Theodor Birt
Das Kulturleben der Griechen und Römer in seiner Entwicklung
Theodor Birt

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7. Die Königskunst

Kehren wir indes aus der bürgerlichen Sphäre zu den Königen zurück. Was wir bisher besprachen, war zumeist nichts weiter als ein Spielen mit der Kunst, wie Kinder mit schillernden Seifenblasen spielen. Auch solch Versgebilde, so nett es sei, erfreut nur in dem Moment, wo man es dichtet oder wo man es liest. Dauerhafter ist da noch die Freude am zierlichen Griff des Spiegels, an der Perle im Ohr der Frau. Die Enge des menschlichen Kleinlebens gleicht dem Käfig. Man verkleidet die Gitterstäbe für kurze Augenblicke mit Blumen und buntem Flitter, als wäre man nicht gefangen. Alle Täuschung ist willkommen, so flüchtig sie ist.

Wie anders kann der Staat der Kultur dienen! Der König ist der Staat, und viele jener Herrscher waren sich, wie wir sahen, ihrer Mission bewußt, nicht nur in der Landpflege; es betraf auch technische Probleme, auch Kunst und Wissenschaft. Das Großartige setzt ein; der große Odem aus der Alexanderzeit wirkt nach, Schwung gebend, und treibt das Wollen und Vollbringen mit Macht zu den überraschendsten Leistungen. Wer kann, ohne hiervon Kenntnis zu nehmen, Rom verstehen?

Das betraf die Marine, ebenso die Belagerungsmaschinen. Rom hat nur mit Griechenflotten seine Seeschlachten gewonnen, nur mit griechischem Geschützbau Numantia und Karthago genommen.Die römischen Kriegsschiffe waren nach griechischem Modell gebaut; aber auch die Mannschaft vielfach aus Griechenstädten bezogen. Was den Geschützbau betrifft, so sei hier nur die Sambuca erwähnt, die Heraklides in Tarent im Dienst der Römer erfand und die Marcellus gegen Syrakus benutzte (Athenäus p. 634 B). In Mitylene gab es das Bild einer Muse, die die Sambuca hält (ib. p. 182 F). Die Schrift des Biton περὶ ὀργάνων war an Attalus gerichtet (ebenda). Dazu die Länder verbindenden KönigsstraßenÜber die Königsstraßen z. B. Philemon com. frg. 58; Digesten XLIII 8, 2, 22. und die Kanäle. Man grub und schaufelte, und der seit langem verschüttete Durchstich vom Nil zum Roten Meer wurde wiederhergestellt, der für den Welthandel erst Arabien und Indien erschloß. Dazu der Leuchtturm, Pharos genannt, 200 der erste seiner Art, an 100 Meter hoch, der in den Hafen Alexandriens die Einfahrt bei Nacht ermöglichte. Ein Vergrößerungsspiegel war auf ihm angebracht, in dem man die entferntesten Schiffe sehen konnte.Athen hatte im Piräus nur kleinere Türme, auf denen offenes Feuer brannte. Genaueres bei Köster, »Seewesen« S. 197 ff. Das Holz mußte für den Brand täglich per Schiff herbei; denn in Ägypten gab es kein Brennholz.

Die neuen Könige kannten als Mitkämpfer Alexanders die Monsterbauten Mesopotamiens und Ägyptens. Wie sollten sie nicht versuchen, es diesem Königsstil gleichzutun? Die Macht will Größe. Und es kam dem Volk zugute; denn die Herrscher zahlten prompt und reichlich, und viele Kräfte fanden Arbeit. Bezeichnend ist, daß die Seleuciden am Tigris als Konkurrenz neben Babylon eine Griechenstadt, Seleukia, bauten, die Babylon endgültig totmachte. So hatte schon Alexander in 12 Jahren an 70 neue Städte gebaut. Die Nachahmung der fremdländischen Bauten aber war nicht Kopie. Griechische Harmonie bezwang die abnormen Massen, die jetzt nötig wurden, und der Geschmack blieb rein. Die Bauformen mußten sich steigern und bereichern, aber »die Musik der Verhältnisse« blieb bestehen, und eine neue, modernere Kunst begann.

