Theodor Birt
Das Kulturleben der Griechen und Römer in seiner Entwicklung
Theodor Birt

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Die römische Hochkultur

1. Vorbereitendes

Wir fahren nur im gleichen Gegenstand fort, wenn wir nunmehr von der Kultur der Römer reden; denn diese war nur die Fortsetzung der hochgetriebenen griechischen, die ich besprach. Eine Kette glänzender Perlen gleitet durch unsre Hand; sie scheinen an Glanz und Volumen noch zu wachsen, je weiter wir schieben; aber es ist immer noch dieselbe Kette. Das Weltgriechentum hatte Italien geistig, aber auch durch Zuwanderung, die immer mehr sich steigerte, zu überströmen begonnen, und der römische Hellenismus, dem wir uns zuwenden, entstand. Das starke römische Blut gab dem Hellenismus, dem es sich unterwarf, ganz neue Kräfte, einen herberen Zug, den Zug ins wuchtig Brutale, aber auch ins überaus Großartige und Majestätische, das aller Nachwelt unvergeßlich blieb. Wir werden es sehen. Denn das Kulturbild, das jetzt vor uns auftaucht, steht auf dem Goldgrund des römischen Kaisertums, und dieser Goldgrund leuchtet märchenhaft durch alle Zeiten.

Es ist die Macht, die sich in Schönheit kleidet; aber wir spüren überall ihre derben Hände; denn eine Welt von Untertanen galt es zu bändigen und zum sogenannten Völkerglück gleichmäßig zu erziehen. Wie viele Werte dabei verloren gingen, ist schon gesagt. Eine Regelung des Völkerlebens in festen Ordnungen wurde in der Tat in großartiger Weise und mit hervorragender staatsmännischer Klugheit hergestellt; denn der Weltfriede war da, die Furien des Kriegs lagen endlich in Ketten; ein sorgloses Wohlleben konnte gedeihen, phantastische Prachtliebe sich entfalten; auch der Arbeitslose fand aus den scheinbar unerschöpflichen staatlichen Mitteln Zeitvertreib in Fülle und tägliche Verköstigung. Aber die geistigen Interessen steigerten sich nicht; sie blieben in ihrem Wachstum stecken. Wo der Reichtum herrscht, wird die Arbeit unbequem. Wozu nach allzu schwierigen Problemen 223 greifen? Man lebt, um zu genießen, und zehrt gemächlich von den Früchten, die die Gedankenarbeit einer denkenderen Generation hinterlassen hat. Das große Otium, die Zeit des Feierabends schien gekommen.

Auch der weite griechische Orient zeigte sich in den Jahrhunderten, von denen nunmehr zu reden ist, stiller und unproduktiver als sonst; aber er war es, der dem Römertum schließlich doch noch einen überwältigend neuen Inhalt brachte; das war das griechische Christentum, ein neuer geistiger Schatz, mit dem sich wuchern ließ und der sich als unversieglich erweisen sollte. Denn auch der römische Kirchenglaube stammt nicht aus Rom; er war die letzte Gabe des Weltgriechentums, in der die Antike sich vollendet hat.

Reden wir gleichwohl nach dem Herkommen von römischer Kultur.

Als Waffenhandwerk, als Handel und Münze und Straßenbau, als römisches Recht, als römischer Glaube hat sie sich dereinst über Europa ausgebreitet, und wir zehren noch heute von ihr, denn wir sind Kindeskinder und Erben jener fernen Vergangenheit. Die römische Kultur hat im Mittelalter die modernen Völker erzogen, und sie tut es zum Teil noch jetzt. Ihr Ausgangspunkt aber war die eine Stadt am Tiberfluß, nach der heute Forscher und Neugierige, Andersgläubige und Rechtgläubige wallfahren: Rom, einst nur ein befestigtes Dorf rauflustiger Landbauern, gegenwärtig und schon seit Jahrhunderten das denkwürdige Reiseziel der Menschen.

Rom trägt seine eigene Vergangenheit sichtbar in seinem Schoße. In seinen Bauten tritt sie uns entgegen. Bahnhof, Finanzministerium, Rokokokirchen, Berninibrunnen, Sankt Peter – schon das weist aus unserer modernen Zeit unmittelbar vier Jahrhunderte nach rückwärts. Lateran, Santa Maria Maggiore und in Cosmedin, Konstantinsbogen – das ist weiter ein Jahrtausend. Aureliansmauer, Engelsburg, Pantheon, Kastorentempel, Tabularium des Sulla, Cloaca maxima – das gibt wieder ein Jahrtausend. So steht in Rom 224 alles nebeneinander. Welch unermeßliche Entwicklung an ein und demselben Fleck der Welt! Wenn wir hier von römischer Kultur reden wollen, welches Stadium der Entwicklung sollen wir zeichnen?

Kultur (cultura) ist ein lateinisches Wort; es bedeutet eigentlich nur den Ackerbau. Aber ein Volk, das vom Nomadenleben zum Ackerbau übergeht, wird damit noch nicht sogleich ein Kulturvolk in unserem Sinne. So dachten die alten Römer selbst, die uns sagen: das Leben des Landmanns ist kulturlos, weil er nur mit dem Vieh verkehrt; erst die Städte bringen die cultura (Vegetius). Eine religiöse, eine kaufmännische, eine künstlerische Volkserziehung, vor allem eine Vergesellschaftung, eine Staatenbildung muß hinzukommen. Erst der so erzogene Mensch ist imstande, die Kräfte der Natur sich planvoll dienstbar zu machen; erst er ist Kulturmensch. Am besten und kürzesten sagen wir: ein Kulturvolk ist ein solches, das lesen und schreiben kann. Denn nur wo Schrift ist, ist Tradition. Nur wo Tradition ist, ist Fortschritt.

Ist dies richtig, so sind die Römer, bevor sie von den Griechen lernten, ein Kulturvolk gar nicht gewesen, denn ihnen fehlte die Schrift. Von den Griechen entlehnten sie das Alphabet, und zwar im 7. oder 8. Jahrhundert v. Chr. Was es damals rings um Rom an Kulturwerten gab, war direkt oder indirekt griechischer Herkunft, nicht nur die Schrift. Mit dem weiteren Wachsen Roms wuchs daher auch der griechische Geist in Rom. Der Besiegte erzog und bezwang den Sieger, und die Römer wurden die ersten überzeugten Humanisten. Gleichwohl behauptete der Besiegte seine Eigenart; er betrachtete die Machtmittel des Siegers als seine Beute,Die Römer sind omnium utilitatium et virtutum rapacissimi nach Plinius Nat. hist. 25, 4. wandelte die griechischen Bildungsfaktoren im Dienste seines Temperaments und seiner Zwecke um, übersetzte sie in seinen Geist und in seine Sprache, schablonisierte sie, um sie auf alle Verhältnisse und Orte zu übertragen, und es gelang ihm, sie für lange Zeit den großen Verhältnissen eines Weltreichs anzupassen.

Silen

Silen, Silberrelief

aus Miletopolis in Phrygien im Berliner Museum, um 200 v. Chr. Nach Winnefeld, Hellenistische Silberreliefs (78. Berliner Winckelmannsprogramm 1908), Tafel 1.

225 Aber eigentlich erst die Zeit des römischen Kaisertums seit Augustus hat das Kulturwerk vollbracht, indem sie die Welt in Verwaltung nahm und organisierte und mit den eigenen Zwecken und Idealen erfüllte. Daher ist es die römische Kaiserzeit, die große Zeit des Weltfriedens, auf die wir im Nachfolgenden vornehmlich acht geben werden. Es sind gemeint die Jahre 30 v. Chr. bis etwa 200 n. Chr., die Zeiten von Kaiser Augustus bis zu Nero und Trajan und weiter bis Mark Aurel und Septimius Severus.

Nur zur angemessenen Einführung sei zuvor auch ein Blick auf das werdende Rom geworfen.

