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Schönherrs neues »Königreich«

Indessen Bühnenleiter und Männer der Feder in Österreich und Deutschland am 24. Februar den fünfzigsten Geburtstag unseres erfolgreichsten und stärksten Dramatikers in mehr oder minder wohlgeratenen Aufführungen und Würdigungen feierten, sorgte der Tiroler Dichter für sich und uns am wirksamsten durch die weitaus wertvollste willkommenste Gabe zum Gedenktage: eine neue Schöpfung, eine selbständige, auf den Urentwurf zurückgehende Fassung seines 1908 gedruckten, 1909 im Deutschen Volkstheater gespielten Märchendramas »Das Königreich«. Im neuen wie im alten »Königreich« kämpft kindliche Unschuld mit dem leibhaftigen Satan, das eine Mal mit komischem, das andere Mal mit tragischem Ausgang. Beidemal überzeugt uns der Dichter von der Berechtigung, denselben Vorwurf grundverschieden zu behandeln, durch seine künstlerische und sittliche Redlichkeit, wie ja schon Anzengruber dasselbe Thema vom Sündkind im »Meineidbauer« und »Einsam« tödlich ernst, im »G'wissenswurm« mit herzstärkender Heiterkeit ausklingen ließ. Beidemal hat Schönherr Bedeutendes gewollt: in jener im Volkstheater gegebenen Teufelstragödie, die wir mit und trotz mancher fragwürdiger Unklarheit in der Reihe seiner Schöpfungen nicht missen möchten, hat er durch symbolistische Zutaten sogar ein bißchen zu viel gewollt. Desto runder ist die Teufelskomödie, mit der uns das neue »Königreich« überrascht, gelungen. Ein kerndeutscher Schwank, der in seinen Derbheiten und Schnurren den Vergleich mit Hans Sachs' Fastnachtsspielen vom geprellten Teufel nicht zu scheuen hat, in seinen Kindergestalten und Waldbildern anheimelt wie Schwind und Raimund, als Ganzes aber Schönherr ureigen ist, eine von den Freunden seiner Art und Kunst längst erwartete Probe seines Berufes, mit lauteren Mitteln eine Volkskomödie zu schaffen, die ihren Weg über die deutschen Bühnen so sicher und sieghaft machen wird, wie »Erde«, »Glaube und Heimat«, »Der Weibsteufel«, »Volk in Not«.

Keiner dieser Würfe ist dem Dichter unversehens gelungen, keiner dieser mächtigen Erfolge fiel ihm unvermutet wie das große Los zu. Schritt für Schritt mußte jedes dieser Schönherrschen Königreiche in beharrlichen Künstlermühen erforscht, besetzt, behauptet werden. Und weil diese Hauptwerke des Dichters keine Improvisationen sind, vielmehr ziemlich spät, dann allerdings immer dauerhafter reiften, wird auch sein Ruf und Weiterwirken sich immer wetterbeständiger erweisen. Einem kommenden Biographen oder besser noch einer Selbstbiographie Schönherrs muß es überlassen bleiben, sein allmähliches Werden und Wachsen zu zeigen und zu deuten. Es hat nach unscheinbaren Anfängen, tastenden Versuchen, unausweichlichen Hemmungen und Fehlschlägen als Abschluß seiner Entwicklung ihm und uns die Gewißheit gebracht, wo seine eigentliche Begabung, die Ursprünglichkeit seiner Art und Kunst wurzelt: im Tiroler Boden, im Tiroler Menschenschlag, in dem Mut, beherzt vor ihm unbetretene Bergwege führerlos zu suchen und zu weisen. Ein Dramatiker, der Tirol bisher gefehlt hat, ist seiner Heimat in Schönherr erstanden; der Dramatiker, in dem die Größe der Natur, die Gewalt seines Volkes, meinetwegen auch die Besonderheit und Enge der Berglandschaft, die Wildheit und der Ungestüm seiner Gießbäche wiederauflebt. Und wie Tirol Tirol bleibt, ob es gleich nicht am Meere liegt und Innsbruck keine Weltstadt ist wie Paris, bleibt Schönherr Schönherr, der die Verkleinerung durch Neider, die Hohnreden der Nörgler so heiter hinnimmt, wie ein Wanderer auf steilen Höhenpfaden das aus der Tiefe des Froschpfuhls kaum vernehmlich emporschlagende Gequake. »Jede wahre Volksrede«, hat Gottfried Keller im »Grünen Heinrich« gesagt, »ist ein Monolog, den das Volk selber hält. Glücklich aber, wer in seinem Lande ein Spiegel seines Volkes sein kann, der nichts widerspiegelt als dieses Volk, indessen dieses selbst nur ein kleiner, heller Spiegel der weiten, lebenden Welt ist.« »Mei Hoamatland, von dir han i's, dir gib i's«, hat Rosegger auf das Widmungsblatt von »Stoansteirisch« gesetzt. Die gleiche Losung könnte Schönherr seinem Lebenswerk, einer zur Stunde leider noch fehlenden Sammlung seiner Schriften, die wir gern bald in jeder guten deutschen Hausbibliothek begrüßen möchten, vorausschicken.