Ein Hochtrieb entsteht. Die Säulenhallen weiten sich, verdoppeln sich; sie werden zweischiffig, ja, steigen in zwei Geschossen aufeinander; wuchtig, und doch nicht lastend steht die zweite Galerie auf der ersten, und oben und unten wandeln die Passanten. Auch der schwere Göttertempel klettert auf ein höheres Podium, wächst machtvoll im Volumen, aber wird wie ein Geheimnis in Wäldern von Säulenumgängen versteckt. Die öffentliche Freitreppe entsteht und führt die Terrassen hinan, legt sich breit vor den Palast oder vor den neuen Bibliotheksbau, der dem Palast gleicht. Leere Wandflächen, die sich lang hinziehen, scheinen jetzt unerträglich; es gilt, sie zu unterbrechen, und Säulen oder Pilaster wachsen in die Wände hinein und gliedern die Fläche, als wäre die Wand selbst zwischen ihnen nur Füllung, nur 201 ein Vorhang zwischen den Zeltstangen, die zur Säule geworden sind. Denn auch phantastische Riesenzelte wurden von den Königen improvisiert, himmelhoch wie die ägyptischen Tempel; die schmalen Stäbe, die den Baldachin trugen, ahmten dabei die Gestalt der Palme nach. Die Zelte wurden erbaut und wieder abgerissen, blieben aber unvergessen, so daß uns zum Glück eine anschauliche Beschreibung erhalten ist.S. »Alexander d. Gr.«² S. 268. Ein Trieb in das Schrankenlose verrät sich darin, der damals auch das Musikleben ergriff; die Musik wurde grell und lärmend, und man klagte über ihre Barbarisierung.Aristoxenos bei Athenäus p. 632 B. Es war die Zukunftsmusik jener Zeiten.

Und nun der Baustil. Sollte man dorisch, sollte man jonisch bauen? Die Sonderung schien lächerlich, und man war der alten Vorschriften müde. Warum nicht mischen? Die Buntheit wirkt belebend. Auf jonischen Säulen steht jetzt ein dorisches Kapitell; die Triglyphe zieht da, wo man sie nicht erwartet, ihre drei Furchen in das Steingebälk. Vor allem blüht jetzt hoch oben das reiche korinthische Kapitell, das einer Jardiniere gleicht. Der Säulenstamm scheint neuen Saft zu treiben, und ein Kranz von Schilf sprießt statt eines Kelches auf, aus dem sich der Akanthus mit Blüten üppig nach allen Seiten schwingt, und die schwellenden Eckvoluten wuchern mit Rankengeäst in reichen Kurven daraus weiter bis zur Deckplatte, dem Abakus, hinan. Das Phantastische hat eingesetzt, das eigentliche Phantasie- oder Kompositkapitell konnte entstehen.

Neues an allen Enden. Die altmodischen langen Friese hoch an den Tempelwänden, die Figurengruppen oben im Giebelfeld verlieren an Bedeutung. Dagegen wachsen sich die Altäre, die vor dem Heiligtum stehen, ins Große aus, die nun selbst nach plastischem Schmuck verlangen. Und auch in den Arkaden der Tempelhöfe sieht das Publikum die kühn gedachten Werke der hellenistischen Plastik aufgestellt, die erregend Neues bringen. Es sind Weihgeschenke der Frommen, zumeist wohl der Könige selbst. Die heiligen Bezirke 202 werden zu Museen. Unersättlich häuften die Herrscher die Aufträge, und es mußte rasch gearbeitet werden. Wir hören, daß innerhalb eines Jahres von einer neuen Porträtstatue 360 Exemplare fertig wurden;Dies betrifft den Demetrius Phalereus in Athen; s. Plinius nat. hist. 34, 27. kaum aufgestellt, wurden sie dann schon wieder vom Postament gestürzt. Der Bildmeister Lysipp hinterließ 1500 Werke. Aber auch alte Plastiken und Gemälde kauften die Könige an,Vgl. z. B. Athenäus p. 196 E. und es entstanden in ihren Palästen Kunstsammlungen, die schon zum Studium der Entwicklung der griechischen Kunst die Anregung geben mußten.