Italien liegt als gewaltige Landzunge lang vorgestreckt im Meer. Aber die italienische Nation ist heute trotzdem kein Volk von Seeleuten und war es auch in den ältesten Zeiten nicht. Rom ist nicht am Meer erbaut worden, und daher, weil es, anders als Athen und Karthago, als Landmacht heranwuchs, ist es so nachhaltig siegreich gewesen.Vgl. Ciceros Urteil hierüber: »Römische Charakterköpfe« S. 17.

Italien war damals wasserreich, die Gebirge vom Urwuchs der Wälder erfüllt. Schon in prähistorischer Zeit aber wurde gerodet, und die Feldbestellung entwickelte sich. Um das Jahr 1000 v. Chr. kommt die Verwendung des Eisens in Italien auf; eben dies ist die Zeit, wo auch das Gräberwesen beginnt; die ältesten Schachtgräber, die gefunden sind, weisen so weit hinauf. Die Ackerbauer aber sammelten sich in befestigten Dörfern, wo sie auch ihre bewegliche Habe bergen konnten. Wer heute den Apennin entlang fährt, sieht auf allen Höhen kleine Städte schimmern in Unzähligkeit; oft sind es nur Plätze zu 2000 Seelen. So nisteten auch damals schon jene Dörfer überall hoch auf den Bergen, wo man vor Überfällen der Nachbarn sicher war. Handelsstraßen zu Lande fehlten. Die Volksstämme verbündeten oder befehdeten sich und führten ein Stilleben, ohne viel zu fragen, wer jenseits der Grenzen des nächsten Nachbarn die Ackerfurche zog. Die dichten Wälder bildeten die Grenze. Die Natur gab 226 Baumfrucht und Feldfrucht in Verschwendung, die Sonne Italiens schien beglückend wie heute hernieder, und der Mensch ist im Süden so bedürfnislos! Was sollte weiter geschehen? wer sollte dies geschichtslos-idyllische Völkerleben stören?

Da kamen zu Schiff die Etrusker ins Land, um das Jahr 800 oder auch früher: ein fremdsprachiges Barbarenvolk aus Kleinasien,An der Ansicht, daß die Etrusker aus Lydien stammten, möchte ich festhalten. Die Gründe, die sich dafür geltend machen lassen, können hier nicht wiederholt werden. das sich in der Gegend von Florenz, Perugia, Orvieto niederließ, wo früher die Umbrer saßen. Bald danach gründeten auch Griechen an den südlichen Küsten Städte wie Cumae, Neapel, Tarent. So ist es ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß nach der Überlieferung eben damals, um 750 v. Chr., auch Rom am Tiber gegründet sein soll, und zwar in Latium, dem Lande der Lateiner.

Man erkennt in den Römern wie in den Griechen die nordische Rasse. Die Griechen gerieten, da sie aus nördlichen Gegenden in die Balkanhalbinsel zogen, früh in den Bannkreis der hohen morgenländischen Kulturen; die Italiker hingegen blieben davon unberührt und somit viel länger rückständig, und vier Jahrhunderte mußten vergehen, bevor die Bildungsmächte aus Osten auch sie ergriffen.

Rom, die Stadt, entstand durch Zusammenschluß zweier Dorfgemeinden, die auf zweien der berühmten sieben Hügel über dem Tiberstrom, auf dem Quirinal und dem Palatin bestanden. Auf dem ersten saßen sabinische Leute, auf dem anderen die Latiner; die Latiner sicherten sich auch noch das benachbarte Capitol. Beide nahe verwandten Stämme, Latiner und Sabiner, waren aus Norditalien vorgedrungen. Den Unterschied beider aber stellt die heutige Gräberforschung noch jetzt an ihrem Bestattungswesen fest. Das spätere forum Romanum war damals noch ein unbewohntes Flußtal zwischen den Hügeln, in dem man die Toten beisetzte. Nicht nur die heutigen Grabungen haben das festgestellt,Vgl. F. von Duhn, Italische Gräberkunde, 1924. Den Latinern eignen die Brandgräber, sabinisch sind Bestattungsgräber. Noch sei erwähnt, daß auf dem Monte Mario über Rom eine prähistorische Siedelung des 11. Jahrhunderts v. Chr. festgestellt worden ist, die starke nordeuropäische Einflüsse verraten soll; es fanden sich dort Skelette, Waffen und in den Tuff gegrabene Hütten in Trichterform. sondern die Römer zur Zeit Cicero's selber wußten das noch; es gab da eine Stelle auf dem Forum, die man »Doliola« nannte; da durfte kein Mensch ausspucken; denn darunter lagen 227 unheimliche prähistorische Scherben; es waren Aschenkrüge der ersten Anwohner Roms.Vgl. Varro De lingua lat. V 167.

Ganz gewiß als befestigtes Handelszentrum gewann Rom alsdann und früh Bedeutung; der Tiber ist der größte Fluß Mittelitaliens und war vom Meere bis Rom hinauf für Seeschiffe gut schiffbar. Aus dem Innern brachte der Fluß die Naturalienzufuhr; vom Meer aber kam das Salz, und die Salzstraße, die es dem Inland brachte, wurde von Rom beherrscht. Der Sold des Kriegers bestand in jenen Urzeiten in Salzrationen;Plinius nat. hist. 34, 11. daher das Wort salarium, das heute noch im »Salair« weiterlebt.

Gleich jenseits des Flusses aber lag das etruskische Land, und Rom ist keineswegs von Anbeginn die siegreiche Stadt gewesen; für längere Zeit hat es ohne Frage unter der Oberhoheit der weit ausgreifenden Etrusker gestanden. Romulus, Romilius, ja, Rom selbst scheinen etruskische Namen.Zu Roms Namen vgl. »Aus dem Leben der Antike«4 S. 235 und meine Schrift »De Romae urbis nomine«. Deutlicher noch redet der Name der Tarquinier.Die ganze Königsgeschichte Roms ist legendenhaft. Das Königtum pflegt sonst erblich und in den Händen einer Dynastie zu sein; das ist hier nicht der Fall. In der Nennung der Tarquinier aber steckt doch die Erinnerung an Tatsächliches; es war die etruskische Vorherrschaft. Auch gab es ein nach dem fremden Volk benanntes Häuserquartier, einen vicus Tuscus, hart am Forum und Palatin; da hausten die Techniker und Künstler, die Landsleute der Tarquinier beisammen, die auf Befehl dieser Könige die Gaben einer entwickelteren Kultur in die Stadt brachten. Gleichwohl ist kein einziges Monument etruskischer Schrift im Schoße der stadtrömischen Erde aufgefunden worden, auch keine Etruskergräber. Überall, wo dies Volk herrschte, stellte es nur den Herrenadel; das unterjochte Volk blieb dabei, wie es war. Es ist daher unsere Aufgabe, uns von dem menschlichen Leben in Rom, bevor der etruskische Kultureinfluß einsetzte, eine Vorstellung zu machen.

Enge Quartiere von Lehmhütten, das war damals Rom. Jedes Haus mit steilem Strohdach; jedes nur zu einem Wohnraum; das Dach Kornboden. Der Herdrauch zog durch die Türe ab. Von Stallungen war das Haus umgeben, und das Vieh lief durch die Straßen. So wohnte der Urrömer zur Winterszeit auf dem Palatin und Quirinal, um im Sommer 228 zur Feldarbeit aufs Land hinauszuziehen. Auch der Vornehme ging selbst hinter dem Pfluge. Ungepflasterte Wege, auch steiles Treppenwerk führte in der Stadt von Berg zu Berg. Die Niederungen zwischen den Bergen waren versumpft, und man fuhr zu Zeiten auf Kähnen hindurch, bis die Kloakenanlage Entwässerung und Gesundung brachte. Aus den nahen Wäldern verirrten sich oftmals Wölfe in die Stadt. Struppig rauh, in Fellkleid und Fellkappe ging der Römer einher, ein wilder Banditentypus, wie ihn Italien im Bergvolk der Abruzzen bis heute bewahrt hat. Kein Tempel war in Rom, kein Gottesbild. Man opferte in Hainen und unter freiem Himmel. Das Kuhhorn rief zur Ratsversammlung. An jedem 9. Tag war Markt, und die Landleute – vornehmer als die Stadtleute – brachten ihre Produkte, um sich Erzeugnisse der primitiven städtischen Industrie (Eisenwaren, Lederwerk) dagegen einzutauschen. Das Backen, Schustern und Schneidern aber besorgte jeder im eigenen Haus: dazu war das Gesinde da. Geld gab es nicht. Man zahlte durch Tausch. Das Vieh war wie bei den homerischen Griechen das Normalgeld jener Zeiten. Das Wort für Geld, pecunia, hat vom Vieh, pecu, seinen Namen. Die Meßkunst maß nach Fuß und Fingerlänge und Unterarm (Elle), die Feldwirtschaft nach Jochen, das ist nach Strecken, die das Ochsengespann an einem Tage pflügen konnte.

