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Zweiunddreißigstes Kapitel.
Ablösung

Die Pferde von St. Vincent schnaubten von dem eiligen Lauf, aber die Gäule des Aufgebots taumelten. Sie waren bereits völlig erschöpft. Seit sie Rickett verlassen hatten, hatten sie so ziemlich die ganze Zeit ein mörderisches Tempo durchstehen müssen. Das letzte Rennen hatte ihnen den Rest gegeben. Mindestens sieben von den fünfzehn auserwählten Tieren waren für alle Zeit ihr Futter nicht mehr wert. Sie standen mit hängenden Köpfen, blutiger Schaum bedeckte ihren Bug, blutiger Schaum troff ihnen aus den Mäulern. Ihre Flanken arbeiteten wie Blasebälge. Ihr Atem kam und ging mit dem bösartigen Rasseln, das der Reiter fürchtet. Das Aufgebot schwang sich, Mann für Mann, verdrossen aus dem Sattel.

»Wer ist Chef bei euch, Boys?« rief Johnny Gasney, der schnaufend heranritt. »Bei Gott, wir werden den Kerl noch erwischen! Aber der schwarze Gaul hat den Teufel im Leib. Wer ist Boss bei euch?«

»Ich bin nicht gerade Boss,« antwortete Mark Retherton, den selbst die äußerste Todesangst nicht dazu gebracht hätte, seine schleppende Redeweise zu beschleunigen, »aber kann sein, ich kann für die anderen reden. Was ist los, Johnny?«

»Ihr werdet neue Pferde brauchen?«

»Vor allem werden wir Gräber für die brauchen, die wir haben«, knurrte Mark und starrte düster in die halberloschenen Augen seines Mustangs. »Das war das beste Weidenpony, auf dem ich je gesessen hab', und jetzt – schau' dir's selbst an!«

»Hier ist Ablösung!« unterbrach ihn Johnny Gasney. »Billy hat herübertelephoniert.« Fünf Mann erschienen, von denen jeder drei Handpferde am Zügel führte. »Billy hat telephoniert und mich angewiesen, fünfzehn Pferde bereitzuhalten. Er muß sich gedacht haben, wo dieser Barry hinsteuern würde. – Und da habt ihr sie – die besten, die wir in St. Vincent hatten – aber ich bitt' euch um's Himmels willen, geht besser mit ihnen um, als mit denen da!«

Die Leute vom Aufgebot machten sich schweigend ans Werk, den frischen Gäulen ihre Sättel aufzulegen. Mark Retherton schnallte mit einem brutalen Ruck den Sattelgurt zu und warf dabei über die Schulter nach Johnny Gasney hin:

»'s gibt 'ne Unmasse Pferdefleisch hier herum, aber bloß einen Barry! Ihr Burschen könnt euren Pferden Lebewohl sagen, wenn wir den Kerl nicht erwischen, eh' sie am Verrecken sind.«

Johnny Gasney rieb sich verlegen den fetten, roten Kopf.

»'s ist schon gut,« erklärte er schließlich', »'s ist ja gar nicht möglich, daß das schwarze Vieh es länger aushält als die Gäule hier. Zieht ab, Boys, und reitet wie die Teufel. Billy hat andere Pferde in Wago bereitstellen lassen.«

Sie nahmen sich nicht die Zeit zu warten, bis alle zusammen aufbrechen konnten. Jeder setzte seinem Tier die Sporen ein, sobald er im Sattel saß. Vordem waren sie geritten, um Pete Glass zu rächen, jetzt waren mindestens sieben unter ihnen, die Dan nachsetzten, um die Pferde zu rächen, die sie zuschanden geritten hatten. Für einen Cowboy ist sein Pferd dasselbe wie ein Freund.

Sie hatten darauf gerechnet, zunächst von dem Rappen keine Spur zu entdecken. Zu ihrer freudigen Überraschung sahen sie ihn aber, keine halbe Meile entfernt, durch den St.-Vincent-Bach waten. Barry hatte ganz zutreffend vermutet, daß die Verfolgung, nachdem er ihnen um ein Haar entwischt war, einen Augenblick aussetzen würde. Er hatte am Bach haltgemacht. Satan sollte ein wenig verschnaufen. Er traute sich nicht, ihn aus dem Bach saufen zu lassen, sondern gönnte ihm bloß knapp ein Maul voll Wasser aus seinem Hut, lockerte für einen Augenblick den Sattelgurt und benutzte die Pause, um dem Tier die Schulter- und Hüftmuskeln zu massieren und den Schweiß an Bug und Flanke abzuwischen. Nach kurzer Zeit ging Satans Atem bereits wieder leicht und ruhig. Black Bart, der Wache gehalten hatte, kam herangeschossen und trieb mit einem Knurren zum Aufbruch. Aber Barry nahm sich, ehe er den Gurt wieder straff zog und sich in den Sattel schwang, noch die Zeit, den edlen Kopf des Tieres liebkosend zwischen die Hände zu nehmen.

»Satan,« murmelte er, »ich will dir was im Vertrauen sagen. Unser Tagewerk beginnt erst. Fühlst du dich instand?«

Satan beschnüffelte liebkosend die Schulter seines Herrn. Sein Schnauben gab Antwort. Er hatte Black Barts Warnungssignal verstanden und wollte weiter.

