Theodor Birt
Das Kulturleben der Griechen und Römer in seiner Entwicklung
Theodor Birt

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3. Volksleben

Blättern wir also in jenen Jahrhunderten, die der griechischen Geschichtsschreibung voraufliegen; es sind die Zeitstrecken, in denen für das Auge des Heutigen alles sich verkürzt und ein Jahrhundert ein Jahr wird, ein Jahrtausend ein Jahrhundert. Schon für die Griechen zur Zeit des Dichters der Ilias trifft die Schilderung zu, die ich soeben gegeben habe.

Homer öffnet sein Panoptikum; er zieht den Vorhang weg und läßt uns schauen. Ein Theaterspiel beginnt in hundert, aberhundert Bildern, und das Griechentum steht zum ersten Mal vor uns in seiner ersten Schlichtheit. In die fortschreitende Handlung des Epos sind die Kulturbilder eingewebt; es gilt sie zu isolieren und richtig aufzufassen.

Das Heldenleben, das Homer uns gibt, ist Dichtung und überwirklich; aber die Bühne für die phantastische Handlung, in der Götter und Helden sich mischen, ist trotzdem die alltägliche Wirklichkeit, sind die Lebensbedingungen, nicht wie sie in der Heldenzeit, sondern wie sie in des Dichters Zeit bestanden. Wir stehen damit also im 8. Jahrhundert v. Chr.; denn erst damals, 300 Jahre vor des Perikles Zeit, scheinen die beiden Epen, Ilias und Odyssee, fertiggestellt zu sein.Vgl. Philol. Wochenschrift 1921, S. 263. Sie sind natürlich nicht an einem Tag entstanden, sondern haben selbst in langsamem Wachstum ihre Geschichte gehabt.

Tod des Aias

Tod des Aias

Von einem korinthischen Krater aus Caere im Louvre zu Paris (Nr. E 635), gegen 550 v. Chr. Nach Longpérier, Musée Napoléon, Tafel 66.