War die Arbeit getan, so gab es auch Feste. Feste aber sind nur Götterfeste. Das Leben war durchsetzt von Religion. Am Cerialienfest wurden Füchse gehetzt, brennende Fackeln an den Schwänzen. Für den Erntegott Consus gab es ein Maultierrennen; denn die Zugtiere sollten sich auch einmal auslaufen. An dem Ackergrenzfest vereinigten sich die Ackerleute zu nachbarlichen Schmausereien. Der Grenzstein, Terminus, hatte den Wert eines Gottes. Pales war der Schützer des Viehs, Faunus der Waldgeist; am Palesfest sprang das junge Volk durch brennende Heuhaufen; beim Faunusfest liefen Wolfsmänner nackt um den Palatin und schlugen die Frauen 229 mit Riemen, damit sie gebären sollten. Ein Schnitterversmaß diente für Gebetsformeln. Aber keine Literatur hat sich aus dieser rudimentären Verskunst entwickelt. Es fehlte Phantasie, Gestaltungskraft. Rom wurde ein Volk der Juristen und Redner, nicht der Dichter.

Die Götter aber, die man anrief, hatten etwas Gespenstisches und Drohendes, und der sonst so furchtlose Römer lebte vor ihnen in Furcht. Die Religion der Vorzeit war nichts als Angst. Fragen wir die Griechen, was es war, wodurch die Römer die Welt erobert haben, so antworteten sie: ihre Götterfurcht. Ich sage Götterfurcht, nicht Gottesfurcht; denn der Römer glaubte nicht an einen Gott; er setzte möglichst viele an, um keine der unheimlichen Mächte, die nicht von seinem Willen abhingen, übergangen zu haben.

Der Ausdruck »Religion« ist eine Erfindung Roms; keine andere Sprache gibt das Wort angemessen wieder: es ist ein moralischer Begriff, der das Bewußtsein der Verpflichtung, die Gewissenhaftigkeit gegen jeden andern, sei es Mensch oder Gott, ausdrückt. Der Naturmensch erliegt dem Animismus; er hat das Gefühl vollständiger Abhängigkeit von dem Übernatürlichen, das hinter der Natur verborgen scheint, und in der Religion lebt dies Gefühl sich aus. Exakte Wissenschaften sind in Rom nicht entstanden, auch keine Astronomie, und so hat der Römer auch nicht daran gedacht, Sonne, Mond und Sterne anzubeten. Ebensowenig aber sah er in den Göttern Gesetzgeber der bürgerlichen Sittlichkeit. Concordia und Pudicitia sind gelegentlich verehrt worden, aber sie treten doch gänzlich zurück. Es handelte sich nur um praktische Dinge. Wer pflügte, rief den Pflügegott, wer die Egge brauchte, den Gott der Egge. Robigus, der Halmschadengott, lauerte und drohte. Janus hütet die Haustür, d. h. die Tür selbst ist vergöttlicht. Deverra war die Göttin des Ausfegens, und dies Ausfegen galt zugleich als Schutzmittel für die Wöchnerinnen, damit kein böser Geist eindringt und sie quält. Sollte das Kind gehen lernen, so rief man dafür zu einem 230 besonderen Gott um Hilfe, ebenso beim ersten Kinderschrei usw. Auch für das Bestattungswesen, auch für das Kloakenwesen ersann man extra göttliche Beschützer, nicht minder für den Ehezwist; denn der Ehezwist ist wie Rost und Halmschaden, der mit Mißernte in der Familie droht.

In alledem verrät sich wenig Phantasie, aber um so mehr vorsichtige Klugheit. Diese Götter waren nur Namen ohne Gestalt. Es war genug, daß man sie beim Namen rufen konnte, und man wollte nur wissen, was sie wollen. Daher schien es auch genug, sie numina, d. i. Winke, Willensäußerungen, zu nennen. Dies kam in der erhabenen Dichtersprache auf.Zuerst finden wir numen in diesem Sinn beim Tragiker Accius; man erklärte es mit imperium (Varro, l. lat. VII 85). Die Griechen brauchten das entsprechende νεῦμα nicht in gleichem Sinne. Genaueres s. Philol. Wochenschr. 1918 S. 213 f. Die Litaneien beim Schlachtopfer und Gottesdienst jedoch waren keine Hymnen, und von choralartigem Gemeindegesang wußte man nichts; es waren Gebetsformeln in kurzen Sätzen oder gar nur Register von Götternamen, die korrekt in richtiger Reihenfolge anzurufen waren. Während die griechischen Götter zu den Menschen herabsteigen und Gottessöhne erzeugen und im Gespann über den Himmel oder mit dem Dreizack über das Meer fahren, hat der steifpraktische Römer von solcher schönen, wennschon irdischen Anschaulichkeit und frischen Phantastik keine Ahnung. Götterehen waren für ihn unvorstellbar, und die numina sind vielfach unbestimmt geschlechtslos. So ist Venus, die latinische Gottheit, eigentlich ein Neutrum (wie Genus), und sie bedeutete gar keine Herzenssehnsucht und Liebesschmachten, sondern den Wuchs des Gartengemüses; und Juno war wie Pales ursprünglich eine Maskulinform,Niemand scheint dies bisher beachtet zu haben; alle Nomina auf -o, -onis sind Maskulina, epulo, mango, caupo usf. Also auch luno wie Almo, Maro, Nero (Archiv f. Lexik. XIII S. 225 ff. und erst unter Einfluß der griechisch-etruskischen Religion wurde sie zu einer weiblichen Gestalt und Beiwohnerin Jupiters.

Und doch kannte schon der Römer der Urzeit ein frommes Gotteskindschaftsgefühl, das Vaterunsergefühl. Der wundervolle Himmel des Südens stand damals über ihm wie heute. So streckte er seine Hände zum Jupiter. Das Wort Jupiter aber hieß soviel wie himmlischer Vater. Ja, auch Mars, den Kriegsgott, rief die junge Mannschaft als Marspater an, 231 woraus folgt, daß Mars keinesfalls als Jüngling gedacht wurde.

Gleichwohl war dieser Jupiter gefürchtet. Denn das Phänomen des Blitzes haftet an ihm; er donnert vom tarpejischen Fels und der Platz, wo am Tage der Blitz einschlug, wurde als unheimliches Blitzgrab eingefriedigt. Ein keilartiger Feuerstein wurde auf dem Kapitol aufbewahrt; der bedeutete den Gott. Jupiter selbst war im Blitz; er war der Blitz. Vor allem aber war Mars ein Name des Schreckens. Er ist die Dürre des Sommers, und man weiht ihm alljährlich die Erstlinge an Frucht und Vieh, um ihn satt zu machen. Nur vor der Stadt hatte er sein Heiligtum. Aber ganze Volksstämme, wie die Marser, haben sich damals nach Mars benannt. Denn bei eintretender Volkskrankheit oder Übervölkerung wurde diesem Schreckensgott ein Teil der jung herangewachsenen Mannschaft des Jahrgangs als »heiliger Lenz« geweiht. Unter des Gottes Namen und unter seinem Geleit zogen diese Marsmänner abenteuernd hinaus in die Ferne. Solcher Auszug bedeutete aber Bedrängung der Nachbarn, Krieg. Sie brauchten Land, sie brauchten Frauen, und so kam es, daß der Naturgott Mars, von dem der Monat März seinen Namen führt, zum Kriegsgott der Römer geworden ist.Vgl. Archiv f. Lexik. XI S. 177 f. u. 161.

