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Vierunddreißigstes Kapitel.
Die Warnung

Ein böser Augenblick. Er sah die Falle. Es war ihm, als höre er sie schon einschnappen. Er warf Satan herum. Es gab nur noch einen Weg der Flucht. Südöstlich, am Ufer des Asper entlang. Auch das war verzweifeltes Beginnen. Wenn es eine Stimme gab, die von Rickett aus Caswell City erreichen konnte über fünfzig trennende Meilen hinweg, dann waren gewiß auch die Städte am Fluß gewarnt, Ganton, Wilsonville und Bly Falls, wo der Tucker-Bach sich in den Asper ergießt. Aber wer konnte jetzt noch lange überlegen? Schon zeigte ihm ein Blick über die Schulter, wie das Aufgebot die fünfzehn frischen Pferde sattelte. Er lenkte südwestwärts, quer durch die Wago-Berge.

Es war ein heißer und schwerer Ritt. Selbst Black Barts stählerne Muskeln begannen schlaff zu werden. Noch lief er voraus, aber mit hängendem Kopf. Seine Zunge schlappte ihm aus dem Maul. Untrüglichstes aller Zeichen: Sein buschiger Schweif hatte sich gesenkt. Und doch war es nötig, von dem Hund und dem Pferd eine neue Anstrengung zu verlangen, denn hinter ihnen ritt das Aufgebot mit aller Macht und ließ selbst die frischen, lauffreudigen Pferde die Sporen und Peitschen fühlen. Dan liebkoste Satans Nacken und Schultern, die jetzt von Schweiß trieften. Er rief ihm aufmunternd zu. Der Rappen antwortete mit einem Schnauben. Dan fühlte, wie Satans Muskeln sich noch einmal strafften, wie ein Beben durch seinen Körper ging, wie er sich zur Karriere ausgreifend streckte.

Durch die Wago-Berge ging die wilde Jagd. Bart voraus als Pfadfinder, wie vorher. Und nicht ein einziges Mal wurde Satans Schritt langsamer. Gewiß, er trug den Kopf nicht mehr so hoch, die Ohren waren flach zurückgelegt. Aber nur sein Herr wußte, was es bedeutete. Und immer noch genügte ein Wort, daß die schweißglänzenden Ohren sich wieder aufrichteten, daß er weiter ausgriff als zuvor.

Bergauf! Bergab! Schwerer und schwerer gingen Satans Atemzüge, verrieten die furchtbare Anstrengung. Wie ein Pfeil schossen sie in welliges Wiesenland hinab. Nun galoppierten sie am Ufer des Asper. Dan blickte finsteren Gesichts zum Fluß hinunter.

Zehn Tage früher, als die Schneeschmelze in den Bergen erst begann, zehn Tage später, wenn sie ihren Höhepunkt überschritten hatte, wäre der Asper zu passieren gewesen, aber jetzt strömten seine wilden braunen Wasser zornig durch die Schlucht, fraßen die Ufer weg, unterwühlten die Weiden und rollten Steine mit, die so groß waren, daß ein einzelner Mann sie nicht hätte heben können. Das zornige Brüllen des Stroms klang dem Flüchtling am Ufer wie Hohn in die Ohren. Der Fluß war nicht breit. Es sah aus, als könne man mit einem einzigen Sprung die deckenden Büsche am gegenüberliegenden Ufer erreichen. Aber das Wasser schoß mit so ungeheurer Gewalt dahin, daß auch der unverzagteste Schwimmer bei seinem Anblick den Mut verloren hätte. Überall ragten scharfkantige Felsen wie Haifischzähne aus der Strömung, die sich weißschäumend an ihnen brach. Und als ob der Fluß eigens zeigen wolle, wie furchtbar seine Kraft sei, schoß gerade jetzt ein abgestorbener Baum den Strom herab und zersplitterte an einem der Felsenzähne.