Wortkarger und verschlossener als Rosegger, den sein Herz und seine Erzählergabe beständig in das Paradies seiner Kindheit zurückkehren heißt, hat Schönherr in seinen Büchern und Stücken nur selten ausdrücklich der eigenen Frühzeit gedacht. Wo und wann immer das geschah, allerdings mit solcher Wucht, daß wir seine Eltern und Lehrer, Leiden und Freuden seiner Jugend, von Grund aus zu kennen glauben. Der Vater, des lieben Brotes wegen Schulmeister, stammte aus einer Schützenrass'; sein Stolz waren seine »Beste«, die Scheibe mit dem »Jungfernschuß«. Sehnsüchtig schaute der Kraftmensch aus den Fenstern seiner eine Weile im Etsch-, dann im Inntal gelegenen Lehrzimmer, von der mit kreidigen ABC's und Ziffern beschriebenen schwarzen Tafel ins Freie, nach den Revieren der Alpenjäger. Und als der Wackere vorzeitig auf dem schwarz ausgeschlagenen, alten, verschnörkelten Klavier aufgebahrt und unter großem Geleit von Schulkindern, Klosterfrauen, Lehrern und von weit und breit hergewanderten getreuen Schützenbrüdern in Lodenjoppen mit grünen Aufschlägen begraben worden war, machte die Mutter, eine Märtyrerin, die der Sohn in zwei denkwürdigen Blättern »Als der Vater starb« und »Herrgotts Schwiegermutter« verewigt hat, mit 60 Gulden Jahrespension das Unmögliche möglich. Sie gab trotz des Zuspruches des Herrn Dechanten keines ihrer fünf Kinder aus dem Haus; Karl kam nicht, wie der Pfarrer das geraten, zu einem Bauer auf den Nördersberg. Sie sorgte für die Töchter, von denen eine Nonne wurde, und sie brachte es fertig, beide Söhne, den einen als angehenden Geistlichen, Karl als angehenden Mediziner auf die Lateinschule zu schicken. Die Opfer, die die Studenten den Angehörigen daheim auferlegten; die Martern, die dem Gymnasiasten die griechischen Wurzeln bereiteten; die Bitternisse der von Gemeinden gewährten Stiftplätze sind im »Sonnwendtag« mit überzeugender Eindringlichkeit – schwerlich nur vom Hörensagen – geschildert. Der Frohsinn des Jünglings wurde gleichwohl mit diesen und allen anderen Anfechtungen und Heimsuchungen fertig. Manches vergnügliche Schulschwänzen, der Kegelbahn zulieb, deren anschlägige Inhaberin, eine Frau Wirtin, den Gymnasiasten auf je zehn in einer Zeche getrunkene Krügel ein elftes als Freibier »draufgab«, Knabenstreiche, die dem Obergymnasiasten die rasch beschworene Drohung der Verweisung an eine andere Lehranstalt eintrugen, haben ihrerzeit durch die arglose Munterkeit des Missetäters seine gestrengen Professoren entwaffnet, wie sie heute noch jeden Hörer von Schönherrs Schulgeschichten durch ihre Naturburschenkomik überwältigen. Auch als »einsemestriger« Studiosus der Medizin nahm es Schönherr in Innsbruck nicht zu genau mit dem Kollegienbesuch. Seine (im »Merkbuch« festgehaltene) erste Begegnung mit dem Dichter Adolf Pichler, bei dem er in Mineralogie ein Kolloquium zu bestehen hatte, stellt seiner Wahrheitsliebe und der angeborenen Kraft scharfer, lustiger Menschenbeobachtung rühmlicheres Zeugnis aus, als seinem Eifer für die Kristallographie. Der Geist der Medizin blieb ihm trotz alledem nicht verschlossen. Auf der Landesuniversität und hernach in Wien hat Schönherr seziert, studiert, praktiziert, bis er nach mehr oder minder gut abgelegten (bisweilen auch zur Wiederholung angesetzten) Prüfungen den Doktorhut von Rechts wegen aufsetzen durfte. Um sein Vorwärtskommen als Landarzt war es nun aber nicht aussichtsvoller bestellt als mit der Sicherung eines zahlungsfähigen Patientenkreises in Wien. Es geht die Sage, daß der junge Doktor zunächst zu Kranken gerufen wurde, die so viel ärmer waren als der Anfänger, daß er ihnen barmherzig schenkte, was er gerade bei sich hatte.