Glücklich der, der daheim bei seinen Laren blieb! Der Lar ist ein Ortsgeist, der das Feld hütet. Am Dreiweg kommen die Nachbarn zusammen, um ihre Laren gemeinsam zu verehren. Aber auch das Wohnhaus mitsamt dem Gesinde hütet der Lar, und er will am Hausherd gespeist sein; sonst hilft er nicht. Denn alle diese Götter sind hungrig. Sie gehören mit zur Familie und speisen mit. Soviel Grundstücke, so viele Familien, so viele Laren. Sie sind unzählig. Ja, sie rücken wie Mars auch mit ins Feld hinaus und können Tod bringen. Aber niemand hat sie je gesehen. Bilder gab es nicht.

Ein Merkmal der Kultur ist der Schmuck der Gräber. 232 Aber in jenem ältesten Rom war er noch sehr unentwickelt. Auch machte man sich von der Unterwelt noch kein deutliches Bild. Der Februar war der Totenmonat, dies war zugleich der Schluß des Jahres, das mit dem März begann. Unheimliche Gruben gab es; da hinein warf man Opfer von Feldfrüchten, auch Münzen. Die Geister der Abgeschiedenen heißen Larven; sie flattern um ihre Gräber, huschen auch um das Familienhaus, und man schüttet nachts schwarze Bohnen vor die Schwelle, um sie abzufinden.

*     *     *

So lebte der Römer im Sommer in Arbeit und Fehde, im Winter aber träge dahin. Man kann sich denken, daß auch sein Familienleben noch hart, barbarisch und an streng patriarchalische Formen gebunden war. Der Vater ist Eigentümer nicht nur alles Gutes, sondern auch seiner Frau, seiner Kinder und seiner Knechte. Wer heiratet, erwirbt sich durch Kauf aus ebenbürtigem Hause eine Tochter, und sie hat mit ihrer eigenen Sippe hinfort nichts mehr zu tun. Verfällt sie einem Laster, so kann er sie verstoßen, er kann sie töten. Wird dem Gatten und Herrn ein Kind geboren, so hebt er es vom Boden auf, wenn er es anerkennen will; mißfällt es ihm, so kann er es auch liegen lassen und verwerfen. Wo Leibeserben fehlen, sind nur die Verwandten des Mannes erbberechtigt (patrimonium). Kein Sohn des Hauses erwirbt Grundeigentum, und auch Viehbesitz gönnt der Vater den Söhnen nur widerruflich. Adoptionen waren Kaufgeschäfte wie die Heirat, und zwar wurden nur erwachsene junge Männer in Adoption erworben; denn ihr Zweck war, das Geschlecht des Kinderlosen fortzusetzen. Hart war auch das Schuldrecht. Der Schuldner, der nicht zahlt, gerät in die Gewalt des Gläubigers, und nach 60tägiger Frist kann ihn der Gläubiger ins Ausland verkaufen, ja auch töten.

Anfangs war jeder Kreis von Blutsverwandten ein 233 kleiner monarchischer Staat oder Klan für sich. Sobald aber ein wirklicher Staat entstand, der viele Sippen in sich vereinigte, war damit auch die Herrschergewalt des Hausvaters eingeschränkt. Denn die Haussöhne sind jetzt, solange sie im Heer dienen, nicht in der Gewalt des Vaters, sondern zugleich in der höheren des Heerführers. Dieselben Söhne stimmen jetzt neben dem Vater in den Volksversammlungen. Endlich sind sie befähigt, Staatsämter zu übernehmen und werden damit sogar zeitweilig die Vorgesetzten ihres Vaters.

So gibt der Staat höhere und weitere Pflichtenkreise. Es entstehen neue Ideale, neue Gewalten. Niemand, so entscheidet das Zwölftafelgesetz, darf seine Regenrinne am Dach zum Nachteile seines Nachbarn verändern. Das ist bezeichnend: die Rücksichtnahme auf den Mitbürger reguliert den Verkehr. Niemand darf auf seinem städtischen Grundstück einen Toten begraben. Auch das verlangt das Gemeinwohl. So legt endlich der Staat auch Steuern auf, und seine Gerichtsgewalt entscheidet über Geldbußen und Leibesstrafe.

Aber auch sonst hat sich früh eine gewisse Milderung der Sitte eingestellt. Von Blutrache, die im griechischen Volk noch heute besteht, hören wir aus Rom nie etwas. Sie ist sehr früh durch Sühne ersetzt. Und im Familienleben werden schon früh und mehr und mehr auch die Verwandten der Frau mit freiwilliger Pietät umfaßt. Wir hören, daß das äußere Zeichen dafür der Kuß bei der Begrüßung war; und zwar konnte man sich solchen Kuß bis zum sechsten Grade der Verwandtschaft ausbitten; das war das »Recht des Kusses« (ius osculi). Dies Recht aber schloß die Heirat aus! Denn das Heiraten war unter Verwandten bis zum sechsten Grad verboten.

Das Königtum hat in Rom den Staat geschaffen. So war auch jeder Hausherr einst wie ein König gewesen. Das heißt: der Staat ahmte die Familie nach. »Vater des Vaterlandes« war soviel wie Hausherr des Vaterlandes. So hieß der König. Ebendaher hat Rom nun auch seinen eigenen Herd, den Herd 234 der Vesta, und die sechs Vestalinnen hüten in Keuschheit die Flamme dieses Stadtherdes, die sie jährlich einmal zu erneuern haben. Der Staat erwirbt auch Eigentum durch Eroberung aus Feindeshand; er feiert auch seine eigenen Götterfeste, er hat seine eigene Religion. Der Staat ist die erste große Schöpfung der Kultur, und zwar der monarchische. Schon im 6. Jahrhundert hat dann aber nicht nur in Rom, sondern in ganz Italien das primitive Königtum aufgehört. Das hing mit der Annahme der Schrift zusammen. Wo das Schriftwesen sich entwickelt, das schriftliche Verfahren sich ausbreitet, entsteht die Selbstverwaltung. Rom wurde Republik.

Rasch und in großartiger Weise hat dann die Staatsidee den engherzigen Familiensinn in Rom unterjocht. Der Römer wurde reich durch den Staat. Ein neuer, politisch-merkantiler Egoismus erwachte, der bald über Land und Meer ausgriff. So begründete sich im Bürger jene gesunde Selbstsucht der Masse, die wir Patriotismus nennen, und der Patriotismus wird zugleich Religion. Das ist der griechische Staatsbegriff, der den Einzelmenschen verschlingt: Rom hat ihn neben Sparta am mächtigsten entwickelt. Dahin gehören all jene Heldennamen, Cincinnatus, Camillus und Regulus usw., und ihre Tugenden, als da sind: strenge Gesetzlichkeit, militärische Subordination, unbeugsame Ausdauer, Zähigkeit im Widerstand, Leidenschaft für alles Soldatische. Nicht Ruhmsucht, Herrschsucht leitete sie und brachte sie vorwärts. Die Ruhmsucht ist orientalisch, die Herrschsucht oder Gewinnsucht römisch.

Zu den Römertugenden zählt aber auch die politische Frömmigkeit, und der Staat selbst nahm sie in die Hand. Der Staat hat jetzt seine Staatsgötter, er ordnet den Festkalender, beobachtet den Vogelflug (Auspizien) usw. Vor allem sättigt er Gott Mars, den Würger. Denn diesen Sinn hat es, daß fast in jedem Sommer Krieg geführt wird. Der Sommerkrieg gehört zum römischen Leben; er ist Eroberungskrieg, bringt 235 Beute und Landgewinn: in jedem Frühling Waffenweihe, in jedem Oktober religiöse Reinigung der gebrauchten Waffen.