Auch Ackerbau treibende Völker wandern. Man braucht zum Wandern kein Hunne zu sein. Die Völkerwanderung der Germanen, der Goten, der Vandalen, der Burgunder ist dafür das bekannteste Beispiel. So waren nun auch die sogenannten Griechen (sie selbst nannten sich nicht so) in vorhistorischer Zeit in die Balkanhalbinsel vorgedrungen und setzten sich fest. Sie wußten selbst nicht, woher sie gekommen, waren aber, wie ihr Typus zeigt, Abkömmlinge der nordischen Rasse. Die südlicheren Teile der Halbinsel wurden Griechenland, griechisches Mutterland; aber auch zu den Küstenstrichen 9 Kleinasiens drangen sie unter königlicher Führung besitzergreifend früh hinüber.Einerlei, ob die Hethiter ein umfangreiches griechisches Königreich in Kleinasien, das dort weit in das Innere hineinreichte, bezeugen oder nicht. Die Sache wird auch ohnedies allein schon durch den Umstand bewiesen, daß die Könige bei Homer über so viel Gold verfügen. Woher sollten sie es haben? Im eigentlichen Griechenland gab es kein Gold zu graben, es sei denn auf Siphnos und Thasos (s. H. Blümner, Technologie und Terminologie IV, S. 11), in Kleinasien dagegen wurde es am Sipylos und sonst sowie in den Flüssen reichlich gewonnen (ibid. S. 17). Undenkbar ist, daß so viel Gold, wie es im Epos erwähnt wird, durch Tauschhandel in der Atriden Hände kam; und nicht nur der Atriden. Denn allem Anschein nach sind auch die Trojaner der Ilias selbst Achäer oder Griechen gewesen, und auch die Hethiter konnten sie als solche betrachten. Schon unabhängig von obigen Erwägungen habe ich »Von Homer bis Sokrates«³ S. 83 und 434 ausgeführt, daß eben dies zutreffen muß, und den Kombinationen, die neuerdings von E. Bethe vorgetragen worden sind, kann ich nicht folgen. Das Wichtigste ist, daß bei Homer nur die Verbündeten der Trojaner, nie sie selbst, fremdsprachig heißen (z. B. Ilias IV 438). Zu den a. a. O. gegebenen Belegen kommt noch hinzu, daß die Sintier, weil thrakischen Ursprungs, in der Odyssee ἀγριόφωνοι heißen (8, 294; vgl. E. Buchholz, Homerische Realien I, S. 364). Die Trojaner heißen nirgends ebenso; offenbar galt deren Sprache als die normale, also die griechische, und keinesfalls sind die Trojaner etwa Thraker und mit jenen Sintiern verwandt gewesen. Eben daher bestehen schon vor dem trojanischen Krieg zwischen Troja und Hellas nahe Beziehungen, denn nicht nur Paris besucht Sparta als Gastfreund, sondern auch Hektor kennt die griechischen Ortschaften auffallend genau (Ilias VI 457), wie Diomedes umgekehrt die trojanischen Verhältnisse (V 268). Die Machtsphäre und die kriegerisch-politischen Beziehungen Trojas reichten nun auch tatsächlich bis an das Hethiterreich heran. Bis an den Sangarius in Phrygien drang Priamus vor (III 184 f.), und daher ist derselbe berühmt bei den ξεῖνοι (XXIV 202). Andromache stammt gar vom Volk der Kilikier in Großphrygien (VI 397), und ebendahin dringt dann auch Achill vor (VI 416–423). So hat auch Hektor ferne verwandtschaftliche Beziehungen, hat einen Onkel, den Bruder der Hekabe, der wiederum aus Phrygien, aus dem Gebiet des Sangarius, stammt (XVI 716 f.). Durch alles dies wird das Gesagte weiter empfohlen: ein Griechenreich, das bei Homer als trojanisch erscheint, reichte tief nach Großphrygien hinein und näherte sich Kilikien. Sind bei den Trojanern geringe kulturelle Differenzen nachweisbar (das betrifft den Harem, auch die Haartracht, das σφηκοῦν), so walten bei ihnen eben orientalische Einflüsse. Einflüsse des Hethitischen auf die griechische Sprache sucht neuerdings H. Grimme (Glotta, XIV, S. 13 ff.) nachzuweisen. Äschylus ist m. W. der erste, der die Trojaner Barbaren nennt (Agamemnon 965 f.). Auch auf den nahen Inseln nisteten sie sich ein. Dabei stand ihr Trieb, ihre geistige Front dauernd nach Osten, war morgenländisch gerichtet und wandte dem Westen den Rücken zu. Mit Italien bestand kein Verkehr; nur der Seesturm warf den Abenteurer gelegentlich an des Westmeers unheimliche Küsten.

Sie saßen fest im Land, überwanden rasch die Urbevölkerung, die sie vorgefunden hatten und die, politisch unentwickelt, in primitiveren Zuständen lebte, und haben die so gewonnene Heimat nie wieder preisgegeben. Wir wissen es ja: es ist und war ein Land von abenteuerlicher, strenger Schönheit, für ein bequemes oder gar sybaritisch üppiges Genußleben indes keineswegs gemacht. Aber sie haben, arbeitsfähig und lernfähig, seine Ergiebigkeit mehr und mehr gesteigert, ja, es allmählich, den Ägyptern und Babyloniern zum Trotz, zum Zentrum der Weltkultur erhoben. Das gelang freilich erst, als der kaufmännische Geist erwachte und die Seefahrt gedieh und das Meer ihre zweite Heimat wurde. Es war kein Schlaraffenleben. Arbeit war die Losung vom ersten Tage an.

Nichts unbequemer als dies Griechenland: alpine Hochgebirge; eine Schweiz, die im Meer steht; die ganze Halbinsel wie ein Sack voll Steine. Die wilden Gebirgsstränge vom Pindus bis zum Taygetus, eng und unzugänglich, füllen sie aus bis zum Rand, wo die Meereswellen branden. Nur in den Schluchten, in den dürftigen Talsenkungen ließ sich siedeln. Die wenigen ebenen Strecken in Thessalien, Elis und Attika wirken wie Gnadengeschenke der Götter. Aber das Mittelmeerklima war wundervoll; die wonnigen Frühlinge gaben frühe und sichere Ernte; die Rebe wucherte; der Ölbaum senkte melancholisch freundlich seine Zweige, und die Arbeit lohnte.