Die Zubußen, die dem Arzt fehlten, hat ihm dazumal auch die Feder nicht hinlänglich verschafft, so flink und fleißig Schönherr auch »Tiroler Marterln« und »Allerhand Kreuzköpf«, »Schnalzer aus dem Inntal« in Büchlein und Zeitungsblättern zum besten gab. Wer diese mundartlichen und hochdeutschen Erstlinge bei ihrem Erscheinen 1895 und 1896, offenen Ohrs für den Übermut des Sängers, offenen Auges für den sicheren Strich des Charakteristikers, noch so wohlwollend musterte, hätte dem Neuling eher alles andere prophezeit als die Zukunft eines Tragikers, und Schönherr selbst sagte, gelegentlich des Neudruckes einer Auswahl dieser Blätter, im Vorwort seiner »Tiroler Bauernschwänke«: »Vor nunmehr bald zwanzig Jahren, als ich die Mehrzahl dieser harmlos-fröhlichen Dingerchen schrieb, war ich noch froh und zufrieden. Ich gäbe was darum, könnte ich sie heute noch schreiben.« Dieser Wunsch ist Schönherr im neuen »Königreich« erfüllt worden, in dessen Teufelsspäßen die alte Freudigkeit an mittelalterlich-kindlichem Schabernack wiederkehrt. Nur sind dem Dichter mittlerweile ganz andere Fähigkeiten zugewachsen, seine kecksten Eingebungen künstlerisch ergiebig auszunützen. In der Schule der Bühne hat er unverdrossen zugelernt, so manches Mal er auch ohne Wehleidigkeit tüchtig Lehrgeld zahlen mußte. So gleich das erstemal, als er sich am 10. Oktober 1897 der Hauptstadt als Dramatiker mit einem Volksschauspiel »Der Judas von Tirol« vorstellte. Balajthy gab die Hauptrolle: Raffl, den das Tiroler Ehrgefühl nicht als ganzen Landsmann gelten lassen wollte; in Schönherrs Drama war er gar nur ein Straßenkind. Die Verachtung, mit der die Bauernburschen dem Auswürfling begegnen, dem im Passionsspiel die Judasrolle zufällt, reizt Raffls Rachegefühl. Entsinn' ich mich recht, so wird der auch in seinem Liebesleben Angefeindete Brandstifter und zuletzt der Verräter des Sandwirtes. Zufällig war ich Zeuge jener Erstlingsvorstellung; mein Nachbar war Zacharias Konrad Lecher, ein geborner Vorarlberger, der als Redakteur der »Presse« Schönherrs aus dem Tiroler Volksleben geholte Bilder mit Wohlgefallen angenommen und den jungen Arzt und Schriftsteller von Herzen liebgewonnen hatte. Trotzdem konnte auch Vater Lecher sich nicht verhehlen, daß der Abend nicht besonders glücklich ablief. Der Spielleiter, meines Erinnerns Herr Langkammer, wollte seine Künste leuchten lassen; den Gipfelpunkt sollten lebende Bilder, die Gefangennahme Andreas Hofers, bilden. Folge: lange, zu lange Zwischenakte; Stocken des Fortgangs der Handlung; wachsende Ungeduld der Hörer. Schönherr selbst mochte seither von seinem Volksschauspiel, in dem Hofer nur als stumme Person auftrat – er hat inzwischen in »Volk in Not« gelernt, den Landsleuten auf dem Iselberg und im Burgtheater gehörig ins Gewissen zu reden – nichts mehr hören. Er gab den »Judas von Tirol« so völlig preis, dass augenblicklich nicht einmal der Text eines Bühnenmanuskriptes erreichbar ist. Seine Zeitrechnung als Dramatiker beginnt somit nicht vor dem Jahre 1900, mit der Aufführung der einaktigen Tragödie braver Leute »Die Bildschnitzer« im Deutschen Volkstheater. Ein kleines Meisterstück, das in der Geschlossenheit der Form, in der Kraft seiner Gestalten, in der herzbewegenden Gewalt der Vorgänge Schönherr als unverkennbaren Bühnendichter beglaubigte, der nach weiteren zwei Jahren 1902 das Burgtheater mit dem »Sonnwendtag« eroberte. Das stumme Spiel der alten Rofner-Mutter im letzten Auftritt, wie die Greisin nach dem Zusammenbruch ihres ganzen Geschlechtes langsam den Altarschmuck abräumt und wegsperrt, das Öllichtlein im Ampelglas verlöscht, dann neben dem Altärchen sich hinhockt und ins Leere starrt, das war ein Neues, Unvergeßbares, Eigenstes, das niemand Schönherr vor- oder nachmachen konnte.

