Theodor Birt
Das Kulturleben der Griechen und Römer in seiner Entwicklung
Theodor Birt

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5. Junggesellen und Hetären

Allerlei Moralisches stand also in den Büchern; gleichwohl blieb die erhoffte Wirkung der ethischen Bestrebungen auf die große Masse zunächst aus. Das kann uns nicht wundern. Anlage und Temperament führt die Leute schlecht oder recht durchs Leben, damals wie heute. Je begabter die Naturen, je freier gibt man sich aus. Dabei sonderten die Berufskreise sich jetzt schärfer; es siegt das Spezialistentum, und die Menschen, die die Totalität des griechischen Wesens in sich darzustellen schienen, verschwinden. Man ist Fachmann, und das Fach formt allemal eigenartig die Charaktere. Starklebige oder närrische Individualitäten treten uns jetzt viel häufiger als bisher entgegen. Es wuchert davon in allen Ecken.

So ist dies auch die Zeit der Frauenemanzipation, wie Kleanthes es wollte.Kleanthes schrieb ein Buch περὶ τοῦ ὅτι ἡ αὐτὴ ἀρετὴ καὶ ἀνδρὸς καὶ γυναικός. Das zeigen nicht nur die Fürstinnen, die gewissenlos mit dem Geschick des Staates spielen; besonders das Haus der Seleuciden wußte davon zu erzählen. Auch mit dem altehrwürdigen Sparta war es dahin gekommen, daß die reichen Frauen den kleinen Staat geradezu beherrschten; zwei Fünftel des ganzen Grundbesitzes hatten sie damals dort in Händen. Aber auch gelehrte Damen gibt es jetzt wie die Hestiäa, die sich als Vorgängerin Schliemanns mit der Ortskunde des alten Troja beschäftigte;S. Aug. Meineke, Anal. Alexandrina S. 23. auch Dichterinnen wie Anyte, die in kleinem Stil Meisterhaftes leistet. Andre sind Malerinnen, und zwar wirken diese Personen auch fernab von den Residenzstädten. Ein junges Ding (Hipparchia heißt sie) läuft aus dem Haus ihrer Eltern; sie läßt sich nicht halten; der Zeitgeist hat sie erfaßt: der Mensch muß zur Natur zurückkehren. Sie begeistert sich für den Zyniker 189 Krates und will sein primitiv schlichtes Leben mit ihm teilen, fühlt sich nun als Philosophin und kommt so an den Hof des Königs Lysimachus, trifft da beim Abendtrunk mit dem schon erwähnten Theodoros, dem berüchtigten Atheisten, zusammen, der sich als Schlemmer gibt, und sagt zu ihm voll Verachtung. »Was ist es, was du mit Recht tun kannst und auch ich? Daß du dir Schläge versetzt und ich auch!« Eine naturwüchsige Unterhaltung. Theodoros hat darauf keine andre Antwort, als daß er ihr das Oberkleid hochzieht, so daß ihre Waden frei werden.Vgl. Diog. Laert. VI 97. Heute würde man das vielleicht für einen erwünschten Anblick halten; damals galt es als unanständig.Vgl. »Horaz' Lieder«, 1. Teil S. 102.

Viel mehr hören wir indes von den Hetären; sie behaupten geradezu das Feld. Nahezu keine Personalien von Männern erhalten wir, in denen sie nicht irgendeine Rolle spielen; auch die Gemächer der Könige öffnen sich ihnen: ein übles Zeichen der Verwahrlosung. Als die reizenden »Genossinnen« der Geselligkeit werden sie gefeiert. Schönheit und Jugend ist ihre Pflicht, Irritation und Leichtsinn ihr Beruf. Für die Künstler sind sie die berühmten Modelle. Phryne, Laïs und hundert andre schillernde Namen flattern wie Schmetterlinge vor uns auf, und der Klatsch hatte zu tun. Der Geldmann überschüttet sie mit Juwelen; in Goldbronze stellt man ihr Bild sogar in die Vorhallen der Gotteshäuser.Ich denke zunächst an die Pythionike, die Geliebte des Harpalos (»Alexander d. Gr.« S. 216) oder an die Flora, die Geliebte des Pompejus. Die Flötenbläserin Lamia, aus guter athenischer Familie stammend, wurde die Konkubine des Demetrius Poliorketes und als Aphrodite in Athen und Theben verehrt (Athenäus p. 253 A f.). Eine Gemäldehalle in Sikyon wurde von ihr gestiftet (ib. p. 577 C). Gelegentlich gibt es unter ihnen auch Personen vornehmer Haltung, die heiratenSo wie Aspasia die Gattin des Perikles, so wurde auch die Hetäre Laïs Ehefrau (Athenäus p. 589 A). Auch des Bion, des Borystheniten, Mutter war eine Hetäre (ib. p. 591 F), und Justinian machte das Scortum Theodora gar zur Kaiserin (vgl. »Von Homer bis Sokrates«³ S. 454). Laestheneia aus Arkadien war gar Schülerin Platos (Athen. p. 279 E; 546 D). und sogar gönnerhaft junge Ehen stiften.Vgl. Terenz' Eunuch. Die meisten aber fielen unverkennbar ins Ordinäre. Man schrieb ihre sogenannten Witzworte auf, als wären es Kostbarkeiten;S. Machon bei Athenäus. die aber sind, genau besehen, nur frech, oft albern, und zeigen uns nur, was die Männerwelt sich von ihrem Übermut hat bieten lassen.