Und nun der neue Stil der Bildnerei. Es war ein Bruch mit der Vergangenheit. Die Kunst ist Königskunst, und die Ruhe, der Seelenfrieden, der unsre Andacht weckte, hört auf. Man will Leidenschaft und Erlebnis; Wahrheit, nicht Schönheit, oder doch Wahrheit auf Kosten der Schönheit. Der Wirklichkeitssinn beherrscht nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Kunst. Leben ist ewige Bewegung, und auf dem Zufälligen beruht der Reiz des Individuellen. Die Bronze, der Stein, soll das wiedergeben.

Das Porträt wird wichtig, wie das Biographische in der Literatur. Auf den Geldstücken erscheinen die Gesichter der Könige ganz treu und realistisch gegeben; ihr Vollbild wird auf den öffentlichen Plätzen mitten ins Getriebe hochgestellt, bald in Rüstung, bald idealisch nackt, aber auch als Reiterbild. Gelegentlich stellte man es auf neun Meter hohe Säulen.So Ptolemäus und Arsinoe in Olympia, vgl. L. von Sybel, Weltgeschichte der Kunst² S. 310. Das ist das Prinzip, das hernach die Trajanssäule in Rom befolgt. In den Gesichtszügen aber soll sich jetzt Geist und Seele, der Charakter auf das deutlichste ausprägen. Das Auge sprüht im Bronzekopf; es ist in Flußmasse oder Email eingesetzt, und das Augenweiß blendet: Natur um jeden Preis, ob das Gesicht unnormal, die beiden Gesichtshälften ungleich, ob wirres Haar, verdüsterte Augen, Runzeln und Warzen; einerlei!

Aber auch der Nichtvorhandene wird porträtiert. Großartige Dichtung! Der wundervolle Homerkopf entsteht, denkend und seherhaft vergeistigt mit den blinden Augen. Es entsteht Äsop, der garstige Zwerg, aber so wahr, als wäre er 203 auferstanden. Man muß den Gipsabguß dieses Zwerges so stellen, daß man auf ihn herabsieht; denn so stand der kleine Mann unter dem hochgewachsenen Volk, dem er seine Fabeln erzählte.

Gelegentlich wird dabei auch schon das obstinate griechische Profil, das als Schema in seiner Einförmigkeit alle Griechen zu Geschwistern macht, beseitigt; die steilgerade Linie wird energisch oder auch nur gelind durchbrochen, und die Nase ist nicht mehr verpflichtet, wie ein Stützpfeiler die glatt in sie eingewachsene Stirn zu tragen. Man verfuhr darin auf das freieste, als man nun gar erst Römer porträtierte.

Eine Manier dieser Zeit ist ferner, daß die Köpfe nicht mehr gerade auf den Schultern stehen, sondern sie neigen sich mit Aufblick sehnsuchtsvoll nach rechts; das gilt auch von ruhenden Personen und Idealbildern. Wirklich ruhig ist man jetzt nicht mehr, sondern auch dem Menschen in Ruhe zittert die Seele; ein unbestimmbares Verlangen treibt sie nach außen.Ich denke z. B. an den schönen pergamenischen Frauenkopf in Berlin. Das Drama ergreift jetzt laut oder leise jede Gestalt.

So nun auch die Götter, die man zur Anbetung in die Tempel stellt; sie sind nicht mehr wie früher als bloße Symbole der Gottesnähe gedacht, sondern werden als Götterporträts gestaltet.

Praxiteles zeigte sie vollendet in ruhender Schönheit; aber schon das hat unbedingt verweltlichend gewirkt. Die scheue Andacht ging unter dem Kunstgenuß verloren, und die Ästhetik siegte über die Frömmigkeit. Man konnte sich in die Bilder verlieben, wie der Künstler Pygmalion in das Frauenbild, das er selbst geschaffen; derartiges wird uns wiederholt erzählt.Nicht nur Lucian redet davon; bei Plutarch steht, Placit. philosoph. 5, 12: πολλάκις γὰρ εἰκόνων καὶ ἀνδριάντων ἠράσϑησαν γυναῖκες καὶ ὅμοια τούτοις ἀπέτεκον. Ähnlich Appian cyneg. I 358 ff. Vgl. »Laienurteil über bildende Kunst bei den Alten« S. 40, wo dafür Alexis und Philemon angeführt sind. Man lese auch noch, was Älian Var. Hist. IX. 39 über des Praxiteles Tyche erzählt, sowie Plinius nat. Hist. VII 127 und XXXVI 23. Jetzt ändern die Götter ihre Natur, aber der Andachtswert wurde dadurch schwerlich gerettet. Auch sie werden jetzt dramatisiert; sie befinden sich in Aktion wie im Epos Homers; das geht bis zum Theatralischen. Es genügt schon, an den Apollo von Belvedere zu denken.Über den Apoll von Belvedere s. »Alexander d. Gr.« S. 346.

