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Achtunddreißigstes Kapitel.
Das neue Bündnis

»Nun also«, sagte Lee Haines, als er zu Buck Daniels ins Wohnzimmer zurückkam. »Unsere Verstärkung geht zum Teufel. Die ganze Bande wird auseinanderfahren wie Spreu, wenn Barry hier hereingeschneit kommt. Es sieht mir so aus ...«

»Halt den Mund!« unterbrach ihn Daniels. »Halt den Mund!«

Sein dunkles, hausbackenes Gesicht trug einen Ausdruck erschrockener Verblüffung. Er flüsterte: »Hörst du es? Nebenan! Kate gibt Joan Prügel, weil sie davongelaufen ist, und das Kleine tut nicht 'nen Mucks.«

Er hielt, zum Schweigen mahnend, den Finger hoch, und Haines hörte nebenan die Rute pfeifen und niederfallen. Dann hörte das Geräusch auf.

»Wenn du wieder wegläufst,« drohte Kate – ihre Stimme war merkwürdig hoch und zitterte –, »dann haut Mutter noch viel fester und sperrt dich in eine dunkle Kammer, ja, und lange, lange Zeit!«

Noch immer blieb das Kind stumm. Nicht einmal der Laut erstickten Schluchzens drang heraus. Jetzt öffnete sich die Tür und Kate erschien.

»Lauf in die Küche und laß dir von Lee Frühstück geben. Unartige Kinder brauchen nicht mit Mutter zusammen zu frühstücken.«

Joan marschierte über die Schwelle. Ihr kleines, rundes Gesicht war ganz weiß und völlig ausdruckslos. Als sie an ihrer Mutter vorbeikam, duckte sie sich nicht ängstlich zusammen. Tapfer marschierte sie quer durch das Zimmer, stellte sich auf die Zehen, um die Küchentür zu öffnen, und verschwand. Kate fiel in einen Stuhl. Sie zitterte vor Aufregung.

»Raus!« flüsterte Buck Lee Haines zu. »Troll' dich! Ich muß allein mit ihr sprechen.« Haines gehorchte. Buck ließ sich dicht neben Kate nieder. Er sah, wie sich ihre Finger in wortloser Erregung ineinander krampften.

»Was hat er ihr angetan, Buck? Was hat er ihr angetan?«

Buck hatte einen Grundsatz: Sich aussprechen ist für eine Frau dasselbe, was das Fluchen für einen Mann ist – ein Sicherheitsventil. Deshalb wartete er schweigend, bis der erste Ansturm ihres Schmerzes vorüber war.

»Das Herz hat sich mir im Leib herumgedreht. Sie hat mich nur immer angestarrt, während ich sie schlug. Keine Träne, nicht einmal zornig war die Kleine. Sie stand bloß da – mein Kind! – und starrte mich an.«

Sie fiel zurück und schloß die Augen. Buck konnte die Spuren sehen, die die Aufregung dieser Tage in ihr Gesicht gegraben hatte. Er hatte ein brennendes Verlangen, sich vorzubeugen und sie tröstend in die Arme zu schließen.

»Ich werde noch verrückt darüber, Buck. Ich kann es nicht ertragen. Wie ist es nur möglich, daß er das Kind so verwandelt hat?«

»Nun hört mal, Kate, Joan ist nicht verwandelt. Es zeigt sich bloß, was in ihr steckt.«

Die Mutter starrte ihn mit einem irren Ausdruck an.

»Schaut mich nicht an, als wär' ich' ein Mörder. Gott weiß, wie leid mir die Sache tut, Kate, aber wenn Joan das Blut ihres Vaters geerbt hat, ist's nicht meine Schuld. Ihr müßt nicht glauben, daß er ihr das erst beigebracht hat. Aber, daß sie mit ihm allein war, hat erst an die Oberfläche gebracht, was in ihr steckt.«

»Buck, ich kann Euch nicht glauben. Am liebsten möcht' ich Euch gar nicht zuhören. Ich darf's gar nicht.«

»Ihr müßt zuhören, Kate, Ihr wißt ja selbst, daß ich recht hab'. Glaubt Ihr wirklich, man könnte einem Kind beibringen, daß es dasteht und keinen Mucks tut, wenn man es haut?«

»Ich weiß alles.«

Sie sprach leise, wie wenn eine geheimnisvolle und furchteinflößende Gewalt ihr Gespräch belauern könne. Und auch Buck dämpfte, ihrem Beispiel folgend, die Stimme.