Vor dem Beginn der Feindseligkeit wird über die Grenze eine Lanze geschleudert; das ist die Kriegserklärung. Dann wird auch vor der Schlacht selbst das ganze Heer »lustriert«, geweiht. Im selben Oktober wird dem Kriegsgott das »Oktoberpferd« geschlachtet; es war das Siegerpferd beim Wettreiten auf dem Marsfelde. Um den abgehauenen Kopf des Tiers streitet sich dann die Jugend, um ihn irgendwo hoch an die Haus- oder Tempelwand zu nageln, und der Schwanz blutet noch, den sie ins Heiligtum der Stadtgöttin Vesta schleppen, um mit dem Blut ihren Altarherd zu bespritzen.

Die Angst vor den Etruskern, die gleich jenseits des Tiber wohnten, war freilich längst vorüber. Nur eine Holzbrücke führte damals über den Fluß; auf sie stellte sich in jedem Frühling der Bund der römischen Springtänzer, vornehme Leute, und sie sprangen den wilden Kriegstanz, daß das Holzwerk dröhnte, mit Zusammenschlagen der Waffen und heulendem Singsang, um den Feind zu schrecken. Diese Brücke war uralt, älter als die Bronzezeit; auch bei Reparaturen durfte kein erzener oder eiserner Nagel den Holzlattenbau sichern. Die Priester aber hatten hierfür zu sorgen, und so erklärt sich das Seltsame, daß der Priester »der Brückenmacher« heißt, lateinisch pontifexS. Rhein. Museum 75 S. 119 ff. So nennt sich jetzt auch noch der Papst in Rom, der für die Rechtgläubigen die Brücke in den Himmel schlägt.

Ein robuster Gottesdienst. Aber auch der Feind hat Götter. Wie soll der fromme Römer, der nichts Göttliches verletzt, gegen die Götter des Feindes kämpfen? Der Römer ist klug, und vor der Mauer der Stadt, die er belagern will, bringt er den Göttern des Feindes Opfer, ruft sie feierlich aus der Stadt und verheißt ihnen, wenn sie der Beschwörung folgen, in Rom gute Aufnahme und Verehrung. Das ist das »Evozieren«. So übernahm dann Rom allmählich in Wirklichkeit von vielen Städten, die es eroberte, die herausgerufenen 236 Götter und stiftete ihnen Heiligtümer und Festtage, ein Verfahren, durch das Rom prädestiniert war, eine Allgötterstadt zu werden. Es ist stets ein Zentrum der Frömmigkeit gewesen. Vor allem aber wurde jetzt der Blitzgott Jupiter für Rom ein politischer Gott des Sieges. Kehrte ein Feldherr siegreich aus der Schlacht, so nahm er die Gewänder Jupiters und zog sie sich an, schminkte sich auch das Gesicht nach dem Vorbild des Jupiterbildes im Tempel und zog so angetan als Triumphator im Viergespann über die heilige Straße. Das heißt: der Gott war Sieger und triumphierte, nicht der Mensch, der nur sein Werkzeug war. Auch andere Städte hatten ihren Jupiter; der Jupiter Roms aber hieß »der beste und größte« (optimus maximus), weil er allen anderen seines Namens überlegen war.

*     *     *

Eine Statue Jupiters, zunächst nur aus Holz geschnitzt oder aus Ton gebacken, ist vor uns aufgetaucht, auch ein Tempel, auch Gewänder des Gottes, dazu ein Triumphzug des Feldherrn! Woher das alles? Das brachten die Etrusker. Für die Zeit von 700–400 v. Chr. ist noch kaum von griechisch-römischer, es ist vielmehr von etruskisch-römischer Kultur zu reden. Die Etrusker aber holten sich damals das kostbare Gut von den Griechen. Damit begann die Zukunft.

Etruskische Kunst! Wer hat nicht, wenn er in den etruskischen Museen Italiens war, mit dem Gefühl der Überraschung und voll bewunderndem Staunen vor jenen kostbaren Bronzewerken großen Stils und eigenartig harter Meisterschaft wie der Chimära von Arezzo, dem sogenannten Mars von Todi oder dem bronzenen Redner (aringatore) zu Florenz gestanden? Nicht Etrusker haben dies gearbeitet, aber jonische Griechen im Geschmack und Auftrag der Etrusker. In diese Reihe gehört auch die erzene Wölfin auf dem Kapitol, das Stadtsymbol Roms. Schon in Kleinasien, 237 seiner Urheimat, hatte das barbarisch-genußsüchtige Herrenvolk der Etrusker stark unter griechischen Einflüssen gestanden. Jetzt beherrschten sie mit ihrer Flotte das tyrrhenische Westmeer. Im Apennin gruben sie nach Kupfer und Eisen, wurden rasch ein üppiges Handelsvolk und drängten sich dazu, alle Vorteile des städtischen Lebens, die eben damals die genialen Griechen erschlossen, sich anzueignen. Um das Jahr 800 nahmen sie von dort das Alphabet und lernten schreiben. Es folgte die Einführung der steinernen Wohnhäuser mit offenem Lichthof, sowie die der leichten und freien griechischen Kleidung in gewebten Wollstoffen. Auch die Kämpfe der Arena, die Wettfahrten im Vier- oder Zweispänner, auch gewisse Bühnenspiele und das Histrionentum kamen in Aufnahme; Rom übernahm sie später von hier. Im 6. Jahrhundert begann auch der etruskische Tempelbau, der Tempelschmuck, die Götterbildnerei. Die Gräber wurden jetzt zu unterirdischen Sälen, mit vorgekragten Gewölben, in die der Reisende noch heute staunend hinabsteigt. Reich skulpierte Sarkophage und effektvoll gemalte Wandfriese von urwüchsig, ja erschreckend energischer Zeichnung sind in diesen Gräbern gefunden worden. Denselben Nekropolen werden auch die unzähligen attischen Vasenfunde verdankt, auf Grund deren es heute möglich ist, eine Geschichte der griechischen Vasenmalerei jener Zeiten zu geben. Die Etrusker führten sie massenhaft aus Athen ein.

So sind die Etrusker aus ihrer Vergessenheit vor uns hell wieder aufgelebt. Denn in jenen Grabmonumenten des 5. bis 3. Jahrhunderts sehen wir auch sie selbst in Person, realistisch porträtiert und sprechend leibhaftig vor uns: meist betagte Leute, wohlgepflegt, derb und nüchtern, aus einer Zeit, wo uns aus dem benachbarten großen Rom noch jedes Porträt fehlt. Denn noch der Sarkophag des Scipio Barbatus begnügt sich ja mit bloßer Namensaufschrift.

Aber noch mehr! die Dinge des Kriegs! Waffen aus Eisen, Helm und Stoßlanze, kamen früh bei den Etruskern auf 238 sowie auch der Harnisch der Städte: ich meine den Bau von Festungsmauern (und zwar damals noch ohne Türme). Auch den rechtwinkligen Grundplan für den Städtebau, wie wir ihn aus dem römischen Heerlager kennen, hat der Etrusker aufgebracht; ebenso die Feldmessung oder »Limitation«. Wichtiger noch, daß er in Italien zuerst, und zwar um das Jahr 500, Münzen prägte, Gewichte normierte. Die Geldwirtschaft regte sich langsam. Endlich müssen auch für die Kunst der Entsumpfung der Niederungen, für das Kloakenwesen, die Etrusker die Lehrmeister Roms gewesen sein.

Daß alle diese Erwerbungen den Römern eine Fülle von Förderung brachten, ist sicher. Roms Straßen sind erst seit dem Jahr 174 v. Chr. gepflastert worden; bei den Etruskern war das schon früher geschehen. Gleichwohl aber dürfen wir nicht vergessen, daß Rom auch selbständig sein Anlehen bei den Griechen zu machen wußte. Die Stadtmauer Vejis, der nächstgelegenen Feindin Roms, hatte eine Länge von 9 Kilometern im Umfang, die Roms fast 10 Kilometer, d. h. Rom war schon damals die größte Stadt Italiens. Seit langem war durch den Zuzug der Plebejer – so lautet die Überlieferung – die römische Bevölkerung bedeutend angeschwollen. Aber auch weite unbewohnte Strecken befanden sich, ähnlich wie heute, innerhalb des Mauerrings, alte Götterhaine, Raum für das Landvolk, wenn es sich in die Stadt flüchtete. Der Aventin bedeckte sich erst allmählich mit Häusern. Die ältesten Bestandteile der Serviusmauer Roms reichen nun aber doch bis ins 6. Jahrhundert hinauf und sind demnach vielleicht doch noch älter als die etruskischen.S. Graffunder im Archäol. Anzeiger, Jahrbuch XXIII (1908) S. 443.