So steht jetzt auch Poseidon vorgebeugt am Felsenufer, den einen Fuß hoch aufgestellt, und späht über das Meer, ob er kein Opfer seines Zornes findet.Vgl. »Alexander d. Gr.« S. 498. Die sogenannte Venus 204 von Milo gleicht der Porträtstatue einer herrschfähigen Königin; den stolzen Körper mit den freistehenden Brüsten lehnt sie kräftig zurück, biegt das linke Bein ausschreitend vor, als hätte sie nicht Lust, lange so zu stehen, jung matronenhaft und herrlich, aber unnahbar; diese Frau ist zu sehr Realistin und zu welterfahren, um zu tändeln.Die Gestalt ist m. E. zu individuell charakterisiert, um Aphrodite zu sein; das Gesicht ist nicht nur ernst (wie z. B. das der Aphrodite in den Uffizien zu Florenz, Amelung n. 138), sondern ausgesprochen porträthaft und deutet auf eine bestimmte Persönlichkeit; mit Recht ist dies schon von Fr. Goeler v. Ravensburg, »Die Venus von Milo« (1879) S. 130 hervorgehoben worden. Über die Beziehungen zur Venus von Capua, zur Nike von Brescia und zur Aphrodite des Skopas ist von W. Klein »Gesch. der griechischen Kunst« III S. 267 ff. u. II S. 282 f. ausführlich gehandelt worden; ebenso über die Zugehörigkeit der Hand mit dem Apfel u. a. Auf alle Fälle weicht aber auch die Körperhaltung der »Frau von Milo« von den erwähnten Bildwerken ganz eigenartig ab im Zurücklehnen des Oberkörpers, das nicht Hingebung, erst recht nicht Verschämtheit, sondern nur Stolz, Energie und Widerstandsfähigkeit ausdrückt. Die schiefe Stellung des l. Beins bringt Unruhe in das Bild, es scheint nur ein transitorischer Moment gegeben. Leider bleibt unklar, womit die r. Hand beschäftigt war. Auf alle Fälle widerspricht, wie ich meine, nichts der Annahme, daß hier eine Fürstin sich nach dem Schema der Göttin mit den nötigen individualisierenden Abänderungen hat abbilden lassen. Derartiges geschah doch häufig. Sie hielt den Apfel, griechisch »melon« hoch als Wahrzeichen der Insel Melos, als deren Herrin sie sich fühlte. Daß der Kopf verhältnismäßig klein, ist für die Zeit nach Lysipp nicht auffällig. Man ist sich jetzt wohl einig, daß das Werk erst der hellenistischen und nicht einmal der frühhellenistischen Kunst angehört. Ob der Bakchios, dessen Inschrift vorliegt und der auf Melos dem Hermes und Herakles eine Weihung im Gymnasium machte, diese Statue aufstellte, bleibt ganz ungewiß. Hingegen gibt uns die vielbewunderte medizeische Venus den damals modern und gültig gewordenen Typ der Liebesgöttin;Man ist jetzt geneigt, das Vorbild der medizeischen Venus in einem Alterswerk des Praxiteles zu sehen; s. A. Furtwängler, »Meisterwerke« S. 640 f., aber das ist m. W. nur für den Kopf nachweisbar. Immerhin mag sich in dem Meister der Geist der Folgezeit schon vorbereitet haben. sie ist kokett, weiß, daß man sieht, wie sie für das Bad sich entblößt hat, und sucht Schamhaftigkeit auszudrücken, indem sie das Gesicht wegdreht und sich vorneigt, den Leib einzieht und Brüste und Schoß mit der Hand bedeckt, als spräche sie im Ton der Halbwelt: »Mich so zu überraschen, Freund! Nur einen Augenblick! Ich bin gleich wieder in den Kleidern.«