Dieselben Gebirge aber, in deren Nischen man hauste, wirkten wie Barrieren dahin, das Volk von vornherein in 10 hundert Sondergruppen und Kantone zu zertrennen, und jede Gruppe führte ihr Eigenleben. So wurde auch jede Griecheninsel ein Staat für sich, und jede hatte ihre eigene Geschichte. Dieselbe Spaltung im Sprachverkehr. Die Dialekte blühten, und keiner wich dem anderen. Jeder Kanton sorgte für sich, jeder wollte prosperieren, und so war das Leben der Griechen von vornherein auf Konkurrenz gestellt.

Daher der ewige Kleinkrieg, Griechen gegen Griechen, das ewige Katzbalgen und vergebliche Ringen nach der Vormacht, das bis zum Unleidlichen die Geschichtsbücher füllt und vom Kampf der »Sieben gegen Theben« weitergeht bis zum Tode des Alkibiades, des Epaminondas, des Demosthenes und weiter bis zum politischen Tode des Griechentums selbst, bis zu der Zeit, wo Hellas still wird und verödet unter dem Druck der Faust Roms. Daher aber auch der beispiellose Reichtum des griechischen Geisteslebens, die Blütenfülle auf den Feldern des Dichtens und Denkens und jedweden Kunstbetriebs. Die Konkurrenz der Stämme und der begabten Individuen, die aus ihnen erstanden, wirkte auch da und steigerte die Triebe und das Können. Rastlosigkeit war alles.

In der Zeit nun aber, die Homer uns schildert, spüren wir noch nichts vom Hader der Stämme, sondern es sind nur die sogenannten Könige, die sich befehden. Die Volksmasse politisiert noch nicht, haßt noch nicht. Blicken wir denn zunächst auf das Volk und sein Massenleben und lassen die Atriden und ihresgleichen noch ganz beiseite.

Ich sagte schon: es war kein bequemes Leben. Die Hochgebirge um Mykene und Delphi, um Sparta starrten damals noch in dichten Wäldern, und wilde Bestien hausten darin. Die Jagd war Kampf, und einen Eber und Löwen zu töten war der unvergängliche Ruhm eines Theseus und Herakles. Es war mühsam, in dieser Felsenwelt durch den Wald zu pirschen. Der Hirsch wird verwundet; er verkriecht sich; die Schakale kommen über ihn, und der Jäger zieht ohne Beute heim.Vgl. auch Ilias XVI 157. Jagd auf den Steinbock IV 105; Jagdhunde XVII 725.

11 Aber nicht nur der Jäger, auch der Holzhauer ist tätig, und die Schläge der Axt hallen im Forst. Er arbeitet als Tagelöhner, bis er müde wird, setzt sich nieder, nimmt still sein Essen, und die Arbeit beginnt von neuem. Dann geht ein Krachen durch den Wald; die gefällten Fichten werden die Gebirgsschroffen zu Tale hinabgewälzt oder von Maultieren gezogen; denn sie sollen zum Schiffsbau dienen.Ilias XVII 745. Die Fichte wurde von den τέκτοντες schon hoch im Gebirge mit der Axt der Äste beraubt: XIII 391. Aber auch von Waldbränden redet Homer; unheimlich wundervoll der Eindruck aus der Ferne.Vgl. Ilias IX. 490; XIV, 396 (»Von Homer bis Sokrates« S. 70). Wurden sie durch die Nachlässigkeit der Hirten verschuldet? oder entzündete man den Brand, um zu roden und neuen Kulturboden zu gewinnen? Man brauchte damals noch nicht mit Holz zu sparen. Ein Wiederaufforsten gab es nicht.Vgl. meine »Griechischen Erinnerungen«² S. 233.