»Sie ist wild, Kate. Ich hab' es gleich gewußt, als ich sah, wie das Kind mit Bart umgesprungen ist. Sie ist wild.«

»Dann werde ich sie wieder zähmen.«

»So was habt Ihr schon einmal versucht, und es ist mißglückt.«

»Dan war schon ein Mann, als ich es versuchte. Sein Charakter war bereits geformt. Joan ist noch ein ganz kleines Kind – mein Kind! Zur Hälfte wenigstens gehört sie mir. Sie hat mein Haar und meine Augen.«

»Für mich bleibt's gleich, was für 'ne Farbe ihre Augen haben mögen. Ich weiß, was hinter den Augen steckt. Schaut Euch doch mal ihre Augen an und sagt selbst, wem die Kleine nachschlägt.«

»Buck, warum sagt Ihr das alles? Worauf zielt Ihr ab? Was soll ich, Eurer Meinung nach, tun?«

»Schickt Joan zurück zu Dan, so schwer es Euch auch fällt.«

»Niemals!«

»Dan wird das Kind niemals hergeben. Das sag' ich Euch!«

»Ach! Gott steh mir bei! Was soll ich tun? Ich will sie behalten! Ich will sie wieder zähmen!«

»Aber so wird's Euch nie gelingen, sie bei Euch zu behalten. Denkt an Dan, denkt an das gelbe Funkeln in seinen Augen!«

»Solang ich atme,« antwortete sie, und mit einemmal schien sie gesammelt und gefaßt, »werde ich dafür kämpfen, daß das Kind bei mir bleibt.«

Und er antwortete mit demselben feierlichen Nachdruck: »Auch Dan wird kämpfen bis zum letzten Atemzug, um die Kleine zu bekommen. Und Dan ist noch niemals besiegt worden.«

Einen Atemzug lang starrten die beiden sich in die Augen. Buck war der erste, der den Kopf wandte. Alles, was frauliche Milde und Zartheit gewesen war, war aus Kates Gesicht gewichen; etwas anderes war an seine Stelle getreten, und es machte, daß Buck von seinem Stuhle aufsprang und unstet im Zimmer umherging, um es dann plötzlich zu verlassen.

Draußen fand er Lee Haines und erzählte ihm kurz, was vorgegangen war. Beide waren sich darüber klar, daß der große Kampf zwischen Dan und Kate begonnen hatte und daß er nicht aufhören würde, bis einer der beiden tot war, oder der Siegespreis, um den sie stritten, verlorengegangen war. Es war sicher, daß Barry ihnen nachjagte, daß er sie früher oder später auf der Ranch entdeckte, daß er zur Gewalt griff, um sich Joan zu sichern. Und keiner war da, der ihnen in diesem Kampf beistehen wollte. Die Cowboys auf der Ranch, dessen waren sie sicher, stoben bei dem ersten Anzeichen, bei den ersten schrillen Tönen seines unheilverkündenden Pfeifens auseinander wie Spreu im Wind. Vielleicht ritt einer von ihnen nach Elkhead und brachte dort ein Aufgebot auf die Beine, aber das nahm mindestens zwei Tage in Anspruch, da erst die kampftüchtigsten Leute gefunden werden mußten. In der Zwischenzeit konnte, mit ziemlicher Sicherheit, Dan über die Ranch herfallen, während der Bote noch unterwegs war. Es gab keinen Kriegsplan. Es blieb nichts anderes zu tun, als geduldig zu sitzen und auf die Krisis zu warten. Beide waren sie tapfer, unbedingt tapfer. Beide hatten die Erfahrungen manchen Kampfes hinter sich, aber sie fingen jetzt an, auf Dans Ankunft zu warten, wie der Verurteilte auf den Tag seiner Hinrichtung.

Unter diesen Umständen legte es für ihre männliche Fassung ein gutes Zeugnis ab, daß sie Kate gegenüber mit keinem Wort das berührten, was früher oder später eintreten mußte. Sie hielten sich im Hintergrund und sahen dem Schauspiel zu, wie eine Mutter sich mit tausend Listen mühte, die Zuneigung ihres Kindes zurückzugewinnen.

Vom Frühstück bis zum Hereinbruch der Dunkelheit ließ Kate keinen Augenblick ungenützt verstreichen. Die beiden machten Spaziergänge und pflückten wilde Blumen auf dem Hügel westlich des Hauses, sie saßen zusammen auf der Veranda, Kate erzählte Geschichten von der Cumberland Ranch und zeigte der Kleinen die fernen Berge, die ihre Grenzen bildeten. Sie sagte ihr, all dies werde einstmals ihr gehören. Die Männer, die da drüben ritten, seien in ihrem Dienst, das Vieh, das auf den Hängen weidete, sei mit ihrem Brandzeichen gestempelt. Sie kleidete das alles in schlichte kindliche Worte, die Joans Verständnis zugänglich waren, aber soviel Buck und Lee bemerken konnten, zeigte sich niemals auch das kleinste Anzeichen von Verständnis und Interesse in Joans Augen.