Nicht minder erstaunlich neu, unvergeßbar und eigen war nach diesem Treffer die Beflissenheit Schönherrs, den »Sonnwendtag« immer wieder umzugestalten. Er ließ ein paar Neubearbeitungen drucken und eine grundstürzende Änderung von Sinn und Text des »Sonnwendtages« in den »Trenkwaldern« im Deutschen Volkstheater nicht zum Segen der Sache aufführen. Manchem Nebenwerk erging es nicht anders als diesem Hauptwerk: in den Regalen der Burgtheaterbibliothek finden sich ganze Fächer mit immer neuen Abwandlungen seiner Schauspiele: »Familie« und »Über die Brücke«. Zeugnisse seiner sich niemals genügenden Selbstkritik, die schärfer sieht und erbarmungsloser einschneidet als wohlmeinende Dramaturgen und bösartige Kläffer. Die Antriebe zu solchen Änderungen und Neuerungen sind mannigfaltige. Vor allem Gewissenhaftigkeit, die nicht müde wird, mit sich selbst ins Gericht zu gehen. Nicht weniger dann das schon von Schiller freimütig einbekannte Bedürfnis, im Dienst der dramatischen Kunst immer sicherer alle Handwerksgriffe zu prüfen und zu üben. Es ist Schönherr ein artistisches Vergnügen, frühere Arbeiten an seinen späteren technischen Erfahrungen zu messen. Ein weniger sorgsam schaffender Dramatiker von der natürlichen Begabung Schönherrs würde sich getrost nur auf seinen Instinkt verlassen und in vielen Fällen verlassen dürfen: der Tiroler Dichter nimmt es genauer; zum Heil seiner Kunst wird seine Schöpferlust zugleich gezügelt und beflügelt durch das Streben nach der jedem Stoff gemäßesten Form. Bewußt und unbewußt wagt, probiert, experimentiert er deshalb unablässig. Was und wie viel bei solcher strengen Kunstübung herauskommt, springt selbst dem Laien in die Augen, wenn er die grundverschiedene Anlage der letzten drei Dramen Schönherrs »Weibsteufel«, »Volk in Not«, »Frau Suitner« sieht. »Wenn mehrere das Gefühl dieser inneren Form hätten«, heißt es in einem berühmten Satz des jungen Goethe, »die alle Formen in sich begreift, würden wir weniger verschobne Geburten des Geistes aneklen.«

