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Fürstin Marie Hohenlohe

(Zu ihrem 80. Geburtstag.)

Auf ihrem steirischen Schloß Friedstein bei Steinach begeht Fürstin Marie Hohenlohe Karl Erdman-Edlers Nachruf auf Konstantin Prinz zu Hohenlohe, »Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog«, Berlin 1897, Band I, 176-191. – Eingehende Schilderung der Witwenzeit der Fürstin, ihres Wohnsitzes, des geselligen Lebens und des geistigen Schaffens auf Schloß Friedstein in dem der Fürstin Marie Hohenlohe gewidmeten Buche von La Mara »Durch Musik und Leben im Dienste des Ideals«. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1917. 2 Bände. – Emil Kuh schreibt (Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 1904: Briefe Emil Kuhs an Gottfried Keller, mitgeteilt von Dr. Alfred Schaer) am 27. Oktober 1875 an Meister Gottfried: »Ich verließ Ratzes Ende August und ging zuvörderst auf ein paar Tage nach Sanct Wolfgang, zwischen Salzburg und Ischl, zur Fürstin Marie Hohenlohe, einer Frau, welche die vornehmste Weiblichkeit mit einem brillanten Geist vereinigt, ein latent leidenschaftliches Naturell mit dem Ausdruck halb gesellschaftlicher, halb seelischer Zurückhaltung. Sie sagte mir manches schöne Wort über meine biographische Arbeit, die ich auf den Wunsch der Witwe des Dichters mitgenommen hatte und worin die Fürstin an 200 Seiten meiner engen Hand las.« 1912 übermittelte mir die Fürstin die an sie gerichteten Briefe Emil Kuhs zur freien Verfügung: sie wären besonderer Veröffentlichung wert. – Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens hat die geniale, im Januar I920 verschiedene Fürstin nicht geschrieben: nur vereinzelte Blätter über ihre Beziehungen zu Tegetthoff, Ary Scheffer, Richard Wagner, Kosima Liszt. Ihres Großvaters, Prinzen Sayn-Wittgenstein, gedachte sie in einem Aufsatz der »Österreichischen Rundschau«. Ein hoffentlich nicht für die Nachwelt verlorener Schatz ist ihr Briefwechsel mit Angehörigen, Freunden, Künstlern. Ihr Briefstil war wie ihr Lebensstil: eigen, überlegen, in allen Stufenjahren ihres reichen Daseins ein Naturselbstdruck ihres mit keinem andern vergleichbaren Wesens. Kein Wort eines andern wird Marie Fürstin Hohenlohe so anschaulich zu schildern vermögen, wie das durch eine Auswahl ihrer Korrespondenz geschehen könnte., die Witwe des früheren Obersthofmeisters Kaiser Franz Josefs, am 18. Februar 1917 ihren 80. Geburtstag. An redlich verdienten Kundgebungen dankbarer Verehrung wird es bei diesem Anlaß nicht fehlen. Schwerlich aber wird irgendwer ihr Wesen wahrer würdigen, als das vor 62 Jahren Hoffmann v. Fallersleben getan hat in einem Festgruß für die achtzehnjährige Prinzessin Marie Wittgenstein (zum 18. Februar 1855):

Was Europas Völker fühlten und dachten,
In schöner Form zutage brachten,
Ihr höheres Leben, ihr schönster Ruhm,
Es ist geworden dein Eigentum.
Doch mehr als aller Sprachen Kenntnis
Hat dir der gütige Himmel beschieden
Ein Herz, das selber sich vergißt.
– – – – – – – – – – – – – –
Und wenn es auch heute zu dieser Frist
Im kalten Winter geboren ist –
Es kann sein eig'ner Frühling sein
Und blüh'n wie die Blum' im Sonnenschein
Und wird wie die Rose sich lieblich entfalten
Und immer blüh'n und nimmer alten.