Jede Stunde war ein harter, aufreibender Kampf. Nach dem Abendessen lehnte Kate erschöpft, mit halb geschlossenen Augen, in ihrem Sessel vor dem Feuer. Es wirkte, wie wenn sie ihre Niederlage eingestehe, denn Joan hockte in der dunkelsten und entferntesten Ecke des Zimmers auf dem Diwan, das Kinn auf die beiden kleinen Fäuste gestützt, und starrte in trotzigem Schweigen durch das Fenster, nach den dunkler und dunkler werdenden Bergen hinaus. Buck und Lee saßen in Kates Nähe. Keiner von ihnen sprach, aber hier und da trafen sich ihre Augen in einem Blick, in dem ein letzter Schimmer von Hoffnung aufglimmte. Vielleicht würde Kate jetzt endlich einsehen, daß sie etwas unternommen hatte, das unmöglich war. Vielleicht schickte sie Joan jetzt doch zu ihrem Vater zurück und ersparte so den beiden Männern den hoffnungslosen Kampf.

Aber in dem Augenblick, da Kate mutlos verzichten wollte, nahm an ihrer Stelle der Zufall den Kampf auf und die Wage des Schicksals schien sich plötzlich nach der anderen Seite zu senken. Der alte Li, der chinesische Koch, hatte Kate nun sechs lange Jahre nicht gesehen, und er feierte ihre Heimkehr dadurch, daß er tausend Vorwände erfand, um in ihrer Nähe zu sein. So hatte er auch jetzt wieder eine besondere Delikatesse aus der Küche für sie hereingebracht. Die Tür war ein wenig offen geblieben. Mit einemmal schob ein kleiner, grauer Pelzball sich vorsichtig durch die Öffnung und steuerte dann schnurstracks auf den verlockenden Feuerschein des riesigen Kamins los. Es war ein junger Schäferhund, noch ganz winzig. Er machte vor den beiden Männern halt, betrachtete sie mit glänzenden, furchtlosen Augen und wackelte dann eifrig schnüffelnd nach dem Kamin. Trotz seiner Jugend und Unerfahrenheit wußte er doch genug, um von den glühenden Kohlen, trotz ihres verlockenden Glanzes, wegzubleiben. Aber wer konnte ahnen, daß die schwarzen Kamineisen, die so kalt und harmlos aussahen, durch die Glut des Feuers lebensgefährlich erhitzt worden waren? Das kleine Vieh streckte schnüffelnd seine neugierige Nase danach aus, berührte das Eisen – und mit einemmal gellte sein schriller Schmerzensschrei jäh durch den Raum. Die Erwachsenen fuhren erschrocken aus ihren Gedanken auf. Joan aber flog mit einem Freudenschrei aus ihrer Ecke zum Feuer hinüber.

Das Hündchen wäre gern entwischt; sein Trachten stand jetzt nach der vertrauten warmen und dunklen Ecke in Lis Küche, wo man vor allem Unheil geborgen war, aber Joans geschickte Hände hatten ihn schon gepackt, sie schlang die Arme um das kleine Wesen und hob es auf. Der dünne, hilfeheischende Schmerzensschrei, die sanfte Berührung des flaumigen Fells an ihrer Wange hatten in Joans Erleben alles andere ausgelöscht. Zum Fenster hinaus, nach den düsteren Bergen hin, hatte sie gestarrt, hatte von der Höhle geträumt, von Satan mit den glänzenden Augen, von Barts dunkler Gestalt, von Daddy Dans flinken liebkosenden Händen. Das alles war nun mit einemmal ausgelöscht. Nicht länger war sie einsam. Dies winzige, warme, weiche Geschöpf brauchte ihre Hilfe. Da saß ihre Mutter ein wenig zu ihr hingebeugt, mit Augen, in denen es glänzte und in denen doch zugleich ein Tränennebel schwamm, und Joan hatte von diesem Augenblick an ganz und gar vergessen, daß Mutter es gewesen war, die sie aus der wundervollen Höhle zurückgeholt hatte.

»Schau, Mutter, es hat sich die Nase verbrannt.«

Das Hündchen leckte unermüdlich die wehe Nase und winselte dazu. Und Joan bekam von ihrer Mutter keine andere Antwort als einen leisen erstickten Laut tief in der Kehle. Durch ihr kleines Hirn zog verschwommen, unbestimmt wie alle Erinnerungen kleiner Kinder, die Erinnerung an denselben Laut, der tief aus der Kehle der Mutter gekommen und immer wunderbar tröstend und beruhigend gewesen war. In ihrem Kindergemüt war mit einemmal eine Saite des Vertrauens und des Begreifens angeschlagen und schwang leise weiter. Sie vergaß für einen Augenblick das Hündchen, das sie in den Armen hielt, und blickte mit tiefer und scheuer Neugier in Kates Gesicht. Und auf ihrem eigenen Gesichtchen zuckte es, ein kleines Lächeln erschien in den Augen und breitete sich aus, bis auch ihre Lippen lächelten.

»Armes, kleines Hündchen, Mutter«, sagte Joan.

Kates Hände zitterten vor Sehnsucht, das Kind an sich zu ziehen, aber mit weiser Beherrschung begnügte sie sich, den Kopf des Hündchens zu streicheln, das sich ängstlich zusammenduckte.

»Armes, kleines Hündchen«, wiederholte sie.


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