Vor allem hat Rom direkt von den Griechen Süditaliens sein lateinisches Alphabet entlehnt; und während Etrusker und Osker von rechts nach links schreiben, hält es Rom von früh an umgekehrt. Auch darin zeigt sich früh sein selbständiger und praktisch weltkundiger Sinn. Denn auch die maßgebende griechische Literatur schrieb von links nach rechts. Unmittelbar von den Griechen nahm Rom ferner schon im 239 Jahr 451 die Anleitung zur Abfassung seines Zwölftafelgesetzes, das dann bald das erste Schulbuch, die uralte Lesefibel Roms geworden ist.

Gleichwohl hätte schließlich doch ganz Italien vielleicht eine etruskische Kultur erhalten – denn der Machtbereich dieses Volkes erstreckte sich zeitweilig fast über die ganze Halbinsel Italien –, wäre nicht ein zufälliger Stoß von außen erfolgt: und auf einmal ändert sich alles, und Roms Macht schnellt jählings empor. Die Gallier unter Brennus kamen von Norden, sie zerbrachen die etruskische Macht, die schon vorher unter den Angriffen des Dionys, des Tyrannen von Syrakus, stark gelitten hatte. Das reiche Rom dagegen kaufte sich von Brennus frei. Bisher war Rom nur die große Handelszentrale Mittelitaliens gewesen mit einem Gebiet von nur etwa 60 Quadratmeilen. Jetzt greift es auf einmal mit beiden Händen zu, immer auf den Vorteil bedacht, wird sogleich Erbe der Etrusker, unterjocht schon ganz Italien, vernichtet schon Karthago, setzt auf Spanien, auf Griechenland seinen Fuß – der Orient sah dem staunend zu – und diktiert dem König Antiochus von Syrien den Frieden. Der italische Bauer aber, so wenig es ihn in die Fremde lockt, füllt die Heerhaufen der Scipionen und durchzieht siegreich die griechische Welt bis nach Magnesia am Sipylus.

Das römische Heerwesen erwies sich als unwiderstehlich. Das dankte es dieser urwüchsigen Mannschaft. Vieles aber hatte es dabei doch wieder den Etruskern abgelernt: etruskisch war das Heerlagerwesen, etruskisch auch die Schlachtordnung der römischen Phalanx. Bogenschützen fehlen. Spezifisch römisch ist das Pilum, der Wurfspieß mit Widerhaken, der aber erst im 3. Jahrhundert aufkommt. Bald hat der Römer dann auch vom griechischen Heerwesen gelernt; daher nahm er seine Kriegsmarine, daher nahm er auch die Artillerie, die Ballisten und Katapulten, daher das Belagerungswesen mit den Holztürmen, die auf Rollen laufen, mit Kranen und Fallbrücken. Ein antikes Geschütz, wie der Onager, vermochte 240 ein einpfündiges Geschoß auf 140 Meter zu schleudern. Von den Belagerungsarbeiten der Römer vor Numantia in Spanien sind heute noch die Spuren an Ort und Stelle gefunden worden.

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Was sind nun aber die Kulturwerte, die Rom selbst hierbei entwickelt hat und in die Welt warf? Da gilt es doch auf die Verfassung der Stadt zu achten. Es ist die eines Soldatenvolks: das Heer ein Volksheer. Vom 17. bis zum 47. Jahr ist jeder Mann wehrpflichtig. Alljährlich werden Aushebungen gemacht; denn nicht immer kommen alle Dienstfähigen des Jahrgangs zur Verwendung.

Die städtische Verwaltung aber besteht aus drei Faktoren: den Volksversammlungen, dem Senat und den Beamten. In Senat und Volksversammlung erwachte schnell die römische Beredsamkeit, die Macht des gesprochenen Wortes; so auch im öffentlichen Gerichtsverfahren. Denn der Römer war ein geborener Redner. Der Italiener ist es noch heute. Senat und Volksversammlungen ergänzten sich gegenseitig in der Gesetzgebung. Dabei sind die letzteren Urversammlungen sämtlicher Bürger, und die wichtigsten konstituierten sich aus der Kriegsmannschaft selbst; denn der Bürger ist Soldat, der Soldat Bürger. Eben dies Volk wählt überdies jährlich die zwei Konsuln, indem es dazu in militärischem Aufzug sich auf dem Marsfeld versammelt und vom Kapitol die rote Kriegsfahne weht. Die Staatsämter aber werden immer nur für ein Jahr bekleidet. Es sind Ehrenämter ohne jede Geldvergütung. In den beiden Konsuln Roms setzt sich die königliche Exekutivgewalt fort, aber sie ist in ihnen zerspalten, gleichsam als die zwei Hände des Staates, die mächtig handelnd auszugreifen haben, aber sich gegenseitig kontrollieren. Eine muß wissen, was die andere tut.

Niemand konnte Beamter, Konsul, Prätor, Ädil werden, der nicht aktiv Soldat gewesen war. Der Senat aber setzte 241 sich zu großen Teilen aus solchen gewesenen Staatsbeamten zusammen, und eine Menge Offiziere und Feldherren saßen also in ihm, lauter im Gefecht und in auswärtigen Händeln erprobte Praktiker. Daher wuchs der Senat Roms stetig mit seinen Zwecken. Seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. beginnt er die spießbürgerlichen Volksversammlungen niederzudrücken, unterjocht aber auch die hohen Magistrate, die ja doch immer nur ein Jahr lang in Macht sind, unter seinen methodischen Willen, stolz, geschäftsklug, energisch, furchtlos, kriegerisch und dabei stets in bewunderungswürdiger Einigkeit. Es waren zum mindesten 300 Stimmen. Diese Geschlossenheit war das Größte und ist wohl beispiellos in der Geschichte. Der Senat verteilt die Provinzen an die Beamten, bestimmt den Kriegsschauplatz, bestimmt die auszuhebende Truppenzahl, verfügt über die Staatsgelder, empfängt Gesandtschaften, und vor ihm beugen sich die Könige des Auslands.

Durch endlos in sich verkettete Kriege bringt Rom es so zu einer Pazifizierung der Welt. Pflicht zum Herrschen! Wille zum Herrschen! konzentrierter Weltwille! Woher dieser Ausdehnungsdrang? woher die Folgerichtigkeit, mit der sich Konflikt an Konflikt, Eroberung an Eroberung reihte? Es war im Grunde Erwerbstrieb, Handelstrieb. Die größte Handelsstadt der Welt – denn das zu werden war Rom im Begriff – wollte sich ihre Handelsgebiete sichern. Darum mußte gleich Karthago untergehen, aufhören zu existieren. Innerhalb der gesamten, immer wachsenden römischen Machtsphäre dagegen fielen alle politischen Verkehrshemmnisse. Roms Geldleute strömten sogleich in alle unterworfenen Gebiete, und mehr und mehr wurde Rom die Hauptfinanz der Welt, bei der die griechischen Könige borgten: eine Kapitale des Kapitals. Das sind die Interessen, denen der Senat diente. Ob wir dies nun moralische Kraft nennen wollen, die das alles gewirkt hat, oder ob wir die Moral aus dem Spiele lassen, wer wird leugnen, daß der Senat, 242 diese Phalanx von Latifundienherrn, Großkapitalisten und Praktikern, ein Kulturfaktor von breitester Wirkung war? Die ganze griechische Welt hatte den Trieb zur Individualisierung, Vereinzelung, Zersplitterung. Rom hatte den Trieb zur Umfassung, zur Einheit, zur Uniformierung des Vielen, zur Katholizität. In den Entscheidungen des Senats ist dieser Trieb zum Willen, ist er zur Tat geworden.