Und trotzdem war die Versuchung groß und lockend. Da drüben lag der Wald. Ein Wald, der ihm Schutz versprach. Hinter dem Wald, kaum eine Meile weiter zurück, begannen die Grizzly-Berge. Sie stiegen fast senkrecht zu schneeigen Gipfeln auf. Blau lagen die Schatten des Nachmittags in den tiefen Furchen ihrer Wände – da drüben winkte das Ausruhen. Einmal drüben, in dem Labyrinth der Schluchten und Täler, war er unbedingt in Sicherheit.

Ganton kam in Sicht, in eine Kurve des Asper geschmiegt. Es war für Dan fast eine Befreiung, als er den Fluß, dessen brausende Stimme ihn verhöhnte, zur Seite liegen ließ. Er mußte außen um den Flecken reiten. Jeder Ort, wo Menschen wohnten, war für ihn ein feindliches Lager. Er konnte sie schon sehen: Zwanzig Mann, die vor der Ortschaft zusammenstanden, und fünfzehn frische Pferde, die besten, die zu haben waren, für das Aufgebot.

Weiter geht die Jagd! Ganton bleibt seitlich liegen. Wieder muß Satan sein Äußerstes hergeben, denn das Aufgebot auf seinen frischen Pferden drängt plötzlich hitzig nach vorne. Und immer noch läßt Satan seinen Reiter nicht im Stich. Immer noch, so unglaublich es auch scheinen mag, findet er die Spannkraft und den Mut, zu tun, was man von ihm verlangt. Aber jetzt wird sein Schritt mühsamer, seine Gangart schwerfällig, ähnlich dem Stampfen und Stoßen, mit dem das Durchschnittspferd sich weiterarbeitet, wenn es erschöpft ist.

Als sie den ersten Abhang hinter Ganton hinauf mußten, spürte Dan, wie die Kräfte des Tieres nachließen. Der Kopf sank tief herab. Wenn Satans Hufe zufällig einen losen Stein trafen, schwankte er wie eine graziöse Yacht in einer querlaufenden Dünung. Bergab ging's, wieder zum brüllenden Asper hinab, denn da war ebene Bahn – und trotzdem wurden Satans Schritte immer kürzer und der Kopf nickte bleiern und schwerfällig im Takt.

All dies sah auch Mark Retherton. Er hatte den Feldstecher an den Augen. Er hätte ihn sparen können. Sie waren jetzt nahe genug heran, um auch Einzelheiten mit bloßem Auge wahrzunehmen. Er drehte sich zu seinen Leuten um. Sie ritten mit zusammengebissenen Zähnen, die Bärte mit Schweiß und Staub verklebt, verzerrt die Gesichter und grau vor Schmutz, durch den unter Nase und Augen der rinnende Schweiß lange Striemen gezogen hatte. Sie hockten verkrümmt auf ihren Sätteln. Siebzig Meilen rasenden Rittes hatten sie gefoltert, verbogen und verkrampft. Scottys Kopf war krampfhaft nach hinten gebogen, er hatte das Gefühl, jeden Augenblick müsse seine Wirbelsäule auseinanderbrechen. Walsh hing nach rechts hinüber und bei jedem Schritt quälte ihn ein ziehender Schmerz in der Seite, und Hendricks würgte ächzend abgebrochene Flüche aus einem verklebten und galligen Mund.

Seit einer Stunde hatte Mark Retherton die Lippen nicht geöffnet. Als er es jetzt versuchte, brachte er nur ein heiseres Krächzen heraus.

»Mut, Kameraden! Er ist geliefert! Seht den Rappen! Seht ihr, wie er sich abmüht? Seht ihr's? Lew! Carry! Wir drei haben die besten Gäule. Jetzt ist's Zeit für 'nen Vorstoß! Bei Gott, wir werden ihn erwischen!«

Er stieß einen gellenden Kriegsruf aus und schoß voran.

Sie sahen, wie Barry sich tiefer im Sattel vorbeugte. Sie sahen, wie sein Pferd die Geschwindigkeit verdoppelte.

