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Einunddreißigstes Kapitel.
Die Falle

Er hatte bereits zehn gute Meilen zurückgelegt und den größten Teil davon auf äußerst rauhem Grund, aber der Rappe trug noch immer den Kopf so hoch wie am Morgen, als sie durch Rickett gestürmt waren. Sein schlanker Hals und seine Windhundflanken zeigten höchstens etwas Schweiß, so daß das Fell in der Sonne blitzte. Zurück nach Rickett ging's, als hätte er Flügel. Er lief so frei und ungehemmt wie der Leithengst einer Herde wilder Pferde. Hier und da drehte er seinen schmalen Kopf zurück, um nach seinem Herrn zu schielen oder einen Blick nach den Bergen zu werfen. Hier und da, wenn der Weg steiler wurde, fiel er von selbst in Trab. Wenn das Gelände wieder abfiel, streckte er sich zum Galopp.

Inzwischen trieb sich Black Bart als Nachhut umher. Auf dem Kamm jeder Bodenwelle machte er halt, spähte nach rückwärts und raste dann seinem Herrn nach, bis er ihn eingeholt hatte. Als sie ungefähr den halben Weg bis Rickett zurückgelegt hatten, kam er zu seinem Herrn gelaufen, winselte und sprang am Sattel empor.

»Hast du was gesehen?« fragte Barry. »Haben sie unsere Fährte wiedergefunden?«

Er bog von seinem eigentlichen Kurs ab und ritt auf einen Hügel hinauf, der einen weiteren Ausblick zuließ. Von der Spitze spähte er in die Richtung zurück, aus der er gekommen war, und sah den Abhang der Morgan-Berge, der ihm am nächsten war, eine wirbelnde Staubwolke hinunterrollen. Auf diese Entfernung war die Gruppe der fünfzehn Reiter kaum größer als ein Punkt. Ganz gewiß war es ihnen unmöglich, den einzelnen Reiter, den sie verfolgten, zu erspähen. Aber sie brauchten ja nur seiner Fährte zu folgen, die jetzt, auf solchem Boden, ohne weiteres zu entziffern war. Satan hatte eine Wendung gemacht, auch er sah nach rückwärts.

»Wollen wir zurück und 'n bißchen mit ihnen spielen, Satan?« fragte Barry.

Black Bart war ein paar Schritte vorausgelaufen, jetzt machte er kehrt und stieß einen kurzen, heulenden Laut aus.

»Der Partner da sagt nein«, fuhr sein Herr fort. »Von allen Hunden, die ich je gesehen habe, spielt Black Bart sein Spiel am vorsichtigsten. Aber auf der Fährte, Satan –« und dabei setzte er das Tier in Bewegung und fegte mit ihm den Hügel hinunter – »weiß Bart mehr als wir beide zusammen, und so werden wir tun, was er sagt.«

Black Bart lief wieder voraus und wies den Weg. Gelegentlich, wenn der einzuschlagende Kurs so klar auf der Hand lag, daß auch ein Mensch mit seinen stumpferen Sinnen ihn finden konnte, kam er zurückgelaufen und tanzte vor Satans Vorderfüßen herum, bis ein Wort von Barry ihn veranlaßte, wieder wie ein Pfeil davonzuschießen. Nicht nur war es seine Pflicht, den Weg zu finden, er hatte auch zu überwachen, was vor und hinter ihnen geschah. Deshalb beugte sich Barry, als der Hund plötzlich zurückkam und in ganz besonderer Art zu ihm hinaufwinselte, ein wenig zu ihm hinunter und sprach mit einem Anflug von Besorgnis:

»Was willst du sagen, alter Knabe? Meinst du, sie holen auf?«

Black Bart machte einen Seitensprung, ohne die Augen von seinem Herrn zu wenden, und stieß ein kurzes, beunruhigtes Heulen aus.

»Wo stecken sie denn jetzt?« murmelte Barry und warf einen Blick über die Schulter.

Weit, weit hinten, kaum zu unterscheiden, sah man die Staubwolke, die das Aufgebot aufwirbelte. Sie verschmolz beinahe mit dem Grau des Hintergrunds.

»Da hinten ist doch alles in Ordnung! Was hast du eigentlich auf dem Herzen, Bart? Hast du vielleicht Hunger? Möchtest rasch nach Haus?«

Ein neues, noch lauteres Heulen antwortete ihm.