Aber die Verdienste Roms, die auf seiner Geschäftsklugheit und dem Sinn für das Praktische auch im Frieden beruhen, sind nicht minder erheblich. Reiche zu erobern war nichts, wenn man sie nicht zu behaupten wußte. Nun denke man, was es bedeutete, die engen Einrichtungen der stadtrömischen Verfassung zu dem Verwaltungsapparat eines Weltreichs umzugestalten. Dies geschah entweder durch Erweiterung des Amtsauftrags, wie bei den zwei kriegführenden Konsuln, oder aber durch reichere Besetzung des Amts; so hatte die Stadt anfangs für die Rechtsprechung nur einen Prätor, hernach aber gab es 6, 8, 10 bis 18 Prätoren, und sie wurden den eroberten Provinzen durchs Los zugewiesen. Seit Sulla aber wurden auch die älteren Kräfte nutzbar gemacht und solche Mitglieder des Senats, die die Prätur oder das Konsulat schon hinter sich hatten, als Statthalter in die Provinzen hinausgeschickt. Sie taten es gern; denn sie fanden dort ihren Vorteil.

Vor allem bewundernswert ist der römische Straßenbau. Es handelt sich dabei um Staatsstraßen im Unterschied zu den Gemeindewegen, um Heerstraßen, Handelsstraßen. Sie erschlossen damals die Welt, wie es im 19. Jahrhundert die Eisenbahnen getan haben. Im Jahre 312 v. Chr. knüpfte die berühmte Via Appia Süditalien an Rom, es folgte im Jahre 220 die Flaminia usf. Energisch gradlinig liefen sie auf ihrem Damm über Gebirge und Flüsse, fest chaussiert oder mit Fliesen belegt, durch Tunnels und über starke Brückenbauten, im Durchschnitt 6–7 Meter breit, im Gebirge schmäler. Ihre Reste stehen noch heute, als wären 243 sie unzerstörbar. Dabei wurde kein Wegegeld erhoben: auch dies ein Muster und Vorbild für alle Zeiten. Und nun begann das Postwesen, die Reiselust, vor allem der Warenaustausch auf dem Landwege: es waren viele Wege, aber sie führten alle nach Rom. Die Meilensteine wurden von Rom aus gezählt, und sie wurden die Grundlage für die Berechnung der geographischen Entfernungen und der Größe des Erdkörpers, wofür der Hellenismus das Vorbild und die Anleitung gab. An den Poststationen aber entstehen Gasthäuser, entstehen neue Ortschaften: zum Nußbaum, zum Schwert, zu den Salinen. Ein allgemeiner wirtschaftlicher Aufschwung auf den abgelegenen Landstrecken war das Ergebnis.

Nicht minder planvoll aber war endlich die Behandlung des Städtewesens. Rom war nicht nur bestrebt, den in Italien vorhandenen Landstädten als »Munizipien« den Bestand zu sichern und mehr und mehr Anteil am römischen Bürgerrecht einzuräumen, indem es sie dabei freilich möglichst voneinander isolierte und schwächte. Es hat vor allem – nach dem Vorbild Alexanders des Großen – rücksichtslos Kolonien gegründet und vor keiner Enteignung des Grundbesitzes sich gescheut, um lateinisch sprechende Landbauern in geeigneten Gegenden anzusiedeln, und zwar so, daß immer damit zugleich eine städtische Gründung verbunden war; auch nach Afrika, nach Süd-Gallien gingen solche Siedler, schließlich durch den ganzen Westen. Bis zum Jahr 177 v. Chr. hat Rom in Italien 40 solche Gründungen gemacht; so sind Spoleto, Cremona, Aquileja entstanden; ein Hauptbeispiel aber ist Venusia. Im Jahre 291 wurden den samnitischen Eigentümern gegen 30 deutsche Quadratmeilen Ackerland weggenommen, um darauf 20 000 lateinische Kolonisten anzusiedeln: so entstand Venusia, die Heimat des Horaz. Solche Plätze waren Festungen, Militärstädte, die Bewohner zugleich Landbauer und Legionssoldaten, und das Römertum stützte sich auf sie. Rom hat sich nicht verrechnet. Sie sind die Ausgangspunkte der Latinisierung gewesen. Mit unfehlbarer 244 Sicherheit hat die römische Politik dafür die geeigneten Plätze aufgefunden.Vgl. F. von Schwerin, »Kriegsansiedelung vergangener Zeiten« in der Deutschen Monatsschrift für Politik und Volkstum (Der Panther).

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Der letzte furchtbare Feind, der den Boden Italiens betrat, war Hannibal, der Karthager. Als er niedergeworfen war (im Jahre 201), da war auf einmal in Italien tiefster und scheinbar ewiger Friede. Die Festungsmauern konnten nun verfallen; Italien lag jetzt da wie ein offener Garten voll von Wald und Obsthainen und Weizenfeldern.Kein Land ist so gut kultiviert wie Italien, heißt es noch in Vergils Jugendzeit (Varro re rust. I. 2, 3). Zwar Orange und Zitrone fehlten noch; längst aber war der Feigenbaum,Beiläufig hat der Römer nicht nur die Feige (ficus), so scheint es, sondern auch die Ohrfeige von den Griechen entlehnt; denn auch colaphus ist Lehnwort. längst auch aus dem Osten der Weinbau eingeführt. Die Rebe bekränzte die Bergstirnen, und jeder Herbst wurde verschönt durch das frohe Werk der Lese und des Kelterns. Später kam dann auch der Ölbaum nach Italien. Die stillen Olivengärten aber trugen dazu bei, die Viehwirtschaft zurückzudrängen; denn ihr Öl diente der Volksernährung, und man hatte nunmehr Pflanzenfett statt des animalischen. Der Ölbaum der Pallas Athene aber war wieder ein Geschenk der Griechen. Das ist symbolisch. Denn auch geistig war damals Rom und Italien vollkommen griechisch geworden. Die Weltherrschaft griechischer Kultur war damit gesichert. Eine, irdisch gesprochen, glückselige Zeit schien gekommen.

Die gespenstischen römischen Götter verkrochen sich nun, und Apoll zog ein und die »Große Mutter« vom Ida. Längst waren ja schon Jupiter mit Zeus, Diana mit Artemis, Venus mit Aphrodite gleichgesetzt. Mit griechischem Ritual und Tempelbildern schmückten sich die Gottesdienste. Schon im Samniterkrieg frug man, um zu siegen, beim Apoll in Delphi an, und dessen Orakel befahl, auf dem Platz der römischen Volksversammlung den tapfersten und den weisesten Griechen im Bilde aufzustellen. Da verschafften sich die Römer Porträtstatuen des Pythagoras und Alkibiades.Plinius nat. hist. 34, 26. So früh kannte man also in Rom schon die Kriegsgeschichte Athens, um sich den Alkibiades auszuwählen. Aber sein Name schien 245 bedeutsam; denn in dem Wort steckte »Kraft« und »Gewalt«, Alke und Bia. Eifrig wurden jetzt auch alle schönen homerischen Heldenfabeln mit übernommen. Nach den Ursprüngen Roms selbst wurde geforscht und die Stadtgeschichte mit reicher griechischer Legendenbildung umrankt: Rom stammt von Troja her; Aeneas ist der Stammheld: dies Dogma kam auffallend früh in Aufnahme.Das Dogma ist vielleicht nach dem Vorbild der etruskischen Zuwanderung entstanden; da die Etrusker, lydischen Ursprungs, aus Kleinasien gekommen waren, sollte Rom ihnen ebenbürtig sein, und es leitete sein Blut ebendaher. Vornehme Römer wie Fabius Pictor schreiben römische Geschichte für griechische Leser in griechischer Sprache. Dazu die Nachbildung des griechischen Theaters! griechische Statuen in Erz und Marmor, die als Kriegsbeute massenhaft eingebracht wurden! Der Sinn für das Schöne, der Reiz des Spieltriebs, wie ihn Hellas geoffenbart hatte, wurde endlich wach in Rom. Eine Literatur entstand!

Allein das alles war damals, im 2. Jahrhundert v. Chr., doch mehr Dekoration des Daseins als innerster Erwerb. Die freie Muße, der innere Friede wollte noch immer nicht kommen; die Not der Zeit riß das Volk von Schreck zu Schrecken, und die Kulturblüte, die sich kaum zu erschließen begann, drohte rasch wieder zu verkümmern.