Das ist Genre. Auch Ares, der Kriegsgott, setzt sich wie ein eleganter Gardeoffizier nach getanem Dienst hin, legt lässig die Hände um das hochgezogene Knie und wartet, daß die Geliebte kommt. Der Faun wirft sich weinmüde auf den Felsenhang und versinkt berauscht in Schlaf, so naturgetreu: man glaubt ihn schnarchen zu hören. Und gar der junge Triton (im Vatikan): er taucht mit glattem Haar, das noch naß scheint, aus der Meerestiefe, märchenhaft traurig, eine Elegie aus Stein, für die die Worte fehlen; es ist die Melancholie des Verzauberten: das Auge weit offen, Sehnsucht im Blick, der über die schillernde Öde des Meeres geht, die Ohrmuscheln wie Schallfänger tierisch hochgereckt, als hörten sie aus der Ferne den Sang der Sirenen. Die Ewigkeit ein Grauen! Beklagenswert, wer nicht sterben kann.

Wir kennen schon Heraklits Wort: Die Götter sind nichts als unsterbliche Menschen. Begreiflich also, daß sie in der Bildnerei dem Genre verfielen. Euhemerus schrieb damals den seicht rationalistischen Götterroman, der erzählte, wie die sogenannten Götter einst wirklich als Menschen auf einer Insel im Roten Meer als Dynastie ein Reich beherrschten, allerlei Siege erfochten und nach dem Ableben die übliche 205 Vergöttlichung fanden. Dazu gehörte Zeus vor allem. Aber die Künstler gingen nicht mit; Zeus, der eine, ist von der genrehaft spielenden Behandlung nahezu unberührt geblieben. Mochten alle anderen Götter schließlich fallen, er blieb, der er war, denn die Vielgötterei jener Zeiten war im Grunde doch nur ein dichterisch verkleideter Monotheismus. Der Olympier bleibt darum in aller Majestät die überirdische Ruhe selbst, und nur das Mienenspiel sehen wir jetzt seiner durchgearbeitet und vergeistigt; sein haarumwalltes Haupt, in dem Licht- und Schattenwellen spielen, blickt unendlich ausdrucksvoll auf uns nieder, die überlegene väterliche Güte und höchste Intelligenz zugleich. Jener Kopf aus Otricoli ist nur wie eine Maske aus Marmor; aber wer kann sich sattsehen an dem Antlitz des Gottes, der Himmel und Erde lenkt und dem Gebetsrufen der Könige wie auch des Geringsten lauscht?Interessant ist es, den prachtvollen Zeuskopf vom Altar des Hieron im Syrakusaner Museum zu vergleichen, mit auffallend niedriger Stirn, stark vorgewölbter Unterstirn; sein Ausdruck ist hohe Würde und Kraft, man könnte ihn auch für einen Poseidon halten wollen.

Und nun das Sterben. Die Gallierhorden unter Brennus hatten im Jahre 389 Rom überfallen; ein Jahrhundert verging; eine neue Heimat suchend, zogen weitere Gallierscharen ostwärts, fielen über Mazedonien her und strömten plündernd und mordend weiter nach Kleinasien hinüber. Da war es die Großtat des pergamenischen Königs Attalos I., es war eine Rettung der Kultur, daß er sie im Jahre 278 v. Chr. endgültig besiegte und zur friedlichen Ansiedlung in Galatien zwang. Dort hat sie hernach der Apostel Paulus gefunden. Die Bildhauer aber griffen zu; es geschah im Auftrag des Monarchen. Hier gab es eine ganz neue Aufgabe. Daher »der sterbende Gallier« im kapitolinischen Museum, daher »der Gallier und sein Weib«. Das Weib hängt dem Barbaren schlaff und tot im Arme; er hat sie getötet, um sie vor Schande zu retten, und zückt jetzt das Messer und ersticht sich selber. Es waren aber derartige Plastiken noch viel mehr, die der König aufstellen ließ, um den errungenen Sieg zu verewigen. Das Elend des Feindes zu sehen, schien Triumph.So macht es hernach auch die römische Kunst, aber auch die Dichtkunst; man denke an Äschylus' Perser oder die Horazode IV 4. Drama auch dies, in Einzelfiguren, bis zum höchsten Pathos, aber zugleich historische 206 Denkmäler. Und man übte sich jetzt realistisch an der exakten Wiedergabe fremder Rassentypen. Dieser virtuosen Kunst schien nichts mehr unmöglich.