Zur Umgestaltung des Märchenstückes »Das Königreich« wurde Schönherr noch durch tiefere als technische Gründe bestimmt. Das neue Werk ist aus neuem Geist geboren. Dem pessimistischen Weltbild wird ein optimistisches nicht gegenüber, doch an die Seite gestellt. Er sagt nicht mit Wallenstein, »dem bösen Geist gehört die Erde, nicht dem guten«. Er bekehrt sich auch nicht, wie Voltaire nach dem Erdbeben von Lissabon, jählings von der Tagesansicht zur Nachtansicht. Er hält ebensowenig gleich den Spitzfindigkeiten spanischer Autos sakramentales Weltgericht, ob und weshalb der Fürst der Finsternis im Endkampf unterliegen muß gegen die himmlischen Mächte. Sein »Königreich« wächst tief aus Menschlichkeit. »Vergangen ist der böse Zauber«, sagt der in Lüsten versunkene Fürst des Rokokostaates, als er unversehens in die dumpfe Armeleutkammer eines von Schicksal und Bosheit unablässig verprügelten Buckligen tritt, der sich durch die Hingebung seiner mitleidigen Frau, die Unschuld seiner Kinder, die eigene Güte als wahrer König fühlt. »In dieser Kellerstube wird mir des Lebens tiefe Einfalt klar. Reiner Sinn und Menschenliebe sind die urgewaltigen Quadern, mit denen auch der ärmste Mann bis in den Himmel bauen kann.« Wohl möglich, daß dieser seiner Weisheit letzter Schluß von manchen unserer überreizten und überheizten Modenarren in die Jugendgeschichten von Gustav Nieritz verwiesen wird. Schönherrs Witz würde mit Widersachern dieses Schlages noch leichter fertig werden als die Kleinen des »Königreiches« mit des Teufels Mutter, dem Teufel und des Teufels Tochter, ja, mit der ganzen Hölle, die diese zwei halbwüchsigen Kinder, Haidele und Friedl, die wahren Helden des Königreiches – Analphabeten, die weder Nieritz noch Nietzsche selbst nur dem Namen nach kennen – zu Paaren treiben. Friedl, ein kleiner Mozart, hat ahnungslos durch den Naturzauber seines Geigenspiels die Teufelssonaten des Hofmusikus, der 1917 kurzweg »der Schwarze« heißt (im alten Königreich wird er 1908 Eccellenza Maestro Diabolo genannt) zu schanden gemacht. Vergebens will der Schwarze mit seiner wilden, die wüstesten Triebe weckenden Höllenmusik Alt und Jung, Männlein und Weiblein wiederum zu bacchischer Ausgelassenheit aufreizen. Gegen die Himmelstöne des die Hörer absichtslos zu höchstem Aufschwung begeisternden Friedl kommt er nicht auf. In der großen Welt hat der Schwarze sein Spiel für den Augenblick verloren. Desto grimmiger sucht er die Kinder in seine Fänge zu bekommen. Das Mädel packt er bei der weiblichen Putzsucht. Haidele legt die von des Teufels Tochter vorbedacht zurückgelassenen Tanzschuhe an, die sie zwingen, weiter und weiter zu wirbeln, bis sie – gefolgt von Friedl, der sie nicht im Stich lassen kann – in einer kleinen, rußigen Waldschmiede haltmachen muß: in der Hölle, wie sie Schönherrs Humor, Schwindisch, nicht Breughel-mäßig, grotesk-genial ausgemalt hat. Sein Teufel ist ein echt mittelalterlicher, höllischer Hanswurst, den seine Mutter, der Ausbund aller bösen Sieben, als Ursimandl unter der Fuchtel hält. Wie nun die Kleinen zu diesem im Grund gutmütigen Teufel kommen und ihn durch ihre Furchtlosigkeit und Heiterkeit immer zutraulicher machen, erzählt er ihnen die Geschichte seines Himmelssturzes. Angesichts seines Elends rührt sich das Mitleid der Kinder mit seinem jammervollen Schicksal. Das ist dem Schwarzen aber, seit die Welt steht, noch nicht passiert. Das Abenteuer rüttelt den Schwarzen nun auch dermaßen von Grund aus auf und wühlt ihn so völlig um, daß er die Kleinen bittet, ihm die Hände zu reichen, um ihm hinaufzuhelfen ins – Menschentum. Sie willfahren und damit ist die Hölle gesprengt; das höllische Feuer geht aus; des Teufels Mutter wettert und wütet »Zwoa Kinder hab'n den Teufel g'holt«; das Höllentor springt immer wieder von selbst sperrangelweit auf; der Schwarze sucht mit einer kleinen Falschmeldung als Herr »Wauwaudinger« auf Erden einen kleinen Ruheposten (Zukunftsehe nicht ausgeschlossen, denn auch für diesen Mephisto meldet sich mehr als eine Frau Marthe); des Teufels Mutter greint in ohnmächtiger Tobsucht »Kreuzhimmelstern, die ganze Höll is laar. Was fang' i' denn jetzt an. Soll i' vielleicht auf meine alt'n Tag no' a Klosettfrau wer'n?« Im alten Königreich stieß Eccellenza Maestro Diabolo seine Verwünschungen und Verzweiflungsausbrüche in pathetisch stilisierter Prosa und gereimten Parabasen aus. Im neuen Königreich werden heilsamer in urtirolerischer Mundart mit drei Generationen der Teufelsfamilie Possen getrieben, und die Clownspäße, die sie miteinander und ihren Quälgeistern aufführen, sollten Schauspielern willkommenste Gelegenheit zu parodistischem Übermut geben, wie seinerzeit Mitterwurzer in dem Fastnachtsschwank »Der Teufel und das alte Weib«.