Die Bauernsöhne Italiens hatten die Welt erobert, aber die großen Geldleute Roms hatten davon allein den Gewinn. Der Bauernstand wurde ruiniert – das war das Werk des Großkapitals –, und umsonst suchten die Gracchen ihm aufzuhelfen. Die Kriege hatten unermeßliche Reichtümer gebracht; aber sie fielen nur in die Hände der Würdenträger, der senatorischen Männer. Schon früh hatten die großen Häuser begonnen, alles Land zusammenzukaufen; sie brachten auch die Staatsdomänen (ager publicus) gegen Zahlung jährlicher Abgaben in ihre Hände. Worin sollten sie das Kapital sonst anlegen? und der kleine Landwirt wurde planmäßig ausgekauft, enteignet, an die Pacht der staatlichen Ländereien nicht herangelassen. Gewaltige Güterkomplexe entstanden, ein Plantagenbetrieb mit vielköpfigen Sklavenscharen. Denn auch zahllose Kriegsgefangene hatte der Krieg auf den Sklavenmarkt geliefert.

246 Damit war die Arbeit selbst, die Möglichkeit zu arbeiten, dem Bauer weggenommen, ein Schaden, der nie wieder eingebracht worden ist. Derselbe Plantagenbetrieb begünstigte an Stelle des Ackerbaus die Viehzucht, den Weinbau. Italien war jetzt nur noch Wald- und Weideland und Obstgarten. Das Korn kam vom Ausland. Nun lief also das hungernde Proletariat vom Lande in Rom zusammen, und der Gegensatz und Abstand von reich und arm wuchs schauerlich rasch ins ungeheure. In der Stadt gab es keine Arbeit für diese Leute, denn auch in der Steuer- und Kommunalverwaltung wurden Sklaven beschäftigt. Und die Vornehmen? die Machthaber? Im Angesicht der ehrwürdig alten griechischen Kultur waren sie doch nur Emporkömmlinge und Protzen, die die Provinzen mit Füßen traten und brutal ausplünderten, um sich von den Asiaten als Götter und Halbgötter anbeten zu lassen. Scham, Stolz und Anstand, alles schien jetzt durch die Geldgier niedergeschlagen. Schrecklicher noch als die Latifundienwirtschaft wirkte in ihren Händen das schwindelhafte Schrauben der Prozente im Geldgeschäft. Dazu die Blutpresse des Steuersystems, die wucherische Erdrosselung durch die Steuerpächter. Es war, als hätte der Taumel der Allmacht auf einmal alle Niedertracht und Schändlichkeit ausgelöst.

Aber die Vergeltung kam rasch. Die Herrschsucht hatte den Römer groß gemacht: jetzt richtete sie sich gegen ihn selber. Das Chaos begann. Ein krachender Zusammensturz! die Bürgerkriege! Römer gegen Römer! ein Selbstzerfleischen der antiken Kulturwelt durch volle 70 Jahre. Wie war das möglich?

Die Veränderung des römischen Heerwesens trug daran die Schuld, und diese Veränderung ergab sich wiederum aus der wirtschaftlichen Lage der Masse. Seitdem die Landbevölkerung betteln ging, mußte man den Soldaten bezahlen. Man hatte nur noch Legionen von Söldlingen: keine Bürgermiliz, sondern ein für Geld angeworbenes stehendes Heer. Freilich mußte auch jetzt noch jeder Angeworbene das 247 römische Bürgerrecht besitzen, oder er wurde nachträglich zum Bürger gemacht. Nun aber war für den Ehrgeiz das Feld offen. Die Söldner wurden zum blinden Werkzeug der Usurpatoren, die sie bezahlen konnten. So herrschten Sulla, Pompejus, Cäsar und Octavian in der Stadt. Ströme von Blut flossen. Sowohl Cäsar wie Sulla haben sich Rom erobert.

Aber auch diese Ehrgeizigen fanden ihr Ideal und Vorbild bei den Griechen. Es war die aufgeklärte Despotie Alexanders des Großen, die Julius Cäsar in Rom fortsetzte. Indem Cäsar dem Volk in Rom schmeichelte, den Senat knebelte, erreichte er endlich das Ziel, die Monarchie.

In der Monarchie seines Erben, des Oktavian, der sich Augustus nannte, wurde die Welt endlich zusammengefaßt wie in einem Zwinger. Die Volksversammlungen wurden bald ganz beseitigt, der Wille des Senats gelähmt, gebrochen. Aber die Wohltaten der aufgeklärten Despotie begannen sogleich. Die Provinzen wurden vor Raub geschützt, die Veteranen der kämpfenden Heere angesiedelt, neue Reichsstraßen gezogen, neue Römerstädte gegründet, die Verwaltung trefflich organisiert, und zum erstenmal war der Friede da, ein glänzender, ein endgültiger Friede, das augusteische Zeitalter, das goldene Jahrhundert, wie man es nannte. Willenlos fügte sich der vornehme Römer dem so geschaffenen großartigen Organismus als Werkzeug ein; die Plebs in Rom ließ sich füttern. Die römische Kaiserzeit hatte begonnen, der größte Wendepunkt in der Geschichte der alten Völker.

Nun war Rom die »Welt«. Wie befreiend, aber wie nivellierend zugleich mußte das wirken! Das römische Stadtbürgerrecht dehnte sich langsam über den Erdkreis aus. Auch der Apostel Paulus besaß es. Also schwindet jetzt allmählich im Reich der Gegensatz der Nationen, und es gibt für sie keinen Landesfeind mehr, sondern man wird zum Weltbürger oder Reichsbürger erzogen; der Patriotismus wird zwecklos, und die Weisen reden nur noch von Menschenliebe 248 und Menschenhaß. Von dieser Situation sind auch die christlichen Evangelien und ihre Lehre voll beeinflußt.

Die Hauptstadt selbst aber blieb zunächst noch der Schauplatz für alles Geschehen. Die reiche griechische Saat ging in Rom nunmehr üppig und herrlich auf. Von der Politik kehrt der Römer sich plötzlich ab, und nicht mehr der Staat ist das Zentrum all seines Denkens und Wollens, sondern das eigene Ich jedes einzelnen. Der Mensch lebt entweder seiner Leidenschaft in frivoler Genußsucht, oder aber er vertieft seine enge Person jetzt durch geistige Güter, durch gesteigerte Selbstkultur. Wertsteigerung des Mikrokosmos! Hellenismus! Es beginnt ein enthusiastischer Kult des Schönen und des Guten, zugleich aber ein Suchen und Sehnen nach den unsichtbaren Küsten des Jenseits: Weltreligion! Das Erste und Wichtigste war indes, daß Rom sich endlich eine eigene Kunst, eine klassische Poesie erwarb. Gleich unter Oktavian geschah dies. Und dabei ist es ein Etrusker gewesen, der half, diese Kunstfreude in Rom durchzusetzen und den Boden für sie zu schaffen, die Stimmung des berauschten, gottvoll sorglosen Schwelgens im Dienst des Schönen. Auch das ist ungemein denkwürdig. Es war Mäcenas, von königlich etruskischem Blut, der in dieser Zeit der Schützer, ja, Wecker der großen Dichtkunst und des Musiklebens in Rom wurde, derselbe Mann, der damals zeitweilig auch die Weltpolitik in Ergänzung des Kaisers leitete. Dies ist der Gipfel dessen, was Roms Kultur dem kunstliebenden und herrschfähigen Etruskervolk zu danken gehabt hat.

Wenn ich nun im Nachfolgenden dem menschlichen Treiben in der römischen Kaiserzeit nachzugehen versuche, so beginne ich mit dem Alltäglichen, dem häuslichen Leben und Straßenleben, um mit der Besprechung der Ethik und der sittlichen Ideale aufzuhören. Überall aber werden wir wahrnehmen, daß die Macht Roms ein Amt Roms war: die weltbeherrschende Stadt ist allmählich die Dienerin der Völker geworden. 249

 


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