Eine ausdrucksvolle Kunst. Tief ergreifend wirkt noch so manches andere Bildwerk, so vor allem der sog. Alexanderkopf in Florenz. Er ist in Wirklichkeit doch wohl nur der Kopf eines besiegten Giganten; aber ich lese, wie ein moderner Mediziner ihm sein Studium widmet und aus seinem Ausdruck sein Leiden zu bestimmen sucht. Der Leidende scheint sich vor Schmerz zu winden; der Mund öffnet sich stöhnend; das Haar ist wirr, die aufgerissenen Augen wie betränt. Aus diesen Zügen soll sich ergeben, daß es Gehirnfieber, daß es Typhus gewesen ist, woran dieser Mensch, also doch Alexander, zugrunde ging.Nach einem Aufsatz von Dr. W. Hübner in Genf, der davon absieht, daß es sich um den Kopf eines besiegten Giganten handeln könnte. Mag diese Diagnose ganz verfehlt sein; in jedem Fall ist das Bildwerk selbst die Leistung eines Pathologen gewesen.

Und darauf folgt dann der schlangenumwundene Laokoon. Da tritt uns endlich statt der Einzelfigur eine Gruppe entgegen, komponiert aus drei Gestalten, die die Kunst des Pathologischen noch steigert, indem sie den Ausdruck der vom Erstickungstod Bedrohten dreifach variiert.

Die Könige, die Großen in der Welt, wollten pulsierendes Leben, wollten Sturm sehen. Das hat dann erst recht die Tafelmalerei und die großen Reliefkompositionen ergriffen, die der Malerei gleichkommen und sie noch übertrumpfen. Wir kennen die hellenistischen Gemälde in Proben nur indirekt, aber damit doch ausgiebig genug. Da brodelt und brandet es, ein Hin und Her in den Gruppen, in der bewegten Masse. Man denke an das Speergewirre, an Reiter und Wagenlenker im Kampfgewühl, an das erschreckte Roß, das man von hinten in Verkürzung sieht, in der kostbaren Alexanderschlacht aus Pompeji. Dazu (um vieles andere zu übergehen) der gewaltige, ja, übergewaltige pergamenische Bilderfries mit der Gigantomachie, der in Überlebensgröße gemeißelt ist. Dies grandiose Werk war auf Weitsicht 207 berechnet; denn über 200 Meter hoch stand der Riesenaltar, den es schmückte, über den Wohnhäusern der Stadt; kaum zählbar die kämpfenden Gestalten, die da ineinander wogen, die Götter in der Höhe, die Giganten niedergeworfen am Boden. Das Ganze erfaßte nur, wer den Altarbau rings umschritt. Lauter Zweikämpfe; Himmel und Erde in Aufruhr. Es geht um das Heil der Welt; hier höllische Urkraft, dort Himmelssturm; betäubend für das Auge. Das Göttliche siegt über das gesetzlos Dämonische.Vgl. »Alexander d. Gr.« S. 403. Für die Leistungsfähigkeit der Antike ist dies das Ultra des Möglichen gewesen.Es sei hier noch daran erinnert, daß es nach dem Zeugnis des Claudian auch in Rom, am tarpejischen Felsen, eine Gigantomachie im Relief gab; über ihre Deutung s. meine Schrift »Die Germanen« S. 81.