»Na, dann lauf und zeig' mir, wo was nicht stimmt!«

Black Bart wirbelte herum und schoß davon – aber nach vorne. Etwas südlich von ihrem Weg lag ein Hügel, den er hinauflief. Je näher er der Spitze kam, desto tiefer duckte er sich. Sein rascher Lauf verwandelte sich in einen schleichenden Trab. Sein zottiges Bauchfell streifte auf dem Boden hin.

»Da vorne ist was los! Vor uns, Satan!« rief der Herr leise. »Was kann das sein? 's müssen Menschen sein, wenn Bart sich so an den Boden drückt. Sonst würde er sich nicht so anstellen. Langsam, Boy, und geh vorsichtig!«

Der Rappe senkte den Kopf, legte die Ohren flach zurück und glitt den Hügel hinauf. Barry schwang sich aus dem Sattel und kroch bis zum Kamm. Vor ihm lag ein breites, flaches, schüsselförmiges Tal. Ein Dutzend Reiter kam den jenseitigen Hang heruntergerast. Sie ritten ein solches Tempo, daß der Wind ihnen die Hutkrempen vom Gesicht zurückdrückte.

»Sie müssen uns mit dem Feldstecher beobachtet haben«, flüsterte Dan dem Hund zu. Bart, als hätte er es verstanden, antwortete mit einem wilden Knurren. Seine Nackenhaare sträubten sich.

Die zwölf Mann da vorne waren nicht allein. Von rechts her, so daß sie Barrys Fährte ungefähr senkrecht schnitten, kam ein anderer Trupp geritten, der beinah ebenso stark war. Von links herüber stürmten acht Reiter heran, was ihre Pferde laufen wollten.

»Wir sind ihnen beinah in die Arme gelaufen!« sagte Barry. »Aber noch haben sie uns nicht erwischt! Zurück, Boy!«

Der Wolfshund kroch vorsichtig den Hügel hinunter. Sein Herr folgte seinem Beispiel. Als er wieder im Sattel saß, hatte er auch bereits seinen Entschluß gefaßt. Irgend jemand in Rickett hatte seine Absicht erraten, zurückzukommen und nach dem Tucker-Bach zu reiten. Sie hatten ihm geschickt genug und mit überwältigender Übermacht den Weg verlegt.

Indessen konnte niemand in Rickett darauf kommen, daß die Furten unterhalb von Caswell City ihm einen zweiten Ausweg boten. Selbst wenn sie es wußten, was half es? Kein Bote war schnell genug, um Caswell City zu erreichen. Dan wußte nichts von den Telephonlinien. Aber um nach Caswell City zu gelangen, mußte er in einem weiten Kreis zurück, in der Richtung der Morgan-Berge, mußte es riskieren, dem Aufgebot, das dort hinten heranjagte, beinah in die Hände zu laufen, um auf diese Weise den rechten Flügel seiner neuen Feinde zu umgehen. Selbst das konnte nur gelingen, wenn er Satan so rasch vorwärtstrieb, wie er nur laufen konnte. Als er sein Pferd herumwarf, fegten, kaum fünfhundert Meter weit weg, die acht Reiter über den Hügelkamm; ein wilder Ruf, der sich zwischen den engen Talwänden brach, belehrte Dan, daß sie die Beute erblickt hatten.

Barry trug keine Sporen, nicht einmal eine Reitpeitsche, aber ein Wort von ihm genügte. Satan schoß wie ein schwarzer Strich den Hügel hinab den Weg zurück, den sie gekommen waren, schnurstracks dem verfolgenden Aufgebot entgegen. Als er mit unverminderter Geschwindigkeit etwa eine Meile zurückgelegt hatte, begann er langsam nach rechts hin auszubiegen. Die acht Männer hinter ihm wußten sehr wohl, was der Flüchtling plante. Auch sie holten mehr nach Norden aus. Dort hinten kam jetzt das Aufgebot heran. In der Staubwolke konnte man schon die geschwärzten Gesichter der fünfzehn unterscheiden. Wenn die Leute von St. Vincent ihr Tempo nur noch ein bißchen länger durchhielten, wurde Barry zwischen zwei Feuern gefaßt. Auf die Gefahr hin, beim geringsten Fehltritt ihrer Gäule den Hals zu brechen, legten sich die Leute von St. Vincent beinah flach auf den Hals ihrer Pferde. Jeder Sporn triefte von Blut. Mehr war aus den Pferden nicht herauszuholen. Trotzdem lief ihnen der Rappe bei jedem Schritt ein Stückchen mehr davon.

