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Siebenunddreißigstes Kapitel.
Ben Swann

Seit der Nacht, in der vor Jahren der alte Cumberland gestorben und Kate Cumberland ihrem Mann in die Wildnis gefolgt war, lebte Ben Swann, der Vormann auf der Cumberland Ranch, drüben im Herrschaftshaus. Bei den Cowboys, im Schlafhaus, wo sie Karten spielten, hätte er sich viel wohler gefühlt. Aber Ben hatte das unbestimmte Gefühl, daß es eigentlich eine Schande sei, wenn der viele Raum im Herrenhaus so gänzlich ungenützt blieb. Außerdem verfügte Ben über einen solchen Vorrat von natürlicher Würde, daß er sich an dieser Stelle zu Hause fühlte, wenn ihm auch manchmal etwas einsam zumute war. So war es denn Ben Swann, der eines Tages eine schwere Hand an die Tür klopfen hörte und hinunterrannte, um zu öffnen. Auf der Schwelle standen zwei Männer, groß, größer als Ben selbst, einer davon war ein wahrer Riese. Ein strenger Geruch nach Pferden ging von beiden aus.

»Schafft Licht!« sagte einer der beiden. »Und tummelt euch. Schafft Licht, steckt ein Feuer an und, verdammt noch mal, macht 'n bißchen fix!«

»Und wer, in Dreiteufelsnamen, seid ihr eigentlich?« erkundigte sich Ben Swann, der sich gegen den Türpfosten lehnte und sich zu einem gemütlichen Austausch von Grobheiten rüstete.

»Schmeiß den Trottel in den Dreck«, sagte der eine der Fremden, »und lauf hinein, Lee!«

»Macht Platz!« sagte der andere, riß Ben die Klinke aus der Hand und quetschte den Armen beinah flach gegen die Wand. Während er da zappelte und nach Luft rang, glitten ein Mann und eine Frau an ihm vorbei.

»Sagt ihm, wer wir sind«, sagte eine Frauenstimme. »Wir gehn ins Wohnzimmer, Buck, und machen Feuer.«

Die Fremden schienen, trotz der Finsternis, im Hause ganz genau Bescheid zu wissen. Im nächsten Augenblick hörte Ben Swann das kratzende Geräusch, mit dem jemand Feuerholz in den Kamin des Wohnzimmers schob. Das Ganze machte Ben Swann völlig fassungslos. Dieser plötzliche Einbruch in seinen Bezirk wirkte wie ein Traum.

»Nun, in Dreiteufelsnamen, wer seid ihr eigentlich?«

Er hörte ein Streichhölzchen kratzen, dann flammte es dicht unter seiner Nase auf, so daß Ben zurückfuhr vor Furcht, sein prachtvoller Schnurrbart könnte Feuer fangen. Er sah einen der riesigsten Männer vor sich stehen, die sein Auge je erblickt hatte, und etwas an diesem Löwenkopf kam ihm bekannt vor.

»Ihr seid Lee Haines?« würgte er heraus. »Was tut Ihr hier?«

»Ihr seid Swann, der Vorarbeiter, nicht wahr?« sagte Haines. »Well, Mann, wacht mal 'n bißchen auf! Die Herrschaft ist gekommen und ist da drin.«

»Joe Cumberland ist tot«, stotterte Ben Swann.

»Kate Cumberland ist's.«

»Die! Und – Barry – das Blutbad von Alder ...«

»Halt den Mund!« befahl Haines, und sein Gesicht nahm einen bösartigen Ausdruck an. »Sorgt mir dafür, daß nichts von dem Geschwätz an Kates Ohren dringt. Barry ist nicht mitgekommen. Nur sein Kleines. Nun tummelt Euch!«

Nachdem die erste Überraschung vorüber war, stellte sich Ben Swann ganz leidlich an. Als er ins Wohnzimmer kam, fand er das Feuer schon in vollem Gang. Auf dem Teppich vor dem Kamin lag ein goldhaariges kleines Mädel in ein bräunliches Fell gehüllt, in gesundem, tiefem Schlaf. Ben Swanns Augen schien es ein außerordentlich hübsches Bild. Er nahm es mit einem Blick in sich auf und machte sich dann eilig daran, etwas Essen herbeizuschaffen. Später verzog er sich zum Schlafen ins Gesindehaus hinüber, wo er am anderen Morgen am Frühstückstisch mit besonderem Genuß seine nächtlichen Erlebnisse zum besten gab. Keiner von den Cowboys war länger als drei Jahre auf der Ranch, und deshalb fand Ben Swann in jedem einzelnen von ihnen ein unbeschriebenes Blatt, auf dem er seine persönlichen und originellen Eindrücke niederlegen konnte.