Und dies führt uns weiter zur Wahrnehmung des Kolossalen. Denn in der Plastik kommen jetzt die Kolosse auf; nicht nach Art der Memnonssäule in Ägypten; dies war Barbarenkunst: der rohe Felsen selbst in Menschenform gezwängt. Aber der Steigerung des Baustils mußten gegebenenfalls doch auch die Figuren entsprechen. Reiche Handelsstädte wie Tarent und Rhodos gingen da mit. 40 Ellen hoch stellte Lysipp den Zeus auf den Marktplatz Tarents, und als eins der Weltwunder galt der Koloß von Rhodos, es war der Gott Helios, 70 Ellen hoch, der in Bronze über dem Hafen stand wie heute die Göttin der Freiheit über dem Hudson, dem Hafen New Yorks. Ein Erdbeben aber warf ihn um, und noch jahrhundertelang hat man da die hohlen Riesenglieder der Figur am Boden liegen gesehen; die Finger waren größer als ein Mensch. Solch Riese muß auch der Poseidon gewesen sein, der hoch oben auf dem Leuchtturm Alexandriens stand, ein herrlicher Gedanke.In der Rekonstruktionszeichnung des Leuchtturms, die auf H. Thiersch zurückgeht, scheint mir der Poseidon nicht groß genug gegeben; ein ganz anderes Größenverhältnis der Statue zum Turm zeigt jedenfalls die Münze des Sextus Pompejus (bei Köster a. a. O. Abbild. 55); da ist sie wirklich ein Koloß. Die beste Anschauung aber geben uns die beiden Rosselenker, schwungvoll bewegt und sprühenden Lebens, die heute in Rom auf dem Monte cavallo vor dem Palast del re stehen. So standen dieselben Kolosse gewiß schon einst im Altertum vor irgendeinem der Königsschlösser. Der Fürst will ausreiten; die göttlichen Knechte Kastor und Pollux halten das Pferd dazu am Tor bereit. Die Tiere sind unbändig und steigen hoch.Vgl. v. Sybel a. a. O. S. 349.

208 Neben dem Kolossalen aber steht überraschend endlich das Kind. Der Kontrast ist für jene Zeiten bezeichnend. Das Exzentrische geht ins Kleine wie ins Große. Eine fast fanatische Kinderliebe setzte trotz der Zerrüttung der ehelichen Verhältnisse oder vielmehr in ihrem Anlaß in den höheren Schichten der Gesellschaft ein, besonders bei den Frauen. Man kaufte sie in größerer Zahl zusammen – es gab geradezu einen Kindermarkt – und hielt sie sich zur Zerstreuung oder auch zur Herzerquickung als munteres nacktes Spielzeug in den Palästen. So wurden damals kleine Buben der Lieblingsgegenstand des Malers Pausias. Ja, schon bei der Hochzeit Alexanders des Großen mit Roxane wurden sie im Bild vorgeführt, Kindernachwuchs verheißend, aber so, daß sie, als Amoretten verkleidet, mit Alexanders Waffen ihr kindisches Spiel trieben.Mir scheint nicht richtig, was H. Herter in den Bonner Jahrbb. Heft 132 (1927) S. 255 hierüber bemerkt. Die Amoretten auf dem erwähnten Gemälde waren dieselben wie die, die man als Tanagrafigürchen kennt und die auch nichts weiter als spielende Knäbchen vorstellen (z. B. Rayet Monuments de l'art antique Tfl. 83). Vgl. übrigens meinen Amorettenaufsatz (»Aus dem Leben der Antike«4 S. 134 ff.), wo auch auf Vorarbeiten verwiesen ist; dazu noch die reizende Szene in Terrakotta, abgebildet als Titelbild zu meiner Schrift »Die Cynthia des Properz«. Diese Verkleidung war auch sonst beliebt; und so beleben sie seit diesen Zeiten in den Bildwerken bald beflügelt, bald ohne diese Zutat und bald einzeln, bald in Schwärmen, wo es irgend zulässig schien, die Szene als allerliebster Zierrat, klettern auf den Rücken des Nilgottes oder sitzen wie ein Täubchen im Vogelkäfig, und der Händler verkauft sie an fürstliche Frauen. Auf dem Geflügelhof läuft solch Bübchen herum und fängt an, heroisch mit einer Gans zu kämpfen, wie Herkules mit dem Löwen ringt. Das gab in Marmor ein entzückend possierliches Bild, als Statuette behandelt.Es war das Werk des Boethos. Das verwandte Bild, das Herondas 4, 30 erwähnt, fällt anscheinend früher. Eine Umwandlung ins päderastisch Obszöne sah ich einst in Rom in der Galerie Boncompagni-Ludovisi Nr. 3; das Bildwerk muß sich jetzt im Thermenmuseum befinden. Nicht mit der Gans, sondern mit dem verliebten Schwan ringt hier der Knabe: eine Umwandlung des Motivs »Leda mit dem Schwan« ins Päderastische.

 


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