In diesen höllischen Kehraus mischen sich zugleich gramgebeugte Leidensgestalten und aus tiefstem Weh allmählich in höchstes Jauchzen umschlagende Freudenklänge: Chöre der von endloser Pein befreiten Verdammten, Chöre, zu denen keine neue Musik wird geschrieben werden müssen – Beethoven hat sie im »Fidelio« vorweggenommen. »Erlöst! erlöst! erlöst!« stammeln die Dulder zuerst stockend; nach und nach schwillt ihr Jubel immer machtvoller an, bis sie in unübersehbarem Triumphzug zum Höllentor hinaus ins Freie ziehen und in brausendem, bewußt oder unbewußt an Alt-Tiroler »Passionen« und »Wallfahrts-Lieder« anklingenden Choral singen:

Ach was haben wir gelitten
Tausend Jahr in heißer Qual und Pein.
Angeschmiedet waren wir in Stein und Eisen,
Niemand hörte unser Schrein und Bitten.
Und jetzt mit einem Mal
Nach tausend, ja tausend Jahren
Glänzt uns wieder Gottes Sonnenschein.

Ich wüßte – auch in der Caliban- und Mirandagruppe auf Prosperos Zauberinsel – kein Gegenstück zu diesem Ineinanderspielen der Teufelsfratzen und Rüpelstreiche höllischer Clowns und das Innerste bewegender Befreiungshymnen der aus ewiger Verdammnis zu dauernder Freude Erweckten. Menschlich und malerisch ein Bild ohne Vorbild. Kein Zweifel – Wien, in dem diese in des Wortes eigentlicher Bedeutung unvergleichliche »Waldschmiede« geschaffen wurde, muß sie zuerst auf offener Bühne zeigen Der Dichter hat inzwischen seinem Volksmärchen wiederum eine neue, im Deutschen Volkstheater gespielte Bühnenfassung zu teil werden lassen.. Dem ersten Maler, dem ersten Spielleiter und den ersten Merkleuten dieser Waldschmiede wünschen wir heute schon Glück; ihnen winken neidenswerte Kränze. Dem Schöpfer des in seiner Art einzigen Werkes sagen wir aber aus vollem Herzen Dank. Er hat sich neuerdings als Herr eines eigenen, ehrlich erkämpften Königreiches erwiesen, das dauernden Bestand hat in Gegenwart und Zukunft des deutschen Volkes.

Wien, am 50. Geburtstag Karl Schönherrs, 24. Februar 1917.


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