Heute ist Griechenland fast völlig entwaldet, das Grün wie weggefressen an allen Küsten, und nackter Fels, grauer Kalk und brüchiger Schiefer, das kahle Gebirgsskelett, schwer und wuchtig und blank im glühenden Sonnenlicht, starrt dem Reisenden, ob er die Küsten entlangfährt oder ins unwegsame Innere reitet (er kann jetzt auch im Automobil einige moderne Bergstraßen befahren), allüberall erschreckend entgegen, als hätte der Todesblick der Meduse hier alles Wachstum ertötet. Kaum ein Drittel des Bodens ist heute noch bebautes Land. Daher das verkümmert dürftige Leben des heutigen Dorfbewohners in den Bergen des Peloponnes oder Böotiens. Alle Romantik der Ungepflegtheit erlebt da, wer sich heute aufmacht, die Burg Agamemnons zu schauen oder gar Thebens Reste, wo einst Antigone gewandelt. Ein Saatfeld, eine Wiese wirkt da für das Auge wie ein schöner Irrtum. Auch nach der edlen Viehzucht sieht man umsonst sich um. Nur Hammel und Ziegen weiden in der Dürre; das Großvieh fehlt, und die Kuh Myrons, die vielbesungene, ist ausgestorben; man trifft sie wohl nur noch, wo der Fluß Alpheios sich aus Arkadien ergießt und das Land sich ebnet und weitet, und man lacht vor Freude, sie zu sehen, als ob das edle Altertum auferstünde.

12 Denn wie anders war es einst unter der Sonne Homers. Wir werden es sehen. Gedeihlich, sorgenlos und wohlverpflegt lebte das Volk hier zu der Zeit, da man von Achill und Odysseus dichtete, und war unter seinen »Königen« oder Landpflegern gut im Stande. Nichts lehrreicher als der berühmte Augiasstall. Die Stallungen des Königs Augias in Elis waren von Kuhmist so überfüllt, daß ein Herkules daher mußte, sie zu säubern. Wie eine schwarze Gewitterwolke, so wird es uns geschildert,Vgl. Theokrit Idyll 25. zogen des Augias Rinder zu Hunderten über die fetten Wiesen voll honigduftender Kräuter daher, wenn sie abends zum Melken kamen. Da ließ sich leben. Geld gab es nicht. Wollte man eine Dienerin kaufen, so zahlte man 20 Rinder; aus Rindern bestand die Mitgift der Jünglinge, die da heirateten.Ilias I, 430. Ein Gefangener wird mit 200 Rindern freigekauft: Odyssee 21, 79 f. An der Ägis der Athene hängen zehn Quasten, von denen jede 100 Rinder wert, Ilias II 447 usw. Es war schwergehörntes Alpenvieh, wie wir es aus der Schweiz kennen.

Greifen wir zum märchenhaften Schild des Achill. Der gibt uns Anschauung, so wie Homer ihn beschrieben hat. Ein kleines Kompendium der Kulturgeschichte! Der Gott Hephäst hat die Waffe mit allerlei Bildern inkrustiert, die eben das geben, was wir suchen. Es sind Idyllen, an denen der Dichter selbst sich freut und wir mit ihm; Achill dagegen, der zornige, der den Schild in die Schlacht vor Troja trägt, würdigt diese reiche Ornamentik keines Blickes. Sein Auge ist trauerumflort und Rache sein Gewerbe.

Und da haben wir nun gleich den Erntesegen. Zuerst sind die Pflüger dargestellt, die auf dem Acker mit ihrem Gespann hin- und herziehen. So oft sie wenden, wird ihnen ein Trunk Wein gereicht. Das steigert die Arbeitslust. Man sollte freilich meinen, bei einem achtstündigen Arbeitstag könnte das des Alkohols zuviel werden.

Aber da sind schon die Schnitter. Die Saat steht dicht und hoch auf dem Halm. Die Sichel rauscht; die Garben häufen sich; Knaben und Männer schleppen und binden. Der Gutsherr aber, zugleich Landesfürst, führt persönlich die Aufsicht; aber er freut sich stumm und findet nichts zu tadeln; 13 alles ist nach Wunsch. Indes wird im Feld schon das Mahl bereitet. Eine Eiche ist nah; unter ihrem Schatten schlachten die Diener des hohen Herrn das Rind; auch Weiber sind da und bestreuen über dem Feuer das Fleisch mit Mehl. Die Arbeiter wittern schon den Braten. Welch liebliche Frühlingsstimmung!Man erntete schon im Frühling. Man möchte mitrasten unter dem Eichenschatten und hinhorchen, wie die Sicheln rauschen.