Mehr als zwei Menschenalter sind vergangen, seit der Sänger des Liedes »Deutschland über alles«, dem Fürstin Hohenlohe nachmals durch ihren Fürspruch eine sichere Heimstatt als Bibliothekar des Herzogs von Ratibor in Corvey bereitete, dieses Jugendbild der Prinzessin zeichnete; seine Charakteristik der Achtzehnjährigen trifft gleichwohl nicht weniger auf die Achtzigjährige zu. Nach wie vor hat die Fürstin den Kreis ihres Wissens unablässig erweitert, mit unverminderter jugendlicher Empfänglichkeit alles Große, Echte, Starke der neuen Kunst sich zu eigen gemacht; zu jeder Zeit und in jeder Stellung ihres Lebens ist sie dabei sich selbst gleich und getreu geblieben: ein mildes, alles Leid der Kreatur mitfühlendes, für Nah- und Fernstehende gleich hilfsbereites Frauengemüt. Der fahrende Poet Hoffmann v. Fallersleben war nicht der Erste und nicht der Letzte, der dem guten Genius der Altenburg, wie Hans v. Bülow die Prinzessin nannte, seinen Dichtersegen gab. Das blutjunge Mädchen bewegte Hebbels Herz im Tiefsten, als er 1858, einer Einladung Dingelstedts folgend, nach Weimar kam. »Meine Phantasie (so heißt es in einer für Hebbels Biographie bestimmten Aufzeichnung der Fürstin) verlieh ihm einen eigenen rätselhaften Zauber. Um mich auf seine Bekanntschaft vorzubereiten, las ich ›Genovefa‹ und ›Judith‹, die mich mit seltener Begeisterung erfüllten. Mit allem Ungestüm der Jugend erhob ich die reckenhaften Gestalten dieser Dramen hoch über die Heroen der Klassiker.« In einer halbdunklen Loge war Prinzeß Marie mit ihrer Mutter bei der Generalprobe der »Genovefa« zugegen. Als Hebbel in einer Pause den Damen durch Dingelstedt vorgestellt wurde, nahm die Prinzeß eine blühende Zentifolie, die sie an der Brust trug und reichte sie dem Dichter Hebbel, der betroffen durch eine tiefe Verbeugung dankte. Auf dem Heimweg aus dem Theater knüpfte Hebbel ein freundliches Gespräch mit der Prinzeß an, auf das sie schüchtern einging, nachträglich verlegen durch ihre unwillkürliche Huldigung. Fortan fehlte Hebbel während seines Weimarer Aufenthaltes keinen Tag auf der Altenburg. Und als er sie einmal sah, wie sie Liszt »umblätterte«, hielt er das herrliche Bild fest in dem dauerhaften Blatt:

Der Prinzeß Marie Wittgenstein.

Ein gold'nes Netz im vollen dunklen Haar,
Dazu die Troddel, fremd und wunderbar.
Mit Augen, die mich einst mit wärmstem Glück
Begrüßt auf Peruginos schönstem Stück,
So schlägst du hier dem Meister still und stumm
Am Instrument die heil'gen Blätter um.
Zwar horchst du selbst, doch rührst du dann und wann
Wie weihend ihm die wilden Locken an.
Da ist's, als ob er zwiefach Funken sprüht.
Und zwiefach zünden sie mir im Gemüt.
So zeigst du als lebend'ge Muse dich …

Wie sehr Hebbel die Prinzeß als »lebend'ge Muse« betrachtete und behandelte, bewies sein Wunsch, künftighin alles, was er schaffen werde, »in ihren wunderbar klaren Augen gespiegelt zu sehen«, ein Vorsatz, den er am 10. April 1860, wenige Wochen, nachdem er die »Nibelungen« Trilogie vollendet hatte, durch die Übersetzung von »Kriemhilds Rache« verwirklichte. »Sie kennen den Morgen und den Mittag und müssen nun doch auch die Nacht kennen lernen. Ich fürchte Ihren Spruch. Seien Sie mir eine milde, aber aufrichtige Richterin.« Sehnsüchtiger als Hungernde und Dürstende nach Speise und Trank, verlangt es einsame, oft mißkannte und unverstandene Leidensgefährten Michelangelos nach einer Vittoria Colonna. Hebbels Kennerblick hatte in der Wahl seiner »lebend'gen Muse« nicht geirrt. Fürstin Marie Hohenlohe war und blieb die gelehrigste Jüngerin Hebbels, dessen Lebenswerk sie kennt und liebt wie keine zweite. Wer fremder Größe mit solcher Urteilskraft gerecht zu werden vermag, offenbart das Maß der eigenen Geistesgröße. Hebbel war nicht der einzige, dessen Vermächtnis Fürstin Marie Hohenlohe hütete und pflegte. Liszt, der Lebensfreund ihrer Mutter, der genialen Fürstin Karoline Sayn-Wittgenstein, hatte bei Lebzeiten und über das Grab hinaus keine treuere Anhängerin, keine großmütigere Vollstreckerin seiner schönsten Absichten als Fürstin Marie Hohenlohe. Ihr Werk war die von ihrer trefflichen Bundesgenossin La Mara veranstaltete Gesamtausgabe seiner Briefe. Die vierbändige Ausgabe seiner gesammelten Schriften in deutscher Sprache hat sie (wenn ich nicht irre, teilweise unter anderen an der Übertragung der Abhandlung »Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn« selbst mitbeteiligt) veranlaßt. Das Liszt-Museum in der früheren »Gärtnerwohnung« von Weimar hat sie gestiftet und erhalten, die Zuwendung eines ansehnlichen, der Universalerbin Liszts zufallenden Vermögens an einen Unterstützungsfonds für Musiker in die Wege geleitet. Es war nur ein kleiner Teil des Dankes, den sie zeitlebens für die unverlöschbaren Eindrücke »aus der Glanzzeit der Altenburg« (die La Mara 1906 in »Bildern und Briefen aus dem Leben der Fürstin Karoline Sayn-Wittgenstein« wieder aufsteigen ließ) im Herzen trug.