So macht sich nun gleichzeitig auch das Junggesellentum in unerhörter Weise breit. Der Umsturz der Verhältnisse war durch Alexander den Großen zu plötzlich gekommen; man war jetzt Untertan; das bürgerliche Verantwortungsgefühl 190 fiel von den Leuten, und eine Sturzwelle des Leichtsinns überflutete die Seelen, um nicht wieder zurückzutreten, oder sie ließ den Sumpf zurück.

Aristoteles war noch Familienvater gewesen; ebenso die Bildhauer Praxiteles und Lysipp. Jetzt findet sich unter den namhaften Männern, ob Gelehrten, ob Künstlern, ob Dichtern, kaum ein einziger, der sich als Ehemann nachweisen ließe.Wenn wir einmal von Söhnen hören wie bei Lysipp oder von Sotades, dessen Sohn Apollonios hieß, wissen wir nicht, ob sie legitim waren. Ausgeschlossen scheint mir dieser Zweifel allerdings bei Philemon und seinem gleichnamigen Sohn. Kallimachus, der Grammatiker, hatte nur einen Neffen gleichen Namens. Was die Römer anlangt, vgl. »Horaz Lieder« 1. Teil S. 100. Theophrast, der Aristoteliker, schrieb sogar eine eigne Schrift über die Ehe, in der sie arg diskreditiert wurde. Solch eingefleischter munterer alter Junggesell tritt einmal in einem der Lustspiele leibhaftig vor uns hin. Nehmen wir uns die Zeit, zuzuhören, wie er sich gegen eine Heirat sträubt.

Eine noble Frau mit reicher Mitgift, sagt er, hätte ich ja leicht haben können; aber ich will kein Gekläff in meinem Hause haben. Ihr meint, kleine Kinder machen Spaß? Ganz recht; zehnmal mehr aber die Freiheit. Ob wirklich gute Frauen existieren, weiß ich nicht. Jedenfalls sind sie schwer aufzufinden. Soll ich nun eine nehmen, die nie zu mir sagt: »Kauf dir Tuch für einen Mantel, lieber Mann, der dir weich und warm sitzt, ebenso Unterkleider aus dickem Stoff, weil doch der Winter kommt?« Nein, sie reden ganz anders, wecken den Mann, schon ehe der Hahn kräht, aus dem süßen Schlaf, und »du mußt Geld geben«, heißt es da; »der erste März (der Tag der Juno) ist da; da muß ich ja Muttern beschenken, muß auch Obst einkochen. Auch unsre Amme hat sich beschwert; ich hab' ihr lange nichts geschenkt, ebenso die Plätterin; und da ist auch noch die Traumdeuterin, die Zauberin, die Wahrsagerin; die müssen alle wieder etwas haben.« Ich frage, wie soll man solche Reden überhaupt aushalten? Wie gut hat's der Junggesell dagegen! Er kann sich verziehen lassen von den lieben Verwandten. Gleich morgens kommen sie und fragen besorgt, ob ich angenehm geruht, beschenken mich, laden mich zu Mittag, zu Abend ein, wenn sie einen guten Braten haben. Die sind es, denen ich 191 denn auch mein Vermögen vermache. Wozu noch Kinderchen, die schließlich nur Sorge machen? Kommt der Sohn z. B. abends nicht rechtzeitig heim, gleich zerquält man sich in Gedanken. Fällt er vom Gaul oder stolpert auch nur im Rausch, denk' ich voll Angst, beide Beine hat er gebrochen und den Hals dazu!

»Höchst vernünftig richtest du dein Leben ein«, lautet hiernach die Zustimmung des Hörers.Aus Plautus' Miles gloriosus. Das war damals das Zeitgemäße. Ein Künstler wie Apelles würde seine Ehescheu wohl anders begründet haben. Die Bohème in der Künstlerschaft, die von Überraschungen lebt, bestand schon damals, Genietreiben und Abenteuerlust, von Pflichten unbelastet; die lachende Freude am Ungewissen. Das macht produktiv. Wieder anders liegt die Sache, wenn in den Menschen ein großes Gedankenleben die Sinne übertäubt; auch dafür hat es unter den Geistesheroen und Propheten wohl zu allen Zeiten Beispiele gegeben. Auch Alexander der Große hatte, absorbiert von seinen Zwecken, wenig Trieb zur Weiblichkeit. Wo aber ein solches Verhalten Mode wird und durch Generationen sich festsetzt, verspüren wir den Niedergang der Volksgesundheit, Zerbröckelung der Volkskraft in den höheren Schichten, auf die es ankommt. Dasselbe hat sich bald hernach in Rom wiederholt.

 


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