Wenn ihre Geschwindigkeit nicht hinreichte, ihn einzukreisen, so gab es doch noch einen anderen Weg. Sie verständigten sich rasch. Die vier Bestberittenen brausten weiter, so schnell ihre Tiere laufen konnten. Die anderen Reiter hängten die Zügel über den Sattelknopf und rissen ihre Gewehre aus dem Futteral. Vier Kugeln sangen dem entschwindenden Rappen nach.

Gewiß waren die Aussichten für einen gezielten Schuß nicht groß, aber ihre Magazine waren voll, und ein Zufallstreffer genügte. Das Tempo war derart, daß Mann und Pferd einen Sturz nicht überlebt hätten. Auch Dan Barry wußte es. Als die Kugeln über ihn hinpfiffen, fuhr er im Sattel herum und hatte im selben Augenblick die Büchse herausgerissen. Der gelbe Zornesteufel tanzte in seinen Augen, als er den Kolben an die Schulter riß. Johnny Gasney von St. Vincent ritt ihm gerade in die Visierlinie. Eine neue Salve zischte über ihn dahin. Sein Finger lag zitternd am Abzug. Und es wäre kein Schuß aufs Geratewohl gewesen. Dan Barry kannte Satans Bewegungen, wie der Geschützführer auf einem Kriegsschiff das Rollen seines Schiffes in einer glatten Dünung kennt. Unheilkündend wanderte das Korn seiner Büchse über Johnny Gasneys Gestalt. Aber dann – Satan war inzwischen etwa ein Dutzend Schritte gelaufen – wendete sich Dan mit einem leisen Aufstöhnen wieder nach vorne und stieß das Gewehr in sein Futteral zurück.

»Ich kann's nicht, Satan. Ich hab' nichts gegen die Leute. Sie denken, sie tun ihre Pflicht. Ich kann's nicht. Streck' dich, alter Bursche. Streck' dich!«

Es schien unmöglich, daß der Rappe noch mehr aus sich herausholen konnte, doch die leise Stimme an seinem Ohr vermochte es. Er lag beinah auf dem Boden, so sehr streckte er sich, Ruck um Ruck schoß er den Verfolgern davon, wie ein Schiff, das im Sturm ein neues Segel gesetzt hat.

Die Leute von St. Vincent sahen, daß die Partie verloren war. Jeder von den acht hatte jetzt das Gewehr an der Schulter. Die Kugeln zischten rechts und links an Dan vorbei. Gerade ihm entgegen, aber immer noch weiter entfernt, ritt das Aufgebot von Rickett. Sie hatten die Lage begriffen und holten den letzten Atemzug aus ihren Pferden.

Daß es nicht gelang, war nicht ihre Schuld. Gerade als die Falle sich schließen sollte, schnellte der Rappe aus dem Bereich der Gefahr, schoß eine Anhöhe hinauf und war nicht mehr zu sehen. Als sie schreiend und rufend die Stelle erreicht hatten, sahen sie Dan schon weit außer Schußweite – es sei denn der wildeste Zufallstreffer – dahinrasen.

Die acht Mann von St. Vincent schoben verdrossen ihre Waffen in den Halfter zurück. In den letzten fünf Minuten waren sie schweigend damit beschäftigt gewesen, zehntausend Dollar durch acht zu dividieren, und die Enttäuschung ließ einen bitteren Geschmack auf der Zunge zurück.

Das einzige, was sie noch tun konnten, war, in mäßigerem Tempo die Verfolgung fortzusetzen, in der Erwartung, daß ihn schließlich doch die Kräfte verließen. Da eine kurze Pause für das Endergebnis wenig ausmachte – es war sogar vorteilhafter, wenn sie ihren Pferden nach dem letzten, wilden Spurt eine Atempause gönnten – zogen alle acht die Zügel an und fluchten und wetterten im Chor.


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