»Wenn ihr mich fragt, was ich davon denke, Leute – ich trau' der Gesellschaft da drüben im Hause nicht übern Weg! Mitten in der Nacht kommen sie angejagt, als ob ein Sheriff mit dem Aufgebot hinter ihnen her wär'. Sie stolzieren herein und schieben die Füße untern Tisch und futtern, als ob sie den ganzen Tag im Sattel gesessen hätten. Kann sein, sie haben's auch. Und selbst, wie sie hinter der Schüssel saßen, schien's ihnen nicht allzu wohl ums Herz zu sein. Da ist doch oben im Haus der Laden los. Den schmeißt der Wind mit 'nem Krach gegen die Wand, und Buck Daniels, der springt euch doch vom Stuhl hoch, als wenn einer 'ne Pulvermine unter ihm angezündet hätt'. Gesagt hat er nichts. Er setzt sich wieder hin mit 'nem Gesicht, als wär' er krank. Und die beiden anderen schauten nicht froher drein. Wenn sie was redeten, dann blieben sie manchmal mitten im Wort stecken, und ihre Blicke, die krochen nur so in den Zimmerecken 'rum, wo's recht dunkel ist. Dann springt Lee Haines vom Stuhl und fängt an und wandert im Zimmer 'rum. Sagt er zu mir: ›Swann, wieviel tüchtige Leute habt Ihr hier?‹ ›Na‹, sag' ich. ›Sie sind alle gut.‹ ›Hm‹, sagt Haines und legt mir 'ne Hand auf die Schulter. ›Möchte gern wissen, wie weit sie taugen, Swann?‹ Ich seh gleich, was er braucht. Wollte wissen, wieviel schneidige Kerle sich hier mit den Kühen herumbalgen. Kann sein, die drei da drüben haben sich in den Kopf gesetzt, daß sie bald Hilfe nötig haben. Hilfe? Warum? Vor was sind die eigentlich davongelaufen?«

»He!« unterbrach da einer der Cowboys Bens Erzählung und deutete melodramatisch mit der Gabel aus dem Fenster.

Da draußen verschwand etwas, das wie Gold funkelte, gerade hinter dem Kamm des nächsten Hügels, dann kam es wieder zum Vorschein; ein goldhaariges Kind in einem weißen wehenden Kleidchen, das eifrig und beharrlich in eiligem Lauf nordwärts strebte.

»Das Kleine!« rief der Vorarbeiter, nach Luft schnappend. »Leute, erwischt sie! Nein, laßt man, ihr würdet das Wurm zuschanden drücken. Ich weiß besser, wie man mit so was umgeht.«

Mit einem Riesensatz war er zur Tür hinaus und schoß über den Kamm des niedrigen Hügels. Die Cowboys am Frühstückstisch hörten einen dünnen, schrillen Aufschrei. Dann erschien Ben Swann wieder, das Kind in den Armen. Schnaufend kam er zur Tür herein und stellte die Kleine auf den Tisch. Da stand sie, ein winziges, aber furchtloses Geschöpf. An den Füßen hatte sie die kleinen Stiefelchen, die Dan ihr selbst verfertigt hatte, aber das Fell, das sie am Abend getragen hatte, war verschwunden. Vielleicht hatte die Mutter es weggeworfen. Die Stiefelchen und das weiße Nachthemd waren ihre ganze Ausrüstung, und die Cowboys drängten sich um den Tisch und bewunderten ihren Schneid.

»Sie hat Feuer gespuckt,« bemerkte Ben Swann, »als ich sie erwischte. Zu beißen hat sie mich versucht. Aber den Augenblick, als ich sie richtig gefaßt hatt', hat sie das Zappeln aufgesteckt und war vernünftig wie 'n Großer. Gott verdamm' mich!«

»Halts Maul, Ben! Solltest auch was Besseres wissen, als so gotteslästerlich zu fluchen, wo das Kleine dich hören kann.«

Joans große dunkle Augen wanderten von Gesicht zu Gesicht. Wenn sie Angst hatte, so wußte sie sie jedenfalls gut zu verbergen. Aber hier und da warf sie, wie ein Wesen der Wildnis, das sieht, daß es der Gefangenschaft nicht entrinnen kann, einen sehnsüchtigen Blick durchs Fenster, ins freie Land hinaus.

»Wo wolltest du eigentlich hin, Liebling?« erkundigte sich Ben Swann.

Das Kind starrte ihn eine Weile mit festem Blick an, ehe es Antwort gab.

»Da drüben hinaus.«

»Da drüben hinaus? Was will sie damit sagen? Hast du nach Elkhead wollen – in deinem Nachthemd? Wo soll ich dich denn hinbringen, Kleines?«

Sie traute Ben Swann durchaus nicht, aber wenigstens zog sie ihn den anderen vor, die sich mit ihren unrasierten, von der Arbeit ausgemergelten Gesichtern und neugierig schielenden Augen um den Tisch drängten und sie anstarrten.