»Weiß Gott,« rief Mark Retherton in unfreiwilliger Bewunderung, »der Gaul wär' mir lieber als die zehntausend Dollar. Aber 's dauert keine Meile mehr, dann haben wir die beiden wieder, wenn ihr eure Sporen nicht schont, Jungens.«

Und Retherton behielt recht. Bevor die Meile ganz zurückgelegt war, fiel der Rappe zurück. Zoll um Zoll verminderte sich die Distanz, bis Retherton rief:

»Schießeisen 'raus jetzt! Seht, daß ihr ihm 'ne Ladung Blei aufpfeffert! Gebt euren Gäulen die Zügel frei und drückt ab!«

Sie rissen die Gewehre an die Backe und sandten Barry eine Salve nach. Dicht hinter Satans Hufen schlug eine Kugel Funken aus dem Fels. Die beiden anderen schienen ins Blaue gegangen. Wieder beugte sich Barry über Satans Hals, noch einmal zwang sich das Pferd gehorsam zu raschem Lauf, aber nach ein paar Minuten schon fiel es wieder zurück. Kein Geschöpf aus Fleisch und Blut vermochte nach einem Rennen von fünfundsiebzig Meilen dieses Tempo noch durchzuhalten.

Sie sahen, wie der Reiter sich wieder aufrichtete und nach ihnen zurückblickte. Mit einemmal blitzte der Lauf seines Gewehres in der Sonne.

»Schont eure Sporen nicht!« brüllte Mark Retherton. »Wenn wir ihn nicht getroffen haben, obwohl er vor uns ist, kann er uns erst recht nicht treffen, wenn er nach rückwärts schießt.«

Auch der Verfolgte schien dies zu wissen. Er machte gar nicht den Versuch zu zielen. Er drückte in dem Augenblick schon los, wo das Gewehr an seiner Backe lag. Ein halbes Dutzend Meter vor Retherton schlug die Kugel ein und trieb eine kleine Staubwolke hoch.

»Hab' ich's euch nicht gesagt?« brüllte Retherton. »Er kann so nichts ausrichten. Rückt ihm auf den Leib, Jungens! Um Gottes willen, rückt ihm dichter auf den Leib!«

Er drosch unbarmherzig mit der Reitpeitsche auf seinen stöhnenden Mustang los. Wieder riß der Verfolgte das Gewehr an die Schulter. Diesmal prallte die Kugel nicht einen Meter vor Retherton gegen einen Felsen. Die Schußlinie war haargenau auf ihn gerichtet.

»Verdammt, wenn der nicht versteht, was schießen heißt!« rief Garry. Retherton riß mit einem Fluch sein Pferd zur Seite, um den Schützen unsicher zu machen. Dan hatte ihnen wieder den Rücken gekehrt und das Gewehr in sein Futteral zurückgeschoben, als betrachte er den ganzen Zwischenfall als abgeschlossen. Aber als sie ihm eine neue Salve nachsandten, schnellte er mit einem Ruck im Sattel herum, die Waffe in der Hand! Wieder fuhr der Kolben an seine Schulter und diesmal trieb die Kugel den Staub Rethertons Pferd beinahe in die Nüstern. Retherton stieß einen Fluch aus und zog die Zügel an.

»Das soll eine Warnung für mich sein, Kameraden!« rief er. »Der Teufelskerl hat mich auf dem Korn wie einer, der vom Schaukelstuhl aus auf alte Konservenbüchsen schießt. Es soll eine Warnung sein, daß wir uns ein bißchen in den Hintergrund drücken zu den übrigen. Und verdammt will ich sein, wenn wir's nicht tun.«

Sie bremsten. Einen Augenblick später preschte der Rest des Aufgebots heran.

»Es macht nichts aus!« rief Retherton. »'s wird eben bloß 'n bißchen länger dauern. Kann sein, er hält's noch aus bis Wilsonville, aber dann reitet er keine drei Meilen mehr, wenn wir mit frischen Gäulen hinter ihm her sind. Sein Gaul hat nicht die Spur von Kraft mehr. Der läuft bloß noch, weil er den Teufel im Leib hat.«


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