Dan überschritt den Bach an einer Stelle, wo die Steine beinahe bis zur Wasseroberfläche kamen – denn nichts ist der Geschwindigkeit eines Pferdes abträglicher als ein plötzlicher Sprung in kaltes Wasser. Während der Hufschlag des Aufgebots hinter ihnen deutlicher und deutlicher wurde, sprengte Barry in nordöstlicher Richtung davon. Das war der gerade Weg nach Caswell City. Er ritt noch immer leichten Galopp. Kein Pferd außer Satan vermochte eine solche Gangart einen halben Tag lang stetig durchzuhalten. Deshalb wußte Barry auch mit unbedingter Sicherheit, daß er bis zum Einbruch der Dunkelheit nicht eingeholt werden konnte. Auch mit den frischen Pferden von St. Vincent nicht. Aber seine Verfolger verblüfften ihn. Sie ritten noch immer, als ob ihnen die Pferde in unbegrenzten Mengen zur Verfügung stünden. Offenbar hatten sie keinen Begriff von der Ausdauer und Schnelligkeit, über die Satan noch immer verfügte. Barry beschleunigte das Tempo. Die Büsche schwirrten in schwindelerregendem Wirbel an dem einsamen Reiter vorbei.

So ging es eine Meile weit. Er blickte sich um. Das Aufgebot schien jetzt dichter an ihn herangerückt zu sein. Sie ritten immer noch mit Sporen und Peitsche! Es schien heller Wahnsinn, aber es war nicht Dans Sache, sich um sie Sorgen zu machen. Notwendig war es nur, den Zwischenraum nicht noch geringer werden zu lassen. So beugte er sich ein bißchen vor, um dem Wind weniger Widerstand zu bieten, und Satan griff schneller aus. Das Tier atmete ein wenig schwerer, sein Galopp war nicht mehr ganz so elastisch. Aber die Pferde der Verfolger stampften und nickten schwerfällig mit den Köpfen. Dan, der es beobachtete, sagte sich, daß ihre Energie rasch bis zum letzten Fünkchen aufgezehrt wurde. Meile um Meile hielt das mörderische Rennen ohne Unterbrechung an. Plötzlich hoben sich vor ihm spitze Dächer in scharfer Silhouette vom Himmel ab. Eine Ortschaft! Unmittelbar an seinem Weg! Barry stieß einen kurzen, stöhnenden Laut aus. Er hatte verstanden. Er kannte die Gegend nur wenig, dafür schien das Aufgebot darin Bescheid zu wissen wie in einem Buch. Sie hatten die Kräfte ihrer Reittiere ohne Zögern bis zum Äußersten verbraucht, weil sie hofften, in Wago neue Pferde zu bekommen. Aber einen Pferdetausch in allen Einzelheiten zu regeln, kostet Zeit. Dan konnte die Pause benutzen, um in dem Hügelland hinter Wago ihnen aus dem Gesichtskreis zu entschwinden. Das gab einen Vorsprung, der hinreichte, um die Furten von Caswell City unbehelligt zu erreichen. Vielleicht trieb das Aufgebot sogar in Caswell City neue Pferde auf – aber fast unmittelbar jenseits des Asper stiegen die Gipfel der Grizzly-Berge gen Himmel. Das war eine Gegend, in der Dan zu Hause war. Einmal in ihrem Schutz, konnte er aller Verfolger spotten.

Er klopfte Satan liebkosend die Schulter und fegte mit verdoppelter Geschwindigkeit dicht an dem Städtchen vorbei, während das Aufgebot hinter ihm geradeswegs hineinritt. Sein gespanntes Ohr vernahm die lauten Rufe, mit denen sie ihren Einzug hielten. Der Hufschlag verstummte plötzlich. Jetzt dauerte es zehn Minuten, mindestens aber fünf, ehe der Pferdewechsel vollzogen war! Aber das Unmögliche geschah! Es vergingen keine Minuten, es vergingen kaum ein paar Sekunden, da hörte er die Hufe von neuem. Fünfzehn zum Äußersten entschlossene Reiter stürmten auf fünfzehn frischen Gäulen aus der Stadt heraus. Durch irgendein Wunder war man in Wago rechtzeitig alarmiert worden. Die Pferde hatten fertig gesattelt bereit gestanden.

Er hatte gehofft, sich mit geringer Mühe der Verfolgung zu entziehen. Jetzt sah er, daß das Gelingen seiner Flucht von eines Haares Breite abhing. Trotzdem war sein Vertrauen zu Satan unbegrenzt. Auch jetzt glaubte er immer noch, die Furt und den Schutz der Berge jenseits des Asper erreichen zu können. Wieder ein leiser Zuruf. Satan stürmte schnaubend bergan. Black Bart lief wieder voran und zeigte den bequemsten Weg.

Neue Hindernisse! Die niedrigen, lang hinrollenden Hügel waren weithin mit Äckern bedeckt; lang sich hinziehende Vierecke frisch umgebrochener Erde, von hohen Stacheldrähten eingehegt. Man konnte im Sprung darübersetzen, aber für ein Pferd, dessen Kräfte allmählich nachließen, war Springen keine Kleinigkeit. Barry hielt Umschau und seufzte erleichtert auf. Zu seiner Linken lief eine Schlucht mitten durch das Ackerland, gegen Norden. Ohne einen Augenblick zu überlegen, trieb er Satan in den Hohlweg hinab. Der Boden war Geröll – letzte Spuren des Wassers, das hier einmal geflossen war und die Ränder der Schlucht so tief eingeschnitten hatte – aber eine dicke Schicht Triebsand hatte sich darüber gelagert und bot eine Bahn, auf der sich's kaum schlechter ritt als oben auf dem Hügelland.

Je weiter er hinaufritt, desto rascher wuchsen rechts und links die Wände. Eben hatten sie noch bis an Satans Schulter gereicht, jetzt ragten sie bereits über Dan hinaus. Das Schreien und Lärmen des Aufgebots, das hinter ihnen hergerast kam, füllte die Schlucht mit verworrenen Echos. Sie schienen da hinten das Äußerste aus ihren Pferden herauszuholen, als glaubten sie schon, ihr Ziel erreicht zu haben. Es war seltsam.


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