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Sechsunddreißigstes Kapitel.
Die leere Höhle

Zehn Monate im Jahr hätte ein Kind ohne Gefahr den Asper durchwaten können, aber jetzt, da der Boden unter Barrys Füßen von dem Brüllen seiner Wassermassen zitterte, brauchte er um seine Sicherheit nicht besorgt zu sein. Er wußte, kein einziger aus dem Aufgebot wagte den Versuch, den Fluß zu überschreiten. Aber er wollte Sicherheit haben. So glitt er durch das Gebüsch bis dicht ans Ufer zurück und kam gerade noch zur Zeit, um mit anzusehen, wie Mark Retherton mit einer Handbewegung einen Befehl gab. Die Reiter ließen widerstrebend ihre Waffen wieder in die Halfter fallen. Manche Faust hob sich drohend gegen das grüne Dickicht auf der anderen Flußseite, das so dicht vor Augen lag und dennoch so unerreichbar war. Ja, ein oder zwei Mann trieben ihre Pferde den Abhang hinunter, bis an den Wasserspiegel, aber sie besannen sich. Und der ganze Trupp schlug den Rückweg nach Wilsonville ein. Selbst die Pferde ließen die Köpfe hängen.

Barry glitt in den Wald zurück und fand den Hund am Boden ausgestreckt, den Kopf auf den Pfoten, die Augen geschlossen. Die Flanken arbeiteten, als wollten sie jeden Augenblick bersten. Und doch hob das Tier hier und da ein Lid und blickte zu Satan hinüber. Satan lag fast in derselben Stellung. Das Rasseln und Pfeifen seines Atems übertönte selbst den Lärm des Flusses. Barry warf sich auf den Boden. Er preßte besorgt das Ohr hinter Satans linke Schulter. Das Tier flog und bebte so furchtbar, daß Dan den Kopf kaum an der Stelle halten konnte. Er hörte förmlich, wie das Blut durch die Adern raste, bis wieder ein rasselnder Atemzug alles andere übertönte. Barry richtete sich auf, aber er blieb vor dem Tier knien, sein Gesicht war tief besorgt.

»Satan!« rief er. Aber der Fluß ertränkte seine Stimme. Er ließ die Hand über den nassen Bug des Tieres gleiten. Satan stellte ein Ohr auf, versuchte den Kopf zu heben, aber im selben Augenblick fiel er wieder flach zurück. Und doch ging es nicht an, ihn hier liegen zu lassen, in der kalten, nassen Bodensenkung dicht am Wasser. Es war die größte Gefahr für das erhitzte Tier.

Dan trat dicht an Satans Kopf. Er bückte sich. Sein Arm machte eine befehlende Geste, aber Satan stand nicht auf. Nur ein Augenlid öffnete sich flackernd, um dann wieder über ein glasiger und glasiger werdendes Auge herabzusinken.

»Auf!« befahl Dan.

Ein Ohr richtete sich hoch. Das Tier hob den Kopf ein wenig vom Boden. Die Vorderbeine strafften sich, zitterten, und waren dann wieder leblos.

»Bart!« schrie Satans Herr. »Weck' ihn auf!«

Wenn auch sein Ruf vom Aufruhr der Wasser verschlungen wurde, die begleitende Geste hatte der Wolf verstanden, und Black Bart kämpfte sich wankend auf die Beine. Vor Satans Schnauze machte er halt, zeigte seine gewaltigen Zähne, und ein tiefes Grollen stieg rasselnd aus seiner Kehle. Es gab keine lebende Kreatur, die dieser Ton nicht aufgejagt hätte. Satan hob den Kopf vom Boden. Dans Hände packten zu. Noch immer ertönte Barts drohendes Knurren. Satan stieß ein Schnauben aus, das wie das Stöhnen eines Menschen klang, und versuchte sich aufzurichten. Seine Beine fanden Halt. Er kam langsam hoch. Nun stand er, die Vorderbeine weit gespreizt, mit tief herabhängendem Kopf. Ein Kind hätte ihn über den Haufen werfen können. Schon knickten die Hinterbeine wieder ein.

»Voran!« rief Barry.

Ein Kopfheben, ein leises Beben der Nüstern, und dann nichts mehr. Das Tier schien aufrechtstehend zu sterben. Da stieß sein Herr einen Pfiff aus, der durch das Rauschen des Asper schnitt, wie ein Blitzstrahl durch einen finstern Raum, schrill, hart, wie das Zischen einer gereizten Schlange. Satan machte einen unsicheren Schritt nach vorwärts. Er schwankte, stürzte beinahe wieder hin. Aber Dans Schulter schob sich stützend unter seine Flanke, die Hände griffen unter seine Brust. Satan wagte einen zweiten Schritt und schlich unter den Bäumen weiter. Seine Hufe schleiften über den Boden. Sein Kopf hing herab, als wolle er das Waldgras abweiden. Black Bart tat, was er konnte, die fliehenden Lebensgeister zurückzurufen. Manchmal genügte schon sein Knurren, um das Tier zu treiben, manchmal sprang er in die Höhe, und seine Zähne schlugen haarscharf vor Satans Schnauze zusammen.