So kam sie »aus Glanz und Wonnen her«, als sie 1859 dem Fürsten Konstantin zu Hohenlohe-Schillingsfürst die Hand reichte und zu dauerndem Aufenthalt nach Wien folgte. Beiläufig ein halbes Dutzend Jahre nach der Vermählung wurde Fürst Konstantin Hohenlohe zum Obersthofmeister ernannt, dessen Wohnsitz das kaiserliche Schlößchen im Augarten wurde. Hier hat Fürstin Marie Hohenlohe dreißig Jahre lang Heerschau halten können über alle namhaften Staatsmänner, Heerführer, Diplomaten, Künstler, die ihr Weg in die große Welt führte. »Ich entsinne mich,« so schrieb die Fürstin in einem Erinnerungsblatt an Tegetthoff, »kleiner Diners im Augarten, wo der Geist des menschenschätzenden Kaisers über die beim Kaffee sitzenden, von der breitästigen Kaiser-Josef-Platane beschatteten Gäste zu kommen schien. Tegetthoffs Patriotismus flammte auf und Giskras pathetische Beredsamkeit schien die goldenen Früchte einheimsen zu wollen, die der Philanthrop auf dem Throne im Jahrhundert vor ihm gesät.« Für den edlen Sinn, mit dem Fürstin Hohenlohe das Andenken des Seehelden ehrte, zeugt es, daß sie Tegetthoffs Mutter, die das Schicksal Niobes erlitt, all ihre Söhne vor sich ins Grab sinken zu sehen, wieder und wieder in Wien und Graz aus innerstem Herzensantrieb besuchte. »Die einfache Bürgersfrau erschien mir in der Hoheit ihres Schmerzes groß wie die biblische Makkabäer-Mutter. In ihren Augen brannte die Glut so vieler ungeweinter Tränen. Eine christliche Heldenmutter hat die Heldensöhne geboren und dem Vaterlande geschenkt. Sie, die gefeierten, hochgestellten Männer, begegneten der weltunkundigen, zurückgezogenen Frau mit einer tiefen Ehrfurcht, welche bei unseren seichten Sitten selten vorkommt. Den strengen Sinn für Redlichkeit, das hochherzige Streben hatten sie von ihr geerbt. Ich wallfahrte, so oft ich kann, zu meiner Heiligen und lerne von ihr, mit welcher Selbstlosigkeit eine Mutter ihre Söhne erziehen muß – nicht zur eigenen Befriedigung, nur zu Gottes Ehr'!« Diese tiefe Demut der Fürstin, die sonst aufgeblasene Scheingröße, wo das not tut, mit überlegenem Stolz abzuweisen verstand, der Einklang ihres Herzschlages mit dem Herzschlag der Mutter Tegetthoffs stellt sie nach dem Empfinden von unsereinem höher als alle Auszeichnungen, Würden, Orden, die ihr zeitlebens zuteil wurden.

Als Egeria ihres Gemahls, dem sie nach der Erzählung des ausgezeichneten Biographen des Fürsten Konstantin Hohenlohe, Karl Erdmann Edler, zur Seite stand, wo es galt, in Kunstfragen eine inhaltsschwere Entscheidung zu treffen, »lehnte sie mit fast instinktiver Sicherheit jegliche Unnatur und Affektiertheit ab und wies dieselbe, wenn sie sich dreist vordrängte, in ihrer vornehm zurückhaltenden Weise in die Schranken«. Den Größen, berühmten Meistern wie Richard Wagner (der der Sechzehnjährigen in Basel das von ihm bei der ersten Vorlesung benützte Handexemplar des »Ring der Nibelungen« mit der Zueignung geschenkt hatte: »Alles dem klugen Kinde zum Andenken an den dummen Richard«), Makart, Wilbrandt, kam sie nicht anders entgegen als dem in seinen Anfängen schwer bedrängten Ferdinand v. Saar, dessen 191V von mir im Verlag Christoph Reißers Söhne veröffentlichter Briefwechsel mit der Fürstin ihre unvergleichliche Überlegenheit als Trösterin, Kennerin, Helferin und – Stilistin zeigt. Hätte Fürstin Hohenlohe nichts anderes geschrieben als diese rasch hingeworfenen Improvisationen, sie wäre eine Prosaikerin, deren Episteln die vielgerühmten von Karoline (Schelling) durch Natürlichkeit, Feinheit, Anmut der Formgebung weit hinter sich lasten. »Sie vermag,« wie es in der Einleitung zu jenem Briefwechsel heißt, »Münzrecht auszuüben in mehr als einem Sprachgebiet.« Ihre Übersetzung von Lamartines » Tailleur de pierres« nannte Hebbel schlankweg meisterhaft, und angesichts ihrer Briefe bekannte Saar aufrichtig, daß er auch nicht einigermaßen würdig zu erwidern vermochte. So sind sie (nicht die einzigen) Zeugnisse eines menschlich und künstlerisch denkwürdigen Verkehres, Urkunden echter Kunstliebe und Kunstpflege, zu dem die Vignette mancher Briefblätter der Fürstin stimmt – der Helmschmuck der Hohenlohe, ein Phönix mit dem Wappenspruch: Ex flammis orior. Ein Sinnbild des Licht und Wärme ausstrahlenden Feuergeistes der Fürstin.


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