endlich beginnt er zu klettern. Seine Bewegungen sind stets langsam und bedächtig, die Tritte vollkommen unhörbar. Die Finger werden beim Auftreten weit gespreizt; der Schwanz schleift auf dem Boden nach. Er klettert langsam, aber äußerst geschickt, kopfoberst und kopfunterst, hängt sich an einem Vorder- oder an einem Hinterbeine fest und schaukelt sich dann, geht an der Decke seines Käfigs hin etc . Seine Kost besteht in Milchbrod, Fleisch und Früchten. Feigen und Rosinen frißt er leidenschaftlich gern; auf Kerbthiere und deren Larven oder Puppen ist er erpicht. Er faßt die ihm vorgehaltene Nahrung mit dem Munde oder mit den Händen; ihm noch Unbekanntes pflegt er leckend zu betasten. Lebende Vögel betrachtet er mit lüsternem, vielsagendem Auge. Auf seinen Wegen beschnuppert er zunächst jeden Gegenstand; dann erst betastet er ihn mit der Zunge. Er ist gutmüthig und läßt es sich gern gefallen, wenn man ihn kraut; nur wenn man ihn aufhebt, pflegt er zu beißen. Sein Aussehen deutet auf Verstand; die hübschen, braunen, stark gewölbten Augen sehen klug ins Weite. Bei Tage ist der Stern bis auf eine sehr kleine, schmale Ritze zusammengezogen, nachts erweitert er sich bedeutend. Kurz nach dem Erwachen stößt das Thier gewöhnlich seinen eigenthümlichen Ruf aus, welcher an das Rucksen mancher Tauben erinnert. Er beginnt mit dem leise hervorgestoßenen dumpfen Laut »Du«, steigert sich dann und endet mit dem schwächeren, miauenden »Dju«. Der ganze Ruf klingt ungefähr wie »du, tu tu, tu, tu tui, dju dju«, sehr dumpf und hohl.

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