Es fehlt nur das Dreschen. Das Dreschen geschah so, daß die Rinder auf der Tenne das Korn zertraten.Ilias XX 495 f.

Dann kommt das Herbsten, und wir sehen den Rebenacker. Mit Graben und Zaun ist er vor Dieben geschützt. Die schwarzen Trauben hängen schon funkelnd im Laub. Nur ein einziger Pfad geht durch die Pflanzung, und schon sind Jünglinge und Mädchen bei der Lese und tragen jauchzend die traubenvollen Körbe daher. Daneben aber steht ein Knabe; der singt mit hellem Sopran zur Leier das liebliche Linoslied. Dazu beginnt um ihn her der Tanz der Jugend, da die Arbeit ruht. An Gott Bacchus denkt dies Volk noch nicht. Das Linoslied aber hatte schwermütigen Klang: Herbststimmung. Es galt der welkenden Vegetation. Keine Ernte ohne Sterben! aber auch kein Sterben ohne Ernte! Das lehrt die Natur. Der Mensch fühlt es in jedem Jahr neu. Davon sang das Lied. Die fröhliche Jugend aber tanzt dazu.

In all diesen Bildern sehen wir: die Arbeit lohnte, und überall spüren wir die Freude am Leben.

Und nun gar am Festtag der Reigentanz. Alles kommt in der besten Kleidung; dazu die Mädel in Kränzen; die Burschen tragen den Dolch am Riemen. So fassen sie sich an den Händen, daß ein weiter Kreis entsteht, und zur Musik bewegt der Kreis sich mit Hüpfen und Springen rundum, dann aber auch aufgelöst in zwei Reihen, die gegeneinander tanzen. Ein Volkssänger ist da, der zur Harfe singt. Da ruht der Reigen, und zwei Solotänzer treten in die Mitte und zeigen ihre Künste. Das klingt wie aus einer 14 modernen Reisebeschreibung. Volkssitten bleiben eben immer dieselben.

Schlimmer hat es der Rinderhirt. Denn es gibt, wie wir hörten, auch Milchwirtschaft größten Stils. Homer gedenkt sogar der Fliegen, die den Eimer umschwärmen, wenn gemolken wird.Ilias XVI 641 Das Vieh ist, die Hörner wiegend, hinaus auf die Weide gezogen, wo zwischen dem Schilfrohr frisches Wasser sprudelt. Vier Hirten sind nötig; so stark ist die Herde; die Hunde dazu. Da kommen, schon bevor es dunkelt, zwei Löwen (Homer weiß, daß Löwen auch gern gemeinsam jagen); sie schlagen zwei Farren nieder, brüllen laut und schleppen die Beute fort, fressen das Eingeweide und lecken das Blut. Die Hunde heulen, aber kriechen feige zurück und werden umsonst gehetzt. Die Hirten verzagen. Es waren ohne Frage asiatische Löwen, die damals noch bis in die griechischen Gebirge vordrangen. Der Löwe war für den Griechen nicht nur ein Fabeltier; er wurde erlebt. Nur mit Feuerbrand konnte man sich seiner erwehren.

So lebte das Volk, das Landvolk. Dem Gutsherrn gehört das Vieh, gehört die Ernte; der Hirt und Arbeiter aber wird immerhin gut gehalten. Die Arbeiter sind Tagelöhner, nicht Sklaven, und von Unzufriedenheit, von Unfrieden hören wir nichts. Dabei spielt sich alles unter freiem Himmel ab; das ist selbstverständlich. Da treffen sich dann auch insgeheim Jüngling und Jungfrau, und ihr Gespräch beginnt: »Dein Herz ist nicht von Eichenholz, ist nicht von Stein.«Ilias XXII 126. Der Sinn der vielfach mißverstandenen Worte ergibt sich aus Anthol. Pal. X 55, 2. Bei Hesiod Theog. 35 bedeuten sie dann so viel wie Geschwätz oder Überflüssiges reden. Homer aber ist diskret und verrät uns nicht, was auf diese zutraulichen Worte folgte.

 


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