»Daddy Dan«, sagte sie leise. »Joan will zu Daddy Dan.«

»Daddy Dan heißt Dan Barry«, übersetzte Ben Swann und rückte ein bißchen von ihr weg. »Boys, der blutdürstige Teufel steckt irgendwo in der Umgebung, und jetzt weiß ich auch, vor wem die drüben im Haus ausgerissen sind – das war Barry!«

Die ganze Gesellschaft spritzte auseinander, die einen zu den Fenstern, die anderen zur Tür.

»Seht ihr was?«

»Nichts.«

»Swann, wenn Barry hier in die Gegend kommt, schnür' ich mein Bündel.«

»Ich auch, Ben. Wer die zehntausend Dollar mal erwischt, der wird sie sich verdammt sauer verdient haben. Ich weiß Bescheid. Ich hab' von dem Blutbad in Alder gehört.«

»Hört mal, Leute«, bemerkte Ben Swann. »Ich denk', wenn Barry hierher kommt, wird keiner von uns bleiben. Aber ihr braucht nicht gleich alles aus der Hand fallen zu lassen, solange ich nicht gehört hab', wie's wirklich damit steht. Ich schaff' jetzt das Kleine nach dem Haus hinüber. Da werd' ich schon 'rauskriegen, was los ist.«

Gesagt, getan. Er wickelte Joan, die von der Morgenkälte zitterte, in eine Decke und machte sich auf den Weg nach dem Herrschaftshaus. Da war schon alles alarmiert. Ben sah Buck Daniels mit zwei gesattelten Pferden am Zügel herangaloppieren. Er sah, wie Haines und Kate die Stufen von der Veranda heruntereilten. Da erblickten sie alle drei den Vorarbeiter, der mit Joan auf der Schulter herankam.

Ben Swann stellte fest, daß der Jubel über die Wiedervereinigung entschieden sehr einseitig war. Kate rannte mit einem leisen, wehen Freudenschrei auf Joan zu und preßte sie an die Brust. Aber weder der riesenhafte Lee Haines noch Buck Daniels mit seiner häßlichen Visage schienen übermäßig begeistert darüber, daß Joan sich wieder eingefunden hatte. Und das Kind selbst tat nicht mehr, als die Liebkosungen seiner Mutter einfach über sich ergehen zu lassen. Ben Swann pflanzte sich vor ihnen auf und hielt ihnen eine Rede.

Er gab ihnen zu verstehen, daß jedermann, der auch nur ein Auge im Kopfe habe, sehen könne, daß sie alle drei irgendwo der Schuh drücke, und daß sie sich anstellten, als hätten sie vor was Reißaus genommen. Nun, das Hasenpanier zu ergreifen, das sei an sich schon recht und ganz in Ordnung in Fällen, wo es unmöglich sei, einer Gefahr mit Mut oder List zu trotzen. Er selbst, Ben Swann, sei persönlich überzeugt, daß eine solche Taktik sich empfehlen könne. Er sei kein Soldat, er sei ein ganz simpler Cowboy. Dasselbe dächten auch die anderen Boys drüben im Schlafhaus. Und wenn sie auch bereit seien, in gewöhnlichen Zeiten ihre Arbeit zu tun und ihren Mann zu stellen, wenn sich's um 'ne gewöhnliche Sache handelte, – so hätten sie aber doch alle miteinander keineswegs die Lust, Dan Barrys Erscheinen auf der Ranch abzuwarten.

»Deshalb«, schloß Swann seinen Erguß, »möcht' ich euch jetzt grad ins Gesicht fragen: Ist der, den sie den Pfeifenden Dan nennen, auf dem Weg hierher? Ist's der, vor dem ihr ausgerissen seid? Und habt ihr vielleicht ihm das Kleine gestohlen?«

Lee Haines nahm es auf sich, zu antworten:

»Ihr seht mir doch aus, Swann, als ob Ihr 'n vernünftiger Mensch wär't«, sagte er streng. »Ich muß sagen, daß ich über Euch erstaunt bin. Vor allem und zu allererst laufen nicht zwei Männer vor einem einzelnen davon.«

Ein flüchtiges, vielsagendes Lächeln zuckte um Ben Swanns Lippen und verschwand wieder.

Haines fuhr hastig fort:

»Und wenn Ihr hier davon redet, daß wir Dan Barry das Kind gestohlen haben – gerechter Gott, Mann, meint Ihr denn nicht, daß eine Mutter ein Anrecht auf ihr eigenes Kind hat? Nun, trollt Euch zurück zu der Bande von Hasenfüßen. Und Ihr könnt ihnen erzählen, daß Dan Barry da hinten irgendwo in den Grizzly-Bergen steckt.«

Aus verschiedenen Gründen war der Vorarbeiter von dieser Antwort nicht vollauf befriedigt. Aber er verschob vorläufig noch alle weiteren Entschlüsse. Lee Haines hatte gesprochen wie jemand, der gewohnt ist, Befehle zu erteilen. Langsam wanderte Swann zu seinen Gefährten im anderen Haus zurück.


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