Langsam, zögernd begann das stockende Blut wieder lebhafter in Satans Adern zu kreisen. Er stolperte nicht mehr. Ja, jetzt hob er einen Vorderhuf und versuchte ungeschickt nach Bart zu schlagen. Barry trat zur Seite.

»Bart!« rief er. Der brüllende Asper lag jetzt weit genug hinter ihnen, daß man ihn verstand. »Komm her, alter Bursche, und laß Satan in Ruh'. Er wird jetzt schon durchkommen.«

Dan lehnte sich an einen Weidenstamm. Er war plötzlich gealtert. Sein Gesicht war totenbleich, nicht nur von der Erschöpfung. Er stieß ein so schrilles und mißtönendes Lachen aus, daß der Wolfshund erschreckt auf dem Bauch zu ihm herankroch und die kraftlos herabhängende Hand leckte. Barry nahm das narbenbedeckte Haupt in die Hände und schaute dem Hund tief in die Augen.

»Er ist knapp davongekommen, Bart. Es fehlte just 'ne Handbreit und ...«

Der Rappe wandte den Kopf nach ihnen und stieß ein schwaches Wiehern aus.

»Hörst du ihn um Hilfe rufen wie ein frischgeworfenes Füllen?« sagte sein Herr und lief zu ihm hin.

Der Kopf des Pferdes ruhte auf seiner Schulter, während sie langsam weiterwanderten.

»Heut abend«, sagte Dan, »kriegst du zwei Stücke Pfannkuchen, ohne daß du betteln mußt.« Die kalte Schnauze des eifersüchtigen Hundes stieß gegen seine Wade. »Du auch, Bart! Du hast uns den Weg gezeigt!«

Satans Atem rasselte nicht mehr. Sein Gang war wieder stetig. Mit jedem Schritt, mit dem sie dem Waldrand näherkamen, trug er den Kopf wieder höher.

Als es dunkel geworden war, hatten eine kurze Ruhepause, hier und da ein Maulvoll Gras, das Dan ihm manchmal gestattete, und gelegentlich ein Schluck Wasser aus einem Bach die Kräfte des Pferdes zum größten Teil wiederhergestellt. Ehe noch die Nacht um eine Stunde älter war, eilte es wieder in raschem Trab aufwärts, den Bergen zu. Aber die dunklen, frostigen Stunden vor der Morgendämmerung waren schon gekommen, ehe die drei den schwierigen letzten Aufstieg zur Höhle erreicht hatten. Der Mond war längst gesunken. Ein dünner Nebelschleier hatte auch die Sterne ausgelöscht. Es gab um sie her nur Finsternis, bisweilen dichter, bisweilen dünner, durch die sie ihren Weg zu finden hatten. Hier und da sprang ganz unvermutet ein Gipfel oder ein Gebirgskamm aus der Nacht. Es war so finster, daß selbst Dan Barry Bart nicht zu unterscheiden vermochte, der wieder vor dem Pferd hin und her lief, um zwischen den umherliegenden Felsblöcken den Weg zu suchen.

Aber alle drei wußten sie, mehr oder weniger aus Instinkt, wo sie sich befanden, und als sie eine Anhöhe erreicht hatten, die das Tal unterhalb der Höhle beherrschte, hielt Dan sein Pferd an und pfiff.

Er legte den Kopf auf die Seite und horchte angespannt. Der Wind schwoll an und trug ihm das Echo seines eigenen Pfiffs schwach zurück. Sonst war keine Antwort zu vernehmen.

»Sie hat's nicht gehört«, murmelte Dan dem Wolfshund zu, der den Ruf vernommen hatte und zu ihm zurückgelaufen kam. Er pfiff wieder. Der Ton schwoll langgedehnt und zitternd durch das Tal hin. Dann nichts. Lange Zeit rührte sich Barry nicht und wartete, während Bart leise zu ihm hinaufwinselte.

»Sie hat noch keinen leichten Schlaf«, murmelte Barry. »Denke, sie ist todmüde gewesen von dem langen Warten. Aber wenn was passiert ist – Satan!«

Satan zuckte zusammen und raste vorwärts. Blindlings wich er Felsen aus, die er nicht sehen konnte.

»Es kann doch nichts mit ihr passiert sein«, flüsterte Barry vor sich hin. »Es kann doch einfach nichts mit ihr passiert sein.«

Einen Augenblick später stand er schon in der Höhle, eine Fackel hoch in der Hand. Das grelle Licht glitzerte in den Augen der Tiere. Dan ließ die Fackel fallen und sank auf einen Stein. Die Flamme schwelte knatternd und zischend auf dem Kies zu seinen Füßen weiter.

»Sie ist weg!« sagte er in die Leere hinaus. »Sie hat mich verlassen!«

Black Bart leckte Dans kraftlose Finger, aber er wagte noch nicht einmal zu winseln.


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